Urteil vom Verwaltungsgericht Hamburg (19. Kammer) - 19 K 1731/20
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerinnen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerinnen können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
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Die Klägerinnen wenden sich gegen die von der Beklagten durch infektionsschutzrechtliche Allgemeinverfügung vorübergehend angeordneten Betriebsschließungen ihrer Fitnessstudios.
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Die Klägerinnen betreiben Fitness- und Freizeitanlagen im Gebiet der Freien und Hansestadt Hamburg. Sie stellen ihren Kunden gegen regelmäßig zu zahlendes Entgelt Sportgeräte auf Mietbasis zur Verfügung und bieten unter anderem Sportkurse und die Nutzung einer Sauna an.
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Im Dezember 2019 wurden erste Erkrankungsfälle im Zusammenhang mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 bekannt. In der Bundesrepublik Deutschland wurde im Januar 2020 eine erste Infektion bestätigt. Die Infektionszahlen stiegen in den folgenden Monaten stetig an. Die durch das Coronavirus SARS-CoV-2 ausgelöste, bisher unbekannte Erkrankung COVID-19 ist eine Erkrankung mit vielfältigen Krankheitsverläufen, die sich meist als Atemwegsinfektionen äußern. Diese reichen von symptomlosen Verläufen bis zu schweren Pneumonien mit Lungenversagen und können zum Tod führen.
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Die Beklagte erließ zur Eindämmung des Coronavirus seit dem 11. März 2020 verschiedene Allgemeinverfügungen. Der Betrieb von Fitness- und Sportstudios wurde in der Allgemeinverfügung zur Eindämmung des Coronavirus in Hamburg vom 15. März 2020 geregelt (Amtl. Anz. Nr. 25, S. 333):
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„5. Folgende Einrichtungen oder Angebote dürfen nicht für den Publikumsverkehr geöffnet werden:
a) [...]
r) Fitness- und Sportstudios“
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Mit Allgemeinverfügung vom 16. März 2020 (Amtl. Anz. Nr. 25a, S. 336a) ergänzte die Beklagte den Katalog der Einrichtungen und Angebote, die nicht für den Publikumsverkehr geöffnet werden durften, um weitere Gewerbe (Ziff. 7).
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Am 2. April 2020, zeitgleich mit Erlass der Verordnung zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 in der Freien und Hansestadt Hamburg vom 2. April 2020 (HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO [HmbGVBl. Nr. 15, S. 131]), die am 3. April 2020 in Kraft trat, erließ die Beklagte eine weitere Allgemeinverfügung, durch welche die Allgemeinverfügung vom 15. März 2020 mit Wirkung ab dem 3. April 2020 aufgehoben wurde.
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Am 21. April 2020 haben die Klägerinnen Klage erhoben. Sie tragen vor, sie hätten durch die vorübergehende Betriebsschließung einen wirtschaftlichen Schaden erlitten, welcher zu einer Gefährdung der Existenz führe. Ihre Kunden seien berechtigt gewesen, die Entgelte für den Zeitraum der Schließung auszusetzen. Durch die daraus resultierenden fehlenden Einnahmen seien sie gegenüber ihren Gläubigern in Verzug gekommen und laufende Kosten hätten nicht gedeckt werden können.
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Ihr Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Allgemeinverfügung liege vor, denn sie würden beabsichtigen, mögliche Schadensersatzansprüche in einem späteren Amtshaftungsprozess gegen die Beklagte geltend zu machen. Auch seien sie in ihren Grundrechten, insbesondere der Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG, verletzt.
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Die Klägerinnen sind der Auffassung, die Allgemeinverfügung sei rechtswidrig gewesen, jedenfalls soweit diese in Ziff. 5 die Betriebsschließung von Fitnessstudios angeordnet habe. Die Regelung habe bereits nicht auf einer tauglichen Rechtsgrundlage beruht, denn der Anwendungsbereich des § 28 IfSG sei nicht eröffnet gewesen. Diese Vorschrift setze voraus, dass in dem jeweiligen Fitnessstudio Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt würden. Dies sei nicht der Fall, denn es habe keinen bekannten Fall im Zusammenhang mit dem Betrieb ihrer Studios gegeben. Die Allgemeinverfügung habe einen rein präventiven Charakter gehabt, sodass der Anwendungsbereich des § 16 IfSG eröffnet gewesen sei.
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Dass die Vorschrift des § 28 IfSG keine Maßnahmen umfasse, die gegen die Allgemeinheit gerichtet seien, ergebe sich auch daraus, dass die in §§ 56 bis 68 IfSG vorgesehenen Entschädigungsansprüche ausschließlich zugunsten infizierter Personen bestehen. Hätte der Gesetzgeber Maßnahmen gegen nicht infizierte Personen vorgesehen, hätte er nach Auffassung der Klägerinnen im 12. Abschnitt des IfSG entsprechende Ausgleichsansprüche normiert. Zudem sei § 28 IfSG nicht hinreichend bestimmt. Dies habe auch der Gesetzgeber erkannt, denn er habe zuletzt am 19. Mai 2020 das IfSG, darunter auch § 28, geändert.
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Selbst wenn die Beklagte die Betriebsschließungen auf § 28 IfSG habe stützen können, bestünden Zweifel, ob die Betriebsschließungen eine „notwendige Schutzmaßnahme“ im Sinne der Vorschrift gewesen seien. Nach dem Willen des Gesetzgebers solle grundsätzlich individuell gegen die Betroffenen (Infizierten) vorgegangen werden, nicht aber das Leben der Allgemeinheit beschränkt werden. Zwar könne die zuständige Behörde nach § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG aus repressiven Gesichtspunkten Veranstaltungen einer größeren Anzahl von Menschen beschränken oder verbieten, allerdings beziehe sich diese Möglichkeit auf die Beschränkung von öffentlichen Veranstaltungen und nicht auf die Schließung privater Betriebe.
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Auch ergebe sich aus § 28 Abs. 1 Satz 4 IfSG, dass nur einzelne Grundrechte durch die „notwendigen Maßnahmen“ eingeschränkt werden dürften. Darunter falle jedoch nicht die Einschränkung der Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 GG, denn diese werde in § 28 IfSG nicht erwähnt.
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Im Übrigen sei die allgemeine Anordnung von Betriebsschließungen unverhältnismäßig gewesen. Die Beklagte habe deshalb ermessensfehlerhaft gehandelt, weil sie nicht berechtigt gewesen sei, den Betrieb sämtlicher Fitnessstudios ohne Ausnahme pauschal in Verbindung mit listenartig aufgeführten anderen Einrichtungen zu untersagen. Sie habe verkannt, dass temporäre Betriebsschließungen eine Ultima Ratio seien. Vielmehr hätte sie jeden einzelnen Betriebstyp individuell prüfen und entsprechend der Prüfergebnisse durch Anordnungen, Auflagen oder sonstigen Beschränkungen handeln müssen. In Bezug auf Fitnessstudios sei eine Vielzahl an milderen Mitteln denkbar gewesen, um den Betrieb auch zu Zeiten von SARS-CoV-2 aufrechtzuerhalten. Insbesondere wären eine Personenbeschränkung entsprechend der Quadratmeterzahl, die Verpflichtung zur vorherigen Terminabsprache, die Pflicht zum Trainieren mit Mundschutz, die Anordnung, Geräte so zu platzieren, dass der Mindestabstand von 1,50m eingehalten werde, oder die Anordnung, dass der Studiobetreiber dafür Sorge zu tragen habe, dass jeder Kunde nach der Nutzung eines Gerätes dieses durch bereitgestellte Desinfektionsmittel desinfiziere, denkbar gewesen. Auch sei zu berücksichtigen gewesen, dass es im jeweiligen Bezirk der Klägerinnen keine signifikanten Infektionszahlen gegeben habe und dass sich die Mitte April in der Politik geäußerten Bedenken hinsichtlich der Ausbreitung des Virus nicht im Ansatz bestätigt hätten. Zum Zeitpunkt der getroffenen Maßnahmen habe angesichts der damaligen Fallzahlen keine Notwendigkeit bestanden, diese zu veranlassen. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, den Betrieb vom Fitnessstudios zunächst lediglich einzuschränken und sodann unter Beobachtung der Fallzahlen eine stufenweise Anpassung vorzunehmen. Die Unangemessenheit der Betriebsschließungen zeige sich auch darin, dass es seit der Wiedereröffnung von Fitnessstudios zu keinem signifikanten Anstieg der Infektionszahlen gekommen sei. Es sei daher kaum denkbar, dass ein Fitnessstudio als „Superspreader“ anzusehen sei.
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Die Beklagte hätte im Rahmen der Ermessensentscheidung zudem berücksichtigen müssen, dass das Coronavirus in den überwiegenden Fällen nicht zum Tode führe. Die Sterberate in Deutschland liege bei 0,01 % und könne daher keine derartigen Einschränkungen rechtfertigen. Im Vergleich habe es während der Grippewelle in den Jahren 2017 und 2018 mehr Todesfälle gegeben, ohne dass das öffentliche Leben eingeschränkt worden sei. Auch werde nicht auf die zahlreichen Toten durch Krankenhauskeime reagiert.
