Urteil vom Oberlandesgericht Hamm - 24 U 1/20
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 11.11.2019 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Dieses und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Gründe
2I.
3Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz wegen angeblicher Beeinträchtigungen der Nutzung seines Grundstücks durch mehrere von der Beklagten betriebene Windenergieanlagen.
4Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks A-Straße ## in C, auf dem er ein Wohnhaus bewohnt und einen Pensionsbetrieb führt.
5Die Beklagte betreibt seit dem Jahr 2018 auf Grundstücken der Gemeinde D auf einer im Flächennutzungsplan ausgewiesenen Windvorrangfläche sieben Windenergieanlagen des Typs „Enercon E-115“ mit einer Gesamthöhe von jeweils 206,94 Metern und einem Rotordurchmesser von 115 m, die sich in einer Entfernung von mindestens 2,321 km vom klägerischen Grundstück befinden.
6Diese Anlagen waren vom Kreis E am 27.12.2016 immissionsschutzrechtlich genehmigt worden.
7Der Antrag des Klägers auf vorläufigen Rechtsschutz hiergegen wurde durch das Verwaltungsgericht Minden mit Beschluss vom 07.08.2017 abgelehnt, die Beschwerde des Klägers hiergegen wurde durch das Oberverwaltungsgericht für das Land NRW mit Beschluss vom 30.01.2018 rechtskräftig zurückgewiesen.
8Der Kläger ging im Wege der Anfechtungsklage (11 K 928/17 VG Minden) gegen den Kreis E gegen diese Genehmigung vor. Das Verwaltungsgericht Minden lud die Beklagte in diesem Verfahren gemäß § 65 VwGO bei. Mit rechtskräftigem Urteil vom 12.12.2018 wies das Verwaltungsgericht Minden die Klage ab. Zur Begründung führte es aus:
919„…
10Die Klage hat keinen Erfolg.
11Das Gericht lässt offen, ob sie zulässig ist.
12Dass und weshalb Infraschall bzw. tieffrequenter Schall oder eine optisch bedrängende Wirkung der Anlagen auch mit Blick auf die vom Kläger dazu formulierten Beweisanträge keine Klagebefugnis begründen können, folgt aus den Gründen des Beschlusses vom 11.12.2018.
13Eine zur Klagebefugnis, § 42 Abs. 2 VwGO, führende mögliche Rechtsverletzung des Klägers ergibt sich allenfalls unter dem Aspekt einer unzulässigen Belastung seines Grundstücks durch Lärm.
14…
15Die Klage ist jedenfalls unbegründet.
16Die Immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 27.12.2016 ist nicht in einer die subjektiven Rechte des Klägers verletzenden Weise rechtswidrig, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.
17Insoweit wird zur Vermeidung entbehrlicher Wiederholungen entsprechend § 117 Abs. 5 VwGO auf die Gründe des Beschlusses im zugehörigen Eilverfahren 11 L 1196/17 vom 04.08.2017 und des die Beschwerde des Klägers hiergegen zurückweisenden Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 30.01.2018 – 8 B 1060/17 – verwiesen.
18…“
Der Kläger hat behauptet, unmittelbar nach Inbetriebnahme der Anlagen seien bei ihm Krankheitssymptome aufgetreten, die teilweise gravierend, teilweise nur Befindlichkeitsstörungen seien, die psychische Befindlichkeit und körperliches Wohlbefinden beeinträchtigten. Er leide bei entsprechenden Windrichtungen und Umgebungsbedingungen, die mehrmals monatlich, aber auch täglich vorkommen könnten, unter Störungen der Nachtruhe mit häufigen Aufwachereignissen, teilweise Herzrasen, Druck auf den Ohren, vermehrten Kopfschmerzen, innerer Unruhe, Unausgeglichenheit und Müdigkeit. Bei ihm habe sich ein Zustand ständiger Gereiztheit und Erschöpfung eingestellt. Auch mache er sich Sorgen wegen der Langzeitfolgen ungesunden Schlafs und erhöhter Stressfaktoren wie etwa Bluthochdruck. Dadurch sei für ihn das eigene Wohn- und Lebensumfeld unerträglich geworden und sein Pensionsbetrieb sei beeinträchtigt, da die Gäste sich über die Anlagen beschwerten.
20Die Beeinträchtigung seines Grundstücks sei wesentlich, da sie zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führe, die er nicht dulden müsse. Zudem liege eine wesentliche Eigentumsbeeinträchtigung deswegen vor, weil ein verständiger, auch andere öffentliche und private Belange berücksichtigender Durchschnittsbenutzer seines Grundstücks nicht tolerieren würde, dass sein Umfeld von einer Störquelle beherrscht werde, die die gesamte Lebens- und Aufenthaltsqualität des privaten Wohnhauses dominiere. Denn er sei gezwungen, seinen gesamten Lebenswandel umzustellen, etwa die Fenster nachts auch im Sommer zu schließen und die Außenwohnbereiche zu meiden. Der Betrieb der Anlage mache die Nutzung seines Grundstücks als privates Wohngrundstück für einen Durchschnittsbetrachter unzumutbar und mindere die Attraktivität seines Pensionsbetriebes empfindlich.
21Verursacht würden diese Auswirkungen durch die von den Windenergieanlagen ausgehenden Infraschallimmissionen. Dies belegten die zeitliche Koinzidenz zwischen Inbetriebnahme der Anlage und Auftreten der Beschwerden sowie der Umstand, dass sich die Beschwerden bei räumlicher Entfernung von den Anlagen linderten. Zudem träten Auswirkungen wie hier geschildert bei einer wesentlichen Gruppe der betroffenen Bevölkerung regelmäßig auf und könnten daher schon aus diesem Grunde dem Betrieb der Anlagen zugerechnet werden.
22Es sei erwiesen, dass der von Windenergieanlagen ausgehende Infraschall sich dadurch von sonstigem Infraschall unterscheide, dass er auf ganz bestimmten, diskreten Frequenzlinien auftrete, die durch den Rotordurchgang am Turm verursacht würden und die Flügelharmonischen repräsentierten. Diese Wirkweise, die an mehreren Standorten durch Messungen bestätigt worden sei, sei verallgemeinerungsfähig, da sie auf der gängigen Rotorgröße und der rotierenden Tätigkeit der Anlagen beruhe. Auch für sein Grundstück seien solche Einwirkungen belegt. Der Infraschall trete im üblichen Abstand zwischen den Anlagen und Wohnhäusern von ca. 300 Metern bis 2 km mit ganz erheblichen Schalldruckpegeln von mindestens 80-90 db auf. Die größere Entfernung seines Grundstücks von den Anlagen der Beklagten schließe eine wesentliche Belastung durch Infraschall nicht aus, da die charakteristischen Infraschallimmissionen von Windenergieanlagen bis zu einer Entfernung von 15 km deutlich zu identifizieren seien und in Entfernungen bis 6 km wesentliche Infraschallimmissionen auftreten könnten, jedenfalls aber in Entfernungen von 2-2,5 km.
23Aufgrund des Drucks, den die Infraschallwellen auf die Organe ausübten, die für das Gleichgewichtssystem von Bedeutung seien, träten Symptome wie vertikaler Nystagmus, Schwingungsgefühl, Müdigkeit, Benommenheit, Apathie, Depressionen, Konzentrationseinbußen und Schwingungen der inneren Organe auf, ebenso ein Anstieg des Blutdrucks und eine Herzratenveränderung. Besonders deutlich seien diese Phänomene in umbauten Räumen festzustellen. Zudem entfalteten Infraschallimmissionen, die unterhalb der subjektiven Wahrnehmungsschwelle lägen, pathologisch nachweisbare Auswirkungen auf die Hirnaktivität, die maßgeblich für die emotionale und autonome Steuerung des Organismus sei.
