Urteil vom Oberlandesgericht Naumburg - 4 U 90/14

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Halle vom 21. November 2014, Az.: 3 O 210/14, wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

3. Das Urteil ist ebenso ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar wie nunmehr auch das Urteil des Landgerichts Halle vom 21. November 2014, Az.: 3 O 210/14.

Gründe

I.

1

Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Zahlung von Schadensersatz wegen einer behaupteten Pflichtverletzung eines Steuerberatervertrages in Anspruch.

2

Die Klägerin ist als Berufsbetreuerin tätig und hatte den Beklagten als Steuerberater mit der Erstellung ihrer Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2005 beauftragt. Auf der Grundlage der am 07. Juli 2006 bei dem Finanzamt ... eingegangenen Umsatzsteuererklärung des Beklagten setzte das Finanzamt mit Bescheid vom 08. September 2006 Umsatzsteuer in Höhe von 6.351,77 € fest. Der Bescheid wurde bestandskräftig.

3

Die von der Klägerin im Jahr 2009 beauftragte neue Steuerberaterin wies sie auf eine in Fachkreisen geführte Diskussion über eine Umsatzsteuerpflicht von Berufsbetreuern hin, woraufhin die Klägerin ab 2009 gegen die Umsatzsteuerbescheide des Finanzamtes Einspruch einlegen ließ. Ihren Antrag vom 23. November 2012, die Umsätze aus der Tätigkeit als Berufsbetreuerin für die Zeit vom 01. Juli 2005 bis zum 31. Dezember 2010 umsatzsteuerfrei zu stellen, lehnte das Finanzamt ... mit Bescheid vom 16. Mai 2013 mit der Begründung ab, dass die einschlägige EU-Mehrwertsteuerrichtlinie eine Umsatzsteuerbefreiung auf Einrichtungen mit sozialem Charakter beschränke, was auf die Klägerin als Berufsbetreuerin nicht zutreffe.

4

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten und meint weiterhin, dass der Beklagte den Steuerberatervertrag schlecht erfüllt habe, weil ihm die in den Fachkreisen bereits im Jahr 2005 geführte Diskussion über eine Umsatzsteuerfreiheit eines Berufsberaters, die der Bundesfinanzhof mit Urteil vom 25. April 2013, Az.: V R 7/11, schließlich bejaht habe, hätte bekannt sein müssen, weswegen er hätte raten müssen, den Umsatzsteuerbescheid des Finanzamtes ... vom 08. September 2006 für den Veranlagungszeitraum 2005 in Höhe von 6.351,77 € nicht rechtskräftig werden zu lassen, sondern dagegen Einspruch einzulegen. Die Klägerin hat behauptet, sich bei einer zutreffenden Beratung dementsprechend verhalten und den Beklagten mit der Einlegung des Einspruchs gegen den Umsatzsteuerbescheid 2005 beauftragt zu haben.

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Die Klägerin hat beantragt,

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den Beklagten zu verurteilen, an sie 6.351,77 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12. Dezember 2013 sowie an sie vorgerichtlich entstandene Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 337,07 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem auf die Rechtshängigkeit folgenden Tag zu zahlen.

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Der Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

9

Er hat die Auffassung vertreten, dass für ihn aus dem Steuerberatervertrag keine Pflicht bestanden habe, der Klägerin zur Einlegung eines Einspruchs gegen den Umsatzsteuerbescheid des Finanzamtes ... zu raten. Erst mit der Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 25. April 2013, Az.: V R 7/11, sei die Steuerfreiheit eines Berufsbetreuers höchstrichterlich anerkannt worden. Das vorangegangene Urteil des Bundesfinanzhofs vom 18. August 2005, Az.: V R 71/03, sei hingegen nicht einschlägig, weil es sich mit der Steuerfreiheit einer Legasthenie-Therapeutin für Legasthenie-Behandlungen im Rahmen der Eingliederungshilfe befasse. In dem weiteren Urteil des Bundesfinanzhofs vom 11. März 2009, Az.: XI R 68/06, habe dieser sogar bestätigt, dass das von einem Berufsbetreuer in Rechnung gestellte Entgelt mit Umsatzsteuer belastet werde. Im Übrigen habe sich im Jahre 2006 keine wissenschaftliche Diskussion herausgebildet, welche in die Richtung der späteren Rechtsentwicklung gewiesen hätte. Daher hätte im damaligen Zeitpunkt auch ein Rechtskundiger die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels gegen den Bescheid nicht zuverlässig einschätzen können. Außerdem hat der Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben.

