Urteil vom Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken - 4 U 479/10 - 148

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 21. September 2010 – 4 O 466/06 – wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 10.000 EUR festgesetzt.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Im vorliegenden Rechtsstreit nimmt die klagende Stadt den Beklagten als Eigentümer des Grundstücks in Leistungs- und Feststellungsantrag auf Durchführung von Abstützmaßnahmen in Anspruch, nachdem eine auf der rückwärtigen Seite seines Grundstücks befindliche Mauer teilweise eingestürzt war.

Das Grundstück des Beklagten grenzt an seiner Rückseite an einen Verbindungsweg, der die mit der Straße „“ verbindet. Dieser Verbindungsweg liegt ganz überwiegend auf der Wegeparzelle, die im Eigentum der Klägerin steht.

Das Grundstück des Beklagten wurde zu Anfang der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts bebaut. Eigentümer der zwischenzeitlich getrennten und heute im Eigentum des Beklagten einerseits und der Eheleute andererseits stehenden Grundstücke war seinerzeit, der Inhaber eines nahe gelegenen Steinmetzbetriebes war. Auf der rückwärtigen Seite der Gebäude in der und 23 ist eine einheitliche Stützmauer aus Natursteinen in einer Höhe von 6 bis 7 m errichtet, die sich in der Länge von der Grundstücksgrenze des Beklagten bis hin zum Anwesen der Eheleute auf deren Grundstück erstreckt. Diese Stützmauer überragte den Straßenkörper des darüber liegenden Verbindungsweges, der teilweise auf dem Grundstück des Beklagten liegt, um 0,5 m. Zu einem geringen Teil liegt die Stützmauer im Bereich des Grundstücks der Beklagten auch auf der Wegeparzelle, die im Eigentum der Klägerin steht.

Der Errichtungszeitpunkt der Mauer, der Grund für die Errichtung und der für die Errichtung der Stützmauer verantwortliche Bauherr sind zwischen den Parteien streitig. Wegen der Einzelheiten der örtlichen Gegebenheiten wird auf die Vermessungskarten GA I Bl. 6 und 40 sowie auf die Flurkarte GA I Bl. 7 verwiesen. Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass die Urfestigkeit des Verbindungsweges vor der Abtragung des Geländes auf dem Grundstück des Beklagten und der Eheleute M. und vor der Errichtung der Stützmauer für eine Last von 7,5 t ausreichend war.

Am 23.1.2003 brach der obere Teil der Stützmauer im Bereich sowohl des Grundstücks des Beklagten als auch im Bereich des Grundstücks der Eheleute ab und stürzte auf das Grundstück des Beklagten und das seiner Nachbarn. Daraufhin entfernte die Klägerin großflächig die Mauerkrone und einen Teil des Straßenkörpers. Zur Dokumentation dieses Schadensbildes wird auf GA I Bl. 42 (Foto Nr. 1), GA I Bl. 42 bis 44 (Fotos Nr. 2 – 4) verwiesen. Die Klägerin sperrte aus Sicherheitsgründen den Verbindungsweg und untersagte den öffentlichen Verkehr.

Mit Einschreiben vom 24.1.2005 forderte die Klägerin den Beklagten auf, die Stützmauer auf seinem Grundstück wieder ordnungsgemäß herzustellen, um ein Einstürzen des Verbindungsweges zu verhindern.

Die Klägerin hat behauptet, der Verbindungsweg existiere schon seit dem 19. Jahrhundert. Die damaligen Grundstückseigentümer hätten Abgrabungen vorgenommen, um ihre Grundstücke besser auszunutzen. In diesem Zusammenhang hätten sie auch, um den Verbindungswege zu stützen, die Stützmauer erstellt. Da diese Stützmauer nun aufgrund schlechter Instandhaltungsmaßnahmen einzustürzen drohe, müsse sie – so die Rechtsauffassung der Klägerin – von dem Beklagten und den Eheleuten, die von der Klägerin mit einer gleichartigen Klage unter dem Aktenzeichen 4 O 465/06 vor dem Landgericht in Saarbrücken in Anspruch genommen werden (das Verfahren ist derzeit gemäß § 240 ZPO unterbrochen), wieder errichtet werden.

