Urteil vom Verwaltungsgericht Mainz (1. Kammer) - 1 K 710/15.MZ

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Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Rücknahme einer FSK-Freigabe „Freigegeben ab 12 (zwölf) Jahren“ eines von ihr vertriebenen Bildträgers (DVD).

2

Die Klägerin ist ein Tonträgerunternehmen und Inhaberin der Vertriebsrechte des Tonträgers „Vile“ (CD) und des Bild-/Tonträgers (DVD) „Vile-Live“ der Musikgruppe C.. Die Gruppe C. ist eine US-amerikanische Death-Metal-Band. Kennzeichnend für das Musikgenre Death-Metal sind martialische Melodien, tiefe Töne und schnelle Rhythmen. Der Gesang ist guttural – also aus der Kehle gesungen – und wird als „Growling“ oder auch „Grunt“ bezeichnet. Inhaltlich befassen sich die Liedtexte mit Themen wie Tod, Krankheit, Krieg, Folter und Horror.

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Bei der DVD „Vile-Live“ handelt es sich um eine Bonus-DVD zu dem Musikalbum „Vile – 25th Anniversary Edition“. Die DVD enthält eine Aufzeichnung des Livekonzerts „Live at the Berkeley Square“, das die C. am 3. und 4. Februar 1997 aufführten. Bei diesen Konzertauftritten führten die C. unter anderem die Lieder „Devoured by Vermin“, „Mummified in Barbed Wire“, „Bloodlands“, „Puncture Wound Massacre“, „Covered with Sores“, „Addicted to Vaginal Skin“, „Gutted“, „Shredded Humans“, „A Skull full of Maggots“ und „Hammer Smashed Face“ auf.

4

Der Titel „Shredded Humans“ beschreibt, wie ein Autofahrer mit seinem Fahrzeug in ein anderes rast und dessen Insassen – eine Familie – zu Tode kommt. In ihm heißt es auszugsweise:

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„[…] the father of three was impaled on the wheel, as his skull became part of the dash, his eyeballs ejected […] he saw his own organs collapse, his seatbelt was useless for holding him back, it simply cut him in two legs were crushed, out leaked pus as his spinal cord took off an flew, the mother took flight through the glass, and ended up impaled on a sign, her intestines stretched from the car, down the road for a quarter of a mile […] little children fly, not a chance to wonder why, smashed against the ceiling, all their skin burning and peeling […] laughing at the mess, a pile of meat on the street, one child left slowly dying now, arteries gushing blood, now it’s time to feed on flesh, the gore has just begun […]“.

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Der Titel „A Skull Full Of Maggots“ beschreibt die Verwesung einer Leiche auszugsweise wie folgt:

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„Puss through your veins takes the place of blood, decay sets in, bones begin to crack, thrown six feet down left to rot, brains oozing black down the side of your broken neck […] they enter your tomb maggots beginning to feast, maggots, crawling on you maggots now they eat you maggots, rotting maggots maggots, infesting your corps, maggots, parasites of the dead maggots now dwell in your head […]“.

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„Hammer Smashed Face“ handelt davon, dass jemand aus Lust am Töten und um seinen Ärger abzubauen den Kopf eines anderen mit einem Vorschlaghammer einschlägt. Auszugsweise heißt es:

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„[…] I feel like killing you, let lose the anger, held back to long […] brutality now becomes my appetite, violence is now a way of life, the sledge my tool to torture, as it pounds down on your face, eyes bulging from their sockets, with every swing of my mallet, I smash your fucking head in, until brains seep in, through the cracks, blood does leak […] I’ll see you die at my feet, eternally I smash your face, facial bones collapse as I crack your skull in half […] I rip out the eyes, squeezing them in my hands nerves are incised […] I feel free to kill as I please, no one can stop me, created to kill […]“.

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In dem Titel „Gutted“ wird beschrieben, wie ein Kind grausam getötet wird. Es heißt dort unter anderem:

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„[…] unsuspecting slowly dying, as his knife invades, the child, screams of pain, no one hears, blood splotches now appear, ecstasy through each cut, now the body twitches the gutted, little torso ready to be cooked […] between killings ejaculation, cut off appendages of former victims, sexual violence satisfaction […] plunging his fist down the throat, ripping out the guts, internal extraction, the entire body bleeding […]“.

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In dem Titel „Covered With Sores“ heißt es auszugsweise:

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„the mutilated bodies I leave rotting, after I have fucked them with my knife […] spewing pus on rotted skin, I celebrate my cruelty […] I rape the dying, horrific sights now manifest, penetrating inner organs […] split wide open, bloated organs burst, nerves uprooted, re-opening healed wounds […]“.

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Hinsichtlich der Texte der übrigen auf der DVD enthaltenen Musiktitel wird auf die Entscheidung der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (nachfolgend auch BPjM) Nr. 12118 (V) vom 14. September 2015, bekannt gemacht im Bundesanzeiger AT vom 30. September 2015, verwiesen.

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Das Amtsgericht Stuttgart ordnete mit Beschluss vom 3. März 1994, Az.: b 27 gs 11012/94, gemäß §§ 111b, 111c, 111m, 111n StPO, 74d StGB die allgemeine Beschlagnahme des Tonträgers „Butchered at Birth“ an, auf dem unter anderem auch die auf der DVD „Vile-Live“ enthaltenen Lieder „Covered with Sores“ und „Gutted“ enthalten waren. Das Gericht begründete die Beschlagnahme damit, dass die auf den Tonträgern aufgezeichneten Liedtexte gegen §§ 131 Abs. 1, 184 Abs. 3, 11 Abs. 3 StGB verstoßen würden. Die in englischer Sprache gesungenen Texte würden ausschließlich von brutalen, grausamen und geschmacklosen Gewalt- und Tötungsszenen leben. Einzelne Liedtexte würden darüber hinaus in grober und aufreisserischer Wiedergabe des sexuellen Vorgangs den Geschlechtsverkehr mit währenddessen oder danach grausam zu Tode gebrachten Opfern enthalten. Die Darstellung exzessiver Gewalt und Grausamkeit werde zum Selbstzweck erhoben. Die Textinhalte würden in der schwelgerischen Aneinanderreihung von grausamen Folter- und Mordszenen verharren, die einschließlich der sexuellen Szenenfolge, beim Zuhörer sadomasochistische Gefühle und Begierden wecken sollten.

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Zudem nahm die Bundprüfstelle für jugendgefährdende Medien in der Vergangenheit mehrere Tonträger der C. in die Liste jugendgefährdender Medien auf, die ebenfalls Lieder enthielten, die auch auf der DVD „Vile-Live“ gespielt werden. Mit Entscheidung Nr. 4866 (V) vom 22. August 1995, bekannt gemacht im Bundesanzeiger Nr. 164 vom 31. August 1995, beschloss die BPjM die Aufnahme der CD „Eaten Back to Life“. Auf dieser waren unter anderem die auf der DVD „Vile-Live“ gespielten Lieder „Shredded Humans“ und „A Skull full of Maggots“ enthalten. Ihre Entscheidung begründete die BPjM damit, dass der Inhalt der CD geeignet sei, Kinder und Jugendliche sozialethisch zu desorientieren. Die CD bestehe im Wesentlichen aus der Beschreibung diverser Tötungs- und Leichenfledderungsszenen, die genüsslich ausgemalt und in allen Einzelheiten präsentiert würden. Dem Jugendschutz sei im Einzelfall der Vorrang vor der Kunstfreiheit einzuräumen, da sich jugendliche Hörer die Satire und Provokation der Texte nicht ohne weiteres erschließen könnten. Vielmehr sei zu befürchten, dass durch die Aneinanderreihung von grausamsten Brutalitäten und Tötungsszenen eine geistig-seelische Fehlentwicklung Jugendlicher nicht ausgeschlossen werden könne.

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Mit Entscheidung Nr. 4097 (V) – 4909 (V) vom 13. November 1995, bekannt gemacht im Bundesanzeiger Nr. 225 vom 30. November 1995, beschloss die BPjM auch die Aufnahme der beiden CDs „Tomb of the Mutilated“ und „Hammer smashed Face“, auf denen auch die Lieder „Hammer Smashed Face“, „Addicted to Vaginal Skin“ und .„Shredded Humans“ enthalten waren. Als Grund für die Aufnahme führte die BPjM an, dass der Inhalt der beiden CDs die Menschenwürde verletze, da er im Wesentlichen darin bestehe, das Töten von Menschen in allen Einzelheiten zu präsentieren. Dem Jugendschutz sei der Vorrang vor der Kunstfreiheit einzuräumen gewesen, da nicht zu erwarten sei, dass jeder Jugendliche den Sinn dieser Satire sofort erschließen könne. Vielmehr würden den Jugendlichen vordergründig extreme Brutalitäten präsentiert, die sich negativ auf ihre geistige und seelische Entwicklung auswirken könnten.

