Urteil vom Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt (7. Kammer) - 7 Sa 457/13

Tenor

1. Das Versäumnisurteil vom 16.07.2015 - 7 Sa 457/13 - wird aufrechterhalten.

2. Der Beklagte trägt auch die weiteren Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch über einen Nachteilsausgleichsanspruch des Klägers.

2

Beklagter ist der Insolvenzverwalter über das Vermögen der S. GmbH (im Folgenden: Insolvenzschuldnerin). Die Insolvenzschuldnerin betrieb mit insgesamt 82 Mitarbeitern (Massenentlassungsanzeige vom 17.04.2012, Bl. 97 f. d. A.) an den Standorten M., H. und W. Spielbanken mit jeweils örtlichen Betriebsräten. Ein Gesamtbetriebsrat bestand ebenfalls.

3

Der am 04.07.1969 geborene Kläger war bei der Insolvenzschuldnerin seit dem 28.09.1995 aufgrund des schriftlichen Arbeitsvertrages vom selben Tage (Bl. 9 bis 12 d. A.) als Croupier zu einem Bruttomonatsentgelt von zuletzt 2.648,- € brutto in der Spielbank H. beschäftigt. Dort war er auch Betriebsratsvorsitzender.

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Die Insolvenzschuldnerin wurde zum 01.01.2010 privatisiert und die Geschäftsanteile an die D. Ltd. übertragen, die wiederum Herrn S. zum Geschäftsführer bestellte. Nachdem die Insolvenzschuldnerin die gemäß § 3 Abs. 4 Ziffer 6 SpielbG LSA vorgeschriebene Spielbankreserve nicht mehr zur Verfügung hatte, stellte sie den Spielbetrieb in M. ab dem 13.05.2011 und in H. und W. ab dem 18.05.2011 ein. Die Einstellung des Spielbetriebes wurde mit Ordnungsverfügungen vom 13.05.2011 und 17.05.2011 aufsichtlich durch das Ministerium für Inneres und Sport begleitet, wonach der Spielbetrieb in allen drei Betrieben eingestellt wurde. Seit diesem Zeitpunkt waren die Arbeitnehmer der drei Betriebe freigestellt.

5

Im Hinblick auf die Weiterführung des Spielbankenbetriebes fanden sodann Gespräche mit dem Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin und Vertretern des Innen- und Finanzressorts statt, wobei die Zustimmung der Aufsichtsbehörde zur Weiterführung des Spielbankbetriebes u. a. an die Erbringung von Sacheinlagen in Höhe von 2 Mio. Euro sowie die Zurverfügungstellung eines bestimmten Kassenbestandes geknüpft wurde (so VG Magdeburg, 10.05.2012, 3 A 57/12, Rn. 4 ff, Juris).

6

Am 05.07.2011 fand eine Gesamtbetriebsversammlung statt, auf der der neue Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin, Herr G., sich der Belegschaft vorstellte und eine zeitnahe Wiederaufnahme des Spielbetriebes zum 01.08.2011 ankündigte (Gutachten und Bericht des Beklagten vom 31.01.2012, Seite 5, Bl. 577 d. A.).

7

Am 15.07.2011 stellte der Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin einen Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin. Mit Beschluss des Amtsgerichts Magdeburg vom 21.07.2011 (340 IN 695/11 (351)) wurde der Beklagte zum Gutachter bestellt. Auf Empfehlung des Beklagten ordnete das Amtsgericht Magdeburg mit weiterem Beschluss vom 27.07.2011 die vorläufige Verwaltung des Schuldnervermögens an, bestimmte den Beklagten zum vorläufigen Verwalter und legte fest, dass Verfügungen nur mit Zustimmung des vorläufigen Verwalters wirksam sind. (Gutachten und Bericht des Beklagten vom 31.01.2012, Seite 3, Bl. 576 d. A.).

8

Mit E-Mail vom 06.10.2011 (Anlage B8, Bl. 102 d. A.) wandte sich der Beklagte an den bei der Insolvenzschuldnerin gebildeten Gesamtbetriebsrat und übersandte gleichzeitig den Entwurf eines Interessenausgleichs (Anlage B8, Bl. 103 bis 111 d. A.) mit der Bitte um Prüfung, ob in Verhandlungen über den Abschluss eines Interessenausgleichs eingetreten wird. Der Gesamtbetriebsrat erklärte sich mit Schreiben vom 11.10.2011 (Anlage B9, Bl. 112 d. A.) zu Verhandlungen bereit und informierte den Beklagten mit dem weiteren Schreiben vom 12.10.2011 (Anlage B10, Bl. 113 d. A.), dass er beschlossen habe (Beschluss vom 11.10.2011, Anlage B11, Bl. 114 d. A.), sich von Rechtsanwalt D. vertreten zu lassen, an den sich der Beklagte zwecks Terminabsprache wenden solle. Mit Schreiben vom 20.10.2011 (Anlage B12, Bl. 115 d. A.) und 25.10.2011 (Anlage B13, Bl. 116 d. A.) versuchte der Beklagte erfolglos eine Kontaktaufnahme mit dem Verfahrensbevollmächtigten den Gesamtbetriebsrats. Der damalige Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin informierte den Beklagten mit E-Mail vom 14. November 2011 (Anlage B14, Bl. 117 d. A.), dass der Gesamtbetriebsrat den separaten Abschluss des übersandten Interessenausgleichs ablehne und diesen vielmehr als Teil eines Gesamtpakets ansehe. Der Geschäftsführer zeigte sich zuversichtlich, dass die „Unterzeichnung eines zumindest sinngemäßen Dokumentes ohne Probleme erfolgen“ könne.

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Mit Bescheid vom 20.01.2012 erfolgte durch das Ministerium für Inneres und Sport der Widerruf der Zulassung zum Betrieb einer öffentlichen Spielbank. Gleichzeitig wurde angeordnet, dass die Zulassungen binnen einer Woche nach Zustellung der Verfügung an das Ministerium zu übergeben sind. Der Bescheid wurde der Insolvenzschuldnerin am 24.01.2012 zugestellt, der Beklagte erhielt am 31.01.2011 eine Kopie des Bescheides (so VG Magdeburg, 10.05.2012, 3 A 57/12, Rn. 8 ff, Juris).

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Am 06.02.2012 eröffnete das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren und bestellte den Beklagten zum Insolvenzverwalter (Eröffnungsbeschluss Anlage K3, Bl. 12 f. d. A.).

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Der Beklagte hörte den Betriebsrat der Spielbank H. mit Schreiben vom 28.02.2012 (Anlage B1, Bl. 86 f. d. A.) zur beabsichtigten Kündigung aller Arbeitnehmer der Spielbank H. an. Darin heißt es u.a.:

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„... wie Ihnen bekannt, wurde am 06.02.2012 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der S. GmbH eröffnet. Bereits zuvor hat der Unterzeichner bis zuletzt um eine Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes und damit den Erhalt der Arbeitsplätze gerungen. Durch den der Arbeitnehmervertretung vorab mitgeteilten, seitens des Landes Sachsen-Anhalt erfolgten Widerruf der Zulassung zum Betrieb einer öffentlichen Spielbank zum 24.02.2012, 24.00 Uhr, wurde dieser Zielstellung allerdings jegliche Grundlage entzogen. Unausweichliche Folge ist die weitere (formale) Liquidation des Geschäftsbetriebes unter gleichzeitiger (ordentlicher) Kündigung sämtlicher Arbeitnehmer. Es ist beabsichtigt, allen Arbeitnehmern die ordentliche Kündigung unter Einhaltung der gesetzlichen (§ 113 InsO) bzw. tariflich vereinbarten Kündigungsfrist auszusprechen...“

13

Der Betriebsrat widersprach den beabsichtigten Kündigungen mit Schreiben vom 01.03.2012 (Anlage B2, Bl. 89 d. A.), weil soziale Gesichtspunkte nicht bzw. nicht ausreichend berücksichtigt, eine Sozialauswahl nicht durchgeführt sowie ein Interessenausgleich weder abgeschlossen noch versucht worden sei.

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Der Gesamtbetriebsrat erklärte die Verhandlungen über den Abschluss eines Interessenausgleichs mit Beschluss vom 03.04.2012 (Anlage B15, Bl. 119 d. A.) für gescheitert und beschloss weiterhin, die Einigungsstelle anzurufen. Dies teilte er dem Beklagten mit Schreiben vom 04.04.2012 (Anlage B16, Bl. 120 f. d. A.) unter dem Hinweis mit, dass er für den Fall des Bestreitens der Zuständigkeit der Einigungsstelle und/oder der Ablehnung deren Besetzung die Einsetzung der Einigungsstelle beim zuständigen Arbeitsgericht beantragen werde.

15

Der Beklagte reagierte hierauf zunächst nicht. Mit Schreiben vom 13.04.2012 (Anlage B3, Bl. 91 bis 94 d. A.) hörte er vielmehr den Betriebsrat der Spielbank H. erneut zur beabsichtigten betriebsbedingten Kündigung aller Arbeitnehmer – nunmehr zum 31.07.2012 - unter Wiederholung seiner Ausführungen vom 28.02.2012 an. Der Betriebsrat widersprach den beabsichtigten Kündigungen mit Schreiben vom 17.04.2012 (Anlage B4, Bl. 95 f. d. A.).