Der Verbindungsweg könne theoretisch auch heute ohne die Stützmauer betrieben werden, wenn die ursprüngliche Böschung wiederhergestellt werden würde. Hierbei gingen allerdings der Hofraum und die Belichtung für das Anwesen des Beklagten verloren.

Soweit sich der Beklagte darauf berufe, dass der Schaden an der Mauer dadurch entstanden sei, dass der Weg anders als früher mit schweren Fahrzeugen befahren worden sei, treffe dies nicht zu. Dies sei schon aufgrund der örtlichen Gegebenheiten gar nicht möglich: Allein die Breite des Weges, der sich weiter nach oben noch verjünge, führe dazu, dass schwere Fahrzeuge dort überhaupt nicht fahren könnten. Es steht außer Streit, dass der in der Nähe befindliche Steinbruch schon seit Jahrzehnten nicht mehr betrieben wird.

Die Klägerin hat (zuletzt) beantragt,

dem Beklagten aufzuerlegen, auf seinem Grundstück Flur, Flurstück, eingetragen im Grundbuch von an der Grenze zu dem öffentlichen Weg der Klägerin Flur Abstütz- und Befestigungsmaßnahmen durchzuführen, die geeignet sind, den erforderlichen Erddruck des hinter der Mauer anstehenden Geländes und die auf dem Weg erforderlichen Verkehrslasten aufzunehmen und in den Untergrund abzuführen mit der Maßgabe, dass dieser Weg von Fahrzeugen bis 7,5 t befahren werden kann, somit eine Ersatzflächenzahl von fünf KN/m² oder eine Radlast von 15 KN gemäß DIN 1072 aufweist.

hilfsweise,

festzustellen, dass der Beklagte für den Zustand und die Erhaltung der Stützmauer verantwortlich ist, die sich auf dem Grundstück Flur 42, Flurstück 62/2, eingetragen im Grundbuch von an der Grenze zu dem öffentlichen Weg der Klägerin Flur befindet.

Dem ist der Beklagte entgegengetreten.

Der Beklagte hat zunächst die Unzulässigkeit des Rechtswegs gerügt und die Auffassung vertreten, dass es sich vorliegend um eine Streitigkeit handele, die dem öffentlichen Recht zuzuordnen sei, weil es um die ordnungsgemäße Nutzung einer dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Straße gehe, so dass die Klägerin auf dem Verwaltungsrechtsweg vorgehen müsse.

Der Klage fehle es darüber hinaus an einem Rechtsschutzbedürfnis, da die Klägerin weder dargelegt, noch unter Beweis gestellt habe, dass derzeit überhaupt eine Gefahr für ein weiteres Abbrechen beziehungsweise Einstürzen des Weges gegeben sei. Der jetzige Zustand bestehe unverändert bereits seit mehr als vier Jahren fort.

Der Beklagte hat die Umstände hinsichtlich der Errichtung des Hauses bestritten und behauptet, es sei davon auszugehen, dass die Stützmauer zum Zeitpunkt der Errichtung seines Hauses bereits vorhanden gewesen sei. Hierfür spreche zum einen, dass die Baugenehmigung zur Errichtung seines Hauses nicht mit einer Auflage zur Errichtung der Stützmauer versehen worden sei. Zum andern mache die Anordnung der Fenster nach hinten im Bauplan nur Sinn, wenn die Stützmauer zum Zeitpunkt der Errichtung des Hauses bereits vorhanden gewesen sei. Es liege deshalb nahe, dass die Stützmauer von der Klägerin selbst errichtet worden sei, weil – dies ist unstreitig – auch die Stützmauer, die sich auf der gegenüber liegenden, bergseits gelegenen Seite des Weges befinde, die gleiche optische Ausgestaltung zeige wie die Stützmauer auf dem Grundstück des Beklagten. Die Stützmauer sei von der Klägerin errichtet worden, bevor sie die an der Örtlichkeit vorzufindenden Bauplätze verkauft habe, um dort eine Bebauung überhaupt erst zu ermöglichen. Hierzu habe ein Teil der geologischen Felsformation weggesprengt werden müssen. Die Stützmauer sei deshalb errichtet worden, um ein Absinken der darüber liegenden Straße aufgrund der fehlenden stützenden Felsformation zu verhindern.

