Beschluss vom Hanseatisches Oberlandesgericht (2. Strafsenat) - 2 Rev 62/15

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Kleine Strafkammer 8, vom 17. März 2015 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Kleine Strafkammer des Landgerichts Hamburg zurückverwiesen.

Gründe

I.

1

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Hamburg vom 5. März 2014 hat das Amtsgericht Hamburg-Harburg am 12. März 2014 Strafbefehl gegen den Angeklagten erlassen, mit welchem gegen ihn wegen am 3. November 2013 um 22.22 Uhr durch Befahren der B… Straße in Hamburg unter Alkoholeinfluss mit dem Kraftfahrzeug … (Mofa) verwirklichter Trunkenheit im Verkehr eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu jeweils 15 Euro, insgesamt 450 Euro, festgesetzt worden ist. Nach am 20. März 2014 auf Grund richterlicher Anordnung bewirkter Zustellung des Strafbefehls an den Verteidiger des Angeklagten hat der Angeklagte am 21. März 2014 Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt.

2

In der darauf durchgeführten Hauptverhandlung hat am 21. Juli 2014 das Amtsgericht Hamburg-Harburg den Angeklagten wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr zu einer Freiheitsstrafe von 5 Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil hat am 22. Juli 2014 der Angeklagte durch Verteidigerschriftsatz ein unbenanntes „Rechtsmittel“ und die Staatsanwaltschaft am 24. Juli 2014 Berufung eingelegt, wobei die Staatsanwaltschaft zugleich mit der Rechtsmitteleinlegung erklärt hat, ihre Berufung „auf das Strafmaß“ zu beschränken. Nach am 22. August 2014 auf Grund richterlicher Anordnung erfolgter Zustellung des schriftlichen Urteils an die Staatsanwaltschaft hat diese mit am 26. August 2014 eingegangener Berufungsrechtfertigung ihre Rechtsmittelbeschränkung „auf das Strafmaß“ bestätigt und ihre Berufung mit dem Unterbleiben der Verhängung eines Fahrverbots und einer Fahrerlaubnissperre begründet. Von Seiten des Angeklagten sind innerhalb der einmonatigen Rechtsmittelwahlfrist entsprechend § 345 Abs. 1 StPO nach am 22. August 2014 auf Grund richterlicher Anordnung erfolgter Urteilszustellung an den zwischenzeitlich gerichtlich bestellten Verteidiger Erklärungen zu seinem unbestimmt eingelegten Rechtsmittel nicht abgegeben worden. Mit am 20. November 2014 eingegangenem Schriftsatz hat der Verteidiger erklärt, dass „die Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt“ werde, ohne sich insoweit auf eine ausdrückliche Ermächtigung durch den Angeklagten zu beziehen.

3

Das Landgericht Hamburg, das ausweislich der Urteilsgründe von beiderseits wirksam „auf das Strafmaß“ beschränkten Berufungen ausgegangen ist, hat in der Hauptverhandlung vom 17. März 2015 auf die Berufung der Staatsanwaltschaft das Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Harburg vom 21. Juli 2014 im Rechtsfolgenausspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt wird und vor Ablauf einer Frist von noch einem Jahr die Verwaltungsbehörde dem Angeklagten keine neue Fahrerlaubnis erteilen darf. Zugleich hat es die weitergehende Berufung der Staatsanwaltschaft und die Berufung des Angeklagten verworfen.

4

Gegen das landgerichtliche Urteil vom 17. März 2015 hat der Angeklagte mit am 18. März 2015 eingegangenem Verteidigerschriftsatz Revision eingelegt, mit welcher er zugleich erklärt hat, dass die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird. Nach am 5. Mai 2015 auf Grund richterlicher Anordnung nach Fertigstellung des landgerichtlichen Hauptverhandlungsprotokolls erfolgter Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe an den Verteidiger ist die Revision des Angeklagten mit am 7. Mai 2015 eingegangenem Verteidigerschriftsatz weiter „neben der allgemeinen Sachrüge“ damit begründet worden, das Urteil weise einen sachlich-rechtlichen Mangel auf, soweit die Strafkammer sich nicht mit den Voraussetzungen einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB auseinandergesetzt habe, da nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils ein Hang des Angeklagten, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, nahe liege.