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Die Klägerinnen beantragen,
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festzustellen, dass die Allgemeinverfügung der Beklagten vom 15. März 2020 zur Eindämmung des Coronavirus in Hamburg in Gestalt der Änderungsverfügung vom 16. März 2020 rechtswidrig war, soweit der Betrieb von Fitnessstudios untersagt wurde.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie trägt vor, § 28 IfSG begegne keinen Bedenken und sie schließe sich insoweit der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung unter anderem des Verwaltungsgerichts Hamburg an. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 28 IfSG hätten vorgelegen, sodass der Beklagten hinsichtlich Art und Umfang der Bekämpfungsmaßnahmen ein Ermessen eingeräumt gewesen sei. Dabei sei unter anderem zu berücksichtigen gewesen, dass das Ansteckungsrisiko in Fitnessstudios besonders hoch sei. Dort sei regelmäßig eine vermehrte Atemaktivität und Schweißproduktion zu verzeichnen, zudem handele es sich um geschlossene Räumlichkeiten, in welchen sich Menschen in der Regel länger gemeinsam aufhielten. Mildere Mittel, insbesondere betriebsbezogene Maßnahmen, seien nicht gleich geeignet gewesen. Zu berücksichtigen sei weiter, dass es sich zum Zeitpunkt des Erlasses der Allgemeinverfügung um eine mit einer Ungewissheit belastete Situation gehandelt habe und auch aktuell noch handele. Die Erkrankung COVID-19 sei eine unbekannte Infektionskrankheit; insbesondere seien mögliche Dauerfolgen bisher nicht bekannt. Die Beklagte habe zudem im Rahmen der Angemessenheit nicht verkannt, dass die Allgemeinverfügung ein erheblicher Eingriff in die Grundrechte der betroffenen Betriebe gewesen sei. Dennoch sei dem Gesundheitsschutz eine überragende Bedeutung beizumessen gewesen, welche die rein privaten Interessen der Klägerinnen überwogen habe. Die Klägerinnen hätten darüber hinaus nicht konkret dargelegt, inwiefern die angeordneten Schließungen der Fitnessstudios sie in ihren ökonomischen Belangen nach Art. 14 GG und in ihrer Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG betroffen habe. Die Betriebsschließungen seien auf einen überschaubaren Zeitraum befristet worden und mit einer gleichzeitigen stetigen Evaluierung einher gegangen. Die Beklagte habe dabei die Auswirkung auf die Infektionszahlen sorgfältig im Blick behalten und mit entsprechenden Lockerung reagiert.
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Die Klägerinnen haben mit Schriftsatz vom 11. Mai 2020 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt. Die Beklagte hat ihr Einverständnis mit dem schriftlichen Verfahren mit Schriftsatz vom 23. Mai 2020 erklärt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
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Das Gericht entscheidet ohne mündliche Verhandlung nach § 101 Abs. 2 VwGO, da die Beteiligten dafür ihr Einverständnis erklärt haben.
II.
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Die Klage ist zulässig (1.), jedoch nicht begründet (2.).
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1. DieKlageistalsFortsetzungsfeststellungsklage gemäß §113Abs.1Satz4VwGO analogstatthaft, obwohldieVorschriftnachihrem WortlautnurdieFällederErledigungdesVerwaltungsaktesnachErhebungeiner Anfechtungsklageerfasst.Hierhatsich dieAllgemeinverfügung zur Eindämmung des Coronavirus in Hamburg vom 15. März 2020 schonvorKlageerhebung erledigt.AufdieseFälledersichbereitsvorKlageerhebungerledigendenVerwaltungsakteist mangelsgesetzlicherRegelungaufgrunddervergleichbarenInteressenlage,eineetwaige RechtswidrigkeiteinesVerwaltungsaktesauchnochnachträglichfeststellenzulassen, § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGOanaloganzuwenden(BVerwG,Urt.v.25.9.2008,7A4/07, juris Rn. 14).
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Nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO spricht das Gericht für den Fall einer Erledigung des angegriffenen Verwaltungsakts auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist. Rechtsschutz wird nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO indes (nur noch) dann gewährt, wenn der Betroffene daran ein berechtigtes rechtliches, ideelles oder wirtschaftliches Interesse hat; die gerichtliche Entscheidung muss geeignet sein, die Position des Klägers in einem der genannten Bereiche zu verbessern (st. Rspr, z.B. BVerwG, Beschl. v. 24.10.2006, 6 B 61.06, juris Rn. 3). Das berechtigte Feststellungsinteresse geht damit in all diesen Fällen über das bloße Interesse an der Klärung der Rechtswidrigkeit der Verfügung hinaus. Ein besonderes Rechtsschutzinteresse wird insbesondere anerkannt, wenn das gerichtliche Verfahren dazu dienen kann, einer Wiederholungsgefahr zu begegnen, eine fortwirkende Beeinträchtigung durch den an sich beendeten Eingriff zu beseitigen oder wenn es sich um den Fall eines tiefgreifenden, nach seiner Eigenart jedoch kurzfristig erledigten Grundrechtseingriffs handelt (BVerfG, Beschl. v. 6.7.2016, 1 BvR 1705/15, juris Rn. 11; VGH München, Urt. v. 12.12.2016, 10 BV 13.1005, juris Rn. 46 m.w.N.). Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung kann zudem dann angenommen werden, wenn die Kläger die Geltendmachung von Ansprüchen aus Amtshaftung oder von sonstigen Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüchen beabsichtigen und die Erledigung des Verwaltungsaktes erst nach Klageerhebung eingetreten ist (Schenke/Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 113, Rn. 136).
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Vor diesem Hintergrund ist zugunsten der Klägerinnen ein berechtigtes Interesse gegeben. Zum einen besteht angesichts der fortdauernden Pandemielage die Gefahr einer Wiederholung der Betriebsschließungen, zum anderen handelt es sich vorliegend um einen sich kurzfristig erledigenden Grundrechtseingriff, denn angesichts des Zeitraumes von etwa zwei Wochen zwischen der Bekanntgabe der Allgemeinverfügung und deren Erledigung bestand für die Klägerinnen keine Möglichkeit, gerichtlichen Rechtsschutz in der Hauptsache zu erhalten.
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2. Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Allgemeinverfügung der Beklagten vom 15. März 2020 war rechtmäßig und verletzte die Klägerinnen nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog. Maßgeblich für die gerichtliche Prüfung der Rechtswidrigkeit dieses erledigten Verwaltungsaktes ist vorliegend der gesamte Zeitraum zwischen der Bekanntgabe der Allgemeinverfügung und deren Aufhebung. Grundsätzlich ist zwar bei einer Fortsetzungsfeststellungsklage die zum Zeitpunkt der Erledigung des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehende Sach- und Rechtslage maßgeblich (VGH München, Urt. v. 10.7.2018, 10 B 17.1996, juris Rn. 23 m.w.N.). Etwas anderes gilt regelmäßig nur dann, wenn der Kläger durch seinen Antrag einen abweichenden maßgeblichen Zeitpunkt für die begehrte Feststellung bestimmt (Schenke/Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 113, Rn. 124). Dies haben die Klägerinnen vorliegend nicht getan. Da es sich jedoch bei der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung um einer Dauer-Verwaltungsakt handelt und es der Beklagten möglich war, im Zeitraum zwischen der Bekanntgabe am 15. März 2020 und der Aufhebung mit Wirkung zum 3. April 2020 die getroffene Allgemeinverfügung ganz oder teilweise aufzuheben, sind auch die Entwicklungen in dieser Zeitspanne zu berücksichtigen. Nur etwaige Änderungen der Verhältnisse nach Eintritt des erledigenden Ereignisses – der Ablauf des 2. April 2020 – wirken sich auf die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Anordnung nicht aus. Dementsprechend ist es sachgerecht, der gerichtlichen Rechtmäßigkeitsprüfung den gesamten Zeitraum zugrunde zu legen (vgl. VGH Kassel, Urt. v. 27.2.2013, 6 C 824/11.T, juris Rn. 31). In dem so bestimmten maßgeblichen Beurteilungszeitraum beruhte die Allgemeinverfügung auf einer tauglichen Rechtsgrundlage (a.) und war formell (b.) sowie materiell (c.) rechtmäßig.
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a. Rechtsgrundlage für die streitige Allgemeinverfügung war § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 IfSG, zunächst in der Fassung vom 1. März 2020, dann in der Fassung vom 27. März 2020. Nach beiden Fassungen dieser Vorschrift sind, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden, die notwendigen Schutzmaßnahmen zu treffen, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. Insbesondere können Personen verpflichtet werden, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten. Schutzmaßnahmen i.S.v. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG können auch Form der Allgemeinverfügung gemäß § 35 Satz 2 HmbVwVfG ergehen (VG Hamburg, Beschl. v. 27.3.2020, 14 E 1428/20, juris Rn. 52 ff.; vgl. VGH München, Beschl. v. 30.3.2020, 20 CS 20.611, juris Rn. 7; Lindner, in: Schmidt, COVID-19, 2020, § 16 Rn. 1). § 16 IfSG war entgegen der Rechtsauffassung der Klägerinnen nicht die einschlägige Rechtsgrundlage (aa.). Ein Verstoß des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG gegen das Bestimmtheitsgebot aus Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG (bb.) oder anderes höherrangiges Recht, insbesondere gegen das Zitiergebot (cc.) oder den Wesentlichkeitsgrundsatz (dd.) ist nicht erkennbar.