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Schließlich beschloss die BPjM mit Entscheidung Nr. 6523 (V) vom 11. Dezember 2003, bekannt gemacht im Bundesanzeiger Nr. 243 vom 31. Dezember 2003, noch die Aufnahme der CD „Butchered at Birth“, auf der die Lieder „Gutted“ und „Covered with Sores“ enthalten waren. In seiner Begründung schloss sich die BPjM der Begründung des zu der CD bereits erwähnten Beschlagnahmebeschlusses des Amtsgerichts Stuttgart vom 3. März 1994, Az.: b 27 gs 11012/94, an und führte aus, dass die CD zu indizieren gewesen sei, da der Inhalt gegen die strafrechtlichen Bestimmungen der §§ 131 Abs. 1, 184 Abs. 3 StGB verstoße. Die CD werde in Liste B eingetragen, da derselbe Inhalt, der lediglich von einem anderen Verfahrensbeteiligten vertrieben worden sei, seitens der Strafverfolgungsbehörden bereits als strafrechtlich relevant im Sinne der §§ 131 und 184 Abs. 3 StGB eingestuft worden sei.

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Mit vorgefertigtem Formular beantragte die Klägerin bei der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft GmbH (nachfolgend FSK) am 30. Januar 2007 im vereinfachten Verfahren nach § 25 Ziff. 1 der Grundsätze der FSK die DVD „Vile-Live“ mit „Freigegeben ab 12 (zwölf) Jahren“ zu kennzeichnen. Unter Buschstabe c) des Antragsformulars versicherte sie, die Regelungen des Jugendschutzgesetzes (JuSchG) einzuhalten und unter Buchstabe d), dass das Trägermedium nicht indiziert und ein Indizierungsantrag nicht gestellt sei.

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Die FSK kam am 5. Februar 2007 im vereinfachten Verfahren zu dem Ergebnis, dass eine Freigabe ab zwölf Jahren erfolgen könne, da trotz der von der Death-Metal-Musik ausgehenden aggressiven Atmosphäre die englischen Texte nur äußerst schwer zu verstehen seien und sich die Machart der beiden Konzertmitschnitte sehr zurückhalte und auf das musikalische Geschehen konzentriere. Mit Freigabebescheinigung vom 6. Februar 2007 übernahm die Beklagte die Altersfreigabe-Empfehlung der FSK und gab den Bildträger C. – Vile Live (Bonus DVD zu „Vile – 25th Anniversary Edition“) für die Altersstufe „ Freigegeben ab 12 (zwölf) Jahren“ frei.

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In der Folge kam es zu einer weiteren Aufnahme in die Liste jugendgefährdender Schriften und einer weiteren gerichtlichen Beschlagnahme eines Tonträgers, auf dem Lieder enthalten waren, die auch auf der DVD „Vile-Live“ vorgeführt werden. Die BPjM nahm mit Entscheidung Nr. 9958 (V) vom 16. August 2011, bekannt gemacht im Bundesanzeiger Nr. 131 vom 31. August 2011, die LP „Created to Kill“ unter anderem mit den Liedern „Devoured by Vermin“, „Mummified in Barbed Wire“, „Bloodlands“ und „Puncture Wound Massacre“ in die Liste jugendgefährdender Medien auf.

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Zudem beschlagnahmte das Amtsgericht Saarbrücken gemäß §§ 111b, 111c, 111m, 111n StPO i. V. m. 131, 74d StGB mit Beschluss vom 25. Juli 2012, Az.: 7 Gs 3248/12, die LP „Created to Kill“ mit der Begründung, dass der Inhalt grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder menschenähnliche Wesen in einer Art schildere, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrücke oder die das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstelle. Titel 03 der Seite B („Puncture Wound Massacre“) rufe sogar zum grausamen Morden und Töten auf. Ein Zusammenhang mit Darbietungen der Kunst oder Wissenschaft, der Forschung und Lehre, insbesondere auch hinsichtlich geschichtlicher Hintergründe oder aber kriminalistischer Bezüge, sei in keiner Weise ersichtlich. Der Gesamtzusammenhang zeige, dass es ausschließlich um das Interesse an brutalen und damit grausamen und unmenschlichen Gewalttätigkeiten gegen Menschen gehen solle.

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Im Jahr 2014 äußerte die BPjM die Absicht, auch das CD/DVD-Paket „C. Vile Life“ in die Liste jugendgefährdender Medien aufzunehmen. Dagegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 21. Oktober 2014 Widerspruch ein, den sie mit Schreiben vom 7. November 2014 hinsichtlich der DVD damit begründete, dass diese bereits im Jahr 2007 die Kennzeichnung „Freigegeben ab 12 (zwölf) Jahren“ erhalten habe und daher eine erneute Bewertung nach § 18 Abs. 8 JuSchuG unzulässig sei. Zudem müsse die gesamte Darstellung im Zusammenhang zur Musikszene gesehen werden. Bei der Gruppe C. handele es sich um einen der weltweit bekanntesten Vertreter des Death Metal. Die Beschäftigung mit Tod, Gewalt, und dem Bösen als Gegenkonzept zu einer oberflächlichen Spaßkultur sei für diese Musikszene typisch und stilprägend. Auch jugendlichen Anhängern dieses Genre sei die stilistische Ausrichtung und die Konfrontation mit Horror, Fantasy und Schockeffekten bekannt. Ihnen sei bewusst, dass die Gewaltdarstellungen keinen realen Bezug hätten, sondern fiktive Stilmerkmale seien. Auch Jugendliche könnten ohne weiteres erkennen, dass die Darstellungen keine Anregungen zu realer Gewalt darstellen würden, sondern eine gruselige, aber wertneutrale Fantasy-Inszenierung. Schließlich würden die Darstellungen auch künstlerischen Charakter im Sinne von § 18 Abs. 3 Nr. 2 JuSchG enthalten.

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Mit Schreiben vom 10. November 2014 informierte die BPjM die FSK über das Indizierungsverfahren. Die FSK bestätigte, dass die DVD mit Freigabebescheinigung vom 6. Februar 2007 das Kennzeichen „Freigegeben ab 12 (zwölf) Jahren“ erhalten habe, allerdings hätten ihr keine Liedtexte vorgelegen und die Klägerin habe es pflichtwidrig unterlassen, anzugeben, dass auf der DVD enthaltene Lieder bereits zuvor indizierungsrelevant oder strafrechtlich relevant gewesen seien. Mit E-Mail-Schreiben vom 22. Januar 2015 informierte die BPjM auch die Beklagte, die als Oberste Landesjugendbehörde (nachfolgend OLjB) federführend für die FSK zuständig ist, dass das CD-/DVD-Paket „C. Vile Life“ zur Indizierung eingereicht sei, die DVD aber das FSK-Kennzeichen „ab 12“ trage. CD und DVD würden größtenteils dieselben Lieder enthalten und die Liedtexte seien in einem Booklet abgedruckt. Eine Vielzahl der Lieder habe bereits vor der Kennzeichnung der DVD durch die FSK zur Indizierung anderer Alben der Band und in einem Fall zu einer Beschlagnahme geführt. Die Klägerin habe gegen die Indizierung mit dem Argument widersprochen, die Lieder, die auf DVD und CD gleichermaßen enthalten seien, seien von der FSK für die DVD mit „ab 12“ freigegeben worden.

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Mit Bescheid vom 6. Juli 2015, der Klägerin zugegangen am 10. August 2015, nahm die Beklagte die Übernahme der FSK für den Bildträger „C. – Vile Live (Bonus DVD zu Vile – 25th Anniversary Edition)“ vom 6. Februar 2007 mit Wirkung für die Vergangenheit zurück. Die Rücknahme stütze sie auf §§ 1 Abs. 1 LVwVfG i. V. m. § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG und begründete sie damit, dass die Klägerin ihre Pflicht zu rechtmäßigen Angaben im vereinfachten Verfahren nach § 25 Ziff. 1 der FSK-Grundsätze vernachlässigt habe. Entgegen der Versicherung unter Buchstabe d) des Antrages habe sie keine Einschränkungen hinsichtlich der Indizierung von Teilen des Trägermediums gemacht. Die Altersfreigabeentscheidung der FSK sei unter falschen Voraussetzungen durchgeführt worden. Wäre die Indizierung kenntlich gemacht worden, wäre eine Kennzeichnung nicht erfolgt.

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Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 7. August 2015 hat die Klägerin Klage erhoben.

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Zwischenzeitlich beschloss die BPjM mit Entscheidung Nr. 12118 (V) vom 14. September 2015, bekannt gemacht im Bundesanzeiger AT vom 30. September 2015, auch die CD mit Live-DVD „Vile (Metal Blade 25th Anniversary Edition with Bonus DVD)“ in die Liste der jugendgefährdenden Medien einzutragen. Dies begründete sie damit, dass der Indizierung die Kennzeichnung der DVD mit „Freigegeben ab 12 (zwölf) Jahren“ nach § 18 Abs. 8 S. 1 JuSchG nicht entgegenstehe, da die Kennzeichnung von der Beklagten wirksam zurückgenommen worden sei. Der Bild-/Tonträger sei bereits aus dem Grunde zu indizieren gewesen, weil er eine Vielzahl von Liedtiteln enthalte, die bereits Gegenstand früherer Indizierungsverfahren zu Alben der Band C. waren und bereits dort als jugendgefährdend bewertet worden seien. Dabei handele es sich um die Lieder „Devoured by Vermin“, „Mummified in Barbed Wire“, „Bloodlands“, „Puncture Wound Massacre“, „Covered with Sores“, „Addicted to Vaginal Skin“, „Gutted“, „Shredded Humans“, „A Skull full of Maggots“ und „Hammer Smashed Face“.