16

Der Beklagte zeigte der Bundesagentur für Arbeit die beabsichtigte Massenentlassung mit Formular vom 17.04.2012 (Anlage B5, Bl. 97 f. d. A.) am 18. April 2012 (Eingangsbestätigung Anlage B6, Bl. 99 d. A.) an. Die Bundesagentur für Arbeit erteilte mit Bescheid vom 27.04.2012 (Anlage B7, Bl. 100 f. d. A.) ihre Zustimmung und der Beklagte kündigte allen Arbeitnehmern mit Schreiben vom 23.04.2012 zum 31.07.2012. Im Zeitpunkt der Kündigungen verfügte der Beklagte bezüglich der Spielbanken weder über Räumlichkeiten noch über sonstige Betriebsmittel wie Spieltische und Automaten.

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Gegen den Widerruf der Zulassung zum Betrieb einer öffentlichen Spielbank erhob der Beklagte am 20.02.2012 und die Insolvenzschuldnerin am 23.02.2012 Klage zum Verwaltungsgericht Magdeburg. Die Insolvenzschuldnerin vertrat dabei die Rechtsansicht, dass die Genehmigung zum Spielbankbetrieb nicht zur Insolvenzmasse gehöre und der Beklagte daher auch nicht befugt sei, eine Prozessführung hinsichtlich des Widerrufs der Zulassung vorzunehmen.

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Mit Urteil vom 10.05.2012 wies das Verwaltungsgericht Magdeburg (VG Magdeburg, 10.05.2012, 3 A 57/12, Juris) die Klage der Insolvenzschuldnerin als unbegründet ab. Die Insolvenzschuldnerin sei zwar aktivlegitimiert, da die Genehmigung zum Spielbankbetrieb nicht zur Insolvenzmasse gehöre, der Widerruf sei jedoch zu Recht erfolgt, da die Insolvenzschuldnerin die Voraussetzungen zum Betrieb einer Spielbank nicht mehr erfülle.

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Mit weiterem Urteil vom 10.05.2012 (VG Magdeburg, 10.05.2012, 3 A 53/12, Juris) wies das Verwaltungsgericht Magdeburg die Klage des Beklagten als unzulässig ab, da der Beklagte nicht aktiv legitimiert sei, die Spielbankerlaubnis gehöre nicht zur Insolvenzmasse. Der Antrag des Beklagten auf Zulassung der Berufung wurde durch das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt mit Beschluss vom 07.01.2014 zurückgewiesen (3 L 581/12, Juris). Auch das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt kam dabei zu dem Ergebnis, dass die Spielbankzulassung eine höchstpersönliche Rechtsposition sei, die an zahlreiche, durch den Zulassungsinhaber selbst sicherzustellende Voraussetzungen anknüpfe. Solche höchstpersönlichen Rechte würden nicht der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters unterfallen, da dieser die an den Zulassungsinhaber zu stellenden Anforderungen in eigener Person nicht erfüllen könne.

20

In einem vor dem Arbeitsgericht Halle zum Aktenzeichen 3 Ca 1401/12 geführten Kündigungsschutzverfahren erklärte der Bevollmächtigte des Gesamtbetriebsrats und Prozessbevollmächtigte der dortigen Klägerin, Rechtsanwalt D., in der Güteverhandlung vom 15.06.2012 zur Frage, ob ein Interessenausgleich hinreichend versucht worden sei, sinngemäß, dass es seine Aufgabe als Bevollmächtigter des Betriebsrats sei, dafür zu sorgen, dass der Arbeitgeber in die Nachteilsausgleichsfalle tappe, was auch vorliegend funktioniert habe.

21

Am 17.08.2012 zeigte der Beklagte dem Insolvenzgericht an, dass Masseunzulänglichkeit eingetreten sei (Schreiben des Insolvenzgerichts vom 17.08.2012, Bl. 85 d. A.).

22

Am 14.08.2012 ging beim Arbeitsgericht Magdeburg ein Antrag „wegen gerichtlicher Zustimmung zur Durchführung einer Betriebsänderung gemäß § 122 InsO“ ein. Im Rahmen des Anhörungstermins am 24.10.2011 wurde der Antrag nach Hinweisen des Gerichts auf die bereits vor einigen Monaten ausgesprochenen Kündigungen auf Feststellung umgestellt, „dass der Antragsteller berechtigt war, die in dem Ausspruch von Kündigungen (vom 23.04., 24.04. und 25.04.2012) gegenüber sämtlichen Arbeitnehmern liegende Betriebsänderung durchzuführen, ohne bereits das Verfahren nach § 112 Abs. 2 BetrVG durchzuführen.“ Mit Beschluss vom 21.11.2011 (5 BV 100/12) wies das Arbeitsgericht Magdeburg den Feststellungsantrag zurück. Es führte aus, dass der ursprünglich gestellte Antrag nach § 122 InsO unzulässig sei, weil die Betriebsänderung, die hier in der Kündigung von 72 Arbeitsverhältnissen gelegen habe, bereits in der Zeit vom 23.04.2012 bis 25.04.2012 und damit bereits rund vier Monate vor Einreichung des Antrages nach § 122 InsO erfolgt sei und damit bereits keine geplante Betriebsänderung im Sinne des § 122 InsO vorliege. Auch für den zuletzt gestellten Feststellungsantrag sei kein Feststellungsinteresse gegeben, da der Antragsteller die Möglichkeit des § 122 InsO nicht genutzt habe.

23

Mit der am 10.05.2012 bei dem Arbeitsgericht Halle eingegangenen und dem Beklagten am 16.05.2012 zugestellten Klage hat der Kläger sich zunächst gegen die Kündigung vom 23.04.2012 gewehrt, einen allgemeinen Feststellungsantrag nach § 256 ZPO angekündigt und hilfsweise die Zahlung eines Nachteilsausgleichs im Wege der Leistungsklage geltend gemacht. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 04.06.2013 unter Zurücknahme der weitergehenden Klage nur noch die Feststellung des Bestehens eines Nachteilsausgleichsanspruchs als Masseverbindlichkeit in Höhe von 12 Bruttomonatsentgelten geltend gemacht und dazu im Kammertermin vom 12.06.2013 folgenden Antrag aus dem Schriftsatz vom 04.06.2013, der dem Beklagten am 05.06.2013 durch das Arbeitsgericht per Fax zugestellt worden ist, gestellt:

24

festzustellen, dass der Beklagte dem Kläger eine Abfindung im Sinne von § 113 BetrVG in Höhe von 31.176,00 € für den Verlust des Arbeitsplatzes als Masseverbindlichkeit im Sinne von § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO schuldet.

25

Der Beklagte hat sich im Kammertermin vom 12.06.2013 zu diesem Antrag nicht eingelassen. Der Kläger hat daraufhin den Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils gestellt.

26

Das Arbeitsgericht hat daraufhin durch Versäumnisurteil und streitiges Urteil wie folgt entschieden:

27
1. Es wird festgestellt, dass dem Kläger eine Masseforderung in Höhe von 22.508,00 € zusteht.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
28
2. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 43% und der Beklagte 57 % zu tragen.
29
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 3.177,60 € festgesetzt.
30
4. Soweit die Berufung nicht bereits kraft Gesetzes statthaft ist, wird sie nicht zugelassen.
31

Gegen das ihm am 12. Juli 2013 zugestellte Versäumnisurteil hat der Beklagte mit dem 17.07.2013 per Fax und am 22.07.2013 im Original bei dem Arbeitsgericht Halle eingegangenen Schriftsatz vom 17.07.2013 Einspruch eingelegt und diesen mit Schriftsatz vom 05.08.2013 begründet.

32

Der Kläger hat beantragt,

33

das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Halle vom 12.06.2013 aufrechtzuerhalten.

34

Der Beklagte beantragt,

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das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Halle vom 12.06.2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Der Beklagte hat vorgetragen,

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das Versäumnisurteil vom 12.06.2013 sei rechtswidrig ergangen, weil das Arbeitsgericht mit Verfügung vom 05.06.2013 darauf hingewiesen habe, dass weitere Anordnungen vor dem Kammertermin nicht ergehen werden, das Original des Schriftsatzes vom 04.06.2013 erst am 12.06.2013 eingegangen, die Klageänderung nicht sachdienlich gewesen sei und das Versäumnisurteil nicht dem Antrag vom 12.06.2013 entspreche. Der Feststellungsantrag sei unzulässig, aber auch unbegründet. Die Unzulässigkeit der Feststellungsklage ergebe sich bereits daraus, dass die Voraussetzungen der §§ 174 ff InsO mangels Forderungsanmeldung zur Insolvenztabelle nicht gegeben seien. Darüber hinaus stehe dem Kläger ein Nachteilsausgleichsanspruch nicht zu. Das Vorliegen einer Betriebsänderung werde in Abrede gestellt. Aber auch dann, wenn das Vorliegen einer Betriebsänderung angenommen werde, habe der Kläger keinen Anspruch auf Nachteilsausgleich, den er mit der vorliegenden Feststellungsklage geltend machen könne. Die Betriebsstilllegung habe vorliegend spätestens mit dem Entzug der Spielbankenkonzession begonnen. Darüber hinaus beginne nach der Entscheidung des BAG vom 22.07.2003 (1 AZR 541/02) die Betriebsstilllegung bereits mit der Freistellung. Des Weiteren sei die Durchführung des Interessenausgleichsverfahrens in Anwendung des Rechtsgedankens des § 122 InsO unzumutbar gewesen, da schon für die Durchführung des Einigungsstellenverfahrens keine finanziellen Mittel zur Verfügung gestanden hätten. Die Verpflichtung des Insolvenzverwalters zur Durchführung des Einigungsstellenverfahrens sei eine unangebrachte „Formtümelei“. Der umfassende „Schutz der Masse“ komme auch in den §§ 123 bis 127 InsO zum Ausdruck. Im Übrigen fehle es aufgrund des Entzuges der Konzession an der Kausalität zwischen arbeitgeberseitigem Handeln und der Entlassung und das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats sei eingeschränkt. Darüber hinaus begrenze § 123 InsO den den Arbeitnehmern zustehenden Maximalbetrag auf 2,5 Monatsverdienste. Schlussendlich stehe dem Kläger der Anspruch auf Nachteilsausgleich auch deshalb nicht zu, weil das Verhalten des Gesamtbetriebsrats – den Beklagten in die Nachteilsausgleichsfalle tappen zu lassen – treuwidrig sei und der Kläger sich dieses Verhalten zurechnen lassen müsse.

