Urteil vom Landgericht Hamburg (7. Zivilkammer) - 307 O 136/19

Tenor

1. Der Arrestbefehl und Pfändungsbeschluss der Kammer vom 17.04.2019 wird aufgehoben, der Antrag auf Erlass des Arrestes zurückgewiesen.

2. Die Arrestklägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Arrestklägerin darf die Vollstreckung durch eine Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Arrestbeklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Beschluss

Der Streitwert wird für die Zeit bis zum 16.04.2019 auf 4.103.922,00 und ab dem 17.04.2019 auf 1.299.666,67 € festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Arrestklägerin macht Bürgschafts- sowie auf unerlaubte Handlungen gestützte Schadensersatzansprüche gegen den Arrestbeklagten geltend und begehrt insoweit deren Sicherung im Wege des dinglichen Arrestes. Die geltend gemachten Ansprüche stehen im Zusammenhang mit Darlehen, die in dem Zeitraum von August 2015 bis Dezember 2018 in einem Gesamtvolumen von ca. 12,3 Mio. € ausgereicht wurden.

2

Die Arrestklägerin wurde im Jahr 2015 in der Rechtsform einer GmbH gegründet. Ausweislich des Handelsregisters lag und liegt der Gegenstand ihres Unternehmens in der Verwaltung von Liegenschaften und eigenem Vermögen sowie allen damit zusammenhängenden genehmigungsfreien Tätigkeiten; in dem für das vorliegende Verfahren relevanten Zeitraum war als ihr Geschäftsführer bis zum Januar 2018 zunächst Herr E. P. und sodann Frau T. W. bestellt (Anlage ASt 1). Alleinige Gesellschafterin der Arrestklägerin war und ist die E. W. AG („W.“), welcher im Zusammenhang mit der sogenannten „G. F.“-Affäre zuletzt überregionale mediale Aufmerksamkeit zuteilwurde. Die Anteile an der W. wurden anfänglich ausschließlich von der Frau B. R. gehalten. Spätestens seit November 2010 werden die Anteile an der W. von der von Frau R. im Jahr 2009 errichteten S. Stiftung (6 %) sowie der S.-Vermögensverwaltungsgesellschaft mbH (94 %), deren alleinige Gesellschafterin wiederum die S. Stiftung ist, gehalten (vgl. Anlagen ASt 65 und AG 39).

3

Der Arrestbeklagte ist Rechtsanwalt mit Kanzleisitz in H.. Bis Ende Februar 2019 war er daneben als Honorarkonsul der M. tätig (Anlage AG 16); ein Kanzleiengagement im mongolischen U. wickelt er derzeit ab. Ab dem Jahr 2009 übernahm der Arrestbeklagte geschäftsleitende Funktionen bei der W. und deren Gesellschafterinnen. So wurde er im Jahr 2009 zunächst zum einzelvertretungsberechtigten Vorstandsmitglied der W. bestellt und übte dieses Amt ab dem Jahr 2011 gemeinsam mit Herrn K. W. als weiterem Vorstandsmitglied aus. Des Weiteren war er im vorliegend relevanten Zeitraum alleiniger Vorstand der S. Stiftung sowie Geschäftsführer der S.-Vermögensverwaltungsgesellschaft mbH. Im Übrigen war der Arrestbeklagte im Hinblick auf den Nachlass der im Januar 2018 verstorbenen Frau R. als Testamentsvollstrecker eingesetzt (Anlage ASt 6); zu Lebzeiten hatte Frau R. den Arrestbeklagten für den Fall ihrer ärztlich nachgewiesenen Handlungsunfähigkeit im Jahr 2012 mit einer über ihren Tod hinaus geltenden Generalvollmacht ausgestattet (Anlage ASt 11).

4

Zwischen dem 13.08.2015 und dem 21.12.2018 leistete die W. unbesicherte, als Darlehen deklarierte Zahlungen in einem Gesamtvolumen von 12.311.766,00 € an die Arrestklägerin. Die Zahlungen erfolgten dabei jeweils auf Veranlassung des Arrestbeklagten und Herrn W.; schriftliche Vereinbarungen wurden nicht aufgesetzt. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die in der Antragsschrift enthaltene tabellarische Übersicht (Bl. 14 d.A.) verwiesen.

5

Die Arrestklägerin reichte die empfangenen Geldmittel ihrerseits als Darlehen an die I. GmbH weiter, und zwar in einem Zeitraum, in dem deren Anteile zu je 50 % von der im wirtschaftlichen Eigentum des Arrestbeklagten stehenden – damals noch unter dem Namen J. I. GmbH firmierenden – R. G. GmbH sowie der im wirtschaftlichen Eigentum des Herrn W. stehenden KWV K. W. V. Gesellschaft mbH gehalten wurden und Herr E. P. als deren Geschäftsführer bestellt war. Die von der Arrestklägerin an die I. GmbH ausgereichten Darlehen wurden dabei nur zum Teil durch schriftliche Vereinbarungen abgebildet. So existieren lediglich fünf – im Wesentlichen inhaltsgleiche – Darlehensverträge über ein Gesamtvolumen von 3.899.000,00 €, und zwar datierend auf den 23.11.2015, 24.11.2015, 03.08.2015, 20.11.2015 und 09.12.2016 (Anlagenkonvolut ASt 19). In diesen schriftlichen Darlehensverträgen haben sich der Arrestbeklagte sowie Herr K. W. jeweils in § 5 als Gesamtschuldner gegenüber der Arrestklägerin für die Darlehensforderungen verbürgt.

6

Die I. GmbH reichte die empfangenen Geldmittel in der Folge ihrerseits als Darlehen in einem Gesamtvolumen von mindestens 9.574.157,02 € weiter, und zwar an im In- und Ausland sitzende Tochtergesellschaften sowie Gesellschaften, an denen sie nicht unerhebliche Beteiligungen hielt (vgl. hierzu Anlage ASt 62 sowie das Organigramm auf Bl. 13 d.A.). Zwischen den Parteien steht im Streit, ob die Geldmittel im Ergebnis tatsächlich existierenden sowie werthaltigen Projekten zugeführt worden sind. Auf die diesbezüglichen wechselseitigen Ausführungen der Parteien wird verwiesen.

7

Zins- oder Tilgungsleistungen erbrachte die I. GmbH zu keinem Zeitpunkt; auch eine Rückführung der Darlehen an die W. erfolgte nicht.