Der Einsturz der Mauer sei auf eine übermäßige Benutzung des Weges zurückzuführen und damit von der Klägerin selbst verursacht worden: Ursprünglich sei der Weg nur für Pferdefuhrwerke mit einem Gewicht von 0,5 bis 1,5 t bestimmt gewesen. Später sei bis in das Jahr 1960 Schwerlastverkehr zwischen 3,5 und 7,5 t zum Steinbruch über diesen Weg geführt worden. Wegen dieser geänderten intensiveren Nutzung sei es Sache der Klägerin gewesen, für die Herstellung eines verbesserten Straßenkörpers und insoweit auch für eine Verstärkung der Stützmauer zu sorgen. Die Klägerin habe eine Verstärkung der Straße und der Mauer wegen der geänderten Nutzung nicht veranlasst, sondern die Nutzung einfach weiterlaufen lassen, bis der jetzige Schaden entstanden sei. Durch die Nutzung eines Teils des Grundstücks des Beklagten als öffentlicher Weg und die dadurch bedingte erhöhte Inanspruchnahme der Mauer als Stütze für die Fahrbahn habe die Mauer einen Schaden erlitten. Hierin sei ein enteignungsgleicher Eingriff zu sehen.

Im Januar 2003 sei lediglich ein Teil der Stützmauer ausgebrochen, nicht hingegen eingestürzt. Der Straßenkörper, die Mauerkrone und die Brüstung seien noch intakt gewesen. Erst durch das anschließende Verhalten der Klägerin habe sich dies geändert. Erst nachdem seitens der Klägerin Mauerkrone und Brüstung abgetragen worden seien, habe die Erosion einsetzen können, so dass das jetzige Schadensbild eingetreten sei. Auf Grund des Abtragens der Mauerkrone und der Brüstung habe die Klägerin in die Statik sowohl der Mauer als auch des Straßenkörpers dramatisch eingegriffen.

Schließlich hat der Beklagte die Auffassung vertreten, dass die Stützmauer zur Straße gehöre. Dies folge auch daraus, dass die Klägerin unstreitig den Verbindungsweg nach Errichtung der Stützmauer geändert habe. Spätestens nachdem die Klägerin die Straße bis hin auf das Grundstück des Beklagten asphaltiert habe, sei die Benutzung der Straße ohne die Mauer nicht mehr denkbar gewesen, da der Straße ohne Mauer der seitliche Halt gefehlt habe.

Das Landgericht hat den ordentlichen Rechtsweg für eröffnet erachtet und die Klage abgewiesen. Auf den Inhalt angefochtenen Entscheidung wird auch hinsichtlich der darin enthaltenen Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.

Mit ihrer hiergegen gerichteten Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Klagebegehren in vollem Umfang weiter.

Die Berufung der Klägerin wendet sich zunächst gegen die Feststellungen des Landgerichts, wonach es nach Durchführung der Beweisaufnahme offen geblieben sei, wer die Mauer wann errichtet habe. Vielmehr stehe bei richtiger Würdigung aller Umstände eindeutig fest, dass die Mauer von den Voreigentümern des Beklagten mindestens 30 Jahre nach der Existenz des Verbindungsweges auf deren Grundstück errichtet worden sei, um ein Abrutschen des Geländes nach der vorgenommenen Abgrabung zu verhindern. Im Einzelnen trägt die Klägerin vor:

Auch nach der Überzeugung des Landgerichts stehe fest, dass der Verbindungsweg vor der Bebauung des Grundstücks vorhanden gewesen sei. Dies ergebe sich aus den entsprechenden Karten aus den Jahren 1849 und 1870. Ebenso stehe fest, dass die Baumaßnahme auf dem Grundstück des Beklagten im Jahr 1903 erfolgt sei, also Jahrzehnte nach der Errichtung des Weges. Aus den vorgelegten Karten könne ersehen werden, dass das Gelände gleichmäßig abschüssig gewesen sei, so dass talseitig keine Stützmauer benötigt worden sei, wenn man unterstelle, dass der Weg vor der Abgrabung des Geländes angelegt worden sei.

