Urteil vom Landgericht Wuppertal - 25 Ks-45 Js 23/15-7/15
Tenor
Der Angeklagte U3 ist des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig.
Die Angeklagten N und C5 sind jeweils der gefährlichen Körperverletzung schuldig.
Der Angeklagte U3 wird zu einer Freiheitsstrafe von
acht Jahren
verurteilt.
Der Angeklagte N wird zu einer Freiheitsstrafe von
einem Jahr und sechs Monaten
und der Angeklagte Y3 einer Freiheitsstrafe von
neun Monaten
verurteilt.
Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe bezüglich des Angeklagten C5 wird zur Bewährung ausgesetzt.
Die Angeklagten tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Nebenklägers
- bzgl. U3: §§ 212 Abs.1, 223, 224 Abs. 1 Ziff. 2, 4 und 5, 22, 25 Abs.2, 52 StGB, bzgl. N und C5: §§ 223, 224 Abs. 1 Ziff. 4, 25 Abs.2 StGB -
1
Gründe (bzgl. C5 abgekürzt gemäß § 267 Abs. 4 S.1 StPO):
2I.
3a) U3
4Der Angeklagte U3 wurde im Jahr 1990 in B geboren. Er hat eine im Jahr 1994 geborene, jüngere Schwester und einen im Jahr 1988 geborenen älteren Bruder, daneben insgesamt vier Stiefgeschwister aus vorhergehenden Ehen seiner beiden Elternteile.
5Er wuchs im Kreis seiner Familie auf. Seine frühkindliche Entwicklung verlief ohne besondere Auffälligkeiten. Der Vater des Angeklagten war als Maschineneinrichter berufstätig, seine Mutter war Hausfrau. Sein Vater sprach häufiger in erhöhtem Maße dem Alkohol zu, ohne aber, nach Einschätzung des Angeklagten, Alkoholiker zu sein. Gelegentlich wurde der Angeklagte bei Fehlverhalten durch seinen Vater geschlagen, hierbei kam es aber nicht zu exzessiver oder besonders demütigender Gewaltanwendung.
6Die wirtschaftliche Situation der Familie war aufgrund des nicht hohen Einkommens des Vaters nicht üppig. Besonderen Luxus konnte man sich zu keiner Zeit leisten. Der Angeklagte fühlte sich jedoch stets ausreichend versorgt. Seinen Vater betrachtet er bis zum heutigen Tag als Vorbild.
7Der Angeklagte besuchte für 2-3 Jahre einen Kindergarten, ohne dass er dort besondere Auffälligkeiten in seinem Verhalten zeigte. Im Jahr 1996 wurde er zeitgerecht eingeschult. In der Schule kam er allerdings nicht gut zurecht, da er sich nicht recht in den Klassenverband integrieren konnte und auch keine Lust auf die Schule hatte. So musste er bereits die erste Klasse wiederholen und schon nach der zweiten oder dritten Klasse auf eine Sonderschule für schwer erziehbare Kinder überwechseln, da er sich nicht in den Klassenverband einordnete und den Unterricht massiv störte.
8Wenngleich er schulische Leistungen erbrachte, die grundsätzlich in Ordnung waren, störte er auch auf der Sonderschule massiv den Unterricht, löste etwa Feueralarme aus, suchte Konfrontationen mit Lehrerinnen und Lehrern und schwänzte die Schule. Aufgrund dieser massiven Auffälligkeiten wurde er ab dem Jahr 2000 bis ins Jahr 2004 in einem Heim für schwer erziehbare Kinder und Jugendliche untergebracht.
9Im Kontakt zu Gleichaltrigen war er eher schüchtern und zurückhaltend, verbrachte wenig Zeit mit anderen und hatte nur wenige Freunde. Er lief mehrfach aus dem Heim fort und wurde schließlich im Alter von 15 Jahren, nach seiner letzten Entweichung, entlassen und lebte fortan wieder in der Wohnung seiner Eltern.
10Er besuchte eine Vorbereitungsschule mit dem Ziel einer Ausbildung, erlangte jedoch keinen Schulabschluss. Allerdings erhielt er einen Ausbildungsplatz in einer Bäckerei an seinem Wohnort. Diese Ausbildung sagte ihm durchaus zu und er erbrachte ordentliche Leistungen. Jedoch wurde die Ausbildung nach wenigen Monaten abgebrochen, da der Ausbilder aus gesundheitlichen Gründen seinen Betrieb aufgeben musste. Eine neue Lehrstelle fand er nicht; ein Praktikum in einer Kfz-Werkstatt brach er nach kurzer Zeit ab, da ihm die Tätigkeit nicht gefiel.
11Im Alter von etwa 16 Jahren kam er über das Internet erstmals in Kontakt mit der rechten Szene. Als Motiv gibt er an, er habe sich im Rahmen seiner Berufsschulzeit darüber geärgert, dass ausländische Jugendliche eher Ausbildungsplätze erhalten hätten, als er selber. Im Jahr 2007 verzog er aus dem häuslichen Umfeld fort nach L zu einem Bekannten, später in eine eigene Wohnung.
12Er besuchte dort weiter eine Berufsschule, erlangte jedoch weder einen Abschluss noch eine neue Lehrstelle. In L betätigte er sich in den Jahren 2008-2009 in der NPD. Hierbei hatte er eine Funktion als Kassenprüfer inne und kam aufgrund dieser Funktion auch in geringerem Umfang in Kontakt mit höheren Chargen dieser Organisation. Nähere Angaben zu seiner Tätigkeit in der NPD wollte er nicht machen.
13In L lernte der Angeklagte seine erste feste Freundin kennen und zog im Herbst 2008, als man bereits einen gemeinsamen Sohn, welcher im November 2008 geboren wurde, erwartete, mit ihr zusammen. Die Beziehung scheiterte bereits Anfang des Jahres 2009 aus Gründen der politischen Einstellung des Angeklagten. Er kehrte zunächst zu seinen Eltern zurück. Wegen zunehmender Probleme mit seinem Vater, die ihre Grundlage ebenfalls in der politischen Einstellung des Angeklagten hatten, zog er im April 2009 wiederum nach L, wo er von staatlichen Transferleistungen lebte, bis er am 14. August 2009 erstmals, für etwa zwei Monate, in Untersuchungshaft geriet.
14Im April 2010 verzog der Angeklagte nach U und war dort zeitweise als Zeitschriftenwerber tätig. Im Übrigen lebte er weiter von Leistungen des Jobcenters. Nachdem er seine Wohnung verlor, zog er Ende 2011 wiederum für kurze Zeit zu seinen Eltern zurück.
15Im Juli 2011 wurde der Angeklagte durch das Amtsgericht Oberhausen zu einer zu vollstreckenden Einheitsjugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Diese hatte er ab Juli 2012 bis Ende 2013 zu verbüßen. Währenddessen wurde er - nunmehr bereits als Erwachsener- durch das Amtsgericht Krefeld zu einer weiteren Freiheitsstrafe von elf Monaten verurteilt, welche er im Anschluss an die Einheitsjugendstrafe verbüßte. Während seiner Haftzeit, im Juli 2013, verstarb der Vater des Angeklagten, was ihn sehr belastete.
16Anfang November 2014 wurde der Angeklagte nach Vollverbüßung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Krefeld und etwa sechs Wochen vor Vollverbüßung der Einheitsjugendstrafe im Wege der sogenannten Weihnachtsamnestie aus der Haft entlassen.
17Nach seiner Haftentlassung lebte er kurzzeitig bei einer Freundin in L und entschied sich dann, nachdem er eine neue Bekannte aus V kennen lernte, dorthin zu verziehen, um – wie er angibt - einen Neuanfang zu machen und ein geordnetes Leben zu beginnen. Er erhielt zunächst wiederum Leistungen des Jobcenters. Im Januar 2015 erhielt er die Zusage, ab März 2015 eine Umschulung zum Koch beginnen zu können. Diese nahm er tatsächlich auf. Etwa zur gleichen Zeit stellten sich schwerwiegende Probleme in seiner neuen Beziehung ein.
18Der Angeklagte, der in V über keine anderweitigen Kontakte verfügte, suchte daraufhin Halt in der HoGeSa- Szene, über die er den Mitangeklagten N (damals Q) kennen lernte. Er besuchte gemeinsam mit anderen Personen HoGeSa - Veranstaltungen, aber auch Unterstützungsmaßnahmen dieser Gruppierung für rechte politische Parteien.
19Eine Distanzierung des Angeklagten U3 von der rechten Szene und rechtsextremem Gedankengut hat – entgegen seiner dahingehenden Einlassung, bereits vor seiner ersten Inhaftierung damit abgeschlossen zu haben - nicht stattgefunden.
20Die in seiner sozialen, schulischen Entwicklung sowie in der – nachfolgend im Einzelnen dargestellten - frühen strafrechtlichen Delinquenz zu Tage tretenden Fehlentwicklungen rechtfertigen in allgemein-psychiatrischer Hinsicht die Diagnose einer so genannten dissozialen und defizitären Persönlichkeitsstörung, durch welche der Angeklagte in seiner Alltagskompetenz jedoch nicht beeinträchtigt ist und unter der er subjektiv nicht leidet. Er neigt dazu, in konfliktbehafteten Situationen hitzig und aggressiv zu reagieren.
21Der Angeklagte sprach vor seiner Erstinhaftierung phasenweise in größerem Maße dem Alkohol zu, ohne jedoch eine Abhängigkeit zu entwickeln. Illegale Drogen konsumiert er nicht.
22Strafrechtlich trat er bislang wie folgt in Erscheinung:
231.
24Mit Entscheidung vom 19.8.2005, Az. 230 JS 27350/05, sah die Staatsanwaltschaft Darmstadt von der Verfolgung einer dem Angeklagten vorgeworfenen Körperverletzung, § 223 StGB, Tatzeit: 12.5.2005, nach § 45 Abs. 1 JGG ab.
252.
26Mit Urteil des Amtsgerichts Krefeld vom 3.7.2008, Az. 21 DS 6 JS 56/08 (127/08), wurde der Angeklagte wegen Beleidigung, Tatzeit: 8.12.2007, verwarnt. Es wurde eine richterliche Weisung verhängt; er hatte Arbeitsleistungen zu erbringen.
27Im Rahmen einer Versammlung in F hatte der Angeklagte zwei Polizeibeamte, die ihm untersagten, eine Sperrstelle zu passieren, als „Scheißbeamte“ bezeichnet.
283.
29Mit Urteil des Amtsgerichts Krefeld vom 29.10.2009, Az. 21 LS 6 JS 1101/09-330/09 wurde der Angeklagte wegen Bedrohung, gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung und mit Hausfriedensbruch und wegen versuchter vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung, Datum der letzten Tat: 28.6.2009, zu einer Einheitsjugendstrafe von einem Jahr und drei Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt.
30Die tatsächlichen Feststellungen dieses Urteils lauten wie folgt:
31A. Anklageschrift vom 1.6.2009 (6 Js 797/09)
32Am Abend des 6.5.2009 begab sich der Angeklagte U3 in die Wohnung seiner ehemaligen Freundin Jenifer U2 auf der I-Straße in L, um den gemeinsamen Sohn zu besuchen. Dort fing der Angeklagte U3 wieder an, wie schon früher, mit der Zeugin U2 über ihre Beziehung zu diskutieren und zu streiten. Der Streit eskalierte derart, dass sich der Angeklagte in das Badezimmer begab, um einen Suizidversuch zu unternehmen. Während die Zeugin die Polizei verständigte, warf der Angeklagte U3 einen Föhn in einen mit Wasser gefüllten Eimer und steckte seine Hand ins Wasser. Da nichts passierte, nahm er sich aus der Küche ein kleines Küchenmesser. Bevor die Zeugen ihm das Messer abnehmen konnte, fügte er sich eine kleine Wunde am Bauch zu.
33Kurz darauf, gegen 21:30 Uhr, erschienen die Polizeibeamten A und K vor dem Haus. Die Zeugin U2 öffnete die Haustür und verschwand wieder in der Wohnung. In Kenntnis des Erscheinens der Polizei holte sich der Angeklagte U3 in der Zwischenzeit ein großes Küchenmesser aus der Küche. Als der Beamte A durch die offene Wohnungstür in den Flur trat, sah er den Angeklagten und die Zeugin am anderen Ende des Flures etwa 6 bis 7 m von ihm entfernt stehen. Während die Zeugin U2 auf den Angeklagten einschrie, drehte sich dieser in Richtung des Polizeibeamtin A und hob seine rechte Hand, in der er das große Küchenmesser hielt, über seinen Kopf. Mit dem erhobenen Messer, die Klinge in Richtung des Polizeibeamten gerichtet, ging der Angeklagte U3 – seiner Wirkung bewusst – drohend auf den Beamten A zu. Dieser zog seine Schusswaffe und forderte den Angeklagten auf, das Messer fallen zu lassen, ansonsten würde er schießen. In entschlossener Haltung ging der Angeklagte U3 aber weiter auf den Polizeibeamten A zu und schrie „Schieß doch, schieß doch“. Dabei nahm der Angeklagte in Kauf, dass der Beamte sein Verhalten als Angriff auf sein Leben verstehen musste. Er näherte sich dem Polizeibeamten A bis auf 2 bis 3 m. Der Polizeibeamte A fühlte sich derart bedroht, dass er entschlossen war, bei dem nächsten Schritt des Angeklagten auf ihn zu schießen. Hierzu kam es aber nicht, da die Zeugin U2 von hinten die messerführende Hand des Angeklagten U3 ergriff, worauf dieser das Messer fallen ließ.
34B. Anklageschrift vom 25.8.2009 (6 Js 1101/09)
351.
36Am 28.6.2009 gegen 2:30 Uhr erschien der Angeklagte U3 vor dem Hauseingang I-Straße in L und verschaffte sich Einlass. Wegen lauten Polterns im Flur wurden die Geschädigten I und W2 auf den Angeklagten aufmerksam. Die Geschädigte U2 öffnete die Tür zur Wohnung, die der Angeklagte U3 dann aufdrückte und entgegen des ausdrücklich erklärten Willens der Geschädigten U2 die Wohnung betrat.
37Dort rannte er mit den Worten, „Ich bring dich um, du Sau!“ zunächst ins Schlafzimmer, auf der Suche nach dem Geschädigten W2, auf den er eifersüchtig war. Weil er dort aber niemanden antraf, begab er sich ins Wohnzimmer, sah den Geschädigten W2 und ging auf diesen los. Der Angeklagte U3 hielt dabei sein mitgeführtes Messer und versuchte den Geschädigten zu verletzen. Es kam zu einer Rangelei zwischen den beiden Männern, wobei es dem Geschädigten W2 gelang, dem Angeklagten das Messer zu entreißen. Der Angeklagte U3 schlug nunmehr mit den Fäusten auf den Geschädigten ein und zerschlug einen Kaffeepott, der auf dem Wohnzimmertisch stand, auf dem Hinterkopf des Geschädigten. Während die Geschädigte U2 in der Diele auf das Erscheinen der Polizei wartete, lief der Angeklagte U3 in die Küche und kam mit einem Küchenmesser zurück. Inwieweit dieses Messer vom Angeklagten eingesetzt, insbesondere gegen den Rücken des Geschädigten W2 geworfen worden ist, konnte nicht festgestellt werden. Jedenfalls ließ der Angeklagte U3 das Messer im Wohnzimmer fallen und wollte die Wohnung verlassen. Die Geschädigte U2 stand in der Tür und versperrte den Weg. Bevor der Angeklagte U3 die Geschädigte schlagen konnte, kann der Geschädigte W2 aus dem Wohnzimmer und griff ein. Die Rangelei der beiden setzte sich in der Diele fort. Die Geschädigte U2 lief währenddessen nach unten vor die Haustür und wartete auf die Polizei.
38Kurz darauf verließ auch der Angeklagte U3 die Wohnung und traf auf der Straße auf die Geschädigte U2. Um seine Missachtung kund zu tun, bezeichnete er sie als „Hure“ und schmierte seine blutbehaftete Hand in ihrem Gesicht ab. Sodann floh er vom Tatort.
39Aufgrund der Auseinandersetzung mit dem Angeklagten zog sich der Geschädigte W2 eine Schnittwunde am kleinen Finger der rechten Hand, eine geschwollene Lippe sowie eine Schädelprellung zu. Der Angeklagte U3 erlitt eine Stichwunde auf der Innenseite seines rechten Oberschenkels.
402.
41im Zuge der eingeleiteten Fahndung wurde der Angeklagte U3 auf der T-Straße vor Hausnummer ... durch die Polizeibeamten T und Q aufgegriffen und vorläufig festgenommen. Auf der Fahrt zum Polizeigewahrsam versuchte der auf dem Rücksitz gefesselt sitzende Angeklagte, den Beamten Q, der neben ihm auf dem Rücksitz saß, mittels eines Kopfstoßes zu verletzen. Der Polizeibeamte Q konnte den Angriff jedoch abwehren. Als der Angeklagte sich weiterhin weigerte, sich zurück zu lehnen, drückte der Beamte ihn nach hinten in den Sitz. Der Angeklagte U3 bezeichnete den Polizeibeamten Q als „dreckiges Schwein“, „feigen Wichser“, „arbeitsscheuen Lappen“, „schwulen Kommunisten“ und „dreckigen Juden“ und fordert die Lösung der Fesselung, um diesem „in die Fresse schlagen zu können“.
42Eine dem Angeklagten um 3:30 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 0,74 Promille.
43C. Anklageschrift vom 27 07.2009 (3 Js 787/09)
44das Verfahren aus der Anklageschrift vom 27.7.2009 wurde hinsichtlich beider Angeklagten nach § 206 a StPO eingestellt […]
454.
46Mit Urteil des Amtsgerichts Krefeld vom 15.12.2010, Az. 3 Js 303/10 22 LS 97/10 wurde der Angeklagte wegen gemeinschaftlichen Verwendens von Kennzeichen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation mit Strafvorbehalt verwarnt. Er wurde durch nachträgliche Entscheidung vom 19.3.2013 zu der im Urteil vorbehaltenen Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 20,00 EUR verurteilt.
47Der Angeklagte war am 15.2.2010 gemeinsam mit weiteren Mittätern vor dem an diesem Tag stattfindenden Rosenmontagszug in L hergelaufen und hatte durch Heben der rechten Hand den sogenannten „Hitlergruß“ gezeigt.
485.
49Mit Urteil des Amtsgerichts Oberhausen vom 14.7.2011, Az. 47 LS 292 JS 207/11-34/11 wurde der Angeklagte wegen Bedrohung in Tateinheit mit versuchter Nötigung unter Einbeziehung der Jugendstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Krefeld vom 29.10.2009 (s.o. Ziff. 3) zu einer Einheitsjugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt.
50Der Angeklagte hatte die für ihn zuständige Sachbearbeiterin der ARGE U an ihrem Arbeitsplatz aufgesucht und sie aufgefordert, ein ihn betreffendes Schreiben zu bearbeiten. Als die Sachbearbeiterin ihm jedoch mitteilte, dass er ohne Termin erschienen sei und sie andere Kunden zu bedienen habe, hatte er ihr gedroht, dass sie das Schreiben bis zum 21. des Monats erledigen solle, sonst „klatsche“ er sie. Anschließend hatte er mit den Worten „dann werfe ich halt eine Paketbombe in den Laden hier“ das Büro verlassen. Diese Drohung war durch die Geschädigte ernst genommen worden.
51Die Strafe wurde nach Vollstreckung des weit überwiegenden Teils derselben mit Wirkung vom 6.11.2014 im Wege der sog. Weihnachtsamnestie erlassen.
526.
53Mit Urteil des Amtsgerichts Krefeld vom 17.9.2012, Az. 5 JS 17/12 35 DS .../12 wurde der Angeklagte wegen Sachbeschädigung in zwei Fällen, Bedrohung in zwei Fällen, Verstoßes gegen das Gewaltschutzgesetz, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in zwei Fällen, Beleidigung in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Verwendung von Kennzeichen ehemaliger nationalsozialistischer Organisationen, Datum der letzten Tat: 26.01.2012, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten verurteilt.
54Die tatsächlichen Feststellungen dieses Urteils lauten wie folgt:
55„Am 24.11.2011 gegen 15:35 Uhr schlug der Angeklagte mit einer Flasche derart heftig gegen ein Glaselement der Hauseingangstür des Wohnhauses in der M-Straße in L, dass das Glaselement großflächig zersplitterte. Es entstand ein Sachschaden in Höhe von ca. 150 EUR.
56Am 28.11.2011 gegen 15:02 Uhr schlug der Angeklagte mit einem Teleskopschlagstock derartig heftig gegen die Haussprechanlage und gegen zwei Briefkästen im Eingangsbereich des Wohnhauses in der M-Straße in L, dass diese Gegenstände T beschädigt wurden. Es ist ein Sachschaden in Höhe von insgesamt ca. 500 EUR eingetreten.
57Am 24.1.2012 gegen 13:39 Uhr versandte der Angeklagte unter seiner Mobilfunknummer ## eine SMS an das Mobilfunkgerät der Zeugin I mit folgendem Inhalt: „ich komme nächsten monat um deiner mutter der dreckshure die kehle durchzuschneiden und jeder der sich mir in den weg stellt passiert das gleiche. Der tod ist eine notwendigkeit ihr habt ihn verdient seit ihr soweit.“
58Am 26.1.2012 um 20:09 Uhr versandte er unter seiner Mobilfunknummer ## eine SMS an das Mobilfunkgerät der Zeugin I mit folgendem Inhalt: „Von mir aus zeig die SMS den Bullen, die können mich nicht aufhalten für all deine lügen wirst nun bestraft sie soll am besten die straße bestatten bevor sie aus dem haus geht und du guckst besser regelmäßig nach deinen bremsschläuchen.“
59Dem Angeklagten ist durch Beschluss des Amtsgerichts Krefeld vom 28.11.2011, Az.: 65 F 520/11, u.a. verboten, ein Zusammentreffen mit der Zeugin I herbeizuführen. Gleichwohl randalierte er am 1.1.2012 gegen 3:30 Uhr vor der Haustür der Zeugin auf der M-Straße.
60Kurze Zeit später traf dann die Polizei am Tatort ein und verbrachte ihn zur Polizeiwache Süd. Auf der Fahrt dorthin versuchte er mit dem Kopf in Richtung des Zeugen PK Y zu schlagen. Auf der Wache selbst trat er dem Zeugen Y an den Hinterkopf. Im weiteren Verlauf beleidigte der Angeklagte die Zeugen T und PK H3 mit den Worten „Bastard“, „kleiner verfickter Hurensohn“. Darüber hinaus sagte er: „Deine Mutter und deine Frau machen für einen Zehner die Beine breit“. Zum Zeugen H3, der einen türkischen Migrationshintergrund hat, sagte er „Kebabfresser“ und „Kanacke“. Den Beamten Ü schließlich beleidigte er mit den Worten „Jude“. Außerdem sagte er noch: „Ich gelobe meinem Führer Adolf Hitler ewige Treue“ und leugnete, dass es den Holocaust je gegeben hatte.“
61Die Strafvollstreckung war erledigt am 15.7.2014.