24Der Beweis, dass die von ihm geschilderten Beeinträchtigungen durch den Betrieb der Windanlagen der Beklagten ausgelöst würden, könne auch aufgrund der Schilderung der von ihm benannten 74 Zeugen erbracht werden, bei denen die gleichen Belästigungen und gesundheitlichen Symptome seit Aufnahme des Betriebs benachbarter Windräder bestünden und sich bei Entfernung von der Anlage linderten.
25Sein Abwehranspruch sei nicht nach § 906 Abs. 2 BGB ausgeschlossen, da die Nutzung von Windenergieanlagen in der hiesigen Größenordnung nicht ortsüblich sei. Hilfsweise wäre die Einstellung des Betriebs für die Beklagte wirtschaftlich zumutbar; in der Interessenabwägung sei zu berücksichtigen, dass es um konkrete und gravierende Gesundheitsbeschädigungen einer Vielzahl von Personen gehe, während die Betriebseinstellung im Hinblick auf die Haftungsbeschränkung der Beklagten als GmbH für diese verschmerzbar sei, da die Anlage weiterveräußert bzw. abgeschrieben und steuerlich geltend gemacht werden könnte. Sollte von Ortsüblichkeit und wirtschaftlicher Unzumutbarkeit der Betriebseinstellung auszugehen sein, werde die Klage hilfsweise auf § 906 Abs. 2 S. 2 BGB gestützt.
26Soweit sich sein Abwehranspruch nach § 14 BImSchG zunächst auf geeignete Vorkehrungen richte, durch die die benachteiligenden Wirkungen ausgeschlossen werden sollten, sei zu berücksichtigen, dass wirksame Schutzmaßnahmen gegen durch Infraschall ausgelöste Immissionen nicht möglich seien.
27Er verlange daher Schadensersatz, wobei mit der vorliegend erhobenen Teilklage über 20.000,00 € nur ein „äußerst geringer Teil“ des bereits entstandenen Schadens geltend gemacht werde; eine Minderung des Grundstückswertes in Höhe des geltend gemachten Betrages sei zweifellos gegeben. Gerade bei einem Pensionsbetrieb hänge die Attraktivität der Unterkunft maßgeblich davon ab, dass sie nicht durch störende bzw. gesundheitsschädigende Einwirkungen belastet werde. Es sei daher anzunehmen, dass die Einwirkungen der streitgegenständlichen Anlagen zu einem „weitgehenden“ Wertverlust seiner Immobilie geführt hätten. Der Wertverlust belaufe sich bei einer Entfernung von bis zu einem Kilometer auf 7,1 % und reduziere sich kontinuierlich bis zu einer Distanz von 8-9 km. Der geltend gemachte Schadensbetrag wäre bereits dann voll begründet, wenn man nur von einer Wertminderung von 1,7 % ausginge und das klägerische Anwesen nur einen Wert von 500.000,00 € hätte. Jedenfalls sei eine Schadensschätzung nach § 287 ZPO möglich bzw. geboten.
28Der Hilfsantrag wäre begründet, wenn die Kammer von der Möglichkeit wirtschaftlich vertretbarer Schutzvorkehrungen ausgehen sollte, die zum Ausschluss der benachteiligenden Wirkungen führen würde.
29Er hat beantragt,
30341. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 20.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
31hilfsweise: die Beklagte zu verurteilen, die Anlage ausschließlich so zu betreiben, dass Schallimmissionen im Infraschallbereich von nicht mehr als 40 dB auf das klägerische Grundstück auftreffen;
322. festzustellen, dass die Beklagte ihm zum Ersatz jedes weiteren ihm aus der Errichtung und dem Betrieb der mit Genehmigungsbescheid des Kreises E vom 27.12.2016, Az. 00000-00-600 genehmigten sieben Windenergieanlagen bereits entstandenen und zukünftig noch entstehenden Schadens verpflichtet ist.
333. hilfsweise, im Fall der Ablehnung des Antrags zu 1) die Anlagen ausschließlich so zu betreiben, dass Schallimmissionen im Infraschallbereich von nicht mehr als 40 db (ungefiltert) auf das klägerische Grundstück auftreffen.
Die Beklagte hat beantragt,
3536die Klage abzuweisen.
Sie hat bestritten, dass eine unzumutbare Beeinträchtigung der ortsüblichen Benutzung des Grundstücks des Klägers vorläge. Da sich sein Grundstück mehrere Kilometer von der nächstgelegenen Anlage entfernt befinde, scheide eine Beeinträchtigung schon lagebedingt aus. Auch sei sein Grundstück immer schon durch die Existenz von Windenergieanlagen im Außenbereich geprägt gewesen, da sich seit mindestens 15 Jahren ein Windpark mit rund 30 Anlagen angrenzend an die hier streitgegenständlichen Anlagen befinde. Zudem habe der Kläger im Außenbereich wegen der Privilegierung von Windenergieanlagen nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB mit der Entwicklung von Windenergieprojekten rechnen müssen.
37Ein unzumutbarer, geschweige denn gefährlicher Infraschall wirke von der Anlage auf das Grundstück nicht ein, da ein solcher schon ab einer Entfernung der Anlagen von mehr als 300 Metern ausscheide. Infraschall mit einer Frequenz unter 20 Hertz bzw. tieffrequenter Schall mit einer Frequenz von 20 bis 100 Hertz durch Windenergieanlagen liege zudem unterhalb der Wahrnehmungsschwelle des menschlichen Gehörs und führe nach dem bisherigen Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse nicht zu Gesundheitsgefahren. Zudem sei Infraschall stets vorhanden, etwa durch Autoverkehr, Regen, Wind, Blätterrauschen, Geräusche von Heizungspumpen, Wellengang am Meer etc., d.h. er sei ubiquitär und damit ortsüblich. Auf das Grundstück des Klägers wirke Infraschall auch durch den südlich gelegenen weiteren Windenergiepark ein sowie durch die westlich des Grundstücks vorbeiführende A ##. Es sei daher – insbesondere wegen der Entfernung der Anlagen von dem Grundstück – technisch unmöglich, die tatsächlich an seinem Wohnhaus einwirkende Infraschallbelastung auf eine konkrete Windenergieanlage zurückzuführen.
38Die klägerseits vorgetragenen Beschwerden, die infolge der vermeintlichen Infraschallbelastung aufgetreten sein sollten, würden mit Nichtwissen bestritten, ebenso werde bestritten, dass der Pensionsbetrieb des Klägers infolge der Existenz der Anlagen Schaden erlitten hätte. Jedenfalls sei der Beweisantritt durch die Benennung von Zeugen unerheblich, da selbst dann, wenn der Kläger und sie unter den genannten unspezifischen Symptomen litten, nicht belegt wäre, dass diese Symptome auf Infraschallemissionen der streitgegenständlichen Anlagen zurückzuführen wären. Es sei nicht Aufgabe des Gerichts, wissenschaftliche Forschungsaufträge zu vergeben, wo die Grenze des Erkenntnisstandes der Naturwissenschaften erreicht sei. Der aktuelle wissenschaftliche Forschungsstand lasse keine Schlüsse auf eine Schädlichkeit des von Windenergieanlagen ausgehenden Infraschalls zu.
39Die rechtskräftig bestätigte Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Immissionsschutzvorschriften habe Bedeutung für die Beurteilung der Wesentlichkeit einer Beeinträchtigung, der Kausalität zwischen Emission und Beeinträchtigung, der Ortsüblichkeit einer Grundstücksbenutzung und der Zumutbarkeit der Beeinträchtigung. Zudem gebiete der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung den Ausschluss zivilrechtlicher Klagemöglichkeiten nach § 906 BGB, wenn über das Bestehen nachbarlicher Rechte bereits abschließend im Verwaltungsprozess gestritten worden sei. Die Wesentlichkeit im Sinne von § 906 BGB werde daher mit der Erheblichkeit der Belästigung im Sinne der §§ 3 Abs. 1, 22 Abs. 1 BImSchG gleichgesetzt.
