Endurteil vom Oberlandesgericht München - 23 U 2640/19

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 10.05.2019, Az. 41 O 10570/18, in Tenor Ziff. 1 abgeändert wie folgt:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag von 10.559,93 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 11.832,21 Euro vom 25.05.2018 bis 19.03.2019, sowie aus einem Betrag von 10.559,93 Euro seit 20.03.2019 sowie weitere Zinsen in Höhe von jeweils vier Prozent

- aus einem Betrag von 13.326,97 Euro vom 27.05.2011 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.07.2011 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.08.2011 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.09.2011 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.10.2011 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.11.2011 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.12.2011 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.01.2012 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.02.2012 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.03.2012 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.04.2012 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.05.2012 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.06.2012 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.07.2012 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.08.2012 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.09.2012 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.10.2012 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.11.2012 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.12.2012 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.01.2013 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.02.2013 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.03.2013 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.04.2013 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.05.2013 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.06.2013 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.07.2013 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.08.2013 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.09.2013 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.10.2013 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.11.2013 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.12.2013 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.01.2014 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.02.2014 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.03.2014 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.04.2014 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.05.2014 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.06.2014 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.07.2014 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.08.2014 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.09.2014 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.10.2014 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.11.2014 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.12.2014 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.01.2015 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.02.2015 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.03.2015 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.04.2015 bis 24.05.2018,

- aus einem weiteren Betrag von 200 Euro vom 01.05.2015 bis 24.05.2018, zu zahlen, Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs VW Caddy Trendline (FIN …38).

Im Übrigen wird bzw. bleibt die Klage insoweit abgewiesen.

II. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 10.05.2019, Az. 41 O 10570/18, in Tenor Ziff. 3 abgeändert wie folgt:

Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 25.05.2018 bezüglich der Rücknahme des in Ziff. I bezeichneten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.

Im Übrigen wird bzw. bleibt die Klage insoweit abgewiesen.

III. Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

IV. Von den Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz tragen der Kläger 23% und die Beklagte 77%. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger 20% und die Beklagte 80%.

V. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus diesem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.

VI. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um die Rückzahlung des Kaufpreises und Schadensersatz wegen des Erwerbs eines Fahrzeugs, das von der Manipulation der Schadstoffsoftware im sogenannten Dieselskandal betroffen ist. Die Klagepartei erwarb am 11.04.2011 von der Beklagten als Verkäuferin und Herstellerin einen PKW VW Caddy als Neuwagen zum Kaufpreis von 21.499,97 Euro. Der Kaufpreis wurde in Höhe von 9.600,00 Euro über ein Darlehen finanziert. Das mit der VW Bank geschlossene Darlehen wurde auf Weisung des Klägers an die Beklagte ausbezahlt. Das Darlehen war in monatlichen Raten zu je 200,00 Euro an die V. Bank zurückzuzahlen. Den restlichen Kaufpreis bezahlte der Kläger bei Übergabe des Fahrzeugs am 27.05.2011 aus eigenen Mitteln.

Im Fahrzeug ist ein Motor der Baureihe EA189 eingebaut, bei dem das Abgasrückführungssystem so manipuliert ist, dass im Prüfmodus im Gegensatz zum normalen Betriebsmodus die Grenzwerte für Stickoxide eingehalten werden. Der Kläger erklärte am 09.05.2018 den Rücktritt vom Kaufvertrag mit der Beklagten. Das Software-Update ließ der Kläger am 08.06.2018 aufspielen. Der km-Stand des Fahrzeugs betrug bei Schluss der mündlichen Verhandlung beim Landgericht am 19.03.2019 112.416 km, am Tag der mündlichen Verhandlung des Senats am 15.10.2020 127.210 km.

Die Klagepartei ist der Ansicht, ihr stünden gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche u.a. aus § 826 BGB sowie Ansprüche aus §§ 346, 347 BGB zu.