8

Im Zusammenhang mit den vorstehenden Vorgängen hatte der – sich seinerzeit u.a. aus Frau R. zusammensetzende – dreiköpfige Aufsichtsrat der W. am 20.04.2016 den folgenden Beschluss gefasst (Anlage AG 3):

9

„3. Die 100%ige Tochter der Gesellschaft, E. E. W. V. GmbH, wird ermächtigt die Investitionen, Beteiligungen und Darlehen auf bis zu 8.0 Mio. EUR zu erhöhen. Die Form und die Einzelheiten der Geldanlagen obliegen dabei der Verantwortung und Entscheidung der Vorstände der E. W. AG. Die Weitergabe in Form von ggf. auch unbesicherten Darlehen an die I. GmbH als Investitionsgesellschaft wird befürwortet und soll durch die Hauptversammlung genehmigt werden.“

10

Am 24.11.2017 hatte der Aufsichtsrat diesen Beschluss dahingehend erneuert, dass die Arrestklägerin ihr Engagement auf bis zu 12,0 Mio. € erhöhen dürfe (Anlage AG 4).

11

Während der Amtszeit des Arrestbeklagten und des Herrn W. reichte die W. überdies auch – zum Teil unbesicherte – Darlehen aus an den Arrestbeklagten über 86.000,00 €, 40.000,00 € sowie 45.000,00 € (Geschäftsjahre 2014 und 2016), an die – bereits seit dem Jahr 2013 bilanziell überschuldete – heutige R. G. GmbH über 520.000,00 € bzw. 70.000,00 € (Geschäftsjahre 2013 und 2014), an die damals im wirtschaftlichen Eigentum des Arrestbeklagten stehende mongolische U. LLC über 55.000,00 € (Geschäftsjahre 2015) sowie an die damals im wirtschaftlichen Eigentum des Arrestbeklagten und Herrn W. stehende S1 GmbH über 130.000,00 € (Geschäftsjahr 2013). Daneben schloss die W. weitere – jedenfalls nach Auffassung der Arrestklägerin als fragwürdig zu bezeichnende und zum Nachteil der W. führende – Geschäfte ab, und zwar u.a. mit der H. M. GmbH, der W. GmbH & Co. KG, der I. GmbH, der I. S. GmbH, der E. E. G. GmbH, W. B. I. I. GmbH & Co. KG sowie der S1 I. & S2 T. GmbH. Sodann schlossen der Arrestbeklagte und die W. am 01.05.2014 eine Kontokorrentvereinbarung (Anlage ASt 78), ausweislich derer, je nach Liquiditätsbedarf, ein Betrag von bis zu 500.000,00 € von der jeweils anderen Vertragsseite abgezogenen werden kann. Wegen der Einzelheiten wird auf die wechselseitigen Ausführungen der Parteien verwiesen.

12

Im November 2017 traten der Arrestbeklagte und Herr W. an zwei Wirtschaftsprüfungsgesellschaften heran, um die W. im Hinblick auf einen etwaigen Management Buyout bewerten zu lassen (Anlagen ASt 13 und ASt 47).

13

Im August 2018 übertrug der Arrestbeklagte seine Anteile an der R. G. GmbH an die zypriotische R. I. G. Limited.

14

Ende des Jahres 2018 gerieten die W. und ihr Vorstand wegen des Vorwurfs der Bestechlichkeit im Zusammenhang mit der Instandsetzung des Segelschulschiffes „G. F.“ in den Fokus der Staatsanwaltschaft sowie der überregionalen Presseberichterstattung.

15

Am 14.01.2019 entnahm der Arrestbeklagte dem Nachlasskonto R. in seiner Eigenschaft als Testamentsvollstrecker per Eilüberweisung einen als „Vorschuss/Abschlag“ deklarierten Betrag in Höhe von 180.000,00 €.

16

Am 17.01.2019 erwirkten die Angehörigen der verstorbenen Frau R., dass dem Arrestbeklagten die weitere Ausübung seiner Vorstandstätigkeit für die S. Stiftung einstweilen durch die F. u. H. H. – J. Behörde – untersagt wurde (Anlage ASt 59, dort „Anlage 34“).

17

Am 18.01.2019 bestellte das Amtsgericht H. – Registergericht auf Antrag der J. Behörde die Herren Dres. S. S. und J. V. zum gemeinschaftlich vertretungsberechtigten Notvorstand der S. Stiftung (Anlage ASt 15). Im Übrigen hob der Arrestbeklagte an diesem Tag von seinem Konto, auf dem zuvor der o.a. Betrag von 180.000,00 € gutgebracht worden waren, 15.000,00 € ab und überwies u.a. 10.000,00 € an „A. E.“, sowie weitere 20.000,00 € (2 x 10.000,00 €) an die „S. H.“ zu dem Verwendungszweck „Auslagen offene Posten“.

18

Am 24.01.2019 überwies er von seinem vorerwähnten Konto weitere 60.000,00 € (6 x 10.000,00 €) an die „R. I. G. Ltd.“ zu dem Verwendungszweck „Transfer“. Hinsichtlich der übrigen Kontobewegungen wird auf Anlage AG 48 verwiesen.

19

Am 28.01.2019 beschloss der Notvorstand, den Arrestbeklagten mit sofortiger Wirkung als Geschäftsführer der S.-Vermögensverwaltungsgesellschaft mbH abzuberufen und bestellte zugleich Dr. M. S. zum neuen Geschäftsführer (Anlage AG 24). Noch im Januar 2019 wurden der Arrestbeklagte sowie Herr W. sodann auch als Vorstand der W. abberufen (vgl. Anlage ASt 3).

20

Ausweislich eines im Termin zur mündlichen Verhandlung von dem Beklagtenvertreter zur Einsicht vorgelegten schriftlichen Sachverständigengutachtens vom 09.04.2019 ließ der Arrestbeklagte die ihm gehörende Liegenschaft an der E. Chaussee ... in ... H. am 01.02.2019 zum Zwecke der Wertermittlung besichtigen. An dieser Anschrift unterhielt der Arrestbeklagte bis dahin seine Rechtsanwaltskanzlei sowie sein Honorarkonsulat. Der Sachverständige B. ermittelte ausweislich seines Gutachtens einen Verkehrswert von 1.950.000,00 €. Ein weiteres – ebenfalls von dem Beklagtenvertreter im Termin vorgelegtes – Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. R. vom 14.08.2012 weist für die Liegenschaft einen Marktwert von 1.600.000,00 € aus.