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Von der weiteren Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen. Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Halle 28.08.2013 – 4 Ca 1385/12 – (Urteil Seite 2 bis 7, Bl. 329 bis 334 d. A.) Bezug genommen.

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Mit vorbezeichnetem Urteil hat das Arbeitsgericht Halle das Versäumnisurteil vom 12.06.2013 aufrechterhalten, dem Beklagten die weiteren Kosten des Rechtstreits aufgelegt und den Wert des Streitgegenstandes auf 2.250,80 € festgesetzt.

40

Das Gericht hat ausgeführt, der zuletzt noch von dem Kläger verfolgte Feststellungsantrag sei zulässig, da es sich um eine sogenannte Altmasseverbindlichkeit handele, die Betriebsänderung sei nach Insolvenzeröffnung aber vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit begonnen worden. Die von dem Kläger vorgenommene Antragsänderung sei zulässig, da der Kläger seine Forderung wegen der im Laufe des Verfahrens eingetretenen Masseunzulänglichkeit nur im Wege der hier erhobenen Feststellungsklage verfolgen könne. Das Mitbestimmungsrecht des Gesamtbetriebsrates nach § 112 Abs. 2 BetrVG sei im Streitfall nicht eingeschränkt gewesen. Auch der Konzessionsentzug ändere diese Einschätzung nicht. Durch den Konzessionsentzug lasse sich vielleicht für den Gesamtbetriebsrat die Betriebsstilllegung nicht mehr anzweifeln. Die Rechte des Betriebsrates nach § 112 Abs. 2 BetrVG blieben jedoch hiervon unberührt. Die Durchführung des Interessenausgleichsverfahrens sei dem Beklagten auch nicht gemäß § 122 InsO unzumutbar gewesen. Der Beklagte könne sich nicht auf § 122 InsO berufen, da er das dortige Verfahren nicht durchgeführt habe. Das Absehen von Interessenausgleichsverhandlungen werde auch nicht durch die die Masse schützenden Vorschriften der §§ 123 bis 127 InsO gefordert. Vorliegend gehe es allein um Nachteilsausgleichsansprüche und nicht um Sozialplanansprüche. Entgegen der Ansicht des Beklagten habe die Betriebsänderung – nämlich die Betriebsstilllegung – nicht mit der Freistellung der Mitarbeiter im Mai 2011 begonnen, sondern frühestens mit der ersten Anhörung des Betriebsrates mit Schreiben vom 28.02.2012. Zum Zeitpunkt der Freistellung habe die Insolvenzschuldnerin nicht beabsichtigt, die Mitarbeiter für einen längeren Zeitraum freizustellen. Vielmehr habe die Insolvenzschuldnerin intensiv über die Fortführung des Betriebes verhandelt, dies ergebe sich aus dem von dem Beklagten vorgelegten Anhörungsschreiben an den Betriebsrat vom 28.02.2012. Das bedeute nichts anderes, als dass seit der Freistellung der Mitarbeiter jederzeit die Möglichkeit der Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebes – möglicherweise in anderen Räumen - bestanden habe. Die Geltendmachung des Nachteilsausgleichsanspruchs sei auch nicht wegen des Verhaltens des Gesamtbetriebsrates treuwidrig. Der Beklagte könne sich insbesondere nicht auf den Beschluss des Gesamtbetriebsrates vom 03.04.2012 berufen. Der Gesamtbetriebsrat habe hier keine Zeitangaben zum Anrufen der Einigungsstelle gemacht. Zudem müsse auch dem Beklagten klar gewesen sein, dass er ab diesem Zeitpunkt bis zum Ausspruch der Kündigungen vom 23.04.2012 Einigungsstellenverhandlungen wohl kaum hinbekommen würde. Der Beklagte hätte selbst zu einem viel früheren Zeitpunkt die Einigungsstelle anrufen oder den Antrag nach § 122 InsO stellen müssen. Hinsichtlich der Höhe des Nachteilsausgleichsanspruchs würde sich bei 17 Beschäftigungsjahren x 2.648,- € brutto x 0,5 der zugesprochene Betrag in Höhe von 22.508,- € ergeben. Eine Begrenzung ergebe sich nicht aus § 123 Abs. 1 InsO, da es sich hier nicht um einen Sozialplananspruch handele.

41

Wegen der Einzelheiten des Urteils wird auf die in ihm aufgeführten Entscheidungsgründe Bezug genommen (Urteil Seite 7 bis 19, Bl. 334 bis 346 d. A.).

42

Gegen das ihm am 01.10.2013 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 28.10.2013 Berufung eingelegt und diese, nach Verlängerung der Frist zur Begründung der Berufung bis zum 02.01.2014, mit am 17.12.2013 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet.

43

Zur Begründung der Berufung trägt der Beklagte vor,

44

der von der klagenden Partei gestellte Antrag auf Nachteilsausgleich sei sowohl unzulässig als auch materiell unbegründet. Der aktuell anhängige Antrag auf „Feststellung“ bedürfe zunächst einer vorherigen Anmeldung gegenüber dem Insolvenzverwalter. Feststellungsklagen seien seit der Grundsatzentscheidung des BGH vom 27.09.2001 (IX ZR 71/00) nur bezüglich einer angemeldeten, geprüften und bestrittenen Forderung zulässig. Die Rechtsordnung stelle die Möglichkeit, statt einer Feststellung zur Insolvenztabelle eine gesonderte Rechtsverbindung zwischen der klagenden Partei und dem Beklagten zu generieren, nicht zur Verfügung. Würde man diesen zusätzlichen Weg ermöglichen, so wäre dies die Schaffung einer gänzlich neuen Gläubigermöglichkeit im Insolvenzverfahren, was eine Zerstörung des in der Insolvenzordnung abschließend geregelten Insolvenzgläubigerbefriedigungsverfahrens bedeuten würde. Im Übrigen habe die Leistungsklage Vorrang vor der Feststellungsklage und der Anspruch der klagenden Partei sei bezifferbar. Allein aus der insolvenzspezifischen Vorgabe, dass sich ein derartiger Zahlungsantrag als unzulässig erweise, folgere nicht die Zulässigkeit einer Feststellungsklage. Im Übrigen stelle der Betrieb einer staatlich konzessionierten Spielbank kein Gewerbe im herkömmlichen Sinne dar. Seitens des Gesamtbetriebsrates sei kein Hinweis an den Beklagten erfolgt, dass der Beklagte die Einigungsstelle anzurufen habe, vielmehr habe der Gesamtbetriebsrat mitgeteilt, dass er selbst die Einigungsstelle angerufen habe. An dieser Stelle noch eine Verpflichtung des Verwalters zu kreieren, er selbst solle initiativ werden und die Einigungsstelle anrufen, gehe an der Lebenswirklichkeit ebenso vorbei wie an dem Schutzbereich der Norm und dem gesetzgeberischen Willen. Zwar mag das BAG irgendwann einmal in einem gänzlich anderen Fall den eher primär nicht bedeutsamen Satz formuliert haben, dass für das Insolvenzverfahren im Bereich des Nachteilsausgleichs dieselben Regeln gelten wie für einen normalen Arbeitgeber. Dies treffe jedoch nicht auf die vom Gesetzgeber ausdrücklich beschriebenen insolvenzrechtlichen Besonderheiten zu. Dies ergebe sich aus §122 InsO, wo eine Abwägung der wirtschaftlichen Lage des Insolvenzunternehmens und der sozialen Belange der Arbeitnehmer vorgenommen werde. Nun mag der Beklagte die ihm durch § 122 InsO zusätzlich zur Verfügung gestellte besondere Verfahrensmöglichkeit nicht hinreichend ergriffen haben, dies ändere aber nichts an der Existenz der aufgezeigten besonderen Rechtsgedanken. Alles andere erscheine eine unzumutbare und unangebrachte Formtümelei, zumal es dem Verwalter eines massearmen Verfahrens an jedwelchen Mitteln für die Bezahlung irgendwelcher Einigungsstellenmitglieder mangele. Der umfassende insolvenzspezifische Schutz der Masse finde in den §§ 123 bis 127 InsO einen klar erkennbaren Ausdruck. Insbesondere folge aus § 123 InsO der Rechtsgedanke, dass dem Arbeitnehmer maximal ein Gesamtbetrag von bis zu zweieinhalb Monatsverdiensten zustehen könne. Das BAG (11.12.2012, 1 ABR 78/11) schränke selbst beim Vorliegen eines Verwaltungsaktes das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates (bei § 87 BetrVG) ein. Bei genauer rechtssystematischer Betrachtung bedürfe es für einen Nachteilsausgleich einer bzw. der Kausalität zwischen dem arbeitgeberseitigen Handeln und der Entlassung. Ist allerdings eine staatliche Konzession unverzichtbar, so werde man eine Kausalität schlicht nicht annehmen können. Das Arbeitsgericht habe auch unzutreffend beurteilt, wann mit der Durchführung einer Betriebsänderung begonnen werde. Die Entlassung der Mitarbeiter habe nicht den Beginn der Durchführung der Betriebsänderung dargestellt, sondern die Vollendung. Beides könne nicht deckungsgleich sein. Die Besonderheiten eines auf einer staatlichen Konzession beruhenden Spielbetriebes habe das Arbeitsgericht ausgeblendet. Denn die Einstellung des Spielbetriebes jedenfalls auf der Grundlage des verwaltungsrechtlichen Entzuges der hierfür unverzichtbaren Konzession beraube den Träger einer jeden Möglichkeit einer weiteren Tätigkeit im Bereich des Spielbetriebes. Dies hänge nicht vom Willen des Arbeitgebers ab, vielmehr sei der Arbeitgeber insoweit hilflos fremdabhängig. Mit dem Entzug der Spielbankkonzession sei das Schicksal der Insolvenzschuldnerin besiegelt gewesen, ein operatives Tätigwerden sei von einem Tag auf den anderen rechtlich unmöglich gewesen. Der Konzessionsentzug stelle eine unmittelbare Betriebseinstellung mittels hoheitlichen Verwaltungsaktes dar. Aus dem Widerrufsbescheid des Landes Sachsen-Anhalt vom 20.01.2012 ergebe sich, das dieser auch nicht aus heiterem Himmel erfolgt sei. Vielmehr sei die Schließung der drei Standorte der Spielbanken aufsichtsrechtlich durch Ordnungsverfügungen vom 13.05.2012 (M.) und vom 17.05.2012 (H. und W.) aufsichtsrechtlich begleitet worden und die Wiederaufnahme des Spielbetriebes habe der vorherigen Zustimmung des Ministeriums des Inneren bedurft. Die Betriebsänderung in Form der Stilllegung sei jedenfalls mit dem Entzug der Konzession „begonnen“ worden. Arbeitsrechtlich komme es für die Frage der Rechtsqualität einer einfachen Insolvenzforderung lediglich darauf an, dass mit einer (faktischen) Betriebseinstellung begonnen worden sei. Insgesamt könne die Rechtsprechung des BAG zu den insolvenzrechtlichen Besonderheiten und Spezifika durchaus als unausgegoren bezeichnet werden, da es die wesentlichen gesetzlichen Wertungen des Insolvenzgesetzgebers nicht berücksichtige. Das Arbeitsgericht habe das vorsätzliche betriebsverfassungswidrige Verhalten des Gesamtbetriebsrates nicht hinreichend gewertet. Dass sich aus diesem rechtsmissbräuchlichen Verhalten am Ende ein individueller Anspruch ergebe, könne für die Beantwortung der Frage nicht von Bedeutung sein. Auch bei der Höhe des Anspruchs sei das Verhalten des Gesamtbetriebsrates zu berücksichtigen. Bei der Höhe des Anspruchs sei noch zu berücksichtigen, dass es sich um ein massearmes Verfahren handele, dies könne nicht ohne jede Auswirkung auf die Feststellung der Höhe des Nachteilsausgleichsanspruchs bleiben. Auch wenn § 123 InsO keine unmittelbare Anwendung finde, sei der sich aus § 123 InsO ergebende Rechtsgedanke zu beachten. Schließlich sei das Versäumnisurteil in unzulässiger Weise ergangen, die Einlassungsfristen seien nicht eingehalten worden.