5

Die Generalstaatsanwaltschaft hat vermerkt, der Verteidiger habe auf telefonische Nachfrage erklärt, dass zum Zeitpunkt der von ihm erklärten Berufungsbeschränkung eine Ermächtigung des Angeklagten nach § 302 Abs. 2 StPO vorgelegen habe, und in der Sache darauf angetragen, auf die Revision des Angeklagten das landgerichtliche Urteil mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kleine Strafkammer des Landgerichts Hamburg zurückzuverweisen.

II.

6

Die Revision des Angeklagten ist zulässig (§§ 333, 341, 344, 345 StPO) und hat in der Sache - vorläufigen - Erfolg. Das im Ergebnis zutreffend auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Urteil des Landgerichts hält der durch die allgemeine Sachrüge veranlassten revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.

7

1. Zu Recht hat das Landgericht keinen Schuldspruch und keine zugehörigen Feststellungen getroffen. Die Berufungsbeschränkungen von Staatsanwaltschaft und Angeklagtem sind formell und materiell wirksam (§§ 302 Abs. 2, 318 StPO), wobei auch die Berufungsbeschränkung der Staatsanwaltschaft als auf den Rechtsfolgenausspruch insgesamt und nicht lediglich auf „das Strafmaß“ im engeren Sinne bezogen zu werten ist.

8

a) In formeller Hinsicht liegen sowohl von Seiten des Angeklagten als auch von Seiten der Staatsanwaltschaft Erklärungen vor, aus denen sich der Beschränkungswille eindeutig ergibt.

9

Die Beschränkungserklärung der Staatsanwaltschaft „auf das Strafmaß“ ist dabei, auch unter Berücksichtigung der Berufungsrechtfertigung, mit welcher das Unterlassen der Anordnung einer Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis beanstandet worden ist, dahin gehend auszulegen, dass mit der Berufung der Staatsanwaltschaft, ebenso wie mit derjenigen des Angeklagten, der Rechtsfolgenausspruch insgesamt angefochten werden sollte.

10

Die mit Verteidigerschriftsatz erklärte Berufungsbeschränkung des Angeklagten ist erst nach Ablauf der am 22. August 2014 durch wirksame Urteilszustellung in Gang gesetzten einmonatigen Rechtsmittelwahlfrist entsprechend § 345 Abs. 1 StPO am 20. November 2014 beim Amtsgericht eingegangenem, so dass zu ihrer Wirksamkeit gemäß § 302 Abs. 2 StPO eine ausdrückliche Ermächtigung des Verteidigers durch den Angeklagten zu der in der Beschränkung liegenden Teilrücknahme des zunächst unbeschränkt eingelegten Rechtsmittels erforderlich war (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt § 302 Rn. 29 m.w.N.). Dass eine solche Ermächtigung bereits im insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der Abgabe der Beschränkungserklärung vorgelegen hat, ergibt sich hier hinreichend aus der in dem Vermerk der Generalstaatsanwaltschaft vom 7. Juli 2015 wiedergegebenen nachträglichen telefonischen Versicherung des Verteidigers, die hier genügt, da die Ermächtigung zwar im Zeitpunkt der Beschränkungserklärung vorliegen muss (Meyer-Goßner, a.a.O.), der Nachweis eine Ermächtigung jedoch später, selbst im Revisionsverfahren, noch geführt werden kann (Meyer-Goßner, a.a.O., Rn. 33 m.w.N.).

11

b) Die Berufungsbeschränkungen von Staatsanwaltschaft und Angeklagtem auf den Rechtsfolgenausspruch sind auch materiell wirksam.

12

aa) Sachlich-rechtlich sind Berufungsbeschränkungen nach der so genannten Trennbarkeitsformel insoweit wirksam, als sie einem Rechtsmittelgericht die Möglichkeit eröffnen, den angefochtenen Teil des Urteils losgelöst vom nicht angegriffenen Teil der Entscheidung nach dem inneren Zusammenhang rechtlich und gegebenenfalls tatsächlich zu beurteilen, ohne eine Prüfung des übrigen Urteilsinhalts notwendig zu machen. Unwirksam ist eine Beschränkung danach nur, wenn eine Beurteilung der angegriffenen Punkte nicht möglich ist, ohne dass dadurch die nicht angefochtenen Teile beeinflusst werden, weil sonst widersprüchliche Entscheidungen getroffen werden könnten (vgl. zum Ganzen Senat in NStZ-RR 2006, 18, 19 m.w.N.).