62Sämtliche vorstehend dargestellten Entscheidungen waren zum Zeitpunkt der hier zu beurteilenden Tat bereits rechtskräftig.
63b) N
64Der Angeklagte N, geb. Q wurde im Jahr 1972 geboren. Er wuchs gemeinsam mit einem zwei Jahre älteren Bruder bei seinen Eltern auf. Der Vater war Polizeibeamter, die Mutter Hausfrau. Seine kindliche Entwicklung war, soweit bekannt, ohne besondere Auffälligkeiten. Der Angeklagte besuchte keinen Kindergarten, durchlief die Grundschule in der Regelschulzeit und wechselte sodann auf eine Hauptschule, welche er mit dem Abschluss nach Klasse zehn beendete.
65Nach seinem Hauptschulabschluss begann er eine Ausbildung als Gas- und Wasserinstallateur, welche er allerdings drei Monate vor der Abschlussprüfung im Jahr 1991 abbrach. Nach der sich nunmehr anschließenden Bundeswehrzeit hatte er in den Jahren 1993 - 2002 eine Reihe relativ einfach gelagerter Arbeitsverhältnisse inne, welche jeweils nach ein bis zwei Jahren wechselten. So arbeitete er etwa im Lager, als Kommissionierer, Staplerfahrer, im Wach- und Sicherheitsdienst oder als Altbausanierer. In den Jahren 2002 bis 2007 übte er zwei selbstständige Tätigkeiten aus, zunächst als Inhaber eines Backwarengeschäfts, welches er nach drei Jahren aufgab, da es sich nicht mehr rentierte, sodann als Inhaber einer Gaststätte.
66Im Jahr 2007 geriet der Angeklagte N erstmals in Haft. Er hatte einen Bewährungswiderruf wegen Raubes im minderschweren Fall aus einem Urteil des Amtsgerichts Wuppertal aus dem Jahr 2002 zu verbüßen.
67Im Anschluss daran war er in den Jahren 2007 bis 2010 als Versicherungsvertreter, Gerüstbauer sowie als Leih-Arbeitnehmer im Lager- und Kommissionierungsbereich tätig. In der zweiten Jahreshälfte des Jahres 2009 bis Anfang 2010 hatte der Angeklagte erneut über neun Monate Haft zu verbüßen.
68Hernach war er wiederum in ähnlich gelagerten, schnell wechselnden Beschäftigungsverhältnissen tätig, unterbrochen durch weitere Haftzeiten in den Jahren 2011 und 2014. Seine letzte Haftentlassung erfolgte am 20.10.2014. Nunmehr ist er wiederum als Leih-Arbeitnehmer in einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis im Umfang von 8 Wochenstunden berufstätig.
69Der Angeklagte ist Vater zweier Kinder, eines im Jahr 1996 geborenen Sohnes, aus einer damals bestehenden, nur etwa ein Jahr andauernden Ehe, sowie einer im Jahr 2003 geborenen Tochter.
70Der Angeklagte N schloss am 18. Januar 2016 mit der in diesem Verfahren als Zeugin geladenen X, geb. N (nun wieder N) die Ehe und nahm den Geburtsnamen seiner Ehefrau an.
71Er hat im Umfang von etwa 9.000,00 bis 10.000,00 EUR Unterhaltsschulden gegenüber der Unterhaltsvorschusskasse.
72Spätestens seit Anfang des Jahres 2015 vertritt der Angeklagte N eine eindeutig rechtsradikale Gesinnung, die sich etwa in einer Tätowierung auf dem Oberkörper des Angeklagten, welche – bis zu ihrer Entfernung - einen Adler und ein Hakenkreuz zeigte, offenbart, wie auch an seiner Teilnahme an Chatgruppen mit Namen wie „1488 stolz und frei 88“, „Antifafeiersprengen“, „Support Ho.Ge.Sa“, „Ho.Ge.Sa Ruhrgebiet“ und „Ho.Ge.Sa. Bergisches Land“ mittels des Kurznachrichtendienstes „What’s App“ deutlich wird.
73Hirnorganische oder geistige Krankheiten liegen beim Angeklagten nicht vor. Er verneint auch Betäubungsmittelkonsum. Er konsumiert, wie in seinem Umfeld üblich, Alkohol, gelegentlich auch in größeren Mengen. Ein regelmäßiger Alkoholmissbrauch oder gar eine Alkoholabhängigkeit waren nicht festzustellen. Er befindet sich wegen einer Herzerkrankung in dauerhafter ärztlicher Behandlung.
74Strafrechtlich trat er bislang wie folgt in Erscheinung:
751.
76Durch Strafbefehl des Amtsgerichts Wuppertal vom 15.8.2001, Az. 24 Cs 530 Js 834/01 wurde gegen ihn wegen Diebstahls, Tatzeit 9.4.2001, eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 45 DM verhängt.
772.
78Durch Urteil des Amtsgerichts Wuppertal vom 2.9.2002, Az. 832 Js 647/02 12 Ls wurde er wegen Raubes im minderschweren Fall in Tateinheit mit Körperverletzung, Tatzeit: 15.2.2002, zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zunächst zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Strafaussetzung zur Bewährung wurde nachfolgend widerrufen. Die Vollstreckung eines Strafrestes wurde nach Teilverbüßung im Jahr 2007 erneut zur Bewährung ausgesetzt, die Aussetzung jedoch abermals widerrufen. Die Strafvollstreckung war Oktober 2009 vollständig erledigt.
793.
80Durch Strafbefehl des Amtsgerichts Wuppertal vom 24.11.2003, Az. 81 Js 2622/03 12 Cs wurde er wegen versuchter Nötigung in Tateinheit mit Bedrohung, Tatzeit: 6.7.2003, zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 30 EUR verurteilt.
81Er hatte seine damalige, zu diesem Zeitpunkt schwangere, Lebensgefährtin T in ihrem Pkw sitzend angetroffen und sie mit den Worten: „Steig aus, sonst schlage ich dich kaputt“ und „Schlampe, ich mach dich fertig“ beleidigt und bedroht.
824.
83Mit Urteil des Amtsgerichts Wuppertal vom 1.3.2007, Az. 50 Js 6322/06 14 Ds wurde er wegen gefährlicher Körperverletzung sowie Sachbeschädigung, Datum der letzten Tat: 1.5.2006, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Deren Vollstreckung wurde zunächst zur Bewährung ausgesetzt, die Strafaussetzung jedoch im Nachgang widerrufen. Die Strafvollstreckung ist erledigt seit dem 6.1.2010.
84Der Angeklagte hatte gemeinsam mit einer weiteren Person den Geschädigten C2 an dessen Wohnanschrift aufgesucht, um ihn wegen einer vermeintlich zum Nachteil seiner Begleiterin begangenen Urkundenfälschung zur Rede zu stellen und ein vermeintlich durch diese Tat erlangtes Handy zurückzuverlangen. Nachdem der Geschädigte dieses nicht herausgeben konnte, hatte der Angeklagte ihn zunächst mit beiden Armen gegen den Brustkorb gestoßen, so dass dieser zu Fall gekommen war. Anschließend hatte er dem am Boden liegenden Geschädigten mit seinem mit Boots beschuhten Fuß je einen Tritt in die Magengegend, sowie auf die rechte Hand versetzt.
85Am 25.3.2006 gegen 3:10 Uhr hatte er die äußere Fensterscheibe der von ihm mit seiner damaligen Lebensgefährtin bewohnten Wohnung absichtlich eingeschlagen.
865.
87Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Wuppertal vom 21.1.2008, Az. 81 Js 3230/07 14 Cs 13/08 wurde gegen ihn wegen Betruges durch Unterlassen, Tatzeit: 5.12.2006, eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 20 EUR verhängt.
886.
89Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Wuppertal vom 24.6.2009, Az. 421 Js 97/09 14 Cs 84/09 wurde gegen ihn wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung, Tatzeit: 30.11.2008, eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 15 EUR verhängt.
90Der Angeklagte, der damals als Hausmeister für ein Mehrfamilienhaus zuständig war, hatte den später Geschädigten Zeugen Y einem Treffen in ein y-Restaurant bestellt, um mit diesem die Bezahlung von dessen Mietrückständen gegenüber dem Vermieter J zu klären. Er hatte den Zeugen ohne rechtfertigenden Grund unvermittelt angegriffen, indem er ihn gegen das rechte Bein getreten und ihn ins Gesicht geschlagen hatte, um ihn dadurch zur Begleichung der Schulden zu veranlassen. Der Geschädigte hatte flüchten können.
917.
92Mit Urteil des Amtsgerichts Wuppertal vom 3.11.2010, Az. 722 Js 5088/10 14 Cs 171/10 wurde gegen ihn wegen versuchter Nötigung, Tatzeit 28.6.2010, eine Freiheitsstrafe von drei Monaten verhängt.
93Gegen den Angeklagten hatte ein Hausverbot für das Café w bestanden, welches durch den Inhaber verhängt und über die Zeugin T an ihn übermittelt worden war. Bei einem Zusammentreffen am 27. oder 28.6.2010 hatte der Angeklagte gemeinsam mit einem Mittäter der Zeugin angedroht, er werde ihr die Knochen brechen, falls sie die Angeklagten aufgrund dieses Hausverbots des Café verweisen sollte. Zu einer Durchsetzung des Hausverbotes in der Folgezeit war es nicht gekommen, da der Angeklagte im Café nicht mehr erschienen war.
948.
95Mit Urteil des Amtsgerichts Wuppertal vom 15.3.2011, Az. 422 Js 3134/10 14 Ds 2/11 wurde der Angeklagte unter Einbeziehung der vorstehend unter Ziff. 7 dargestellten Entscheidung wegen versuchter Nötigung in Tateinheit mit Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Die Strafvollstreckung ist erledigt seit dem 23.9.2011.
96Der Angeklagte stand in Streit mit dem Geschädigten ö. Er hatte diesen am 13.2.2010 gemeinsam mit einem Begleiter aufgesucht. Hierbei war es zunächst zu einer verbalen Auseinandersetzung gekommen. In deren Rahmen hatte der Zeuge den Angeklagten jedenfalls indirekt als „Nazi“ bezeichnet. Daraufhin hatte der Angeklagte geäußert, der Zeuge solle aus dem Haus ziehen, ansonsten werde er, der Angeklagte, ihm auflauern, wenn er morgens um fünf das Haus verlasse und ihn zusammenschlagen oder abstechen. Der Zeuge hatte sich durch diese Bedrohung nicht veranlassen lassen, auszuziehen.
979.
98Mit Urteil des Amtsgerichts Wuppertal vom 4.9.2013, Az. 921 Js 556/13 14 Ds 42/13 wurde der Angeklagte wegen Betruges, Tatzeit: 16.11.2012, zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Die Strafvollstreckung ist erledigt seit dem 20.10.2014.
99Sämtliche vorstehend dargestellten Entscheidungen waren zum Zeitpunkt der hier zu beurteilenden Tat bereits rechtskräftig.
100c) C5:
101Der am 2. Juni 1976 in S geborene Angeklagte C5 wuchs in problematischen häuslichen Verhältnissen in S auf. Er wurde von seinen Eltern abgelehnt und kam noch im Kleinkindalter auf Betreiben seiner Großeltern, die das städtische Jugendamt eingeschaltet hatten, in deren Obhut.
102Dort wuchs er bis zu seinem siebten Lebensjahr auf und musste danach in die elterliche Familie zurückkehren, da der Großvater verstorben und die Großmutter mit der Erziehung des Kindes überfordert war. Im Elternhaus erlebte der Angeklagte, der weder mit seinen Eltern noch mit seinen Geschwistern zurechtkam, körperliche Gewalt durch den Vater, der als ungelernter Bauhelfer arbeitete, sowie permanenten Streit zwischen den Eltern. Darüber hinaus wurde er durch seine Eltern gegenüber den beiden jüngeren Geschwistern systematisch zurückgesetzt.
103Der dadurch in seinen Bindungen letztlich zweimal entwurzelte Angeklagte vermochte es vor diesem Hintergrund bis heute nicht, stabile und belastbare Bindungen und soziale Kontakte aufzubauen. Er ist intellektuell sehr schlicht strukturiert, wenngleich nicht im Sinne des Gesetzes schwachsinnig. In seinem Ausdrucksvermögen, wie auch im Hinblick auf seine emotionale Schwingungsfähigkeit ist er eingeschränkt.
104Der Angeklagte durchlief mehr schlecht als recht die Grundschulzeit und wechselte sodann auf eine Hauptschule, deren Besuch er im Alter von 13 Jahren wegen Lernschwierigkeiten abbrechen musste. Sodann wechselte er auf eine Sonderschule, auf welcher er einen Hauptschulabschluss ohne Qualifikation erwarb. Eine Berufsausbildung absolvierte er nicht. Demzufolge arbeitete er auch in der nachfolgenden Zeit bis heute nicht in einem dauerhaften Anstellungsverhältnis, sondern nur gelegentlich als Handlanger und Hilfsarbeiter, etwa im Straßenbau oder als Produktionshelfer.
105Während seines einjährigen Dienstes bei der Bundeswehr wurde ihm durch seine Eltern anlässlich eines Streits der Zutritt zur Wohnung dauerhaft und endgültig untersagt, so dass er seit etwa dem Jahr 1996 auf eigenen Füßen stehen musste, womit er angesichts seiner fehlgeschlagenen Sozialisation und seiner intellektuellen Fähigkeiten gänzlich überfordert war.
106Er verbrachte einige Zeit im Kolpinghaus in S, einer sozialen Einrichtung, die auch Unterkunft bietet. Diese musste er jedoch nach wenigen Monaten infolge eines Streits mit Mitbewohnern wieder verlassen. Auch ein von ihm angemietetes Zimmer über einer Gaststätte musste er nach wenigen Monaten wieder räumen, da er die Miete nicht bezahlen konnte.
107Bis in das Jahr 2002 hinein lebte der Angeklagte nunmehr überwiegend ohne festen Wohnsitz im Raum S in den Tag hinein. Da er mit Behördengängen überfordert war, bezog er keinerlei Sozialleistungen und besaß schließlich auch keine gültigen Ausweisdokumente mehr. Zeitweise lebte er bei Bekannten, zeitweise aber auch auf der Straße. In dieser Zeit verkehrte er im Trinkermilieu und konsumierte seiner damaligen Gewohnheit seit seinem 16. Lebensjahr entsprechend, regelmäßig Alkohol, vornehmlich Bier. Eine Alkoholanhängigkeit entwickelte er indes nicht.
108Ab dem Jahr 2002 lebte er in einer Wohngemeinschaft in der S-Straße in S, in einem Gebäude, das überwiegend von sozial randständigen, alkohol- und/oder suchtkranken Personen bewohnt wurde. Phasenweise war er über Leiharbeitsfirmen als Handlanger berufstätig. Bis heute ist er ohne fremde Hilfe nur eingeschränkt in der Lage, als Erwachsener auf eigenen Beinen zu stehen und etwa Freundschaften oder Beziehungen zu führen.
109Nachdem das Gebäude in der S-Straße abgerissen wurde, fand der Angeklagte mit Hilfe der Wohnungslosenhilfe Unterkunft in seiner jetzigen Wohnung. Es wurde ein Betreutes Wohnen eingerichtet; der Angeklagte erhält Unterstützung durch die Caritas und das Sozialamt; er lebt von Sozialleistungen.
110Seit etwa Juni oder Juli 2015 ist er wegen aggressiven und autoaggressiven Verhaltens in ambulanter psychiatrischer Behandlung im Z.
111Der Angeklagte, der ansonsten keinen Hobbys nachgeht, besitzt eine starke Affinität zum Fußball. Diesen Sport übt er allerdings nicht selbst aus, sondern gehört vielmehr Fan- und „Ultra“- Gruppierungen an. Seit seiner Schulzeit war er immer wiederkehrend, auch in Fußballstadien, in Prügeleien in alkoholisiertem Zustand verwickelt, ohne allerdings dafür strafrechtlich verurteilt worden zu sein. Er versteht sich seiner eigenen Darstellung nach heute als „Hooligan“, ohne politisch aktiv zu sein.
112Zur Bedeutung und den politischen Aktivitäten von HoGeSa vermag er keine befriedigende Antwort zu geben. Er sehe in S schon einmal Salafisten. Die HoGeSa – Bewegung, der er nahe stehe, wolle seinem Verständnis nach sensibilisieren für das Problem der Salafisten. Mit Rechtsradikalen, der NPD, Pegida oder dergleichen will er nichts zu tun haben.
113In strafrechtlicher Hinsicht trat der bislang wie folgt in Erscheinung:
1141.
115Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Remscheid vom 2.11.2001, Az. 21 Cs 431 Js 1977/01 (884/01) wurde gegen ihn wegen Beleidigung, Tatzeit: 25.7.1999, eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 40 DM verhängt.
1162.
117Mit Urteil des Amtsgerichts Remscheid vom 13.11.2001, Az. 9 Ds 732 Js 1113/01 wurde er wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, Tatzeit 3.2.2001 zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 50 DM verurteilt.
1183.
119Mit Strafbefehl vom 7.1.2002, Az. 21 Cs 431 Js 1978/01 (1/02) verhängte das Amtsgericht Remscheid gegen ihn eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 40 DM wegen Sachbeschädigung, Tatzeit 1.1.2000.
1204.
121Mit Beschluss vom 23.5.2003, Az. 9 Ds 732 Js 1113/01 führte das Amtsgericht Remscheid die unter Ziff. 1 bis 3 vorgenannten Geldstrafen auf eine Gesamtgeldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 20 EUR zurück.
1225.
123Das Amtsgericht Bergisch Gladbach verurteilte ihn mit Urteil vom 22.3.2004, Az. 82 Js 295/03 41 Ds 111/03 wegen gemeinschaftlichen Diebstahls in einem besonders schweren Fall, Tatzeit 10.2.2003, zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 20 EUR.
1246.
125Mit Strafbefehl vom 14.9.2005, Az. 40 Js 3268/05 21 Cs verhängte das Amtsgericht Remscheid gegen ihn eine Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 12,50 EUR wegen gemeinschaftlicher Sachbeschädigung, Tatzeit 8.7.2005.
1267.
127Das Amtsgericht Remscheid verhängte mit Strafbefehl vom 06.09.2006, Az. 70 Js 4815/06 21 Cs gegen ihn wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen am 4.7.2006 eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 12,50 EUR.
1288.
129Mit Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 3.11.2006, Az.25 Ks 430 Js 69/02 - 4/03 wurde er wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Tatzeit 1.6.2002 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Strafe wurde nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen.
130Sämtliche vorstehend dargestellten Entscheidungen waren zum Zeitpunkt der hier zu beurteilenden Tat bereits rechtskräftig.
131II.
132- A. 133
(Vorgeschichte zwischen N und Y2)
Etwa 3 Jahre vor dem Tatgeschehen des 11.04.2015 besuchte der Angeklagte N (damals Q) gemeinsam mit 5 oder 6 weiteren Personen erstmals das vom späteren Geschädigten, dem nicht vorbestraften, heute 55-jährigen Y betriebene Café N. Es handelt sich hierbei um eine vorwiegend von Mitgliedern der linken Szene und Personen mit Migrationshintergrund frequentierte Gaststätte in V. Diese ist aufgrund aushängender Plakate auch eindeutig als der linken Szene zugehörig zu erkennen.
135Nachdem der erste Besuch des Angeklagten N in dieser Gaststätte noch unauffällig verlaufen war, kam es bei einem zweiten Besuch, der wenige Wochen später und wiederum mit einigen Begleitern stattfand, dazu, dass aus der Gruppe heraus andere Gäste, welche erkennbar Ausländer waren oder dem linken politischen Spektrum zugehörten, beleidigt und bedroht wurden. Der Zeuge Y2 rief schließlich die Polizei, welche den Angeklagten N und dessen Begleiter hinausbegleitete. Anlässlich dieses Vorfalls sprach der Zeuge Y2 gegenüber dem Angeklagten N ein Lokalverbot aus.
136Etwa im Februar 2014 suchte der Angeklagte N erneut, diesmal in Begleitung einer Frau und mehrerer männlicher Personen, die allerdings draußen warteten, das Lokal auf. Der Zeuge Y2 wies ihn unter Verweis auf das Hausverbot an der Tür ab. Nach einiger Diskussion entfernte der Angeklagte N sich schließlich, nachdem er seinen Begleitern sinngemäß zugerufen hatte: „Eh Freunde habt ihr das gehört, das N hat mir Lokalverbot erteilt“, und sodann die Tür des Lokals hinter sich zugeknallt hatte.
137Am 23.01.2015 beteiligte der Angeklagte N sich über sein Smartphone an einer Gruppendiskussion in der „What’s App“ - Chatgruppe „Antifafeiersprengen“ mit rund 100 Teilnehmern. Die relevanten, zwischen 13:51 Uhr und 14:11 Uhr verfassten Chatbeiträge lauten:
138###Angriff:
139„Bei real in bilk is nix los“
140Nutzer 49 #####/####:
141„Ist auch nie, deswegen müssen wir mal da das Linken Zentrum angreifen. Da sind nie Bullen“
142…. „Dominik meese… Der klausi“
143###Angriff:
144„Ja wir müssen echt mal langsam versuchen was anzugreifen abends“
145„erkundigen wann die da ne Szene Party haben“
146Der Angeklagte N:
147„We immer in Wuppertal“
148###Angriff:
149„Steht sowieso im Internet bzw. Facebook. Dann nachts einrennen den Kackschuppen“
150h:
151„Isso alter dann machen wir aber die Mollis und werfen die“
152###Angriff:
153„Haha“
154„Burn Motherfucker BURN”
155…:
156“Genau so muss es sein“
157„aber lass das mal erlich machen“
158[…]
159Tatsächlich kam es, soweit festzustellen, bis zum 11.04.2015 nicht zu einem gewalttätigen Angriff auf ein Autonomes Zentrum.
160Etwa im März 2015 lernten sich die Angeklagten U3, N und C5 anlässlich ihrer jeweiligen Teilnahme an Veranstaltungen und Demonstrationen der Gruppierung „Hooligans gegen Salafisten“ (HoGeSa) kennen. Man nahm fortan gemeinsam an solchen Veranstaltungen teil oder traf sich, um Fahrten zu derartigen Veranstaltungen zu planen und bei dieser Gelegenheit gemeinsam Alkohol zu trinken.