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Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 21. November 2014 abgewiesen und im Wesentlichen ausgeführt:

11

Eine Pflichtverletzung des Beklagten könne dahingestellt bleiben, weil ein Schadenersatzanspruch der Klägerin verjährt sei. Offen bleiben könne zudem, ob der geltend gemachte Schaden kausal auf eine Pflichtverletzung des Beklagten zurückzuführen sei. Es sei eher unwahrscheinlich, dass das Finanzamt auf einen Einspruch hin den Umsatzsteuerbescheid vom 08. September 2006 unter den Vorbehalt der Nachprüfung gestellt hätte. Ein Schadenersatzanspruch der Klägerin sei aber verjährt, weil die dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB am 31. Dezember 2011 geendet habe. Die Verjährungsfrist habe im Jahr 2009 begonnen, weil die Klägerin in diesem Jahr von ihrer Steuerberaterin auf die steuerrechtliche Diskussion über die Umsatzsteuerbefreiung für Berufsbetreuer hingewiesen worden und ihr von diesem Zeitpunkt an bekannt gewesen sei, die Steuerbescheide unter einen Vorbehalt der Nachprüfung stellen zu lassen. Zu diesem Zeitpunkt sei das Mandatsverhältnis mit dem Beklagten bereits beendet gewesen. Die Frage, ob der Klägerin eine Klageerhebung gegen den Beklagten wegen Verletzung des Steuerberatervertrages zumutbar gewesen sei, obwohl die Steuerfreiheit im Jahre 2009 noch rechtlich umstritten gewesen sei, sei im Ergebnis zu bejahen. Wenn sie davon ausgehe, dass der Beklagte im Jahre 2006 zu einem Einspruch gegen den Steuerbescheid hätte raten müssen, dann wäre es aber auch ihr zuzumuten gewesen, im Jahr 2009 trotz der Risiken eine Schadensersatzklage gegen den Beklagten zu erheben.

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Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie vertritt die Auffassung, dass Schadensersatzansprüche gegen den Beklagten nicht verjährt seien, weil eine Kenntnis von einer Pflichtverletzung des Beklagten bei ihr erst mit Erlass des Urteils des Bundesfinanzhofs vom 25. April 2013 vorgelegen habe. Bis zu diesem Zeitpunkt habe sie davon ausgehen dürfen, dass der Beklagte seine vertraglichen Verpflichtungen ihr gegenüber erfüllt habe.

13

Eine Pflichtverletzung des Beklagten folge unabhängig von der seinerzeitigen juristischen Diskussion aus einer unmittelbaren Anwendung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/EG des Rates der Europäischen Union vom 28. November 2006. Der Beklagte, der ihr gegenüber zur Wahl des sichersten Weges verpflichtet gewesen sei, hätte dafür Sorge tragen müssen, dass sie gegen den Bescheid des Finanzamts vom 08. September 2006 Einspruch einlege, um wenigstens den Vorbehalt der Nachprüfung zu erhalten. Dann hätte sie das Einspruchsverfahren und erforderlichenfalls auch ein Klageverfahren erfolgreich zu Ende geführt.

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Die Klägerin beantragt,

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das Urteil des Landgerichts Halle vom 21. November 2014, Az.: 3 U 210/14, abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an sie 6.351,77 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12. Dezember 2013 sowie die durch die Inanspruchnahme des Rechtsanwalts O. K. aus H. entstandenen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 337,07 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem auf die Rechtshängigkeit folgenden Tag zu zahlen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

18

Er verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens.

19

Im Übrigen wird von der Darstellung des Sachverhalts gemäß § 540 Abs. 2 in Verb. Mit § 313 a Abs. 1 Satz 1 ZPO und § 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO Abstand genommen.

II.

20

Die gemäß § 511 Abs. 1 und 2 Nr. 1 ZPO statthafte und auch sonst formell zulässige, insbesondere form- und fristgerecht gemäß den §§ 517, 519, 520 ZPO eingelegte und begründete Berufung der Klägerin bleibt in der Sache, allerdings aus einem anderen Rechtsgrund als in der angefochtenen Entscheidung, im Ergebnis ohne Erfolg.