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aa. Dem Vortrag der Klägerinnen, die Schließung von Betrieben und Verkaufsstellen habe als präventive Maßnahme nur auf Rechtsgrundlagen aus dem 4. Abschnitt des Infektionsschutzgesetzes gestützt werden können, kann nicht gefolgt werden. Zwar wird mitunter vertreten, § 16 IfSG sei die Präventions-Generalklausel zur Anordnung aller notwendigen Schutzmaßnahmen, § 28 IfSG die Bekämpfungs-Generalklausel (Erdle, IfSG, 7. Aufl. 2020, § 28 Anm. 1; Gerhardt, IfSG, 3. Aufl. 2020, § 16, Rn. 1; Bales/Baumann, IfSG, 2001, § 28 Rn. 1), jedoch erfasst diese Auffassung die gesetzliche Systematik nicht vollständig (VGH Mannheim, Beschl. v. 9.4.2020, 1 S 925/20, juris Rn. 17 ff.).
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Die gesetzliche Systematik des Infektionsschutzgesetzes unterscheidet im 4. Abschnitt die „Verhütung übertragbarer Krankheiten“ und im 5. Abschnitt die „Bekämpfung übertragbarer Krankheiten“. Dementsprechend verlangt § 28 IfSG, dass Kranke oder Krankheitsverdächtige festgestellt sind, während § 16 IfSG voraussetzt, dass Tatsachen festgestellt werden, die zum Auftreten einer übertragbaren Krankheit führen können. Die Differenzierung zwischen „Verhütung“ und „Bekämpfung“ entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers, wie er sich aus den Materialien zur Vorgängerregelung im Bundesseuchengesetz entnehmen lässt. So führte der Gesetzgeber zum früheren § 10 Abs. 1 BSeuchG, der § 16 IfSG entspricht, aus (BT-Drs. 8/2468, S. 19):
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„Beim Vollzug des BSeuchG haben sich vielfach Schwierigkeiten daraus ergeben, daß zwischen Maßnahmen zur Verhütung übertragbarer Krankheiten (§ 10 ff.) und Maßnahmen zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten (§ 30 ff.) unterschieden, diese Unterscheidung aber nicht immer folgerichtig durchgeführt ist. Auch waren Maßnahmen nur im Abschnitt Bekämpfung genannt, die auch bei der Verhütung eine Rolle spielen (z.B. Entseuchung und Entwesung). Es erscheint allerdings nicht notwendig, die im Grunde bewährte Systematik aufzugeben, wenn die Vorschriften der §§ 10 ff. und der §§ 30 ff. besser aufeinander abgestimmt werden. Dabei erscheint es zweckmäßig, in dem Abschnitt über die Verhütung übertragbarer Krankheiten alle Maßnahmen aufzunehmen, die neben der Bekämpfung auch der Verhütung übertragbarer Krankheiten dienen. Soweit erforderlich, sind in den Abschnitt über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten dann Verweisungen aufgenommen worden. Die Vorschrift des § 10 ist dabei so erweitert worden, daß im übrigen in § 32 und § 34 so weit wie möglich auf diese Bestimmung Bezug genommen wird und § 35 entfallen kann. Ergänzt wird die Regelung des § 10 schließlich durch den neuen § 12 a, der die Ermächtigung enthält, unter den Voraussetzungen der §§ 10 und 12 entsprechende Gebote und Verbote zur Verhütung übertragbarer Krankheiten zu erlassen.“
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Gleichwohl sind Maßnahmen nach § 28 Abs. 1 IfSG nicht auf ein Vorgehen beschränkt, das allein der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten dient. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG ermächtigt zu Schutzmaßnahmen, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. Die Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten wird häufig notwendigerweise Hand in Hand gehen mit einer präventiven Wirkung und zielt auf diese gerade auch ab. Dies zeigen auch die in § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG aufgeführten zulässigen Maßnahmen, darunter die Beschränkung und das Verbot von Veranstaltungen und Ansammlungen sowie das Schließen von Badeanstalten und von Gemeinschaftseinrichtungen i.S.v. § 33 IfSG. Auch diese dienen der Verhinderung der Übertragung der Krankheit auf bisher nicht erkrankte Personen und damit auch präventiven Zwecken (VGH Mannheim, Beschl. v. 9.4.2020, 1 S 925/20, juris Rn. 17 ff.). Dies entspricht dem Willen des Gesetzgebers, auch soweit er bewusst eine Unterscheidung zwischen dem 4. Abschnitt über die „Verhütung übertragbarer Krankheiten“ und dem 5. Abschnitt über die „Bekämpfung übertragbarer Krankheiten“ getroffen hat. Zum früheren § 34 Abs. 1 Satz 2 BSeuchG – der § 28 Abs. 1 IfSG entspricht und der zuständigen Behörde die Befugnis gab, Veranstaltungen in Theatern, Filmtheatern, Versammlungsräumen, Vergnügungs- oder Gaststätten und ähnlichen Einrichtungen sowie die Abhaltung von Märkten, Messen, Tagungen, Volksfesten und Sportveranstaltungen oder sonstige Ansammlungen einer größeren Anzahl von Menschen zu beschränken oder zu verbieten und Badeanstalten zu schließen – führte die Gesetzesbegründung aus (BT-Drs. 8/2468, S. 27 f.):
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„Die Fülle der Schutzmaßnahmen, die bei Ausbruch einer übertragbaren Krankheit in Frage kommen können, läßt sich von vorneherein nicht übersehen. Man muß eine generelle Ermächtigung in das Gesetz aufnehmen, will man für alle Fälle gewappnet sein. Die Maßnahmen können vor allem nicht nur gegen die in Satz 1 (neu) Genannten, also gegen Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige usw. in Betracht kommen, sondern auch gegenüber ‚Nichtstörern‘. So etwa das Verbot an jemanden, der (noch) nicht ansteckungsverdächtig ist, einen Kranken aufzusuchen. Die bisher in § 43 aufgezählten Schutzmaßnahmen gegenüber der Allgemeinheit können künftig auf Grund der generellen Regelung des Absatzes 1 Satz 1 angeordnet werden. In Absatz 1 Satz 2 werden sie trotzdem beispielhaft ausdrücklich genannt, weil die genannten Maßnahmen einerseits besonders bedeutsam sind und es andererseits durch ihre Nennung ermöglicht wird, daß die in § 65 enthaltene Strafandrohung aufrechterhalten werden kann.“
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Zum Infektionsschutzgesetz führte der Gesetzgeber aus (BT-Drs. 14/2530, S. 74 f.):
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„§ 28 Abs. 1 enthält gegenüber § 34 Abs. 1 BSeuchG folgende Neuerungen: § 28 wird entsprechend § 16 Abs. 1 so gefasst, dass die zuständige Behörde die notwendigen Maßnahmen treffen muss (gebundene Entscheidung). Es besteht kein sachlicher Grund dafür, der Behörde im Bereich der Verhütung übertragbarer Krankheiten eine Handlungsverpflichtung aufzuerlegen, ihr aber bei Bekämpfungsmaßnahmen hinsichtlich der Frage, ob gehandelt werden muss, ein Ermessen einzuräumen. Das Ermessen hinsichtlich der Frage, ‚wie‘ gehandelt wird, bleibt davon unberührt. Die Vorschrift ermöglicht die Anordnung von Maßnahmen gegenüber einzelnen wie mehreren Personen. Bei Menschenansammlungen können Krankheitserreger besonders leicht übertragen werden. Deshalb ist hier die Einschränkung von Freiheitsrechten in speziellen Fällen gerechtfertigt. Die bisher geltende Vorschrift des BSeuchG zählte einzelne Veranstaltungen in Räumen und Ansammlungen unter freiem Himmel beispielhaft auf. Auf diese Aufzählung wird nun verzichtet und stattdessen der Begriff ‚Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen einer größeren Anzahl von Menschen‘ verwandt. Durch diese Beschreibung ist sichergestellt, dass alle Zusammenkünfte von Menschen, die eine Verbreitung von Krankheitserregern begünstigen, erfasst werden.“
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Maßnahmen nach § 28 Abs. 1 IfSG dienen folglich auch nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers dem Schutz von bisher nicht kranken, nicht krankheitsverdächtigen und nicht ansteckungsverdächtigen Personen und damit gezielt auch präventiven Zwecken (VGH Mannheim, Beschl. v. 9.4.2020, 1 S 925/20, juris Rn. 17 ff., 31). Daher können auch (sonstige) Dritte („Nichtstörer“) Adressat von Maßnahmen sein (OVG Hamburg, Beschl. v. 20.8.2020, 5 Bs 114/20, juris Rn. 11 m.w.N.).