161So hatten die Angeklagten sich auch am 11.04.2015 zu einem gemeinsamen Treffen in V verabredet, da sie planten, zu einer demnächst stattfindenden Demonstration in R zu reisen. Die Anreise sollte gemeinsam mit Anderen in einem gemieteten Reisebus erfolgen, die Kontakte zum Veranstalter der Fahrt hatte der Angeklagte U3 vermittelt, der an diesem Tag auch das Geld für die Busfahrt von seinen beiden Mitangeklagten einsammeln wollte.
162Die Angeklagten trafen sich am Nachmittag des 11.04.2015 am V Hauptbahnhof und begaben sich zunächst zur Netto – Filiale…, um Getränke zu besorgen. Sie kauften insgesamt zwei 0,7l - Flaschen Brandy „Goldbrand Prinzenwappen“, zwanzig 0,5l -Flaschen Bier, sowie drei 0,02 l – Fläschchen Likör. Der Angeklagte U3 bezahlte den Einkauf. Sodann begaben sie sich zur Wohnung des Angeklagten N, Mühlenschütt 7 in V, wo sie ihre Besprechung abhielten und dabei von den soeben gekauften Getränken tranken, diese aber nicht komplett aufbrauchten. Hierbei war neben allen drei Angeklagten auch die nunmehrige Ehefrau des Angeklagten N, TN (damals v) anwesend. Genauere Inhalte der Besprechung oder individuelle Trinkmengen konnte die Kammer nicht feststellen.
163Zu späterer, aber nicht genau feststellbarer Stunde kam in der Runde die Idee auf, gemeinsam das „Autonome Zentrum“, eine offenkundig der linken bis linksextremen Szene zugehörigen Einrichtung aufzusuchen. Urheber der Idee war der Angeklagte N, welcher als einziger der Gruppe hinreichend ortskundig war und daher wusste, wo sich das Autonome Zentrum befand. Er bezweckte damit, die Räumlichkeiten im Hinblick auf einen möglichen zukünftigen Angriff mit Gesinnungsgenossen der Gruppe „Antifafeiersprengen“ auszuspähen. Hierbei war ihnen bewusst, dass sich dort Personen aufhalten würden, mit denen sie aufgrund ihrer politischen Gesinnung zutiefst verfeindet waren, sie sich also gleichsam in die Hochburg des extremen Gegners begeben würden.
164Bevor die Angeklagten sich gemeinsam auf den etwa einen Kilometer weiten Fußweg zu dem an der Ecke K/ N-Straße. gelegenen Autonomen Zentrum begaben, steckte der Angeklagte N in Erwartung einer etwaigen gewalttätigen Auseinandersetzung für die anderen Angeklagten sichtbar einen Teleskopschlagstock in seine Kleidung ein und erklärte, das sei „zur Sicherheit“. Mit der Erklärung, auch dies sei „zur allgemeinen Sicherheit“ händigte er dem Angeklagten U3 zudem ein schwarz-silbernes Einhandmesser mit einer Klingenlänge von (aufgeklappt) 9 cm, das spätere Tatmesser, aus. Dieser klappte das Messer ein- oder zweimal auf und wieder zu und steckte es sodann in seine Kleidung ein. Der Angeklagte C5, der dies sah, blieb unbewaffnet.
165Bei dem Autonomen Zentrum handelt es sich um ein im Eigentum der Stadt V stehendes, an eine Privatperson vermietetes, dreistöckiges Gebäude. Dieses ähnelt äußerlich einer Art Jugendzentrum und wird von einer Vielzahl von Personen, darunter auch Mitgliedern der linken und linksautonomen Szene genutzt. Ein fester Nutzerkreis besteht allenfalls im Hinblick auf die im Erdgeschoss befindlichen Band-Proberäume; im Übrigen ist grundsätzlich jedermann der Zutritt möglich.
166Im Erdgeschoss des Gebäudes befinden sich neben dem Haupteingang ein Party- sowie zwei Probenräume sowie eine Herrentoilette. Unmittelbar gegenüber dem Haupteingang befindet sich die Treppe ins erste Obergeschoss, über einen in Blickrichtung Treppe rechts versetzten Flur werden die weiteren Räume erreicht. Links neben dem Haupteingang befindet sich außen noch der Zugang zu einer am Tatabend mittels Rolltor geschlossenen, Garage. Das erste Obergeschoss wird größtenteils von einem Bar - Bereich mit Theke, Kicker und Bühne eingenommen. Von diesem Raum aus ist ein in den Hinterhof weisender Balkon erreichbar, von dem aus eine Treppe in den Innenhof führt. Im zweiten Obergeschoss befinden sich die Damentoiletten, sowie diverse Büro- und Gruppenräume, im dritten Obergeschoss ein äußerst unaufgeräumter Speicherraum.
167Etwa gegen 23:30 Uhr erreichten die Angeklagten das Autonome Zentrum und betraten ungehindert – eine Einlasskontrolle fand nicht statt – das Gebäude. Sie begaben sich in den Bar-Bereich im 1. Obergeschoss und hielten sich dort Bier trinkend auf. Hierbei bemühten sie sich, ihre aufgrund ihrer Gesinnung den Besuchern des Autonomen Zentrum gegenüber feindliche Einstellung nicht erkennen zu lassen. Zudem trugen sie weder auf ihre politische Zugehörigkeit hinweisende Oberbekleidung, noch szenetypische Accessoires. Der Angeklagte U3 trug allerdings unter einer weißen Kunstlederjacke und einem neutralen Sweatshirt verborgen ein T-Shirt mit dem Schriftzug „Die treueste Kameradschaft bildet sich unter denjenigen, die an dieselbe Kette geschmiedet sind und darum dieselben Leiden zu erdulden haben“
168Alle drei Angeklagten hatten zu diesem Zeitpunkt alkoholische Getränke in einigem Umfang konsumiert, wiesen jedoch zu diesem Zeitpunkt und während des nachfolgenden Tatgeschehens keine wahrnehmbaren alkoholbedingten Ausfallerscheinungen auf. Sie waren zwar enthemmt, aber in ihrer Steuerungsfähigkeit nicht erheblich beeinträchtigt.
169Sie fielen im Verlaufe des Abends dem Zeugen C3 und einigen weiteren Besuchern dadurch auf, dass sie in als unangemessen empfundener Weise anderen Besuchern Tipps gaben, wie man richtig kickern sollte und zudem junge Frauen in anzüglicher Weise ansahen und sich diesen körperlich eng annäherten, ohne jedoch sexuell übergriffig zu werden. Die Gespräche zwischen den Angeklagten und den weiteren Besuchern des Autonomen Zentrums blieben jedoch zunächst entspannt und vorgeblich freundschaftlich, da erstere sich bewusst umgänglich und interessiert verhielten, weil sie weitere Informationen zu erlangen hofften und nicht als politische Gegner auffallen wollten.
170Der Zeuge C3 wurde von den Angeklagten mehrfach über das Autonome Zentrum befragt, etwa, warum Räume verschlossen seien, ob oben im 2. Obergeschoss noch etwas zu sehen sei und ob man da hingehen dürfte, ob es ein Konzert gebe, da von unten Musik zu hören sei, was sich hinter einer bestimmten, verschlossenen Tür befinde, und Ähnliches.
171Etwa gegen 24:00 Uhr hatten sich alle drei Angeklagten in das zweite Obergeschoss, wo an diesem Abend keinerlei Betrieb herrschte, begeben. Der Zeuge C3, dem die Angeklagten angesichts ihres Verhaltens suspekt erschienen, bemerkte dies und folgte ihnen. Er traf den Angeklagten C5 im Flur an und hörte die Stimmen der anderen beiden Angeklagten aus dem Damen – WC, welches er sodann betrat, um die Angeklagten zu befragen, was sie dort zu suchen hätten. Hierbei sah er, dass der Angeklagte U3, der sich bis dahin unbeobachtet geglaubt hatte, gerade – um so seine Verachtung für das „Autonome Zentrum“ und dessen Besucher auszudrücken - in eine Ecke des Raumes urinierte.
172Auf die Ansprache des Zeugen, was dieses Verhalten denn nun solle, entschuldigte sich der Angeklagte N bei dem Zeugen und alle drei Angeklagten begaben sich zunächst wieder in den Bar-Bereich im ersten Obergeschoss.
173Zeitweise war auch die nunmehrige Ehefrau des Angeklagten N an diesem Abend im Autonomen Zentrum anwesend. Sie hatte sich jedoch jedenfalls vor Beginn des eigentlichen, noch darzustellenden, Tatgeschehens wieder entfernt.
174Etwa gegen 24:00 Uhr traf auch der spätere Geschädigte Y im Autonomen Zentrum ein. Er hatte an diesem Abend sein Café N früher als sonst geschlossen, da die Gäste bereits gegangen waren und sich spontan entschlossen, seinen letzten Gast, den mit ihm befreundeten Zeugen G noch ins Autonome Zentrum zu begleiten, welches beide gelegentlich besuchten. Der spätere Geschädigte Y2, welcher von seinen Bekannten als von seinem Wesen her ruhig und auf Ausgleich bedacht, geschildert wird, befand sich zu diesem Zeitpunkt in normaler, entspannter Stimmung. Für den ihn begleitenden Zeugen G gab es keinerlei Anhaltspunkte für einen etwaigen bevorstehenden Konflikt.
175Innerhalb des Autonomen Zentrums kam es zum zufälligen Zusammentreffen des Y mit dem Angeklagten N. Die Beteiligten erkannten sich wechselseitig und der Zeuge Y2, der den Angeklagten N der rechten Szene zurechnete, sprach ihn sinngemäß an, was er denn jetzt auch noch hier wolle.
176Der Angeklagte N fühlte sich hierdurch enttarnt und teilte seinen beiden Mitangeklagten mit, dass man jetzt gehen müsse, weil man „aufgeflogen“ sei. Die Angeklagten erwarteten aufgrund dessen zutreffend, dass die Stimmung der anderen Besucher, von denen zumindest einige einem politisch mit dem ihren zutiefst verfeindeten Lager angehörten, sich massiv gegen sie richten werde. Sie traten daher rasch den Rückzug an und begaben sich durch das Treppenhaus zum Ausgang, entfernten sich jedoch nicht, sondern blieben im Eingangsbereich des Gebäudes stehen.
177Ihnen gegenüber trat eine wachsende Anzahl von Personen aus dem Autonomen Zentrum, welche mitbekommen hatten, dass sich „Nazis“ im Haus aufhalten sollten.
178Im Eingangsbereich des Hauses – der Angeklagte N stand zunächst in der Tür, die anderen Angeklagten leicht versetzt hinter ihm, kam es zu einer zunächst noch halbwegs ruhig geführten Diskussion. Wortführer auf Seiten der Angeklagten war hierbei der Angeklagte N, welcher sich darauf berief, kein „Nazi“ mehr, sondern aus der rechten Szene ausgestiegen, zu sein. Auch der Angeklagte U3 beteiligte sich an der Diskussion, indem er versuchte, die Argumentation des Angeklagten N zu unterstützen.
179Einer der Wortführer auf Seiten des „Autonomen Zentrums“ war der spätere Geschädigte Y2, welcher auf dem Standpunkt beharrte, der ihm schon von den Vorfällen in seiner Gaststätte als „Rechter“ bekannte Angeklagte N solle mit seinen Begleitern gehen. In dieser Auffassung unterstützten ihn der Zeuge C, sowie weitere Personen, welche gemeinsam mit ihm in einer Reihe vor der Tür innerhalb des Gebäudes standen. Die Diskussion zog sich über einige Zeit hin, ohne inhaltlich von der Stelle zu kommen, während die Stimmung allmählich immer aufgeheizter wurde. Hierbei blieb der Zeuge Y2 weiterhin ruhig, aber in der Sache konsequent. Er trug währenddessen eine Bierflasche, aus der er zuvor getrunken hatte, bei sich, setze diese jedoch in keiner Weise als Drohmittel ein.
180Schließlich verlor der Angeklagte N aus Verärgerung, erkannt und „hinausgeworfen“ und damit seinem Verständnis nach gedemütigt worden zu sein, die Beherrschung. In dem Bewusstsein, für eine tätliche Auseinandersetzung gerüstet zu sein, rief er laut aus: „Wisst ihr was, wir sind die Jungs von der HOGESA!“ und stieß den ihm zu dieser Zeit gegenüberstehenden Zeugen C zu Boden. Er verlor hierbei selbst das Gleichgewicht und stürzte auf den zu Boden gefallenen Zeugen in den Eingangsbereich des Autonomen Zentrums hinein. Hierdurch eröffnete er ein wenige Sekunden andauerndes Gerangel zwischen den Besuchern des autonomen Zentrums einerseits und der Gruppe der Angeklagten andererseits. Noch am Boden befindlich begann er, den mitgeführten Teleskopschlagstock, den er in der Gesäßtasche oder im Gesäßbereich eines Hosenbeines verborgen getragen hatte, herauszuziehen. Der Zeuge C3, der das Geschehen bislang aus der zweiten Reihe verfolgt hatte, erkannte dies und versuchte dies zu verhindern, indem er den Angeklagten N am Arm packte, war diesem jedoch kräftemäßig unterlegen.
181Dem Angeklagten N gelang es, wieder auf die Füße zu kommen, den Teleskopschlagstock zur vollen Größe zu bringen und mit diesem drohend in Richtung der anwesenden Besucher des Autonomen Zentrums herumzufuchteln. Gezielte Schläge waren nicht festzustellen. Schließlich beendete der Angeklagte U3, der sich nach wie vor in unmittelbarer Nähe des Angeklagten N im Türbereich aufhielt, das Gerangel, indem er den Angeklagten N von hinten an der Schulter packte und ihn aus dem Gebäude nach draußen auf den Bürgersteig zog. Auch der Angeklagte C5, hatte sich im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang nach draußen vor die Tür begeben.
182Unmittelbar nachdem der Angeklagte N als letzter der Angeklagten nach draußen gelangt war, stieß der Zeuge C3, welcher noch sah, dass die Angeklagten sich aus seiner Blickrichtung nach rechts von der Tür weg bewegten, die Tür zu, verschloss diese mittels des senkrechten Stangenriegels und legte zudem eine waagerecht verlaufende Metallstange als zusätzlichen Riegel vor. Die Tür wurde noch von einem Schlag oder Wurfgeschoss getroffen, sodann kehrte im Inneren des Autonomen Zentrums Ruhe ein.
183Im Zuge des Gerangels war ebenfalls - was von den im Autonomen Zentrum befindlichen Personen zunächst niemand bemerkt hatte - der Zeuge Y2 nach draußen geraten. Nachdem ihm durch die geschlossene Tür der Rückweg versperrt war, sah er sich nunmehr allein den drei Angeklagten gegenüber.
184Aufgrund eines spontan gefassten Entschlusses, sich an ihm mittels eines körperlichen Angriffs für die soeben durch den Hinauswurf erlittene Schmach zu rächen, griffen die Angeklagten nunmehr im bewussten, gemeinschaftlichen Zusammenwirken den Zeugen Y2, der aus ihrer Sicht für ihren Hinauswurf der Stein des Anstoßes gewesen war, an.
185Das Gewaltgeschehen konnte durch die Kammer nicht in allen Einzelheiten rekonstruiert werden. Jedoch war auszuschließen, dass der initiale Angriff von dem Zeugen Y2 ausgegangen wäre.
186Im Zuge des Geschehens wirkten die Angeklagten C5 und N jedenfalls mit Schlägen auf das Tatopfer ein; ob sie ihm auch Fußtritte versetzten, war nicht sicher feststellbar. Der Angeklagte U3 zog im Zuge des Geschehens das mitgeführte Einhandmesser aus seiner Kleidung, klappte es auf und versetzte dem Zeugen Y2 damit, teilweise in rascher Folge, insgesamt acht kraftvoll geführte, gezielte Stiche, wovon sechs eng beieinanderliegend den linksseitigen Rücken, einer den linksseitigen Halsbereich und ein weiterer den Kopf im Bereich unterhalb der linken Schläfe vor dem äußeren Gehörgang trafen. Hierbei nahm er den Tod seines Opfers billigend in Kauf.
187Hierbei ist auszuschließen, dass die Messerstiche – so aber die Einlassung des Angeklagten U3 – in einer Situation erfolgt wären, in der der Zeuge Y2 auf dem Angeklagten U3 gelegen hätte.
188Y erlitt infolge der Messerstiche lebensgefährliche Verletzungen. Die Messerstichverletzung im Halsbereich verursachte eine spritzende Blutung; mindestens einer der Messerstiche drang bis in die Lunge und eröffnete diese, was einen Kollaps des linken Lungenflügels – Pneumothorax – hervorrief. Zudem begannen sich - neben einer starken Blutung nach außen - erhebliche Mengen Blut in der Brusthöhle anzusammeln. Infolge der weiteren Gewalteinwirkung durch die Schläge erlitt er zwei Platzwunden im Kopfbereich. Im Übrigen erlitt er durch die Schlageinwirkung keine nennenswerten Verletzungen oder Hämatome.
189Der Zeuge Y2 versetzte dem Angeklagten U3 gegen Beginn des Gewaltgeschehens seinerseits in Verteidigungsabsicht zwei Schläge mittels einer Bierflasche auf den Kopf, wodurch dieser im Kopfbereich zwei Platzwunden erlitt. Der Angeklagte U3 erlitt ferner durch das von ihm selbst geführte Messer eine Stichverletzung im linken Oberschenkel, welche auf einen abgelenkten oder sonst wie fehlgegangenen Messerstichversuch seinerseits zurückgeht. Darüber hinaus trug er eine Schnittverletzung im Bereich der linken Hand davon, deren Ursache nicht sicher festzustellen war; in Betracht kommen insoweit sowohl eine Schnittverletzung durch einen vom Zeugen Y2 noch gehaltenen abgebrochenen Flaschenhalts, ein versehentlicher Schnitt mit dem eigenen Messer oder ein Sturz in die am Tatort reichlich herumliegenden Glasscherben.
190Erst die Schlussphase des Gewaltgeschehens wurde durch die Zeugen N2, T2 und L3 beobachtet. Diese befanden sich im Haus Gathe 25 und wurden durch den Lärm aufmerksam. Aus ihren jeweiligen Positionen – die Zeugen N2 und T2 im Dachgeschoss des dem Autonomen Zentrum schräg gegenüberliegenden Hauses, der Zeuge L3 aus dem zweiten Stock desselben Gebäudes – hatten sie eine freie Sicht auf den Eingangsbereich des Autonomen Zentrums. Auch durch die Dunkelheit war die Sicht allenfalls geringgradig beeinträchtigt, da der Eingangsbereich durch unterschiedliche Lichtquellen, insbesondere eine nahe gelegene Straßenlaterne ausgeleuchtet war.
191Auch die auf der Straße befindlichen, sich im Laufe des Geschehens annähernden Zeugen H, W und F2, welche durch den „HoGeSa“ – Ruf des Angeklagten N aufmerksam geworden waren, sich allerdings noch annähern mussten, um etwas sehen zu können, beobachteten die Schlussphase des Geschehens.
192Zum Zeitpunkt des Beginns der Beobachtung durch die Zeugen verfügte Y2 über keine Bierflasche mehr und wurde von allen drei Angeklagten weiter zumindest mit Schlägen traktiert sowie gegen die neben dem Eingang des Autonomen Zentrums befindlichen Mülltonnen sowie entweder das Garagentor des Gebäudes oder aber einen daneben stehenden Bauzaun geschleudert, bis er schließlich zu Boden ging und offensichtlich schwer verletzt liegen blieb.
193Der Beginn der ausschließlich vom Angeklagten U3 ausgeführten Messerstiche konnte zeitlich nicht sicher innerhalb des Gewaltgeschehens verortet werden; insoweit war nicht sicher festzustellen, dass die anderen beiden Angeklagten die Messerstiche durch U3 bemerkt und hernach noch weiter auf das Tatopfer eingewirkt hätten.
194Zuletzt beugte sich der Angeklagte U3 noch einmal zu dem am Boden liegenden Tatopfer hinunter und wirkte ein letztes Mal mit einer weit ausholenden Bewegung des Armes und der Hand auf das bereits wehrlos am Boden liegende Tatopfer ein. Ob es sich hierbei um einen Schlag oder einen letzten Messerstich handelte, konnte nicht geklärt werden.
195Aufgrund der spätestens jetzt hervorgerufenen spritzenden Blutung im Halsbereich des Tatopfers in Verbindung mit den anderen ebenfalls T blutenden, durch ihn unmittelbar verursachten Verletzungen erkannte der Angeklagte U3 spätestens jetzt, dass er das Tatopfer akut lebensbedrohlich verletzt hatte, so dass ohne rettendes Eingreifen mit dessen Tod zu rechnen war.
196Gleichwohl ergriff er, ohne sich weiter um das Opfer zu kümmern, gemeinsam mit den anderen Angeklagten die Flucht, wobei er das Tatmesser verlor. Obgleich noch einer der anderen Angeklagten etwas ausrief wie „nimm das Messer mit“ oder „Du hast das Messer fallen lassen“, verblieb es am Tatort.
197Y konnte sich trotz seiner Verletzungen nach der Flucht der Angeklagten zunächst noch einmal mit letzter Kraft aufrappeln und in Richtung des Gebäudes schleppen. Die im Gebäude befindlichen Personen hatten inzwischen bemerkt, dass er versehentlich mit ausgesperrt worden war und die Tür – seit dem Schließen durch den Zeugen C3 waren etwa dreißig Sekunden bis zwei Minuten vergangen - wieder geöffnet. Keiner der im Autonomen Zentrum befindlichen Zeugen konnte nach dem erneuten Öffnen der Tür die Angeklagten noch erblicken.
198Y wurde nun von mehreren Personen gestützt ins Gebäude verbracht, wo die Zeugen C und b, die über Erste-Hilfe-Kenntnisse verfügten, versuchten, ihn erstzuversorgen, wobei der Zeuge C rasch erkannte, dass das Ausmaß der Verletzungen seine Fähigkeiten bei weitem überstieg. Ein erster, von einem Besucher des Autonomen Zentrums abgesetzter Notruf bei der Feuerwehr ging dort um 1:07 Uhr ein.