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Der Liedtitel „Puncture Wound Massacre“ sei ferner ausschlaggebend für die Beschlagnahme des Albums „Created to Kill“ gewesen und in dem Beschlagnahmebeschluss des Amtsgerichts Saarbrücken vom 25. Juli 2012, Az.: 7 Gs 3248/12, als strafrechtlich relevant i.S.v. § 131 StGB eingestuft worden, da in dem Lied zum grausamen Morden und Töten aufgerufen werde. Die Lieder „Covered with Sores“ und „Gutted“ seien bereits auf dem zuvor indizierten und durch Beschlagnahmebeschluss des Amtsgerichts Stuttgart vom 3. März 1994, Az.: b 27 Gs 11012/94, beschlagnahmten Album „Butchered at Birth“ enthalten gewesen. In dem Beschluss habe das Gericht seinerzeit festgestellt, dass die auf dem Tonträger enthaltenen Liedertexte gegen §§ 131 StGB und

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§ 184 Abs. 2 StGB a.F. (Gewaltpornografie) verstießen. Das Gericht habe sich hinsichtlich der Tatbestandsmäßigkeit i.S.v. § 131 StGB auf sämtliche Liedtexte des Albums bezogen. Hinsichtlich der Tatbestandsmäßigkeit nach § 184 Abs. 3 StGB a.F. verweise der Beschluss auf einzelne Liedertexte, die in grober und aufreißerischer Wiedergabe des sexuellen Vorgangs den Geschlechtsverkehr insbesondere mit währenddessen oder danach grausam zu Tode gebrachten Opfern beschreiben würden.

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Der Tonträger dürfe zwar die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG für sich in Anspruch nehmen. Die von dem Werk durch seine verrohende und gewaltverherrlichende Wirkung ausgehende Gefahr für Kinder und Jugendliche sei aber so eklatant, dass dem Jugendschutz der Vorrang eingeräumt werden müsse. Auch wenn die Band nach eigenen Angaben nicht beabsichtige, ihre Zuhörer zur Nachahmung der geschilderten Gewalttaten aufzufordern, so würden die Gräueltaten dennoch zumeist aus der Ich-Perspektive besungen und als Lust steigernd propagiert. Die beschriebenen Folterungen und Lustmorde würden an keiner Stelle auf irgendeine Weise relativiert oder in gesellschaftskritischeren Kontext gesetzt. Die Aussage der Liedtexte erschöpfe sich lediglich in Gewaltbeschreibungen und Beschreibungen abnormer Sexualhandlungen, deren künstlerischer Gehalt nicht als bedeutend eingestuft werden könne. Sie würden auch keinen Denkanstoß hinsichtlich der Problematik der Ursachen von grausamer Gewalt liefern, sondern in einer schwelgerischen Aneinanderreihung von grausamen Folter- und Mordszenen, die, einschließlich der sexuellen Beschreibungen, beim Zuhörer sadomasochistische Gefühle und Begierde wecken sollten. Die Liedtexte „Puncture Wound Massacre“, „Covered with Sores“ und „Gutted“ würden die Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 JuSchG i. V. m. § 131 StGB erfüllen; die Texte der Lieder „Covered with Sores“ und „Gutted“ darüber hinaus auch die Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 Nr. 2 JuSchG i. V. m. § 184a StGB.

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Die Klägerin verfolgte in der Folgezeit ihr Begehren weiter, wiederholt ihr bisheriges Vorbringen und trägt ergänzend vor: Sie habe im Freigabeantrag zutreffende Angaben gemacht. Die CD „Vile“ und die DVD „Vile-Live“ seien bei Antragsstellung nicht indiziert gewesen. Eine weitergehende Hinweispflicht auf die Indizierung und Beschlagnahme anderer CDs mit zum Teil denselben Liedern habe nicht bestanden. So habe die Klägerin den Beschlagnahebeschluss des AG Stuttgarts gar nicht gekannt. Er habe sich nicht gegen sie, sondern gegen die Firma I. gerichtet, die damals für den Vertrieb verantwortlich gewesen sei. Zudem sei die Beschlagnahme durch das AG Stuttgart nach § 79 Abs. 2 S. 2 StGB verjährt gewesen und habe daher keinerlei Rechtswirkungen mehr entfalten können. Auch in den Indizierungsverfahren sei nicht sie beteiligt gewesen, sondern die damalige Vertriebsfirma R. T.. Die Indizierungsentscheidungen seien ihr bei Antragsstellung daher nicht bekannt gewesen. Eine Hinweispflicht bestehe nach dem Antragsformular der FSK auch nur hinsichtlich indizierter Trägermedien, nicht hinsichtlich indizierter Inhalte. Eine Hinweispflicht bestehe weiterhin nur für Filme, nicht aber für andere indizierte Trägermedien, da nur für Filme eine FSK-Freigabe in Betracht komme.

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Der Rücknahmebescheid sei nicht hinreichend bestimmt. Denn es sei weder ersichtlich, auf welche Lieder sich der Beklagte im Einzelnen beziehe, noch ob gerade die auf der DVD enthaltenen Lieder und wenn ja, welche, für die vorangegangenen Indizierungs- und Beschlagnahmeentscheidungen anderer CDs relevant gewesen seien. Der Rücknahmebescheid sei auch nicht ausreichend begründet. Der Beklagte setze sich ohne Angabe konkreter Gründe über die Freigabeentscheidung der weisungsfreien, unabhängigen und plural mit sachkundigen und erfahrenen Prüfern besetzten FSK hinweg.

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Von den vorangegangenen Indizierungs- und Beschlagnahmeentscheidungen könnten zudem keine Rückschlüsse für die Freigabe der DVD gezogen werden. Gegenstand dieser Entscheidungen seien nämlich immer die Tonträger-Konfigurationen in ihrer Gesamtheit gewesen; einschließlich der Coverartworks und insbesondere der Text-Booklets, hingegen nicht die einzelnen Lieder für sich genommen. Die Entscheidungen seien nicht übertragbar, da die DVD weder indizierungsrelevante Artworks noch abgedruckte oder eingeblendete Texte enthalte. Die Beschlagnahmebeschlüsse beträfen ebenfalls die jeweiligen CDs als solche, nicht aber die auf ihnen enthaltenen einzelnen Lieder. Aus der Beschlagnahme der CDs folge nicht die Beschlagnahme der DVD. Der Beschlagnahmebeschluss des AG Stuttgart zu der CD „Butchered at Birth“ mit dem Titel „Gutted“ sei für die FSK-Freigabe der DVD irrelevant. Die Beschlagnahme sei nach § 79 Abs. 2 S. 2 StGB verjährt. Der Beschluss beziehe sich nicht auf das einzelne Lied „Gutted“, sondern auf das konkrete Musikalbum.

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Zwischen der DVD und den indizierten und beschlagnahmten CDs bestehe keine Inhaltsgleichheit, da sich Konsum und Wirkung von CD und DVD unterschieden. Die Bewertung der Inhaltsgleichheit habe nicht verschiedene Werksarten zum Gegenstand. Bei einer DVD liege das Augenmerk nicht auf den Texten, sondern den Bildern. Die DVD sei separat von den CDs zu bewerten. Das FSK-Freigabe- und das Indizierungsverfahren seien zwei völlig unterschiedliche Verfahren, die zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen könnten. Die Indizierung eines Tonträgers und die Freigabe eines Films, der Lieder des indizierten Tonträgers enthalte, würden sich keineswegs ausschließen. Dies sei auch in anderen Fällen durch die FSK so erfolgt; wie beispielsweise bei dem indizierten Lied „Bullenschweine“ der Band S., welches in dem von der FSK freigegebenen Film „Chaostage – We are Punks“ zu hören sei. In den von der FSK freigegebenen Filmen „Ace Ventura“ und „Live at Wacken 2007“ seien sogar indizierte Lieder der C. zu hören.

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Von der DVD gehe auch keine Jugendgefährdung aus, da die Texte gar nicht verständlich seien. Nicht einmal den Prüfern der FSK seien die Textinhalte aufgefallen. Was nicht verstanden werden könne, könne niemanden gefährden. Bereits 2005 sei die BPjM nach einem umfangreichen Abstimmungsverfahren mit der FSK bezüglich der DVD „Live Cannibalism – Ultimate Edition“ und des Videofilms „Live Cannibalism“ der C. zu dem Ergebnis gekommen, dass ein Indizierungsverfahren nicht geboten sei, obwohl auf der DVD und dem Videofilm Lieder enthalten gewesen seien, die in früheren Indizierungsverfahren als indizierungsrelevant angesehen worden seien. Denn der Inhalt der DVD sei mit „freigegeben ab 12 Jahren“ bzw. „freigegeben ab 16 Jahren“ gekennzeichnet und die Texte der indizierungsrelevanten Lieder seien vollkommen unverständlich und auf dem Trägermedium nicht abgedruckt gewesen. Die Klägerin legt dazu ein Schreiben der BPjM vom 14. April 2005 adressiert an die Grenzpolizeiinspektion W. vor, mit dem das Indizierungsverfahren der DVD „Live Cannibalism – Ultimate Edition“ und des Videofilms „Live Cannibalism“ eigestellt wurde.