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Dem steht auch nicht der Vortrag der Klägerinnen entgegen, die notwendigen Schutzmaßnahmen hätten auch deshalb nicht gegen die Allgemeinheit gerichtet werden können, weil sich ein entgegenstehender Wille des Gesetzgebers aus der Tatsache ergebe, dass dieser Entschädigungsansprüche im 12. Abschnitt des IfSG ausschließlich zugunsten erkrankter Personen geregelt habe. Die Klägerinnen sind der Rechtsauffassung, dass der Gesetzgeber – hätte er zulassen wollen, dass die Maßnahmen auch gegen nicht infizierte Personen gerichtet werden können – erst recht für diese Personengruppe Entschädigungsansprüche geschaffen hätte. Dem kann nicht gefolgt werden. Vielmehr betrifft § 56 IfSG ausschließlich die Gruppe der Erwerbstätigen mit dem Ziel, eine Ungleichbehandlung Kranker mit abgesonderten oder von einem Verbot der Ausübung der Erwerbstätigkeit betroffenen Personen aufzulösen. Dabei handelt es sich um eine gesetzgeberische Billigkeitsentscheidung; eine Pflicht zur Entschädigung besteht verfassungsrechtlich gleichwohl nicht (Eckart/Kruse, in: Eckart/Winkelmüller, BeckOK Infektionsschutzrecht, 1. Ed., Juli 2020, § 56 IfSG, Rn. 1 f.; BGH, Urt. v. 30.11.1978, III ZR 43/77, juris Rn. 20 zu § 49 BSeuchG). Die weiteren Anspruchsgrundlagen in diesem Abschnitt, insbesondere § 60 IfSG und § 65 IfSG, betreffen ebenfalls nicht die gesamte Gruppe der Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen oder Ausscheider, sondern begünstigen lediglich Personen mit Gesundheitsschäden infolge von Präventionsmaßnahmen wie Schutzimpfungen oder Adressaten behördlicher Maßnahmen nach den §§ 16 und 17 IfSG. Daraus ergibt sich, dass bereits nicht alle infizierten Personen entschädigungsberechtigt sind, sodass sich bereits aus der gesetzgeberischen Ausgestaltung der Entschädigungsansprüche nicht zwingend entnehmen lässt, dass sich die notwendigen Schutzmaßnahmen – die sich ohne Zweifel gegen sämtliche infizierte Personen richten können – nicht auch gegen nicht infizierte Personen richten dürften.
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bb. Soweit die Klägerinnen an der hinreichenden Bestimmtheit des § 28 IfSG Zweifel geäußert haben, teilt das Gericht diese Rechtsauffassung weder im Hinblick auf die zum Zeitpunkt der Aufhebung der Allgemeinverfügung geltende Fassung vom 27. März 2020 (aaa.) noch für die zwischen dem 1. März 2020 und dem 27. März 2020 und damit zum Bekanntgabezeitpunkt geltende Fassung der Vorschrift (bbb.).
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aaa. Hinsichtlich der Bestimmtheit des § 28 IfSG in der Fassung vom 27. März 2020 schließt sich das Gericht zunächst den umfassenden Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts Münster im Beschluss vom 6. April 2020 (13 B 398/20.NE, juris Rn. 37) und des Verwaltungsgerichtshofs München im Beschluss vom 30. März 2020 (20 NE 20.632, juris Rn. 40 ff.) an und macht sich diese auch für die Entscheidung in der Hautsache zu Eigen. Nach dieser Rechtsprechung muss eine Norm in ihrem Wortlaut nicht so genau wie irgend möglich gefasst sein, sondern hat von Verfassungs wegen nur hinreichend bestimmt zu sein. Dazu genügt es, dass sich die gesetzlichen Vorgaben mithilfe allgemeiner Auslegungsregeln erschließen lassen, insbesondere aus dem Zweck, dem Sinnzusammenhang und der Entstehungsgeschichte der Norm. Die Anforderungen an das Maß der erforderlichen Bestimmtheit lassen sich daher nicht allgemein festlegen, sondern es kommt auf die Intensität der Auswirkung der Regelung für die Betroffenen und auf die Eigenart des zu regelnden Sachverhaltes an. Nach diesen Maßgaben enthält § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG keine unzulässige Globalermächtigung, sondern ist zu einem bestimmten Zweck als offene Generalklausel ausgestaltet worden, nämlich um den Infektionsschutzbehörden ein möglichst breites Spektrum an geeigneten Schutzmaßnahmen zu eröffnen. Insbesondere besteht kein Zweifel, dass jedenfalls nach der Gesetzesänderung vom 27. März 2020 über punktuell wirkende Maßnahmen hinaus allgemeine oder gleichsam flächendeckende Verbote erlassen werden können. Auch das Ausmaß der erteilten Rechtsmacht ist hinreichend bestimmt, denn es beschränkt sich auf „notwendige Schutzmaßnahmen“.
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Den Klägerinnen ist zudem nicht darin zuzustimmen, dass der Gesetzgeber selbst von einer Unbestimmtheit des § 28 IfSG ausgegangen wäre und diesen deshalb zuletzt am 19. Mai 2020 geändert hätte. Vielmehr wurde § 28 IfSG zuletzt am 27. März 2020 durch Artikel 1 des Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite geändert (BGBl. I S. 587).
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bbb. Auch im Hinblick auf die Vorgängerfassung des § 28 IfSG hat das Gericht keine Zweifel an der hinreichenden Bestimmtheit. Insbesondere veränderte die Anpassung des § 28 Abs. 1 IfSG am 27. März 2020 die Norm nicht substantiell (VGH Mannheim, Beschl. v. 28.4.2020, 1 S 1068/20, juris Rn. 29 ff.). Auch im Übrigen erkennt das Gericht unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen keine Anhaltspunkte für eine Unbestimmtheit des § 28 Abs. 1 IfSG.
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cc. Soweit die Klägerinnen eine Verletzung des verfassungsrechtlichen Zitiergebotes nach Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG geltend machen, ist dem ebenfalls nicht zu folgen. Insoweit meinen sie, dass die Einschränkung ihrer Berufsfreiheit nicht legitimiert gewesen sei, da § 28 IfSG eine Einschränkbarkeit des Art. 12 Abs. 1 GG nicht erlaube. Das Zitiergebot dient demgegenüber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Sicherung derjenigen Grundrechte, die aufgrund eines speziellen, vom Grundgesetz vorgesehenen Gesetzesvorbehalts über die im Grundrecht selbst angelegten Grenzen hinaus eingeschränkt werden könnten. Mit dem Gebot, solche Eingriffe im Gesetzeswortlaut auszuweisen, soll sichergestellt werden, dass nur wirklich gewollte Eingriffe erfolgen; auch soll sich der Gesetzgeber über die Auswirkungen seiner Regelungen für die betroffenen Grundrechte Rechenschaft geben. Von derartigen Grundrechtseinschränkungen werden in der Rechtsprechung andersartige grundrechtsrelevante Regelungen unterschieden, die der Gesetzgeber in Ausführung der ihm obliegenden, im Grundrecht vorgesehenen Regelungsaufträge, Inhaltsbestimmungen oder Schrankenbeziehungen vornimmt. Hier erscheint die Warn- und Besinnungsfunktion des Zitiergebots von geringerem Gewicht, weil dem Gesetzgeber in der Regel ohnehin bewusst ist, dass er sich im grundrechtsrelevanten Bereich bewegt. Durch eine Erstreckung des Gebots auf solche Regelungen würde es zu einer die Gesetzgebung unnötig behindernden leeren Förmlichkeit kommen. Zu diesen grundrechtsrelevanten Regelungen zählen – wie vorliegend – inhalts- und schrankenbestimmende Normen von berufsregelnden Gesetze im Sinne von Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG, wie dies im Fall des § 28 Abs. 1 IfSG sein kann (vgl. BVerfG, Urt. v. 18.12.1968, 1 BvR 638/64 u. a., juris, Rn. 99 ff., und Beschl. v. 4.5.1983, 1 BvL 46/80 u. a., juris Rn. 26 ff. u. v. 18.2.1970, 2 BvR 531/68, juris Rn. 45; OVG Münster, Beschl. v. 6.4.2020, 13 B 398/20.NE m. w. N.; VGH München, Beschl. v. 30.3.2020, 20 CS 20.611, juris Rn. 18; OVG Hamburg, Beschl. v. 30.4.2020, 5 Bs 64/20, n.v., S. 7 BA m.w.N. u. Beschl. v. 20.8.2020, 5 Bs 114/20, juris Rn. 9).
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dd. Die Regelung des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG verstößt auch nicht gegen den Parlamentsvorbehalt (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 30.4.2020, 5 Bs 64/20, n.v., S. 7 BA m.w.N.). Der im Rechtsstaatsprinzip und im Demokratiegebot wurzelnde Parlamentsvorbehalt gebietet es, dass in grundlegenden normativen Bereichen, insbesondere im Bereich der Grundrechtsausübung, soweit diese staatlicher Regelung zugänglich ist, die wesentlichen Entscheidungen vom Gesetzgeber getroffen werden. Wann es einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber bedarf, lässt sich nur im Blick auf den jeweiligen Sachbereich und die Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstandes beurteilen. Die verfassungsrechtlichen Wertungskriterien sind dabei den tragenden Prinzipien des Grundgesetzes, insbesondere den dort verbürgten Grundrechten, zu entnehmen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 1.4.2014, 2 BvF 1/12, juris Rn. 101 ff.). Der Vorbehalt des Gesetzes erschöpft sich nicht in der Forderung nach einer gesetzlichen Grundlage für Grundrechtseingriffe. Er verlangt vielmehr auch, dass alle wesentlichen Fragen vom Gesetzgeber selbst entschieden und nicht anderen Normgebern überlassen werden, soweit sie gesetzlicher Regelung zugänglich sind. Wie weit der Gesetzgeber die für den jeweils geschützten Lebensbereich wesentlichen Leitlinien selbst bestimmen muss, lässt sich dabei nur mit Blick auf den Sachbereich und die Eigenart des Regelungsgegenstandes beurteilen. Aus der Zusammenschau mit dem Bestimmtheitsgrundsatz ergibt sich, dass die gesetzliche Regelung desto detaillierter ausfallen muss, je intensiver die Auswirkungen auf die Grundrechtsausübung der Betroffenen sind. Die erforderlichen Vorgaben müssen sich dabei nicht ohne weiteres aus dem Wortlaut des Gesetzes ergeben; vielmehr genügt es, dass sie sich mit Hilfe allgemeiner Auslegungsgrundsätze erschließen lassen, insbesondere aus dem Zweck, dem Sinnzusammenhang und der Vorgeschichte der Regelung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 7.3.2017, 1 BvR 1314/12, juris Rn. 182).