Wegen der Anträge der Klagepartei in erster Instanz wird Bezug genommen auf S. 6 bis 9 des landgerichtlichen Urteils vom 10.05.2019.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Das Landgericht, auf dessen tatsächliche Feststellungen Bezug genommen wird, hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Die Klagepartei habe einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises unter Abzug einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs aus § 826 BGB. Ferner schulde die Beklagte Verzinsung des gezahlten Kaufpreises und Ersatz der auf das Fahrzeug getätigten Verwendungen. Die Beklagte befinde sich seit 24.05.2018 in Annahmeverzug und habe daher auch daraus künftig noch entstehende Schäden oder Verwendungen des Klägers zu tragen.

Dagegen wenden sich beide Parteien mit ihren Berufungen.

Die Klagepartei rügt, das Landgericht habe bei der Berechnung der Nutzungsentschädigung zu Unrecht eine Gesamtlaufleistung von nur 250.000 km zugrunde gelegt. Auszugehen sei von mindestens 300.000 km, wofür die Klagepartei in erster Instanz auch Sachverständigengutachten angeboten habe. Zudem hat die Klagepartei ihren Feststellungsantrag präzisiert.

Wegen der Berufungsanträge des Klägers in zweiter Instanz wird Bezug genommen auf dessen Schriftsatz vom 22.09.2020, Bl. 424 bis 427 d.A.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Des Weiteren beantragt die Beklagte mit ihrer Berufung,

das landgerichtliche Urteil aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagte rügt, das Landgericht habe zu Unrecht die Kausalität bejaht. Außerdem fehle es an einem Schaden des Klägers. Den Annahmeverzug habe das Landgericht zu Unrecht festgestellt. Ein Anspruch auf vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten bestehe nicht.

Ergänzend wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 15.10.2020 Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten ist nur teilweise begründet. Die zulässige Berufung des Klägers verbleibt in der Sache ohne Erfolg.

1. Der Kläger hat einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich der Nutzungsentschädigung in Höhe von - nur - 10.559,93 Euro, zuzüglich Verzugszinsen und Zinsen in Höhe von 4% wie oben im Tenor Ziff. I ausgeurteilt, Zug um Zug gegen Herausgabe des PKW. Insoweit hatte nur die Berufung der Beklagten zum Teil Erfolg.

1.1. Der Kläger hat Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises aus § 346 Abs. 1, § 323 Abs. 1, § 437 Nr. 2, § 434 Abs. 1 BGB.

1.1.1. Der Kläger hat den PKW VW Caddy im April 2011 als Neuwagen von der Beklagten als Verkäuferin erworben.

1.1.2. Das Fahrzeug wies bei Gefahrübergang einen Sachmangel i.S. des § 434 Abs. 1 Nr. 2 BGB auf. Die im Motor EA 189 verwendete Motorsoftware, die bei einem erkannten Prüfstandlauf eine verstärkte Abgasrückführung aktivierte, stellt eine unzulässige Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der VO Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.07.2007 dar (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, juris Tz. 17; BGH Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 397/19, juris Tz. 11). Die Beklagte brachte den Motor mit der unzulässigen Software in den Verkehr, ohne die Typengenehmigungsbehörden darauf hinzuweisen. Auf diese Weise spiegelte sie konkludent und der Wahrheit zuwider vor, dass der Motor ohne eine derartige unzulässige Einrichtung betrieben wird, und erschlich die Typengenehmigung durch eine Täuschung der zuständigen Behörde (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, juris Tz. 18; BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 397/19, juris Tz. 11). Damit hat die Beklagte die Gefahr geschaffen, dass bei einer Entdeckung der Software eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung nach § 5 Abs. 1 Fahrzeug-Zulassungsverordnung hätte erfolgen können (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, juris Tz. 19 ff; BGH Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 397/19, juris Tz. 11). Die bei Gefahrübergang und auch noch bei Erklärung des Rücktritts am 09.05.2018 mangels Nachrüstung des Fahrzeugs zumindest latent bestehende Gefahr einer Betriebsuntersagung oder -beschränkung durch die Zulassungsbehörde führt dazu, dass dem betroffenem Fahrzeug die Eignung für die gewöhnliche Verwendung im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB fehlt (BGH, Hinweisbeschluss vom 08.01.2019, VIII ZR 225/17, juris Tz. 21).