199Umgehend wurden Polizei- und Rettungskräfte zum Tatort entsandt. Zunächst traf der Rettungssanitäter Berg gemeinsam mit einem weiteren Kollegen ein. Sie wurden zum Tatopfer vorgelassen und begannen mit der Erstversorgung. Da infolge des Tatgeschehens unter den Besuchern des Autonomen Zentrums allgemeinen Verwirrung und Hektik herrschten, kam es zu einer raschen Zuspitzung der Lage zwischen Personen aus dem Autonomen Zentrum und den eintreffenden Polizeikräften, welche zunächst mögliche Täter im Autonomen Zentrum vermuteten. Hierbei ereigneten sich zumindest verbale, möglicherweise auch handgreifliche Auseinandersetzungen, welche die Kammer im vorliegenden Verfahren nicht im Einzelnen aufzuklären hatte. Infolge dieser unübersichtlichen Lage wurden die Rettungssanitäter aus Eigensicherungsgründen zunächst wieder abberufen. Die Behandlung des Tatopfers Y2 durch die herbeigerufene Notärztin Dr. T4 konnte daher erst nach dessen Bergung durch Polizeikräfte aus dem Gebäude mit einiger Verzögerung erfolgen.
200Zu Beginn der notärztlichen Versorgung, welche im Krankenwagen vor dem Gebäude stattfand, war infolge des Lungenkollapses die Sauerstoffsättigung im Blut des Tatopfers bereits nicht mehr ausreichend, es bestand zudem die konkrete Gefahr des Verblutens. Ohne die nunmehr beginnende ärztliche Behandlung wäre mit dem Tod des Tatopfers innerhalb einer halben Stunde zu rechnen gewesen.
201Dr. T4 legte notfallmäßig eine Thoraxdrainage, um das flüssige Blut sowie die eingedrungene Luft aus der Brusthöhle entfernen zu können, versorgte den Patienten mit Sauerstoff und bemühte sich, die Blutungen soweit möglich zu stillen. Y wurde sodann in das MKrankenhaus verbracht, wo er nach der initialen Behandlung im Schockraum, in deren Rahmen eine zweite Thoraxdrainage angebracht wurde, soweit stabilisiert werden konnte, dass eine notfallmäßige Operation möglich war. Er wurde hierzu in ein künstliches Koma versetzt. Im Rahmen der notfallmäßigen Operation wurde die Verletzung im Halsbereich, welche spritzend blutete, als die vorrangig zu behandelnde identifiziert. Das Gefäß konnte erfolgreich genäht werden. Auch die weiteren Verletzungen wurden chirurgisch versorgt. Während der Behandlung wurden zum Ausgleich des lebensgefährlichen Blutverlustes insgesamt zehn Blutkonserven verbraucht.
202Die Angeklagten hatten sich unmittelbar nach der Tat wieder in die Wohnung N begeben. Hierbei konnte der Angeklagte U3 trotz seiner Beinverletzung selbständig dorthin rennen, wurde jedoch infolge dieser Verletzung, welche T blutete, zunehmend schwächer. Trotz seiner nicht unerheblichen Verletzung wollte er zunächst keinen Arzt aufsuchen, um nicht aufgrund des zeitlichen Zusammenhanges mit der erwarteten Einlieferung des Tatopfers in ein Krankenhaus mit diesem und dem Tatgeschehen in Verbindung gebracht zu werden. In der Wohnung bemühten sich die Mitangeklagten und Frau N, die wieder zur Gruppe gestoßen war, darum, ihn medizinisch zu versorgen. Nachdem sie bemerkten, dass die Verletzungen zu schwer waren und der Angeklagte U3 qualifizierte ärztliche Hilfe benötigte, fassten die Angeklagten einvernehmlich den Entschluss, ihn in der Nähe der R-Arkaden abzulegen und sodann einen Krankenwagen zu rufen. Mit dieser Vorgehensweise sollten die Angeklagten Q und C5 soweit wie möglich herausgehalten werden, um deren Tatbeteiligung zu verdecken. Die Alarmierung des Krankenwagens erfolgte durch Frau N, welche sich dem gemeinsam gefassten Plan entsprechend bei Abgabe des Notrufs als unbeteiligte Spaziergängerin ausgab.
203Der Angeklagte U3 wurde in das L-Klinikum V eingeliefert. Eine ihm dort um 03:40 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,0 o/oo. Die Verletzung am Bein wurde vernäht, ebenso die beiden Kopfplatzwunden. Die Schnittverletzung am Grundgelenk des linken Zeigefingers wurde chirurgisch versorgt. Seine Verletzungen waren insgesamt nicht lebensbedrohlich. Knöcherne Verletzungen sowie Blutungen im Gehirn konnten ausgeschlossen werden. Er verblieb bis zum 13.04.2015 im Krankenhaus. Nach seiner insoweit unwiderlegbaren Einlassung ist am Grundgelenk des rechten Zeigefingers bis heute ein schmerzhaftes Streckdefizit zurückgeblieben, weswegen er die Hand nicht mehr W2 belasten kann.
204Noch während sich der Angeklagte U3 im Krankenhaus befand, verfasste der mit ihm bekannte, in der Hogesa-Szene verwurzelte C7 als Kommentar zu einer Pressemeldung auf Facebook folgenden Text:
205„-Kurze Klarstellung zum Vorfall in Wuppertal Samstag Abend I!- Erstmal gute Besserung an Patrick U3. Einer meiner besten Kumpels! Nun mal zur Presse: Denkt ihr wirklich das wäre ein Racheakt der Hogesa gewesen, für die verdorbene Demo in V? Dann habt ihr Verachtung verdient! Wir wären niemals so blöd im Kopf und würden nur mit 3 leute ein mit ca.40-50 man AZ der antifa stürmen! Hätten wir und so ehrlich muss man sein, ein Racheakt geplant, meint ihr wirklich das wir so behindert im Kopf wären.. und nur mit 3 leute gezielt im Az V auftauchen? Sorry dann wären es mindestens 100 von uns gewesen Da man ja weis was im AZ Vl abgeht, und das ein Teil des schwarzen Blocks da verkehrt! Nur weil die leute Hogesa unterstützen, ist es noch lange kein Racheakt der Hogesa gewesen! […]
206Kein' Hooligan kein Türsteher kein Rocker kein „Nazi" ist so blöd im Kopf, und plant nur mit 3 Mann ein Racheakt in einem Deutschland weiten bekannten AZ , wo man weis, wieviet dort drin sind! Warum die leute dadrin gewesen sind,
207und was genau passierte, ist auch uns/mir zur Stunde noch unschlüssig.Fakt ist aber dass dies kein Racheakt der Hogesa gewesen ist Lügen Presse auf die Fresse […]
208Während des Krankenhausaufenthalts des Angeklagten U3 erfolgten drei Befragungen durch die Polizei. Hierbei gab er, zunächst als Zeuge belehrt, an, er sei an diesem Tag ab ca. 20 Uhr allein unterwegs gewesen. Er habe bereits zuhause Alkohol getrunken und sei dann in diversen Kneipen in V gewesen. Irgendwann, ohne dass ihm eine räumliche oder zeitliche Einordung möglich sei, habe er eine Gruppe von 3-4 Männern hinter sich bemerkt. Er habe irgendwie versucht eine Glasflasche abzuwehren und habe dann ein plötzliches Kopfdröhnen, vermutlich von einem Schlag auf den Kopf, wahrgenommen. Von da an wisse er nichts mehr. Er könne die Personen weder beschreiben, noch kenne er sie. Er wisse auch nicht, wo das Ganze geschehen sei und es habe zuvor auch keinen Streit oder Ähnliches gegeben.
209Diese Angaben bestätigte er in einer zweiten Befragung, nunmehr – da zwischenzeitlich das Tatmesser aufgefunden und ihm zugeordnet worden war - nach Belehrung als Beschuldigter. Hierbei stritt er, um seine Tatbeteiligung zu verschleiern und die Mitangeklagten vollständig herauszuhalten, ab, das Autonome Zentrum zu kennen.
210Im Rahmen der dritten Befragung gab er darüber hinaus an, dass er sich daran erinnern könne, im Bereich einer stillgelegten Tankstelle zwei Personengruppen bemerkt zu haben, die in eine Auseinandersetzung verwickelt gewesen seien. Er habe ca. 7 Personen bemerkt. Im Vorbeigehen sei ihm von einer ihm unbekannten, männlichen, lebensälteren Person ein Gegenstand, vermutlich eine Flasche, über den Kopf geschlagen worden. Hintergründe der Auseinandersetzung könne er nicht nennen.
211Nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus wurde der Angeklagte U3 am 14.04.2015 vorläufig festgenommen, nachdem sich der Anfangsverdacht gegen ihn erhärtet hatte. In zwei polizeilichen Vernehmungen am 14.04. und 15.04.2015 machte er weitere, widersprüchliche Angaben:
212In der polizeilichen Vernehmung vom 14.04.2015 äußerte er, er sei an diesem Tag mit zwei Bekannten – die er nicht benennen wolle, von denen einer ein „distanzierter Rechter“, der andere ein Mitglied der Hooliganszene sei, unterwegs gewesen. Einer dieser beiden habe ihm erklärt, was das Autonome Zentrum in V sei. Man sei dann gemeinsam daran vorbei gelaufen. Vor dem Gebäude hätten sich ca. sechs oder sieben Personen befunden. Eine dieser Personen habe seinen Begleiter erkannt und mit der rechten Szene aus V in Verbindung gebracht. Dieser habe dann angegeben, dass er kein Rechter sei, sondern von der HoGeSa. Dann seien diese Personen sofort auf seine Gruppe losgegangen. Auf ihn sei ein Mann mit einer Glasflasche zugelaufen und habe sie ihm zweimal auf den Kopf geschlagen. Er habe mit der der linken Hand versucht, die Flasche abzuwehren und mit der rechten habe er versucht, den Mann auf Distanz zu halten. Beim zweiten Mal sei die Flasche zerbrochen. Durch die Wirkung der Schläge sei er wohl schon benommen gewesen. Dann sei er ins Stürzen gekommen und habe wohl versucht, sich an dem Angreifer abzustützen. Dabei seien alle beide zu Boden gestürzt, der Angreifer auf ihn drauf. Er habe dann panische Angst bekommen, sein Messer herausgeholt und zugestochen.
213Er habe auf ihn eingestochen, bis der andere sich nicht mehr bewegt habe. Dann habe er das Messer fallen gelassen und sei weggelaufen. Die anderen seien hinter ihm hergekommen.
214Auf mehrfache Nachfrage blieb der Angeklagte U3 an diesem Tag dabei, zu keiner Zeit im Automonen Zentrum gewesen zu sein. Wer etwas anderes behaupte, der lüge.
215In der polizeilichen Vernehmung vom folgenden Tag räumte er erstmals ein, auch im Autonomen Zentrum gewesen zu sein. Er sei aus Neugierde mitgegangen. Er habe gefragt, was man da drinnen solle, er habe aber einfach nur gucken wollen, wie es da drinnen aussehe. Man habe keinen Stress machen wollen.
216Irgendwann – er selbst habe gekickert – sei der „distanzierte Rechte“ gekommen und habe gesagt: "Wir müssen gehen!". Er habe von diesem dann erfahren, dass ihn irgendjemand mit der rechten Szene von früher in Verbindung bringe. Man sei dann nach unten gegangen und habe sich dort bereits drei bis vier Personen gegenüber gesehen und sei von diesen – die Gruppe sei auf sieben oder acht Personen angewachsen – nach draußen geschubst worden. Draußen habe dann eine Diskussion zwischen dem „distanzierten Rechten“ und der Person, die ihn später mit der Flasche angegriffen habe, begonnen. Er selbst habe in diese Diskussion noch schlichtend eingegriffen, um die Situation zu beruhigen. Schließlich habe der „distanzierte Rechte“ etwas lauter gesagt: „Ich bin kein Rechter, ich bin jetzt HoGeSa“, Dann sei es zur Eskalation gekommen. Er habe noch gesehen, dass mindestens einer nach dem „distanzierten Rechten“ gegriffen habe. Er habe dann eine nahe bei ihm stehende Person in Richtung Straße weggeschubst, weil er gedacht habe, diese Person wolle auf ihn losgehen.
217Dann sei von der anderen Seite her der Angreifer mit erhobener Flasche auf ihn zugekommen und habe ihn angegriffen. Den weiteren Hergang des Geschehens schilderte er dann, wie am Tag zuvor.
218Auf Befragen, wann er aufgehört habe, zu stechen, gab er an, er habe bemerkt, dass der andere sich nicht mehr bewegt habe. Dann sei dieser halb von ihm herunter gerutscht und teilweise habe er ihn von sich herunter geschoben. Dann habe er beim Aufstehen das Messer fallen gelassen und die Flucht ergriffen.
219Zur Herkunft des Messers gab er zunächst wahrheitswidrig und in der Absicht, den Mitangeklagten Q nicht zu belasten, an, dieses stamme aus seinem Ausbildungsbetrieb. Er habe es nur zufällig mitgenommen und es in seiner rechten Jackentasche getragen.
220Seit dem 15.04.2015 befindet der Angeklagte U3 sich aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Wuppertal vom gleichen Tag in Untersuchungshaft.
221Das Tatopfer Y lag seit seiner Einlieferung in das M - Krankenhaus insgesamt 20 Tage im künstlichen Koma, da über diese Zeitspanne eine künstliche Beatmung erforderlich war. Eine Verlegung auf die Normalstation erfolgte erst ca. 4 ½ Wochen nach der Tat, die Entlassung aus dem Krankenaus am 13.05.2015. Es trat eine Komplikation in Form einer Lungenentzündung auf.
222Eine Nachuntersuchung durch die Lungenfachärztin Dr. L2 im September 2015 ergab eine mittelgradige Restriktion der Lunge durch Narbengewebe bei altersentsprechend im Normbereich liegenden Blutgaswerten. Als zusätzlicher Befund wurde ein beginnendes Lungenemphysem, welches allerdings auf jahrelanges Rauchen zurückzuführen ist, festgestellt. Wenngleich eine weitere Verbesserung noch möglich ist, ist – infolge der erlittenen Verletzung und der dadurch entstandenen Lungenentzündung - mit dem Verbleib einer gewissen Einschränkung der Lungenfunktion auf Dauer sicher zu rechnen.
223Y leidet zudem bis heute an Schmerzen im Schulter- und Nackenbereich sowie im linken Arm. In Bezug auf diesen besteht auch bis zum heutigen Tag eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung. Er kann den Arm nur bis knapp unterhalb der Waagerechten anheben. Es besteht der weiter abklärungsbedürftige Verdacht auf eine Nervenläsion.
224Nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus musste Y sich einer ursprünglich auf fünf Wochen angelegten, jedoch auf sieben Wochen verlängerten Reha-Behandlung unterziehen. Eine physiotherapeutische Behandlung dauert noch an.
225Y trug infolge des Tatgeschehens auch erhebliche psychische Folgen davon. Seit seinem Erwachen aus dem künstlichen Koma leidet er unter Schlafstörungen, Alpträumen starken Angstgefühlen und Schweißausbrüchen; er durchlebt gedanklich immer wieder das Tatgeschehen und verspürt einen Drang, dran zu denken.
226Auch klagt er über Konzentrationsschwierigkeiten und Vergesslichkeit. Er zieht sich sozial T zurück.
227In allgemeinpsychiatrischer Hinsicht liegen die Diagnosen einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer depressiven Störung vor. Diese wird von dem behandelnden Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, dem Zeugen Y derzeit medikamentös mit Antidepressiva behandelt. Des Weiteren fanden vier Sitzungen statt, um den Patienten vorläufig zu stabilisieren. Eine weitergehende Psychotherapie ist erforderlich; diese hat allerdings mangels freier Kapazitäten des Arztes noch nicht begonnen.
228Y ist bis heute nicht in der Lage, sein Café wieder eigenständig zu betreiben. Dieses öffnet er bislang nur gelegentlich, wenn er Unterstützung durch Freunde oder Stammgäste erhält. Wann sich dieser Zustand ändern wird, ist noch nicht absehbar.
229III.
2301.
231Die Feststellungen zur Person der jeweiligen Angeklagten beruhen auf deren Einlassungen, soweit die Kammer diesen zu folgen vermochte und im Übrigen dem Ergebnis der Beweisaufnahme, deren Umfang sich aus der Sitzungsniederschrift ergibt.
232Die Feststellungen zu den Vorstrafen aller drei Angeklagter beruhen auf den jeweiligen, in der Hauptverhandlung verlesenen BZR-Auszügen, sowie den im Selbstleseverfahren eingeführten Vorstrafenurteilen.
233A. U3:
234Der Einlassung des Angeklagten zu seinen persönlichen Verhältnissen konnte umfassend gefolgt werden, mit Ausnahme seiner Darstellung, sich von rechtsextremem Gedankengut und der rechten Szene bereits im Jahr 2012, vor seiner erstmaligen Inhaftierung, endgültig distanziert zu haben.
235Dem stehen bereits die in der Stellungnahme des Leiters der JVA Heinsberg vom 09.08.13 - im Selbstleseverfahren eingeführt - wiedergegebenen, eindeutig rechtsradikalen Äußerungen des Angeklagten U3 aus dem Jahr 2013 entgegen. Dort hatte er sich ausweislich dieser Stellungnahme vielfach verbale Auseinandersetzungen mit Mitgefangenen nicht-deutscher Herkunft geliefert und sich geweigert, von einem marokkanischen Mitgefangenen, der als Hausarbeiter fungierte, F anzunehmen. Auch hatte er sich dahingehend geäußert, dass er nicht mit „solchem Ausländergesindel“ zusammenarbeiten wolle und dass er als Hausarbeiter „der Führer in seinem Reich“ sei.
236Des Weiteren stehen die nach wie vor erhaltenen Kontakte in der einschlägigen Szene – welche sich etwa in dem kurz nach der Tat verfassten Facebook-Kommentar des xx widerspiegeln - der Einlassung entgegen, ebenso wie der Umstand, dass er nach eigener Einlassung nur wenige Monate nach seiner Haftentlassung bereits wieder HoGeSa-Veranstaltungen besuchte.
237Schließlich lässt auch die von ihm am Tattag getragene Bekleidung mit dem oben zitierten Schriftzug schon aufgrund der Wortwahl auf seine Gesinnung schließen. Insoweit handelt es sich um typisch rechte Insignien.
238B. N :
239Soweit der Angeklagte N sich zu seinen persönlichen Verhältnissen geäußert hat, konnte dem gefolgt werden. Im Hinblick auf die von ihm vertretene politische Gesinnung hat er sich allerdings nicht geäußert. Insoweit sind aber sichere Schlüsse zu ziehen aus den auf seinem Mobiltelefon gesicherten Daten, namentlich den Chatgruppen „Antifafeiersprengen“, „Support HoGeSa“ :“1488 stolz und frei 88“ – diese mit einem Gruppenbild versehen, die den in Fraktur geschriebenen Schriftzug „Arische Rasse“ trägt. Ein deutliches Zeichen seiner Gesinnung ist ebenfalls die von ihm auf der Brust getragene Tätowierung eines Adlers mit einem Hakenkreuz (mittlerweile wurde das Hakenkreuz entfernt), welche nach der insoweit glaubhaften Aussage der Zeugin T bis vor wenigen Wochen vorhanden war und vom Angeklagten N selbst als Fotografie – diese hat die Kammer auf dem Smartphone der Zeugin T im Augenschein genommen - bei „Facebook“ hochgeladen worden war.
240C. C5:
241Der Einlassung des Angeklagten Y3 seinen persönlichen Verhältnissen konnte umfassend gefolgt werden.
2422.
243Die Feststellungen zur Sache beruhen auf den Einlassungen der Angeklagten, soweit die Kammer diesen zu folgen vermochte und im Übrigen dem Ergebnis der Beweisaufnahme, deren Umfang sich aus der Sitzungsniederschrift ergibt.
244A. U3
245Der Angeklagte U3 hat sich in der Hauptverhandlung wie folgt eingelassen:
246Er sei an diesem Tag nach der Arbeit zunächst in seine Wohnung zurückgekehrt und habe gegessen. Dann habe er sich mit den Mitangeklagten in V an der Bahn getroffen. Zunächst sei man gemeinsam bei Netto Getränke kaufen gegangen, habe dann einige Zeit Bier trinkend an der F gesessen und sich schließlich in die Wohnung N begeben. Die Stimmung sei eher lustig gewesen. Aus der Gruppe sei der Angeklagte C5 T angetrunken gewesen, mehr als die beiden anderen. Im Gespräch habe er irgendwann gefragt, warum denn hier in V „nichts los“ sei, wo denn die „Linken“ alle seien. Der Mitangeklagte N habe gesagt, die seien alle im Autonomen Zentrum und vorgeschlagen, dorthin zu gehen und sich das einmal anzuschauen. Man habe aber auf keinen Fall „Stress machen“ wollen.
247Der Angeklagte N habe ihm dann ein Messer, das spätere Tatmesser, ausgehändigt und dazu gesagt, dass solle er „zur allgemeinen Sicherheit“ mitnehmen. N selbst habe einen Teleskopschlagstock eingesteckt. Der Angeklagte C5 habe sich nicht bewaffnet. Man habe zueinander gesagt, wenn es brenzlig werde, wolle man wieder gehen. Er sei nur aus Neugier dorthin gegangen, er habe wissen wollen, wie es da drin aussehe. Ohnehin sei er davon ausgegangen, gar nicht erst eingelassen zu werden.
248Man habe sich dann ungefähr eine Stunde in dem Autonomen Zentrum aufgehalten; er selbst habe mit den Besuchern gekickert. Der Mitangeklagte N habe an einem Biertisch gesessen, sich aber auch umgeschaut und sich mit den Anwesenden unterhalten. Das Damen-WC in der zweiten Etage habe man nur aus Versehen aufgesucht, weil man das nicht als solches erkannt habe. Dieses sei sehr schmutzig gewesen; er habe sich geekelt und deshalb in die Ecke uriniert. Dort sei auch ein Abfluss gewesen.
249Kurzzeitig sei auch die Tanja N (damals Y) dort gewesen, habe sich aber nach kurzem Gespräch mit dem Mitangeklagten N wieder entfernt. Irgendwann sei letzerer auf ihn zugekommen und habe zu ihm gesagt: Komm, wir müssen gehen. Auf die Frage was denn los sei, habe dieser ihm entgegnet, er habe jemanden von früher getroffen, mit dem er einmal Stress gehabt habe.
250Als man sich schon im Treppenhaus auf dem unteren Abschnitt der Treppe befunden habe, seien dann Personen aus dem Autonomen Zentrum hinzugekommen und hätten sie nach draußen vor die Tür geschubst. Außer ihnen seien weitere vier Personen draußen vor der Tür gewesen. Die Gruppe sei auf ca. zehn Personen angewachsen. Draußen sei es dann zu einer Diskussion zwischen diesen Personen und dem Angeklagten N gekommen, wobei es um dessen Vergangenheit gegangen sei, und darum, dass ihn jemand mal aus einer Kneipe hinausgeworfen habe.