21

Am 05.02.2019 informierte der Arrestbeklagte die C. Bank AG darüber, dass er den Verkauf der ihm gehörenden Liegenschaft E. Chaussee ... in ... H. beabsichtige (vgl. Anlage AG 14).

22

Am 19.02.2019 wurden sämtlicher Anteile an der I. GmbH an die Arrestklägerin für einen Kaufpreis von 1,00 € übertragen (Anlage ASt 18). In den Vorbemerkungen des Vertrages heißt es u.a.:

23

„Der Erwerber [Arrestklägerin] beabsichtigt, mit seinen Darlehensrückzahlungsansprüchen im Rang hinter sonstige Forderungen Dritter gegenüber der Gesellschaft [I. GmbH] zurückzutreten, um eine drohende Insolvenz abzuwenden.“

24

Am 20.02.2019 stellte die W. durch ihren neuen Vorstand einen Insolvenzantrag bei dem Amtsgericht N. – Insolvenzgericht – (Anlage ASt 14).

25

Am 21.02.2019 verkaufte der Arrestbeklagte die Liegenschaft E. Chaussee ... in ... H. für 1.800.000,00 € an die M1 Vermögensverwaltungsgesellschaft mbH; die für die Käuferin bewilligte Auflassungsvormerkung wurde am 02.04.2019 in das Grundbuch eingetragen (Anlage ASt 51a). Zu diesem Zeitpunkt valutierten die auf dem Grundstück lastenden Grundschulden unter Berücksichtigung eines zu verrechnenden Bausparguthabens auf ca. 1,0 Mio. € (Anlage AG 12).

26

Am 27.02.2019 übertrug der Arrestbeklagte seine mittelbar an der S. H. GmbH gehaltene Beteiligung von 70 % für einen Kaufpreis von 1,00 € an einen Mitgesellschafter. Die Gesellschaft war zu diesem Zeitpunkt bereits handelsbilanziell überschuldet (Anlagen AG 10 und 11).

27

Mit Ablauf des 28.02.2019 erlosch die dem Arrestbeklagten erteilte Exequatur als Honorarkonsul der M. (Anlage AG 16).

28

Mit Schreiben vom 26.03.2019 wurde die Staatsanwaltschaft O. von dem anwaltlichen Vertreter des Arrestbeklagten darüber unterrichtet, dass sich dieser in der Zeit vom 04.04. bis zum 18.04.2019 in B. aufhalten werde (Anlage AG 36a). Der Ankündigung entsprechend reiste der Arrestbeklagte sodann auch nach B.. Nach seiner Rückkehr am 20.04.2019 meldete er seinen Wohnsitz am 26.04.2019 beim Bezirksamt A. um (Anlage AG 17).

29

Am 01.05.2019 beschloss das Amtsgericht N. – Insolvenzgericht – die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der W. (Anlage ASt 53).

30

Am 09.05.2019 beschloss das Amtsgericht H.- B. – Nachlassgericht – auf Betreiben sowohl des Notvorstandes des S. Stiftung (Anlage AG 21) als auch der Angehörigen der verstorbenen Frau R. (Anlagen ASt 59 und 73) die Entlassung des Arrestbeklagten als Testamentsvollstrecker (Anlage ASt 77).

31

Infolge der jüngeren Ereignisse um die W. und seine Person sowie der damit einhergegangenen Presseberichterstattung, welche ihm schwer zugesetzt hat, sind dem Arrestbeklagten anwaltliche Kosten in Höhe von ca. 170.000 € entstanden (Anlagenkonvolut AG 15), welche derzeit noch offen sind. Der Veräußerungsgewinn der Liegenschaft E. Chaussee ... in ... H., welche der Arrestbeklagte steuerlich in seinem Betriebsvermögen gehalten hat, ist in Höhe von etwa 300.000 € zu versteuern.

32

Die Arrestklägerin trägt vor:

33

Der Arrestbeklagte sei ihr aus § 826 BGB sowie § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 Abs. 1 StGB zum Schadensersatz verpflichtet.

34

Der Arrestbeklagte wie auch Herr W. hätten ihre Pflichten als Vorstand der W. in grob rechtswidriger Weise verletzt; sie seien Mittäter von zum Nachteil der W. begangener Untreuestraftaten. Beide hätten von vornherein das Ziel verfolgt, die bei der W. vorhandene Liquidität zur Finanzierung eigener Investments einzusetzen.

35

Zur Umsetzung dieses Tatplanes habe der Arrestbeklagte Schlüsselpositionen mit nahestehenden oder wirtschaftlich von ihm abhängigen Personen besetzt, u.a. mit dem mit ihm eng befreundeten Herrn P., der stets den Anweisungen des Arrestbeklagten entsprechend gehandelt habe. Ein kollusives Zusammenwirken des Arrestbeklagten mit den Herren W. und P. werde dabei durch ein Anfang des Jahres 2019 erstelltes handschriftliches Gesprächsprotokoll (Anlage ASt 22) untermauert. Sie, die Arrestklägerin, sei nur deshalb gegründet worden, um die von der W. empfangenen Gelder an das damals im wirtschaftlichen Eigentum des Arrestbeklagten und Herrn W. stehende Firmengeflecht im In- und Ausland zu transferieren. Der Transfer mittels Darlehen sei deshalb gewählt worden, weil die W. die Forderungen auf diese Weise in den Jahresabschlüssen nicht als „Forderungen gegen nahestehende Personen“ habe ausweisen müssen. Auf dem freien Markt wäre der Arrestklägerin die Akquirierung gleichvolumiger Darlehen nicht möglich gewesen.

36

Frau R. habe bereits während der von ihr mitgefassten Aufsichtsratbeschlüsse (Anlage AG 3 und 4) aufgrund ihrer Erkrankung unter erheblichem Medikamenteneinfluss mit teilweise schizoider Wirkung gestanden; deshalb sei sie sich auch nicht der Tragweite ihrer Entscheidungen bewusst gewesen. Im Übrigen habe auch Frau R. in ihrer Funktion als Aufsichtsratmitglied seinerzeit eine Betreuungspflicht im Hinblick auf das Vermögen der W. getroffen.