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Es liege auch kein Zweifelsfall nach § 14 Abs. 4 S. 3 JuSchG vor. Ob ein Zweifelsfall vorliege, beurteile die FSK. Für die FSK-Prüfer sei die Freigabe ab zwölf Jahren zweifelsfrei gewesen. Der Beklagten seien zudem bei Antragsstellung und der Freigabeentscheidung alle relevanten Umstände bekannt gewesen. Die DVD habe der FSK vorgelegen. Ihr sei aus dem Abstimmungsverfahren mit der BPjM auch bekannt gewesen, dass Lieder in anderen Konfigurationen wegen des Textabdruckes indizierungsrelevant gewesen seien.

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Die Klägerin beruft sich auf Vertrauens- und Bestandsschutz. Sie meint, sie habe infolge der FSK-Freigabe darauf vertrauen dürfen, dass sie die DVD in Deutschland ab zwölf Jahren vertreiben dürfe und sie wegen § 18 Abs. 8 JuSchG nicht indiziert werden könne. Ohne die FSK-Freigabe könne sie die DVD nur an Erwachsene vertreiben, was für sie eine erhebliche Vertriebseinschränkung bedeuten würde. Die Rücknahme sei zudem ermessensfehlerhaft. Der Beklagte habe seiner Entscheidung sachfremde Erwägungen zugrunde gelegt. Die anderen indizierten und beschlagnahmten Tonträger der C. seien nicht Gegenstand des Freigabeverfahrens gewesen. Sie hätten nichts mit dem geprüften Bildträger zu tun. Die Rücknahmefrist sei zudem nicht gewahrt. Der Beklagte hätte bereits seit dem Abstimmungsverfahren zwischen der BPjM und der FSK im Jahre 2005 Kenntnis davon gehabt, dass bestimmte Tonträger der C. indiziert und einzelne Lieder in Livemitschnitten auf DVDs enthalten seien. Dies sei auch bei der DVD „Vile-Live“ der Fall gewesen. Jedenfalls seit Antragsstellung habe sie aber davon Kenntnis gehabt. Sie müsse sich die Kenntnis zurechnen lassen, weil sie sich der FSK als Gutachterstelle bediene. Jedenfalls sei eine Rücknahme verwirkt. Die Klägerin vertraue seit acht Jahren auf die Alterskennzeichnung. Die Rücknahme führe zu unzumutbaren Nachteilen. Die FSK sei informiert gewesen, dass Texte, die im Mitschnitt enthalten seien, auf anderen Tonträgerkonfigurationen aufgrund der dort abgedruckten Texte als indizierungsrelevant eingestuft worden seien. Dies habe für die FSK wegen der zwei Jahre zuvor mit der BPjM erfolgten grundsätzlichen Abstimmung aber keine Rolle gespielt. Daher habe die Klägerin in besonderem Maße davon ausgehen dürfen, dass das Altersfreigabevotum und die Übernahme in voller Kenntnis aller relevanten Umstände erfolgt sei. Aus der mittlerweile erfolgten Indizierung der DVD durch die BPjM könne nichts hergeleitet werden. Die Entscheidung sei nicht rechtskräftig. Für die Indizierung habe es auch keinen Grund gegeben, da keine jugendgefährdenden Texte erkennbar seien.

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Die Klägerin beantragt,

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die Rücknahmeentscheidung der Beklagten vom 06. Juli 2015 hinsichtlich der Übernahmeentscheidung des Altersfreigabevotums der FSK Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft GmbH zum Bildträger „C. – Vile Live (Bonus DVD zu „Vile – 25th Anniversary Edition“)“ mit dem Votum „Freigegeben ab 12 (zwölf) Jahren“ durch die Oberste Landesjugendbehörde vom 06. Februar 2007 aufzuheben.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er tritt der Klage entgegen und wiederholt sein Vorbringen aus dem Rücknahmebescheid. Ergänzend trägt er vor: Die Übernahmeentscheidung sei wegen der indizierten Inhalte rechtswidrig gewesen. Eine FSK- Kennzeichnung dürfe nicht erfolgen, wenn Filme und Trägermedien ganz oder im Wesentlichen mit einem von der BPjM in die Liste jugendgefährdender Medien aufgenommenen Trägermedium inhaltsgleich seien. Sechs auf der DVD enthaltene Lieder seien für andere Alben der C. indizierungsrelevant gewesen. Insoweit bestehe Inhaltsgleichheit, weil auf der DVD keine besonderen Handlungselemente enthalten seien, sondern die Lieder im Mittelpunkt stünden.

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Es wäre jedenfalls nach § 14 Abs. 4 S. 3 JuSchG die Einholung einer Entscheidung der BPjM erforderlich gewesen, da zumindest ein Zweifelsfall vorgelegen habe. Bei ordnungsgemäßer Beantwortung der Fragen im Antragsformular durch die Klägerin hätte ein Prüfverfahren gar nicht eingeleitet werden dürfen, bevor nicht die BPjM über die Inhaltsgleichheit entschieden hätte. Maßgeblich für die Inhaltsgleichheit sei alleine der zur Kinder- und Jugendgefährdung geeignete Inhalt. Inhaltsgleichheit scheide keineswegs bei anderen indizierten Trägerformaten als Filmen aus. Vielmehr sei bei Mitschnitten von Live-Konzerten, die als filmische Darstellung und auf Tonträgern vermarktet werden, eine Inhaltsgleichheit sogar sehr wahrscheinlich. Eine verbindliche Absprache zwischen der BPjM und der FSK über die Beurteilung der Inhaltsgleichheit sei im Vorhinein nicht möglich.

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Die Übernahme sei auch wegen der Beschlagnahme des Titels „Gutted“ rechtswidrig gewesen. Die FSK-Kennzeichnung habe keine Rechtsfolge für die Beschlagnahme, da die Beschlagnahme keine Maßnahme nach dem JuSchG sei, sondern sich an Personen allen Alters richte. Ein beschlagnahmter Musiktitel sei nach § 15 Abs. 2 Nr. 1 JuSchG i. V. m. § 131 StGB schwer jugendgefährdend. Die DVD habe daher auch kraft Gesetz als indiziert gegolten und eine Kennzeichnung wäre nicht möglich gewesen. Einen Verstoß gegen § 131 StGB habe das AG Stuttgart schon in seinem Beschlagnahmebeschluss vom 3. März 1994 festgestellt. Dementsprechend habe auch die BPjM die DVD mit Entscheidung vom 14. September 2015 in die Liste jugendgefährdender Medien aufgenommen. Die Anfechtung der Indizierungsentscheidung sei ohne Auswirkung auf die Rechtmäßigkeit der Rücknahmeentscheidung. Zudem habe auch das AG Saarbrücken mit dem Album „Created to Kill“ mittlerweile vier weitere Titel, die sich auch auf der DVD befänden, beschlagnahmt. Von der DVD gehe eine hohe Jugendschutzrelevanz aus. Die Grausamkeit der Texte übersteige sogar die Vorstellungskraft Erwachsener, die mit jugendschutzrelevanten Inhalten vertraut seien. Die Gefahr für Kinder gehe nicht erst von dem Bildträger in seiner Komplettheit aus, sondern von seinem Inhalt. Die Alterskennzeichnung bestätige die Jugendgefährdung und strafrechtliche Relevanz der DVD nicht und erzeuge damit einen falschen Rechtsschein.

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Eine Kennzeichnung hätte ferner auch unterbleiben müssen, da die Voraussetzungen für eine Aufnahme in die Liste der jugendgefährdenden Medien aufgrund der auf der DVD enthaltenen sechs indizierungsrelevanten Lieder vorgelegen hätten. Es hätte sich insoweit an der Praxis der BPjM und der Rechtsprechung orientiert werden müssen, um inkongruente Entscheidungen zu vermeiden. Es bestünden zahlreiche Indizierungsentscheidungen der BPjM in Bezug auf die auf der Live-DVD enthaltenen Lieder. Gegen diese habe die Klägerin in der Vergangenheit keine Rechtsmittel eingelegt.

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Die Indizierungsentscheidungen der BPjM beträfen alle Lieder der jeweiligen CD. Die Liedtexte seien in den Entscheidungen abgedruckt und ersichtlich von den Entscheidungsgründen umfasst. In der Entscheidung der BPjM vom 11. Dezember 2003 habe diese die Liedtexte sogar als strafrechtlich relevant bewertet. Auch die Beschlagnahmebeschlüsse hätten sich auf alle Lieder des jeweiligen Albums bezogen. Denn gemäß § 11 Abs. 2 StPO seien ausscheidbare Teile, die nichts Strafbares enthielten, von der Beschlagnahme auszuscheiden. Auf die Verständlichkeit komme es nicht an. Auch auf den indizierten und beschlagnahmten CDs sei nur Grölgesang zu hören gewesen. Auch wenn der Grölgesang für Personen, die sich nicht in dem Genre bewegen würden, schwer verständlich sei, könnten die Texte für affine Jugendliche, die sich in diesem Kreis bewegen würden, zu verstehen sein.