251Der Angeklagte N habe versucht zu erklären, dass er nicht mehr in der rechten Szene sei, sondern in der HoGeSa. Während dieses Erklärungsversuchs habe die Gruppe der Besucher aus dem Autonomen Zentrum sie plötzlich angegriffen. Er habe nur noch gesehen, wie jemand den Angeklagten N an der Schulter gepackt habe, er selbst habe eine Person, die ihm am nächsten gestanden habe, in Richtung Straße weg geschubst. In diesem Moment sei plötzlich eine Person – der Zeuge Y2 – aus Richtung des Eingangsbereichs auf ihn zugekommen und habe drohend eine Bierflasche in der Hand gehalten. Er habe versucht, ihn mit seiner rechten Hand von sich fernzuhalten, was ihm aber nicht gelungen sei. Sein Angreifer habe ihm die Flasche auf den Kopf geschlagen, sein Versuch, diesen Schlag mit der linken Hand abzuwehren, sei ebenfalls fehlgeschlagen. Infolge des Schlages sei er dann einige Schritte zurück getaumelt und habe bereits ein schmerzhaftes „Dröhnen“ im Kopf gehabt. Der Zeuge Y2 habe dann noch einmal zugeschlagen und er selbst habe wiederum erfolglos versucht, den Schlag mit der linken Hand abzuwehren und den Angreifer mit der rechten Hand auf Abstand zu halten. Er sei erneut auf den Kopf getroffen worden, wodurch die Flasche zerbrochen sei und ihm mehrere Schnittwunden zugefügt habe. Er sei dann ins Taumeln geraten und gestürzt, wobei er seinen Angreifer, an dem er wohl instinktiv versucht habe, sich festzuhalten, mit sich gezogen habe. Dieser sei über ihm zu liegen gekommen. In dieser Situation sei er in Panik geraten und habe weitere Angriffe befürchtet. Ihm sei es dann gelungen, an sein Messer in der rechten Jackentasche zu kommen. Dieses habe er herausgeholt, am Bordstein aufgeklappt, und damit in schneller Abfolge mehrfach zugestochen, um sich aus seiner misslichen Lage zu befreien.
252Er gehe davon aus, dass er wohl einmal über seinen Gegner hinweg ins eigene Bein gestochen habe, sei sich da aber nicht sicher. Die Handverletzung müsse von der Bierflasche sein.
253Als er versucht habe, seinen Angreifer von sich herunter zu drücken, sei ihm der Mitangeklagte N zu Hilfe gekommen; dieser habe den Angreifer mit einem Schlagstock auf den Kopf geschlagen und dann von ihm heruntergezogen und ihm aufgeholfen. Aus Angst vor weiteren Angriffen habe man dann die Flucht ergriffen. Eine Situation, in der drei Personen auf den Geschädigten Y2 eingewirkt hätten, habe es nicht gegeben.
254Auf der Flucht zur Wohnung N sei er öfter einmal ins Wanken gekommen, er sei aber selbst gerannt, teilweise von seinen Begleitern gestützt worden. Er sei davon ausgegangen, verfolgt zu werden. In der Wohnung selbst sei er dann mehrfach zusammengebrochen. Als man erkannt habe, dass seine Verletzungen schwerwiegend gewesen seien, habe er sich im Einverständnis mit den anderen beiden Mitangeklagten, von diesen zu den City-Arkaden tragen und dort ablegen lassen.
255B. N:
256Der Angeklagte N hat sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache eingelassen.
257C. C5:
258Der Angeklagte C5 hat sich wie folgt eingelassen:
259Er habe sich am Nachmittag des Tattages zunächst mit dem Angeklagten Q (jetzt N) am Wuppertaler Hauptbahnhof getroffen. Gemeinsam habe man dann den Mitangeklagten U3 abgeholt. Dass dieser an diesem Tag auch habe kommen sollen, sei geplant gewesen, da man eine demnächst stattfindende HoGeSa - Demonstration in Karlsruhe habe vorbesprechen wollen. Die Mitfahrgelegenheit zur Anreise habe der Angeklagte U3 organisieren wollen, der über die diesbezüglichen Kontakte verfügt habe. An diesem Tag habe U3 auch das Geld für die Fahrt einsammeln sollen.
260Man habe dann zunächst bei einem Netto-Markt in der Innenstadt einige Flaschen Bier und auch Weinbrand gekauft und sei damit in die Wohnung des Angeklagten N nach Elberfeld gegangen, wo man gemeinsam getrunken habe. Zu einem späteren Zeitpunkt sei auch die Tanja, die Freundin des N in dessen Wohnung gekommen.
261Irgendwann – von wem wisse er nicht – sei die Idee aufgekommen, gemeinsam in das Autonome Zentrum zu gehen. Er habe dieses vorher nicht gekannt. Er habe sich das Autonome Zentrum etwa so vorgestellt, wie eine Art Jugendzentrum und auch bezweifelt, dass man da einfach so hineinkomme. Dort habe man lediglich Bier trinken wollen. Er selbst habe sich vorher nicht bewaffnet, er wisse aber, dass der Angeklagte U3 das spätere Tatmesser dabei gehabt habe. Er habe nämlich gesehen, wie er dieses in der Wohnung N eingesteckt habe. Er habe das Messer auch einmal auf- und wieder zugeklappt.
262Man habe dann gemeinsam das Autonome Zentrum aufgesucht, sei ohne Probleme hinein gelangt und habe sich im Obergeschoss in einem großen Raum mit einer Bar, einem Kicker, Tischen, Stühlen und Sofas aufgehalten. Der Angeklagte U3 habe mit anderen Besuchern gekickert, der Angeklagte N sei herum gegangen. Er selbst habe den Kicker spielenden Leuten zugeschaut oder sich auf dem Balkon aufgehalten. Er habe sich mit niemandem unterhalten, höchstens einmal an der Bar ein Bier bestellt oder nach der Toilette gefragt. Zu dieser Zeit sei alles friedlich gewesen.
263Im Autonomen Zentrum habe er noch einmal zwei oder drei Flaschen Bier getrunken. Wie viel er vorher getrunken habe, wisse er nicht. Es sei aber schon einiges gewesen. Er habe sich „gut angetrunken“ gefühlt.
264Die T sei auch jedenfalls zeitweise mit im autonomen Zentrum gewesen, aber vor der Auseinandersetzung wieder gegangen.
265Irgendwann habe der Angeklagte N dann zu ihm gesagt, dass man jetzt gehen müsse, weil man aufgeflogen sei. Der spätere Geschädigte Y2 sei wohl auch in den Kneipenraum gekommen und habe den Angeklagten N erkannt.
266Man sei dann draußen vor der Tür gewesen. Mehrere Besucher des Autonomen Zentrums seien nach unten gekommen. Die nachfolgende Szene habe sich dann im Eingangsbereich abgespielt. Er selbst und die anderen Angeklagten seien draußen außerhalb der Tür gewesen, die anderen noch drinnen.
267Es habe eine Diskussion gegeben, an der sich jedenfalls der Geschädigte und eine weitere Person, seiner Einschätzung nach eine Art Leiter oder Sozialarbeiter, beteiligt habe. Es sei darum gegangen, dass der Angeklagte N Mitglied der rechten Szene sei. Dieser habe argumentiert, dass er dies abgelegt habe. Man habe ihn und seine Begleiter aber trotzdem nicht wieder einlassen wollen. Er selbst und der Angeklagte U3 seien eigentlich unbekannt gewesen, aber als Begleiter des Angeklagten N angesehen worden. Auf einmal habe es dann Geschrei gegeben. Der Angeklagte N habe plötzlich mit dem Leiter oder Sozialarbeiter am Boden gelegen und sich mit diesem geprügelt. Für ihn habe es so ausgesehen, als wollten auch andere auf den Angeklagten N eintreten. Es seien also mehrere Personen die Treppe herunter gekommen und hätten sich einmischen wollen. Er selbst sei dann in den Eingangsbereich „reingesprungen“ und habe mit diesen Personen gekämpft. Den Angeklagten U3 habe er in dieser Situation nicht mehr gesehen. Dieser sei am ehesten draußen, außerhalb des Eingangsbereiches gewesen.
268Irgendwann habe der Angeklagte N dann wieder gestanden. Er selbst habe dann irgendwann eine Chance genutzt und sei nach draußen gerannt, der Angeklagte N ebenso. Was mit dem Gegner des Angeklagten N sei, wisse er nicht, auf den habe er nicht geachtet. Man habe sich dann den U3 gepackt und sei gemeinsam davongelaufen. Dieser sei auf dem Bürgersteig gewesen und habe sich dort mit jemandem geprügelt. Diese Person habe er aber nicht beachtet; was mit dieser Person geschehen sein, wisse er nicht.
269Der Angeklagte U3 sei voller Blut gewesen und habe auch geschwankt. Zu Beginn der Flucht habe er gesagt, dass er das Messer verloren habe. Man habe dann die Wohnung N aufgesucht, wo dieser sich die Verletzungen des Angeklagten U3 angeschaut habe.
270U3 habe sich in der ersten Zeit der Flucht noch gut auf den Beinen halten können, man sei gemeinsam gerannt. Später habe man U3 dann stützen müssen. In der Wohnung N sei er dann richtig „zusammengesackt“. Schließlich habe man ihn zu den R-Arkaden gebracht. Die T habe den Krankenwagen gerufen.
271Der Angeklagte U3 habe ihm noch erzählt, dass er den Y2 mit dem Messer verletzt habe. Was da so genau geschehen sei, sei ihm erst am nächsten Tag und durch die Medien bewusst geworden.
272Auf Vorhalt durch Rechtsanwalt T5 hat der Angeklagte C5 seine Einlassung im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung dahingehend abgewandelt, dass er (und nicht etwa der Angeklagte U3) , als er das Geschehen im Autonomen Zentrum verlassen habe, den Mitangeklagten N an der Schulter gepackt und nach draußen gezogen habe.
2733.
274Soweit die vorstehend dargestellten Einlassungen von den unter II. getroffenen Feststellungen abweichen, sind sie zur Überzeugung der Kammer widerlegt. Die in der Gesamtschau zu würdigenden Indizien belegen sicher, dass es die Angeklagten waren, die nach dem Ende der initialen Rangelei im Eingangsbereich des Gebäudes gemeinsam und im arbeitsteiligen Zusammenwirken das Tatopfer angriffen und zumindest schlugen, wobei der Angeklagte U3 darüber hinaus dem Tatopfer die Messerstiche versetzte. Damit bleibt für die Notwehr-Version des Angeklagten U3, der im Rahmen der Hauptverhandlung erfolglos versuchte, sich zum eigentlichen Tatopfer zu stilisieren, kein Raum.
275Im Einzelnen:
276A. Vortatgeschehen:
277a. (Geschehen bis zum Erreichen des Autonomen Zentrums)
278Die Feststellungen zum Tagesablauf bis zum Entschluss, das Autonome Zentrum zu besuchen, beruhen auf den Einlassungen der Angeklagten. Dass es der Angeklagte U3 war, der an diesem Tag Geld für eine Fahrt zu einer HoGeSa – Veranstaltung einsammeln sollte, dass er die entsprechenden Kontakte hatte, beruht auf der Einlassung des Angeklagten C5, die insoweit unwidersprochen geblieben ist. Dass der Angeklagte U3 über Kontakte in der Szene verfügt, ergibt sich im Übrigen aus einem nur wenige Stunden nach der Tat veröffentlichten, auf die Tat bezogenen, Facebook-Eintrag des xxx, den er selbst als Mitglied der HoGeSa bezeichnet hat.
279Der Grund für das Aufsuchen des Autonomen Zentrums war entgegen der Darstellung des Angeklagten U3 die Absicht, dieses für eine zukünftige Aktion auszuspähen. Seine Darstellung, man habe aus reiner Neugierde gehandelt, ist bereits im Ansatz nicht nachvollziehbar. Die Angeklagten wussten im Vorhinein, dass sich dort ihrer politischen Gesinnung (und damit im Falle des Erkanntwerdens ihnen!) im höchsten Maße feindselig gesonnene Personen aufhalten würden und schätzten die Situation – weswegen die Angeklagten U3 und N sich dann ja auch bewaffneten – als potentiell hochgefährlich ein. Gegen die Annahme reiner Neugier und für ein bewusst-gewolltes Ausspähen spricht zudem die Beteiligung des Angeklagten N an dem bereits oben zitierten Gruppen-Chat über „What’s App“, der sich mit der Planung eines Angriffes auf ein autonomes Zentrum befasst. Hierfür spricht auch das durch den Zeugen C3 in glaubhafter Weise geschilderte Verhalten der Angeklagten im Autonomen Zentrum vor dem eigentlichen Tatgeschehen. Der Zeuge schilderte, wie festgestellt, von den Angeklagten wiederholt nach Einzelheiten über das Autonome Zentrum befragt worden zu sein und zudem, das er die Angeklagten zudem ohne ersichtlichen Grund außerhalb des an diesem Abend belebten Bereiches in der zweiten Etage angetroffen habe.
280Ein derartiges, regelrechtes Herumschnüffeln der Angeklagten – auch in Verbindung mit der Verweildauer im Autonomen Zentrum von etwa 23:00 Uhr bis zum eigentlichen Tatgeschehen, welches anhand der Notrufzeit auf ca. 1:00 Uhr zu bestimmen ist, ist mit bloßer spontaner Neugier nicht mehr zureichend zu erklären, sondern belegt ein planmäßiges Auskundschaften.
281Dass die Angeklagten U3 und N sich im Hinblick auf den bevorstehenden Besuch im Autonomen Zentrum, wie festgestellt, bewaffneten, beruht auf der Einlassung des Angeklagten U3, der die Kammer insoweit folgt. Dass das spätere Tatmesser in der Wohnung N eine Rolle spielte, nämlich durch den Angeklagten U3 auf- und zugeklappt wurde, bestätigt auch der Angeklagte C5, der allerdings weder einen Schlagstock beim Angeklagten N gesehen haben, noch ein Gespräch betreffend diese Gegenstände mitbekommen haben will.
282Dass der Schlagstock beim Angeklagten N definitiv vorhanden war, und folglich von ihm vorher mitgeführt worden sein muss, ergibt sich auch aus der glaubhaften Aussagen des Zeugen C3 – er beschrieb wie oben festgestellt eine Situation in dem der Angeklagte N, nachdem er in dem das Tatkerngeschehen einleitenden Gerangel zu Boden gegangen war, aus dem Gesäßbereich seiner Hose einen Schlagstock hervorzog, was er – der Zeuge C3 – noch erfolglos zu verhindern versuchte – sowie auch aus der glaubhaften Aussage des Zeugen C. Auch dieser beschrieb, dass, nachdem er selbst von dem Wortführer auf Seiten der Angeklagten zu Boden gestoßen worden sei, gesehen habe, dass dieser jetzt einen Schlagstock in der Hand gehalten habe. Des Weiteren bestätigt auch der Zeuge L, bei dem Angeklagten N einen silberfarbenen, glitzernden Gegenstand gesehen zu haben, den dieser im Gerangel unter seiner Jacke hervorgeholt habe.
283Das bewusst-gewollte Mitnehmen der beiden Waffen fügt sich auch widerspruchsfrei in den Kontext der für die Angeklagten mit einem Besuch des Autonomen Zentrums verbundenen potentiellen Bedrohungslage. Alle Angeklagten wussten, dass sie sich in die Hochburg des extremen politischen Gegners begaben. Es ist allgemein bekannt, dass handgreifliche Auseinandersetzungen zwischen rechtsorientierten bzw. HoGeSa - Gruppen einerseits und Mitgliedern der linken Szene andererseits bei Versammlungen, Kundgebungen und dergleichen an der Tagesordnung sind. Daher war auch für die Angeklagten offensichtlich zu erkennen, dass sie im Falle ihres Erkanntwerdens als Mitglieder der rechten bzw. HoGeSa-Szene mit einer gewalttätigen Auseinandersetzung, bei der sie T in der Minderzahl wären, zu rechnen hatten. Gerade der Angeklagte N, welcher im Gegensatz zu seinen Mitangeklagten bereits langjährig in Wuppertal lebt und schon zuvor jedenfalls im Kontext des Lokals N mit Besuchern eines linken Szenecafés streitig aneinandergeraten war, trug hier das größte Risiko eines Erkanntwerdens.
284Die Kammer verkennt nicht, dass die Einlassung des Angeklagten U3 in Bezug auf das dem Einstecken des Messers und des Schlagstocks vorausgehende Gespräch zwischen den Angeklagten nicht konstant ist. Der Angeklagte U3 hatte zunächst, wie er auf Vorhalt eingeräumt hat, zur Herkunft dieses Messers angegeben, dieses stamme aus seinem Ausbildungsbetrieb, was jedoch durch Ermittlungen der Polizei widerlegt worden war. Erst in der Hauptverhandlung schilderte er die nunmehr den Feststellungen zu Grunde liegende Version. Dieses an sich widersprüchliche Aussageverhalten des Angeklagten U3 spricht in diesem besonderen Fall jedoch gerade für die Glaubhaftigkeit seiner nunmehrigen Einlassung in diesem einen Punkt. Zuvor hatte er nämlich alles Erdenkliche unternommen, um insbesondere den Mitangeklagten N zu schützen. So hatte er diesen nicht benannt, sondern ihn lediglich als „der distanzierte Rechte“ umschrieben, keine näheren Angaben zu dessen Tatbeitrag und erst recht nicht zu dem mitgeführten Schlagstock gemacht. Erst nach Kenntnisnahme vom Inhalt der Akten – der Angeklagte U3 hat in der Hauptverhandlung durch mehrfache Bezugnahme auf Aktenbestandteile und darin enthaltene einzelne Aussagen gezeigt, dass er eine hervorragende Aktenkenntnis besitzt – passte er seine Einlassung nunmehr an, da, nachdem unschwer zu erkennen war, dass der Schlagstock ohnehin durch die Aussagen der Zeugen C3, L und C eingeführt werden würde und zudem seine erste Einlassung zur Herkunft des Messers nicht mehr zu halten war.
285Von daher stellt die Einlassung des Angeklagten U3 in diesem einen Punkt nicht etwa den Versuch dar, den Schuldvorwurf auf den Mitangeklagten N abzuwälzen – hierzu wäre sie ohnehin, da nicht das Tatkerngeschehen betreffend, nicht geeignet – sondern vielmehr die Aufgabe einer vorherigen, nicht mehr haltbaren Schutzbehauptung.
286b. (Geschehen im Autonomen Zentrum bis zum Beginn der Auseinandersetzung im Eingangsbereich)
287Die diesbezüglichen Feststellungen beruhen auf den Einlassungen der Angeklagten, soweit ihnen gefolgt werden kann, sowie der glaubhaften Aussage des Zeugen C3. Die Angeklagten U3 und C5 haben eingeräumt, sich über längere Zeit im Gebäude aufgehalten und dort unauffällig verhalten, Bier getrunken und Kicker gespielt zu haben. Auch den Vorfall auf dem Damen-WC hat der Angeklagte U3 eingeräumt. Die darüber hinausgehenden Feststellungen der Kammer beruhen auf der glaubhaften Aussage des Zeugen C3. Dieser hat sein Zusammentreffen mit den Angeklagten im Gebäude, sowie den Umstand, dass diese ihm suspekt vorgekommen seien und er sie anschließend bewusst im Auge behalten habe, sachlich, gut nachvollziehbar und belastungsfrei geschildert. Er hat detailreiche Angaben zum Verhalten der Angeklagten machen können; zudem konnte er sich auf ein unmittelbar nach dem Tatgeschehen von ihm selbst gefertigtes Gedächtnisprotokoll mit Zeitangaben stützen. Seine Aussage ist gemessen an seiner polizeilichen Vernehmung, aus der ihm mehrfach Vorhalte gemacht wurden, auch konstant. Gründe für eine falsche Belastung der ihm nicht näher bekannten Angeklagten sind nicht ersichtlich.
288B. Tatkerngeschehen:
289a. (Beginn der Auseinandersetzung bis zum Schließen der Tür)
290Die Feststellungen der Kammer zum Geschehen bis zum Verschließen der Tür des „Autonomen Zentrums“ durch den Zeugen C3 beruhen auf den Aussagen der Zeugen C3, C4, C und X5.
291Der Zeuge C3 hat den Ablauf der verbalen Auseinandersetzung, an der er nicht unmittelbar beteiligt gewesen sei, sondern lediglich – was angesichts seines vergleichsweise jungen Lebensalters und seines körperlich eher schmächtigen Erscheinungsbildes auch gut nachvollziehbar war – aus „zweiter Reihe“ beobachtet und mitgehört habe, geschildert wie festgestellt. Insbesondere konnte der Zeuge sichere Angaben zum Beginn der Tätlichkeiten durch den Angeklagten N durch einen Angriff auf den Zeugen C von der Türschwelle aus in das Gebäude hinein und sein eigenes, wenngleich zunächst erfolgloses, Eingreifen machen. Ebenso sicher wirkend schilderte der Zeuge auch, dass es der Angeklagte U3 – und nicht etwa C5 - war, der die Auseinandersetzung zunächst beendete, indem er den Angeklagten N von hinten packte und nach draußen zog.
292Seine Aussage, welche mit Abstand die umfassendste und detailreichste Aussage der Zeugen aus dem Autonomen Zentrum war, stimmt in vielen Details mit denjenigen der anderen beteiligten Besucher aus dem Autonomen Zentrum überein, ohne dass sich relevante Widersprüche ergeben.
293So schilderte der Zeuge C in inhaltlicher Übereinstimmung mit ihm, er selbst sei, im Inneren des Gebäudes stehend, an einer Diskussion mit den Angeklagten beteiligt gewesen; es sei darum gegangen, ob einer der drei ein „Nazi“ sei. Y habe sich ebenfalls – mit ruhigen Worten – an der Diskussion beteiligt. Auf einmal sei es dann sehr schnell gegangen. Er habe einen Ausruf mit „HoGeSa“ – den genauen Wortlaut erinnere nicht, vernommen - und sei unmittelbar darauf zu Boden geschubst worden. Naheliegend müsse das der Angeklagte N gewesen sein, der ihm zu dieser Zeit schräg gegenüber gestanden habe; kurzzeitig habe dann jemand auf ihm drauf gelegen. Er sei dann für einen Moment am Boden liegen geblieben und habe in dieser Situation bei dem Angeklagten N den Schlagstock gesehen. Nachdem er dann wieder hoch gekommen sei – er wisse nicht genau wie viel Zeit vergangen sei - sei dann das nächste Bild, das er erinnern könne das des T blutenden Y gewesen, der wieder nach drinnen gekommen sei. Wie dieser zuvor nach draußen gelangt sei, könne er nicht sagen.