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Der Beklagte hat folgenden Berufungsantrag angekündigt:

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Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Halle vom 28.08.2013 – 4 Ca 1385/12 – abgeändert und die Klage abgewiesen.

47

Der Beklagte, der am 21.04.2015 zu dem Kammertermin am 16.07.2015 geladen worden ist, ist in dem Kammertermin nicht erschienen. Der Kläger hat daraufhin beantragt, die Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Halle vom 28.08.2013 – 4 Ca 1385/12 – durch Versäumnisurteil zurückzuweisen.

48

Das Landesarbeitsgericht hat daraufhin durch Versäumnisurteil wie folgt entschieden:

49
1. Die Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Halle vom 28.08.2013

 4 Ca 1385/12 – wird zurückgewiesen.

50
2. Dem Berufungskläger fallen die Kosten des Rechtstreits zur Last.
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3. Die Revision wird nicht zugelassen.
52

Gegen das ihm am 21.07.2015 zugestellte Versäumnisurteil hat der Beklagte mit dem am 27.07.2015 eingegangenen Schriftsatz Einspruch eingelegt.

53

Der Beklagte trägt vor,

54

zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 06.02.2015 sei von dem vollständigen Spielbetrieb der Spielbanken Sachsen-Anhalt nicht mehr übrig gewesen, bis auf die noch nicht gekündigten Arbeitnehmer. Es habe insbesondere keine staatliche Konzession mehr existiert, Mietverträge seien nicht mehr vorhanden gewesen, das Land Sachsen-Anhalt habe die für den Spielbetrieb erforderlichen zwei Finanzbeamten nicht mehr abgestellt, etc. Lasse man sich also von der sprachlichen Begrifflichkeit „Beginn“ einer Betriebsänderung leiten, so bedeute dies gedankenlogisch, dass auch noch ein - evidentes – danach existieren müsse. Dies sei im vorliegenden Fall nicht so. Die Kündigungen seien der letzte denkbare Rechtsakt gewesen. Nehme man die Entscheidung des BAG vom 22.07.2003 – 1 AZR 541/02 – zum Leitfaden, müsse eine Betriebsänderung nicht nur „durchgeführt“, sondern auch „geplant“ werden. Der Beklagte habe aber eine Betriebsänderung nicht geplant und schon gar nicht durchgeführt. Vielmehr habe er ein vollständig abgewickeltes Gebilde vorgefunden. Die Kündigungen seien insoweit die letzte dem Beklagten gebotene Abwicklungshandlung gewesen. Zu beachten sei noch, dass der vor Insolvenzeröffnung am 24.01.2012 der Insolvenzschuldnerin zugestellte Widerrufsbescheid vom 20.01.2012 sofort vollziehbar gewesen sei. Es sei daher abwegig, den letzten Rechtsakt, die Kündigungen der Mitarbeiter, als Beginn der Betriebseinstellung anzusehen. Vielmehr sei dies – ebenso wie bei der Entscheidung des BAG vom 22.07.2003 – 1 AZR 541/02 (Rn. 12) die Vollendung der Betriebseinstellung gewesen. Da die Stilllegung die unausweichliche Folge der wirtschaftlichen Zwangslage gewesen sei und es keine sinnvolle Alternative gegeben habe, sei die Verpflichtung zu dem Versuch eines Interessenausgleichs ausnahmsweise entfallen. Das BAG habe in seiner Entscheidung vom 22.07.2003 (1 AZR 541/02, Rn. 18) auf die Entscheidung vom 23.01.1979 Bezug genommen. Die damalige Entscheidung habe zwar einen Fall betroffen, bei dem der Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse abgewiesen worden sei, damals habe es aber die Vorschrift des § 207 InsO (Masseunzulänglichkeit) noch nicht gegeben, so dass der vorliegende Fall absolut vergleichbar sei.

55

Der Beklagte beantragt:

56

Das Versäumnisurteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt aufzuheben und auf die Berufung des Beklagten das Urteil des ArbG Halle vom 28.08.2013 – 4 Ca 1385/12 – abzuändern und die Klage abzuweisen.

57

Der Kläger beantragt,

58

die Berufung zurückzuweisen.

59

Der Kläger trägt vor,

60

die Ausführungen des Beklagten seien rechtlich unzutreffend. Das Arbeitsgericht habe zu dem Begriff der Stilllegung eines Betriebes zutreffend ausgeführt. Es werde bestritten, dass die Geschäftsleitung der Insolvenzschuldnerin eine derartige Entscheidung zur Stilllegung vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens getroffen habe. Der Beklagte habe von dieser Tatsache, dass ein solcher Beschluss zur Stilllegung nie gefasst worden sei, positive Kenntnis. Der Beklagte verkenne, dass die Entscheidung zur Stilllegung dem Arbeitgeber – also der Geschäftsleitung der Insolvenzschuldnerin oder der Insolvenzverwalter – obliege und nicht einer Genehmigungsbehörde. Aus diesem Grund könne weder in den Einstellungsverfügungen mit beschiedenen Zustimmungsvorbehalt zur Wiederaufnahme des Spielbankbetriebes vom 17.05.2015 noch in dem tatsächlichen Widerruf der Konzession die Entscheidung und Planung der Betriebsstilllegung gesehen werden. Im Übrigen habe der Beklagte den Widerruf der Konzession nicht hingenommen. Der Kampf des Beklagten um die Konzession könne nur dem Ziel gegolten haben, den Geschäftsbetrieb der Insolvenzschuldnerin selbst oder durch einen geeigneten Investor fortzuführen. Der Beklagte habe daher, wie er auch mit Schreiben vom 28.02.2012 gegenüber dem Betriebsrat angezeigt habe, bis zuletzt um den Erhalt der Arbeitsplätze gekämpft. Frühestens mit dieser Betriebsratsanhörung habe er die Stilllegungsentscheidung getroffen, er habe daher entweder die Einigungsstelle für den Versuch zum Abschluss eines Interessenausgleichs anrufen oder aber einen Antrag nach § 122 InsO stellen müssen. Beides habe er nicht getan.

61

Wegen des Vorbringens der Parteien im Übrigen wird auf die Sitzungsniederschriften sowie die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

62

I.:

63

Der zulässige Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil vom 16.07.2015 hat keinen Erfolg. Die Berufung ist zu Recht als unbegründet zurückgewiesen worden.