40Soweit der Kläger nur einen Teil seines Schadens als Teilklage geltend mache, sei die Klage ohnehin unzulässig; der Vortrag, der Teilbetrag resultiere aus einer entsprechenden Grundstückswertminderung, erfolge ins Blaue hinein. Alle Erfahrungen zeigten, dass die Nähe zu Windenergieanlagen keine Wertminderung hervorrufe. Daher sei auch die Feststellungsklage unzulässig, zumal ein Feststellungsinteresse nicht erkennbar sei. Der Kläger könnte den angeblich erlittenen Schaden beziffern.
41Der hilfsweise gestellte Unterlassungsantrag sei unverständlich, da er im System des § 906 BGB vorrangig wäre. Jedenfalls bleibe er unsubstantiiert, da unklar bleibe, welchen Immissionsbeitrag die streitgegenständlichen Anlagen am Grundstück des Klägers verursachten, da dieser unbekannt sei. Auch erschließe sich nicht, warum die Einhaltung eines Wertes von 40 dB am klägerischen Grundstück maßgeblich sein solle. Zudem sei die begehrte Betriebseinstellung gemäß § 14 S. 1 BImSchG von vornherein nicht geschuldet; die Vorkehrungen, die verlangt werden könnten, um nachteilige Wirkungen auszuschließen, meinten nur Schutzvorkehrungen im engeren Sinn wie den Einbau von Schallschutzwänden etc., nicht aber eine zeitliche Betriebseinschränkung, die einer Teileinstellung des Betriebs gleichkäme.
42Das Landgericht hat mit am 11.11.2019 verkündetem Urteil die Klage abgewiesen.
43Es hat zur Begründung ausgeführt, die Voraussetzungen der einzig in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage § 14 S. 2 BImSchG lägen nicht vor. Denn der Kläger habe nicht dargetan und nicht ausreichend unter Beweis gestellt, dass von den streitgegenständlichen Windkraftanlagen in nennenswerter Weise beeinträchtigende Infraschallimmissionen – nur auf solche berufe sich der Kläger - ausgingen. Zwar gingen solche Immissionen unstreitig von Windkraftanlagen aus, jedoch sei anhand des Vorbringens des Klägers und seiner Beweisangebote nicht feststellbar, dass der von den Anlagen der Beklagten ausgehende Infraschall zu einer Beeinträchtigung seines Grundstückes führe. In der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung werde durchgängig davon ausgegangen, dass Infraschall bzw. tieffrequenter Schall durch Windenergieanlagen im Allgemeinen unterhalb der Wahrnehmungsschwelle des menschlichen Gehörs liege und nach dem bisherigen Stand wissenschaftlicher Erkenntnis nicht zu Gesundheitsgefahren führe. Diese Rechtsprechung gehe auf die von den Verwaltungsgerichten ausgewertete Datenlage zurück, wonach Infraschallimmissionen selbst im Nahebereich bei Abständen von 150 bis 300 m deutlich unterhalb der menschlichen Wahrnehmungsschwelle lägen. Die von den Fachbehörden verschiedener Bundesländer durchgeführten Auswertungen des gegenwärtigen Erkenntnisstandes hätten zusammenfassend zum Ergebnis, dass ausweislich aktueller Messungen die Infraschall-Pegel bereits bei Abständen zwischen 150 und 300 m von der Anlage deutlich unterhalb der menschlichen Hör- bzw. Wahrnehmungsschwelle lägen und in größerer Entfernung die auftretenden Geräusche im Infraschall-Bereich maßgeblich durch Wind verursacht würden. Gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse hinsichtlich etwaiger negativer Auswirkungen von Infraschall auf den Menschen gebe es bislang nicht. Der Kläger baue seinen Vortrag daher im Wesentlichen auf Hypothesen und Forschungsansätzen auf, die noch nicht zu gesicherten Erkenntnissen geführt hätten. Eine Beweisaufnahme zur Gewinnung einer hinreichenden Sicherheit von der Richtigkeit seiner Behauptung zu beeinträchtigenden Wirkungen von Infraschall sei nicht veranlasst. Die Frage, ob und ggf. inwieweit Infraschallimmissionen die behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen auslösen könnten, könne ein Sachverständiger bei dem derzeitigen Sachstand nicht mit der nötigen Sicherheit beantworten. Ein Sachverständigengutachten im Zivilprozess könne keinen Forschungsauftrag beinhalten, der das Spektrum der wissenschaftlichen Kenntnis erweitern solle.
44Die von dem Kläger vorgelegten zahlreichen eidesstattlichen Versicherungen von Anliegern anderer Windkraftanlagen könnten nicht zu der Annahme einer statistischen Wahrscheinlichkeit solcher Einwirkungen führen; sie seien nicht geeignet, auch nur ein Indiz für die Behauptung zu erbringen, die – möglicherweise gegebenen – medizinischen Beeinträchtigungen seien gerade auf Infraschallimmissionen zurückzuführen. Dies gelte auch dann, wenn man annehme, dass der Kläger in der Zeit vor der Inbetriebnahme der Anlagen keine Beschwerden gehabt habe.
45Der Hilfsantrag sei schon deswegen nicht positiv zu bescheiden gewesen, weil bei verständiger Auslegung die gesetzte Bedingung nicht eingetreten sei. Denn die Zurückweisung des Antrags zu 1) sei nicht erfolgt, weil die Kammer wirtschaftlich vertretbare Schutzvorrichtungen für möglich hielte, sondern, weil die Kammer solche Wirkungen als nicht feststellbar erachte.
46Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers.
47Er rügt, das Landgericht habe die Anforderungen an substantiierten Parteivortrag, die er richtigerweise erfüllt habe, überspannt. Soweit das Landgericht den angebotenen Zeugenbeweis für ungeeignet halte, verkenne es, dass der Beweis gesundheitsbeeinträchtigender Wirkungen des Betriebs von Windenergieanlagen nicht nur durch wissenschaftliche Gutachten, sondern auch durch alle übrigen in der ZPO vorgesehenen Beweismittel erbracht werden könne. Soweit für die negativen gesundheitlichen Auswirkungen Zeugenbeweis angetreten sei, sei zu berücksichtigen, dass es auf die Wirkung auf einen relevanten Bevölkerungsanteil ankomme, während individuelle, besondere Empfindlichkeiten von Einzelpersonen irrelevant seien. Durch den Betrieb der streitgegenständlichen Anlage würden bei einer wesentlichen Bevölkerungsgruppe Gesundheitsbeeinträchtigungen ausgelöst. Gleichzeitig seien die Immissionen von Windkraftanlagen, insbesondere im Infraschallbereich, konstruktionsbedingt und beruhten auf deren genereller Betriebsweise. Daher könne zum Beleg der gesundheitsschädlichen Auswirkungen nicht nur auf die Personen abgestellt werden, die in der Nähe der hier streitgegenständlichen Anlage wohnten, sondern auch auf solche Personen, die in der Nachbarschaft vergleichbarer Anlagen in vergleichbaren Entfernungen wohnten. Sollte eine Vielzahl von Zeugen glaubhaft und glaubwürdig schildern, dass mit der Aufnahme des Betriebs entsprechender Anlagen die geschilderten gesundheitlichen Beeinträchtigungen aufgetreten seien und sinnvolle Alternativursachen ausgeschlossen seien, sei ein Indizienbeweis zugunsten der für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe gesundheitsbeeinträchtigenden Wirkung von Windenergieanlagen erbracht, jedenfalls in Form eines Prima-facie-Beweises. In diesem Fall wäre irrelevant, aufgrund welcher Wirkzusammenhänge die Beeinträchtigungen aufträten, da die Kausalität belegt wäre; dies würde selbst dann gelten, wenn die Beschwerden letztlich psychosomatischer Natur wären, solange sie bei einer größeren Bevölkerungsgruppe aufträten. Die angebotenen Beweismittel seien daher nicht ungeeignet, vielmehr stellten die Feststellungen des Landgerichts eine vorweggenommene Beweiswürdigung zu Lasten des Klägers dar und damit einen Verstoß gegen das Gebot rechtlichen Gehörs und einen Willkürverstoß.
