Urteil vom Oberlandesgericht Köln - 5 U 152/13
Tenor
Die Berufung der Kläger gegen das am 8. November 2013 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Bonn – 9 O 233/12 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin zu 1) zu 68 % und der Kläger zu 2) zu 32 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Klägern wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.
Die Revision wird zugelassen.
1
G r ü n d e
2I.
3Der am 00.00.1951 geborene Ehemann der Klägerin zu 1) und Vater des Klägers zu 2) (im Folgenden auch: Patient) befand sich seit dem Jahr 1993 bei dem Beklagten, einem Arzt für Innere Medizin, in hausärztlicher Behandlung. Die Behandlung des stark übergewichtigen Patienten erfolgte insbesondere wegen Bluthochdrucks, Diabetes und einer Störung des Fettstoffwechsels. Am 25.7.2001 führte der Beklagte ein EKG durch und beurteilte es als unauffällig.
4Am 30.7.2007 stellte sich der Patient wegen einer zunehmenden Schwellung der Unterschenkel beim Beklagten vor. Der Beklagte stellte eine ausgeprägte Varicosis beider Beine fest und vereinbarte mit dem Patienten einen Gesundheits-Check-up. Am 3.8.2007 erfolgten unter anderem eine Blutentnahme und die Anfertigung eines EKG. Am 9.8.2007 besprach der Beklagte die Ergebnisse mit dem Patienten. In der von ihm elektronisch geführten Karteikarte vermerkte er: „Erörterung: (…) bis auf EKG-Veränderungen i.S. V.a. KHK keine Befundänderung (…). Ergometrie, LZ-EKG u. ggf. Coro erforderlich.“ Am 14.8.2007 führte der Beklagte ein Echokardiografie und ein Belastungs-EKG durch. In dem vom Beklagten vorgelegten Ausdruck der Karteikarte heißt es: „Beratung: Bei Ergobefund, LZ-EKG bei V.a. intermitt. AA empfohlen. Ggf. Vorstellung in T zum Cardio MRT/Coro wobei Pat. diesbezüglich jedoch vorerst abwarten möchte.“
5Am 19.11.2007 stellte sich der Patient mit Beschwerden an den Hand- und Fußgelenken beim Beklagten vor. Am 22.11.2007 suchte er ihn wegen eines Hautabszesses auf.
6Am 15.4.2008 klagte der Patient gegenüber dem Beklagten über eine Belastungsdyspnoe und Druck im Oberbauch. Am 16.4.2008 führte der Beklagte ein EKG und am 22.4.2008 ein Belastungs-EKG durch. Nach seiner Auswertung lag ein permanentes Vorhofflimmern vor. Die Entscheidung, ob die in den nächsten Tagen geplante Operation der Krampfadern in der Klinik für Gefäßchirurgie im Kreis B möglich war, sollte nach der Dokumentation des Beklagten durch den zuständigen Anästhesisten getroffen werden.
7Nach einer Vorstellung des Klägers am 27.4.2008 und der Vorlage der EKG-Befunde stimmte der Anästhesist dem Eingriff nicht zu, worüber der Patient den Beklagten am 28.4.2008 informierte. Am 30.4.2008 stellte sich der Patient in der kardiologischen Ambulanz des I Klinikum T vor, wo der untersuchende Arzt nach einer Echokardiografie zur invasiv diagnostischen Abklärung riet.
8Während des stationären Aufenthalts des Patienten im I Klinikum T vom 6.5.2008 bis 26.5.2008 wurde unter anderem eine Herzkatheteruntersuchung durchgeführt, die den Befund einer operationspflichtigen koronaren Dreigefäßerkrankung mit hochgradigen Stenosen ergab. Ferner lagen eine ischämische Kardiomyopathie mit hochgradig reduzierter linksventrikulärer Funktion und ein persistierendes Vorhofflimmern vor.