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Nach diesen Maßstäben begegnet es auch unter Berücksichtigung der erheblichen Eingriffsintensität keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass die Regelung des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG als offene Generalklausel ausgestaltet ist (vgl. OVG Magdeburg, Beschl. v. 20.5.2020, 3 R 86/20, juris Rn. 42 ff., 45). Regelungsziel ist es, den Infektionsschutzbehörden ein möglichst breites Spektrum an geeigneten Schutzmaßnahmen zu eröffnen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.4.2020, OVG 11 S 23/20, juris Rn. 15; OVG Münster, Beschl. v. 6.4.2020, 13 B 398/20.NE, juris Rn. 44 f.; VGH München, Beschl. v. 30.3.2020, 20 NE 20.632, juris Rn. 46). Denn die Bandbreite an Schutzmaßnahmen, die bei Auftreten einer übertragbaren Krankheit in Frage kommen können, lässt sich im Vorfeld nicht (abschließend) bestimmen. Das behördliche Ermessen wird dadurch beschränkt, dass es sich um „notwendige“ Schutzmaßnahmen handeln muss, nämlich Maßnahmen, die zur Verhinderung der (Weiter-)Verbreitung der Krankheit geboten sind, so dass dem Ermessen durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz von vornherein Grenzen gesetzt sind (vgl. OVG Bremen, Beschl. v. 9.4.2020, 1 B 97/20, juris Rn. 30; BVerwG, Urt. v. 22.3.2012, 3 C 16.11, juris Rn. 24 m.w.N.). Die Regelungsmaterie Gefahrenabwehr, zu der auch das Infektionsschutzgesetz gehört, erfordert einen weiten Gestaltungsspielraum der Verwaltung und eine flexible Handhabung des ordnungsbehördlichen Instrumentariums. Gerade das Recht der Gefahrenabwehr bedarf daher sprachlich offen gefasster Ermächtigungen, deren Beschränkungen insbesondere aus den von Rechtsprechung und Schrifttum konkretisierten Leitlinien des Opportunitäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzips resultieren. Liegen - wie vorliegend - neue, in ihrer Entwicklung nur mit erheblichen Unsicherheiten prognostizierbare Bedrohungslagen vor, ist daher jedenfalls für eine Übergangszeit der Rückgriff auf die Generalklausel selbst dann hinzunehmen, wenn es zu wesentlichen Grundrechtseingriffen kommt (OVG Magdeburg, Beschl. v. 20.5.2020, 3 R 86/20, juris Rn. 42 ff., 45; OVG Bremen, Beschl. v. 9.4.2020, 1 B 97/20, juris Rn. 34 m.w.N.). Darüber hinaus hat der Gesetzgeber mit der nur beispielhaften Aufzählung in § 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG, wonach Veranstaltungen oder sonstige Ansammlungen von Menschen beschränkt oder verboten und Badeanstalten oder in § 33 genannte Gemeinschaftseinrichtungen oder Teile davon geschlossen werden können, deutlich gemacht, dass in Konkretisierung der mit der Generalklausel eröffneten Handlungsmöglichkeiten auch weitreichende Maßnahmen gegenüber der Allgemeinheit in Betracht kommen können (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 17.4.2020, OVG 11 S 23/20, juris Rn. 15). Zudem hat der Gesetzgeber auch mit der kürzlich vorgenommenen Anfügung des 2. Halbsatzes in § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG, wonach sogar allgemeine Ausgangs- und Betretungsverbote auf Grundlage der Vorschrift erlassen werden können, klargestellt, dass die Vorschrift auch vor ihrer Änderung als Ermächtigungsgrundlage für Maßnahmen gedient hat, die in besonders erheblichem Maß in Grundrechte eingreifen (vgl. OVG Bremen, Beschl. v. 9.4.2020, 1 B 97/20, juris Rn. 34 m.w.N.).
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b. Formelle Mängel der Allgemeinverfügung – etwa Bekanntmachungsmängel – sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
- 47
c. Ziff. 5 r) der Allgemeinverfügung der Beklagten vom 15. März 2020 war auch materiell rechtmäßig. Die Tatbestandsvoraussetzungen beider Fassungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG waren erfüllt (aa.) und die Beklagte hat sich auf Rechtsfolgenseite sowohl hinsichtlich des „Ob“ (bb.) als auch hinsichtlich des „Wie“ (cc.) im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigung bewegt.
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aa. Für die Anordnung spezifischer infektionsschutzrechtlicher Maßnahmen ist es nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG auf Tatbestandsebene erforderlich, aber auch ausreichend, dass Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider einer übertragbaren Krankheit festgestellt werden. Soweit Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Erkrankungen erforderlich sind, können diese grundsätzlich auch gegenüber Dritten ergriffen werden (vgl. § 28 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 IfSG, OVG Hamburg, Beschl. v. 30.4.2020, 5 Bs 64/20, n.v., S. 8 BA m.w.N.; OVG Münster, Beschl. v. 15.4.2020, 13 B 440/20.NE, juris Rn. 82).
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Diese Voraussetzungen waren vorliegend erfüllt. Zum einen waren die allgemeinen Voraussetzungen des § 35 Satz 2 HmbVwVfG für den Erlass einer Allgemeinverfügung gegeben, insbesondere handelte es sich bei der Verfügung der Beklagten aufgrund des räumlich und zeitlich begrenzten Geltungsumfang um die Regelung eines Einzelfalls für einen bestimmbaren Personenkreis und damit um eine konkret-generelle Regelung.
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Im maßgeblichen Beurteilungszeitraum war zum anderen eine nach dem Infektionsschutzgesetz zu bekämpfende übertragbare Krankheit festzustellen. Dass es sich bei der Coronavirus-Krankheit COVID-19 um eine übertragbare Krankheit im Sinne des § 2 Nr. 3 IfSG handelte und derzeit noch handelt, unterliegt keinem Zweifel. Die Erkrankung manifestiert sich vorwiegend als Infektion der Atemwege mit den Leitsymptomen Fieber, Husten und Halsschmerzen. Bei der deutlich überwiegenden Zahl der Patienten ist der Verlauf mild; etwa 16 % der Patienten müssen hospitalisiert werden. Die Krankheitsverläufe sind unspezifisch, vielfältig und variieren in ihrer Symptomatik und Schwere stark, sie reichen von symptomlosen Verläufen bis zu schweren Pneumonien mit Lungenversagen und Tod. Daher ließen sich im maßgeblichen Beurteilungszeitraum und lassen sich auch derzeit (noch) keine allgemeingültigen Aussagen zum „typischen“ Krankheitsverlauf machen. Zu den im deutschen Meldesystem am häufigsten erfassten Symptomen zählen Husten, Fieber, Schnupfen, sowie Geruchs- und Geschmacksverlust. Insgesamt sind 4,0% aller Personen, für die bestätigte COVID-19 Infektionen in Deutschland übermittelt wurden, im Zusammenhang mit einer COVID-19 Erkrankung verstorben. Obwohl schwere Verläufe auch bei Personen ohne Vorerkrankung auftreten und auch bei jüngeren Patienten beobachtet wurden, haben ältere Personen (mit stetig steigendem Risiko für einen schweren Verlauf ab etwa 50 bis 60 Jahren), Raucher, stark adipöse Menschen, Personen mit bestimmten Vorerkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems (z.B. koronare Herzerkrankung und Bluthochdruck) und der Lunge (z.B. COPD) sowie Patienten mit chronischen Lebererkrankungen, mit Diabetes mellitus, mit einer Krebserkrankung oder mit geschwächtem Immunsystem ein erhöhtes Risiko für schwere Verläufe. Eine Impfung oder eine spezifische Medikation waren im Geltungszeitraum der Allgemeinverfügung nicht verfügbar. Die Inkubationszeit beträgt im Mittel fünf bis sechs Tage bei einer Spannweite von einem bis zu 14 Tagen. Der Anteil der Infizierten, der auch tatsächlich erkrankt (Manifestationsindex), beträgt bis zu 86%. Die Erkrankung ist hoch infektiös, nach Schätzungen von etwa zwei Tagen vor Symptombeginn bis zum achten Tag nach Symptombeginn. Die Übertragung erfolgt hauptsächlich im Wege der Tröpfcheninfektion. Untersuchungen weisen darauf hin, dass auch eine Übertragung durch Aerosole möglich ist. Auch eine Übertragung durch kontaminierte Oberflächen kann nicht ausgeschlossen werden. Es ist zwar offen, wie viele Menschen sich insgesamt in Deutschland mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infizieren werden. Schätzungen gehen aber von bis zu 70 % der Bevölkerung aus, es ist lediglich unklar, über welchen Zeitraum dies geschehen wird. Grundlage dieser Schätzungen ist die so genannte Basisreproduktionszahl von COVID-19. Sie beträgt ohne die Ergreifung von Maßnahmen 2,4 bis 3,3. Dieser Wert kann so interpretiert werden, dass bei einer Basisreproduktionszahl von etwa 3 ungefähr zwei Drittel aller Übertragungen verhindert werden müssen, um die Epidemie unter Kontrolle zu bringen (vgl. RKI, SARS-CoV-2 Steckbrief zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19), veröffentlicht unter: www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_ Coronavirus/Steckbrief.html?nn=13490888, abgerufen am 8.9.2020; Antworten auf häufig gestellte Fragen zum Coronavirus SARS-CoV-2, veröffentlicht unter: www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/gesamt.html, abgerufen am 8.9.2020; vgl. auch OVG Lüneburg, Beschl. v. 29.6.2020, 13 MN 244/20, juris Rn. 18). Die Krankheit war nach der Einschätzung des Robert-Koch-Instituts bereits während des maßgeblichen Beurteilungszeitraumes im ganzen Bundesgebiet (einschließlich Hamburg) – nachdem die Weltgesundheitsorganisation bereits seit dem 11. März 2020 von einer weltweiten Pandemie ausgeht – verbreitet (vgl. für die Einschätzungen und Fallzahlen im maßgeblichen Beurteilungszeitraum die täglichen Situationsberichte: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_ Coronavirus/Situationsberichte/Gesamt.html?nn=13490888; vgl. auch zuletzt Risikobewertung zum 2.9.2020: https://www.rki.de/DE/ Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/ Risikobewertung.htm, jeweils abgerufen am 8.9.2020).