21

1. Der Beklagte ist nicht gemäß § 214 Abs. 1 BGB wegen Verjährungseintritts zur Verweigerung der Leistung berechtigt. Schadensersatzansprüche der Klägerin gegen den Beklagten wegen einer schuldhaften Verletzung des Steuerberatervertrages gemäß den §§ 280 Abs. 1, 675 BGB dadurch, dass er gegen den vom Finanzamt ... über die Festsetzung der Umsatzsteuer für das Jahr 2005 erlassenen Bescheid vom 08. September 2006 keinen Einspruch eingelegt hat bzw. der Klägerin nicht geraten hat, hiergegen einen Rechtsbehelf einzulegen, sind entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht verjährt.

22

Schadensersatzansprüche gegen Steuerberater verjähren gemäß den §§ 195, 199 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BGB in drei Jahren ab dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von der Person des Schuldners und von den den Anspruch begründenden Umständen Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.

23

Für den Fall der Rechtsberaterhaftung hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass eine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der den Anspruch begründenden Umstände nicht schon dann vorliegt, wenn dem Gläubiger Umstände bekannt werden, nach denen zu seinen Lasten ein Rechtsverlust eingetreten ist. Der in der Regel nicht fachkundige Mandant könne ähnlich wie der Patient, der Amtshaftungsgläubiger und der Anleger etwaige Fehlleistungen seines berufenen Fachmanns nicht erkennen (vgl. BGH, Urteil vom 06. Februar 2014, Az.: IX ZR 245/12, zitiert nach juris). Ebenso wie der ungünstige Ausgang eines Rechtsstreits in erster Instanz grundsätzlich noch nicht die erforderliche Kenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB vermitteln kann, erlangte die Klägerin alleine mit dem Erlass des Umsatzsteuerbescheids vom 08. September 2006 für das Jahr 2005 noch keine Kenntnis in diesem Sinn, solange sie nicht auch Kenntnis von solchen Tatsachen erlangte, aus denen sich für sie ergab, dass ihr Rechtsberater von dem üblichen rechtlichen Vorgehen abgewichen war oder Maßnahmen nicht eingeleitet hatte, die aus rechtlicher Sicht zur Vermeidung des Schadens indes erforderlich waren (vgl. BGH, Urteil vom 06. Februar 2014, a.a.O.).

24

Nach diesen Grundsätzen hatte die Klägerin erst ab der Verkündung des Urteils des Bundesfinanzhofs vom 25. April 2013, Az.: V R 7/11, über die Umsatzsteuerbefreiung von Leistungen eines Berufsbetreuers die erforderliche Kenntnis davon, dass ein Schaden in Höhe der Umsatzsteuerfestsetzung eingetreten war und dementsprechend eine Pflichtverletzung des Beklagten und ein daraus folgender Schadensersatzanspruch gegen ihn in Betracht kommt. Folgerichtig kann für die Zeit davor eine solche Kenntnis der Klägerin über den ihr entstandenen Schaden und die darauf beruhenden anspruchsbegründenden Umstände nicht angenommen werden.

25

Es kann für die Frage der Verjährung dahingestellt bleiben, ob eine Umsatzsteuerbefreiung für Berufsbetreuer ein seinerzeit in Fachkreisen, insbesondere in der steuerrechtlichen Literatur, kontrovers diskutiertes Problem gewesen ist. Falls dies so gewesen ist, hätte für die Klägerin alleine deswegen noch kein hinreichender Anlass bestanden, an der Richtigkeit der vom Beklagten ergriffenen Maßnahmen anlässlich der Umsatzsteuererklärung zu zweifeln. Unabhängig davon hatte selbst der Bundesfinanzhof in seinem Urteil vom 11. März 2009, Az.: XI R 68/06, noch ausgeführt, dass das von einem Berufsbetreuer in Rechnung gestellte Entgelt gemäß einem BMF-Schreiben in BStBl I 2000, 1251 mit Umsatzsteuer belastet werde.

26

War mithin Verjährungsbeginn der 31. Dezember 2013, ist die dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB mit der Klageerhebung durch Zustellung der Klageschrift am 24. Juli 2014 rechtzeitig gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB gehemmt worden.