1.1.3. Eine Nachfristsetzung vor Erklärung des Rücktritts am 09.05.2018 war nach § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB entbehrlich. Ein die sofortige Rückabwicklung des Kaufvertrags ohne vorherige Fristsetzung zur Nacherfüllung rechtfertigendes Interesse des Käufers liegt immer dann vor, wenn der Verkäufer dem Käufer einen Mangel bei Abschluss des Kaufvertrags arglistig verschwiegen hat (BGH NJW 2017, S. 3292, 3295 Tz. 29; BGH NJW 2007, S. 835, 836 f Tz. 10 ff). So liegt der Fall hier.

Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass bei Erwerb des Fahrzeugs durch den Kläger zumindest die Vorstandsmitglieder der Beklagten Dr. W. und Dr. H. von der Konstruktion und dem Einbau der Software in das streitgegenständliche Fahrzeug gewusst und dieses gebilligt haben. Die Beklagte treffe insoweit eine sekundäre Darlegungslast, der die Beklagte nicht nachgekommen sei (Urteil S. 12 f). Konkrete Anhaltspunkte i.S. des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, aus denen sich Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen durch das Landgericht insoweit ergeben könnten, sind nicht dargetan oder auch sonst nicht ersichtlich. Insbesondere hat das Landgericht zurecht eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten angenommen (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, juris Tz. 39 ff; BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 397/19, juris Tz. 13 ff.; BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 367/19, juris Tz. 17 ff). Der Vortrag der Beklagten in erster Instanz, sie habe derzeit keine Erkenntnisse, dass einzelne Vorstandsmitglieder an der Entwicklung der Software beteiligt gewesen seien, genügt dem nicht.

Unstreitig hat die Beklagte den Kläger vor Abschluss des Kaufvertrags nicht über die darin verbaute Software und die daraus resultierende Gefahr einer Betriebsuntersagung informiert. Eine Aufklärungspflicht besteht über alle Umstände, die für die Willensbildung des anderen Teils offensichtlich von ausschlaggebender Bedeutung sind (Palandt/Ellenberger, BGB, 79. Aufl. 2020, § 123 Rz. 5b). Damit war die Beklagte verpflichtet, den Kläger als Käufer vor Abschluss des Kaufvertrags über die von ihr entwickelte und im Fahrzeug installierte Software, von der der Kläger offensichtlich im Jahr 2011 keine Kenntnis haben konnte, zu unterrichten.

Wie bereits vom Landgericht angenommen steht es auch zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger das Fahrzeug in Kenntnis der wahren Sachlage nicht erworben, mithin den Kaufvertrag mit der Beklagten ohne die arglistige Täuschung nicht abgeschlossen hätte. Wie ausgeführt, bestand bei Erwerb des Fahrzeugs im Jahr 2011 die Gefahr, dass es im Falle einer Entdeckung der Manipulationssoftware zu einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung nach § 5 Abs. 1 Fahrzeug-Zulassungsverordnung kommen könnte. Insbesondere gab es im Kaufzeitpunkt kein Software-Update zur Beseitigung des Problems und es war 2011 in keiner Weise absehbar, ob zu einem späteren Zeitpunkt ein derartiges Software-Update entwickelt werden könnte. Nach allgemeiner Lebenserfahrung ist auszuschließen, dass ein Käufer ein Fahrzeug erwirbt, dem eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung zumindest theoretisch droht, wenn gleichzeitig unklar ist, ob überhaupt, wenn ja zu welchem Zeitpunkt und wie, vor allem ohne Nachteil für den Käufer, der Mangel behoben werden kann (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, juris Tz. 49 ff; BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 397/19, juris Tz. 16).

1.1.4. Der Rücktritt am 09.05.2018 ist nicht nach § 218 BGB unwirksam, da die Beklagte sich nicht auf die Verjährung berufen hat. Im Übrigen wären für die Verjährung ohnehin gemäß § 438 Abs. 3 Satz 1 BGB infolge der arglistigen Täuschung durch die Beklagte die allgemeinen Verjährungsregelungen nach § 199 Abs. 1, § 195 BGB maßgeblich.