64

1. Der Einspruch des Beklagten gegen das Versäumnisurteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt ist zulässig. Er ist innerhalb der Wochenfrist gemäß §§ 64 Abs. 7, 59 Satz 1 ArbGG, die mit der Zustellung am 21.07.2015 begann, am 27.07.2015 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangen. Der Zulässigkeit des Einspruchs steht nicht entgegen, dass in der Einspruchsschrift keine Begründung angegeben ist (§ 340 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 ZPO). Entgegen des missverständlichen Wortlauts handelt es sich nicht um einen Begründungszwang, sondern um eine Konkretisierung der Prozessförderungspflicht (Zöller/Herget, 29. Aufl., § 340 ZPO Rn. 6). Deshalb genügte für die Zulässigkeit des Einspruchs die Bezeichnung des Urteils und die Erklärung, dass Einspruch eingelegt werde (§ 340 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz ZPO).

65

2. Der Einspruch ist unbegründet. Das Arbeitsgericht Halle hat der Klage zu Recht in Höhe von 22.508,- € stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten, die nach dem Wert ihres Beschwerdegegenstandes statthaft und auch frist- und formgerecht beim Landesarbeitsgericht eingelegt und begründet worden ist, war zurückzuweisen.

66

2.1. Der Feststellungsantrag ist zulässig.

67

Soweit der Beklagte geltend gemacht hat, dass die Klage bereits deshalb unzulässig sei, weil der vorliegend geltend gemachte Nachteilsausgleichsanspruch nicht zuvor zur Insolvenztabelle angemeldet worden sei, so gilt diese Voraussetzung nur für Insolvenz- und nicht für Masseforderungen. Masseforderungen können nicht zur Tabelle festgestellt werden (BGH, 29.05.2008, IX ZR 45/07, Rn. 29, Juris).

68

Das Arbeitsgericht Halle hat in der angegriffenen Entscheidung zutreffend ausgeführt, dass es sich bei dem Anspruch auf Nachteilsausgleich dann um eine einfache Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle anzumeldende Forderung im Sinne von §§ 38, 108 Abs. 2 InsO handelt, wenn die Betriebsänderung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begonnen wurde. Einer solchen Feststellungsklage würde das erforderliche rechtliche Interesse an der begehrten Feststellung im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO fehlen. Die Forderungsfeststellungsklage nach § 179 Abs. 1 InsO ist nur statthaft, wenn die Forderung zuvor zur Insolvenztabelle angemeldet, geprüft und bestritten wurde. Dies ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Sachurteilsvoraussetzung (BAG, 16.06.2004, 5 AZR 521/03, Rn. 16, unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BGH, Juris).

69

Im Streitfall handelt es sich aber nicht um eine solche einfache Insolvenzforderung, sondern um eine sog. Altmasseverbindlichkeit, die nur noch im Wege der Feststellungsklage geltend gemacht werden kann.

70

Wird eine solche Betriebsänderung – wie im Streitfall - nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens beschlossen und durchgeführt ohne über sie einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben, so ist der Anspruch auf Nachteilsausgleich eine Masseverbindlichkeit im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO (BAG 30.05.2006, 1 AZR 25/05, Rn. 11, Juris) und kann grundsätzlich im Wege der Leistungsklage gegen den Insolvenzverwalter geltend gemacht werden (BAG 04.06.2003, 10 AZR 586/02, Rn. 26 Juris). Dies gilt aber nicht mehr, wenn der Insolvenzverwalter wie vorliegend am 17.08.2012 die Unzulänglichkeit der Masse anzeigt. Dann wird nach § 210 InsO die Vollstreckung einer zuvor begründeten Masseverbindlichkeit nach § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig und lässt das Rechtsschutzbedürfnis für eine Leistungsklage entfallen. In diesem Fall kann der Arbeitnehmer seinen Anspruch gegen den Insolvenzverwalter nur noch im Wege der Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO geltend machen (BAG, 22.07.2003, 1 AZR 541/02, Rn. 9 ff. Juris).

71

Im Streitfall wurde die Betriebsänderung nach Insolvenzeröffnung am 06.02.2012, aber vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit des Beklagten gegenüber dem Amtsgericht Magdeburg am 17.08.2012 begonnen, sodass eine Altmasseverbindlichkeit vorliegt. Zutreffend hat der Kläger deshalb die Leistungsklage auf eine Feststellungsklage beschränkt.

72

Da die im Wege des Hilfsantrags mit der Klage vom 10.05.2012 erhobene Leistungsklage nachträglich mit Anzeige der Masseunzulänglichkeit im August 2012 unzulässig geworden ist, war die Antragsänderung mit Schriftsatz vom 04.06.2013 zulässig. Bei dem vorliegenden Übergang von der Leistungsklage zur Feststellungsklage handelt es sich um eine Beschränkung des Klagantrages ohne Änderung des Klagegrundes im Sinne von § 264 Nr. 2 ZPO, also nicht um eine Klageänderung. Der geänderte Antrag stützt sich auf den bereits festgestellten Lebenssachverhalt. Rechte des Beklagten wurden nicht verkürzt (BAG, 22.11.2005, 1 AZR 458/04, Rn. 17, Juris). Das erstinstanzliche Versäumnisurteil ist daher nicht in rechtswidriger Weise ergangen. Entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten ist insbesondere die Einlassungsfrist von einer Woche (§ 47 ArbGG) nicht verletzt. Die einwöchige Einlassungsfrist ist nur bei Zustellung der Klagschrift zu wahren. Die Einlassungsfrist gilt nicht für die Zustellung von Klageerweiterungen, Widerklagen etc., da die gegnerische Partei sich nicht erst noch auf ein Prozessrechtsverhältnis einstellen muss, vielmehr mit den durch die Prozessordnung vorgesehenen Reaktions- und Aktionsmöglichkeiten rechnen muss. Hier muss der gegnerischen Partei nur ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme wegen Gewährung des rechtlichen Gehörs gewährt werden (Germelmann/Matthes/Prütting, Arbeitsgerichtsgesetz, 8. Auflage 2013, Rn. 2). Rechtliches Gehör ist dem Beklagten durch die Zustellung der Klagbeschränkung per Fax am 05.06.2013, mithin eine Woche vor dem Kammertermin am 12.06.2013, hinreichend gewährt worden.

73

2.2. Dem Kläger steht der erstinstanzlich festgestellte Anspruch auf Nachteilsausgleich gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG in Verbindung mit § 10 KSchG als Altmasseverbindlichkeit in Höhe von 22.508,- € zu.

74

2.2.1. Es liegt eine geplante Betriebsänderung i. S. d. § 111 BetrVG vor.

75

Bei der Insolvenzschuldnerin handelt es sich um ein Unternehmen mit in der Regel mehr als zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmern (§ 111 Abs.1 Satz 1 BetrVG). Die vom Beklagten ausgesprochenen ca. 80 Kündigungen stellen eine Betriebsstilllegung dar und gehen zudem mit einem Personalabbau oberhalb der Größenordnung nach § 17 Abs.1 KSchG einher, sie sind daher in ihrer Gesamtheit als Betriebsänderung i. S. v. § 111 Abs.1 Satz 3 Ziff.1 BetrVG anzusehen. Führt ein Unternehmer eine geplante Betriebsänderung i.S. v. § 111 BetrVG aus, ohne über sie einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben und entlässt er infolge dieser Maßnahme Arbeitnehmer, so steht diesen nach Maßgabe von § 113 Abs. 3 BetrVG ein Anspruch auf Nachteilsausgleich zu (ebenso ArbG Magdeburg, 30.01.2013, 3 Ca 1436/12, Rn. 28 ff., Juris). Der Kläger wurde im Zuge der 80 Kündigungen mit Kündigungsschreiben vom 23.04.2012 als Maßnahme zur Betriebsstilllegung entlassen.

76

Die Pflichten der §§ 111 ff. BetrVG richten sich an den Unternehmer und setzen eine von ihm geplante Betriebsänderung voraus. Unternehmer ist der Rechtsträger des Betriebs (BAG, 14.05.2015, 1 AZR 794/13, Rn. 16, Juris), vorliegend der Beklagte für die insolvente Spielbankgesellschaft. Der Unternehmer beginnt mit der Durchführung einer Betriebsänderung, wenn er unumkehrbare Maßnahmen ergreift und damit vollendete Tatsachen schafft. Eine Betriebsänderung in Form der Stilllegung besteht in der Aufgabe des Betriebszwecks unter gleichzeitiger Auflösung der Betriebsorganisation für unbestimmte, nicht nur vorübergehende Zeit. Ihre Umsetzung erfolgt, sobald der Unternehmer unumkehrbare Maßnahmen zur Auflösung der betrieblichen Organisation ergreift. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn er die bestehenden Arbeitsverhältnisse zum Zwecke der Betriebsstilllegung kündigt (BAG, 14.05.2015, 1 AZR 794/13, Rn. 22, Juris).

77

2.2.2. Mit der Betriebsänderung ist erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begonnen worden aber vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit durch den Beklagten am 17.08.2012.

78

Spätester Zeitpunkt des Beginns der Betriebsänderung ist der Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung am 23.04.2012, also rund vier Monate vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit. In diesem Zusammenhang teilt die Kammer nicht die Rechtsauffassung des Beklagten, dass man den Ausspruch der Kündigungen am 23.04.2012 deshalb nicht als Beginn der Betriebsänderung ansehen könnte, weil die Kündigung gleichzeitig der letzte denkbare Rechtsakt der Betriebsstilllegung gewesen sei. Sind, wie vorliegend von dem Beklagten behauptet, zum Zeitpunkt der Planung der Betriebsstilllegung weder Betriebsmittel noch Räumlichkeiten vorhanden, so kann der Ausspruch der Kündigungen gleichzeitig den ersten und auch den letzten Akt der Betriebsänderung darstellen. Den Rechtssatz, dass eine Betriebsänderung immer in mehreren Akten durchgeführt werden müsse, stellen die §§ 111 ff BetrVG nicht auf.