27

2. Die angefochtene Entscheidung erweist sich aber aus einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt als im Ergebnis zutreffend. Der Klägerin stehen mit Blick auf die streitgegenständliche Umsatzsteuerjahreserklärung für das Jahr 2005 keine Schadensersatzansprüche wegen eines Beratungsfehlers des zwischen den Parteien geschlossenen Steuerberatervertrages gemäß den §§ 675 in Verb. mit § 280 Abs. 1 BGB gegen den Beklagten deswegen zu, weil er ihr nicht geraten hat, gegen den Umsatzsteuerbescheid des Finanzamtes ... vom 08. September 2006 Einspruch einzulegen. Denn im Jahr 2006 bestanden für den Beklagten noch keine Anhaltspunkte dafür, dass die von der Klägerin als Berufsbetreuerin erzielten Einkünfte infolge einer sich abzeichnenden Gemeinschaftswidrigkeit von § 4 Nr. 14 UStG in der bis zum 18. Dezember 2006 geltenden Gesetzesfassung, wonach Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Krankengymnast, Hebamme oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit steuerfrei sind, nicht der Umsatzsteuer unterliegen könnten.

28

Der um Rat ersuchte steuerliche Berater ist dem Mandanten gegenüber zu einer umfassenden und möglichst erschöpfenden Belehrung verpflichtet. Er hat ihm diejenigen Schritte anzuraten, die zu dem erstrebten Ziel zu führen geeignet sind, und Nachteile für den Auftraggeber zu verhindern, soweit solche vorhersehbar und vermeidbar sind. Dazu hat der Steuerberater dem Auftraggeber den relativ sichersten und ungefährlichsten Weg zu dem angestrebten steuerlichen Ziel aufzuzeigen und die für den Erfolg notwendigen Schritte vorzuschlagen, damit der Mandant eine sachgerechte Entscheidung treffen kann. Wegen der richtungsweisenden Bedeutung, die höchstrichterlichen Entscheidungen für die Rechtswirklichkeit zukommt, hat sich der Steuerberater bei der Wahrnehmung seines Mandats grundsätzlich an dieser Rechtsprechung auszurichten. Maßgeblich ist die jeweils aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung im Zeitpunkt seiner Inanspruchnahme. Hierbei darf der Berater in der Regel auf deren Fortbestand vertrauen, weil von einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung nur in Ausnahmefällen abgewichen zu werden pflegt. Entgegenstehende Judikatur von Instanzgerichten und vereinzelte Stimmen im Schrifttum verpflichten den Steuerberater regelmäßig nicht, bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben die abweichende Meinung zu berücksichtigen. Ebenso darf ein Steuerberater grundsätzlich auf die Verfassungsmäßigkeit des von der Steuerverwaltung angewendeten Steuergesetzes vertrauen. Eine Änderung der Rechtsprechung hat der Berater allerdings in Betracht zu ziehen, wenn ein oberstes Gericht darauf hinweist oder neue Entwicklungen in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft Auswirkungen auf eine ältere Rechtsprechung haben können und es zu einer bestimmten Frage an neueren höchstrichterlichen Entscheidungen fehlt. Eine Verpflichtung des Beraters, die Rechtsprechung der Instanzgerichte und das Schrifttum einschließlich der Aufsatzliteratur heranzuziehen, kann ausnahmsweise auch dann bestehen, wenn ein Rechtsgebiet aufgrund eindeutiger Umstände in der Entwicklung begriffen und (neue) höchstrichterliche Rechtsprechung zu erwarten ist (vgl. z. B. BGH, Urteil vom 19.03.2009, IX ZR 214/07; BGH, Urteil vom 6. November 2008 - IX ZR 140/07; BGH, Urteil vom 30. September 1993, Az.: IX ZR 211/92; OLG Celle, Urteil vom 23.02.2011, Az.: 3 U 174/10, jeweils zitiert nach juris).

29

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist nicht anzunehmen, dass der Beklagte im vorliegenden Fall seine ihm gegenüber der Klägerin obliegenden Beratungspflichten aus dem Steuerberatervertrag verletzt hat.