48Richtigerweise müsse am Anfang der Beweisaufnahme eine sachverständige Ermittlung von Art und Umfang der auf das klägerische Grundstück einwirkenden Schallimmissionen stehen; soweit potentiell wirkrelevante Immissionen ermittelt würden, sei dann in einem zweiten Schritt über die gesundheitlichen Auswirkungen dieser Immissionen durch Vernehmung der Zeugen Beweis zu erheben. Wohl zu Recht vertrete das Landgericht allerdings die Auffassung, dass der Beweis der gesundheitlichen Auswirkungen nicht durch Sachverständigengutachten erbracht werden könne, da die Studienlage hierfür nicht ausreichend sei. Genau aus diesem Grund solle der Beweis hier maßgeblich über Zeugenaussagen erbracht werden.
49Auch den Hilfsantrag habe das Landgericht zu Unrecht abgewiesen, was auf der rechtsfehlerhaften Unterlassung einer Beweisaufnahme im Hinblick auf die durch den Betrieb der Anlagen ausgelösten Gesundheitsbeeinträchtigungen beruhe.
50Die Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts Minden vom 12.12.2018 schließe einen Unterlassungsanspruch nach den §§ 1004, 906 BGB nicht aus. Eine Entscheidung über eine Anfechtungsklage umfasse dann nicht die Feststellung, dass die Voraussetzungen der unmittelbaren Ermächtigungsgrundlage (nicht) vorlägen, wenn die Anfechtungsklage – wie hier - wegen fehlender Rechtsverletzung des Klägers abgewiesen werde. Soweit das Verwaltungsgericht Minden zudem festgestellt habe, dass ein Anspruch auf Aufhebung der Genehmigung nicht bestehe, weil ein Verstoß gegen § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG nicht vorliege, erstrecke sich die Rechtskraft dieses Urteils nur auf die Verneinung eines Verstoßes gegen diese Vorschrift. Nicht von der Bindungswirkung erfasst seien die zu dieser Einschätzung führenden Vorfragen, insbesondere, ob sich der von Windenergieanlagen ausgehende Infraschall über Entfernungen wie diejenige zum Wohnhaus des Klägers grundsätzlich nicht gesundheitsschädlich auswirken könne. Dem hier geltend gemachten Anspruch könnte die Bindungswirkung des Urteils des Verwaltungsgerichts Minden mithin nur entgegenstehen, wenn der Begriff der „schädlichen Umwelteinwirkungen“ des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG mit demjenigen der „wesentlichen Benutzungsbeeinträchtigung“ gemäß den §§ 1004, 906 BGB vollständig deckungsgleich wäre, was indes nicht der Fall sei. Denn die Einhaltung oder Überschreitung etwa von Richtwerten der TA Lärm sei für die Beurteilung nach § 5 Abs. 1 BImSchG bindend, während sie für § 906 BGB nur ein Indiz für die Wesentlichkeit darstelle.
51Er beantragt,
5256unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Paderborn vom 11.11.2019, 3 O 172/19,
531. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 20.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basis-zinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
542. festzustellen, dass die Beklagte ihm zum Ersatz jedes weiteren ihm aus der Errichtung und dem Betrieb der mit Genehmigungsbescheid des Kreises E vom 27.12.2016, Az. 00000-00-600 genehmigten sieben Windenergieanlagen bereits entstandenen und zukünftig noch entstehen-den Schadens verpflichtet ist;
553. hilfsweise im Falle der Ablehnung des Antrags zu 1): die Beklagte zu verurteilen, die Anlagen ausschließlich so zu betreiben, dass Schallimmissionen im Infraschallbereich von nicht mehr als 40 db (ungefiltert) auf das klägerische Grundstück auftreffen.
Die Beklagte beantragt,
5758die Berufung zurückzuweisen.
Sie meint, das Landgericht habe richtigerweise eine Beweisaufnahme nicht durchgeführt. Das OVG NRW habe eine Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens für nicht geboten gehalten, wenn es dem Ziel diene, entgegen dem bisherigen Stand der Wissenschaft zu belegen, dass ein ausreichender Anhalt für die Annahme einer Gesundheitsgefährdung durch Infraschall einer 620 m weit entfernten Windenergieanlage bestehe, da eine solche Beweiserhebung einem wissenschaftlichen Forschungsauftrag gleichkäme. Hier stehe die Anlage noch deutlich weiter entfernt von dem klägerischen Wohnhaus und es sei nicht einmal im Ansatz erkennbar, welchen entscheidenden kausalen Beitrag gerade die Windenergieanlagen der Beklagten zu den klägerseits behaupteten Beeinträchtigungen liefern könnten, gerade angesichts der weiteren Windenergieanlagen, die in größerer Nähe zu dem klägerischen Grundstück stünden als die streitgegenständlichen Anlagen.
59Eine Beweisaufnahme zu Einzelheiten der Schallausbreitung und den am Wohnhaus des Klägers noch festzustellenden Immissionen mache nur dann Sinn, wenn diese Immissionen, sollten sie vorhanden sein, zu unzumutbaren Gesundheitsbeeinträchtigungen führen können. Insoweit räume die Klägerseite ein, dass hierzu kein Beweis durch Sachverständigengutachten erbracht werden könne. Stattdessen sei aber nicht etwa die klägerseits beantragte Zeugenvernehmung durchzuführen, zumal der aktuelle Stand der Wissenschaft und Forschung derjenige sei, dass keinerlei hinreichende Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass Gesundheitsbeeinträchtigungen in kausalem Zusammenhang mit dem Infraschall stehen könnten.
60Auch der jüngst veröffentlichte Schlussbericht einer Langzeitstudie über mögliche gesundheitliche Auswirkungen von Infraschall komme zu dem Ergebnis, dass von Windenergieanlagen ausgehender Infraschall und hörbarer Schall nicht die Ursache der in diesem Zusammenhang oft vorgebrachten gesundheitlichen Symptome sei. Ursache der beschriebenen Symptome seien vielmehr psychologische Mechanismen wie der Nocebo-Effekt, die Rückführung bereits bestehender oder neu auftretender Symptome auf neue Technologien und soziale Faktoren wie die Berichterstattung in den Medien und die Interaktion mit Lobbygruppen. Die von den klägerseits benannten Zeugen geschilderten gesundheitlichen Probleme seien mithin nicht kausal auf Windenergieanlagen zurückzuführen.
61Zudem bänden nach höchstrichterlicher Rechtsprechung rechtskräftige Urteile der Verwaltungsgerichte die Beteiligten, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden sei; zu den Beteiligten gehöre auch der Kläger als nach § 63 Nr. 3 VwGO notwendig Beigeladener. Die tragenden Gründe des Urteils, durch das das Verwaltungsgericht den Anspruch des Klägers auf Aufhebung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung rechtskräftig abgewiesen habe, seien in materieller Rechtskraft erwachsen. Diese umfassten insbesondere die Feststellung, dass der Betrieb der streitgegenständlichen Windenergieanlagen keine unzumutbaren Infraschallimmissionen am Wohnort des Klägers verursache.
62Der Senat hat den Kläger persönlich angehört und Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen F, der sein Gutachten zudem mündlich erläutert hat. Für das Ergebnis der Anhörung und der Beweisaufnahme wird auf die schriftlichen Ausführungen des Sachverständigen vom 26.08.2021 sowie auf die Protokolle der mündlichen Verhandlung vom 24.11.2020 und vom 26.04.2022 und die jeweiligen Berichterstattervermerke verwiesen.
63II.
641)
65Die zulässige Berufung ist unbegründet; das Landgericht hat die zulässige Klage zu Recht abgewiesen.
66a)
67Der mit dem Klageantrag zu 1) geltend gemachte Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 20.000 EUR besteht nicht.