79

Entgegen der Rechtsansicht des Beklagten hat er diese Betriebsänderung selbst geplant und war insbesondere nicht lediglich passiv bzw. „fremdgesteuert“. Ein eigenes Tun, also eine Planung, geht etwa aus der ersten Betriebsratsanhörung zu den beabsichtigten Kündigungen am 28.02.2012 hervor, also einem Zeitpunkt gut drei Wochen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Dem Anhörungsschreiben (Bl. 86 f d. A.) ist die Planung des Beklagten zu entnehmen, dass „ausnahmslos alle bestehenden Arbeitsverhältnisse gekündigt werden sollen“.

80

Eine frühere Planung oder gar ein früherer Beginn der Betriebsänderung hat der Beklagte nicht erheblich vorgetragen.

81

Unter der Stilllegung eines Betriebs ist die Auflösung der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Betriebs- und Produktionsgemeinschaft zu verstehen, die ihre Veranlassung und ihren unmittelbaren Ausdruck darin findet, dass der Unternehmer die bisherige wirtschaftliche Betätigung in der ernstlichen Absicht einstellt, den bisherigen Betriebszweckes dauernd oder für eine ihrer Dauer nach unbestimmte, wirtschaftlich nicht unerhebliche Zeitspanne nicht weiter zu verfolgen. Mit der Stilllegung des gesamten Betriebs entfallen alle Beschäftigungsmöglichkeiten. Der Arbeitgeber muss endgültig entschlossen sein, den Betrieb stillzulegen. Demgemäß ist von einer Stilllegung auszugehen, wenn der Arbeitgeber seine Stilllegungsabsicht unmissverständlich äußert, allen Arbeitnehmern kündigt, etwaige Mietverträge zum nächstmöglichen Zeitpunkt auflöst, die Betriebsmittel, über die er verfügen kann, veräußert und die Betriebstätigkeit vollständig einstellt. Für die Stilllegung von Betriebsabteilungen und Betriebsteilen gilt dies, auf die jeweilige Einheit begrenzt, entsprechend (BAG 26.05.2011, 8 AZR 37/10, Rn. 26, Juris).

82

Einen konkreten Termin oder einen protokollierten Beschluss zur Betriebsstilllegung trägt der Beklagte nicht vor.

83

Nicht genügend ist allein die Einstellung des Spielbankbetriebs im Mai 2011 mit der einhergehenden Nichtbeschäftigung sämtlicher Mitarbeiter. Genauso wie die bloße Einstellung einer Geschäftstätigkeit grundsätzlich rückgängig gemacht werden kann (BAG, 14.04.2015,1 AZR 794/13, Rn. 26, Juris), liegt in der bloßen Nichtbeschäftigung von Arbeitnehmern keine Auflösung der Betriebsorganisation. Auch eine Freistellung der Arbeitnehmer von der Arbeitspflicht stellt regelmäßig noch keine Durchführung der Betriebsstilllegung dar (BAG, 14.04.2015, 1 AZR 794/13, Rn. 27, Juris).

84

Zwar ist dem Beklagten zuzustimmen, dass die wegen der fehlenden Spielbankreserve von der Insolvenzschuldnerin vorgenommene Schließung des Standortes M. am 13.05.2011 und der Standorte H. und W. am 18.05.2011 durch Ordnungsverfügungen des Ministeriums für Inneres und Sport vom 13.05.2011 und vom 17.05.2011 begleitet wurden und darüber hinaus angeordnet wurde, dass eine Wiederaufnahme des Spielbetriebes der vorherigen Zustimmung des Ministeriums bedarf und die Zustimmung vom Nachweis eines bestimmten Kassenbestandes abhängig gemacht wurde. Jedoch ist dies für die Entscheidung des vorliegenden Falles ohne Belang, denn die Pflichten der §§ 111 ff. BetrVG richten sich an den Unternehmer und setzen eine von ihm geplante Betriebsänderung voraus (BAG, 14.05.2015, 1 AZR 794/13, Rn. 16, Juris).

85

Schon aus dem weiteren Vorgehen der Insolvenzschuldnerin ergibt sich, dass sie im Mai 2011 eine Betriebsschließung keinesfalls geplant hat. Unstreitig fand nämlich am 05.07.2011 eine Gesamtbetriebsversammlung statt, auf der der neue Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin, Herr G., sich der Belegschaft vorstellte und eine zeitnahe Wiederaufnahme des Spielbetriebes zum 01.08.2011 ankündigte (Gutachten und Bericht des Beklagten vom 31.01.2012, Seite 5, Bl. 577 d. A.). Die angekündigte zeitnahe Wiederaufnahme des Spielbetriebes stellt offensichtlich das Gegenteil einer geplanten Betriebsstilllegung dar.

86

Die Kammer macht in diesem Zusammenhang deutlich, dass sie hier nicht zu prüfen hat, ob etwa die geplante zeitnahe Wiederaufnahme des Spielbetriebes zum 01.08.2011 für die Insolvenzschuldnerin zum damaligen Zeitpunkt überhaupt realistisch war oder aber mangels finanzieller Mittel eine bloße Fantasterei darstellte. Genauso wenig hat die Kammer zu prüfen, ob es der Insolvenzschuldnerin zum damaligen Zeitpunkt überhaupt möglich war, die zur Wiederaufnahme des Spielbetriebs nach den Ordnungsverfügungen vom 13. und 17.05.2011 gemachten Auflagen zu erfüllen oder ob mit der Beauflagung nach den Ordnungsverfügungen das Ende der Spielbanken tatsächlich besiegelt war. Entscheidend sind niemals die außerbetrieblichen Umstände (Genehmigungen, Verbote, Auftragslage), sondern das, was der Unternehmer (deswegen) plant bzw. umsetzt (BAG, 14.05.2015, 1 AZR 794/13, Rn. 16, Juris).

87

Aus dem Vortrag des Beklagten geht auch nicht hervor, dass die Insolvenzschuldnerin - auf diese ist abzustellen, da nach dem Beschluss des Amtsgerichts Magdeburg vom 27.07.2011 der Beklagte bis zur Insolvenzeröffnung nur schwacher vorläufiger Verwalter war - vor der Insolvenzeröffnung am 06.02.2012 eine Betriebsstilllegung geplant oder sogar mit der Betriebsstilllegung begonnen hat.

88

Offensichtlich war das Gegenteil der Fall, denn aus dem auch von dem Beklagten zitierten Widerruf der Zulassung zum Betrieb einer öffentlichen Spielbank in Sachsen Anhalt des Ministeriums für Inneres und Sport vom 20.01.2012 geht hervor, dass der Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin, Herr G., dem Ministerium noch am 05.01.2012 per Mail mitgeteilt hat, dass er sich mit zwei Interessenten in fortgeschrittenen Verhandlungen befinde. Auch der Beklagte sprach sich gegenüber dem Ministerium mit Schreiben vom 05.01.2012 gegen den Widerruf der Zulassungen aus, da "dies die Wiederaufnahme eines geordneten Spielbetriebes auf längere Sicht vereiteln würde" (Widerruf vom 20.01.2012, Seite 7). Daraus kann die Berufungskammer nur den Schluss ziehen, dass noch Anfang Januar sowohl die Insolvenzschuldnerin als auch der Beklagte auf eine Wiederaufnahme des Spielbetriebes hofften und daher auch zu diesem Zeitpunkt noch keinesfalls eine endgültige Betriebsstilllegung beschlossen hatten. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Beklagte bereits am 06.10.2011 den Abschluss eines Interessenausgleichs angestrebt hat. Dies stellt sich ohne weiteren Sachvortrag als bloße Vorsichtsmaßnahme dar. Im Übrigen kommt es wegen der Stellung des Beklagten als so genannter schwacher Verwalter im Oktober 2011 auf die Insolvenzschuldnerin an.

89

Es ist für die Kammer erkennbar, dass weder die Insolvenzschuldnerin noch der Beklagte zu irgendeinem Zeitpunkt vor der Insolvenzeröffnung am 06.02.2012 eine endgültige Stilllegung des Spielbankbetriebes planten. Denn die Konzession stellte bei der Insolvenzschuldnerin den "herausragenden Vermögenswert" dar (Gutachten und Bericht des Beklagten vom 31.01.2012, Seite 12, Bl. 580R d. A.) und eine Entscheidung zur endgültigen Stilllegung der Spielbanken hätte sofort zum Widerruf dieses herausragenden Vermögenswertes, nämlich der Konzession, geführt. Um also die Konzession nicht zu verlieren, wurde zu keinem Zeitpunkt vor der Insolvenzeröffnung eine endgültige Betriebseinstellung geplant bzw. mit deren Umsetzung begonnen. Selbst nach Insolvenzeröffnung, der Beklagte hat gegen den Widerruf der Spielbankkonzession am 20.02.2012 Klage zum Verwaltungsgericht Magdeburg erhoben (Verwaltungsgericht Magdeburg, 3 A 53/12, Rn. 9, Juris), hat der Beklagte immer noch vorgetragen, dass auch angesichts der fortgeschrittenen Zeit immer noch der Wiederaufnahmebetrieb der Spielbank erfolgen könne (Verwaltungsgericht Magdeburg, 3 A 53/12, Rn. 10, Juris).