30

Der Beklagte hat die Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2005 im Jahr 2006, mithin fast sieben Jahre vor Erlass des Urteils des Bundesfinanzhofs vom 25. April 2013, Az.: V R 7/11, abgegeben, in dem dieser entschieden hat, dass ein Berufsbetreuer, der gemäß § 1896 BGB gerichtlich zur Erbringung von Betreuungsleistungen bestellt ist, als anerkannte Einrichtung im Sinne von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG und Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL handelt und sich für die Steuerfreiheit der aufgrund dieser Bestellung erbrachten Betreuungsleistungen auf das Unionsrecht berufen darf.

31

Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG (ab 2007 Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL 2006/112/EG) bestimmte:

32

Befreiungen bestimmter dem Gemeinwohl dienender Tätigkeiten: Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:

33

(…)

34

g) Die eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen der Altenheime, durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen.

35

Vom Zeitpunkt der Veröffentlichung der vorgenannten Entscheidung des Bundesfinanzhofs in den einschlägigen Fachzeitschriften an war der Beklagte auf jeden Fall verpflichtet, die Klägerin auf die Umsatzsteuerfreiheit ihrer beruflich erbrachten Betreuerleistungen hinzuweisen. Zu dieser Zeit war der Steuerberatervertrag zwischen den Parteien aber bereits beendet.

36

Für den hier allein interessierenden Zeitraum 2006 bestanden für den Beklagten aber keine von ihm als Steuerberater zu beachtenden Hinweise in Rechtssprechung und steuerrechtlicher Literatur, die ihn hätten veranlassen müssen, der Klägerin den Einspruch gegen den Umsatzsteuerbescheid des Finanzamtes ... vom 08. September 2006 anzuraten.

37

Der Bundesfinanzhof hatte zwar bereits mit Urteil vom 18. August 2005, AZ.: V R 71/03, entschieden, dass Umsätze aus Legasthenie-Behandlungen, die im Rahmen der Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII erbracht und gegenüber dem Träger für die betreffende Sozialleistung abgerechnet werden, nicht gemäß § 4 Nr. 14 UStG 1999 der Umsatzsteuer unterliegen. Hinweise auf eine generelle Unzulässigkeit der Besteuerung von Leistungen eines Berufsbetreuers über den vom Bundesfinanzhof beurteilten speziellen Fall von Umsätzen einer Legasthenie-Therapeutin für Behandlungen, die im Rahmen der Eingliederungshilfe erbracht und gegenüber dem Träger für die betreffende Sozialleistung abgerechnet werden, hinaus enthält diese Entscheidung nicht. Soweit der Bundesfinanzhof ausgesprochen hat, dass der Begriff Einrichtung in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG grundsätzlich weit genug gefasst sei, um auch private Einheiten mit Gewinnerzielungsabsicht zu erfassen, hat er gleichwohl einschränkend ausgeführt, dass die genannte Richtlinie den Mitgliedsstaaten ein Ermessen in der Frage einräume, ob sie bestimmten Einrichtungen sozialen Charakter zuerkennen, und dass der Einzelne die Eigenschaft einer Einrichtung mit sozialem Charakter nicht schon dadurch erlangen könne, dass er sich auf diese Bestimmung berufe, es vielmehr Sache der nationalen Behörden sei zu bestimmen, welche Einrichtungen als Einrichtungen mit sozialem Charakter im Sinne von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG anzuerkennen seien. Somit hat der Bundesfinanzhof lediglich eine auf den Fall einer Legasthenie-Behandlung durch einen Therapeuten, der seine Leistungen im Rahmen der Eingliederungshilfe nach § 35a SBG VIII erbracht hat, zugeschnittene Entscheidung zur Umsatzsteuerbefreiung getroffen. Die von der Klägerin herangezogene Anmerkung von Heidner (vgl. UR 2006, 170) enthält über die Erstreckung des in der EG- Richtlinie aufgeführten Begriffs der Einrichtung auch auf natürliche Personen durch den Bundesfinanzhof keine weiterführenden Hinweise darauf, dass auch Berufsberaterleistungen als umsatzsteuerfrei zu behandeln sind bzw. sein könnten. Dem Beklagten, der seine Tätigkeit für die Klägerin vorrangig an der höchstrichterlichen Rechtssprechung auszurichten hatte, kann somit allein auf der Grundlage der Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 18. August 2005 bezogen auf das Jahr 2006 keine Pflichtverletzung des Steuerberatervertrags mit der Klägerin deswegen vorgeworfen werden, dass er ihr keine Einspruchseinlegung gegen den Umsatzsteuerbescheid vom 08. September 2006 empfohlen hat.