68aa)
69Er folgt nicht aus § 14 Satz 2 BImSchG, denn dem Kläger steht der insoweit von § 14 Satz 1 BImSchG vorausgesetzte privatrechtliche Anspruch zur Abwehr benachteiligender Einwirkungen nicht, insbesondere nicht gemäß den §§ 1004 Abs. 1, 906 Abs. 1 BGB, zu. Der Kläger kann nicht mit Erfolg geltend machen, dass von den in Streit stehenden Windenergieanlagen der Beklagten Einwirkungen in Form von akustischen und optischen Immissionen und in Form von Infraschallimmissionen auf sein Grundstück treffen, die dieses in einer nach § 906 Abs. 1 BGB nicht zu duldenden Weise beeinträchtigen.
70(1) Der Kläger kann bereits aufgrund des rechtskräftigen Urteils des Verwaltungsgerichts Minden vom 12.12.2018 (11 K 928/17) im Verhältnis zur Beklagten nicht mit der Behauptung gehört werden, von den Windenergieanlagen der Beklagten ginge eine Einwirkung aus, die eine grundsätzlich gemäß § 1004 Abs. 1 BGB zu unterlassende Beeinträchtigung seines Grundstücks darstellte.
71(a) Das rechtskräftige Urteil des Verwaltungsgerichts Minden vom 12.12.2018 bindet gemäß § 121 Nr. 1 VwGO die Beteiligten, d.h., soweit hier von Interesse, den Kläger, der auch im verwaltungsgerichtlichen Prozess als Kläger aufgetreten ist (vgl. § 63 Nr. 1 VwGO), und die Beklagte, die im verwaltungsgerichtlichen Prozess beigeladen war (vgl. §§ 63 Nr. 3, 65 VwGO). Die materielle Rechtskraft des Urteils bindet auch andere Gerichte, einschließlich der Zivilgerichte in einem nachfolgenden Zivilprozess, mithin auch den Senat (vgl. BGH, Urteil vom 27.11.2020 – V ZR 121/19, ZfBR 2021, 155 Rn. 20; BVerwG, Urteil vom 26.01.1996 – 8 C 19/94, NJW 1996, 2046 m.w.N.).
72(b) Die Wirkung der Rechtskraft des Urteils ist nicht deshalb eingeschränkt, weil das Verwaltungsgericht ausweislich seiner Urteilsbegründung bereits Zweifel an der Klagebefugnis des Klägers gemäß § 42 Abs. 2 VwGO gehegt hat, weshalb dahinstehen kann, ob das Verwaltungsgericht die Klage als unzulässig oder in der Sache als unbegründet abweisen wollte.
73(aa) Zwar geht der Bundesgerichtshof im Grundsatz von dem Standpunkt aus, dass die rechtskräftige Verneinung einer Prozessvoraussetzung nichts für die materielle Beurteilung des entschiedenen Falles hergebe. Vielmehr erwachse allein die Feststellung in Rechtskraft, dass für das konkrete Rechtsschutzbegehren keine Sachentscheidung zugelassen sei; falle das Prozesshindernis später weg, könne eine neue Klage angebracht werden (vgl. BGH, Beschluss vom 17.01.2007 – XII ZB 134/03, NJW-RR 2007, 578; Urteil vom 24.09.1986 – VIII ZR 320/85, NJW 1987, 592; Urteil vom 06.03.1985 – IVb ZR 76/83, NJW 1985, 2535). Dieser Standpunkt wird auch von dem Bundesverwaltungsgericht sowie von der herrschenden Auffassung in der zivil- und verwaltungsprozessualen Literatur geteilt (vgl. BVerwG, Urteil vom 12.01.2012 – 7 C 5/11, NVwZ 2012, 1184; Beschluss vom 14.02.2011 – 7 B 49/10, NVwZ 2011, 509; Gottwald in MünchKommZPO, 6. Aufl., § 322 Rn. 172 und 174; Musielak in Musielak/Voit, ZPO, 19. Aufl., § 322 Rn. 44 f.; Gruber in BeckOK ZPO, Stand: 01.03.2022, § 322 Rn. 35; G. Vollkommer in Zöller, ZPO, 34. Aufl., § 322 Rn. 1a; Gehle in Anders/Gehle, ZPO, 80. Aufl., § 322 Rn. 35; Lindner in BeckOK VwGO, Stand: 01.10.2021, § 121 Rn. 37; Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl., § 121 Rn. 22; Peter Unruh in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl., § 121 VwGO Rn. 30; Clausing/Kimmel in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand: 41. EL Juli 2021, § 121 VwGO Rn. 91; Michael Kilian/Daniel Hissnauer in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl., § 121 Rn. 69; Bamberger in Wysk, VwGO, 3. Aufl., § 121 Rn. 15; Stuhlfauth in Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 8. Aufl., § 121 Rn. 15, jeweils m.w.N. zur Rechtsprechung). Auch der Senat folgt dieser grundsätzlichen Auffassung.
74(bb) Etwas anderes gilt aber für den Sonderfall, dass die Prozessabweisung auf der Verneinung der von § 42 Abs. 2 VwGO für die Anfechtungsklage vorausgesetzten Klagebefugnis beruht. Wenn eine Anfechtungsklage abgewiesen wird, weil der Kläger so offensichtlich nicht in seinen Rechten verletzt ist, dass er nicht einmal die Voraussetzungen des § 42 Abs. 2 VwGO erfüllt, steht rechtskräftig fest, dass jedenfalls er nicht die Verletzung von Rechten im Hinblick auf den angefochtenen Verwaltungsakt geltend machen kann. Weitere auf das abgewiesene materielle Begehren gestützte prozessuale Möglichkeiten sind dann ausgeschlossen (BVerwG, Urteil vom 10.04.1968 – IV C 160/65, NJW 1968, 1795; vgl. auch BGH, Urteil vom 06.03.1985 – IVb ZR 76/83, NJW 1985, 2535 für eine Prozessabweisung wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses).
75Dem steht auch das von dem Kläger ins Feld geführte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 07.08.2008 (7 C 7/08, NVwZ 2009, 120) nicht entgegen. Dort heißt es nach der Aussage, dass die Entscheidung über eine Anfechtungsklage sich nicht in dem Rechtsschluss erschöpfe, dass der Verwaltungsakt rechtmäßig oder rechtswidrig sei, sondern die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens der Voraussetzungen der unmittelbaren Ermächtigungsgrundlage umfasse, dass „dies nur dann nicht [gelte], wenn eine Anfechtungsklage wegen Unzulässigkeit oder wegen fehlender Rechtsverletzung des Klägers abgewiesen [werde]“ (Rn. 18). Damit ist lediglich gemeint, dass einem rechtskräftigen Urteil bei einer Klageabweisung wegen fehlender Rechtsverletzung keine Aussage zur Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts entnommen werden könne; für die Frage der rechtskräftigen Feststellung der fehlenden Rechtsverletzung als solcher gilt indes das oben Gesagte.
76(cc) Dies gilt auch im Verhältnis zur Zivilgerichtsbarkeit.
77Die Prozessabweisung wegen fehlender Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO findet im Zivilprozessrecht keine eigentliche Entsprechung; es handelt sich bei der Klagebefugnis als Prozessvoraussetzung um ein Spezifikum des Verwaltungsprozesses (vgl. Wahl/Schütz in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand: 41. EL Juli 2021, § 42 Abs. 2 VwGO Rn. 13 ff.). Vor dem Hintergrund aber, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für die Voraussetzungen der Klagebefugnis die Untersuchungsmaxime des § 86 VwGO nicht (uneingeschränkt) gilt, vielmehr der Kläger im Verwaltungsprozess seine Klagebefugnis im Einzelnen darlegen muss und die Klageabweisung erfolgt, wenn sich dem Klägervortrag nicht mit hinreichender Substanz entnehmen lässt, dass eine Rechtsverletzung möglich erscheint (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20.07.1992 – 7 B 186/91, NVwZ 1993, 63; Schmidt-Kötters in BeckOK VwGO, Stand: 01.10.2019, § 42 Rn. 210 ff.; Breunig in BeckOK VwGO, Stand: 01.01.2022, § 86 Rn. 29; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl., § 42 Rn. 119; vgl. zu den vertretenen Positionen hinsichtlich des Maßes der erforderlichen Substantiierung Wahl/Schütz in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand: 41. EL Juli 2021, § 42 Abs. 2 VwGO Rn. 65 ff.), lässt sich eine verwaltungsgerichtliche Prozessabweisung wegen fehlender Klagebefugnis aus zivilprozessualer Sicht als Sachabweisung wegen fehlender Schlüssigkeit des Klagevortrags deuten. Damit lässt sich die im Urteil vom 10.04.1968 (IV C 160/65, NJW 1968, 1795) ausgesprochene Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts ohne weiteres auf den Zivilprozess übertragen.