Der Beklagte begebe sich in das Reich der Spekulation, wenn er vortrage, die Klägerin habe die Stützmauer errichtet, bevor sie die Bauplätze verkauft habe, um dort eine Bebauung zu ermöglichen. Für eine derartige Maßnahme habe weder eine Veranlassung bestanden, noch hätte dies für die Klägerin einen Sinn ergeben. Die Kosten für eine Sprengung und die Errichtung einer Stützmauer hätten den Grundstückspreis bei weitem überschritten. Andererseits hätten die Vorfahren des Beklagten als Steinbruchbesitzer die Möglichkeiten und Mittel besessen, sich das Grundstück bauordnungsgerecht herzurichten.

Ferner bezieht sich die Klägerin auf einen am 23.2.1903 erteilten Bauerlaubnisschein zur Errichtung einer auf der Parzelle 446/60 errichteten Stützmauer (GA III Bl. 447 f.).

Schließlich tritt die Klägerin der Rechtsauffassung des Landgerichts entgegen, wonach die Mauer Straßenbestandteil geworden sei. Die Mauer sei nur deswegen notwendig geworden, weil die jeweiligen Eigentümer unterhalb des Verbindungsweges abgegraben hätten, um Raum für ihre Gebäude zu schaffen. Der Verbindungsweg könne bei unverändertem Gelände auch ohne Stützmauer existieren. Die Abstützung diene einzig und allein den jeweiligen Grundstückseigentümern.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Saarbrücken vom 21.9.2010 – 4 O 466/06 – nach Maßgabe der zuletzt gestellten erstinstanzlichen Anträge zu erkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Berufungsbegründung vom 23.11.2010 (GA III Bl. 464 ff.), der Berufungserwiderung vom 29.12.2010 (GA III Bl. 490 ff.), auf die Schriftsätze der Klägervertreter vom 3.3.2010 (GA III Bl. 503 ff.) und 5.5.2011 (GA III Bl. 512 ff.) sowie auf die Schriftsätze der Beklagtenvertreter vom 3.1.2011 (GA III Bl. 501 ff.), 31.3.2011 (GA III Bl. 509 ff.) und 30.5.2011 (GA III Bl. 518 ff.) Bezug genommen. Hinsichtlich des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 13.9.2011 (GA III Bl. 524 ff.) verwiesen.

II.

A.

Die Berufung ist mangels Einhaltung des Begründungserfordernisses unzulässig, soweit die Klägerin den Hilfsantrag aufrechterhält (1.). Hinsichtlich des Hauptantrags ist die Berufung nicht begründet, da die angefochtene Entscheidung weder auf einem Rechtsfehler beruht, noch die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§ 513 Abs. 1 ZPO). Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch auf Wiederherstellung der vor dem teilweise erfolgten Einsturz der Mauer bestehenden Festigkeit der Stützmauer nicht zu, da auch im Berufungsrechtszug die Urheberschaft der Vertiefung nicht feststeht (3.).

1. Hinsichtlich des Hilfsantrags war die Berufung gem. § 520 Abs. 1, 3, § 522 Abs. 1 S. 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen, da die Berufung hinsichtlich der Abweisung des Hilfsantrags nicht begründet wurde:

a) Gem. § 520 Abs. 1 ZPO muss der Berufungskläger die Berufung begründen. Hat das angefochtene Urteil einen teilbaren oder mehrere Streitgegen-stände beschieden, so muss sich die Berufungsbegründung auf alle Streitgegenstände beziehen, wenn der Berufungsführer das Urteil insgesamt anfechten will. Fehlt es hinsichtlich eines selbständigen prozessualen Anspruchs an einer den Anforderungen des § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 und 2 ZPO entsprechenden Begründung, so ist die Berufung insoweit als unzulässig zu verwerfen (BGH, Urt. v. 26.1.2006 – I ZR 121/03, NJW-RR 2006, 1044; vgl. Urt. 27.1.1994 – I ZR 326/91, GRUR 1995, 693, 695; Urt. 22.1.1998 – I ZR 177/95, GRUR 1998, 587, 588; Zöller/Heßler, ZPO, 28. Aufl., § 520 Rdnr. 37; P/G/Lemke, ZPO, 3. Auflage, § 520 Rdnr. 32).

b) Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung hinsichtlich des Hilfsantrags nicht gerecht: Der Hilfsantrag stellt bereits mit Blick auf die Antragstellung einen selbständigen prozessualen Anspruch dar. Auf diesen Hilfsanspruch hat das Landgericht nicht erkannt, weil der Hilfsantrag im wohlverstandenen Interesse der Klägerin so auszulegen sei, dass der Antrag nur für den Fall der nicht hinreichenden Bestimmtheit des Hauptantrags gestellt sein solle. Dagegen wendet sich die Berufung nicht. Vielmehr greift die Berufungsbegründung zum einen die erstinstanzliche Beweiswürdigung hinsichtlich der Frage an, wer die Terrassierung des Grundstücks vorgenommen und die Stützmauern errichtete. Zum andern rügt die Berufungsbegründung Rechtsfehler, soweit das Landgericht die Mauer als straßenrechtlichen Bestandteil i.S.v. des § 9 SStrG angesehen hat. Beide rechtlichen Aspekte betreffen lediglich die Abweisung des Hauptantrags.

2. Die Prüfung der im ersten Rechtszug bestrittenen Zulässigkeit des ordentlichen Rechtswegs ist dem Berufungsgericht entzogen (§ 17a Abs. 5 GVG). Dessen ungeachtet lässt die angefochtene Entscheidung keinen Rechtsfehler erkennen: Gemäß § 13 GVG gehören vor die ordentlichen Gerichte alle bürgerlichrechtlich Rechtsstreitigkeiten, für die nicht entweder die Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsgerichten begründet ist oder aufgrund von Vorschriften des Bundesrechts besondere Gerichte bestellt oder zugelassen sind. Hierbei ist die Rechtslage nach der Natur des Rechtsverhältnisses abzugrenzen, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird (BGHZ 97, 312, 313 f.; Zöller/Lückemann, aaO., § 13 GVG Rdnr. 4). Aus den zutreffenden Erwägungen des Landgerichts prägen die zivilrechtlichen Anspruchsgrundlagen den klagerelevanten Sachverhalt, weshalb der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet ist.

2. Im Mittelpunkt der Rechtsanwendung steht die Vorschrift des § 909 BGB.

a) Demnach darf ein Grundstück nicht in der Weise vertieft werden, dass der Boden des Nachbargrundstücks die erforderliche Stütze verliert, es sei denn, dass für eine genügende anderweitige Befestigung gesorgt wird. Die Vorschrift enthält keine Anspruchsgrundlage, sondern formuliert ein Verbot, welches nach Maßgabe des § 1004 Abs. 1 BGB (BGHZ 85, 375, 384), des § 862 Abs. 1 BGB (BGHZ 147, 45, 51) oder nach § 823 Abs. 2 BGB (BGH, Urt. v. 15.2.2008 – V ZR 17/07, MDR 2008, 559; Urt. v. 12.7.1996 – V ZR 280/94, NJW 1996, 3205, 3206) durchzusetzen ist (siehe auch Lemke, in: P/W/W, BGB, 4. Aufl., § 909 Rdnr. 8). Hierbei gewährt § 1004 Abs. 1 BGB nach erfolgter Vertiefung dem Eigentümer des beeinträchtigten Grundstücks gegen den jeweiligen Eigentümer des vertieften Grundstücks einen auf Wiederherstellung der Festigkeit des Nachbargrundstücks gerichteten Beseitigungsanspruch: Da der aktuelle Eigentümer mit seinem Untätigbleiben den gefährlichen Zustand aufrechterhält und er hierdurch von neuem gegen das Verbot des § 909 BGB verstößt, reicht es für die Anerkennung des Beseitigungsanspruchs aus, wenn der Rechtsvorgänger des derzeitigen Eigentümers die Vertiefung vornahm (st. Rspr. seit RGZ 103, 174; vgl. BGH, Urt. v. 3.5.1968 – V ZR 229/64; NJW 1968, 1327, 1328; Staudinger/Roth, BGB, Neubearbeitung 2009, § 909 Rdnr. 42; Lemke, aaO, Rdnr. 28; MünchKomm(BGB)/Säcker, 5. Aufl., § 909 Rdnr. 20; Soergel/Baur, BGB, 13. Aufl., § 909 Rdnr. 7). Bereits aus der Wortfassung des Verbots wird deutlich, dass sich das Verbot nicht gegen den Eigentümer des beeinträchtigten Grundstücks richtet. Folglich scheidet der Beseitigungsanspruch aus, wenn der Eigentümer des beeinträchtigten Grundstücks selber die Vertiefung und die Abstützung veranlasste (BGHZ 103, 39, 42; 91, 282, 285; Staudinger/Roth, aaO, § 909 Rdnr. 35; Erman/Lorenz, 12. Aufl., § 909 Rdnr. 5; Bamberger/Roth/Fritsche, BGB, 2. Aufl., § 909 Rdnr. 27). In diesem Fall kann der Eigentümer des beeinträchtigten Grundstücks den jeweiligen Eigentümer des vertieften Grundstücks auch dann nicht auf Wiederherstellung einer hinreichenden Abstützung in Anspruch nehmen, wenn die zur Abstützung errichtete Anlage ihre Festigkeit verliert.