294Auch der Zeuge C4 bestätigt, soweit er schildert, die Situation mitbekommen zu haben, die Darstellung des Zeugen C3. Er hat bekundet, er habe gesehen, dass Y im Eingangsbereich in ein Streitgespräch verwickelt gewesen sei; dies sei direkt im Bereich an der Tür gewesen. Y habe drinnen gestanden, zwei der Angeklagten unter der Tür, der dritte – C5 - ein Stück außerhalb. Es sei heftig auf den B1 eingeredet worden; auf einmal sei dann der Angeklagte N vorgeprescht und habe sich lautstark als „HoGeSa“ zu erkennen gegeben und begonnen, die Leute zu schubsen. Er selbst habe sich in diesem Moment dann umgewandt, um oben Bescheid zu geben, dass es eine Schlägerei gebe.
295Der Zeuge X5 hat zum Geschehen ausgesagt, er habe im Treppenhaus, auf dem Weg zum WC, eine verbale Auseinandersetzung mitbekommen. Zuerst habe er sich dabei, weiter nichts gedacht. Y habe sich an der Diskussion beteiligt, allerdings mit ruhigen Worten. Als der Zeuge dann vom WC zurückgekehrt sei, sei bereits eine leichte Schubserei im Gange gewesen; auf Seiten des Autonomen Zentrums habe es so fünf bis sechs Beteiligte gegeben; das Geschehen habe sich im Gebäude drin abgespielt. Einer der Leute aus dem Autonomen Zentrum sei hierbei auch zu Boden gegangen. Dann seien die Angeklagten nach draußen gelangt. Hinter ihnen sei die Tür geschlossen worden. Erst danach habe man bemerkt, dass B1 auch mit draußen gewesen sei. Nach ca. 30 oder 60 Sekunden sei die Tür dann wieder geöffnet worden und B1 sei dann blutüberströmt nach drinnen gekommen. Er selbst sei dann raus gelaufen zur P, habe aber keinen der Angeklagten mehr gesehen.
296Hingegen stehen die vier vorstehend geschilderten Aussagen der Einlassung des Angeklagten U3, der gesamte Vorgang habe sich draußen, vor dem Gebäude abgespielt, wobei er selbst noch eine Person Richtung Straße weggeschubst habe, unvereinbar entgegen.
297Auf der Aussage des Zeugen C3 beruht auch die Feststellung der Kammer, dass es der Angeklagte U3 war, der den Angeklagten N an der Schulter fasste und nach draußen zog und nicht etwa der Angeklagte C5. Der Zeuge C3 hat dazu, wie bereits dargestellt auf sicherer Erinnerung beruhend, konstant ausgesagt.
298In der ersten Version der Einlassung des Angeklagten C5 kam hierzu zunächst nichts vor. Erst im Anschluss an die Vernehmung des Zeugen C3 hat er seine Einlassung auf Befragen des Verteidigers des Angeklagten U3 dahingehend abgewandelt, dass nicht U3, sondern er selbst es gewesen sei, der den Mitangeklagten N aus dem Gebäude gezogen habe.
299Diese geänderte Einlassung vermag die Aussage des Zeugen C3 in diesem Punkt jedoch nicht in Frage zu stellen, sonder stellt eine dem Sachstand angepasste Schutzbehauptung dar. Mit dieser verfolgte der Angeklagte C5 nach Auffassung der Kammer die Absicht, sich selbst einerseits raum-zeitlich so weit wie irgend möglich von dem Messerangriff zu distanzieren, indem er die von der Verteidigung des Angeklagten U3 (indes nicht von diesem selbst!) ins Spiel gebrachte Version, ein Zweikampf zwischen U3 und Y2 habe sich bereits während der Rangelei im Gebäude abgespielt, stützte und sich andererseits als im Handgemenge deeskalierend handelnd darstellte. Eine schlüssige Begründung für die Änderung seiner Einlassung konnte der Angeklagte C5 nicht abgeben.
300b. (Angeklagte sind nunmehr bei geschlossener Tür die Angreifer)
301Dass es nunmehr, nachdem die Tür des Autonomen Zentrums geschlossen war, die Angeklagten waren, die weiter auf den Zeugen Y2 einwirkten, folgt aus der wertenden Gesamtschau der zur Verfügung stehenden Zeugenaussagen, sowie der weiteren Spurenlage.
302Im Einzelnen:
303aa.) Die Einlassung des Angeklagten U3, wie oben dargestellt, ist als bloße Schutzbehauptung widerlegt.
304(1)
305Bereits das Aussageverhalten des Angeklagten U3 als solches lässt seine Einlassung in hohem Maße als taktisch geprägt und mehrfach, wenngleich im Ergebnis erfolglos, an die Spurenlage angepasst, erscheinen. So stritt er zunächst ab, das Autonome Zentrum überhaupt zu kennen und behauptete einen Überfall auf seine Person durch Unbekannte und aus unbekanntem Grund. Nachdem diese Version – insbesondere nach dem Fund des Tatmessers - nicht mehr zu halten war, räumte er ein, am, nicht aber im Autonomen Zentrum gewesen zu sein; wer etwas Anderes behaupte, der lüge. Als auch diese Version widerlegt werden konnte, räumte er das Betreten des Gebäudes ein und schilderte nun – erstmals – eine Notwehrsituation. Diese habe damit geendet, dass er auf den auf ihm liegenden Geschädigten eingestochen habe, bis dieser sich nicht mehr gerührt habe; dann habe er die Flucht ergriffen. Nachdem auch diese Version unter anderem aufgrund der – im Einzelnen noch darzustellenden – Aussagen der Zeugen N2, T2 und L3 nicht mehr zu halten war, schilderte er nunmehr in der Hauptverhandlung eine Situation, in welcher der Angeklagte N ihm geholfen habe, den Geschädigten von sich hinunterzuziehen und ihm bei dieser Gelegenheit noch einen Hieb mit dem Schlagstock versetzt habe.
306(2)
307Die Version des Angeklagten U3, er habe auf den Rücken des über ihm liegenden Tatopfers Y2 eingestochen, ist bereits durch das in der Hauptverhandlung mündlich erstattete Gutachtens des Textilfasersachverständigen Dr. T3 widerlegt.
308Dieser ist im Rahmen seiner Untersuchungen zu dem Schluss gekommen, dass die Messerspitze bei der überwiegenden Mehrzahl der Stiche in einem Winkel von annähernd 90° auf die Oberfläche der von Zeugen Y2 getragenen Textilien aufgetroffen sein muss.
309Eben dies sei bei der ihm durch die Kammer, insbesondere aber den Verteidiger des Angeklagten U3 immer wieder vorgehaltenen Version des Angeklagten U3, dieser habe unter dem Zeugen Y2 liegend um diesen herum auf dessen Rücken eingestochen, nicht plausibel. Sofern nämlich, wie es dem natürlichen Bewegungsablauf entspreche, der Messerarm in einem Bogen um die andere Person herum schwinge, treffe das Messer in einem deutlich flacheren Winkel auf; es wären dann langgezogene Schnittverläufe in den Kleidungsstücken zu erwarten. Eine Stichbeibringung mit diesem Winkel sei in der Aufliegesituation allenfalls unter deutlicher Verrenkung des Handgelenks und einer Bewegung aus dem Ellenbogen heraus denkbar. Für eine solche, sehr unnatürliche Bewegung, bei der der Agierende zudem nur wenig Kraft aufwenden könne, gebe es aber auch in der geschilderten Aufliegesituation keinen ersichtlichen Grund. Plausibel sei hingegen eine Beibringung durch nacheinander versetzte Stiche mit dem geraden ausgestreckten Arm von hinten. Hierzu passe auch gerade das im unteren Rückenbereich zu findende Stichbild mit mehreren relativ nahe beieinander liegenden Einstichen. Im Rahmen eines – so aber der Angeklagte – dynamischen Geschehens in der Aufliegesituation sei dies nicht plausibel zu erklären. Die Kammer tritt den Ausführungen des Sachverständigen nach eigener kritischer Prüfung bei. Der Sachverständige hat im Rahmen seiner gutachterlichen Ausführungen die bei der Beurteilung von Beschädigungen in Textilien zur Anwendung kommende Methodik eingehend und für die Kammer gut verständlich erläutert. Die Anknüpfungstatsachen hat er anhand der von ihm gefertigten Lichtbilder sowie der Original – Kleidungsstücke gezeigt und erläutert. Zweifel an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Sachverständigen sind von keiner Seite geltend gemacht oder sonst ersichtlich.
310(3)
311Die Einlassung des Angeklagten U3 ist auch insoweit nicht plausibel, als dass das Tatopfer eine Messerstichverletzung im Halsbereich mit spritzender Blutung erlitt. Weder vermochte er dessen Entstehung im Rahmen der „Aufliegesituation“ plausibel darzustellen, noch erschließt sich, warum seine –G– weiße Jacke gerade im oberen Brust- und im Kragenbereich, der durch das ausspritzende Blut als erstes hätte getroffen werden müssen, wenn das Tatopfer auf ihm gelegen hätte, fast keinerlei Beblutung aufwies.
312(4)
313Wie bereits dargestellt, ist seine Einlassung im Hinblick auf den Austragungsort und die Situation bei Beginn der tätlichen Auseinandersetzung mit den vorstehend dargestellten Aussagen der Zeugen aus dem Autonomen Zentrum in keiner Weise kompatibel. Der Angeklagte U3 schilderte nämlich einen ersten Angriff des Tatopfers draußen auf der Straße und aus einer Gruppe mehrerer Personen heraus; zuvor habe er noch eine Person Richtung Straße weggeschubst. Abgesehen davon, dass niemand diese Version bestätigt hat, wäre es auch abwegig, anzunehmen, dass eine größere Gruppe von dem Lager des Tatopfers Y2 zugehörigen Personen den Angeklagten U3 in dem von ihm dargestellten Geschehen einfach weiterhandeln lassen würde, ohne ihrem Freund Y2 zur Hilfe zu kommen.
314(5)
315Der Einlassung des Angeklagten U3 stehen zudem die Aussagen der Zeugen N2, T2 und L3, welche jedenfalls den letzten Teil des Tatgeschehens von Fenstern des Hauses N beobachteten, sowie die Aussagen der Zeugen W, H, und F2, welche ebenfalls einen Teil des Tatkerngeschehens im Vorbeigehen von der Straße aus mitbekamen, unvereinbar entgegen.
316Diese Zeugen schildern nämlich, soweit sie das Tatgeschehen wahrgenommen haben, ein Einwirken von drei Angreifern (mit Ausnahme der Zeugin T2, die ausgesagt hat, nur zwei Angreifer gesehen zu haben) gegen eine Person, die sich eindeutig in der Opferrolle befand. Ein solches Geschehen ist mit der Einlassung des Angeklagten U3 – im Übrigen auch mit der Version des Angeklagten C5 - unvereinbar.
317Im Einzelnen:
318Der Zeuge N2 hat geschildert, gemeinsam mit seiner guten Freundin T2 in seinem Zimmer im Dachgeschoss des Hauses N sitzend, auf einmal von draußen Krach, eine Art Glasklirren, gehört zu haben. Er habe dann sein Fenster – ein nach oben öffnendes Dachflächenfenster – geöffnet und sei, um besser sehen zu können, auf sein Sofa gestiegen. Von dort habe er dann direkten Blick auf das Geschehen gehabt. Er habe sehen können, wie sich drei Personen eine vierte Person griffen, zunächst gegen das Garagentor des Autonomen Zentrums und dann gegen dort stehende Mülltonnen stießen und auf diese Person einschlugen und –traten, dann nochmals auf diese Person einschlugen und schließlich die Flucht ergriffen. Die Auseinandersetzung habe direkt vor der Tür des Autonomen Zentrums begonnen. Alle drei Angreifer hätten sich um das Tatopfer bewegt und auf dieses eingewirkt, seiner Erinnerung nach auch mit Tritten. Es sei eine Art „Stiefelkreis“ gebildet worden. Ein Messer habe er allerdings aus seiner Position nicht erkennen können, das Ganze habe auf ihn den Eindruck einer ganz normalen Schlägerei gemacht. Für ihn habe es so ausgesehen, als sei der Angriff für das Opfer absolut überraschend gekommen. Dieses habe nicht mehr agieren können, sondern sei sehr schnell in einer Art Fötushaltung am Boden gewesen. Einer der Angreifer - am ehesten derjenige in der weißen Jacke – habe gegen das Opfer weit ausholende von schräg oben nach unten verlaufende Bewegungen ausgeführt. Aus seiner Perspektive habe dies ausgesehen, wie Faustschläge. Ob dabei eine Stichwaffe im Spiel gewesen sei, könne er nicht sagen. Alle drei Angreifer seien schließlich gemeinsam abgehauen. Gegen Ende sei noch eine Bemerkung gefallen wie „Stirb, du linke Sau“, „Zecke, verrecke“ oder etwas Ähnliches in dieser Richtung. Den Wortlaut erinnere er heute nicht mehr.
319Damit weitgehend korrespondierend gab die Zeugin T2 an, sie sei gemeinsam mit ihrem Bekannten N2 ans Fenster gegangen. Von dort habe sie gesehen, wie ihrer Erinnerung nach zwei Personen auf eine dritte Person, einen Mann, eingeprügelt hätten. Das Opfer sei auch einmal gegen eine Mülltonne geschleudert worden. Einer der Täter habe auch stichartige Bewegungen ausgeführt. Einer der Täter habe auf jeden Fall eine helle Jacke getragen. Einer der Angreifer – sie glaube derjenige mit der hellen Jacke - habe auf das schon liegende Opfer eine Art „Hakenbewegung“ also eine weit ausholende Bewegung mit dem Arm gemacht. Ob er dabei eine Waffe gehalten habe, könne sie nicht sagen. An Tritte habe sie keine konkrete Erinnerung. Außer den Tätern und dem Opfer habe sie in der Situation keine weiteren Personen gesehen. Erst nachdem die Angreifer weggelaufen seien, seien viele Menschen aus dem Autonomen Zentrum nach draußen gekommen, wohl um dem Opfer zu helfen. Das Opfer habe sich einige Sekunden nach der Flucht der Täter mühsam wieder aufgerafft und ins Autonome Zentrum geschleppt. Dann seien von dort Leute hektisch nach draußen gerannt, wohl auf der Suche nach den Tätern. Diese seien jedoch längst davongelaufen.
320Ebenfalls in großer inhaltlicher Übereinstimmung mit den beiden vorhergehend dargestellten Aussagen schilderte der Zeuge L3, er habe an diesem Abend in seiner Wohnung in der 2. Etage des Hauses Gathe 25 ferngesehen. Durch laute Geräusche von draußen sei er aufmerksam geworden und ans Fenster gegangen. Er habe gesehen, wie eine Person gegen den Bauzaun, der das Gelände der stillgelegten Tankstelle neben dem Autonomen Zentrum absperre, geknallt sei. Dann habe er gesehen, wie drei Mann auf diesen einen einschlugen. Da dergleichen dort öfter vorkomme, habe er zunächst nicht so genau hingeschaut und noch einmal kurz zum Fernseher gesehen. Als er wenige Sekunden später wieder hingesehen habe, sei die Situation noch genauso gewesen. Alle drei Angreifer seien beteiligt gewesen und hätten zugeschlagen. Tritte erinnere er nicht sicher. Das Opfer sei mehrfach gegen die Absperrung gedrückt worden oder durch die Schläge dagegen getaumelt.
321Ob das alles Schläge oder auch Stiche gewesen seien, habe er nicht unterscheiden können. Ein Messer habe er jedenfalls nicht erkennen können.
322Das Opfer habe zu Beginn ein paarmal versucht, sich zu wehren, aber erkennbar keine Chance gehabt. Es habe dann nur noch in gebückter Haltung mit den Händen vor dem Gesicht am Gitter gestanden und sei schließlich zu Boden gegangen. Die Angreifer seien dann weggelaufen. Jemand habe noch gerufen: „vergiss nicht das Messer“. Einer der flüchtenden Angreifer sei noch hingefallen.
323Die Aussagen der Zeugen N2, T2 und L3 weisen inhaltlich einen hohen Grad an Übereinstimmung auf. Insbesondere gaben die Zeugen auch insoweit übereinstimmend an, dass trotz der späten Stunde die Lichtverhältnisse ausreichten, um das Geschehens auf der Straße zu beobachten. Einzelne Wahrnehmungsunterschiede – so etwa die abweichende Wahrnehmung der Zeugin T2, sie habe nur zwei Angreifer gesehen, oder die Wahrnehmung des Zeugen N2, auch Tritte gesehen zu haben, was die anderen beiden Zeugen nicht bestätigen konnten, sind angesichts des Umstandes, dass die Zeugen unvermittelt mit dem äußerst dynamischen Geschehen konfrontiert wurden, zwangslos erklärbar. Dies gilt, zumal die Zeugen das Geschehen auch zunächst nicht als sonderlich wichtig, sondern als beinahe schon ortsübliche „Schlägerei“ einstuften.
324Jeder einzelne der vorgenannten Zeugen hat sich nach dem Eindruck der Kammer um eine bestmögliche Erinnerung bemüht. Keiner der drei Zeugen stand vor oder nach der Tat in einer persönlicher Beziehung zum Angeklagten oder dem Tatopfer oder war Mitglied eines der verfeindeten politischen Lager. Die Zeugen haben jeweils auch nebensächliche Details des Geschehens bzw. den Wortlaut von Äußerungen erinnert, hierbei Erinnerungslücken auch deutlich gemacht.
325Die vorgenannten Aussagen passen inhaltlich auch widerspruchsfrei zu den von der Kammer ebenfalls für glaubhaft erachteten Aussagen der während der Tat auf der Straße befindlichen, sich in Richtung Autonomes Zentrum bewegenden Zeugen H, F2 und W.
326Die Zeugin W hat bekundet, sie sei aus der Gruppe ihrer Bekannten am weitesten vorne gewesen; man sei nicht in einem Pulk sondern in mehreren Zweiergrüppchen unterwegs gewesen. Vor dem Autonomen Zentrum habe sie eine Schlägerei beobachtet. An dieser seien vier Personen aktiv beteiligt gewesen, die ein regelrechtes „Knäuel“ von Menschen gebildet hätten. Alle vier Personen seien auf den Beinen gewesen. Einer dieser vier Männer sei dann gegen etwas aus Metall – sie meine, das Garagentor - geschubst worden. Ab diesem Moment habe sie sich in erster Linie um ihrer Begleiterin, eine sehr verängstigte Person gekümmert und sich bemüht, diese von dem Geschehen abzuschirmen, mit dem sie auch nichts weiter habe zu tun haben wollen. Sie erinnere noch, dass drei Personen dann weggelaufen seien. Hiervon sei einer noch gestolpert und hingefallen. An ein Messer erinnere sie sich nicht. Die Situation sei insgesamt sehr hektisch und hysterisch gewesen.
327Die Zeugin H hat zum Geschehen ausgesagt, sie sei gemeinsam mit ihren Freuden auf dem Weg in die Stadt zum Feiern gewesen. In Höhe der Alten Feuerwache habe sie „HoGeSa“ - Rufe gehört. Aufgrund dessen sei die Gruppe dann neugierig geworden und in Richtung Autonomes Zentrum gelaufen um zu gucken, was los sei. Frau W mit einer Freundin sei ein Stück weit vor ihnen gewesen. Sie nehme an, diese müsse schon am Geschehen vorbei gewesen sein, als der Vorfall passiert sei. Sie selbst habe vor dem Eingang des Gebäudes einen Mann am Boden liegen sehen. Drei weitere Personen seien um ihn herum gestanden, einer über ihn gebeugt, die anderen beiden darum herum. Sie wisse nicht genau, was da gelaufen sei, es sei dunkel und die Situation tumultartig und unübersichtlich gewesen. Die drei Personen seien dann in Richtung Innenstadt weggelaufen.
328Der Zeuge F2 hat ausgesagt, er sei mit den anderen unterwegs gewesen, nicht alle gemeinsam, sondern jeweils zu zweit. Noch bevor er das Autonome Zentrum erreicht habe, habe er Geschrei und Tumult gehört. Dabei sei auch das Wort „HoGeSa“ gerufen worden; deshalb sei er neugierig geworden und ein Stück vorgelaufen. Zunächst habe er nichts sehen können, da die Hecke vor der alten Feuerwache eine Barriere dargestellt habe. Sobald er freie Sicht gehabt habe, habe er gesehen, dass Handgreiflichkeiten im Gange gewesen seien. Für ihn habe das nach einer Prügelei ausgesehen. Er habe auf jeden Fall gesehen, dass eine Person am Boden gelegen habe und drei weitere über dieser gestanden hätten. Es sei relativ offensichtlich gewesen, dass die Person am Boden nicht freiwillig da gelegen habe und von den dreien irgendwie „bearbeitet“ worden sei. Diese drei Personen seien wenige Sekunden später geflohen. Ein Messer habe er nicht gesehen; davon habe er erst nachträglich gehört.
329Auch diese Gruppe von Zeugen schildert übereinstimmend, bei ausreichenden Lichtverhältnissen, ein 3-gegen-1-Geschehen beobachtet zu haben. Die Zeugen W, H und F2 haben jeweils keinerlei Bezüge zu einem der verfeindeten politischen Lager, noch sind sie mit den Angeklagten oder dem Tatopfer in irgendeiner Weise bekannt. Die Zeugen haben jeweils ruhig, sachlich und ohne erkennbare Be- oder Entlastungstendenzen ausgesagt und hierbei Erinnerungslücken offenbart. Die Aussagen korrespondieren inhaltlich untereinander und auch mit den bereits zuvor dargestellten Aussagen der das Geschehen vom Fenster aus beobachtenden Zeugen N2, T2 und L3.
330(6)
331Der Gesamtschau der Aussagen W, H und F2 ist zudem zu entnehmen, dass von dem „HoGeSa“ – Ausruf des Angeklagten N bis zur Beendigung des Tatgeschehens nur eine sehr kurze Zeitspanne verging, nämlich nur so viel Zeit, wie die neugierig gewordenen und deshalb ihre Schritte beschleunigenden Zeugen benötigten, um das Gebäude der alten Feuerwache zu passieren, bis sie eine freie Sicht auf das Geschehen hatten. Dieses äußerst knappe Zeitfenster reicht nach Auffassung der Kammer für ein mehraktiges Geschehen mit Angriff, Hinfallen, Zustechen am Boden, Gegenangriff durch den Angeklagten N, aufrappeln und (soweit nicht mehr geschildert) neuem Gegenangriff durch die Gruppe der Angeklagten gar nicht aus.