90

Zusammengefasst kommt die Kammer daher zu dem Ergebnis, dass mit der Betriebsänderung durch den Ausspruch der Kündigungen am 23.04.2012 begonnen wurde und dass Planungen zu dieser Betriebsänderung erstmals im Anhörungsschreiben des Beklagten an den Betriebsrat vom 28.2.2012, also rund drei Wochen nach Insolvenzeröffnung, erfolgt sind („ausnahmslos alle bestehenden Arbeitsverhältnisse gekündigt werden sollen“).

91

2.2.3. Der Anspruch auf Nachteilsausgleich gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG steht dem Kläger als sogenannte Altmasseverbindlichkeit zu.

92

Hat die Betriebsänderung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begonnen, so ist ein Anspruch auf Nachteilsausgleich einfache Insolvenzforderung. Wird eine solche Betriebsänderung – wie im Streitfall - nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens beschlossen und durchgeführt, so ist der Anspruch auf Nachteilsausgleich eine Masseverbindlichkeit im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO (BAG 30.05.2006, 1 AZR 25/05, Rn. 11, Juris). Die Einstufung als sogenannte Neu- oder Altmasseverbindlichkeit hängt davon ab, ob die Betriebsänderung nach (neu) oder vor (alt) der Anzeige der Masseunzulänglichkeit beginnt BAG, 04.06.2003, 10 AZR 586/02, Rn. 26 ff).

93

Im vorliegenden Fall hat der Beklagte mit dem Ausspruch der Kündigungen und damit mit der Betriebsstilllegung am 23.04.2012 begonnen, fast vier Monate vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit, der Anspruch des Klägers auf Nachteilsausgleich ist daher als Altmasseverbindlichkeit einzuordnen.

94

2.2.4. Der Beklagte hat die von ihm geplante Betriebsänderung (siehe oben Ziffer 2.2.2.) mit dem Ausspruch der Kündigungen am 23.04.2012 durchgeführt, ohne über sie einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat ausreichend versucht zu haben.

95

Ein solcher Versuch liegt nur dann vor, wenn vom Arbeitgeber alle Möglichkeiten einer Einigung ausgeschöpft wurden. Er muss, falls keine Einigung mit dem Betriebsrat möglich ist und dieser nicht selbst die Initiative ergreift, die Einigungsstelle anrufen, um dort einen Interessenausgleich zu versuchen (BAG 26.10.2004, 1 AZR 493/03, Rn. 22, Juris).

96

Unstreitig hat der Beklagte vor dem Ausspruch der Kündigungen am 23.04.2012 nicht die Einigungsstelle angerufen und damit nicht alle Möglichkeiten einer Einigung ausgeschöpft.

97

Der Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, dass der Gesamtbetriebsrat die Verhandlungen über den Abschluss eines Interessenausgleichs mit Beschluss vom 03.04.2012 (Anlage B15, Bl. 119 d. A.) für gescheitert erklärt und selbst beschlossen hatte, die Einigungsstelle anzurufen, offensichtlich ohne dies tatsächlich zu tun. Nicht dem Betriebsrat, sondern dem Unternehmer ist die gesetzliche Pflicht auferlegt, vor Durchführung einer geplanten Betriebsänderung einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat ausreichend zu versuchen.

98

Bei einer Betriebsänderung sind die Rollen zwischen Betriebsrat und Unternehmer unterschiedlich verteilt. Das Interesse des Betriebsrates ist in der Regel auf den Abschluss eines Sozialplans gerichtet, während der Unternehmer hier meist keine übertriebene Initiative an den Tag legt. Anders ist dies bei den Interessenausgleichsverhandlungen. Um etwaige Kündigungen aussprechen zu können, ohne Ansprüche nach § 113 Abs. 3 BetrVG auszulösen, besteht hier meist ein großes Interesse des Unternehmers, bei den Interessenausgleichsverhandlungen schnell voran zu kommen. Der Betriebsrat ist hingegen bei den Interessenausgleichsverhandlungen meist nicht an einem schnellen Verhandeln und Scheitern der Verhandlungen interessiert, weil er von der Hoffnung getragen ist, dass der Unternehmer zur Vermeidung von Ansprüchen nach § 113 Abs. 3 BetrVG keine Kündigungen ausspricht, solange das Scheitern der Interessenausgleichsverhandlungen in der Einigungsstelle nicht durch Beschluss festgestellt worden ist. Mit einem Verzögern der Interessenausgleichsverhandlungen kann er also eventuell den Ausspruch von Kündigungen hinausschieben.

99

Die Anrufung der Einigungsstelle vor Ausspruch der Kündigungen am 23.04.2012 lag daher im alleinigen Interesse des Beklagten. Warum er die Einigungsstelle nicht angerufen hat, erschließt sich der Kammer nicht.

100

In diesem Zusammenhang ist deutlich zu machen, dass das Verhalten des Gesamtbetriebsrates, mit Beschluss vom 03.04.2012 die Verhandlungen für gescheitert zu erklären und die Einigungsstelle anzurufen, ohne den Beschluss dann tatsächlich umzusetzen, nicht als treuwidrig eingeordnet werden kann. Wie oben dargelegt, liegt es im alleinigen Interesse des Unternehmers, der eine Betriebsänderung durchführen möchte, die Einigungsstelle möglichst rasch anzurufen, um dort den Versuch eines Interessenausgleichs zu unternehmen und gegebenenfalls das Scheitern der Interessenausgleichsverhandlung festzustellen. Nicht der Betriebsrat wollte Kündigungen aussprechen, sondern der Beklagte. Er kann sich daher keinesfalls darauf verlassen, dass der Betriebsrat nach dem Inhalt seines Beschlusses vom 03.04.2012 hier selbst initiativ wird, um dem Beklagten den Ausspruch der Kündigungen zu erleichtern. Vielmehr wusste der Beklagte zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigungen positiv, dass eine Einigungsstelle wegen der Interessenausgleichsverhandlungen nicht getagt hat. Er hat nämlich an einer solchen nicht teilgenommen. Er wusste daher genau, dass er die Kündigungen aussprach, ohne einen ausreichenden Versuch zum Abschluss eines Interessenausgleichs unternommen zu haben. Auf § 242 BGB kann er sich deshalb nicht berufen.

101

Der Beklagte kann sich in diesem Zusammenhang auch nicht darauf berufen, dass ihm zur Durchführung des Einigungsstellenverfahrens jedwelche finanzielle Mittel gefehlt hätten. Dieser Vortrag stellt eine von dem Gericht nicht zu überprüfende Behauptung ins Blaue hinein dar. Die Anrufung der Einigungsstelle hätte vor Ausspruch der Kündigungen im April 2012 erfolgen müssen, die Massearmut ist erst Mitte August 2012 festgestellt worden, also rund vier Monate später. Die erkennende Kammer kann daher nicht davon ausgehen, dass Massearmut auch schon im April 2012 vorgelegen hat, sonst hätte der Beklagte dies gegenüber dem Insolvenzgericht anzeigen müssen. Im Übrigen hält der Beklagte auch keinen Vortrag dahingehend, dass er gesetzestreu die Einigungsstelle angerufen habe, jedoch der Zusammentritt der Einigungsstelle wegen der angespannten finanziellen Lage gescheitert sei.

102

2.2.5. Der Beklagte konnte die in den Kündigungen liegende Betriebsänderung auch nicht ohne das Verfahren nach § 112 Abs. 2 BetrVG durchführen, weil hierzu eine Zustimmung des Arbeitsgerichts vorlag, § 122 Abs. 1 InsO.

103

Der hierzu erforderliche Antrag wurde von dem Beklagten erst am 14.08.2012 beim Arbeitsgericht Magdeburg gestellt. Die erkennende Kammer schließt sich hier der Rechtsauffassung des Arbeitsgerichts Magdeburg an (21.11.2011, 5 BV 100/12), dass der ursprünglich am 14.08.2012 gestellte Antrag nach § 122 InsO unzulässig war, weil die Betriebsänderung, die hier in der Kündigung sämtlicher Arbeitsverhältnissen gelegen hat, bereits in der Zeit vom 23.04.2012 bis 25.04.2012 und damit bereits rund vier Monate vor Einreichung des Antrages nach § 122 InsO erfolgt ist und damit bereits keine geplante Betriebsänderung im Sinne des § 122 InsO vorlag. Der Beklagte hat daher die Möglichkeit des § 122 InsO nicht genutzt.

104

2.2.6. Soweit der Beklagte die Einschränkung des Mitbestimmungsrechts des Gesamtbetriebsrats unter Berufung auf eine zu § 87 BetrVG ergangene Entscheidung des BAG vom 11.12.2012 (1 ABR 78/11) annimmt, so trifft dies für den Streitfall nicht zu. § 87 und die §§ 111 ff BetrVG stellen gänzlich unterschiedliche Regelungsbereiche der Betriebsverfassungsgesetzes dar. § 87 BetrVG ist im Wesentlichen dem Direktionsrecht des Arbeitgebers (§106 GewO) gegenübergestellt. Schon in §106 Satz 1 GewO ist das Weisungsrecht des Arbeitgebers ausdrücklich durch gesetzliche Vorschriften eingeschränkt, auch § 87 Abs. 1 BetrVG räumt demzufolge dem Betriebsrat ein das Weisungsrecht begleitendes Mitbestimmungsrecht nur ein, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht. Wo schon wegen gesetzlicher Regelung kein Weisungsrecht besteht (z. B. gesetzliches Rauchverbot), kann auch kein Mitbestimmungsrecht (z. B. über ein Rauchverbot gemäß § 87 Abs. 1 Ziffer 1 BetrVG) bestehen. Ein Konzessionsentzug führt vorliegend nicht zu einer Einschränkung der Mitbestimmungsrechte des Gesamtbetriebsrats nach § 112 Abs. 2 BetrVG. Durch einen Konzessionsentzug lässt sich vielleicht für den Gesamtbetriebsrat die Betriebsstilllegung nicht mehr vermeiden, die Durchführung der Betriebsstilllegung und damit die Rechte des Betriebsrats nach § 112 Abs. 2 BetrVG bleiben aber von einer behördlichen Entscheidung unberührt. Auch nach dem Konzessionsentzug musste der Beklagte die unternehmerische Entscheidung treffen, ob er gegen den Konzessionsentzug vorgeht und den Betrieb deshalb noch nicht einstellt oder er Konzessionsentzug hinnimmt und den Betrieb deshalb einstellt. Genau die Umsetzung dieser unternehmerischen Entscheidung unterliegt der Mitbestimmung nach den §§ 111 BetrVG.