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Die Klägerin sei verpflichtet gewesen über die Indizierungen zu informieren und auf die Beschlagnahme hinzuweisen. Die Klägerin habe bewusst Angaben zu vorherigen Indizierungen und der Beschlagnahme verschwiegen. Ihr seien das Genre, innerhalb dessen sich C. bewegten, bekannt gewesen. Sie habe Erfahrung mit der Indizierung und Beschlagnahme von Produkten der C. gehabt. Jedenfalls hätte es ihr oblegen, vor Vermarktung der DVD Informationen über Vermarktungseinschränkungen wie Indizierungen und Beschlagnahmen einzuholen. Sie habe diese aber weder im Antrag erwähnt noch habe sie eine Liste mit den Liedernamen vorgelegt. Im vereinfachten Verfahren erfolge zwar grundsätzlich keine Vorlage der Liedtexte. Eine Ausnahme gelte aber bei besonderer Jugendschutzrelevanz. Durch die Vorenthaltung der Angaben zu den früheren Indizierungen habe die Klägerin den Anschein erweckt, dass keine Jugendschutzrelevanz bestehe. Auch auf der DVD würden die Lieder nicht angekündigt. Die C. hätten schon in der Vergangenheit bewusst auf die Ankündigung ihrer Lieder verzichtet, damit Laien indizierte Lieder nicht erkennen könnten. Buchstabe d) in dem Antragsformular beziehe sich auch auf einzelne Lieder. Andernfalls könnte die Intention des Jugendschutzes, bestimmte Inhalte Kindern und Jugendlichen nicht zugänglich zu machen, durch ständig neue Zusammenstellung umgangen werden. Bei wahrheitsgemäßen Angaben wäre eine Kennzeichnung nicht erfolgt.

48

Die Frist zur Rücknahme sei gewahrt. Er habe erst durch das Schreiben der BPjM vom 22. Januar 2015 Kenntnis von den Indizierungsverfahren und Beschlagnahmen erlangt. Er müsse nicht zu einzelnen Anbietern recherchieren. Insoweit liege eine Bringschuld bei der Klägerin. Er habe die Titel nicht kennen können, da keine Titelliste beigefügt war und die Titel auf der DVD nicht erwähnt worden seien. Die Klägerin könne sich auch nicht auf Verwirkung berufen, denn ihr Vertrauensschutz sei nach § 48 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 S. 2 VwVfG ausgeschlossen.

49

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe

50

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.

51

I.Die gemäß § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO fristgerecht erhobene Klage ist auch nach Maßgabe der §§ 42 Abs. 1, 88 VwGO als Anfechtungsklage statthaft. Die Klägerin begehrt die Aufhebung des Rücknahmebescheides des Beklagten vom 6. Juli 2015. Als actus contrarius zur Freigabebescheinigung des Beklagten vom 6. Februar 2007 stellt auch der Rücknahmebescheid einen Verwaltungsakt im Sinne von § 35 S. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) dar. Die Freigabebescheinigung selbst ist ein Verwaltungsakt, da sie alle Merkmale des § 35 S. 1 VwVfG erfüllt. Es handelt sich um eine hoheitliche Maßnahme einer Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts, die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Insoweit mag dahinstehen, ob die FSK mangels Wahrnehmung hoheitlicher Befugnisse im eigenen Namen selbst eine Behörde im Sinne des § 1 Abs. 4 VwVfG ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Dezember 1954 – I C 14.53 –, BVerwGE 1, 303). Denn jedenfalls die OLjB, die den Übernahmebescheid erlassen hat, ist eine Behörde, da sie durch Hoheitsakt begründet, von einem Mitgliederwechsel unabhängig, hoheitliche Verwaltungsaufgaben unmittelbar im eigenen Namen nach außen wahrnimmt.

52

II. Die Klage ist nach § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO unbegründet, denn der Rücknahmebescheid des Beklagten ist rechtmäßig und verletzt daher keine Rechte der Klägerin.

53

1. Ermächtigungsgrundlage für den Rücknahmebescheid ist mangels speziellerer Regelung im JuSchG § 48 Abs. 1 S. 1, S. 2, Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1, Abs. 4 VwVfG, jeweils in Verbindung mit §§ 1 Abs. 1 LVwVfG.

54

2. Der Rücknahmebescheid ist formell rechtmäßig. Die Zuständigkeit des Beklagten für den Erlass des Rücknahmebescheides ergibt sich als Annexkompetenz zu seiner Zuständigkeit für die Freigabebescheinigung. Nach § 14 Abs. 2 JuSchG ist die OLjB für die Kennzeichnung von Filmen zuständig. Dies ist in Rheinland-Pfalz das Ministerium für Familie, Frauen, Jugend, Integration und Verbraucherschutz.

55

Der Rücknahmebescheid ist nach §§ 37 Abs. 1, 39 Abs. 1 VwVfG auch formgerecht erfolgt. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist er sowohl ausreichend bestimmt als auch begründet. Ein Verwaltungsakt ist hinreichend bestimmt, wenn der Inhalt seiner Regelung so klar und deutlich ist, dass insbesondere für den Adressaten erkennbar ist, was von ihm verlangt wird, so dass er sein Verhalten entsprechend anpassen kann (BVerwG, Urteil vom 2. Juli 2008 – 7 C 38/07 –, BVerwGE 131, 259). Aus dem Rücknahmebescheid geht eindeutig und unmissverständlich hervor, dass die zuvor erteilte FSK-Kennzeichnung „Freigegeben ab 12 (zwölf) Jahren“ für die DVD „Vile-Live“ wieder zurückgenommen wird. Für die Klägerin ist danach ohne Zweifel erkennbar, dass sie diese DVD nicht mehr an Kinder und Jugendliche vertreiben soll und welche Gründe für diese Entscheidung im Wesentlichen maßgeblich sind.

56

3. Der Rücknahmebescheid ist auch materiell rechtmäßig. Nach § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG kann ein Verwaltungsakt, auch nachdem er bestandskräftig geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Die Freigabebescheinigung vom 6. Februar 2007 auf der Grundlage von § 14 Abs. 1 und Abs. 2 JuSchG war rechtswidrig.

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a. Der Ausgangsbescheid war bereits formell rechtswidrig. Zuständig für die Altersfreigabe waren gemäß §§ 14 Abs. 2, Abs. 6 JuSchG i. V. m. Art. 1 der Ländervereinbarung vom 13. März 2006 (BAnz. 2006 S. 1994) die FSK und die OLjB. Die Prüfung der DVD erfolgte entsprechend § 14 Abs. 6 JuSchG i. V. m. Art. 1 der Ländervereinbarung vom 13. März 2006 i. V. m. §§ 9 ff., 18, 25 Grundsätze der Freiwilligen Selbstkontrolle der FSK durch die FSK im vereinfachten Verfahren und die Freigabe sodann durch die OLjB.

58

b. Entgegen § 14 Abs. 4 S. 2 JuSchG hat die FSK jedoch keine Entscheidung der BPjM über die teilweise Inhaltsgleichheit der DVD „Vile-Live“ mit den CDs „Butchered at Birth“, „Eaten Back to Life“, „Tomb of the Mutilated“ und „Hammer smashed Face“ herbeigeführt. Nach § 14 Abs. 4 S. 2 JuSchG hat die FSK in Zweifelsfällen über die Inhaltsgleichheit mit einem in die Liste nach § 18 JuSchG aufgenommenem Trägermedium eine Entscheidung der BPjM herbeizuführen. Ein solcher Zweifelsfall ist bereits dann anzunehmen, wenn die Möglichkeit besteht, dass ein Programm für Bildträger mit einem bereits von der BPjM in die Liste jugendgefährdender Medien aufgenommenem Trägermedium zumindest teilweise inhaltsgleich ist. Denn mit der Regelung des § 14 Abs. 4 S. 2 JuSchG wollte der Gesetzgeber sicherstellen, dass sich die FSK nicht in Widerspruch zu einer bereits erfolgten Entscheidung der BPjM setzt (BT-Drucks 14/9013, S. 23). Damit soll auch verhindert werden, dass die BPjM durch eine Freigabe der FSK wegen § 18 Abs. 8 JuSchG an der Indizierung eines Bildträgers gehindert wird, der mit einem von ihr bereits in die Liste jugendgefährdender Medien aufgenommenem Trägermedium teilweise inhaltsgleich ist, womit ihre Entscheidung konterkariert würde.

59

c. Vorliegend wäre eine zumindest teilweise Inhaltsgleichheit der DVD „Vile-Live“ mit den bereits in die Liste jugendgefährdender Medien aufgenommenen CDs „Butchered at Birth“, „Eaten Back to Life“, „Tomb of the Mutilated“ und „Hammer smashed Face“ von der FSK im Prüfungsverfahren in Betracht zu ziehen und daher eine Entscheidung der BPjM einzuholen gewesen. Denn die DVD enthält Lieder, deren Texte mit solchen auf den genannten von der BPjM indizierten CDs inhaltlich übereinstimmen. Entgegen der Ansicht der Klägerin kommt eine Inhaltsgleichheit nicht nur bei Trägermedien derselben Art, also etwa nur bei einem Bildträger im Vergleich zu einem anderen Bildträger in Betracht. Einer solchen Auslegung stehen Wortlaut und Systematik des § 14 Abs. 4 S. 2 JuSchG entgegen. Dieser stellt gerade nicht darauf ab, ob der Bildträger mit anderen Bildträgern, die in die Liste nach § 18 JuSchG aufgenommen sind, inhaltsgleich ist, sondern auf die Inhaltsgleichheit mit Trägermedien im Allgemeinen. Trägermedien, die in die Liste jugendgefährdender Medien aufgenommen werden können, können nach §§ 18 Abs. 1, 1 Abs. 2 JuSchG nicht nur Bildträger sein, sondern alle Medien mit Texten, Bildern oder Tönen auf gegenständlichen Trägern, die zur Weitergabe geeignet, zur unmittelbaren Wahrnehmung bestimmt oder in einem Vorführ- oder Spielgerät eingebaut sind. Danach kommen auch CDs als inhaltsgleiche Trägermedien im Sinne von § 14 Abs. 4 JuSchG in Betracht.