78(c) Aufgrund der Rechtskraftwirkung des Urteils des Verwaltungsgerichts Minden vom 12.12.2018 ist im Verhältnis der Parteien davon auszugehen, dass eine Beeinträchtigung des klägerischen Grundstücks aufgrund der behaupteten Infraschallimmissionen, die einen Unterlassungsanspruch gemäß §§ 1004 Abs. 1, 906 Abs. 1 BGB begründen könnten, nicht gegeben ist.
79(aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der der Senat folgt, erwachsen bei einem klageabweisenden Urteil auch die tragenden Gründe des Urteils in materieller Rechtskraft, da nur sie Aufschluss darüber geben, weshalb ein geltend gemachter Anspruch verneint (oder bejaht) wurde (vgl. BGH, Urteil vom 27.11.2020 – V ZR 121/19, ZfBR 2021, 155 Rn. 21; Urteil vom 07.02.1992 – V ZR 246/90, NJW 1992, 1384; BVerwG, Urteil vom 07.08.2008 – 7 C 7/08, NVwZ 2009, 120 Rn. 16 ff.; Lindner in BeckOK VwGO, Stand: 01.10.2021, § 121 Rn. 38; Clausing/Kimmel in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand: 41. EL Juli 2021, § 121 VwGO Rn. 80; Gottwald in MünchKommZPO, 6. Aufl., § 322 Rn. 88; Gruber in BeckOK ZPO, Stand: 01.03.2022, § 322 Rn. 43).
80(bb) Dies zu Grunde gelegt ist mit dem Urteil des Verwaltungsgerichts Minden rechtskräftig festgestellt, dass eine Beeinträchtigung materieller Rechte des Klägers aufgrund des Betriebs der in Streit stehenden Windenergieanlagen unter allen Gesichtspunkten offensichtlich ausgeschlossen ist; der Senat muss seiner Entscheidung mithin zu Grunde legen, dass von der Anlage auf das Grundstück des Klägers einwirkende Immissionen im Sinne der §§ 3 Abs. 1, 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG in Form von Infraschall nicht ausgehen.
81(cc)
82α) Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, dass wesentliche Geräuschimmissionen i. S. von § 906 Abs. 1 BGB identisch mit den erheblichen Geräuschbelästigungen und damit schädlichen Umwelteinwirkungen i. S. von §§ 3 Abs. 1, 22 Abs. 1 BImSchG sind (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 29.04.1988 – 7 C 33/87, NJW 1988, 2396; Schulte/Michalk in BeckOK Umweltrecht, Stand: 01.01.2022, § 3 BImSchG Rn. 3; Thiel in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: 96. EL September 2021, § 3 BImSchG Rn. 45; Jarass, BImSchG, 13. Aufl., § 3 Rn. 24 und 54; vgl. auch Schmidt-Kötters in BeckOK Umweltrecht, Stand: 01.10.2019, § 5 BImSchG Rn. 13). Aufgrund der den Senat bindenden Feststellung des Verwaltungsgerichts Minden hinsichtlich der Voraussetzungen der §§ 3 Abs. 1 und 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG muss er seiner Entscheidung daher auch zu Grunde legen, dass es jedenfalls unter den sowohl vor dem Verwaltungsgericht Minden als auch vor dem Senat geltend gemachten Gesichtspunkten an einer wesentlichen Beeinträchtigung im Sinne von § 906 Abs. 1 BGB fehlt.
83β)
84αα) Soweit die Klägerseite diesbezüglich die Auffassung vertreten hat, dass zwischen der öffentlich-rechtlichen und der zivilrechtlichen Immissionsschutzregelung ein Unterschied dahingehend bestehe, dass ein Verstoß gegen Grenzwerte etwa der TA Lärm im Regime des BImSchG zwingend zu der Annahme einer erheblichen Belästigung führen müsse, während ein solcher Verstoß bei § 906 BGB die Wesentlichkeit nur indiziere und die Grenzwerte des öffentlichen Rechts „nicht blind angewendet“ werden dürften, sodass eine Rechtskrafterstreckung wegen des unterschiedlichen Bemessungsspielraums nicht stattfinden könne, verfängt das nicht.
85ββ) Es trifft zwar zu, dass bei § 906 BGB auf die Sichtweise eines verständigen Durchschnittsmenschen abzustellen ist und öffentlich-rechtliche Grenzwerte lediglich eine indizielle Bedeutung haben (vgl. BGH, Urteil vom 26.10.2018 – V ZR 143/17, NJW 2019, 773 Rn. 13; Urteil vom 20.11.1992 – V ZR 82/91, NJW 1993, 925; Brückner in MünchKommBGB, 8. Aufl., § 906 Rn. 21 und 73; Klimke in BeckOGK, Stand: 01.03.2022, § 906 BGB Rn. 83 ff.; Fritzsche in BeckOK BGB, Stand: 01.02.2022, § 906 Rn. 38 ff.; Roth in Staudinger, BGB (2020), § 906 Rn. 177; Thiel in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: 96. EL September 2021, § 3 BImSchG Rn. 45). Auf die Sichtweise eines verständigen Durchschnittsmenschen wird allerdings auch bei der Beurteilung der Erheblichkeit der Umwelteinwirkung im Sinne des § 3 Abs. 1 BImSchG abgestellt (vgl. BVerwG, Urteil vom 07.05.1996 – 1 C 10/95, NVwZ 1997, 276; Urteil vom 07.10.1983 – 7 C 44/81, NJW 1984, 989; Thiel in Land-mann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: 96. EL September 2021, § 3 BImSchG Rn. 48; Schulte/Michalk in BeckOK Umweltrecht, Stand: 01.01.2022, § 3 BImSchG Rn. 51; Schmidt-Kötters in BeckOK Umweltrecht, Stand: 01.10.2019, § 5 BImSchG Rn. 59). Nach Punkt 3.2.1 der TA Lärm sind deren Immissionsrichtwerte darüber hinaus auch in ihrem Regime nur für den Regelfall entscheidend; Punkt 3.2.2 lässt ausdrücklich eine ergänzende Prüfung im Sonderfall zu, wenn besondere Umstände vorliegen. Soweit der Kläger seine Klage auf Beeinträchtigungen wegen Infraschallimmissionen stützt, ist darüber hinaus zu konstatieren, dass insoweit öffentlich-rechtliche Grenzwerte überhaupt nicht normiert sind.
86(d) Eine andere Beurteilung des Umfangs der Rechtskraftwirkung ist nicht wegen des Umstands erforderlich, dass es im Rahmen von § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB der Beklagten als Anspruchsgegnerin obliegt, die Unwesentlichkeit einer Einwirkung zu beweisen (vgl. BGH, Urteil vom 29.04.2020 – VIII ZR 31/18, NJW 2020, 2884 Rn. 69; Urteil vom 20.11.1992 – V ZR 82/91, NJW 1993, 925; Klimke in BeckOGK, Stand: 01.03.2022, § 906 BGB Rn. 419; Brückner in MünchKommBGB, 8. Aufl., § 906 Rn. 219), denn damit ist jedenfalls keine solche Abweichung des Beurteilungsmaßstabs im Verhältnis zur verwaltungsgerichtlichen Kognition verbunden, dass eine Bindung der Beteiligten an das Urteil des Verwaltungsgerichts Minden in Frage zu stellen wäre.
