Beschluss vom Oberlandesgericht Naumburg (1. Senat für Familiensachen) - 3 WF 260/12

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Ergänzungspflegerin werden die Beschlüsse des Amtsgerichts – Familiengerichts – Gardelegen vom 16.11.2011 (Anordnung der Ergänzungspflegschaft) und 14.12.2011 (Auswahl und Bestellung der Ergänzungspflegerin), Aktenzeichen jeweils 5 F 148/11, aufgehoben.

2. Von der Erhebung von Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren wird abgesehen, im Übrigen tragen die Beteiligten ihre jeweiligen außergerichtlichen Kosten selbst.

3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000,00 Euro festgesetzt.

4. Eine Rechtsbeschwerde gegen diese Entscheidung wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

1

Die Beschwerde der Ergänzungspflegerin gegen die aus der Beschlussformel ersichtlichen Beschlüsse des Amtsgerichts - Familiengerichts - Gardelegen ist zulässig (1), und auch in der Sache begründet (2).

2

1. Die Beschwerde der Ergänzungspflegerin ist statthaft. Denn die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft mit dem Ziel der Vertretung des Kindes im Verfahren auf Genehmigung einer Erbausschlagung ist eine Endentscheidung, mit der das entsprechende Verfahren abgeschlossen wird. Dagegen findet gemäß §§ 58 Abs. 1, 68 Abs. 1 Satz 2 FamFG die Beschwerde statt (OLG Brandenburg, FamRZ 2012, 1069; OLG Köln, FamRZ 2012, 42).

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Darüber hinaus sind auch die übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen der §§ 58 ff. FamFG gegeben, ist doch die zur Ergänzungspflegerin bestellte Rechtsanwältin als Betroffene beschwerdeberechtigt. Zudem ist die Beschwerde auch fristgerecht in der gesetzlich vorgeschriebenen Monatsfrist des § 61 Abs. 1 FamFG eingelegt worden.

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2. Das zulässige Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

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Das Amtsgericht - Familiengericht - Gardelegen hat nämlich im Entscheidungsfall den betroffenen Kindern J. und A. K. zu Unrecht eine Ergänzungspflegerin bestellt. Denn die sorgeberechtigten Kindeseltern sind nicht daran gehindert, ohne familienrechtliche Genehmigung auch die Erbschaft für ihre beiden minderjährigen Kinder auszuschlagen (a), und mangels Erfordernis einer familiengerichtlichen Genehmigung der von den Eltern als gesetzliche Vertreter ihrer Kinder erklärten Erbausschlagung war auch hier nicht ausnahmsweise wegen einer etwaig noch den Kindern persönlich zuzustellenden gerichtlichen Entscheidung gemäß § 40 Abs. 3 FamFG das Erfordernis einer Ergänzungspflegerbestellung gegeben (b).

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a) Grundsätzlich bedürfen Eltern zu Rechtsgeschäften für das Kind der Genehmigung des Familiengerichts in denjenigen Fällen, in denen nach § 1821 BGB und nach § 1822 Nr. 1, Nr. 3, Nr. 5, Nr. 8 und Nr. 11 BGB ein Vormund der Genehmigung bedarf, § 1643 Abs. 1 BGB. Dies gilt nach § 1643 Abs. 2 Satz 1 BGB auch für die Ausschlagung einer Erbschaft oder eines Vermächtnisses sowie für den Verzicht auf einen Pflichtteil. Von dieser familiengerichtlichen Genehmigungspflicht ausgenommen ist aber nach § 1643 Abs. 2 Satz 2 BGB der Fall, dass der Anfall der Erbschaft an das Kind erst infolge der Ausschlagung eines Elternteils eintritt, der das Kind allein oder gemeinsam mit dem anderen Elternteil vertritt, es sei denn, dieser wäre neben dem Kinde zum Erben berufen gewesen. Grund für diese Genehmigungsfreiheit ist, dass der Gesetzgeber in diesen Fällen, wo das Kind erst durch die Erbausschlagung eines Elternteils selbst zum Erben wird, regelmäßig kein Interessenkonflikt vorhanden sein wird, da der ausschlagende Elternteil regelmäßig die Vor- und Nachteile, das Für und Wider der Erbausschalung schon für sich selbst wird wohl abgewogen haben und zum anderen sollten deshalb die Nachlassgerichte von ihrer ansonsten bestehenden Prüfungspflicht entbunden werden (vgl. OLG Frankfurt, FamRZ 2012, 664, 665 m.w.N.) Hinzu kommt, dass die Ausnahme von § 1643 Abs. 2 Satz 2 BGB sich auch darauf stützt, dass das Erbrecht der Kinder nur dadurch anfällt, dass der vorrangig zum Erben berufene Elternteil sein Erbe ausschlägt. Würde dieser aber die Erbschaft annehmen, dann hätten die nachrangigen Kinder keinerlei Rechte an dem Nachlass, sondern dieser stünde in der rechtlichen Verfügungsgewalt des Erben, der seinen Erbteil belasten, verkaufen oder sogar verschenken könnte (OLG Köln, DNotZ 2012, 855 ff. m.w.N.).