60

d. Darüber hinaus war der Ausgangsbescheid auch materiell rechtswidrig. Einer Altersfreigabe stand bereits § 14 Abs. 4 S. 1 JuSchG entgegen, da die DVD „Vile-Live“ im Wesentlichen mit den bereits in die Liste jugendgefährdender Medien aufgenommenen CDs „Butchered at Birth“, „Eaten Back to Life“, „Tomb of the Mutilated“ und „Hammer smashed Face“ inhaltsgleich ist. Nach § 14 Abs. 4 S. 1 JuSchG wird ein Programm für Bildträger nicht gekennzeichnet, wenn es mit einem in die Liste nach § 18 aufgenommenen Trägermedium ganz oder im Wesentlichen inhaltsgleich ist.

61

e. Die Entscheidung, ob Trägermedien ganz oder im Wesentlichen inhaltsgleich sind, unterliegt als Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs uneingeschränkter verwaltungsgerichtlicher Nachprüfung. Für die Inhaltsgleichheit kommt es alleine darauf an, ob und inwieweit die zu vergleichenden Trägermedien in den Teilen und Aussagen, die bereits zur Indizierung eines dieser Trägermedien führten, übereinstimmen. Inhaltsgleichheit kann auch bei einer Auswahl aus einem oder mehreren Trägermedien gegeben sein. Sie liegt jedenfalls dann vor, wenn eine Trägermedium in seiner Zusammenstellung aus mehreren aus indizierten Trägermedien ausgewählten selbständigen Inhalten besteht, wobei jeder Inhalt für sich – auch neben anderen, nicht übernommenen Inhalten – Anlass für die früheren Indizierungen gewesen ist. Bei der Entscheidung über die Inhaltsgleichheit besteht kein Raum mehr für die Überprüfung, ob die bereits indizierten Trägermedien zur Jugendgefährdung geeignet sind (vgl. noch zu § 18a Abs. 1 S. 1 JuSchG: OVG NRW, Urteil vom 23. Juni 1972 – XII A 301/69 –, NJW 1973, 385). Andernfalls bestünde die Gefahr, dass durch die bloß neue Zusammenstellung eines Trägermediums aus Inhalten bereits indizierter Trägermedien Indizierungsentscheidungen der BPjM umgangen und der Jugendschutz leer laufen würde.

62

f. Unter Anwendung dieser Grundsätze war vorliegend ein Fall von Inhaltsgleichheit anzunehmen. Denn die auf der DVD „Vile-Live“ enthaltenen Lieder „Devoured by Vermin“, „Mummified in Barbed Wire“, „Bloodlands“, „Puncture Wound Massacre“, „Covered with Sores“, „Addicted to Vaginal Skin“, „Gutted“, „Shredded Humans“, „A Skull full of Maggots“ und „Hammer Smashed Face“ waren mit identischen Texten bereits auf den genannten von der BPjM indizierten CDs enthalten. Wie bereits gezeigt steht der Inhaltsgleichheit nicht entgegen, dass es sich hierbei um Trägermedien verschiedener Art handelt. Entgegen der Ansicht der Klägerin trägt auch der Umstand, dass sich die Präsentation und der Konsum der Lieder auf der DVD und den CDs unterscheiden, nicht die Annahme unterschiedlicher Inhalte. Denn die CDs und DVD sind auch in Konsum- und Präsentationsform jedenfalls teilidentisch. Bei der DVD handelt es sich um einen Datenträger, dessen Inhalt durch Bilder und zusätzlich durch Töne präsentiert wird. Auf der DVD und den genannten CDs sind die grundsätzlich gleichen Liedtexte hörbar.

63

g. Zudem meint „Inhalt“ im Sinne von § 14 Abs. 4 S. 1 JuSchG nicht bloß die auf einem Trägermedium enthaltene Präsentationsform, sondern in erster Linie den präsentierten Inhalt selbst. Dafür spricht der Wortlaut des § 14 Abs. 4 S. 1 JuSchG und der Zweck des Jugendschutzes. § 14 Abs. 4 S.1 JuSchG spricht ausdrücklich von inhaltsgleichen Trägermedien. Der Begriff des Trägermediums umfasst Text-, Bild- und Tonträger, die sich in der Präsentationsform stets unterscheiden. Losgelöst von der unterschiedlichen Präsentationsform können sie aber dieselben inhaltlichen Aussagen enthalten. Die inhaltliche Aussage der Lieder ändert sich nicht dadurch, dass sie einmal auf der DVD mit Bildern und einmal auf den CDs ohne Bilder präsentiert werden. Ihr Inhalt wird nicht durch ihre Darstellungsform, sondern vor allem durch die - identischen – Texte festgelegt. Der Zweck des Jugendschutzes besteht darin, Kinder und Jugendliche vor Gefährdungen zu schützen. Jugendgefährdungen gehen aber nicht nur von der Art und Weise der Präsentation, sondern vor allem von der inhaltlichen Aussage der Präsentation aus. Die Art und Weise der Präsentation kann die inhaltliche Aussage allenfalls in unterschiedlichem Maße verstärken oder abschwächen.

64

h. Die Klägerin verkennt zur Überzeugung der Kammer weiter die Systematik des vom JuSchG vorgesehen Sicherungsmechanismus, wenn sie meint, es handle sich bei dem Freigabe- und dem Indizierungsverfahren um völlig unterschiedliche Verfahren, die zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen könnten. Beide Verfahren dienen vielmehr der Verwirklichung des Jugendschutzes. Sie stehen nicht unverbunden nebeneinander, sondern sollen sich ergänzen, um einen lückenlosen Schutz von Kindern und Jugendlichen zu gewährleisten. Es ist gerade Ziel- und Zweckrichtung der §§ 14 Abs. 4 und 18 Abs. 8 JuSchG unterschiedliche, sich widersprechende Entscheidungen durch die FSK und die BPjM zu verhindern (BT-Drucks. 14/9013, S. 23 u. 26). Auf die von der Klägerin insoweit angeführten Beispiele („Chaostage – We are Punks“, „Ace Ventura“, „Wacken Live 007“) kann diese sich nicht mit Erfolg berufen. Weder sind die Freigabeentscheidungen der FSK für den Beklagten oder das Gericht rechtlich bindend, noch sind diese Filme Gegenstand des hiesigen Verfahrens.

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i. An der Inhaltsgleichheit vermag es auch nichts zu ändern, dass die Texte nur schwer zu verstehen sind, da nicht auszuschließen ist, dass Kinder und Jugendliche, die mit Musikstücken aus dem Bereich des Death-Metal vertraut sind, auch schon ab zwölf Jahren die Texte trotz englischer Sprache und der Gesangstechnik des „Growlings“ verstehen können. Zudem sind die Liedtexte der Gruppe C. im Internet abrufbar, so dass eine Verknüpfung von Musik und Text schon auf diese Weise problemlos erfolgen kann. Es kann zudem nicht darauf ankommen, wie schwer die Texte zu verstehen sind, sondern darauf, dass es unter allen in Betracht kommenden maßgeblichen Gesichtspunkten hinreichend ausgeschlossen ist, dass Kinder und Jugendliche sie verstehen können. Denn nach § 14 Abs. 1 JuSchG ist ein Film bereits dann geeignet, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen, wenn sich die Möglichkeit einer solchen Beeinträchtigung nicht ausschließen lässt (BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 1971 – I C 31.68 –, BVerwGE 39, 197). Es kommt demgegenüber nicht darauf an, ob eine solche Beeinträchtigung auch wahrscheinlich ist. Dafür spricht schon der Wortlaut, der keine Gefahr oder gar eine tatsächliche Beeinträchtigung im Einzelfall fordert, sondern auf die bloß generelle Eignung abstellt. Die Möglichkeit, die Liedtexte auf der DVD zu verstehen, kann auch für Zwölfjährige trotz englischer Sprache und undeutlichem Gesang nicht ausgeschlossen werden. Die englische Sprache ist im Alltag von Kindern und Jugendlichen regelmäßig schon durch die populäre Musik allgegenwärtig. Trotz der eigentümlichen, undeutlichen und schwer verständlichen Aussprache beim „Growling“ kann nicht ausgeschlossen werden, dass jedenfalls ein geübter mit dieser Gesangsart vertrauter jugendlicher Zuhörer einen auch auf diese Weise gesungenen Liedtext verstehen kann.