b) Diese Rechtsgrundsätze zwingen dazu, dem aus § 909 BGB Ansprüche herleitenden Kläger die Darlegungs- und Beweislast dafür aufzuerlegen, dass der in Anspruch genommene Beklagte oder sein Rechtsvorgänger das Grundstück vertieften:

Nicht allein die Tatsache einer Grundstücksvertiefung löst Ansprüche nach Maßgabe des § 909 BGB aus. Vielmehr setzt der Anspruch aus § 1004 Abs. 1 i.V.m. § 909 BGB voraus, dass das Grundstück zu Lasten des Nachbargrundstücks von einem Störer vertieft wird, der das Eigentum des Nachbarn beeinträchtigt (BGHZ 91, 285). Demnach gehört die Störereigenschaft des Vertiefenden zu den rechtsbegründenden Tatbestandsmerkmalen, für die der Anspruchsteller nach anerkannten Grundsätzen (statt aller vgl. nur: BGH, Urt. v. 14.1.1991 – II ZR 190/89, NJW 1991, 1052; Zöller/Greger, aaO., vor § 284 Rdnr. 17a; P/G/Laumen, aaO, § 286 Rdnr. 59; Musielak/Foerste, ZPO, 8. Aufl., § 286 Rdnr. 35) die Darlegungs- und Beweislast trägt.

Zum Nachweis ist das strenge Beweismaß des § 286 ZPO einzuhalten.

Gemäß § 286 Abs. 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht für wahr zu erachten ist. Dieses Beweismaß ist nicht bereits dann erreicht, wenn die zu beweisende Tatsache hinreichend plausibel oder gar in einem naturwissenschaftlich-mathematischen Sinn „mit an Sicherheit grenzend“ überwiegend wahrscheinlich ist. Vielmehr muss der Richter die volle Überzeugung von der Wahrheit der zu beweisenden Tatsache gewinnen. Andererseits darf der Richter nicht die absolute Wahrheit zur Voraussetzung seiner Entscheidungsfindung machen (vgl. Katzenmeier ZZP 117, 195 f., 201 f.). Entscheidend ist vielmehr die subjektive Überzeugung des Richters, die keine absolute, über jeden denkbaren Zweifel erhabene Gewissheit verlangt. Der Richter darf und muss sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGHZ 53, 254, 256; 61, 165, 169 f.; Zöller/Greger, aaO, § 286 Rdnr. 19; Musielak/Foerste, aaO., § 286 Rdnr. 18 f.; P/G/Laumen, aaO, § 286 Rdnr. 3).

c) Angewandt auf den zur Entscheidung stehenden Rechtsstreit obliegt der Klägerin die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Rechtsvorgänger des Beklagten das Grundstück vertieften und dass der Boden im Bereich der heutigen Wegeparzelle dadurch die erforderliche Stütze verlor.

Diesen Beweis hat Landgericht nicht als geführt erachtet: Nach Durchführung der Beweisaufnahme stehe nicht fest, dass im Zuge der Bebauung der Grundstücke von den damaligen Grundstückseigentümern Abgrabungen vorgenommen worden seien, die den Bau einer Stützmauer bedingt hätten. Der Zeitpunkt der Errichtung der Mauer stehe nicht fest. Auch habe der Sachverständige nicht feststellen können, ob die Straße bereits vor der Grundstücksterrassierung existiert habe. Vielmehr könne lediglich der verlässliche Schluss gezogen werden, dass der Verbindungsweg bereits vor der Bebauung des Grundstücks des Beklagten vorhanden gewesen sei.