37

Die der I. GmbH zugeflossenen Geldmittel seien größtenteils für Projekte verwendet worden, die in keinerlei Zusammenhang mit den Gesellschaftszwecken der W. wie auch der Arrestklägerin stünden. Dies gelte vor allem im Hinblick auf die Finanzierung von mongolischen Unternehmen, soweit diese mit der Produktion von Stahlkugeln, der Errichtung einer „Laser Tag“-Anlage oder dem Erwerb von Goldschürfrechten befasst waren.

38

Angesichts der derzeitigen Liquiditätslage der I. GmbH sei diese auch nicht in der Lage, die Darlehen zurückzuzahlen, so dass mit einem vollständigen Forderungsausfall zu rechnen sei.

39

Im Übrigen sei ihr der Arrestbeklagte aus § 765 Abs. 1 BGB zur Zahlung verpflichtet. Dass die durch die Bürgschaften abgesicherten Darlehensforderungen noch nicht fällig gestellt seien, stehe der Qualifikation als Arrestanspruch in Ansehung des § 916 Abs. 2 ZPO nicht entgegen.

40

Ein Arrestgrund sei schon deshalb gegeben, da der Arrestbeklagte auch über Vermögen im außereuropäischen Ausland verfüge. Ungeachtet dessen stünden ihr aber auch hinreichende weitere Arrestgründe zur Seite.

41

So sei anerkannt, dass bereits die Begehung einer vermögensbezogenen Straftat des Schuldners, wie sie auch hier zum Nachteil der W. sowie des Nachlasses R. vorliege, einen tauglichen Arrestgrund darstelle. Hinzu komme, dass es sich bei den von der I. GmbH getätigten Investitionen letztlich nur um Scheingeschäfte handele und die von der W. stammende Liquidität offenkundig über das Firmengeflecht des Arrestbeklagten und Herrn W. beiseitegeschafft worden sei. An der mongolischen Inhabergesellschaft der angeblichen Goldschürfrechte halte der Arrestbeklagte im Übrigen auch nach dem Verkauf der I. GmbH weiterhin nicht unerhebliche Anteile.

42

Ein zureichender Arrestgrund sei im Übrigen auch darin zu sehen, dass der Arrestbeklagte jüngst seine Liegenschaft an der E. Chaussee ... in ... H. weit unter Wert verkauft habe. So sei die Liegenschaft mindestens 5,4 Mio. € wert.

43

Ein weiteres Beiseiteschaffen von Vermögen sei sodann auch in den Übertragungen der R. G. GmbH an die zypriotische R. I. G. Limited sowie der S. H. GmbH an einen Mitgesellschafter zu sehen.

44

Dass der Arrestbeklagte bemüht sei, sein Vermögen vor dem Zugriff der Gläubiger zu schützen, sei auch in der eiligen Entnahme der 180.000,00 € aus dem Nachlass R. sowie der anschließenden Weiterleitung eines nicht unerheblichen Teils davon an die R. I. G. Limited zu sehen.

45

Für den Arrestbeklagte bestehe angesichts der gegen ihn geführten strafrechtlichen Ermittlungen überdies ein erheblicher Fluchtanreiz. Aufgrund seiner früheren Tätigkeit als Honorarkonsul für die M. verfüge er auch über exzellente Verbindungen ins außereuropäische Ausland.

46

Die Kammer hat am 17.04.2019 einen Arrestbefehl und Pfändungsbeschluss folgenden Inhalts erlassen:

47

„1. Wegen und in Höhe eines Anspruchs der Antragstellerin (Gläubigerin) von 3.899.000,00 € wird der dingliche Arrest in das Vermögen des Antragsgegners (Schuldner) angeordnet.

48

2. In Vollzug dieses Arrestes werden bis zu einem Höchstbetrag von 3.899.000,00 € gepfändet

49

a) sämtliche angeblichen Ansprüche des Antragsgegners auf

50

- Zahlung der zu Gunsten des Antragsgegners bestehenden Guthaben seiner sämtlichen Girokonten (insbesondere die nachfolgend aufgezählten Konten) einschließlich der Ansprüche auf Gutschrift der eingehenden Beträge; mitgepfändet wird die angebliche (gegenwärtige und künftige) Forderung des Antragsgegners auf Auszahlung eines vereinbarten Dispositionskredits („offene Kreditlinie“), soweit der Antragsgegner Kredit in Anspruch nimmt;

51

- Auszahlung des Guthabens und der bis zum Tag der Auszahlung aufgelaufenen Zinsen sowie auf fristgerechte bzw. vorzeitige Kündigung der für ihn geführten Sparguthaben und/oder Festgeldkonten, insbesondere aus den nachfolgend aufgeführten Konten;

52

- Auszahlung der bereitgestellten, aber noch nicht abgerufenen Darlehensvaluta aus einem Kreditgeschäft, wenn es sich nicht um zweckgebundene Ansprüche handelt;

53

- Zahlung aus dem zu einem Wertpapierkonto gehörenden Gegenkonto, auf dem die Zinsgutschriften für die festverzinslichen Wertpapiere gutgebracht sind;

54

- Zutritt zu den Bankschließfächern und auf Mitwirkung des Drittschuldners bei der Öffnung des Bankschließfachs bzw. auf die Öffnung des Bankschließfachs allein durch den Drittschuldner zum Zweck der Entnahme des Inhalts gegen die C. Bank AG, vertreten durch den Vorstand, K. Platz, ... F. a. M., aus deren Geschäftsverbindung mit dem Antragsgegner, insbesondere im Hinblick auf das Konto mit der IBAN... (bzw. Konto Nr.... ), das Konto mit der IBAN... und das Konto mit der IBAN... ;

55

b) sämtliche angeblichen Ansprüche des Antragsgegners gegen das Versorgungswerk der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in der F. u. H. H., vertreten durch den Vorsitzenden des Verwaltungsausschusses, E. ..., ... H., auf Zahlung des fortlaufenden Altersruhegeldes, der fortlaufenden Rente wegen Alters-, Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit oder sonstiger fortlaufender Renten in Höhe der nach § 850c ZPO pfändbaren Beträge;

56

c) sämtliche angeblichen Ansprüche des Antragsgegners gegen die R. G. GmbH, vertreten durch die Geschäftsführer, E. Chaussee ... , ... H., auf Auszahlung von Geschäftsführerbezügen in Höhe der nach § 850c ZPO pfändbaren Beträge;