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Das Gericht stützt sich hierbei vorrangig auf die vom Robert-Koch-Institut veröffentlichten Fallzahlen und weiteren Informationen, denn dieses ist gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1 IfSG die nationale Behörde zur Vorbeugung übertragbarer Krankheiten sowie zur frühzeitigen Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung von Infektionen und erstellt im Benehmen mit den jeweils zuständigen Bundesbehörden für Fachkreise als Maßnahme des vorbeugenden Gesundheitsschutzes unter anderem Richtlinien, Empfehlungen, Merkblätter und sonstige Informationen zur Vorbeugung, Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung übertragbarer Krankheiten. Es ist somit bereits nach dem Willen des Gesetzgebers die vorrangig heranzuziehende Informationsquelle.
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Auch wenn nach dem Erkenntnisstand im maßgeblichen Beurteilungszeitraum – und auch nach den derzeit zur Verfügung stehenden Erkenntnissen – nur ein Teil der Erkrankungen schwer verläuft, hätte eine ungebremste Erkrankungswelle aufgrund der fehlenden Immunität, nicht verfügbaren Impfungen und fehlenden spezifischen Therapien zu einer erheblichen Krankheitslast in Deutschland führen können. Bei vielen schweren Verläufen musste mit einer im Verhältnis zu anderen schweren akuten respiratorischen Infektionen längeren intensivmedizinischen Behandlung mit Beatmung/zusätzlichem Sauerstoffbedarf gerechnet werden. Selbst gut ausgestattete Gesundheitsversorgungssysteme wie das in Deutschland können in solch einer Situation schnell an Kapazitätsgrenzen gelangen, wenn sich die Zahl der Erkrankten durch längere Liegedauern mit Intensivtherapie aufaddiert (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 29.6.2020, 13 MN 244/20, juris Rn. 19).
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In Hamburg waren am Tag der Bekanntgabe der Allgemeinverfügung, dem 15. März 2020, 162 Fälle und bundesweit 4.838 Fälle gemeldet (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/ N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/2020-03-15-de.pdf?__blob=publicationFile, abgerufen am 8.9.2020). Am 2. April 2020, dem letzten Geltungstag der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung, waren in Hamburg 2.406 Fälle gemeldet, bundesweit wurden 73.522 Fälle an das Robert-Koch-Institut übermittelt (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/ N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/2020-04-02-de.pdf?__blob=publicationFile, abgerufen am 8.9.20). Damit lagen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG vor.
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bb. Mit dem Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG war die Beklagte zum Handeln verpflichtet, denn hinsichtlich des „Ob“ des Tätigwerdens handelt es sich um eine gebundene Entscheidung (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.3.2012, BVerwG 3 C 16.11, juris Rn. 23; OVG Lüneburg, Beschl. v. 29.6.2020, 13 MN 244/20, juris Rn. 20).
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cc. Hinsichtlich der Art und des Umfangs der zu treffenden Schutzmaßnahmen räumt § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG der Behörde ein Auswahlermessen ein (BVerwG, Urt. v. 22.3.2012, 3 C 16/11, juris Rn. 20; BVerwG, Beschl. v. 12.5.2020,1 BvR 1027/20, juris Rn 6). § 28 Abs. 1 IfSG liegt die Erwägung zugrunde, dass sich die Bandbreite der Schutzmaßnahmen, die bei Auftreten einer übertragbaren Krankheit in Frage kommen können, nicht im Vorfeld bestimmen lässt. Der Begriff der „Schutzmaßnahmen“ ist folglich umfassend und eröffnet der Infektionsschutzbehörde ein möglichst breites Spektrum geeigneter Maßnahmen (vgl. OVG Schleswig, Beschl. v. 2.4.2020, 3 MB 8/20, juris Rn. 35). „Schutzmaßnahmen“ im Sinne des § 28 Abs. 1 IfSG können daher auch Untersagungen oder Beschränkungen von unternehmerischen Tätigkeiten in den Bereichen Industrie, Gewerbe, Handel und Dienstleistungen sein (vgl. u.a. OVG Schleswig, Beschl. v. 14.5.2020, 13 MN 165/20, juris Rn. 38 u. Beschl. v. 14.5.2020, 13 MN 156/20, juris Rn. 28). Dem steht nicht entgegen, dass § 31 IfSG eine Regelung für die Untersagung beruflicher Tätigkeiten gegenüber Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen, Ausscheidern und sonstigen Personen trifft. Denn diese Regelung ist gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG („insbesondere die in den §§ 29 bis 31 genannten“) nicht abschließend (OVG Lüneburg, Beschl. v. 29.6.2020, 13 MN 244/20, juris Rn. 26).
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Der danach weite Kreis möglicher Schutzmaßnahmen wird durch § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG dahin begrenzt, dass die Schutzmaßnahme im konkreten Einzelfall „notwendig“ sein muss. Der Staat darf nicht alle Maßnahmen und auch nicht solche Maßnahmen anordnen, die von Einzelnen in Wahrnehmung ihrer Verantwortung gegenüber sich selbst und Dritten bloß als nützlich angesehen werden. Vielmehr dürfen staatliche Behörden nur solche Maßnahmen verbindlich anordnen, die zur Erreichung infektionsschutzrechtlich legitimer Ziele objektiv notwendig sind. Diese Notwendigkeit ist während der Dauer einer angeordneten Maßnahme von der zuständigen Behörde fortlaufend zu überprüfen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.4.2020,1 BvQ 31/20, juris Rn. 16).
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Vor diesem Hintergrund sind Ermessensfehler der Beklagten hinsichtlich der Ausübung des Auswahlermessens nicht ersichtlich. Sie hat ausweislich der Begründung der angegriffenen Allgemeinverfügung die für und wider die Betriebsschließungen sprechenden Gründe einschließlich der Interessen der betroffenen Adressaten umfassend berücksichtigt und Handlungsalternativen erwogen. Ihre Erwägungen sind vor dem Hintergrund des eingeschränkten Prüfungsumfangs der Gerichte gemäß § 114 Satz 1 VwGO rechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere genügte das Verbot dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
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aaa. Die Verfügung diente dem legitimen Ziel, soziale Kontakt zu reduzieren, um die Ausbreitung der COVID-19-Erkrankung einzudämmen und so die Gesundheit und das Leben insbesondere von Angehörigen von Risikogruppen sowie eine Überforderung des Gesundheitssystems durch zu viele gleichzeitige Infektionen zu verhindern (vgl. täglicher Lagebericht des RKI v. 2.4.2020, https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/ Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/2020-04-02-de.pdf?__blob=publicationFile; vgl. auch Risikobewertung zu COVID-19 des Robert-Koch-Instituts vom 2.9.2020, https://www.rki.de/DE/Content/ InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikobewertung.html;, jeweils abgerufen am 8.9.2020). Die Betriebsschließungen von Fitness- und Sportstudios dienten außerdem dazu, die von derartigen Einrichtungen ausgehende erhöhte Infektionsgefahr auszuschließen. Die erhöhte Gefährdung beruht generell auf der mit dem Betrieb eines Fitness- und Sportstudios verbundenen aktiven körperlichen Betätigung vieler Personen in vergleichsweise engen und nicht immer gut belüfteten Räumlichkeiten. Die damit einhergehende erhöhte Atemaktivität der Besucher führt regelmäßig zu einem verstärkten Ausstoß von Aerosolen, die aufgrund der Vielzahl der anwesenden Personen im Falle der Anwesenheit einer oder mehrerer infizierter Personen zu einer raschen Verbreitung von Viren führen kann. Die Zielsetzung der Beklagten, dieses besondere Ansteckungsrisiko zu vermeiden, ist zur Überzeugung des Gerichts nicht zu beanstanden.