1.1.5. Der Rücktritt ist nicht nach § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB wegen Unerheblichkeit der Pflichtverletzung ausgeschlossen. Eine Unerheblichkeit ist jedenfalls bei einem arglistigen Verhalten des Schuldners in der Regel zu verneinen (BGH NJW 2006, S. 1960, 1961 Tz. 7). Wie ausgeführt liegt eine arglistige Täuschung des Klägers durch die Beklagte vor. Anhaltspunkte, dass dennoch ausnahmsweise die Pflichtverletzung als unerheblich anzusehen wäre, finden sich nicht.

1.2. Der Kläger hat indessen nach § 346 Abs. 2 Satz Nr. 1 BGB die von ihm gezogenen Nutzungen in Höhe von 10.940,04 Euro herauszugeben. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, der aktuelle Kilometerstand betrage 127.210 km. Dies hat der Beklagtenvertreter nicht bestritten. Das Fahrzeug wurde als Neuwagen erworben.

Ausgehend von einer Gesamtlaufleistung von 250.000 km errechnet sich damit ein Nutzungsersatz von 127.210 km x 21.499,97 Euro / 250.000 km, mithin 10.940,04 Euro.

1.2.1. Das Landgericht hat die Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen VW Caddy auf 250.000 km geschätzt (LGU S. 14). Dies ist aus Sicht des Senats nicht zu beanstanden. Entgegen der Ansicht des Klägers bedurfte es nicht eines Sachverständigengutachtens zur Höhe der Gesamtlaufleistung. Gemäß § 287 Abs. 1 Satz 2, § 287 Abs. 2 BGB stand die Erholung des von Klägerseite angebotenen Sachverständigengutachtens im Ermessen des Gerichts. Vorliegend stünde die Einholung eines teuren und zeitaufwändigen Sachverständigengutachtens dazu, dass die Gesamtlaufleistung mindestens 300.000 km beträgt, in keinem Verhältnis zum insoweit streitigen Teil der Forderung, nämlich der Höhe der Nutzungsentschädigung. Im Übrigen liegen, wie nachstehend ausgeführt, ausreichend Schätzgrundlagen für die Ausübung des gemäß § 287 Abs. 1, Abs. 2 ZPO bestehenden Schätzungsermessens vor. Hierfür sind folgende Erwägungen maßgebend: Bei dem streitgegenständlichen VW Caddy handelt es sich um ein robustes Mittelklassefahrzeug aus dem Baujahr 2011, das grundsätzlich auf eine umfangreichere Nutzung ausgelegt ist. Nach verbreiteter Ansicht sind die Gesamtlaufleistungen für derartige Fahrzeuge neueren Baujahrs in der mittleren und gehobenen Klasse im Bereich von 250.000 km bis 300.000 km anzusiedeln (250.000 km: BGH BeckRS 2015, 1267; KG NJW-RR 2014, S. 57, 58; OLG Braunschweig BeckRS 2019, 40569; 300.000 km: OLG Koblenz NJW 2019, S. 2237, 2246; OLG Oldenburg BeckRS 2020, 1974 Tz. 86; allg. Staudinger/Kaiser, BGB, 2012, § 346 Rn. 261 mwN). Eine erheblich niedrigere Laufleistung, etwa eine solche von nur 150.000 km, wird der heutigen Fahrzeugtechnik regelmäßig nicht mehr gerecht, umgekehrt erscheint die Annahme von deutlich mehr als 300.000 km, gar 500.000 km überzogen (vgl. Reinking/Eggert, Der Autokauf, 14. Aufl. 2020, Rz. 3571). Es gilt einerseits zu berücksichtigen, dass neuere Fahrzeuge infolge fortschreitender Technik eine höhere Motorlaufleistung erreichen (BeckOGK/Schall, BGB, 01.03.2020, § 346 Rn. 437); die Karosserie hat nicht zuletzt wegen eines erheblich verbesserten Korrosionsschutzes eine Lebensdauer von weit über 10 Jahren (Reinking/Eggert, Der Autokauf, 14. Aufl. 2020, Rz. 3573). Andererseits macht die in moderneren Fahrzeugen verbaute Elektronik das Fahrzeug störanfälliger. Ein Schaden in diesem Bereich löst mitunter hohe Kosten aus, was bei einem bereits länger genutzten Fahrzeug die Frage der wirtschaftlichen Rentabilität einer Reparatur aufwerfen kann. Dies wirkt sich negativ auf die ex ante zu erwartende Gesamtlaufleistung eines Fahrzeugs aus (BeckOGK/Schall, BGB, 01.03.2020, § 346 Rn. 437).