7

Im Entscheidungsfall war der Kindesvater Miterbe nach seiner Großmutter L. O., die am 15.01.2011 verstorben war. Mit Datum vom 22.03.2011 erklärte der Kindesvater, nachdem er erst am 17.02.2011 Kenntnis vom Anfall der Erbschaft erhalten hatte, zu Protokoll des Amtsgerichts - Nachlassgerichts - Gardelegen zunächst für seine Person die Ausschlagung der Erbschaft aus allen Berufungsgründen und darüber hinaus sodann gemeinsam mit seiner Ehefrau als gemeinschaftlich Sorgeberechtigte und somit gesetzliche Vertreter seiner beiden minderjährigen Kinder J. und A. K. die Erbausschlagung auch aus allen Berufungsgründen für seine beiden Kinder.

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Mithin liegt exakt ein Fall des § 1643 Abs. 2 Satz 2 BGB vor, sodass keine familiengerichtliche Genehmigung der zugleich für die minderjährigen Kinder vorgenommenen Erbausschlagung notwendig ist.

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Auch erfordert das Ergebnis der von der Rechtspflegerin von Amts wegen angestellten Ermittlungen hier nicht ausnahmsweise wegen eines Widerstreits von Eltern- und Kindesinteressen, abweichend von § 1643 Abs. 2 Satz 2 BGB, eine familienrechtliche Genehmigung der elterlichen Erbausschlagung für die beiden Kinder und die Bestellung eines, hier einer Ergänzungspflegerin gemäß §§ 1629 Abs. 2 Satz 3, 1693, 1697 BGB (vgl. zur Zulässigkeit der Bestellung eines Ergänzungspflegers im Falle der Kollision von Eltern- und Kindesinteressen: Schwer, in: jurisPK-BGB, Band 4, 6. Aufl., Stand: 04.02.2013, § 1643 BGB, Rdnr. 9).

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Wenngleich sich andeutet, dass die Kindeseltern (auch) fehlerhaft von einer mangelnden Werthaltigkeit des Nachlasses ausgegangen sind, obgleich dies nach den Ermittlungen der Rechtspflegerin nicht der Fall ist, so ergibt sich hieraus kein eine familiengerichtliche Genehmigung und die Bestellung eines Ergänzungspflegers erfordernder Interessenwiderstreit, der es hier erlaubte, von der gesetzlich statuierten Genehmigungsfreiheit der Erbausschlagung gemäß § 1643 Abs. 2 Satz 2 BGB abzuweichen.

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So ist nämlich erkennbar, dass der (Haupt-) Grund für die vollständige Erbausschlagung, wie vom Kindesvater angegeben, vorrangig darin lag, dass er und seine Familie „mit dem Nachlass nichts zu tun haben“ wollten, mithin waren persönliche - und nicht wirtschaftliche Erwägungen über eine etwaige Überschuldung des Nachlasses - maßgeblich für die Entscheidung der Kindeseltern, auch für ihre beiden minderjährigen Kinder das Erbe auszuschlagen.

12

Aber selbst wenn die Kindeseltern über die Werthaltigkeit des Nachlasses geirrt und dieser Irrtum (mit-) ursächlich für die Erbausschlagung gewesen wäre, dann würde dies nicht abweichend von § 1643 Abs. 2 Satz 2 BGB zum Genehmigungserfordernis der Erbausschlagung für die Kinder führen. Denn es ist anerkannt, dass, selbst wenn Eltern aus eigennützigen Gründen im Rahmen einer wirtschaftlich bedeutsamen Angelegenheit pflicht- oder treuwidrig gegenüber ihren Kindern handeln könnten, selbiges das entsprechende Rechtsgeschäft noch nicht genehmigungsbedürftig macht und dass somit die Wirksamkeit des rechtsgeschäftlichen Handelns der Eltern nicht von einer gerichtlichen Genehmigung abhängig ist (OLG Köln, a.a.O. m.w.N.).