9Am 26.5.2008 wurde der Patient in das Herz- und Diabeteszentrum C verlegt, wo am 28.5.2008 ein Linksherzunterstützungssystem implantiert wurde. Am 5.6.2008 trat eine Hemiparese rechts auf. In der Computertomografie vom 8.6.2008 zeigten sich im Gehirn ein Mediateilinfarkt und ein Posterioinfarkt. Die Computertomografie vom 10.6.2008 ergab einen weiteren ischämischen Insult. Der Patient verstarb am 14.6.2008. In den Kliniken C2-Mitte fand eine Obduktion statt.
10Die Klägerin zu 1), die Alleinerbin des Patienten ist, hat den Beklagten auf ein ererbtes Schmerzensgeld, das sie mit 44.000 € beziffert hat, und Erstattung von Beerdigungskosten in Höhe von 9.055 € in Anspruch genommen. Der Kläger zu 2) hat den Ersatz entgangenen Barunterhalts von 24.809,80 € verlangt. Ferner haben die Kläger die Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten von 1.499,40 € begehrt. Sie haben dem Beklagten vorgeworfen, dass er seit dem Jahr 2001 keine EKG-Kontrollen vorgenommen habe, obwohl diese angesichts der kardialen Risikofaktoren geboten gewesen seien. Seit dem Jahr 2006 habe der Patient über zunehmende Schmerzen im Thoraxbereich geklagt. Im August 2007 habe erkennbar eine schwere Herzerkrankung vorgelegen. Der Beklagte habe weitere diagnostische Maßnahmen ergreifen und den Patienten an einen Kardiologen überweisen müssen. Stattdessen habe er ihm erklärt, dass alles in Ordnung sei. Auch im April 2008 habe der Beklagte aus den EKG-Befunden keine Konsequenzen gezogen.
11Die Kläger haben beantragt,
12den Beklagten zu verurteilen,
131. an die Klägerin zu 1) 44.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. Juni 2008 zu zahlen,
142. an die Klägerin zu 1) weitere 9.055,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. Juni 2008 zu zahlen,
153. an den Kläger zu 2) 24.809,80 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
164. den Klägern als Gesamtgläubigern vorprozessual entstandene Kosten in Höhe von 1.499,40 € zu erstatten.
17Der Beklagte hat beantragt,
18die Klage abzuweisen.
19Er ist dem Vorwurf eines Behandlungsfehlers entgegen getreten. Er habe dem Patienten am 14.8.2007 angesichts der kardiologischen Situation mit fraglicher absoluter Arrhythmie und ungeklärten Erregungsrückbildungsstörungen ein Langzeit-EKG und eine Vorstellung beim Kardiologen zwecks Durchführung einer MRT-Untersuchung oder einer Koronarangiografie empfohlen. Letzteres habe der Patient abgelehnt. Den für den 16.8.2007 vereinbarten Termin für ein Langzeit-EKG habe er aus beruflichen Gründen abgesagt.
20Das Landgericht hat ein kardiologisches Gutachten von Prof. Dr. C3 eingeholt (Bl. 207 ff. d.A.) und den Sachverständigen angehört (Bl. 281 ff. d.A.).
21Daraufhin hat es die Klage abgewiesen. In der Zeit vor August 2007 sei keine unzureichende Befunderhebung festzustellen. Die unzureichende therapeutische Aufklärung über die ab August 2007 bestehende dringende Notwendigkeit weiterer diagnostischer Maßnahmen und die daraus resultierende Verzögerung von etwa acht Monaten seien weder für den Tod des Patienten noch für eine zu entschädigende Gesundheitsbeeinträchtigung ursächlich. Dies gelte selbst bei Annahme einer Beweislastumkehr. Angesichts der im April 2008 festgestellten Schwere der Erkrankung liege es gänzlich fern, dass acht Monate zuvor ein deutlich günstigerer und die Implantation eines unterstützenden Kunstherzens nicht erfordernder koronarer Zustand bestanden habe. Ebenso fern liegend sei es, dass das der Verwendung eines Kunstherzens immanente Risiko von Hirninfarkten infolge Thrombenbildung geringer gewesen wäre.
22Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrer Berufung, mit der sie ihre erstinstanzlichen Anträge weiter verfolgen. In Bezug auf das Verhalten des Beklagten im August 2007 sei entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht der Bereich der fehlerhaften therapeutischen Aufklärung betroffen, sondern es handele sich um einen Verstoß gegen Befunderhebungspflichten. Soweit der Sachverständige und das Landgericht einen Kausalzusammenhang zwischen der Verzögerung von Diagnostik und Therapie und dem Tod des Patienten für äußerst unwahrscheinlich gehalten hätten und davon ausgegangen seien, dass der Einsatz einer Linksherzunterstützung auch schon im Spätsommer 2007 erforderlich gewesen sei, hätten sie nicht berücksichtigt, dass im Frühjahr 2008 eine deutliche Verschlechterung des klinischen Zustands vorgelegen habe, insbesondere eine zunehmende Belastungsdyspnoe. Ferner habe klinisch der Verdacht auf abgelaufene Herzinfarkte bestanden, der sich bei der Obduktion bestätigt habe. Zu der Frage, ob es behandlungsfehlerhaft gewesen sei, dass der Beklagte seit 2001 kein EKG mehr durchgeführt habe, hätten weder der Sachverständige noch das Landgericht Feststellungen getroffen. Ein Behandlungsfehler dränge sich insbesondere dann auf, wenn die bei der Obduktion festgestellten Herzinfarkte in dem Zeitraum ab 2001 eingetreten seien.
23Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
24II.
25Die Berufung ist unbegründet.
26Die Kläger können von den Beklagten gemäß §§ 280 Abs. 1, 823 Abs. 1, 253 Abs. 2, 1922 Abs. 1, 844 Abs. 1 und 2 BGB weder Schmerzensgeld aus ererbtem Recht noch den Ersatz von Beerdigungskosten oder eines Unterhaltsschadens verlangen. Ein für den Tod des Patienten ursächlicher Behandlungsfehler lässt sich nicht feststellen.
271. Die Kläger rügen allerdings zu Recht, dass sich das landgerichtliche Urteil mit der erfolgten Begründung nicht aufrechterhalten lässt.
28Es gibt konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die die Klageabweisung tragende Feststellung des Landgerichts, ein Kausalzusammenhang zwischen der Verzögerung von Diagnostik und Therapie um acht Monate und dem Tod des Patienten sei äußerst unwahrscheinlich, fehlerhaft ist. Die dieser Würdigung zugrunde liegende Beurteilung von Prof. Dr. C3 beruht auf der Prämisse, dass die koronare Dreigefäßerkrankung, ihre Operationspflichtigkeit und die bei der Implantation eines Linksherzunterstützungssystems bestehenden Risiken im August 2007 in gleicher Weise bestanden hätten und danach keine wesentliche Veränderung eingetreten sei. Eine andere Bewertung hat Prof. Dr. C3 ausdrücklich für den Fall für geboten erachtet, dass sich nach dem 14.8.2007 ein Herzinfarkt entwickelt hätte, wovon er jedoch nicht ausgegangen ist (Bl. 283 f. d.A.).
29Aus der Sektionsdiagnose der Städtischen Kliniken C2-Mitte vom 16.6.2008 (Bl. 93 f. d.A.) ergeben sich allerdings zwei Infarktnarben an der Vorderwand und an der Hinterwandspitze des Herzens, ohne dass eine Aussage zum Alter getroffen wird. Dass eine solche nicht (mehr) gemacht werden kann, wird durch die nunmehr im Berufungsverfahren vorgelegte Bescheinigung des Klinikum C2 vom 28.11.2013 (Bl. 362 d.A.) bestätigt. Wäre von einer Beweislastumkehr auszugehen, würde sich diese tatsächliche Unsicherheit indessen zu Lasten des Beklagten auswirken.