1.2.2. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die vorbezeichnete lineare Berechnungsmethode für die Nutzungsentschädigung eine taugliche Schätzgrundlage. Es kommt gerade nicht darauf an, welche Nachteile der Kläger erlitten hätte, wenn er ein anderes Fahrzeug erworben und genutzt hätte (ausführlich BGH, Urteil vom 25.02.2020, VI ZR 252/19, juris Tz. 80 ff; BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 354/19, juris Tz. 12 f).

1.3. Dem Kläger stehen die von ihm beantragten, gestaffelten Zinsen in Höhe von 4% aus § 346 Abs. 1 BGB oder aus § 347 Abs. 1 Satz 1 BGB zu. Aufgrund des wirksamen Rücktritts des Klägers finden diese Vorschriften unmittelbare Anwendung. Der Kläger hat insoweit vorgetragen, die Beklagte müsse auf den Kaufpreis erzielte Zinserträge herausgeben. Zumindest habe die Beklagte Schuldzinsen in Höhe von 4% des Kaufpreises erspart. Diesen Vortrag hat die Beklagte nicht bestritten.

Ob dem Kläger ein Anspruch auf Deliktszinsen in Höhe von 4% aus § 849 BGB zusteht, ist vorliegend daher irrelevant.

1.4. Dem Kläger steht ein Zinsanspruch in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.05.2018 aus § 286 Abs. 1, § 288 Abs. 1 BGB zu, wie vom Landgericht ausgeurteilt.

Die Beklagte befand sich am 25.05.2018 in Verzug. Der Kläger hat mit Schreiben vom 09.05.2018 (Anlage K 5) den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt, einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung von 7.324,32 Euro Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs geltend gemacht und der Beklagten eine Frist zur Zahlung bis 23.05.2018 gesetzt. Das Schreiben vom 09.05.2018 enthielt eine wirksame Mahnung. Der Anspruch auf Rückzahlung wird mit der Rücktrittserklärung fällig (MüKoBGB/Gaier, 8. Aufl. 2019, BGB 346 Rz. 41). Die Mahnung kann mit der die Fälligkeit begründenden Handlung, vorliegend dem Ausspruch der Rücktrittserklärung, verbunden werden (BGH NJW 2017, S. 1823, 1826 Tz. 24). Dass die Mahnung sich auf einen höheren Betrag bezogen hat, da der Kläger die Nutzungsentschädigung ausgehend von einer Gesamtlaufleistung von 300.000 km berechnet hat, ist ohne Belang. Eine Zuvielmahnung wäre dann schädlich, wenn der Schuldner die wirklich geschuldete Leistung nicht selbst errechnen kann, weil sie von ihm unbekannten internen Daten des Gläubigers abhängt (BGH, NJW 2006, S. 3271, 3272 Tz. 16). Vorliegend konnte jedoch die Beklagte aufgrund der Angabe der Laufleistung des PKW in der Anlage K 5 die Nutzungsentschädigung selbst ermitteln.

1.5. Der Anspruch besteht, wie vom Landgericht ausgeurteilt, gemäß § 346 Abs. 1 BGB nur Zug um Zug gegen Rückgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs.

2. Dem Kläger steht der vom Landgericht unter Tenor Ziff. 2 ausgeurteilte Anspruch auf Zahlung von 6.623,63 Euro nebst Zinsen aus § 347 Abs. 2 BGB bzw. § 826 BGB (wie vom Landgericht ausgeführt) zu. Insoweit finden sich keinerlei Ausführungen der Beklagten in zweiter Instanz zu den konkreten vom Landgericht zugesprochenen Positionen und Zinsen.