13

Für ein treuwidriges oder gar pflichtwidriges Verhalten der Kindeseltern im Hinblick auf ihre beiden minderjährigen Kinder ist im Übrigen nichts ersichtlich.

14

Auch ist nicht erkennbar, dass die Eltern vermittels der Erbausschlagung zu Lasten eines oder mehrerer der Kinder den Anfall der Erbschaft z.B. bewusst zum Vorteil eines ihrer anderen Kinder umlenken wollten (sog. gelenkte Erbschaft), sodass hierin ein Interessenwiderstreit zu finden wäre, der ausnahmsweise die Erbausschlagung zu Lasten der Kinder genehmigungsbedürftig machte. Die Kindeseltern haben hier für alle ihre Kinder, nämlich für J. und A., auf das Erbe verzichtet.

15

In Anbetracht der danach insgesamt auch erkennbar zu Tage tretenden sachlichen Abwägung ihrer Entscheidung über die Erbausschlagung ist kein Interessenwiderstreit zwischen Eltern und Kindern erkennbar, der hier, abweichend von § 1643 Abs. 2 Satz 2 BGB, ausnahmsweise dieses Rechtsgeschäft genehmigungsbedürftig machte.

16

b) Im Übrigen ist die Bestellung eines Ergänzungspflegers im Entscheidungsfalle auch nicht ausnahmsweise wegen des Erfordernisses der persönlichen Zustellung der gerichtlichen Entscheidung an die beiden minderjährigen Kinder gemäß § 41 Abs. 3 FamFG erforderlich.

17

Die gemeinschaftlich sorgeberechtigten Kindeseltern wären zwar verhindert, für ihre beiden gemäß § 9 Abs. 2 FamFG nicht verfahrensfähigen Kinder eine Entscheidung über eine nach § 1643 Abs. 2 Satz 1 BGB erforderliche familiengerichtliche Genehmigung über die Ausschlagung der Erbschaft entgegenzunehmen und unter Berücksichtigung des Kindeswohls über die Ausübung des Beschwerderechts der Kinder hiergegen zu entscheiden. Denn die Vorschrift des § 41 Abs. 3 FamFG soll dem materiell Beteiligten die Möglichkeit sichern, bei einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, rechtliches Gehör zu erhalten (BVerfG, FamRZ 2000, 731, 733 ff.), und das Recht auf Gewährung rechtlichen Gehörs kann bei der Genehmigung eines Rechtsgeschäfts, anders als in anderen Verfahren, gerade nicht durch den Vertreter des durch die Entscheidung in seinen Rechten Betroffenen wahrgenommen werden. Denn insoweit hat der Gesetzgeber mit § 41 Abs. 3 FamFG sicherstellen wollen, dass der Rechtsinhaber selbst von der Entscheidung so frühzeitig Kenntnis erlangt, dass er selbst fristgerecht Rechtsmittel einlegen und/oder aber auch einen etwaigen Rechtsmittelverzicht zügig widerrufen kann (OLG Brandenburg, FamRZ 2012, 1069, 1070 m.w.N.). Allerdings ist hier schon deshalb für die persönliche Bekanntgabe einer amtsgerichtlichen Entscheidung kein Ergänzungspfleger zu bestellen, weil ja gerade hier nach § 1643 Abs. 2 Satz 2 BGB keine familiengerichtliche Genehmigung der Erbausschlagung notwendig ist, die zuzustellen wäre.

18

Mithin sind sowohl die Anordnung der Ergänzungspflegschaft als auch die Bestellung der Beschwerde führenden Anwältin zur Ergänzungspflegerin rechtswidrig, sodass auf das Rechtsmittel der Letztgenannten beide amtsgerichtlichen Entscheidungen ersatzlos aufzuheben waren.

II.

19

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 80, 81 Abs. 1 FamFG.

III.

20

Der Wert des Verfahrensgegenstandes des Beschwerdeverfahrens war nach den §§ 40, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG festzusetzen gewesen.

IV.

21

Die Rechtsbeschwerde gegen die Senatsentscheidung war nicht zuzulassen, liegen doch die Voraussetzungen hierfür gemäß § 70 FamFG unzweifelhaft nicht vor.


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