87(aa) Dem Kläger als Anspruchsteller obliegt es im Rahmen seines Unterlassungsanspruchs die Einwirkung bzw. die Beeinträchtigung seines Grundstücks im Sinne von § 1004 Abs. 1 BGB zu beweisen. Beeinträchtigung ist dabei mehr als ein physikalisch gegebenes, aber Körper oder Sache letztlich nicht beeinflussendes Phänomen; es muss sich vielmehr um einen dem Inhalt des Eigentums widersprechenden, den Eigentümer „störenden“ oder „beeinträchtigenden“ Zustand handeln (vgl. BGH, Urteil vom 29.04.2020 – VIII ZR 31/18, NJW 2020, 2884 Rn. 69; Urteil vom 22.09.2000 – V ZR 443/99, NJW-RR 2001, 232; Herrler in Grüneberg, 81. Aufl., § 906 Rn. 4, 6; Klimke in BeckOGK, Stand: 01.02.2022, § 906 BGB Rn. 68; Spohnheimer ebenda § 1004 BGB Rn. 67 ff.; Fritzsche in BeckOK BGB, Stand: 01.02.2022, § 1004 Rn. 32 ff.; Roth in Staudinger, BGB (2020), § 906 Rn. 116; Thole ebenda § 1004 Rn. 40; Brückner in MünchKommBGB, 8. Aufl., § 906 Rn. 67; Raff ebenda § 1004 Rn. 66). Die mithin von dem Kläger zu beweisende Beeinträchtigung muss ein bemerkbares Mindestmaß an Intensität erreichen. Eine andere Sichtweise würde namentlich in Fällen wie dem vorliegenden zu offenkundig unbilligen Ergebnissen führen. Der Sachverständige F hat in seiner Anhörung nämlich überzeugend erklärt, dass davon auszugehen sei, dass die rein physikalisch betrachtete Reichweite des von der Anlage der Beklagten erzeugten Infraschalls – wie jeder (Infra-) Schall – prinzipiell unbegrenzt sei, jedenfalls weit über die Entfernung zum klägerischen Grundstück hinausreiche. Ein messtechnisch exakter Nachweis auch nur des tatsächlichen Vorhandenseins der von der Anlage der Beklagten verursachten Infraschalleinwirkungen auf das Grundstück des Klägers sei aber, wie der Sachverständige zugleich nachvollziehbar und überzeugend bekundet hat, praktisch ausgeschlossen. Wollte man vor diesem Hintergrund dem Anspruchsgegner den Beweis der Unschädlichkeit im Sinne einer Unwesentlichkeit eines jeden physikalisch existenten Phänomens auferlegen, würde das eine wirtschaftliche Nutzung von Grundstücken jedenfalls im Rahmen von § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB praktisch unmöglich machen.
88(bb) Dieser den Kläger treffenden Beweislast entspricht die ihm im Rahmen des § 42 Abs. 2 VwGO obliegende Darlegungslast. Voraussetzung der Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO ist nämlich, dass aufgrund des Vortrags des Klägers eine Verletzung seiner Rechte durch den angefochtenen Verwaltungsakt nicht offensichtlich und eindeutig nach jeder denkbaren Betrachtungsweise unmöglich erscheint (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.06.1993 – 3 C 3/89, NJW 1994, 1604; Beschluss vom 21.01.1993 – 4 B 206/92, NVwZ 1993, 884; Urteil vom 10.04.1968 – IV C 160/65, NJW 1968, 1795; Schmidt-Kötters in BeckOK VwGO, Stand: 01.10.2019, § 42 Rn. 172; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl., § 42 Rn. 112). Die Verneinung der Klagebefugnis durch das Verwaltungsgericht Minden in seinem Urteil vom 12.12.2018 jedenfalls im Hinblick auf den klägerseits im vorliegenden Verfahren allein ins Feld geführten Infraschall lässt sich dies zu Grunde gelegt nur so verstehen, dass bereits eine Einwirkung im oben dargestellten Sinne – rechtskräftig – verneint worden ist.
89(2)
90Vor diesem Hintergrund sei lediglich ergänzend ausgeführt, dass nach dem Ergebnis der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme auch tatsächlich viel dafür spricht, dass von den streitgegenständlichen Anlagen der Beklagten keine wesentliche Beeinträchtigung auf das klägerische Grundstück einwirkt, die Klage mithin auch dann keinen Erfolg haben könnte, wenn sie nicht bereits wegen der rechtskräftigen Feststellungen des Verwaltungsgerichts Minden scheitern würde.
91Der Sachverständige hat nachvollziehbar und überzeugend erläutert, dass die Hauptschallquelle bei Windenergieanlage die Blattspitzengeräusche seien, d.h. die Geräusche, die die Spitzen der Rotorblätter erzeugten; diese lägen in einem Frequenzbereich von 400-800 Hertz. Die Geräusche, die die Blätter über ihre Länge hinweg erzeugten, träten gegenüber diesem deutlich stärkeren Geräusch als untergeordnet zurück. Zusätzlich entstehe eine Frequenz im Infraschallbereich durch den Strömungsabriss, der entstehe, wenn ein Rotorblatt am Turm der Anlage vorbeiziehe; diese liege bei etwa 0,5 Hertz. Bei einer rotierenden Anlage wie einer Windenergieanlage entstünden darüber hinaus auch noch die „Harmonischen“ dieser genannten Grundschwingung von 0,5 Hertz, d.h. 1,0 Hertz, 1,5 Hertz, 2,0 Hertz etc., die auch „Flügelharmonische“ genannt würden. Bei der höchsten Leistung von Anlagen des hier betroffenen Typs (ENERCON E115) hätten Messungen ergeben, dass bei 1 Hertz ein linearer Schallleistungspegel von 125 dB vorliege, bei 400-800 Hertz liege dieser bei geschätzt 95 dB, bei 0,5 Hertz bei etwa 130 dB.
92Dieser Schall schwäche sich, so der Sachverständige weiter, mit zunehmender Entfernung ab, weshalb sich pro Verdopplung der Entfernung der Pegel um 6 dB mindere und auf den ersten 40 Metern Abstand eine geometrische Minderung des Schalldruckpegels um 40 dB stattfinde. Ausgehend von 130 dB Schalldruck bei 0,5 Hertz betrage der Schalldruckpegel in 40 Metern Abstand also noch 90 dB, bei 80 m Abstand 84 dB, bei 160 Metern 78 dB, bei 320 Metern 72 dB, bei 640 Metern 66 dB, bei 1280 Metern 60 dB und bei 2560 Metern 54 dB. Bei einer Entfernung von etwa 2 km von einer Windenergieanlage des betroffenen Typs komme nur noch ein Schalldruck von etwa 57 dB bei einer Frequenz von 0,5 Hertz an.