302. Das Urteil des Landgerichts stellt sich jedoch aus anderen Gründen als richtig dar.
31a) Für den Zeitraum bis Sommer 2007 kann nicht von einem Behandlungsfehler des Beklagten ausgegangen werden.
32Die Kläger haben in der Berufungsbegründung übersehen, dass Prof. Dr. C3 Behandlungsfehler des Beklagten in der Zeit von 2001 bis Sommer 2007, insbesondere in Gestalt eines Unterlassens weiterer diagnostischer Untersuchungen, teils ausdrücklich, teils konkludent verneint hat.
33Prof. Dr. C3 hat ausgeführt, dass die ab dem Jahr 2006 behaupteten Klagen des Patienten über zunehmende Schmerzen im Thoraxbereich nicht aus den Behandlungsunterlagen hervorgingen. Weitere Untersuchungen seien demnach im Jahr 2006 nicht indiziert gewesen (Bl. 216 d.A.). Beweismittel für ihren Sachvortrag stehen den Klägern nicht zur Verfügung, insbesondere nicht für den Umstand, dass der Patient dem Beklagten von den behaupteten Beschwerden berichtete.
34War im Jahr 2006 ohne eine hinweisende klinische Symptomatik keine kardiale Diagnostik erforderlich, so gilt dies für die Zeit zuvor erst Recht. Soweit die Kläger die Auffassung vertreten, dass schon das Vorliegen der Risikofaktoren wie arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus, Adipositas und Lipidstoffwechselstörung Kontrolluntersuchungen erfordert hätte, setzen sie allein ihre Auffassung gegen die des Sachverständigen, was keinen Anlass zur weiteren Sachaufklärung gibt. Prof. Dr. C3 ist in diesem Zusammenhang von den richtigen Tatsachen ausgegangen. Dass die genannten Risikofaktoren bestanden, stand ihm genauso vor Augen wie der Umstand, dass seit dem Jahr 2001 keine EKG-Untersuchungen mehr durchgeführt worden waren (vgl. Bl. 209 bis 211, 216 d.A.).
35Der Umstand, dass Prof. Dr. C3 die Sektionsdiagnose der Städtischen Kliniken C2-Mitte vom 16.6.2008 – wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht auch alle weiteren Beteiligten – übersehen und nicht in seine Beurteilung einbezogen hat, mindert die Überzeugungskraft seiner weiteren Ausführungen und seiner ansonsten in sich schlüssigen medizinischen Bewertung nicht. Auch die Kläger machen dies nicht geltend. Insbesondere hat der Sachverständige im Übrigen die maßgeblichen Tatsachen erfasst und in seinem schriftlichen Gutachten dargestellt.
36b) Im August 2007 fiel dem Beklagten ein Behandlungsfehler zur Last, der weder grob war noch als Befunderhebungsfehler zu qualifizieren ist. Die demnach von den Klägern zu beweisende Kausalität des Behandlungsfehlers für den Tod des Patienten ist nicht festzustellen.
37aa) Der Beklagte hat den Patienten nicht ausreichend über die Notwendigkeit und Dringlichkeit der Abklärung einer Herzerkrankung aufgeklärt.
38(1) Die Kläger vermögen zwar nicht zu beweisen, dass der Beklagte dem Patienten schon nicht die diagnostischen Maßnahmen angeraten und empfohlen hat, die nach der Beurteilung von Prof. Dr. C3 angesichts der auf eine koronare Herzerkrankung hinweisenden Befunde des EKG vom 3.8.2007 und des Belastungs-EKG vom 14.8.2007 sowie der Risikofaktoren erforderlich waren, nämlich ein Langzeit-EKG und – beim Kardiologen oder in einer Klink – eine Magnetresonanztomografie des Herzens und/oder eine Koronarangiografie (Bl. 215, 282 d.A.).