13

Nach diesen Grundsätzen steht der materiellen Wirksamkeit von Berufungsbeschränkungen auf den Rechtsfolgenausspruch nicht entgegen, wenn der Schuldspruch fehlerhaft ist, insbesondere die festgestellten Tatsachen nicht die rechtliche Würdigung zu tragen vermögen (Senat, a.a.O.; OLG Koblenz in NStZ-RR 2008, 120; Meyer Goßner, a.a.O., § 318 Rn. 17 m.w.N.; vgl. BGH in NStZ 1996, 352, 353 betr. entsprechende Revisionsbeschränkungen). Zur Unwirksamkeit der Beschränkung führt es jedoch, wenn auf der Grundlage der Feststellungen überhaupt keine wie auch immer geartete Strafbarkeit bestünde (BGH, a.a.O.; OLG Koblenz, a.a.O.; Meyer-Goßner, a.a.O.). An einer solchen Strafbarkeit fehlt es auch, wenn Schuldunfähigkeit gegeben ist.

14

Die Entscheidung, ob ein Angeklagter schuldunfähig (§ 20 StGB; Schuldspruchrelevanz) oder nur erheblich vermindert schuldfähig (§ 21 StGB; Relevanz nur für den Rechtsfolgenausspruch) ist, ist grundsätzlich zwar trennbar, jedoch kann im Einzelfall die Grenze undeutlich bzw. zweifelhaft sein. Das hat aus Gründen materieller Gerechtigkeit (Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips, Art. 20 Abs. 3 GG) zur Folge, dass eine Rechtsmittelbeschränkung etwa dann unwirksam ist, wenn ein Tatgericht eine angenommene erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit nicht rechtsfehlerfrei begründet hat und Schuldunfähigkeit nicht auszuschließen ist (BGHSt 46, 257, 259; Senatsbeschluss vom 24. April 2008, Az. 2-28/08 [REV]; OLG Köln in NStZ 1984, 379; Meyer-Goßner, a.a.O.).

15

Da die Frage einer nach § 21 StGB verminderten Schuldfähigkeit - anders als deren Ausschluss nach § 20 StGB - kein Teil der Schuldfrage, sondern Rechtsfolgenfrage ist (vgl. BGHSt 16, 71, 72; Lackner/Kühl § 21 Rn. 1), ist sie auch bei wirksamer Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch durch das Berufungsgericht an Hand eigener Feststellungen und auf Grund eigener Würdigung zu beantworten (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., Rn. 15). Hat bereits das erstinstanzliche Gericht die Voraussetzungen nicht allein des § 21 StGB, sondern auch des § 20 StGB geprüft und dabei Feststellungen zur Blutalkoholkonzentration getroffen, besteht keine Bindung des Berufungsgerichtes an diese Feststellungen wegen Doppelrelevanz für Schuld- und Rechtsfolgenausspruch (BGH in NStZ-RR 1997, 237). Das gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - das erstinstanzliche Gericht einen Ausschluss der Schuldfähigkeit gemäß § 20 StGB verneint hat (siehe BGH, Beschluss vom 26. November 1997, Az. 2 StR 551/97).

16

Ergibt die Prüfung der Voraussetzungen des § 21 StGB durch das Berufungsgericht hingegen, dass entgegen dem erstinstanzlichen Urteil die Voraussetzungen sogar des § 20 StGB erfüllt sind, ist die Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch unwirksam (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 7. März 1985, Az. 1 Ss 112/84; OLG Düsseldorf in NStZ 1984, 90; OLG Köln in NStZ 1984, 379) und von dem Berufungsgericht - auch im Rahmen einer nach vorangegangener Urteilsaufhebung erneut durchzuführenden Berufungshauptverhandlung - in Durchbrechung der bisher angenommenen Teilrechtskraft als unbeachtlich zu behandeln (vgl. OLG Zweibrücken, a.a.O.).

17

bb) Nach den ausgeführten Maßstäben ist hier von auch in sachlich-rechtlicher Hinsicht wirksamen Beschränkungen der Berufungen von Staatsanwaltschaft und Angeklagtem auszugehen.