332(7)
333Gegen die Version des Angeklagten U3 spricht schließlich auch der Umstand, dass es – wie oben ausführlich dargelegt - der Angeklagte U3 war, der den Mitangeklagten N aus dem Gebäude gezogen hatte und damit nach Verlassen des Gebäudes mit diesem mit Körperkontakt unmittelbar beisammen stand. Es gab also für einen vorhergehenden Zweikampf U3 gegen Y2 auch aus dieser Perspektive keinen Raum. Dass der Angeklagte N, der gerade gekämpft hatte, den Schlagstock in der Hand hielt und höchst aufgebracht war, in dieser Situation einfach beiseitegetreten wäre, und einen solchen Zweikampf zugelassen hätte, ohne sich einzumischen, erscheint persönlichkeits- und lebensfremd.
334bb.)
335Dafür, dass es die drei Angeklagten waren, die gemeinschaftlich das Tatopfer Y2 angriffen (und nicht etwa dieser allein auf eine Übermacht von drei Personen losging), spricht eine Vielzahl von Indizien, die in ihrer Gesamtschau die sichere Überzeugung der Kammer tragen.
336Ein Angriff des Tatopfers Y2 auf die drei Angeklagten passt weder zur Stimmungslage zu diesem Zeitpunkt, noch zur Persönlichkeitsdisposition der Beteiligten.
337Der bereits im vorgerückten Lebensalter befindliche Zeuge Y2, der ausweislich des verlesenen Bundeszentralregisterauszuges noch nie strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, wurde von seinen Bekannten allgemein als ruhig und besonnen bezeichnet; er hatte auch in vorherigen Konfrontationen mit dem Angeklagten N besonnen reagiert und die Polizei gerufen, anstatt eine körperliche Auseinandersetzung zu beginnen. Auch an diesem Abend war er – so sein Begleiter G – in keiner außergewöhnlichen Stimmungslage. Er begleitete seinen Bekannten zum Autonomen Zentrum, wo er bereits bekannt war, um gemeinsam ein Bier zu trinken, nichts deutete auf bevorstehende Feindseligkeiten hin.
338Bei der unmittelbar dem Gewaltgeschehen vorausgehenden Diskussion hatte er – wenngleich in der Sache unnachgiebig – sachlich und ruhig agiert. Nachdem seine Position, die Angeklagten mögen bitte anderswo hingehen, sich durchgesetzt hatte, bestand auf seiner Seite auch kein ersichtliches Motiv zur Aggression gegen den Angeklagten N oder gar seine beiden Begleiter, die er – dies war unter allen Beteiligten unstreitig – vorher nie gesehen hatte. Insbesondere gegenüber dem Angeklagten U3 hätte er keinen ersichtlichen Grund, aggressiv zu werden.
339Hätte er dennoch das Bedürfnis nach einer körperlichen Auseinandersetzung verspürt, so hatte für ihn bereits zuvor, während sich alle Beteiligten noch im Eingangsbereich befanden, reichlich Gelegenheit, aus einer massiven Übermacht heraus eine solche anzuzetteln. Ebendies hatte er aber eben nicht unternommen, sondern war ruhig, aber bestimmt geblieben.
340In der nunmehrigen Situation sah der Zeuge Y2 sich indes einer offensichtlichen Übermacht von drei Personen, von denen jedenfalls der Angeklagte N, der soeben seinen Schlagstock gezogen hatte, offensichtlich bewaffnet war, gegenüber. Auch unter Zugrundelegung des Umstandes, dass er eine Bierflasche bei sich trug, war er jedem Einzelnen der drei ihm gegenübertretenden Personen von seiner körperlichen Konstitution her unterlegen, zudem deutlich älter und unterlegen bewaffnet. Dass er ausgerechnet aus einer solchen Situation heraus einen aus den soeben genannten Gründen aussichtslosen Angriff mit der Flasche auf U3 gestartet hätte, der zudem bis dahin nicht sein Hauptkontrahent, sondern eine Randfigur gewesen war, erscheint denkbar fernliegend.
341Im Gegensatz hierzu steht die Befindlichkeit und Persönlichkeitsdisposition der Angeklagten. Alle drei Angeklagten haben, wie oben unter I. ausführlich dargestellt, Gewaltvorstrafen wobei die Gewalt überwiegend bereits aus geringfügigen Anlässen ausgeübt wurde.
342Alle drei Angeklagten hatten gerade, nämlich durch ihr Auffliegen als „Rechte“ bzw. „HoGeSa“ und die darauf folgende Aufforderung, das Autonome Zentrum zu verlassen, eine Demütigung erlitten, wobei gerade der ihnen jetzt allein gegenüberstehende Y der Stein des Anstoßes gewesen war. Subjektiv hatten sie damit einen nahe liegenden Grund, die durch das Schließen der Tür zufällig entstandene Übermacht jetzt auszunutzen, um am Tatopfer Y2 Rache zu nehmen.
343Hinzu kommt eine bei den Angeklagten vorhandene gewisse Vorspannung, die sich darin zeigt, dass sie sich – im Gegensatz zum Geschädigten Y2 – an diesem Abend schon mit Waffen ausgestattet und für eine aufgrund ihres Plans, die Hochburg des politischen Feindes aufzusuchen, auf die Möglichkeit einer aggressiven Auseinandersetzung eingestellt hatten. Insbesondere der Angeklagte N hatte zudem gerade erst – durch die Eröffnung der Feindseligkeiten im Gebäude und das Hervorholen des Schlagstockes demonstriert, dass er eben nicht bereit war, friedlich zu gehen, sondern stattdessen den Kampf suchte; die beiden Mitangeklagten waren ihm unterstützend beigesprungen.
344Aufgrund dieses soeben demonstrierten Zusammenhaltens auch gegen eine Übermacht war es auch unrealistisch, dass einer der beiden Mitangeklagten einen (hypothetischen) Angriff des Y2 auf den Angeklagten U3 ohne einzugreifen geschehen lassen würde.
345An dieser Stelle ist zudem noch einmal zu betonen, dass weder die vom Angeklagten U3 geschilderte „Aufliegesituation“, noch eine von der Verteidigung geltend gemachte 1-gegen-1-Situation von irgendeinem der in kürzester Zeit aufmerksam gewordenen Zeugen an den Fenstern oder auf der Straße beobachtet worden ist. Diese schildern, wie vorstehend dargestellt, ausnahmslos eine Übermacht-Situation von drei Angreifern gegen das Tatopfer Y.
346Die Beweisaufnahme hat auch ansonsten keine eindeutig in Richtung eines Angriffs durch den Geschädigten Y2 weisenden Indizien ergeben. Insbesondere sind die vom Angeklagten U3 erlittenen Verletzungen am Kopf sowie an der Hand schlüssig durch Abwehrhandlungen des Tatopfers Y2 gegen die ihn bedrängende Übermacht erklärbar.
347Die Einstichspuren in der Kleidung des Tatopfers, insbesondere die im unteren Rückenbereich sehr nahe beieinander liegenden, sehr gerade verlaufenden Einstiche passen deutlich besser zu einer Beibringung in wehrloser Situation – wie jedenfalls in Bezug auf einen möglichen Stich von den Zeugen N2 und auch T2 geschildert – als zu einem wechselseitigen Kampfgeschehen.
348C. Tatnachgeschehen:
349a.
350Die Feststellungen zum unmittelbaren Tatnachgeschehen, dem Erneuten Öffnen der Tür und dem Auffinden des Verletzten Tatopfers Y2 durch die Personen aus dem Autonomen Zentrum beruhen auf den glaubhaften Aussagen der hierzu gehörten Zeugen C3 sowie der Zeugen C und B, die sich als Ersthelfer betätigten.
351b.
352Soweit die Kammer Feststellungen zur Flucht der Angeklagten, der sich anschließenden Erstversorgung des Angeklagten U3 und dem Ablegen desselben vor den R-Arkaden getroffen hat, beruhen diese auf den insoweit widerspruchsfreien Einlassungen der Angeklagten U3 und C5.
353c.
354Klarzustellen ist, dass es in diesem Verfahren nicht Aufgabe der Kammer war, den genauen Hergang des sich anschließenden Polizeieinsatzes aufzuklären, da dies für die Tat- und Schuldfrage im Hinblick auf die Angeklagten nicht von Relevanz war.
355d.
356Die Feststellungen zur notärztlichen Behandlung des Tatopfers Y und seinem Zustand zu diesem Zeitpunkt beruhen auf der glaubhaften Aussage der an diesem Abend als Notärztin eingesetzten Fachärztin für Unfallchirurgie und Orthopädie Dr. T4. Diese beschrieb den Zustand des Tatopfers bei Beginn ihrer Behandlung wie festgestellt. Die sachverständige Zeugin sagte sicher, sachbezogen und unter Rückgriff auf ihre ärztlichen Dokumentationsunterlagen aus, wobei sie die Richtigkeit ihrer Aussagen bezogen auf die Anlage von Thoraxdrainagen sogar noch durch eine kurze Nachuntersuchung des Tatopfers im Beratungszimmer der Kammer validieren konnte. An der medizinischen Fachkunde der sachverständigen Zeugin besteht kein Zweifel, ebenso wenig gibt ihr Aussageverhalten Anlass zu Zweifeln an der subjektiven Richtigkeit ihrer Aussage.
357e.
358Die nicht durch die Messerstiche hervorgerufenen Verletzungen des Y wurden durch den ihn behandelnden Arzt Dr. B anhand seiner Behandlungsdokumentation nachvollzogen. Auch die mit der pflegerischen Versorgung in der ersten Zeit der stationären Behandlung befasste Zeugin E bestätigte das Vorliegen dieser Verletzungen glaubhaft.
359f.
360Die Feststellungen zum weiteren Behandlungsverlauf und den jetzt noch bestehenden Tatfolgen beim Tatopfer Y beruhen auf dessen eigener Aussage zur bis zum heutigen Tag nicht abgeschlossenen Behandlungsgeschichte, sowie auf den Aussagen der ihn nach der Tat im M-Krankenhaus Wuppertal behandelnden Ärzte. Diese, namentlich die hierzu vernommenen Zeugen Dr. B und H sowie die weiter behandelnde Lungenfachärztin Dr. L2 haben die bei ihm vorgefundenen körperlichen Verletzungen und den Behandlungsverlauf unter Hinzunahme der ihnen zur Verfügung stehenden ärztlichen Dokumentationsunterlagen, wie festgestellt, beschrieben. An der medizinischen Fachkunde der Sachverstädigen Zeugen besteht kein Zweifel, ebenso wenig gibt ihr Aussageverhalten Anlass zu Zweifeln an der subjektiven Richtigkeit ihrer Aussagen.
361g.
362Hinsichtlich der Tatfolgen in psychischer Hinsicht beruhen die Feststellungen der Kammer auf der ebenfalls glaubhaften Aussage des behandelnden Facharztes für Psychiatrie Y. Dieser schilderte den bisherigen, nicht abgeschlossenen Behandlungsverlauf und die vom Tatopfer geschilderten Beschwerden. Hierbei zog er seine Behandlungsdokumentation heran. Zweifel an der subjektiven Richtigkeit der Aussage oder der Fachkunde des sachverständigen Zeugen sind nicht angezeigt.
363h.
364Die Feststellungen zu den Verletzungsfolgen des Angeklagten U3 beruhen auf der glaubhaften Aussage des behandelnden Arztes Dr. H2, der die von ihm behandelten Verletzungen des Angeklagten U3 wie festgestellt schilderte.
365i.
366Die Feststellungen zu den Aussagen des Angeklagten U3 im Ermittlungsverfahren beruhen auf der glaubhaften Aussage des polizeilichen Zeugen L, welcher sämtliche Vernehmungen dieses Angeklagten als Beschuldigter leitete und von dem Inhalt der ersten, noch zeugenschaftlichen Befragung des Angeklagten U3 durch die befragenden Kollegen unmittelbar Kenntnis erhielt.
367D. Feststellungen zum subjektiven Tatbestand:
368a.
369Dass der Angeklagte U3 mit zumindest bedingtem Tötungsvorsatz zustach, folgt aus einer Gesamtbetrachtung der objektiven und subjektiven Tatumstände. Bereits ein Messerstich in den Oberkörper stellt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine äußerst gefährliche Gewalthandlung dar, die die Annahme der Billigung eines Todeserfolges regelmäßig nahe legt.
370Vorliegend stach der Angeklagte U3 aber nicht einmal, sondern gleich sechsfach mit einem feststehenden Messer mit einer 9 cm langen Klinge wuchtig auf den Oberkörper des Tatopfers ein. Hinzu kommen jeweils ein weiterer Stich in den besonders empfindlichen Halsbereich sowie gegen den Kopf im Bereich der Schläfe. Bei derartigen Stichen hängt es auch für jeden Laien erkennbar in jedem Einzelfall vom Zufall ab, ob ein lebenswichtiges Organ oder – wie vorliegend geschehen – ein großes Blutgefäß mit der Folge einer pulsierenden Blutung nach außen getroffen wird.
371Aufgrund der Anzahl der Stiche lässt sich auch ausschließen, dass nur zufällig in diese Region gestochen wurde. Die gegebene Notwendigkeit der chirurgischen Versorgung und der erlittene, lebensbedrohliche, massive Blutverlust lassen auf wuchtig geführte, tief eindringende Stiche schließen.
372Die Alkoholisierung des Angeklagten U3 lag zu diesem Zeitpunkt allenfalls im mittelgradigen Bereich, bei ansonsten in jeder Hinsicht erhalten gebliebenem Leistungsverhalten. Von daher ist auch auszuschließen, dass er die Gefährlichkeit seines Tuns nicht erkannt hätte.
373b.
374Dass der Angeklagte U3 und die anderen beiden Angeklagten im Hinblick auf die Körperverletzungshandlung bewusst und gewollt zusammenwirkten, folgt aus den objektiven Umständen, die sich aus den vorstehend wiedergegebenen Zeugenaussagen zum Kerngeschehen ergeben. Dass im vorliegenden Fall die Angeklagten, die bereits zuvor im Eingangsbereich des Autonomen Zentrums gemeinsam agiert hatten, nunmehr jeder für sich und ohne Kenntnisnahme und Billigung des Aktivwerdens der jeweils anderen agiert hätten, ist aufgrund der räumlichen Enge der Situation und des gemeinsamen Motivs – alle drei waren des Gebäudes verwiesen worden und konnten sich damit nicht abfinden - fernliegend.
375c.
376Da jedoch nicht näher bestimmt werden konnte, zu welchem Zeitpunkt der Angeklagte U3 erstmals das Messer einsetzte, war insoweit nach dem Zweifelssatz zu Gunsten der Mitangeklagten N und C5 davon auszugehen, dass dies erst spät im Geschehen erfolgte, so dass sie dies nicht mehr rechtzeitig mitbekamen, um es noch in ihren Vorsatz einzubeziehen und im Wissen um den Messereinsatz weiter zu handeln.
377IV.
378Alle drei Angeklagten handelten rechtswidrig und schuldhaft.
379Die tatsächlichen Voraussetzungen von Rechtfertigungsgründen sind nach den obigen Feststellungen fernliegend.
380A. U3
381Der Angeklagte U3 war bei der Tatbegehung im Sinne der §§ 20, 21 StGB schuldfähig. Seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit war weder im Sinne des § 20 StGB aufgehoben noch im Sinne des § 21 StGB erheblich gemindert. Die Kammer folgt insoweit den überzeugenden, das Ergebnis der Hauptverhandlung ausschöpfenden Ausführungen des sehr erfahrenen Sachverständigen Dr. X, Arzt für Psychiatrie und Nervenheilkunde, denen sie sich nach eingehender eigener Prüfung anschließt.
382Dieser führte zunächst aus, dass beim Angeklagten keine Hinweise auf das Vorliegen einer hirnorganischen Leistungsbeeinträchtigung oder einer psychotischen Erkrankung erkennbar geworden seien. Weder habe dieser relevante Vorerkrankungen geschildert, noch habe die körperliche Untersuchung richtungsweisende Befunde ergeben. Auch der – äußerst knappe – Kurzbericht über eine kurzzeitige Behandlung des Angeklagten im Z gebe keine weitergehenden Hinweise. Der Angeklagte habe sich dort lediglich kurzzeitig nach einer Beziehungsstreitigkeit aufgehalten und sei nach einer Krisenintervention – soweit ersichtlich ohne Medikation – in die ambulante Behandlung entlassen worden.
383Der Angeklagte, der dem Explorationsgespräch über mehrere Stunden habe folgen und sich auch in der Hauptverhandlung kontrolliert und sachbezogen habe äußern können, sei sicherlich nicht schwachsinnig.
384Sodann zeichnete der Sachverständige die Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten auf, die auffällige defizitäre, dissoziale, sowie emotional instabile Persönlichkeitsanteile aufweise.
385Der Angeklagte habe – bei unauffälliger frühkindlicher und adäquater körperlicher Entwicklung - bereits in der Grundschulzeit erhebliche Verhaltensauffälligkeiten gezeigt und daher eine Förderschule für schwer Erziehbare besuchen müssen. Das familiäre Milieu sei aufgrund häufiger Streitigkeiten und fehlender erzieherischer Einwirkung der Eltern als gravierend belastend anzusehen. So habe der Angeklagte von diesem Zeitpunkt an Entwicklungs-und Reifedefizite entwickelt, welche nachfolgend auch nicht mehr durch eine kontinuierliche erzieherische Einflussnahme ausgeglichen worden seien. Der Angeklagte U3 habe ausweislich seiner eigenen Angaben bereits in der Schulzeit gravierende Fehlverhaltensweisen gezeigt, wie etwa Stören des Unterrichtes, aggressives Verhalten oder Schulschwänzen. Daraus resultierend habe er nicht nur keinen adäquaten Schulabschluss erlangen können, sondern verschiedene Erziehungsheime für schwer Erziehbare durchlaufen müssen, in denen er ein aggressives Milieu, ein Fehlen von Bezugspersonen und dadurch Missstimmung und Anspannung erlebt habe. Im Hinblick auf diese Fehlverhaltensweisen und die auch in den Heimen mangelnde Integration habe sich aus jugendpsychiatrischer Sicht die Diagnose einer Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen ergeben. Eine jugendpsychiatrische oder –psychologische Behandlung habe allerdings zu keinem Zeitpunkt stattgefunden.
386In der sich anschließenden Adoleszenzphase habe der Angeklagte keine nachhaltigen Reife- und Entwicklungsfortschritte etwa in privater, perspektivischer oder beruflicher Hinsicht erzielen können, sondern vielmehr ohne wirkliche Perspektive vor sich hin gelebt. Auch in Bezug auf soziale Kontakte, wie Freunde, Bekannte oder eine feste Freundin habe der Angeklagte kein alterstypisches Probehandeln gezeigt, sondern sich vielmehr zurückgezogen. Zu einer kurzzeitigen Stabilisierung sei es durch die im 15. Lebensjahr begonnene, bedauerlicherweise aber nach kurzer Zeit wieder abgebrochene Bäckerlehre gekommen.
387Ab dem 15. Lebensjahr des Angeklagten sei nun der Beginn einer Phase wiederholter strafrechtlicher Delinquenz mit Beleidigungs- aber auch Sachbeschädigungs- und Gewaltdelikten festzustellen, durch welche die Reife-und Entwicklungsdefizite des Angeklagten deutlich zu Tage getreten seien. Eine gebotene intensive erzieherische und sozialtherapeutische Einwirkung sei auch jetzt nicht erfolgt. Stattdessen habe sich der persönlich relativ isoliert lebende Angeklagte schließlich über das Internet rechten bzw. rechtsradikalen Kreisen zugewandt, um etwa 2007 nach L überzusiedeln und auch dort ohne berufliche Perspektive zu leben und sich im rechtsradikalen Milieu der NPD zu bewegen. Seine primäre und sekundäre Sozialisation seien bei dieser Entwicklung als belastet bis gescheitert anzusehen.
388Bereits ab diesem Zeitpunkt sei bei Gesamtwürdigung der Reife-und Entwicklungsdefizite des Angeklagten im persönlichen und emotionalen Bereich, welche sich symptomatisch in den im Jahre 2009 durch den Angeklagten begangenen Straftaten zeigten, in allgemein-psychiatrischer Hinsicht die Diagnose einer sogenannten dissozialen und defizitären Persönlichkeitsstörung zu stellen. Der Angeklagte leide allerdings subjektiv nicht unter seinem So-sein; auch sei er, was der wenige Wochen vor der Tat beginnende, grundsätzlich vielversprechende berufliche Ansatz als Koch-Umschüler in V belege, durchaus zu einem realitätsbezogenen, strukturiertem Handeln fähig und in seiner Fähigkeit zur Alltagsbewältigung nicht erkennbar eingeschränkt, so dass der Persönlichkeitsstörung letztlich keine forensische Relevanz zukomme.
389Bezogen auf den Tatzeitpunkt legte der Sachverständige – unter Zugrundelegung von Anknüpfungstatsachen, die den vorstehend getroffenen Feststellungen zur Sache entsprechen - weiter dar, dass der Angeklagte, gemessen an den Kriterienkatalogen nach Saß, Salger und Rasch auch nicht in seinem Bewusstsein tiefgreifend gestört gewesen sei.
390Eine schwere persönliche, emotionale, das Wertesystem des Angeklagten betreffende Kränkung habe im Zusammenhang mit dem Tatgeschehen nicht stattgefunden. Es existiere auch keine Vorgeschichte zwischen dem Tatopfer Y2 und dem Angeklagten U3, so dass auch keine länger vorbestehende affektive Anspannung in Bezug auf dessen Person – allenfalls eine situativ bedingte Vorspannung im Hinblick auf den Besuch des autonomen Zentrums - darstellbar sei.
391Auch in der unmittelbaren Vortatsituation habe der Angeklagte keine Symptome einer Einengung seiner Wahrnehmungen geboten. Er habe vielmehr in dem Gerangel im Eingangsbereich agieren und etwa die Situation des Mitangeklagten N erfassen und diesen aus dem Kampfgeschehen lösen können. Dies spreche für eine realitätsgerechte allgemeine Kognitions-und Wahrnehmungsfähigkeit.