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j. Schließlich kann die Klägerin auch aus dem Schreiben der BPjM vom 14. April 2005 nichts für ihre Rechtsauffassung herleiten. Diese betraf andere CDs und DVDs, die nicht Gegenstand des hiesigen Verfahrens sind. Das Schreiben enthält zudem allenfalls eine allgemeine, unverbindliche Auskunft, die nicht einmal an die Klägerin adressiert war. Eine von der Klägerin angenommene allgemeine Absprache zwischen der FSK und der BPjM scheidet auch aus rechtlichen Gründen aus. Denn die Beurteilung der Inhaltsgleichheit nach § 14 Abs. 4 S. 1 JuSchG ist kein standardisiertes Massenverfahren, sondern bedarf stets einer Beurteilung im Einzelfall.

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4. Die FSK Freigabe ist zudem auch nach § 14 Abs. 1 JuSchG materiell rechtswidrig, weil sich die auf der DVD präsentierten Lieder als jugendgefährdend darstellen. Nach § 14 Abs. 1 JuSchG dürfen Filme, die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen, nicht für ihre Altersstufe freigegeben werden. Insoweit steht der FSK kein Beurteilungsspielraum zu. Ob die Eignung, Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung und Erziehung zu beeinträchtigen, gegeben ist, ist gerichtlich uneingeschränkt überprüfbar. Denn es ist rechtlich im Interesse eines effektiven Kinder- und Jugendschutzes geboten, dass nicht nur die FSK sondern auch die Fachgerichte alle verfahrensrechtlichen Möglichkeiten ergreifen, um Gewissheit darüber zu erlangen, welchen schädigenden Einfluss das konkrete Trägermedium ausüben kann (vgl. zur Überprüfbarkeit von Entscheidungen der BPjM: BVerwG, Urteil vom 26. November 1992 – 7 C 20/92 –, BVerwGE 91, 211; zu Entscheidungen der KJM: VG München, Urteil vom 4. Juni 2009 – M 17 K 05.5329 –, juris). Die Eignung der Texte der auf der DVD enthaltenen Lieder zur Beeinträchtigung der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen und ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit ist augenfällig. Prüfungsmaßstab sind insoweit die Grundwerte der Verfassung wie die Achtung der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG und des Toleranzgebotes des Art. 3 GG (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 1971 – I C 31.68 –, BVerwGE 39, 197). Dabei hat die wertende Einschätzung eines Kunstwerks sowie die Beurteilungen seines schädigenden Einflusses auf Jugendliche durch die BPJM – auch wenn ihre Entscheidung wie die der FSK uneingeschränkt gerichtlich überprüfbar ist – den Gehalt einer sachverständigen Äußerung. Das Gericht teilt die in den verschiedenen Indizierungsentscheidungen zum Ausdruck gekommene Auffassung der BPjM, dass die Inhalte der auf der DVD gesungenen Liedtexte in einem krassem Widerspruch zur Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG), zum Schutz des menschlichen Lebens (Art. 2 Abs. 2 GG) und zur gleichberechtigten Stellung der Frau in der Gesellschaft (Art. 3 Abs. 2 GG) stehen.

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Die Texte beschreiben detailliert Tötungsvorgänge, ohne Achtung und Respekt vor dem Wert menschlichen Lebens. Sie vermitteln den Eindruck, dass Menschen zur Belustigung, aus Ärger und zur sexuellen Befriedigung folgenlos verletzt, misshandelt und getötet werden können. Sie preisen – womöglich nur scheinbar, was jedoch nicht verdeutlicht wird – eine Gesellschaft an, in der Gewalt eine Lebensweise sein soll und Menschen zum Töten geschaffen worden sein sollen. Die Texte vermitteln ein Frauen herabwürdigendes Menschenbild und ein gewaltdominiertes Sexualverhalten. Frauen werden als Objekt sexueller Befriedigung dargestellt, wobei sie grausam zu Tode kommen. Zwar kann auch grundsätzlich für die DVD „Vile-Live“ die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 GG in Anspruch genommen werden. Denn Kunst erfasst jede freie schöpferische Gestaltung, in der Erfahrungen, Eindrücke oder Phantasien des Urhebers Ausdruck finden. Auch die Kunstfreiheit ist jedoch nicht schrankenlos. Sie finden ihre Schranken in Grundrechten Dritter und anderen Rechtsgütern von Verfassungsrang – wie dem unter anderem in Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2, 6 Abs. 2 GG verankertem Jugendschutz (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. November 1990 – 1 BvR 402/87 –, BVerfGE 83, 130). Vorliegend hat demnach zur Überzeugung der Kammer die Kunstfreiheit hinter dem Jugendschutz zurück zu treten. Denn während die von der DVD „Vile Live“ ausgehende Jugendgefährdung evident und erheblich ist, ist ihr künstlerischer Gehalt von hiergegen untergeordneter Bedeutung. Die Aussagen der Lieder stehen in keinem – für einen Zwölfjährigen erkennbaren – gesellschaftskritischen Kontext. Die Aussagen der Lieder erschöpfen sich in der detaillierten und brutalen Schilderung von Gewalt, Tötung und abnormalen Sexualhandlungen, ohne sich mit ihren Ursachen und Folgen auseinanderzusetzen; geschweige denn einen Denkanstoß zu einer solchen Auseinandersetzung beim Zuhörer zu geben.

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5. Da sich die materielle Rechtswidrigkeit des Ausgangsbescheides bereits aus § 14 Abs. 1 und 4 JuSchG ergibt, kann dahinstehen, ob die Altersfreigabe auch nach § 14 Abs. 3, 15 Abs. 2 Nr. 1 JuSchG i. V. m. § 131 StGB materiell rechtswidrig war; wofür allerdings spricht, dass die CDs der C. „Butchered at Birth“ und „Created to Kill“, die zum Teil dieselben Lieder enthalten wie die DVD, gerichtlich wegen Verstoßes gegen § 131 StGB beschlagnahmt wurden.

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6. Im Übrigen richten sich die Voraussetzungen für die Rücknahme der FSK-Freigabe nach § 48 Abs. 3 und 4 VwVfG, da es sich bei der Freigabe um einen begünstigenden Verwaltungsakt handelt, der weder eine Geld-, noch eine teilbare Sachleistung gewährt. Ein Verwaltungsakt ist nach der Legaldefinition des § 48 Abs. 1 S. 2 VwVfG begünstigend, wenn er einen rechtlichen oder rechtserheblichen Vorteil gewährt. Die FSK-Kennzeichnung „freigegeben ab zwölf Jahren“ gewährt der Klägerin den rechtlich erheblichen Vorteil, die DVD „Vile-Live“ an Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren zu vertreiben. Denn nach § 12 Abs. 1 JuSchG dürfen Bildträger einem Kind oder einer jugendlichen Person in der Öffentlichkeit nur zugänglich gemacht werden, wenn sie für ihre Altersstufe freigegeben und gekennzeichnet worden sind. Zudem schützt die FSK-Kennzeichnung nach § 18 Abs. 8 JuSchG vor einer Indizierung. Die Freigabe gewährt weder eine Geldleistung, noch eine teilbare Sachleistung, da sie weder die Klägerin finanziell begünstigt, noch die öffentliche Hand finanziell belastet.

71

7. Weitere Tatbestandvoraussetzungen enthält § 48 Abs. 3 S. 1 VwVfG nicht. Insbesondere verlangt die Vorschrift im Unterschied zu Abs. 2 keine Abwägung zwischen dem schutzwürdigen Vertrauen des Begünstigenden und dem öffentlichen Interesse an der Rücknahme des Verwaltungsaktes (BVerwG, Urteil vom 24. September 1992 – 2 A 6/91 –, BVerwGE 91, 57; Bayerischer VGH, Urteil vom 22. Juli 1991 – 1 B 87.1954 –, NVwZ 1992, 992; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Auflage 2014, § 48 Rn. 177). Dies ergibt sich aus seinem Wortlaut und einem systematischen Vergleich mit Abs. 2. § 48 Abs. 2 VwVfG enthält ausdrücklich die Einschränkung, dass der Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden darf, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. § 48 Abs. 3 VwVfG enthält eine solche Einschränkung der Rücknahme nicht. Er sieht, wenn der Verwaltungsakt zurückgenommen ist, lediglich einen Ausgleichsanspruch des Betroffenen vor, soweit dieser auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist.

72

8. Der Rücknahme der Freigabebescheinigung steht nicht die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG entgegen, da diese nach § 48 Abs. 4 S. 2, Abs. 2 S. 3 Nr. 1 VwVfG nicht zur Anwendung kam.