57

d) sämtliche angeblichen Ansprüche des Antragsgegners gegen die M1 Vermögensverwaltungsgesellschaft mbH, vertreten durch ihre Geschäftsführer, N. Str. ... , ... B., auf Kaufpreiszahlung für Erwerb der Liegenschaft E. Chaussee ... , ... H. (eingetragen im Grundbuch des AG H.- A., Grundbuch von O., Blatt... , Flurstück lfd. Nr.... );

58

e) sämtliche angeblichen Ansprüche des Antragsgegners gegen Herrn Notar Dr. M. P., N. W. ..., ... H., auf Auskehrung des Kaufpreises für Verkauf der Liegenschaft E. Chaussee ..., ... H. (eingetragen im Grundbuch des AG H.- A., Grundbuch von O., Blatt..., Flurstück lfd. Nr.... );

59

f) das Motorboot Hersteller Celebrity, Modell 240 CC, Baunummer..., zugelassen unter dem Kleinfahrzeugkennzeichen... .

60

Der Antragsgegner hat sich jeder Verfügung über die gepfändeten Gegenstände und angeblichen Forderungen zu enthalten. Der jeweilige o.g. Drittschuldner darf an den Antragsgegner nicht mehr leisten.

61

3. Durch Hinterlegung eines Betrags in Höhe von 4.093.950,00 € werden die Vollziehung dieses Arrests gehemmt und der Antragsgegner (Schuldner) berechtigt, die Aufhebung des vollzogenen Arrests zu beantragen.

62

4. Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragstellerin zu 2/3 und der Antragsgegner zu 1/3.“

63

Hiergegen hat der Arrestbeklagte am 08.05.2019 Widerspruch erhoben sowie vorab die einstweilige Einstellung der Vollziehung des Arrestbefehls sowie Aufhebung bereits eingeleiteter Vollziehungsmaßnahmen beantragt.

64

Die Arrestklägerin beantragt nunmehr,

65

den Arrestbefehl und Pfändungsbeschluss vom 17.04.2019 aufrechtzuerhalten.

66

Der Arrestbeklagte beantragt,

67

den Arrestbefehl und Pfändungsbeschluss vom 17.04.2019 aufzuheben und den auf Erlass eines Arrestbefehls und Pfändungsbeschlusses gerichteten Antrag der Arrestklägerin vom 15.04.2019 zurückzuweisen.

68

Er trägt vor:

69

Ein tauglicher Arrestanspruch liege nicht vor.

70

Den von der Arrestklägerin geltend gemachten Bürgschaftsforderungen stehe die Einrede der Vorausklage entgegen; die Arrestklägerin müsse sich zunächst an die I. GmbH wenden. Zudem ergebe sich aus dem Anteilsübertragungsvertrag betreffend der I. GmbH vom 19.02.2019 (Anlage ASt 18), dass in Bezug auf die Darlehensforderungen der Arrestklägerin ein Rangrücktritt vereinbart sei; hierauf könne auch er sich berufen.

71

Im Übrigen sei er der Arrestklägerin auch nicht zum Schadensersatz verpflichtet. Zwar sei die von der W. gelebte Investitions- und Anlagepolitik „kein Musterbeispiel für eine solide Unternehmensführung“. Jedoch habe die Art und Weise der Darlehensgewährung sowie deren Größenordnung die ausdrückliche Billigung des Aufsichtsrates der W. gefunden. Es fehle daher bereits an einer Heimlichkeit des Vorgehens. Es sei auch stets geplant gewesen, die Darlehen an die Arrestklägerin zurückzuführen. Aufgrund der gegenwärtigen Liquiditätslage der I. GmbH könne auch keine verlässliche Aussage in Bezug auf die Werthaltigkeit der Darlehensforderungen gegeben werden. Es sei nicht ungewöhnlich, dass die von I. GmbH getätigten Investitionen keine sofortige Rendite abwerfen. Die Geschäfts- und Ertragschancen ergäben sich erst mit der Zeit; er, der Arrestbeklagte, sei jedenfalls bereits, die Arrestklägerin bei der Steigerung der Vermögenswerte sowie der Geschäfts- und Ertragschancen zu unterstützen.

72

Im Übrigen sei auch kein Arrestgrund gegeben.

73

Er habe sich als Vorstand der W. weder strafbar noch pflichtwidrig verhalten. Insbesondere seien von der I. GmbH auch keine Scheingeschäfte vorgenommen worden, insbesondere nicht im Hinblick auf die Goldschürfrechte. Dies zeige bereits die von der Arrestklägerin als Anlage ASt 61 vorgelegte E-Mail. Ausweislich eines eingeholten Gutachtens hätten die Rechte auch einen Wert von 5,684 Mio. € (Anlage AG 6).

74

Er habe auch kein Vermögen beiseite geschafft. Die Übertragung seiner Anteile an der R. G. GmbH sei der Arrestbeklagten seit langem bekannt gewesen. Die S. H. GmbH stelle keinen relevanten Vermögenswert dar.

75

Im Übrigen verkenne die Arrestklägerin, dass er ihr durch die Übertragung der Anteile an der I. GmbH letztlich Vermögen zugeführt habe. Die Arrestklägerin habe über die I. GmbH nunmehr vollen rechtlichen und wirtschaftlichen Zugriff auf das Firmengeflecht. Dass die Arrestklägerin die in dem Firmengeflecht liegenden angeblichen Vermögenswerte durch ein überhastetes Abstoßen von Beteiligungen mindere, könne ihm nicht angelastet werden. Die auch nach der Anteilsübertragung bei ihm verbliebenen Anteile an den Goldschürfrechten halte er nur treuhänderisch für die W.. Er sei jederzeit bereit, diese Anteile nach Aufhebung des Arrestes an die W. zu übertragen.

76

Seine Liegenschaft an der E. Chaussee ... in ... H. habe er verkaufen müssen, um seine übrigen Gläubiger, insbesondere seine anwaltlichen Vertreter, bezahlen zu können. Die Zahlungen erfolgten über die R. I. G. Limited, weshalb er einen Teil der aus dem Nachlass entnommenen 180.000,00 € dorthin überwiesen hat.

77

Sein transparentes Verhalten gegenüber den Strafverfolgungsbehörden sowie seine ankündigungsgemäße Rückkehr nach Deutschland stünden dem von der Arrestklägerin behaupteten Fluchtanreiz entgegen.