39Entsprechende Hinweise hat der Beklagte unter dem 9.8.2007 und dem 14.8.2007 dokumentiert. Die jeweiligen Vermerke in den Behandlungsunterlagen sind oben (unter I.) wörtlich wieder gegeben. Der von den Klägern vorgelegte, ihnen vorprozessual überlassene Ausdruck der elektronisch geführten Patientenkarte, in dem die Eintragungen vom 3.8.2007 und 14.8.2007 fehlen (Anlage K 1, Anlagenheft zum Schriftsatz vom 15.10.2012), streitet nicht für eine nachträgliche Manipulation und Ergänzung. Denn es handelt sich ersichtlich um einen auf bestimmte Kategorien und Zeiträume beschränkten Teilausdruck der elektronischen Kartei. Zu einer Parteivernehmung der Klägerin zu 1) besteht kein Anlass (§ 448 ZPO). Selbst wenn der Patient ihr mitgeteilt haben sollte, der Beklagte habe ihm im August 2007 erklärt, alles sei in Ordnung, würde dies keinen sicheren Schluss darauf zulassen, dass die Empfehlung eines Langzeit-EKG, einer Magnetresonanztomografie und/oder einer Koronarangiografie nicht erfolgt ist Ein solcher Schluss würde voraussetzen, dass der Patient die Klägerin zu 1) vollständig und richtig über die Arzttermine informiert hat, was sich nicht feststellen lässt.
40(2) Der Beklagte hat den Patienten aber nicht, wie nach ärztlichem Standard erforderlich, über die Notwendigkeit und Dringlichkeit einer entsprechenden Abklärung einer koronaren Herzerkrankung aufgeklärt.
41Dabei kann dahinstehen, ob dies bereits aus der Dokumentation des Beklagten folgt. Hiervon wäre auszugehen, wenn im Fall einer – hier nach der Eintragung vom 14.8.2007 anzunehmenden – Ablehnung einer Behandlung nicht nur der entsprechende Rat, sondern auch der Hinweis auf die Dringlichkeit der Maßnahme dokumentationspflichtig wäre und dieser daher bei Nichtdokumentation als unterblieben vermutet würde. So weit hat der Senat die Dokumentationspflicht in früheren Entscheidungen nicht ausgedehnt. Mit dem Zweck der Dokumentation, den behandelnden Arzt sowie mit- und nachbehandelnde Ärzte (später) zu informieren, wäre eine derart umfassende Dokumentationspflicht kaum zu vereinbaren.
42Das Unterlassen einer ausreichenden Aufklärung ergibt sich aus dem unstreitigen Sachverhalt. Wie Prof. Dr. C3 erläutert hat, war eine weitere Abklärung einer koronaren Herzerkrankung binnen eines Zeitraums einiger Wochen notwendig, weil nach den bisher vorliegenden Befunden ein nicht unerhebliches Risiko eines Herzinfarktes bestand, welches der Sachverständige mit 20 bis 30 % innerhalb von zehn Jahren angegeben hat (Bl. 283 d.A.). Dass der Beklagte den Patienten über diesen Hintergrund seiner Empfehlung und das bestehende Herzinfarktrisiko aufgeklärt habe, behauptet er allerdings selbst nicht. Vielmehr geht er im vorliegenden Rechtsstreit davon aus, dass aus der maßgeblichen Sicht ex ante keine eindeutigen Anzeichen für eine koronare Herzkrankheit bestanden hätten (vgl. Bl. 43 d.A.), was ebenfalls gegen eine ausreichende Aufklärung über die Dringlichkeit weiterer Diagnostik streitet.
43bb) Von einer Ursächlichkeit des Behandlungsfehlers für den Tod des Patienten ist nicht auszugehen.
44(1) Eine Beweislastumkehr hinsichtlich der Kausalität ergibt sich weder unter dem Gesichtspunkt eines groben Behandlungsfehlers noch unter dem Gesichtspunkt eines Befunderhebungsfehlers.