18

Bei einer Blutalkoholkonzentration des Angeklagten von zur Tatzeit nach den amtsgerichtlichen Feststellungen mindestens 2,65 Promille bis höchstens 3,4 Promille und nach den landgerichtlichen Urteilsgründen mindestens 2,6 Promille bis höchstens 3,4 Promille liegt zwar ein Fall einer nach vorstehenden Maßstäben problematischen Grenzziehung zwischen der dem Schuldspruch zugehörigen Beurteilung, ob Schuldunfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit gegeben war, und der zur Rechtsfolgenseite gehörenden Frage des Vorliegens einer alkoholbedingten erheblichen Einschränkung der Schuldfähigkeit vor. Allerdings sind hier beide Gerichte unabhängig voneinander bei nur geringer Abweichung von 0,05 Promille hinsichtlich des festgestellten Mindestblutalkoholgehalts zur Frage einer Schuldunfähigkeit des Angeklagten trotz der hohen Blutalkoholkonzentration unter Berücksichtigung so genannter psycho-sozialer Leistungsmerkmale, das Landgericht zudem in der Hauptverhandlung sachverständig beraten und unter zusätzlicher Berücksichtigung einer sehr guten Alkoholtoleranz des Angeklagten, zu dem übereinstimmenden Ergebnis gelangt, dass ein vollständiger Ausschluss der Schuldfähigkeit nicht vorlag.

19

Angesichts dieser übereinstimmenden Bewertung der Verneinung einer Schuldunfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit bereits durch das Amtsgericht und auf Grund eigener Prüfung nachfolgend auch durch das Landgericht bestand für das Landgericht nach den ausgeführten Maßstäben kein Anlass, als Berufungsgericht die erklärten Berufungsbeschränkungen auf den Rechtsfolgenausspruch als unwirksam und deshalb unbeachtlich zu behandeln.

20

2. Das danach zutreffend auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Urteil des Landgerichts Hamburg vom 17. März 2015 hält der durch die allgemeine Sachrüge veranlassten revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand, weil sich die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine Strafrahmenherabsetzung nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB auf Grund als nicht ausschließbar angenommener alkoholbedingter erheblicher Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten nach § 21 StGB verneint hat, als rechtsfehlerhaft erweisen.

21

a) Liegen - wie hier auf Grund vom Landgericht angenommener Nichtausschließbarkeit - die Voraussetzungen des vertypten Milderungsgrundes gemäß § 21 StGB vor, so ist eine Strafrahmenermäßigung nach § 49 Abs. 1 StGB, wie sich bereits aus dem Gesetzeswortlaut ergibt, nicht zwingend. Allerdings setzt eine Versagung der Strafrahmenermäßigung nach zutreffender höchstrichterlicher Rechtsprechung eine Gesamtwürdigung aller schuldrelevanten Umstände voraus (vgl. Fischer § 21 Rn. 20 m.w.N.), nach deren Ergebnis eine Milderung vorzunehmen ist, wenn nicht in der Gesamtabwägung eine Kompensation durch schulderhöhende Umstände erfolgt (vgl. BGHR StGB § 21 - Strafrahmenverschiebung 9). Insbesondere bei erheblicher Verminderung der Steuerungsfähigkeit in Folge Alkoholkonsums können eine Versagung einer Strafrahmenherabsetzung begründende schulderhöhende Umstände vorliegen, wenn ein Angeklagter etwa auf Grund früherer Erfahrungen die (neuerliche) Tatbegehung vorhergesehen hat oder sie ihm vorhersehbar war und deshalb eine ihm vorwerfbare selbst zu verantwortende Trunkenheit vorliegt (Fischer, a.a.O., Rn. 25 ff. m.w.N.). Allerdings muss die selbst zu verantwortende Trunkenheit dem Täter uneingeschränkt vorwerfbar sein und ist ein die Steuerungsfähigkeit erheblich vermindernder Alkoholkonsum nicht in dem ausgeführten Sinne verschuldet, wenn bei dem Täter eine Sucht bzw. ein Hang vorliegt ist (vgl. Fischer, a.a.O., Rn. 26 m.w.N.).

22

Dass ein Angeklagter eine (neuerliche) Tatbegehung vorhergesehen hat oder sie für ihn vorhersehbar war, setzt diesbezügliche Feststellungen mit zugehöriger Beweiswürdigung voraus. Zudem sind im Hinblick auf die anzustellende Gesamtwürdigung aller schuldrelevanten Umstände Feststellungen zu den Umständen des Betrinkens eines Angeklagten vor der verfahrensgegenständlichen Tat und in Fällen der Trunkenheit im Straßenverkehr Feststellungen dazu, unter welchen Umständen die verfahrensgegenständliche Fahrt angetreten worden ist, zu treffen (vgl. Senat, Beschluss vom 23. Februar 2012, Az. 2 - 43/11 [REV]). Die maßgeblichen Umstände sind sodann in den Urteilsgründen zur Strafrahmenwahl zu erörtern (vgl. Fischer § 21 Rn. 27 m.w.N.); eine Erörterung allein erst bei der Ausfüllung des Strafrahmens reicht regelmäßig nicht (vgl. Senatsbeschluss vom 23. September 2003, Az. II - 90/03).