105

2.2.7. Letztlich war der Versuch des Abschlusses eines Interessenausgleichs mit dem Betriebsrat auch nicht deshalb entbehrlich, weil Verhandlungen über einen Interessenausgleich "nichts anderes als eine leere Formalität gewesen und den betroffenen Arbeitnehmern nur Nachteile bringen können".

106

Wie das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 22.07.2003 (1 AZR 541/02, Rn. 17, Juris) ausführt, entfällt die Verpflichtung, wegen der Stilllegung des Betriebes den Versuch eines Interessenausgleichs mit dem Betriebsrat zu unternehmen nicht deshalb, weil die Stilllegung des Betriebes die unausweichliche Folge einer wirtschaftlichen Zwangslage ist und es zu ihr keine sinnvollen Alternativen gibt. Zum einen will § 111 BetrVG nach seinem sozialen Schutzzweck alle darin aufgezählten für die Arbeitnehmer nachteiligen Maßnahmen erfassen, die dem Verantwortungsbereich des Unternehmers zuzurechnen sind. Dies gilt auch für Maßnahmen, die mehr oder weniger durch die wirtschaftliche Situation "diktiert" werden. Vor allem aber geht es bei dem Interessenausgleich, den der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat zu versuchen hat, nicht nur um die Entscheidung, ob die Betriebsänderung überhaupt erfolgen, sondern regelmäßig auch darum, wie sie durchgeführt werden soll. Der Betriebsrat soll die Möglichkeit haben, im Interesse der Arbeitnehmer auf Modalitäten wie etwa den Zeitpunkt von Entlassungen und Freistellungen oder die Beschäftigung von Arbeitnehmern mit Abwicklungsarbeiten Einfluss zu nehmen. Welche Vorstellungen er hierzu entwickelt und welche Modalitäten er dem Arbeitgeber vorschlägt, ist seine Angelegenheit.

107

Wie das Bundesarbeitsgericht in der vorgenannten Entscheidung weiter ausführt (1 AZR 541/02, Rn. 18, Juris), beruht das mit Urteil vom 23.01.1979 (1 AZR 64/76) damals gefundene gegenteilige Ergebnis, nachdem Verhandlungen über einen Interessenausgleich mit der Erwägung für entbehrlich gehalten wurden, sie seien unter den gegebenen Umständen "nichts anderes als eine leere Formalität gewesen und hätten den betroffenen Arbeitnehmern nur Nachteile bringen können", auf einem besonderen Fall, in dem das Konkursverfahren nicht einmal eröffnet, sondern der darauf gerichtete Antrag des Unternehmens mangels einer den Kosten des Verfahrens entsprechenden Masse abgewiesen wurde.

108

Hier ist der Beklagte der Rechtsauffassung, dass der durch das BAG mit Urteil vom 23.01.1979 (1 AZR 64/76) entschiedene Fall, bei dem das Konkursverfahren nicht einmal eröffnet, sondern der darauf gerichtete Antrag des Unternehmens mangels einer den Kosten des Verfahrens entsprechenden Masse abgewiesen wurde, absolut vergleichbar sei mit dem vorliegenden Fall der Masseunzulänglichkeit, weshalb der Versuch eines Interessenausgleichs entbehrlich gewesen wäre.

109

Zwei Argumente sprechen gegen die Rechtsauffassung des Beklagten, dass hier der Versuch eines Interessenausgleichs entbehrlich gewesen wäre:

110

Erstens führt das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 23.07.2003 (1 AZR 541/02, Rn. 18, Juris) aus, dass im Rahmen eines eröffneten Insolvenzverfahrens der Versuch eines Interessenausgleichs nicht entbehrlich ist und vorliegend handelt sich um ein eröffnetes Insolvenzverfahren.

111

Zweitens lag zu dem Zeitpunkt, zu dem der Beklagte den Versuch zum Abschluss eines Interessenausgleichs zur Vermeidung eines Anspruchs gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG hätte unternehmen müssen, nämlich vor dem Ausspruch der Kündigungen am 23.04.2012, noch keine Massearmut vor. Massearmut hat der Beklagte erst am 17.08.2012 angezeigt. Selbst wenn also der 1979 entschiedene Fall, nach dem der Versuch zum Abschluss eines Interessenausgleichs bei einem Unternehmen, bei dem der Konkursantrag mangels einer den Kosten des Verfahrens entsprechenden Masse abgewiesen wurde, einem massearmen Insolvenzverfahrens gleichzusetzen wäre, lag hier im entscheidenden Zeitraum vor Ausspruch der Kündigungen am 23.04.2012 kein massearmes Insolvenzverfahren vor.

112

Als Unterschied zu dem mit Urteil vom 23.07.2003 (1 AZR 541/02) entschiedenen Fall bleibt, dass dem Beklagten zum Zeitpunkt des Beginns der Betriebsstilllegung am 23.04.2012 tatsächlich wohl kein oder allenfalls wenig Gestaltungsspielraum mehr verblieben war, an deren Ausfüllung der Betriebsrat beteiligt werden konnte. Es war dem Beklagten offensichtlich gar nicht möglich, die Spielbanken wieder in Betrieb zu nehmen, er hatte keine Betriebsmittel mehr und Räumlichkeiten, welche nach § 2 Abs. 6 SpielbG-LSA von der Spielbankzulassung umfasst sind, standen ihm nicht mehr zur Verfügung. Die Konzession gehörte nicht einmal zur Insolvenzmasse, was dem Beklagten jedoch zum damaligen Zeitpunkt offensichtlich nicht bekannt gewesen ist (siehe Bericht vom 30.1.2012 Seite 12, in dem die Konzession noch als den herausragender Vermögenswert der Insolvenzschuldnerin bezeichnet wurde).

113

Die erkennende Kammer sieht jedoch auch in dem hier vorliegenden Fall, dass kein oder kein wesentlicher Gestaltungsspielraum verbleibt, den Unternehmer nicht von der Pflicht befreit, mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich zu versuchen. Gerade wenn der Verhandlungs- und Gestaltungsspielraum gering ist, ist ein solcher Versuch zum Abschluss eines Interessenausgleichs in der Regel schnell durchgeführt.

114

Im Übrigen bleibt wegen den gegenüber der Konkursordnung inzwischen geltenden Regelungen der Insolvenzordnung kein Raum für eine dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 23.01.1979 (1 AZR 64/76) entsprechende Entscheidung, welche zudem gegen den eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 112 Abs. 2 BetrVG verstoßen würde, der keine Ausnahme von der Verhandlungspflicht des Arbeitgebers vorsieht. Denn inzwischen hat der Gesetzgeber mit § 122 InsO dem Insolvenzverwalter die Möglichkeit eingeräumt, unter bestimmten Voraussetzungen die gerichtliche Zustimmung des Arbeitsgerichts dazu zu beantragen, dass die Betriebsänderung ohne das Verfahren nach § 112 Abs. 2 BetrVG durchgeführt wird. Auch das von dem Beklagten vorgebrachte Argument, der umfassende "Schutz der Masse" nach den §§ 123 -127 InsO müsse beachtet werden, überzeugt die Kammer nicht. Dem umfassenden Schutz der Masse ist bereits durch die Regelung des § 122 InsO genüge getan.

115

2.2.8. Nach §§ 113 Abs. 1 und 3 BetrVG, § 10 Abs.1 bis 3 KSchG war der Abfindungsbetrag auf 22.508,- € brutto festzulegen, zur Berechnung wird auf die Ausführungen in dem angegriffenen Urteil Bezug genommen, welche sich die erkennende Kammer anschließt. Eine Begrenzung ergibt sich vorliegend nicht aus § 123 Abs. 1 InsO, die Kammer schließt sich hier den Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts im Urteil vom 22.07.2003 an (1 AZR 541/02, Rn. 25, Juris). Die Vorschrift gilt für Sozialpläne, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgeschlossen werden, eine analoge Anwendung auf den Nachteilsausgleich scheidet aus. Eine Reduzierung der Forderung wegen eines "treuwidrigen" Verhaltens des Gesamtbetriebsrates kommt nicht in Betracht. Wie oben ausführlich dargelegt, liegt kein treuwidriges Verhalten des Gesamtbetriebsrates vor. Auch eine Reduzierung der Forderung wegen der Massearmut scheidet aus, da vom Zeitpunkt des Entstehens der Forderung eine solche noch nicht vorlag.

II.

116

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 97 Abs. 1 ZPO. Danach hat der Beklagte die Kosten seines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels zu tragen.

III.

117

Gegen diese Entscheidung wird die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen, § 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG.


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