An diese Tatsachenfeststellungen ist der Senat im eingeschränkten Prüfungsmaßstab des § 529 ZPO gebunden. Auch unter Einbeziehung der im Berufungsrechtszug ergänzend vorgetragenen Aspekte kann der Senat die erforderliche sichere Überzeugung davon nicht gewinnen, dass es die Rechtsvorgänger des Beklagten waren, die das Grundstück des Beklagten in der Weise vertieften, dass der Boden des Nachbargrundstücks im Bereich der Wegeparzelle seine Festigkeit verlor.

aa) So erlauben die im Berufungsrechtszug vorgelegten Unterlagen keinen sicheren Schluss, wann die Terrassierung im Bereich des Beklagtengrundstücks (im Folgenden: untere Terrassierung) erfolgte. Im Lageplan vom 28.9.1901 (K 2; GA III Bl. 475) ist der geplante Neubau des Anwesens des Beklagten (Bauherr Carl Reinshagen) eingezeichnet. Der Lageplan zeigt, dass der Weg zu diesem Zeitpunkt bereits existierte. Allerdings ist aus dem Lageplan nicht zu ersehen, ob die untere Terrassierung bereits geschehen war. Nichts anderes folgt aus dem als Anlage K 6 vorgelegten Lageplan (GA III Bl. 506). Auch in diesem Lageplan fehlen die erforderlichen Höhenangaben zur Topographie des Grundstücks.

bb) Ebenso bleibt der Zeitpunkt der Errichtung der Stützmauer im fraglichen Grundstücksbereich im Dunkeln: Aus den Anlagen K 4 und 5 (GA III Bl. 477, 478) ist zu ersehen, dass der Nachbar H. im Jahre 1903 eine Bauerlaubnis für die Errichtung einer Stützmauer erhielt. Diese Stützmauer betrifft nicht den streitgegenständlichen Teil der Mauer. Dass der Voreigentümer des Beklagten im Zuge der von ihm errichteten Baumaßnahme gleichfalls um eine Baugenehmigung zur Errichtung einer Stützmauer nachgesucht hätte, ist nicht aktenkundig. Mit Plausibilität weist der Beklagte darauf hin, dass sein Rechtsvorgänger – die Richtigkeit des Klägervortrags zum Zeitpunkt der Mauererrichtung unterstellt – die Mauer ohne erforderliche Baugenehmigung als Schwarzbau errichtet hätte. Mithin wäre zu erwarten, dass sich in den städtischen Archiven Anhaltspunkte für ein Einschreiten gegen diesen Schwarzbau finden. Auch dies ist jedoch nicht aktenkundig belegt. Dies stützt den Vortrag, dass die Mauer zum Zeitpunkt der Beantragung der Baugenehmigung durch den Rechtsvorgänger des Beklagten bereits stand.

Indessen ist das Fehlen jeder Dokumentation ein nicht unwesentliches Beweisanzeichen für den Sachvortrag des Beklagen: Eine Dokumentation über die Errichtung der Mauer oder die Durchführung einer Terrassierung war entbehrlich, wenn die Baumaßnahmen im Zuge der Anlage des Verbindungsweges von der Klägerin selbst veranlasst wurden.

cc) Demnach verbleibt als Indiz für den Sachvortrag der Klägerin, wonach die untere Terrassierung und die Errichtung der Stützmauer durch den Rechtsvorgänger des Beklagten erfolgt seien, dass die Klägerin nach dem Sachvortrag im Schriftsatz vom 3.3.2011 zu keinem Zeitpunkt Eigentümerin des Grundstücks gewesen sei. In den Vermessungsunterlagen aus dem Jahr 1847 „tauche bei der Urvermessung ein Ludwig P. als Eigentümer auf“. Wenngleich es – dies ist der Berufung zuzugestehen – im Allgemeinen der Lebenserfahrung widersprechen dürfte, dass ein Dritter Abgrabungen und Stützmauern auf einem fremden Grundstück errichtet, erlaubt dieser Erfahrungssatz in der Zusammenschau aller beweisrelevanten Umstände keinen zwingenden Rückschluss auf das im zur Entscheidung stehenden Sachverhalt maßgebliche Geschehen:

aaa) Es ist in Betracht zu ziehen, dass die untere Terrassierung zumindest im Bereich des Beklagtengrundstücks zeitgleich mit der Anlage des Weges geschah: Der genaue Zuschnitt der Terrassierung und der Verlauf des Urgeländes sind nicht bekannt. So weist der Sachverständige Isstas in seinem Ergänzungsgutachten exponiert darauf hin, dass er seine Aussagen zur Terrassierung und zur Notwendigkeit, die Straße abzusichern, als „Vermutungen“ verstanden wissen will, „die er auf Basis einer Vielzahl ähnlicher Begutachtungen“ (GA II Bl. 259) angestellt habe. Mithin besitzt die als Anlage 2 zum Ergänzungsgutachten vorgelegte Skizze (GA II Bl. 271), die ausdrücklich verdeutlicht, dass der Verlauf des Urgeländes auf einer „Annahme“ beruht, nicht den eindeutigen Beweiswert, wie ihn die Berufung den Ausführungen des Sachverständigen beimessen will. Wenngleich der Sachverständige die Notwendigkeit einer talseitigen Stützmauer bei Anlage des Weges nicht als zwingend erachtet hat, liegt es nicht fern, dass der Verlauf des Urgeländes bei Anlage des Weges für die Klägerin Veranlassung war, gegebenenfalls unter Angleichung des Geländeverlaufs zumindest im fraglichen Bereich dem Weg durch die Errichtung einer talseitigen Stützmauer Halt zu verleihen. Dafür spricht die vom Landgericht im Berufungsrechtzug unwidersprochen festgestellte Tatsache, dass sich die talseits und bergseits vorhandenen Mauern, an deren Errichtung die Rechtsvorgänger des Beklagten kein nachvollziehbares Interesse haben konnten, in dem hier fraglichen Bereich stark ähneln (siehe Lichtbild GA I Bl. 199). Dieser Beweiswert, der nicht nur für eine zeitgleiche Errichtung der Mauern spricht, sondern es zugleich nahe legt, dass beide Mauern vom selben Bauherrn errichtet wurden, wird im Berufungsrechtszug nicht relativiert.

bbb) Auch das Argument, dass die Klägerin kein nachvollziehbares Interesse besessen hätte, das in fremdem Eigentum stehende Gelände zu terrassieren, ist nicht zwingend. Weder der genaue Verlauf des Urgeländes, der Zeitpunkt der Errichtung des Weges, der Zeitpunkt der Terrassierung, deren Umfang und die damit verbundenen Kosten sind bekannt. Die gehört zum Kernbereich der Stadt, weshalb die Klägerin auch in historischer Zeit ein städtebauliches Interesse an der Bebauung des fraglichen Straßenbereichs besessen haben mochte. In Anbetracht dessen ist nicht zweifelsfrei auszuschließen, dass die Klägerin - aus welchen Gründen auch immer – Veranlasserin der unteren Terrassierung war.

Es bleibt anzumerken, dass sich der Berufungsvortrag zur Eigentumslage auf die Zeit bis ins Jahr 1847 beschränkt. Es bleibt unklar, wie sich die Eigentumslage am Grundstück vor der Urvermessung im Jahr 1847 darstellte.

dd) Letztlich ist auch das Argument, es erscheine lebensfremd, dass sich der Nachbar H. darauf eingelassen hätte, im Jahr 1903 auf eigene Kosten eine Stützmauer zu errichten, wenn er gewusst hätte, dass die im Bereich des Beklagtengrundstücks vorhandene Mauer von der Klägerin errichtet worden sei, nicht stichhaltig: Der Antrag des Nachbarn belegt allenfalls, dass die zur Abstützung des Weges errichteten Stützmauern nicht zeitgleich errichtet wurden.

3. Unterliegt die Klage bereits deshalb der Abweisung, weil die Klägerin die Voraussetzungen des § 909 BGB nicht beweisen kann, bedarf die Rechtsfrage, ob der Anspruch gem. § 9 SStrG ausgeschlossen ist, weil die Mauer i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 2 SStrG Straßenbestandteil wurde, im vorliegenden Rechtsstreit keiner Entscheidung.

B.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, § 713 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung besitzt und weder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung noch die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).

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