78

Die Verhängung eines Arrestes sei schließlich auch vertrags- und treuwidrig. So sei dem Arrestbeklagten in dem Übertragungsvertrag vom 19.02.2019 betreffend die Anteile der I. GmbH jedenfalls konkludent ein faires und geordnetes Verfahren zugesichert worden.

79

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der bis zum Termin zur mündlichen Verhandlung gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die im Termin vorgelegten Unterlagen und das Sitzungsprotokoll vom 17.05.2019 Bezug genommen.

80

Im Hinblick auf den Wert der Liegenschaft E. Chaussee ... in ... H. hat die Kammer Beweis erhoben durch die Einvernahme der präsenten sachverständigen Zeugen L. und K.. Wegen der Einzelheiten der Vernehmung wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

81

Der zulässige Arrestantrag ist unbegründet, denn es fehlt an dem Vorliegen eines Arrestgrundes im Sinne von § 917 ZPO; der erlassene Arrestbeschluss vom 17.04.2019 war deshalb aufzuheben und der Arrestantrag abzuweisen.

82

A. Als taugliche Arrestansprüche stehen der Arrestklägerin jedenfalls aus §§ 765 Abs. 1, 488 Abs. 1 Satz 2 BGB resultierende (betagte) Bürgschaftsforderungen zur Seite.

83

a. In den Darlehensverträgen vom 23.11.2015, 24.11.2015, 03.08.2015, 20.11.2015 und 09.12.2016 (Anlagenkonvolut Ast 19) hat sich der Arrestbeklagte jeweils gesamtschuldnerisch mit Herrn W. gegenüber der Arrestklägerin für die an die I. GmbH ausgereichten Darlehen in einer Gesamthöhe von 3.899.000,00 € persönlich wirksam verbürgt. Dies stellt auch der Arrestbeklagte nicht in Abrede.

84

b. Der Zulässigkeit des Arrestantrages steht insoweit nicht entgegen, dass die Bürgschaftsforderungen angesichts der mangels Kündigung noch nicht eingetretenen Fälligkeit der abgesicherten Darlehensforderungen ihrerseits noch nicht fällig sind, denn nach § 916 Abs. 2 ZPO genügt auch ein bloß betagter oder bedingter Anspruch, es sei denn, dass der bedingte Anspruch wegen der entfernten Möglichkeit des Eintritts der Bedingung einen gegenwärtigen Vermögenswert nicht hat sogar auf künftige Ansprüche kann ein Arrest gestützt werden, solange insoweit Feststellungsklage erhoben werden könnte (Zöller/ Vollkommer, Zivilprozessordnung, 32. Aufl. 2018, § 916 ZPO, Rn. 7 f. m.w.N.).

85

Vorliegend hat die Arrestklägerin zur Überzeugung der Kammer durch Vorlage der eidesstattlichen Versicherungen des Geschäftsführers der I. GmbH vom 15. und 17.04.2019 (Anlagen ASt 24 und 62) hinreichend glaubhaft gemacht, dass diese über keine ausreichenden finanziellen Mittel zur Rückführung der empfangenen Darlehen verfügt, so dass sich das Eintreten des Bürgschaftsfalles nicht nur als entfernte Möglichkeit darstellt. Soweit der Arrestbeklagte einwendet, dass insoweit eine perspektivische Betrachtung der Vermögenssituation der I. GmbH vorgenommen werden müsse, dringt er damit nicht durch. Maßgeblich ist die Lage der Gesellschaft zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung.

86

c. Die während des Verfahrens von dem Arrestbeklagten erhobene Einrede der Vorausklage führt ebenfalls zu keiner anderen Beurteilung, denn die Einrede ist im vorliegenden Fall jedenfalls nach § 773 Abs. 1 Nr. 4 BGB ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift ist dem Bürgen die Einrede verwehrt, wenn anzunehmen ist, dass die Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Hauptschuldners nicht zur Befriedigung des Gläubigers führen wird. Die Einrede entfällt dabei nicht nur bei völliger Ergebnislosigkeit, sondern auch dann, wenn dem Gläubiger ein Vorgehen gegen den Schuldner wegen des zu erwartenden geringen Erfolgs nicht zumutbar ist (MüKoBGB/Habersack, 7. Aufl. 2017, BGB § 773 Rn. 9).

87

Die Arrestklägerin hat vorliegend nicht nur hinreichend glaubhaft gemacht, dass die I. GmbH zu einer Rückführung der Darlehen nicht in der Lage ist und sein wird, sondern auch, dass die I. GmbH aufgrund der angespannten Liquiditätslage gezwungen war, gegenüber sämtlichen Mitarbeitern die betriebsbedingte Kündigung auszusprechen. Vor diesem Hintergrund erwiese sich ein vorheriger Zwangsvollstreckungsversuch bei der I. GmbH als bloße Förmelei. Hinzu kommt, dass die Arrestklägerin mittlerweile Alleingesellschafterin der I. GmbH ist und auch vor diesem Hintergrund deren Liquiditätslage besser zu beurteilen vermag als etwa die einer Fremdgesellschaft.

88

d. Eine auch zugunsten des Arrestbeklagten wirkende Rangrücktrittsvereinbarung in Bezug auf die Darlehensforderungen hat dieser nicht glaubhaft gemacht.

89

Soweit der Arrestbeklagte in diesem Zusammenhang auf die Vorbemerkung des notariellen Übertragungsvertrages vom 19.02.2019 (Anlage ASt) verweist, ist festzustellen, dass es sich insoweit lediglich um eine bloße Absichtserklärung handelt. Ungeachtet dessen, dass der Arrestbeklagte bereits nicht glaubhaft gemacht hat, dass es überhaupt Forderungen Dritter gibt, hinsichtlich derer die Darlehensforderungen der Arrestklägerin im Rang zurückzutreten hätten, würde eine entsprechende Rangrücktrittsvereinbarung auch nicht den Arrestbeklagten begünstigen. Ausweislich der in der Vorbemerkung des notariellen Übertragungsvertrages enthaltenen Formulierung sollte der Rangrücktritt nämlich nicht dem Schutz des Arrestbeklagten, sondern nur der Abwendung einer drohenden Insolvenz dienen.