45(a) Die Beurteilung Prof. Dr. C3s, dass das Unterlassen einer Aufklärung über die Notwendigkeit und Dringlichkeit eines Langzeit-EKG, einer Magnetresonanztomografie des Herzen und/oder einer Koronarangiografie keinen groben Behandlungsfehler darstellt (Bl. 218 d.A.), überzeugt und entspricht der Rechtsprechung des Senats in vergleichbaren Fallgestaltungen. Empfiehlt der Arzt dem Patienten die richtige Vorgehensweise und unterbleibt allein eine Unterrichtung über die Notwendigkeit und Dringlichkeit, handelt es sich im Regelfall nicht um einen besonders schweren Fehler, der einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf.
46(b) Das Unterlassen einer Aufklärung über die Notwendigkeit und Dringlichkeit einer angeratenen diagnostischen Maßnahme ist nicht als Befunderhebungsfehler zu qualifizieren, der unter den nach der Rechtsprechung erforderlichen weiteren Voraussetzungen zur Beweislastumkehr führt.
47Unterbleibt der Rat zu einer zweifelsfrei erforderlichen diagnostischen Maßnahme als solcher, ist zwar das hierin liegende Unterlassen regelmäßig als Befunderhebungsfehler zu behandeln. Eine Befunderhebung setzt immer voraus, dass der Arzt dem Patienten sagt, was zu tun ist, dieser daraufhin mitwirkt (etwa den Arm zu Blutentnahme reicht, zum Ultraschall geht etc.) und der Arzt oder sein Gehilfe alsdann die Untersuchungsmaßnahme vornehmen. Die Erklärung des Arztes stellt sich insoweit als ein notwendiger Teil der Befunderhebung dar. Inwieweit diese Einordnung auch für Fälle gilt, in denen eine diagnostische Maßnahme nur sinnvoll ist, aber (etwa wegen nicht unerheblicher Risiken, wie z.B. bei einer Koloskopie) eines Abwägungsprozesses beim Patienten bedarf, ist hier nicht zu entscheiden.
48Für die Aufklärung über die Notwendigkeit und Dringlichkeit einer diagnostischen Maßnahme, wie sie im Fall der Behandlungsablehnung erfolgen muss und natürlich zur Information des Patienten auch sonst erfolgen kann, gelten die vorstehenden Ausführungen in dieser Weise aber nicht. Regelmäßig kann die Befunderhebung bei einem Hinweis auf die diagnostische Maßnahme und die Art der Mitwirkung auch ohne zusätzliche ärztliche Erläuterungen durchgeführt werden. Das Schwergewicht, welches als Kriterium für eine Differenzierung zwischen Befunderhebung und sonstigen ärztlichen Maßnahmen und Behandlungen herangezogen werden kann, liegt daher bei Hinweisen auf die Notwendigkeit und Dringlichkeit einer diagnostischen Maßnahme bzw. dem Unterlassen eines entsprechenden Hinweises auf dem Aspekt der Information und der therapeutischen Aufklärung, nicht aber auf der Befunderhebung.
49Der Sinn und Zweck der mit einem Befunderhebungsfehler verbundenen Beweislastumkehr führt zur gleichen Einordnung. Die Beweislastumkehr rechtfertigt sich durch die Erwägung, dass es nicht zu Lasten des Patienten gehen darf, wenn der Arzt in besonderem Maß die Verantwortung dafür trägt, dass die notwendigen Daten zur Aufdeckung des Behandlungsgeschehens und zur Klärung der Kausalität nicht zur Verfügung stehen (vgl. BGH, Urteil vom 3.2.1987 – VI ZR 56/86, iuris Rdn.19, abgedruckt in BGHZ 99, 341 ff.). Gemessen hieran lassen sich Fälle, in denen „nur“ die Aufklärung über die Notwendigkeit und Dringlichkeit einer diagnostischen Maßnahme unterbleibt, nicht als ein zur Beweislastumkehr führender Befunderhebungsfehler einstufen. Die entstehenden Beweisschwierigkeiten stammen nicht allein aus der Sphäre des Arztes, sondern teilweise auch aus der des Patienten. Die Informationen, die durch die Untersuchung hätten gewonnen werden können, fehlen wegen der unterlassen Aufklärung über die Dringlichkeit und Notwendigkeit aber auch deshalb, weil der Patient den bloßen Rat nicht befolgt hat, von dessen Sinnhaftigkeit er in aller Regel ausgehen muss.