392Zwar habe der Angeklagte U3 angesichts der ermittelten Alkoholisierung, welche unter Anwendung der gängigen Rückrechnungsformel einen Maximalwert von 1,733 Promille zum Tatzeitpunkt ergebe, was die Grenze zum schweren Rausch nicht erreiche, sicherlich unter einer gewissen auflockernden und hemmungsvermindernden Wirkung von Alkohol gestanden. Allerdings habe er über das gesamte Tatvor- und Tatkerngeschehen keine relevanten alkoholbedingten Ausfallerscheinungen gezeigt. Niemand der hierzu befragten Zeugen habe relevante Auffälligkeiten bei ihm geschildert; er habe sich vielmehr vor der Tat über längere Zeit im „Autonomen Zentrum“, welches für ihn eine „feindliche“ Umgebung sei, unauffällig und angepasst verhalten und mit den dort anwesenden Personen auf einer oberflächlichen Ebene problemlos interagieren können. Er habe eigenes Fehlverhalten, etwa das von ihm geschilderte Urinieren in die Ecke des Toilettenraums erkennen und reflektieren können. Auch habe er zutreffend erkannt, dass sich die Situation nach dem Erkanntwerden des Mitangeklagten N langsam hochschaukelte und für ihn und seine als Mitglieder der HoGeSa – Szene erkannten Begleiter allmählich brenzlig wurde. Auch darauf habe er mit dem Verlassen des Gebäudes adäquat und sinnhaft reagiert. Auch das geschilderte unmittelbare Nachtatverhalten – geordnete und gemeinsame Flucht zur Wohnung des Mitangeklagten N, Erkennen der eigenen Verletzungen und Fassen eines Planes, wie man ohne unmittelbares Entdecktwerden an ärztliche Hilfe gelangen könne - spreche deutlich gegen eine relevante Alkoholisierung und für auch in dieser Phase erhalten gebliebene kognitive Fähigkeiten.
393Gehe man von einem gemeinsamen, koordinierten Angriff durch die Angeklagten auf den Geschädigten Y2 aus, erfordetre auch dieses Zusammenwirken eine situationsgerechte Wahrnehmung der durch das Verschließen der Tür neu geschaffenen Kampflage – drei Angeklagte gegen einen Gegner, der jetzt von jeglicher Unterstützung abgeschnitten war. Auch ein gemeinsames Vorgehen gegen das Tatopfer erforderte ein Mindestmaß an Koordination und Kooperation untereinander.
394Soweit der Sachverständige unter fiktiver Zugrundelegung der Einlassung des Angeklagten U3 als gegebene Umstände zu einer anderen Wertung gelangt ist, ist dies vorliegend nicht näher darzustellen, da die Kammer aus den oben umfassend dargestellten Gründen dieser Einlassung nicht folgt.
395B. N
396Auch der Angeklagte N war bei der Tatbegehung im Sinne der §§ 20, 21 StGB schuldfähig. Seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit war weder im Sinne des § 20 StGB aufgehoben noch im Sinne des § 21 StGB erheblich gemindert. Die Kammer folgt auch insoweit den überzeugenden, das Ergebnis der Hauptverhandlung ausschöpfenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. X, denen sie sich nach eingehender eigener Prüfung anschließt.
397Der Sachverständige führte bezogen auf den Angeklagten N aus, dass er anhand der durchgeführten körperlichen Untersuchung – eine Exploration wurde seitens des Angeklagten abgelehnt – keinerlei Hinweise auf hirnorganische Beeinträchtigungen habe ermitteln können. Der Angeklagte, der über weite Teile seines Lebens berufstätig gewesen sei und seine Lebensführung eigenständig habe bewältigen können, sei auch in keinem Falle schwachsinnig.
398Insgesamt sei dem Angeklagten, der keinen schulischen Abschluss erzielt und eine Berufsausbildung kurz vor dem Abschluss abgebrochen habe, eine belastete, wenngleich nicht gescheiterte Sozialisation zu bescheinigen. Als Erwachsener habe er, was die überdauernde, teilweise sogar selbstständige berufliche Tätigkeit zeige, die notwendigen Fähigkeiten und Fertigkeiten gezeigt, um sich zu organisieren und in gewissem Maße sozial integriert zu leben.
399Die ihm bekannten Vorstrafenurteile offenbarten sicherlich eine Aggressionsproblematik gerade auch in Zusammenhang mit Schwierigkeiten im privaten Umfeld, etwa einer offensichtlich hochproblematischen Beziehung zu der auch im hiesigen Verfahren als Zeugin vernommenen Frau T.
400Ein im Hinblick auf ein Eingangsmerkmal des § 20 StGB richtungsweisender Befund ergebe sich daraus jedoch nicht.
401Anhand des Leistungsverhaltens des Angeklagten N sei auch, bezogen auf den Tatzeitpunkt, eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung auszuschließen. Er sei zunächst in der Lage gewesen, das Autonome Zentrum aus der Erinnerung wiederzufinden; zuvor zu erkennen, dass es sich für ihn um gefährliches Gebiet handle und für eine (aus seiner Sicht) adäquate Bewaffnung Rechnung zu tragen. Dies stellt vorbereitende, zielgerichtete Handlungen dar, welche deutlich für eine erhaltene Einsichts- und Bewältigungsfähigkeit sprächen, auch unter der Prämisse, dass der Angeklagte eine nicht unerhebliche Menge Alkohol getrunken habe.
402Auch im Autonomen Zentrum habe der Angeklagte durch geordnetes, zielgerichtetes Vorgehen, etwa Befragen des Zeugen C3, Erkennen des Zeugen Y2 und Sich-Begeben zum Ausgang als situationsadäquate Reaktion auf das Erkanntwerden in vollem Umfang erhaltene Steuerungsfähigkeit gezeigt.
403Sodann sei er über einen längeren Zeitraum in der Lage gewesen, sich verbal mit den ihm gegenübertretenden Personen auseinanderzusetzen und dabei differenzierte Abgrenzungen zwischen „Rechts“ und „Hogesa“ vorzunehmen und zu diskutieren. In der unmittelbaren Tatsituation habe er sich des mitgeführten Schlagstocks erinnert, diesen herausgeholt und aufgeklappt.
404Eine schwere persönliche, emotionale, das Wertesystem des Angeklagten betreffende Kränkung habe im Zusammenhang mit dem Tatgeschehen nicht stattgefunden.
405Auch das unmittelbare Nachtatgeschehen mit einer geordnet verlaufenden Flucht, in deren Rahmen die Wohnung ohne Probleme gefunden worden sei und die sich anschließende Erstversorgung des Angeklagten U3 mit erhalten gebliebener Fähigkeit, dessen Verletzung zutreffend als behandlungsbedürftig einzuschätzen und anschließendem gemeinsamem Fassen eines Planes, stelle sich als planvoll, durchdacht und geordnet dar.
406C. C5
407Bezüglich des Angeklagten C5 war ebenfalls eine Minderung oder gar Aufhebung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB auszuschließen. Auch insoweit folgt die Kammer den überzeugenden, das Ergebnis der Hauptverhandlung ausschöpfenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. X. Von einer näheren Darstellung wird im Hinblick auf § 267 Abs.4 S.3 StPO abgesehen.
408V.
409Der Angeklagte U3 hat sich mithin des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, §§ 212 Abs.1, 223, 224 Abs. 1 Ziff. 2, 4 und 5, 22, 25 Abs.2, 52 StGB, schuldig gemacht; die Angeklagten N und C5 sind jeweils der gefährlichen Körperverletzung, §§ 223, 224 Abs. 1 Ziff. 4, 25 Abs.2 StGB, schuldig.
410VI.
411A. U3
412Der Strafrahmen des § 212 Abs.1 StGB sieht Freiheitsstrafe von fünf bis zu 15 Jahren vor.
413Gründe, die eine Anwendung des milderen Strafrahmens des § 213 StGB rechtfertigen würden, liegen nicht vor. Die Voraussetzungen des § 213 Var. 1 StGB sind fernliegend; zwar gab es ein Streitgespräch, an dem der Angeklagte U3 sich auch beteiligte, insoweit war er aber lediglich Randfigur. Irgendwelche gegen den Angeklagten U3 gerichteten Beleidigungen gab es nicht.
414Es liegt nach Gesamtwürdigung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte auch kein sonstiger minder schwerer Fall im Sinne von § 213 Var.2 StGB vor.
415Zugunsten des Angeklagten U3 sprechen zunächst die geringgradig teilgeständige Einlassung, mit der er zwar die Stiche als solche einräumte, aber in den unwahren Kontext einer Notwehrsituation stellte, sowie der Umstand, dass er unter einer gewissen auflockernden und hemmungsvermindernden Wirkung von Alkohol stand. Auch waren die körperlichen Verletzungen, die er selbst davontrug – er erlitt stationär behandlungsbedürftige Platzwunden am Kopf, eine T blutende Beinverletzung, sowie eine bis heute nicht vollständig ausgeheilte Verletzung der Sehne am rechten Zeigefinger – zu berücksichtigen.
416Demgegenüber waren jedoch zuvorderst die massiven körperlichen und psychischen Folgen die das Tatopfer erlitt, massiv strafverschärfend und einem minder schweren Fall entgegenstehend zu berücksichtigen. Das Tatopfer konnte nur durch das notfallmäßige Eingreifen der Zeugin Dr. T4 überhaupt gerettet werden, musste 20 Tage lang ins künstliche Koma versetzt und insgesamt über sechs Wochen stationär behandelt werden. Y hat bis heute eine Minderung der Lungenfunktion zurückbehalten, ebenso wie eine zumindest derzeit noch bestehende, weiter abklärungsbedürftige Funktionseinschränkung des linken Armes; wann er seine selbständige berufliche Tätigkeit wieder aufnehmen kann, ist völlig offen. Eine notwendige Psychotherapie im Hinblick auf die erlittene posttraumatische Belastungsstörung mit depressiver Symptomatik hat bis heute nicht einmal beginnen können.
417Daneben fallen die massiven, teilweise auch einschlägigen Vorstrafen ins Gewicht. Der Angeklagte U3 war erst im November 2014 – nach insgesamt mehr als zweijähriger Haftzeit - aus der Verbüßung einer Einheitsjugendstrafe unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung entlassen worden. Durch die vorliegende Tat und die enorm hohe Rückfallgeschwindigkeit hat er sich in hohem Maße als sanktionsresistent erwiesen.
418Auch die gemessen an anderen Taten des versuchten Totschlags besonders brutale Ausführungsweise mit gleich achtfachem Einstechen auf das Tatopfer, wobei sämtliche Stiche gegen potentiell lebenswichtige Körperpartien gerichtet waren, war strafschärfend zu berücksichtigen .
419Zudem hat der Angeklagte U3, wenngleich die Tat als solche einem spontanen Entschluss entsprang, den zur Tat führenden Grundkonflikt selbst mit gesetzt, indem er sich mit seinen Mitangeklagten auf das Terrain des extremen politischen Gegners begab. Durch seine eigene Bewaffnung mit einem Messer und die Bewaffnung des Mitangeklagten N mit einem Teleskopschlagstock wurde die Gefährlichkeit dieser Aktion erheblich gesteigert.
420Schließlich war zu berücksichtigen, dass er tateinheitlich neben dem versuchten Totschlag gleich drei Varianten des § 224 StGB verwirklicht hat.
421Die Kammer hat jedoch in Eingedenk der Tatsache, dass es letztlich beim versuchten Totschlag geblieben ist, von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, den Strafrahmen nach §§ 23 Abs.2, 49 StGB zu mildern, so dass der anzuwendende Strafrahmen zwei Jahre bis .elf Jahre und drei Monate beträgt.
422Unter Zugrundelegung dieses gemilderten Strafrahmens hat die Kammer unter Abwägung aller, insbesondere der vorgenannten für und gegen den Angeklagten sprechenden Strafzumessungsgesichtspunkte für diese Tat eine Freiheitsstrafe von
423acht Jahren
424für tat- und schuldangemessen erachtet.
425B. N
426Der Strafrahmen des § 224 StGB sieht Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vor.
427Es liegt nach Gesamtwürdigung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte kein zu einer Strafrahmenverschiebung führender, minder schwerer Fall des § 224 Abs.1 StGB vor.
428Zu seinen Gunsten war indes, neben der enthemmenden Wirkung des konsumierten Alkohols, zu berücksichtigen, dass der Geschädigte Y2 durch die dem Angeklagten N zuzurechnenden Gewalthandlungen nur geringfügig verletzt wurde – es waren letztlich nur zwei nicht auf die Messerstiche des Angeklagten U3 zurückzuführende Kopfplatzwunden festzustellen, ansonsten keine Verletzungen oder nennenswerte Hämatome.
429Zu seinen Lasten spricht indes, dass der Angeklagte N der Hauptinitiator des gesamten Tatgeschehens war; erst durch ihn, der als einzig Ortskundiger die Mitangeklagten zum Autonomen Zentrum führte, wurde das weitere Geschehen überhaupt möglich. Zu seinen Ungunsten fällt auch ins Gewicht, dass der Angeklagte N sich selbst und den Mitangeklagten U3 noch in seiner Wohnung im Hinblick auf eine – schon zu diesem Zeitpunkt als zumindest möglich erachtete – gewalttätige Auseinandersetzung mit Waffen ausstattete. Letztlich hat sich in der Tat das Risiko realisiert, das die Angeklagten hiermit sehenden Auges eingegangen waren. Auch war zu gewichten, dass es der Angeklagte N war, der durch sein Handeln, nämlich den provozierenden „HoGeSa“- Ausruf und das Schubsen des Zeugen C das eigentliche Gewaltgeschehen eröffnete. Zu seinen Lasten wirkten sich ebenfalls seine nicht unerheblichen Vorstrafen aus. Er wurde mehrfach wegen Körperverletzungsdelikten verurteilt und hatte sogar bereits zweimal einschlägige Haft zu verbüßen. Auch die enorm hohe Rückfallgeschwindigkeit, die er nach seiner letzten zu verbüßenden Haftstrafe – wenngleich nicht wegen eines einschlägigen Delikts – an den Tag legte fiel zu seinen Ungunsten ins Gewicht.
430Unter Zugrundelegung des Regelstrafrahmens hat die Kammer unter Abwägung aller, insbesondere der vorgenannten für und gegen den Angeklagten sprechenden Strafzumessungsgesichtspunkte eine Freiheitsstrafe von
431einem Jahr und sechs Monaten
432für tat- und schuldangemessen erachtet.
433Die Strafe konnte nicht gemäß § 56 Abs.2 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden. Bei Gesamtwürdigung der Kriterien des § 56 Abs.1 S.2 StGB kann eine positive Sozialprognose nicht gestellt werden.
434Der Angeklagte ist, wie bereits dargestellt, mehrfach und erheblich vorbestraft und hat nach seiner letzten Haftentlassung Ende Oktober 2014 eine enorm hohe Rückfallgeschwindigkeit an den Tag gelegt. Er ist derzeit in der gewaltbereiten rechten und HoGeSa-Szene verwurzelt. Seine – ohnehin nur in ganz geringfügigem Umfang ausgeübte - berufliche Tätigkeit rechtfertigt keine andere Wertung. Wie dargestellt, übte er über weite Teile seines Erwachsenenlebens ähnlich geartete Beschäftigungen aus, ohne dass ihn dies von der Begehung von Straftaten nachhaltig abgehalten hätte. Auch die nunmehr eingegangene Ehe mit der jedenfalls in der Phase des Tatvorgeschehens sowie bei dem nachfolgenden Versuch, den Angeklagten U3 unter einer Legende der ärztlichen Versorgung zuzuführen, beteiligten Tanja N vermag eine positive Sozialprognose nicht zu begründen; Gesichtspunkte dafür, dass diese Beziehung geeignet ist, ihn nachhaltig aus seinem Umfeld herauszulösen sind nicht ersichtlich.
435Erst recht fehlt es am Vorliegen besonderer Umstände im Sinne des § 56 Abs.2 StGB.
436C. C5:
437Auch bezüglich des Angeklagten C5 war der Strafrahmen des § 224 StGB anzuwenden, welcher Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vorsieht.
438Auch mit Bezug auf ihn ist nach Gesamtwürdigung aller für und gegen den ihn sprechenden Gesichtspunkte kein zur Strafrahmenverschiebung führender, minder schwerer Fall gegeben
439Auch zu seinen Gunsten sprach neben der enthemmenden Wirkung des genossenen Alkohols, dass der Geschädigte Y2 durch die ihm – C5 - zuzurechnenden Gewalthandlungen nur geringfügig verletzt wurde. Ferner fiel ins Gewicht, dass der Angeklagte C5 als Einziger der Angeklagten unbewaffnet war und sich insgesamt in der Rolle eines klassischen Mitläufers in geringerem Umfang als die beiden Mittäter am Tatgeschehen beteiligte.
440Andererseits war jedoch zu berücksichtigen, dass er – wenngleich diese Tat bereits erhebliche Zeit zurückliegt – wegen einer schwerwiegenden Gewalttat erheblich vorbelastet ist, sich aber dennoch in der gewaltbereiten HoGeSa – Szene bewegt.
441Unter Zugrundelegung des Regelstrafrahmens hat die Kammer unter Abwägung aller, insbesondere der vorgenannten für und gegen die Angeklagten sprechenden Strafzumessungsgesichtspunkte eine Freiheitsstrafe von
442neun Monaten
443für tat- und schuldangemessen erachtet.
444Die Strafe konnte gemäß § 56 Abs.1 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden. Bei Gesamtwürdigung der Kriterien des § 56 Abs.1 S.2 StGB kann eine positive Sozialprognose noch bejaht werden.
445Zwar ist der Angeklagte C5 einschlägig erheblich vorbestraft, jedoch liegt die Verurteilung bereits etwa neun Jahre zurück, die Tat sogar fast 14 Jahre. Die seinerzeitige Bewährungszeit hat er ohne größere Beanstandungen durchgestanden. Die Inanspruchnahme eines betreuten Wohnens und Unterstützungen der Caritas sind geeignet, ein erneutes Abgleiten des Angeklagten in ungeordnete Lebensverhältnisse zu vermeiden. Nunmehr hat er zudem eine ambulante Psychotherapie zur Bewältigung seiner fremd- aber auch autoaggressiven Symptomatik begonnen, deren Fortsetzung ihm im Rahmen einer Weisung aufgegeben wurde.
446VII.
447Die Kammer hat die Voraussetzungen einer Unterbringung der Angeklagten nach § 64 StGB geprüft und deren Vorliegen verneint.
448A. U3:
449Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. X, denen die Kammer auch insoweit nach eigener kritischer Prüfung umfassend folgt, liegt beim Angeklagten U3 bereits keine ihn treibende oder beherrschende Neigung, Alkohol im Übermaß zu konsumieren, vor, so dass ein Hang i.S.v. § 64 StGB zu verneinen ist.
450Anhand der Exploration und Untersuchung des Angeklagten habe er dahingehende, richtungsweisende Befunde nicht erheben können. Lediglich in den weiter zurückliegenden Jahren vor seiner Erstinhaftierung habe der Angeklagte Q geschildert, in denen er vermehrt Alkohol getrunken habe und betrunken ins Bett gefallen sei; einen kontinuierlichen, massiven Alkoholgebrauch schildere er aber auch in dieser Lebensphase nicht. Der Alkoholkonsum habe aber spätestens mit der Inhaftierung sein Ende gefunden, ohne dass er in der Haft einer irgendwie gearteten Behandlung bedurft habe. Nach der Haft habe er bis zur Trennung von seiner neuen Lebensgefährtin, auch eingedenk der schädlichen Wirkungen des Alkohols auf seinen mittlerweile verstorbenen Vater, keinen Alkohol getrunken. Seit der Trennung habe er nur im maßvollen Umfang von üblicherweise nicht mehr als ein oder zwei Flaschen Bier am Tag Alkohol getrunken. Volltrunkenheit oder Filmrisse habe er nicht erlebt.
451Die vom Sachverständigen selbst durchgeführte körperliche Untersuchung sei vollständig unauffällig verlaufen.
452B. N
453Auch beim Angeklagten N liegt nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. X, denen die Kammer auch insoweit nach eigener kritischer Prüfung umfassend folgt, eine ihn treibende oder beherrschende Neigung, Alkohol im Übermaß zu konsumieren, nicht vor, so dass ein Hang i.S.v. § 64 StGB zu verneinen ist.
454Der Sachverständige hat ausgeführt, es gebe auch bei ihm in medizinischer Hinsicht keine zureichenden Hinweise auf eine Alkoholabhängigkeit oder einen langjährigen Alkoholabusus. Zwar habe die Zeugin T geschildert, dass der Angeklagte massiv dem Alkohol zuspreche und unter dessen Einfluss zur Aggression neige.
455Anhand der körperlichen Untersuchung habe er dies aber nicht validieren können; körperliche Anhaltspunkte für Alkoholfolgeerkrankungen seien nicht gegeben; der Angeklagte N selbst habe die Angaben in Abrede gestellt. Auch in der bislang aktenkundigen Delinquenz des Angeklagten habe der Alkohol keine bedeutende Rolle gespielt – lediglich in einem einzigen Vorstrafenurteil sei eine alkoholbedingte Enthemmung zugestanden worden.
456C. C5
457Schließlich waren auch mit Bezug auf den Angeklagten C5 die Voraussetzungen des § 64 StGB zu verneinen, da auch bei ihm ein Hang i.S.v. § 64 StGB zu verneinen war. Auch insoweit stützt sich die Kammer auf das mündlich erstattete Gutachten des Sachverständigen Dr. X3, von dessen näherer Darstellung gemäß § 267 Abs. 4 StPO abgesehen wird.
458VIII.
459Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 465, 472 StPO.
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- 6 JS 56/08 1x (nicht zugeordnet)
- StGB § 56 Strafaussetzung 5x
- 65 F 520/11 1x (nicht zugeordnet)
- StGB § 213 Minder schwerer Fall des Totschlags 3x
- 722 Js 5088/10 1x (nicht zugeordnet)
- 22 LS 97/10 1x (nicht zugeordnet)
- 6 Js 1101/09 1x (nicht zugeordnet)
- StPO § 206a Einstellung des Verfahrens bei Verfahrenshindernis 1x
- 832 Js 647/02 1x (nicht zugeordnet)
- 41 Ds 111/03 1x (nicht zugeordnet)
- 70 Js 4815/06 1x (nicht zugeordnet)
- 430 Js 69/02 1x (nicht zugeordnet)
- 14 Ds 2/11 1x (nicht zugeordnet)
- StGB § 223 Körperverletzung 1x
- StGB § 21 Verminderte Schuldfähigkeit 5x
- 14 Ds 42/13 1x (nicht zugeordnet)
- 81 Js 3230/07 1x (nicht zugeordnet)
- StGB § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen 6x
- 6 Js 797/09 1x (nicht zugeordnet)
- 40 Js 3268/05 1x (nicht zugeordnet)
- 14 Cs 84/09 1x (nicht zugeordnet)
- StGB § 49 Besondere gesetzliche Milderungsgründe 1x
- JGG § 45 Absehen von der Verfolgung 1x
- 422 Js 3134/10 1x (nicht zugeordnet)
- 81 Js 2622/03 1x (nicht zugeordnet)
- StPO § 472 Notwendige Auslagen des Nebenklägers 1x