90

A. Von einem Arrestgrund nach § 917 ZPO war nach dem einseitigen Vorbringen der Arrestklägerin im Antrag vom 15.04.2019 auszugehen. Nach dem Widerspruch des Arrestbeklagten sowie unter Berücksichtigung des der Kammer insgesamt unterbreiteten Lebenssachverhaltes ist ein solcher Arrestgrund jedoch nicht glaubhaft dargetan.

91

a. Ein Arrestgrund ergibt sich entgegen der Auffassung der Arrestklägerin nicht schon daraus, dass der Arrestbeklagte im Ausland über Vermögen verfüge.

92

Zwar liegt nach § 917 Abs. 2 Satz 1 ZPO ein zureichender Arrestgrund vor, wenn ein späteres Urteil im Ausland vollstreckt werden müsste und die Gegenseitigkeit nicht verbürgt ist. Die Arrestklägerin hat allerdings bereits nicht glaubhaft gemacht, dass der Arrestbeklagte über vollstreckungsfähiges Vermögen in solchen Ländern verfügt, bei denen keine Gegenseitigkeit verbürgt ist. Soweit der Prozessbevollmächtigte der Arrestklägerin angebliche Vermögenswerte des Arrestbeklagten auf Zypern sowie in der Mongolei und China (Hong Kong) ins Feld geführt hat, ist jedenfalls von einer gegenseitigen Verbürgung auszugehen (vgl. hierzu jeweils Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Band 6, 56. EL September 2018, Länderberichte Zypern, Mongolei und China).

93

b. Die Arrestklägerin kann auch aus dem von ihr behaupteten Vorwurf, der Arrestbeklagte habe sowohl zum Nachteil der W. als auch zum Nachteil des Nachlasses R. den Tatbestand der Untreue erfüllt, keinen tauglichen Arrestgrund herleiten.

94

Zwar kann ein strafbares Verhalten des Schuldners, vor allem wenn es sich um ein Vermögensdelikt wie etwa die Untreue handelt, Anlass zur Annahme eines Arrestgrundes geben (Zöller/Vollkommer, Zivilprozessordnung, 32. Aufl. 2018, § 917 ZPO, Rn. 6). Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Arrestgrund in diesen Fällen nicht in dem strafbaren Verhalten des Schuldners als solches begründet ist, sondern vielmehr in der sich darauf gründenden Vermutung, der Schuldner werde seine rechtsfeindliche Verhaltensweise gegenüber dem Gläubiger auch auf der Ebene der Zwangsvollstreckung fortsetzen (sog. Wiederholungsgefahr, vgl. BGH, Urteil vom 11. März 1975 – VI ZR 231/72 –, Rn. 12, juris Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 10. Juni 2014 – 5 W 24/14 –, Rn. 4, juris; OLG Köln, Beschluss vom 19. November 2010 – 19 W 36/10 –, Rn. 5, juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 28. September 2001 – 5 W 665/01 –, Rn. 16, juris; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26. Juli 1999 – 16 W 33/99 –, Rn. 6, juris; NJW-RR 1986, 1192). Dies jedoch setzt im Ausgangspunkt die vorherige Verwirklichung einer gegen den Gläubiger gerichteten Straftat voraus (vgl. BGH, a.a.O.; BeckOK ZPO/Mayer, 32. Ed. 1.3.2019, ZPO § 917 Rn. 7 Musielak/Voit/Huber, 16. Aufl. 2019, ZPO § 917 Rn. 2 f.).

95

Diese konkrete Feststellung kann hier jedoch nicht getroffen werden, denn die Arrestklägerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass der Arrestbeklagte sie vorsätzlich geschädigt hat. In dem vorliegend maßgeblichen Zeitraum wurden die Geschäfte der Arrestklägerin von Herrn P. sowie sodann von Frau W. geführt. Dass diese kollusiv mit dem Arrestbeklagten zum Nachteil der Arrestklägerin wie auch der W. zusammengewirkt haben sollen, ist nicht glaubhaft gemacht. Dies lässt sich auch nicht daraus ableiten, dass der Arrestbeklagte eng mit Herrn P. befreundet war und es sich bei Frau W. um die damalige Lebensgefährtin des Herrn W. handelte. So ist es nicht ungewöhnlich, wenn ein Gesellschafter – wie hier die von dem Arrestbeklagten vertretene W. – Vertrauenspersonen bei ihren Tochtergesellschaften einsetzt.

96

Im Übrigen ist hier auch zu sehen, dass der Arrestbeklagte einen Teil der weitergereichten Darlehen persönlich durch Bürgschaften gegenüber der hiesigen Arrestklägerin abgesichert hat.

97

Entgegen der Auffassung der Arrestklägerin steht ihr auch nicht deshalb ein Arrestgrund zur Seite, weil – arguendi causa unterstellt – der W. im Zusammenhang mit deren Forderung ein Arrestgrund zur Seite steht. Es ist zwar richtig, dass der Arrestgrund in der Person des Schuldners und dessen Verhalten begründet ist. Gleichwohl liegen verschiedene Vertragsverhältnisse und somit auch verschiedene Lebenssachverhalte vor. Dass sich ein Schuldner gegenüber einem seiner Gläubiger unredlich verhalten hat, besagt nicht, dass er sich ebenso auch gegenüber einem anderen Gläubiger verhalten werde.

98

Soweit die Arrestklägerin mit nach dem Termin zur mündlichen Verhandlung eingereichten Schriftsatz vom 19.05.2019 neue Tatsachen zu etwaigen gegenüber der Marine nicht offengelegten Kickback-Zahlungen vorträgt, waren diese wegen des Schlusses der Verhandlung nicht mehr zu berücksichtigen.

99

c. Aus den vorstehenden Erwägungen kann die Arrestklägerin auch keinen Arrestgrund im Hinblick auf die von der I. GmbH getätigten Geschäfte herleiten. Selbst wenn es sich – wie von der Arrestklägerin behauptet – um Scheingeschäfte gehandelt haben sollte, hat die Arrestklägerin nicht glaubhaft gemacht, in welcher Weise der Arrestbeklagte bei den Entscheidungsprozessen mitgewirkt haben soll.

100

d. Soweit die Arrestklägerin darauf abgestellt hat, dass nicht unerhebliche Vermögenswerte über die I. GmbH beiseitegeschafft worden seien, vermag dies schon deshalb keinen Arrestgrund zu begründen, weil es sich bei den angeblich „versickerten“ Darlehensbeträgen nicht um Vermögenbestandteile des Arrestbeklagten, sondern der jeweiligen Gesellschaften handelte.