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Dies gilt auch im Vergleich zur herkömmlichen saisonalen Grippe (Influenza), die je nach Saison ebenfalls schwere Verläufe mit hohen Kranken- und Todesfallzahlen aufweisen kann, ohne dass die Beklagte darauf bisher in entsprechend drastischer Weise wie gegenüber der Corona-Pandemie reagiert hätte. Dafür bestehen jedoch – entgegen der Rechtsauffassung der Klägerinnen – hinreichende Gründe: Zum einen gibt es im Gegensatz zur Influenza keinen Impfstoff gegen die Erkrankung COVID-19. Zum anderen bergen Erkrankungen an COVID-19 gegenüber der Influenza spezifische Risiken, gegen die es bisher keine ursächlichen, sondern lediglich symptomatische Behandlungsmöglichkeiten gibt. So ist nach bisherigem Erkenntnisstand der Anteil der beatmungspflichtigen Patienten bei COVID-19-Patienten deutlich höher als bei Influenza-Patienten, wobei auch jüngere Patienten ohne spezifische Risikovorerkrankungen betroffen sein können (vgl. Epidemiologisches Bulletin 14/2020, „Schwereeinschätzung von COVID- 19 anhand von deutschen Vergleichsdaten zu Pneumonien“: „Die bisherigen Ergebnisse weisen auf einen deutlich höheren Anteil beatmungspflichtiger COVID-19-Patienten hin, die im Vergleich zu saisonalen Grippewellen eher jünger sein können, sehr viel länger beatmet werden müssen und nicht unbedingt an Grunderkrankungen leiden.“, https://www.rki.de/DE/ Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/Ausgaben/14_20.pdf?__blob=publicationFile, S. 8, abgerufen am 8.9.2020). Hinzu kommt, dass COVID-19-Erkrankungen im Vergleich zur Influenza neben Lungenentzündungen offenbar auch zu Dauerschäden anderer Art in weiteren Organen wie Herz und Nieren führen können (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/ Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html, abgerufen am 8.9.2020; vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 20.8.2020, 5 Bs 114/20, juris Rn. 14 ff.).
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Gleiches gilt für die von den Klägerinnen als Vergleich herangezogenen Krankenhauskeime. Es fehlt bereits an der medizinischen Vergleichbarkeit der Erkrankungen hinsichtlich ihres Aufkommens, ihrer Verbreitung und ihrer Bekämpfung. Zudem liegt die besondere Gefahr der Verbreitung des neuartigen Coronavirus, anders als bei Krankenhauskeimen, in seiner dynamischen exponentiellen Ausbreitung, mit der möglichen unmittelbaren Folge einer völligen Überlastung des bestehenden Gesundheitssystems und der daraus folgenden Konsequenz einer erhöhten Mortalität (vgl. OVG Weimar, Beschl. v. 9.4.2020, 3 EN 238/20, juris Rn. 54).
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Vor diesem Hintergrund war es zur Überzeugung des Gerichts legitim, bereits der Verbreitung des Virus in der Bevölkerung mit besonderen Maßnahmen entgegenwirken zu wollen (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 20.8.2020, 5 Bs 114/20, juris Rn. 14 ff.).
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bbb. Die ergriffene Maßnahme des vorübergehenden Verbots der Öffnung von Fitness- und Sportstudios war auch geeignet, dieses Ziel zu fördern. Die Schließung von Fitness- und Sportstudios hatte zur Folge, dass Kontakte vermieden und das Ansteckungsrisiko insoweit ausgeschlossen wurde. Ausweislich der Verfügungsbegründung (Amtl. Anz. Nr. 25, S. 333, 335 f.) hat die Beklagte berücksichtigt, dass die Erkrankung COVID-19 in den meisten Fällen als grippaler Infekt verläuft und von einer echten Grippe (Influenza) klinisch nicht zu unterscheiden ist und es aus diesem Grund für erforderlich erachtet, präventive Maßnahmen zu ergreifen, die sich darauf konzentrierten, die weitere Verbreitung des Virus in der Bevölkerung weitestgehend einzudämmen und die Verbreitungsgeschwindigkeit zu vermindern. Weiter hat die Beklagte in die Erwägungen eingestellt, dass eine hohe Zahl von Erkrankten das Gesundheitssystem je nach zeitlichem Verlauf vor eine unlösbare Aufgabe gestellt hätte. Diese Erwägungen sind plausibel und hielten sich zur Überzeugung des Gerichts im Rahmen des der Beklagten eingeräumten Ermessens. Denn nach den im maßgeblichen Beurteilungszeitraum verfügbaren – und diesbezüglich im Wesentlichen dem aktuellen Stand entsprechenden – wissenschaftlichen Erkenntnissen erfolgt die Übertragung des Virus, wie bereits ausgeführt, überwiegend durch Tröpfchen-Infektion zwischen Menschen. Dazu kommt es insbesondere bei körperlicher Nähe von Menschen im privaten und beruflichen Umfeld unabhängig von direktem Körperkontakt. Beim Betrieb von Fitness- und Sportstudios kann es selbst in dem Fall, dass die Einrichtungen bzw. Kurse von Kunden ohne Begleitung aufgesucht werden, regelmäßig zu einer Vielzahl von solchen Kontakten kommen, sei es mit den Beschäftigten oder anderen Kunden. Dabei entstehen infektionsbegünstigende Kontakte nicht nur bei (sportlichen) Gruppenaktivitäten, sondern z. B. auch während des individuellen Trainings, bei der Geräteeinweisung oder korrigierenden Eingriffen durch das Fachpersonal (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 24.4.2020, 13 B 520/20.NE, juris Rn. 48). Vor allem aber wird durch Ansammlungen körperlich trainierender Personen in geschlossenen Räumen aufgrund des regelmäßig deutlich gesteigerten Atemverhaltens unter körperlicher Belastung auf vergleichsweise engem Raum bzw. bei begrenztem und nur unzureichend durchmischtem Luftvolumen die Gefahr der Infektion weiterer Personen deutlich erhöht. Gerade das stoßartige Ausatmen unter körperlicher Belastung kann bei (noch) symptomfreien, aber infizierten Personen zu einem massiven Ausstoß infektiöser Viren über eine große Distanz führen und damit die im Vordergrund stehende Tröpfcheninfektion - auch in Gestalt kleinster und über einen längeren Zeitraum in der Luft schwebender Aerosole - befördern (OVG Magdeburg, Beschl. v. 20.5.2020, 3 R 86/20, juris Rn. 55 m.w.N.). Durch die Schließung von Fitness- und Sportstudios wurden diese Infektionsquellen ausgeschlossen. Die betreffenden (vorübergehenden) Maßnahmen waren daher nicht unwesentlich für die von der Beklagten bezweckte Verhinderung weiterer Infektionsketten.
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ccc. Die getroffene Regelung war auch im maßgeblichen Beurteilungszeitraum erforderlich. Erforderlich ist ein Eingriff in grundrechtliche Schutzgüter, wenn kein ein anderes, für die Zielerreichung gleich wirksames, aber das Schutzgut nicht oder weniger stark einschränkendes Mittel hätte eingesetzt werden können (vgl. OVG Bremen, Beschl. v. 12.5.2020, 1 B 144/20, juris Rn. 18). Die diesbezügliche Einschätzung der Erforderlichkeit solcher Maßnahmen durch die Beklagte ist nicht zu beanstanden. Aufgrund der fehlenden spezifischen Medikamente und eines Impfstoffes bestand die Gefahr, dass uneingeschränkte Kontaktmöglichkeiten zu einer Steigerung des Ansteckungsgeschehens führten und das Gesundheitswesen und der öffentliche Gesundheitsdienst überlastet worden wären. Die Vermeidung körperlicher Nähe zwischen Menschen und die Einhaltung bestimmter Hygieneregeln war nach dem damaligen Wissenstand die gebotene Methode, die Verbreitung des Virus zu verlangsamen oder gar zu hemmen. Dazu gehörte die Begrenzung der Bewegungsfreiheit und der Kontaktmöglichkeiten der Menschen untereinander. Andere Methoden standen nicht zur Verfügung. Insbesondere war es nicht ermessensfehlerhaft, dass die Beklagte im maßgeblichen Zeitraum die Öffnung von Fitness- und Sportstudios unter strengen Abstands- und Hygienemaßnahmen als kein milderes und ebenso geeignetes Mittel angesehen hat (so auch zu den jeweils entsprechenden landesrechtlichen Rechtsverordnungen OVG Saarlouis, Beschl. v. 28.4.2020, 2 B 151/20, juris Rn. 19; OVG Lüneburg, Beschl. v. 14.5.2020, 13 MN 156/20, juris Rn. 31). Zwar hätte hierdurch wohl eine unkontrollierte Interaktion unter Kunden bzw. Kursteilnehmern und dem Fachpersonal weitgehend unterbunden und damit die Ansteckungsgefahr innerhalb der Fitness- und Sportstudios reduziert werden können. Dies hätte jedoch unberücksichtigt gelassen, dass mit der allgemeinen Öffnung der genannten Einrichtungen gerade in Anbetracht des mit Ansammlungen körperlich trainierender Personen in geschlossenen Räumen einhergehenden besonderen Infektionsrisikos eine nicht unwesentliche Erhöhung der Gefahr von Infektionsketten einherging, die es nach der Beurteilung der Beklagten zu verhindern galt. Das Vorbringen der Klägerinnen, wonach Neuinfektionen und daraus resultierende Infektionsketten durch ein umfassendes, im Ergebnis weniger einschneidendes Hygiene- und Sicherheitskonzept „hinreichend“ verhindert werden könnten, verkennt zudem, dass die Erforderlichkeit einer Maßnahme nur durch eine gleich geeignete und nicht nur „hinreichend“ wirksame Alternativmaßnahme in Frage gestellt werden kann. Davon kann hier schon deshalb nicht ausgegangen werden, weil das Ansteckungsrisiko im Falle der Untersagung des Betriebs bei Null lag, während bei Öffnung und dem zwangsläufigen Aufeinandertreffen von Menschen beim Aufsuchen, Aufenthalt und Verlassen der Studios zumindest ein Restrisiko verblieben wäre (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 22.5.2020, OVG 11 S 41/20, juris Rn. 32 m.w.N.).