50(2) Ist das Unterlassen der Aufklärung des Patienten über die Notwendigkeit und Dringlichkeit der diagnostischen Abklärung einer koronaren Herzerkrankung demzufolge als bloßer Behandlungsfehler einzuordnen, vermögen die Kläger den ihnen gemäß § 286 ZPO obliegenden Beweis, dass hierdurch der Tod des Patienten oder ein sonstiger Gesundheitsschaden verursacht worden ist, nicht zu führen.
51Die Ausführungen von Prof. Dr. C3 im schriftlichen Gutachten, dass es spekulativ sei, ob die Verzögerung von August 2007 bis zum Frühjahr 2008 zu einem Progress der koronaren Herzerkrankung, zu einer Verschlechterung der linksventrikulären Pumpfunktion und zum Tod des Patienten beigetragen habe (Bl. 220 d.A.), haben die Kläger in ihrer Stellungnahme zum Gutachten und in der Berufungsbegründung hingenommen und sich zu Eigen gemacht. Angesichts des im Ergebnis im I Klinikum T festgestellten schweren Krankheitsbildes mit hochgradigem Verschluss aller größeren Koronararterien leuchtet es auch ein, dass bereits im August 2007 ein Zustand vorgelegen haben kann, der den Einsatz eines künstlichen Herzunterstützungssystems erfordert hätte, dessen Implantation in gleicher Weise wie im Mai 2008 mit einer tödlich verlaufenden Komplikation hätte einhergehen können. Die im Obduktionsbericht der Städtischen Kliniken C2-Mitte vom 16.6.2008 (Bl. 93 f. d.A.) beschriebenen Infarktnarben und Herzinfarkte können nach der Bescheinigung des Klinikums C2 vom 28.11.2013 (Bl. 362 d.A.) ohne weiteres vor August 2007 aufgetreten sein.
52c) Ein etwaiger Behandlungsfehler des Beklagten im April 2008 hätte nicht zum Tod des Patienten beigetragen.
53Ob der Beklagte nach den Untersuchungen vom 16.4.2008 und 22.4.2008 behandlungsfehlerhaft nicht zu einer weiteren Diagnostik geraten oder über deren Notwendigkeit und Dringlichkeit unzureichend aufgeklärt hat, kann dahinstehen.
54Hierdurch ist es nicht zu einer Verzögerung der Abklärung und der Therapie gekommen. Der Patient hat sich bereits am 30.4.2008 im I Klinkum T vorgestellt. Eine akut behandlungsbedürftige Situation ergibt sich weder aus den Ausführungen von Prof. Dr. C3 noch machen die Kläger eine solche geltend. Auch im I Klinikum T hat man eine solche nicht gesehen, sondern den Patienten erst für den 6.5.2008 zur weiteren stationären Abklärung einbestellt.
553. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 1 und 2, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
56Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen im vorliegenden Fall vor (§ 543 Abs. 2 ZPO). Die entscheidungserhebliche Frage, ob es als Befunderhebungsfehler zu werten ist, wenn eine diagnostische Maßnahme zwar empfohlen und angeraten wird, der Arzt den Patienten aber fehlerhaft nicht über ihre Notwendigkeit und Dringlichkeit aufklärt, kann sich in einer Vielzahl von Fällen stellen und ist höchstrichterlich nicht geklärt.
57Berufungsstreitwert: 77.864,80 € (wie in 1. Instanz)
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