3. In Tenor Ziff. 3 hat das Landgericht zum einen festgestellt, dass sich die Beklagte seit 25.05.2018 in Annahmeverzug befinde, zum anderen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger jeden weiteren Verzugsschaden hinsichtlich des in Tenor Ziff. I bezeichneten Fahrzeugs zu ersetzen.

3.1. Bezüglich der Feststellung des Annahmeverzugs verblieb die Berufung der Beklagten ohne Erfolg.

Zwar liegt kein wirksames Angebot i.S. des § 294 BGB oder § 295 BGB vor, wenn der Kläger die Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs nicht zu den Bedingungen anbietet, von denen er sie hätte abhängig machen dürfen, insbesondere die Rückzahlung des Kaufpreises ohne Abzug der Nutzungsentschädigung fordert (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, juris Tz. 85; BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 397/19, juris Tz. 30). Vorliegend hat der Kläger indessen im Schreiben vom 09.05.2018 (Anlage K 5) erklärt, er wolle sich eine Nutzungsentschädigung anrechnen lassen und diese auch unter Mitteilung des aktuellen Kilometerstands berechnet. Zwar geht der Kläger dabei anders als das Landgericht und der Senat von einer Gesamtlaufleistung von 300.000 km aus. Indessen ist die Frage der Gesamtlaufleistung Ergebnis einer durch das Gericht vorgenommenen Schätzung. In der Literatur und Rechtsprechung finden sich für vergleichbare Fahrzeuge Schätzungen der Gesamtlaufleistung zwischen 250.000 km und 300.000 km (s.o. Ziff. 1.2.1). Da sich die Schätzung des Klägers in diesem Rahmen hielt, ist von einem ordnungsgemäßen Angebot des Klägers auszugehen.

3.2. Die Berufung der Beklagten ist indessen begründet, soweit das Landgericht festgestellt hat, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger jeden weiteren Verzugsschaden hinsichtlich des streitgegenständlichen Fahrzeugs zu ersetzen. Diesem Antrag des Klägers fehlt das Feststellungsinteresse sowohl in der ausgeurteilten Formulierung als auch in der im Schriftsatz des Klägers vom 22.09.2020 (Bl. 426 d.A.) präzisierten Fassung, wonach festgestellt werden solle, dass die Beklagte dem Kläger Schäden in Zusammenhang mit der Täuschung im Zuge des Inverkehrbringens des Fahrzeugs zu ersetzen habe, insbesondere weitere notwendige Verwendungen gemäß § 347 Abs. 2 BGB, § 994 BGB und Mehraufwendungen gemäß § 304 BGB.

Ein Feststellungsinteresse setzt voraus, dass einem Recht oder einer Rechtsposition eine gegenwärtige Gefahr oder Unsicherheit droht und das erstrebte Urteil dazu geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen (BGH NJW 2019, S. 1002 Tz. 12; Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, 41. Aufl. 2020, § 256 Rn. 13).

Eine derartige gegenwärtige Gefahr oder Unsicherheit für das vom Kläger verfolgte Recht besteht hier nicht. Denn die Ersatzfähigkeit von Mehraufwendungen im Sinne des § 304 BGB, die dem Kläger unter Umständen noch entstehen könnten, ergibt sich bereits mit ausreichender Sicherheit aus der rechtskräftigen Feststellung des Annahmeverzugs durch das Landgericht in Verbindung mit der gesetzlichen Regelung des § 304 BGB. Die Norm erfasst auch notwendige Verwendungen. Ersatzfähig sind gemäß § 304 BGB auch Aufwendungen zum Erhalt der Sache (Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Aufl. 2020, § 304 Rn. 2). Notwendige Verwendungen sind aber gerade solche Verwendungen, die zur Erhaltung der Sache erforderlich sind (Palandt/Herrler, BGB, 79. Aufl. 2020, § 994 Rn. 5).