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Insofern ist weiter zu berücksichtigen, dass die Regelung zum einen der Sicherung grundrechtlich geschützter Belange wie dem Leben und der Gesundheit der durch eine mögliche Virusinfektion unmittelbar Gefährdeten und zum anderen dem Erhalt der Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens und insbesondere der Krankenhäuser zur Behandlung schwer- und schwerstkranker Menschen und damit einem überragenden Gemeinwohlinteresse diente.Es ist vor diesem Hintergrund nicht zu beanstanden, wenn die Beklagte im Rahmen ihres Ermessens diesen Belangen und ihrem Schutz den Vorrang einräumte, insbesondere auch deshalb, weil gewichtige Zweifel daran bestanden, dass die milderen Mittel tatsächlich wirksam der beim Sporttreiben in einem Raum erheblichen Infektionsgefahr begegnen konnten. Bei der Beurteilung der Effektivität derartiger Mittel ist auch zu berücksichtigen, dass deren Umsetzung und Kontrolle einen wesentlich größeren Vollzugsaufwand nach sich gezogen hätte, der von den entsprechenden Behörden nicht leistbar gewesen wäre. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass gegebenenfalls neben den Klägerinnen auch andere Betreiber von Fitness- und Sportstudios hätten verlangen können, unter entsprechenden Auflagen ihre Einrichtungen für den Publikumsverkehr öffnen zu dürfen. Dies hätte wiederum zur Folge gehabt, dass das Ziel, vorübergehende Kontaktbeschränkungen zur Eindämmung der Weiterverbreitung des Infektionsgeschehens durch das Virus, nicht im erforderlichen Maße hätte erreicht werden können (vgl. OVG Bremen, Beschl. v. 9.4.2020, 1 B 97/20, juris Rn. 49).
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ddd. Die Betriebsschließungen führten auch nicht zu einer unangemessenen Belastung der Klägerinnen. Der beabsichtigte Regelungszweck stand nicht außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs, denn dem privaten, vorwiegend wirtschaftlichen Interesse der Betroffenen einschließlich der Klägerinnen standen überwiegende öffentliche Interessen gegenüber. Mit den Betriebsschließungen hat die Beklagte in die Grundrechte der Klägerinnen aus Art. 19 Abs. 3 i. V. m. Art. 12 Abs. 1 GG (Berufungsausübungsfreiheit), Art. 14 GG (in Gestalt des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbetrieb) oder Art. 2 Abs. 1 GG (allgemeine Handlungsfreiheit) eingegriffen. Diese Rechte sind jedoch nicht schrankenlos. Insbesondere erfolgte der Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG vorliegend auf der Ebene der Berufsausübung, sodass zu seiner Rechtfertigung lediglich vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls vorliegen müssen (st. Rspr, vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 20.12.2017, 1 BvR 2233/17, juris Rn. 11 m.w.N.). Dies war vorliegend angesichts der durch die Pandemie bedingten Gefahren für Leib und Leben, vor denen zu schützen der Staat nach dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 GG auch verpflichtet ist (vgl. BVerfG, Urt. v. 30.7.2008, 1 BvR 3262/07 u.a., juris Rn. 119 m.w.N.), der Fall.
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Dabei verkennt das Gericht nicht, dass die Intensität des Eingriffs insbesondere in die Berufsfreiheit für jeden einzelnen betroffenen Betrieb, der sich auf Art. 12 Abs. 1 GG berufen kann, erheblich war. Die Klägerinnen haben allerdings vorgetragen, im Wesentlichen monatliche Einnahmen durch Mitgliedschaftsverträge mit ihren Kundinnen und Kunden zu beziehen. Diese seien berechtigt gewesen, die Entgeltzahlungen für den Zeitraum der Schließung auszusetzen. In welchem Umfang ihre Kundinnen und Kunden von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, haben die Klägerinnen – wie bereits ausgeführt – nicht dargetan, so dass nicht bekannt ist, ob und ggf. in welchem Maße Umsätze weggefallen sind. Anzunehmen ist wohl aber, dass die Klägerinnen während der Dauer der Betriebsschließungen keine neuen Mitgliedsverträge abgeschlossen haben. Den Betroffenen dieses Eingriffs, wie vorliegend den Klägerinnen, war es dabei praktisch nicht möglich, den Wirkungen dieses Eingriffs auszuweichen.
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Dies bedenkend ist gleichwohl die durch Ziff. 5 r) der Allgemeinverfügung erfolgte Einschränkung der grundrechtlich geschützten Rechtspositionen der Klägerinnen nicht zu beanstanden. Der Gesundheitsschutz, insbesondere die Verlangsamung der Ausbreitung der hoch infektiösen Viruserkrankung zwecks Gewährleistung ausreichender Kapazitäten des Gesundheitssystems zur Behandlung der schwer Erkrankten, rechtfertigte in der epidemischen Lage auch einschneidende Maßnahmen. Die Verbreitung des Coronavirus war nach der jedenfalls nicht offensichtlich fehlerhaften Einschätzung der Beklagten ohne drastische staatliche Maßnahmen nicht aufzuhalten und war und ist geeignet, möglicherweise binnen weniger Monate zum Kollaps des staatlichen Gesundheitssystems zu führen (OVG Magdeburg, Beschl. v. 20.5.2020, 3 R 86/20, juris Rn. 64). Bei der streitgegenständlichen Schließung von Fitness- und Sportstudios handelte es sich demgegenüber um eine auf einen überschaubaren Zeitraum befristete Regelung. Die Beklagte traf und trifft eine fortwährende Beobachtungs- und Überprüfungspflicht, die sich mit zunehmender Dauer der ergriffenen Maßnahmen entsprechend verdichtet hat. Dieser Pflicht ist die Beklagte im maßgeblichen Beurteilungszeitraum hinreichend nachgekommen, indem sie fortlaufend die Pandemie-Situation neu beurteilt hat. Abgeschwächt wurde die Eingriffsintensität der Maßnahme zudem durch die Bereitstellung von weiteren finanziellen und steuerlichen Liquiditätshilfen auf Bundes- und Landesebene sowie das Kurzarbeitergeld des Bundes. Darüber hinaus ist mit Art. 5 des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vom 27. März 2020 (BGBl. I 2020, S. 569) ein zeitlich befristeter Kündigungsschutz bei Mietrückständen erlassen worden, sofern die Nichtleistung auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 9.4.2020, 2 KM 267/20 OVG, juris Rn. 34).
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Soweit die Klägerinnen der Auffassung sind, die Unangemessenheit der Betriebsschließungen zeige sich auch daran, dass seit der Wiedereröffnung der Fitness- und Sportstudios kein signifikanter Anstieg der Infektionszahlen mehr zu verzeichnen gewesen sei, kann dem nicht gefolgt werden. Sie tragen vor, es habe im Bundesland Nordrhein-Westfalen, welches als erstes Bundesland die Wiedereröffnung von Fitnessstudios unter Einhaltung von Hygieneauflagen gestattet habe, innerhalb eines Monats nach der Wiedereröffnung einen Anstieg der Infektionszahlen um lediglich etwa 10 % gegeben. Daraus ließe sich erkennen, dass Fitnessstudios im Allgemeinen nicht als „Seuchenherd“ bzw. „Superspreader“ angesehen werden können. Darauf kommt es vorliegend jedoch nicht an, denn entscheidend ist – wie bereits ausgeführt – der Erkenntnisstand in dem maßgeblichen Beurteilungszeitraum zwischen Bekanntgabe und Aufhebung der Allgemeinverfügung. In diesem Zeitraum war die Maßnahme angemessen.
III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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