93Dieser Schalldruck sei mithin in einer Entfernung von etwa 2 km zu der Windenergieanlage „noch da“, könne jedoch nicht mehr gemessen werden. Dies gelte sowohl für die „Grundschwingung“ bei etwa 0,5 Hertz, als auch für deren „Harmonische“. Denn der vom Wind und windinduzierten Geräuschen hervorgerufene Schalldruck, der von einer Vielzahl sonstiger Schallquellen ausgehe, sei messtechnisch so viel größer als der von der Windenergieanlage ausgegangene und bei einer Entfernung von 2 km noch ankommende Schalldruck, dass die von der Anlage ausgehende Schallwelle untergehe. Im Hinblick auf das klägerische Grundstück sei zudem zu berücksichtigen, dass sich im direkten Umfeld des dortigen Gebäudes weitere Gebäudegruppen befänden, in Richtung der Windenergieanlagen mindestens sieben weitere Bauzeilen vorhanden seien und das Umfeld zudem Bewuchs bzw. Baumreihen aufweise. Darüber hinaus befinde sich westlich des Grundstücks in einem Abstand von ca. 2.360 Metern die Autobahn A## und ost-südöstlich des Grundstücks in einem Abstand von weniger als 1000 m eine Biogasanlage mit Blockheizkraftwerk- und Kühleranlagen, weshalb im Umfeld des klägerischen Gebäudes – neben den windinduzierten Geräuschen – vielfältige tieffrequente Fremdgeräuscheinflüsse durch technische Anlagen aufträten. Der Abstand des Grundstücks des Klägers zu den von der Beklagten betriebenen Anlagen und die Geräuscheinwirkungen aus anderen Bereichen im Umfeld seines Grundstücks seien daher viel zu groß, als dass von den Anlagen der Beklagten ausgehende akustische Auffälligkeiten im Infraschallbereich aus dem Grundgeräusch bei windiger Wetterlage heraus hör- oder fühlbar sein könnten.
94Der derart „überlagerte“ Schalldruck, der von der Windenergieanlage seinen Ursprung genommen habe, liege zudem, so der Sachverständige weiter, in einer Entfernung von etwa 2 km zu der Anlage, d.h. im Bereich des klägerischen Hauses, deutlich unterhalb der Wahrnehmungsschwelle des Menschen, d.h. unterhalb desjenigen Bereichs, in dem der Mensch Schall bewusst wahrnehmen könne. Diese Schwelle liege etwa für Infraschall einer Frequenz von 10 Hz bei 95 dB, für Infraschall einer Frequenz von 8 Hz bei 103 dB und bei einer Frequenz von 1 Hz bei mindestens 125 dB, wobei Schwankungen aufgrund individueller Sensitivität maximal um 5 dB stattfänden. Angesichts der bereits dargestellten Abschwächung des Schalls über längere Abstände müsste etwa im Frequenzbereich von 1 Hz angesichts einer Wahrnehmungsschwelle des Menschen von 125 dB in diesem Bereich bei einem Abstand von 2.320 Metern zu der Anlage eine Schallleistung der Anlage von 200 dB bestehen, um eine Wahrnehmung beim Menschen hervorzurufen. Eine derartige Größenordnung sei technisch von einer Windenergieanlage nicht erreichbar, auch nicht durch mehrere Windenergieanlagen; erreichbar sei für eine Windenergieanlage im Bereich von 1 Hz allenfalls eine Schallleistung von 119-129 dB, die sich beim Betrieb von sieben Windenergieanlagen im ungünstigsten Fall allenfalls um 8 dB erhöhen könne. Auch dieser Wert unterschreite die für eine menschliche Wahrnehmung erforderlichen Werte noch um mehrere Größenordnungen. Es sei daher, so der Sachverständige überzeugend weiter, physikalisch auszuschließen, dass durch die hier betroffenen Windenergieanlagen Schalldruckpegel in einem Abstand von 2.320 m im Infraschallbereich hervorgerufen werden könnten, die auch nur annähernd im Bereich der Wahrnehmungsschwelle des Menschen lägen. Infraschall unterhalb dieser Schwelle sei, so der Sachverständige weiter, nach der bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnis nicht in der Lage, den menschlichen Körper zu schädigen. Hinsichtlich dieser Einschätzung ist allerdings zu berücksichtigen, dass das Fachgebiet des Sachverständigen auf physikalischem und nicht auf biologisch/ medizinischem Gebiet liegt.
95Soweit die Klägerseite gemeint hat, aus den – inzwischen in Übersetzung vorgelegten und im Auftrag des Klägervertreters durchgeführten – Untersuchungen einer „G“ aus Finnland ergebe sich eine gegenteilige Schlussfolgerung, hat der Sachverständige in seiner Anhörung durch den Senat eine Aussagekraft dieser Untersuchungen überzeugend verneint.
96Der Sachverständige hat hierzu ausgeführt, er habe sich mit diesen Messungen intensiv beschäftigt. Diese litten zuvorderst an dem Makel, dass nicht mitgeteilt werde, wo die Messungen durchgeführt worden seien, in welcher Weise bzw. mit welcher Methode, in welchem Abstand zu welchen Anlagen gemessen worden sei und wie viele Anlagen untersucht worden seien. Auch enthielten die vorgelegten Unterlagen keine Informationen über die verwandten Messinstrumente. Auf eine entsprechende Nachfrage seinerseits bei der „G“ habe er keine Antwort erhalten und es sei ihm nicht bekannt, dass die „G“ die ausweislich der vorgelegten Unterlagen von ihr angeblich entwickelten Geräte zur Messung und Aufzeichnung von von Windkraftanlagen ausgehendem Infraschall tatsächlich auf den Markt gebracht hätte. Über all diese Unklarheiten hinaus wiesen die Messungen ausweislich der vorgelegten Dokumentation mehrere massive Fehler auf, die ihnen jede Aussagekraft nähmen. Diese bestünden einerseits darin, dass es an jeglicher Erläuterung der vorgelegten farbigen Darstellung der Messungen fehle, weshalb unklar bleibe, welche Farbe welchem Pegel absolut entspreche und wie groß der relative Abstand zwischen den durch verschiedene Farben dargestellten Pegel sei. Darüber hinaus sei die Darstellung des von einer Windenergieanlage ausgehenden Infraschalls unter Berücksichtigung der Flügelharmonischen der Grundfrequenz nicht – wie hier – durch Vorgabe gleichbleibend breiter Bereiche möglich, vielmehr hätten die dargestellten Linien der Flügelharmonischen gegenüber der Grundharmonischen breiter werden müssen. Insbesondere aber habe die „G“, wie die vorgelegten Erläuterungen der Messungen zeigten, bei diesen keinen „Aliasfilter“ verwendet, der verhindere, dass hohe Frequenzanteile als niedrigere Frequenzen gespiegelt und interpretiert würden. Dies stelle einen eklatanten Fehler dar, der die Ergebnisse verfälsche.
97Dass auf das klägerische Grundstück ein von den Anlagen der Beklagten ausgehender Infraschall einwirken würde, der aus dem „Hintergrundrauschen“ anderer Infraschallquellen herausragte und oberhalb der Wahrnehmungsschwelle des Menschen läge, hat die Beweisaufnahme mithin nicht ergeben. Ob der Senat dennoch gehalten gewesen wäre, ein biologisch-medizinisches Gutachten zu der Frage einzuholen, ob Infraschall unter der Wahrnehmungsschwelle in der hier beim Haus des Klägers in Betracht kommenden, von der Windenergieanlage der Beklagten stammenden Ausprägung geeignet ist, die menschliche Gesundheit zu schädigen, erscheint zweifelhaft, braucht aber wegen der rechtskräftigen verwaltungsgerichtlichen Entscheidung nicht entschieden zu werden.
98bb) Aus den ausgeführten Gründen scheitert auch ein Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG.
99b) Die mit dem Klageantrag zu 2) begehrte Feststellung einer weitergehenden Schadensersatzverpflichtung der Beklagten scheidet ebenfalls aus.
100c) Nämliches gilt für das mit dem Klageantrag zu 3) hilfsweise geltend gemachte Begehren zur Verurteilung der Beklagten zur Vornahme bestimmter Maßnahmen zur Verhinderung resp. Minderung der behaupteten Beeinträchtigungen. Es kann dabei dahinstehen, ob die verlangten Maßnahmen sich in dem von § 14 Satz 1 Hs. 2 BImSchG zugelassenen Rahmen halten; jedenfalls fehlt es - wie rechtskräftig entschieden ist - an einer wesentlichen Beeinträchtigung des klägerischen Grundstücks, die Voraussetzung des Beseitigungs-/Unterlassungsanspruchs aus § 1004 Abs. 1 BGB ist.
1012) Die Entscheidung hinsichtlich der Kosten und der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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