Ein Feststellungsinteresse gemäß § 256 Abs. 1 ZPO ergibt sich auch nicht aus einer Notwendigkeit, die Verjährung zu hemmen. Der Aufwendungsersatzanspruch nach § 304 BGB verjährt nach §§ 195, 199 BGB. Der Beginn der Dreijahresfrist setzt dabei u.a. die Entstehung des Anspruchs voraus, § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB. Der Anspruch aus § 304 BGB entstünde aber erst, wenn künftig noch ein Mehraufwand im Sinne der Norm bei dem Kläger anfallen würde. Vorher bedarf es daher keiner Hemmung. Der bei der Verjährung von Schadensersatzansprüchen zu beachtende Grundsatz der Schadenseinheit (Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Aufl. 2020, § 199 Rn. 14) gilt für den Aufwendungsersatzanspruch aus § 304 BGB nicht (so BGH NJW 2018, 2714 Tz. 31 für den Aufwendungsersatzanspruch aus § 670 BGB), da es sich bei diesem gerade nicht um einen Schadensersatzanspruch handelt (Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Aufl. 2020, § 304 Rn. 1).

4. Soweit das Landgericht in Tenor Ziff. 4 die Beklagte zur Zahlung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.171,67 Euro nebst Zinsen verurteilt, haben weder die Berufung des Klägers noch die der Beklagten Erfolg.

4.1. Entgegen der Rüge der Beklagten besteht der Anspruch wie vom Landgericht ausgeführt aus § 826 BGB dem Grunde nach. Zu den ersatzpflichtigen Aufwendungen des Geschädigten zählen grundsätzlich auch die durch das Schadensereignis erforderlich gewordenen Rechtsverfolgungskosten. Allerdings hat der Schädiger nicht schlechthin alle durch das Schadenereignis adäquat kausal verursachten Rechtsanwaltskosten zu ersetzen, sondern nur solche, die aus der Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren (BGH NJW 2006, S. 1065 Tz. 5; BGH NJW 2012, S. 919, 921 Tz. 20). Dies war vorliegend aber der Fall. Dem Senat ist aus einer Vielzahl von Verfahren bekannt, dass die Beklagte sich mit den Käufern der Dieselfahrzeuge vergleichsweise geeinigt hat. Es war daher im Rahmen einer zweckmäßigen Rechtsverfolgung nicht zu beanstanden, dass der Kläger zunächst unter Einschaltung eines Rechtsanwalts vorgerichtlich die Ansprüche gegen die Beklagte geltend gemacht und sich auf diese Weise bemüht hat, ein zeit- und kostenaufwändiges Klageverfahren zu vermeiden.

4.2. Die Rüge des Klägers, die Rechtsanwaltskosten seien aus einem Gegenstandswert von 22.216,85 Euro zu berechnen, greift nicht durch. Der Kläger verweist zur Begründung darauf, für die Berechnung des Gegenstandswerts sei hinsichtlich Klageantrag Ziff. 1 die in der Klageschrift angegebene Laufleistung 102.200 km maßgeblich, nicht die vom Landgericht zugrunde gelegte Laufleistung von 112.416 km bei Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz. Indessen übersieht der Kläger, dass die Beklagte eine Laufleistung von 102.200 km bei Klageerhebung zulässig mit Nichtwissen bestritten (Klageerwiderung S. 7, Bl. 38 d.A.) und der Kläger keinen Beweis angeboten hat. Mithin ist zugunsten der Beklagten die unstreitige Laufleistung am 19.03.2019, dem Tag der mündlichen Verhandlung in erster Instanz, von 112.416 km der Berechnung zugrundezulegen.

Die vom Landgericht angenommene Gesamtlaufleistung von 250.000 km ist nicht zu beanstanden (s.o. Ziff. 1.2.1).

4.3. Über die Hilfsanträge war nicht zu entscheiden. Der Kläger hat diese nur für den Fall gestellt, dass der Senat keine Anspruchsgrundlage für eine Rückabwicklung des Kaufvertrags sieht (Berufungsbegründung S. 3, Bl. 307 d.A.).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

6. Die Revision war nicht nach § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung. Die entscheidungserheblichen Rechtsfragen sind durch höchstrichterliche Urteile geklärt. Dass in Fällen, in denen die VW AG als Beklagte zugleich Verkäuferin ist, dem Käufer bei Rücktritt auch Ansprüche aus §§ 346, 347 BGB zustehen können, ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz.

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