23

b) Den vorgenannten Anforderungen genügt das angefochtene landgerichtliche Urteil nicht.

24

aa) Es fehlt bereits an einer ausreichenden Gesamtwürdigung im Rahmen der Begründung einer Versagung der Strafrahmenherabsetzung nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB. Insoweit enthält das landgerichtliche Urteil innerhalb der Ausführungen zur Strafrahmenwahl zwar den Begriff der Gesamtwürdigung, jedoch zum einen lediglich floskelhaft, ohne sodann im Zusammenhang mit der Erörterung der Strafrahmenwahl die schuldrelevanten Umstände im Sinne einer Gesamtwürdigung anzuführen und abzuwägen, sowie zum anderen nicht ausschließbar mit Bezug allein auf angenommenes häufiges entsprechendes Vorverhalten des Angeklagten; insoweit begründet allein der Abschluss des umfassenden ersten Satzes unter Ziffer IV. der Urteilsgründe mit einem Doppelpunkt keine hinreichende Einbeziehung der daran anschließend mit Bezug auf die schließlich erkannte Freiheitsstrafe von 6 Monaten ausgeführten strafmildernden und strafschärfenden Gesichtspunkte in die Erörterung der Strafrahmenwahl. Dass sämtliche schuldrelevante Umstände bereits innerhalb der Strafrahmenwahlentscheidung berücksichtigt worden wären, ist danach den landgerichtlichen Urteilsgründen nicht hinreichend zu entnehmen.

25

bb) Des Weiteren fehlt es für die den allein revidierenden Angeklagten beschwerende Versagung einer Strafrahmenherabsetzung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB an hinreichenden Feststellungen dazu, ob der der landgerichtlichen Entscheidung zu Grunde liegenden Annahme selbstverschuldeter erheblicher Verminderung der Schuldfähigkeit eine Alkoholabhängigkeit des Angeklagten entgegensteht. Das landgerichtliche Urteil enthält insoweit allerdings einige Hinweise auf eine mögliche Alkoholabhängigkeit des Angeklagten, indem zunächst in den zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten getroffenen Feststellungen mehrfache Vorverurteilungen wegen Trunkenheit im Verkehr angeführt und sodann im Rahmen der Beweiswürdigung zur alkoholbedingten erheblichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten Erklärungen des dazu gehörten Sachverständigen wiedergegeben worden sind, wonach der Angeklagte „über eine sehr gute Alkoholtoleranz“ verfügt habe, so dass er „gegenüber der erfahrenen Blutentnahmeärztin eine derart brillante Kompensationsfähigkeit bewiesen“ habe, „dass diese ihn trotz des hohen Entnahmewerts auf 'leicht betrunken‘ eingeschätzt habe“. Danach hätte Anlass bestanden, im Zusammenhang der Entscheidung, dem Angeklagten eine Strafrahmenherabsetzung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB zu versagen, eine möglicherweise entgegenstehende Alkoholabhängigkeit des Angeklagten zu erörtern, woran es vorliegend fehlt.