101

Die Arrestklägerin hat aber auch im Übrigen nicht zur Überzeugung der Kammer glaubhaft gemacht, dass der Arrestbeklagte eigenes Vermögen zum Zwecke der Vereitelung oder Erschwerung der Zwangsvollstreckung beiseitegeschafft hat.

102

aa. Im Hinblick auf die Übertragung seiner Anteile an der R. G. GmbH an die zypriotische R. I. G. Limited trägt die Arrestklägerin selbst vor, dass die Gesellschaft bereits seit dem Jahr 2013 bilanziell überschuldet war. Vor diesem Hintergrund sieht die Kammer hierin keinen relevanten Vermögenswert.

103

bb. Im Hinblick auf die Übertragung der Anteile an der S. H. GmbH an einen Mitgesellschafter hat der Arrestbeklagte unwidersprochen vorgetragen, dass die Gesellschaft ebenfalls handelsbilanziell überschuldet war.

104

cc. Im Zusammenhang mit den gestückelten Zahlungen an die zypriotische R. I. G. Limited aus dem aus dem Nachlass R. entnommenen Geld hat der Arrestbeklagte unwidersprochen vorgetragen, dass er u.a. seine Verbindlichkeiten aus von ihm beauftragten Anwaltsleistungen über seine zypriotische Gesellschaft begleiche. Zwar kann die vorgenommene Stückelung der Überweisungen auf eine Umgehung der im Auslandszahlungsverkehr bestehenden Meldepflicht hindeuten. Dieser Schluss ist jedoch nicht zwingend. So ist auch denkbar, dass ein gesetztes Limit einer Einmalzahlung entgegenstanden habe.

105

e. Aus dem Verkauf der Liegenschaft E. Chaussee ... in ... H. kann die Arrestklägerin ebenfalls keinen Arrestgrund herleiten.

106

Zwar kann die Veräußerung des einzigen körperlichen Vermögensgegenstandes Anlass zur Annahme eines Arrestgrundes geben (Zöller/Vollkommer, Zivilprozessordnung, 32. Aufl. 2018, § 917 ZPO, Rn. 5 m.w.N.). Die Veräußerung als solche kann als bloße Vermögensumschichtung jedoch für sich allein noch nicht als Arrestgrund gelten. Vielmehr muss die Besorgnis hinzutreten, dass der Vermögensgegenstand dem Zugriff der Gesamtheit der Gläubiger entzogen wird (BGH, Urteil vom 19. Oktober 1995 – IX ZR 82/94 –, BGHZ 131, 95-107, Rn. 24), was beispielsweise dann angenommen wird, wenn keine wesentlichen Gegenwerte in das Vermögen des Schuldners zurückfließen (BGH a.a.O.; KG Berlin, Beschluss vom 28. März 2013 – 18 UF 72/13 –, Rn. 19, juris OLG Koblenz, Beschluss vom 24. August 2011 – 8 W 468/11 –, Rn. 6, juris MüKoZPO/Drescher, 5. Aufl. 2016, ZPO § 917 Rn. 7).

107

Diese konkrete Feststellung kann hier jedoch nicht getroffen werden. Die Arrestklägerin hat nicht zur Überzeugung der Kammer glaubhaft gemacht, dass der Arrestbeklagte die Liegenschaft unter Wert veräußert hat. Die von ihr im Termin zur mündlichen Verhandlung sistierten sachverständigen Zeugen L. sowie K. konnten den von ihr behaupteten Wert von 5,4 Mio. € nicht annähernd bestätigen. Der sachverständige Zeuge L. bewertete die Liegenschaft mit einem Wert zwischen 2,2 und 2,35 Mio. €. Der sachverständige K. ermittelte einen Sachwert zwischen 2,28 und 2,46 Mio. €, der noch mit einem 10 %-tigen Aufschlag zu versehen sei. Dabei erscheinen der Kammer die Ausführungen des sachverständigen Zeugen L., der eigenen Angaben zufolge seit 25 Jahren als Immobilienkaufmann auch mit der Bewertung von Objekten befasst ist, die betreffende Lage kennt und derzeit ein in der Nähe befindliches Objekt vermakelt, überzeugender. Das seinen Ausführungen aber mehr Gewicht beizumessen sei als dem Gutachten des Sachverständigen B. vom 09.04.2019, das der Arrestbeklagte in der Sitzung vom 17.05.2019 vorgelegt hat, welches nach Besichtigung des Objekts vom 01.02.2019 (auch von innen) zu einem Verkehrswert von 1,95 Mio. € kommt, vermag die Kammer nicht anzunehmen. Eine zum Nachteil der Gläubiger zu sehende Veräußerungshandlung sieht die Kammer vor diesem Hintergrund nicht. In diesem Zusammenhang war dabei auch in den Blick zu nehmen, dass der Arrestbeklagte – unwidersprochen – Geld benötigte, um die von ihm beauftragten Anwälte bezahlen zu können, was seine Verhandlungsposition im Rahmen der Vertragsanbahnung geschwächt haben dürfte.

108

f. Es bestehen schließlich auch keine Anhaltspunkte dafür, dass sich der Arrestbeklagte ins Ausland absetzen wird. Zwar hielt sich der Arrestbeklagte in den ersten Wochen im April in B. auf. Über seine Reisepläne hatte er jedoch zuvor die gegen ihn ermittelnde Staatsanwaltschaft in Kenntnis gesetzt. Auch nach seiner Rückkehr nach H. hat er seinen Aufenthaltsort nicht verschleiert, sondern sich vielmehr behördlich umgemeldet und sogar ein Fernsehinterview gegeben. Auch im Übrigen hat der Arrestbeklagte zu erkennen gegeben, dass er sich den ihm gegenüber geäußerten Vorwürfen stellen wird. Ohne hierzu rechtlich verpflichtet zu sein, hat er seine Anteile an der I. GmbH an die Arrestklägerin übertragen; ebenso hat er in dem hiesigen Verfahren wiederholt angeboten, die Arrestklägerin im Hinblick auf deren schwierige Lage zu unterstützen.

109

Im Ergebnis war deshalb mangels eines Anspruchsgrundes der Arrestbeschluss aufzuheben.

II.

110

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 6, 711 ZPO. Die Streitwertfestsetzung folgt §§ 53 Abs. 1 Nr. 1 GKG, 3 ZPO.

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