38

Der Beklagte konnte aus der Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 18. August 2005 bezogen auf den Veranlagungszeitraum 2005 im Verlauf des Jahres 2006 auch keine in der Entwicklung begriffene höchstrichterliche Rechtsprechung ableiten, derzufolge in Zukunft, wie mit der Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 25. April 2013, Az.: V R 7/11, in der Folgezeit geschehen, auch Berufsbetreuer wahrscheinlich von der Umsatzsteuerpflicht befreit sein würden. Soweit der Bundesfinanzhof in der genannten Entscheidung eine unmittelbare Anwendung des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG als begünstigende Richtlinienbestimmung für eine Umsatzsteuerbefreiung, die im nationalen Recht noch nicht nachgezeichnet gewesen sei, bejaht, vermag dies eine Pflichtwidrigkeit des Beklagten ebenfalls nicht zu begründen, weil er mangels anderweitiger höchstrichterlicher Rechtssprechung - wiederum bezogen auf das Jahr 2006 - davon ausgehen durfte, dass der nationale deutsche Gesetzgeber die in Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG genannten Steuerbefreiungen durch Beibehalten der bereits bestehenden Befreiungstatbestände in § 4 UStG europarechtskonform umgesetzt hat.

39

Ob in den Folgejahren nach 2006 bis zur Beendigung des Mandatsverhältnisses zwischen den Parteien im Jahr 2009 in den einschlägigen Fachzeitschriften eine für den Beklagten ersichtliche Entwicklung der Instanzgerichte und der steuerrechtlichen Literatur mit der begründeten Erwartung einer Umsatzsteuerbefreiung auch für Berufsbetreuer eingesetzt hat, die nach der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 15. November 2012, Az.: C-174/11, schließlich vom Bundesfinanzhof mit Urteil vom 25. April 2013, Az.: V R 7/11, bejaht wurde, bedarf hier keiner Entscheidung, weil eine solche Entwicklung zeitlich nach dem Eintritt der Bestandskraft des Umsatzsteuerbescheids des Finanzamtes ... vom 08. September 2006 eingetreten wäre und daher keine rechtliche Bedeutung für eine Pflichtverletzung des Beklagten bis zu diesem Zeitpunkt hätte.

40

Wegen Fehlens einer objektiven Pflichtverletzung des Steuerberatervertrages durch den Beklagten im Jahr 2006 kann auch die bei unterstellter Pflichtverletzung zu prüfende haftungsbegründende Kausalität offen bleiben, die sich dann indes stellen würde, weil die steuerrechtliche Angelegenheit alleine mit der Einlegung eines Einspruchs gegen den Steuerbescheid vom 08. September 2006 aller Voraussicht nach nicht ihre Erledigung gefunden hätte. Denn nach der vom Finanzamt zu jener Zeit vertretenen Auffassung einer Umsatzsteuerpflicht von Berufsbetreuern wäre mit einer Zurückweisung eines Einspruchs zu rechnen gewesen, zumal das Finanzamt bereits vorher den Vorbehalt der Nachprüfung im Umsatzsteuerbescheid vom 08. September 2006 gemäß § 164 Abs. 3 AO zulässigerweise aufgehoben hatte und demgemäß eine Aufhebung oder Änderung der Steuerfestsetzung nach § 164 Abs. 2 AO nicht mehr in Betracht kam. Dann hätte sich die Klägerin zu einer kostenträchtigen Klageerhebung mit unbekanntem Ausgang entschließen müssen, wobei sie die Beweislast für einen für sie günstigen Prozessausgang zu tragen hätte.

III.

41

Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Klägerin vom 24. August 2015 berührt inhaltlich keine zusätzlichen entscheidungserheblichen Fragen oder Gesichtspunkte und bietet daher keinen Anlass, die mündliche Verhandlung gemäß § 156 Abs. 1 ZPO wiederzueröffnen.

IV.

42

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

43

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit dieses ebenso wie des erstinstanzlichen Urteils jeweils ohne Sicherheitsleistung entspricht den §§ 708 Nr. 10 Satz 1 und 2, 711 Satz 1, 713 ZPO in Verb. mit § 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO.

44

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO sind nicht ersichtlich. Weder kommt der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zu, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.


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