26

Schließlich fehlt es an hinreichenden tatsächlichen Feststellungen zu dem der Versagung einer Strafrahmenherabsetzung zu Grunde liegenden Schluss des Landgerichts, dass der Angeklagte zur Überzeugung der Kammer „sehr wohl wusste, dass er unter dem Einfluss erheblicher Mengen Alkohols zu entsprechenden Straftaten neigt“. Allein aus den festgestellten Vorstrafen, wonach der Angeklagte im November 1995, im Januar 2008 und im Mai 2008 sowie erneut im März 2011 jeweils unter anderen wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr verurteilt worden ist, ergibt sich dieses nicht. Das gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass hinsichtlich der letztgenannten Vorbestrafung durch das Amtsgericht Lüneburg vom 16. März 2011 aus den dortigen Urteilsfeststellungen in den zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten getroffenen Feststellungen des angefochtenen Urteils wiedergegeben worden ist, dass der Angeklagte nach dem Urteil des Amtsgerichts Lüneburg „hätte erkennen können und müssen“, dass er „in Folge Alkoholgenusses mit einem Blutalkoholgehalt von mindestens 2,12 g %o nicht mehr fahrtüchtig war“. Allein aus den bei der verfahrensgegenständlichen Tatbegehung am 3. November 2013 mehrere Monate bzw. teilweise viele Jahre zurückliegenden einschlägigen Vorverurteilungen und der Annahme selbstverschuldeter alkoholbedingter erheblicher Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten durch ein Amtsgericht im Rahmen einer mehrere Monate zurückliegenden Entscheidung ergibt sich ein eigenes Verschulden des Angeklagten auch hinsichtlich der nicht ausschließbaren erheblichen Verminderung seiner Schuldunfähigkeit bei Begehung der verfahrensgegenständlichen Tat am 3. November 2013 nicht. Umstände, aus denen sich eine solche Annahme für die Tat vom 3. November 2013 ergeben könnte, sind vorliegend nicht festgestellt. Insbesondere fehlt es zu näheren Feststellungen dazu, unter welchen Umständen der Angeklagte hier die verfahrensgegenständliche Fahrt angetreten hat. Allein die Wiedergabe einer Mitteilung des Angeklagten, „er sei zuvor bei seiner Schwester im Bereich M… gewesen. Dort habe es ein ‚Sit-in‘ gegeben, bei welchem er viel getrunken habe. Er sei dann, ohne viel nachzudenken, einfach losgefahren“, in den Urteilsgründen des angefochtenen Urteils genügt dafür nicht.

27

c) Nachdem das Landgericht die Versagung einer Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB rechtsfehlerhaft begründet und auf dieser fehlerhaften Grundlage den Strafrahmen des § 316 Abs. 1 StGB, der Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe vorsieht, ohne Strafrahmenherabsetzung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB, die zu einer Verminderung des Strafrahmens auf Freiheitstrafe bis zu neun Monaten oder Geldstrafe geführt hätte, angewandt sowie im Ergebnis mit Freiheitstrafe von 6 Monaten auf eine im oberen Bereich eines - hypothetisch - gemilderten Strafrahmens liegende Strafe erkannt hat, kann ein Beruhen der Strafhöhe auf dem dargelegten Rechtsfehler im Sinne des § 337 Abs. 1 StPO nicht ausgeschlossen werden.

28

Das gilt umso mehr, als zu der rechtsfehlerhaften Begründung der Versagung einer Strafrahmenherabsetzung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB hier noch hinzu tritt, dass das Landgericht trotz der Versagung einer Berücksichtigung der nicht ausschließbaren erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten in Gestalt einer Strafrahmenherabsetzung den vertypten Strafmilderungsgrund nach § 21 StGB im Rahmen der Strafzumessungserwägungen nicht berücksichtigt und damit einen wesentlichen mildernden Zumessungsgrund außer Acht gelassen hat.

29

Im Ergebnis hebt deshalb der Senat das nach wirksamen Berufungsbeschränkungen auf den Rechtsfolgenausspruch allein noch diesen betreffende landgerichtliche Urteil mit den Feststellungen auf (§ 353 Abs. 1, Abs. 2 StPO) und verweist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Kleine Strafkammer des Landgerichts zurück (§ 354 Abs. 2 StPO).

III.

30

Das aufgehobene Urteil veranlasst zu folgenden ergänzenden Hinweisen an das neue Tatgericht:

31

1. Im Rahmen der Bewährungsentscheidung wäre nach den Gründen des aufgehobenen landgerichtlichen Urteils zusätzlich zu Gunsten des Angeklagten dessen Angabe zu berücksichtigen gewesen, dass er „aus eigener Kraft keinen Alkohol mehr“ trinke.

32

2. Ähnliches gilt für die Entscheidung über die Anordnung einer Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis nach § 69a StGB. Insoweit fehlt es in dem aufgehobenen Urteil insbesondere an dem erforderlichen Abgleich, ob auf Grund der festgestellten Umstände wie insbesondere dem längeren Zurückliegen der Tat vom 3. November 2013 und der Bekundung des Angeklagten, keinen Alkohol mehr zu trinken, die Indizwirkung der Trunkenheitsfahrt des Angeklagten für die Annahme eines Regelfalles nach § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB als widerlegt anzunehmen wäre (vgl. Fischer, a.a.O., § 69 Rn. 35 m.w.N.).

33

3. Schließlich ist in der erneut durchzuführenden Hauptverhandlung, sofern nicht eine bereits länger andauernde Alkoholabstinenz des Angeklagten festgestellt wird, zu prüfen, ob die Anordnung einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB in Betracht kommt.

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