73

a. Die Klägerin hat die Freigabebescheinigung durch arglistige Täuschung erwirkt. § 48 Abs. 4 S. 2 VwVfG gilt auch in den Fällen des § 48 Abs. 3 VwVfG. § 48 Abs. 3 VwVfG zeigt, dass in beiden Fällen bei arglistiger Täuschung der Vertrauensschutz gleichermaßen entfallen soll (BVerwG, Urteil vom 23. Mai 1995 – 1 C 3/94 –, BVerwGE 98, 298; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Auflage 2014, § 48 Rn. 209). Täuschung ist jede Einwirkung auf das intellektuelle Vorstellungsvermögen eines anderen, die geeignet ist eine Fehlvorstellung über Tatsachen hervorzurufen. Arglistig ist die Täuschung, wenn sie vorsätzlich erfolgt, wobei es genügt, wenn die Täuschung bei einer Aussage ins Blaue billigend in Kauf genommen wird. Eine arglistige Täuschung ist insbesondere anzunehmen, wenn der Adressat des Verwaltungsaktes durch Angaben, deren Unrichtigkeit er für möglich hielt, billigend in Kauf nimmt, bei einem am Zustandekommen des Verwaltungsaktes maßgeblich beteiligten Mitarbeiter der Behörde einen Irrtum in dem Bewusstsein hervorzurufen, diesen durch Täuschung zu einer günstigen Entscheidung zu bestimmen (BVerwG, Urteil vom 18. September 1985 – 2 C 30/84 – DVBl 1986, 148; Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 112).

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b. Danach hat die Klägerin die FSK-Freigabe der DVD „Vile-Live“ durch arglistige Täuschung erwirkt. Denn sie hat zur Überzeugung des Gerichts, obwohl sie es für möglich hielt und billigend in Kauf nahm, dass die auf der DVD enthaltenen Lieder bereits auf anderen indizierten CDs der C. enthalten sind, gegenüber der FSK unter Buchstabe d) des Antragsformulars versichert, dass das Trägermedium nicht indiziert sei. Auch wenn die DVD „Vile-Live“ selbst nicht indiziert war, entsprach die Versicherung der Klägerin objektiv schon nicht der Wahrheit, da die DVD Lieder enthielt, die mit identischen Texten auf von der BPjM indizierten CDs enthalten waren. Die Klägerin fasst den Begriff des Trägermediums unter Buchstabe d) des FSK-Antragsformulars zu ihren Gunsten zu eng. Buchstabe d) kann – auch aus Sicht eines durchschnittlichen, verständigen Antragstellers – nur dahin verstanden werden, dass weder das konkret eingereichte Trägermedium noch die auf ihm enthaltenen Inhalte indiziert sind. Andernfalls könnte die Versicherung unter Buchstabe d) allzu leicht durch neue Zusammenstellung, Umbenennung oder jede sonst noch so geringe Veränderungen eines bereits indizierten Trägermediums umgangen werden, was durch digitale Bearbeitungsprogramme erheblich vereinfacht wurde. Zudem würde bei dem von der Klägerin zugrunde gelegten Verständnis der mit Buchstabe d) verfolgte Zweck verfehlt. Die Versicherung, dass das eingereichte Trägermedium nicht indiziert ist bzw. die Angabe, dass es (keine) indizierte Inhalte enthält, soll der FSK gerade die Prüfung ermöglichen, ob eine Freigabe und Alterskennzeichnung nach § 14 Abs. 4 JuSchG wegen Inhaltsgleichheit zu unterbleiben hat. Auch insoweit kann es aus den bereits oben zu § 14 Abs. 4 JuSchG dargelegten Gründen nicht darauf ankommen, dass es sich bei der DVD und den CDs um Trägermedien unterschiedlicher Art handelt. Für eine derart weite Hinweispflicht der Klägerin spricht im Übrigen auch, dass sie unter Buchstabe c) des Antragsformulars versicherte, die Regelungen des JuSchG einzuhalten. Das JuSchG verbietet nicht nur die Verbreitung indizierter Trägermedien an Kinder und Jugendliche, sondern auch solcher, die selbst zwar nicht indiziert, aber mit indizierten Trägermedien zumindest teilweise inhaltlich übereinstimmen. Nach § 18 Abs. 1, Abs. 3 JuSchG dürfen Trägermedien, die mit einem Trägermedium, dessen Aufnahme in die Liste jugendgefährdender Medien bekannt gemacht ist, im Wesentlichen inhaltsgleich sind, nicht Kindern und jugendlichen Personen zugänglich gemacht werden.

75

c. Zur Überzeugung des Gerichts hielt die Klägerin es jedenfalls für möglich und nahm billigend in Kauf, dass auf der DVD enthaltene Lieder bereits auf indizierten CDs der C. enthalten waren. Insoweit kommt es nicht darauf an, dass die Klägerin an den Indizierungsverfahren in der Vergangenheit nicht selbst beteiligt war und ob sie die Begründungen der Indizierungsentscheidungen, sowie die auf den indizierten CDs enthaltenen mit denen auf der DVD identischen Lieder kannte. Es erscheint unglaubhaft, dass ihr als Inhaberin der Vertriebsrechte an der CD „Vile“ und der DVD „Vile-Live“ nicht bekannt war, dass andere Produkte der C. mit denselben Liedern in der Vergangenheit von der BPjM indiziert wurden und sie dies nicht einmal für möglich hielt. Als Inhaberin der Vertriebsrechte oblag es der Klägerin – wie § 18 Abs. 1, 3 JuSchG sowie die Buchstaben c) und d) des FSK-Antragsformulars zeigen – sich vor Antragsstellung darüber zu informieren, ob die zur Altersfreigabe eingereichte DVD „Vile-Live“ jugendschutzrelevante Inhalte beinhaltet. Bei einer DVD, die ein Live-Konzert der C. zeigt, erscheint es naheliegend, dass diese bereits indizierte Inhalte enthält. Bereits der Name der Band, das Musikgenre des Death-Metal und die Häufigkeit der Indizierungsentscheidungen in der Vergangenheit legen dies nahe. Vor diesem Hintergrund kann die Versicherung der Klägerin nur als Aussage ins Blaue hinein angesehen werden, der nicht gefolgt werden kann.

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d. Jedenfalls war die Frist bei Bekanntgabe des Rücknahmebescheides gegenüber der Klägerin am 10. August 2015 noch nicht abgelaufen. Die Rücknahmefrist beginnt gemäß § 31 Abs. 1 VwVfG i. V. m. § 187 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) mit dem Ablauf des Tages, an dem die Behörde Kenntnis von Tatsachen erlangt, die eine Rücknahme rechtfertigen. Dies setzt voraus, dass die Behörde positive und vollständige Kenntnis von allen Tatsachen erlangt, die für die Entscheidung über die Rücknahme relevant sind – also die Beurteilung der Rechtswidrigkeit, die Interessenabwägung und die Ausübung des Ermessens ermöglichen – und die Behörde auch zu der Erkenntnis der Rechtswidrigkeit und Rücknehmbarkeit des Verwaltungsaktes gelangt (BVerwG, Beschluss vom 19. Dezember 1984 – GrSen 1/84, GrSen 2/84 –, BVerwGE 70, 356; Urteil vom 24. Januar 2001 – 8 C 8/00 –, BVerwGE 112, 360; Urteil vom 17. Februar 1993 – 11 C 47/92 –, BVerwGE 92, 81).

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Danach hat der Beklagte hier frühestens mit dem Schreiben der BPjM an die FSK vom 10. November 2014 Kenntnis im Sinne von § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG erlangt, so dass die Jahresfrist jedenfalls bis zum 10. November 2015 lief. Insoweit kann dahinstehen, ob sich der Beklagte die Kenntnis der FSK zurechnen lassen muss oder ob er sogar erst durch die E-Mail der BPjM vom 22. Januar 2015 Kenntnis im Sinne von § 48 Abs. 4 VwVfG erlangt hat. Bei Antragsstellung war dem Beklagten allenfalls bekannt, dass die Lieder „Devoured by Vermin“, „Mummified in Barbed Wire“, „Bloodlands“, „Puncture Wound Massacre“, „Covered with Sores“, „Addicted to Vaginal Skin“, „Gutted“, „Shredded Humans“, „A Skull full of Maggots“ und „Hammer Smashed Face“ auf CDs der C. enthalten sind, die von der BPjM indiziert wurden. Ihm war aber nicht bekannt, dass dieser Lieder mit identischen Texten auch auf der zur Altersfreigabe eingereichten DVD enthalten waren. Denn weder waren der DVD eine Titel- und Textliste beigelegt, noch wurden die Titel auf der DVD angesagt. Erst aufgrund der Mitteilung, dass auf der DVD Lieder der C. zu hören waren, die auch auf bereits von der BPjM indizierten CDs enthalten waren, kam der Beklagte zu der Erkenntnis, dass die Altersfreigabe wegen § 14 Abs. 4 JuSchG nicht hätte erfolgen dürfen.

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e. Ob der Beklagte von dem Umstand, dass die DVD dieselben Lieder enthielt wie indizierte CDs der C., hätte Kenntnis haben können oder sogar müssen steht der Rücknahme nicht entgegen. Denn weder schließt ein Kennenmüssen oder Kennenkönnen der rücknahmerelevanten Tatsachen eine Rücknahme wegen arglistiger Täuschung aus (SächsOVG, Beschluss vom 28. Juni 1994 – 2 S 130/94 – SächsVBl 1994, 269; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, a.a.O., § 48 Rn. 150), noch ist es geeignet die Frist des § 48 Abs. 4 VwVfG auslösen (BVerwG, Beschluss vom 19. Dezember 1984 – GrSen 1/84, GrSen 2/84 –, BVerwGE 70, 356; VGH Mannheim, Urteil vom 10. Dezember 1996 – 10 S 6/96 – NVwZ 1998, 87).

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9. Auch auf eine Verwirkung kann sich die Klägerin nicht berufen. Die Rücknahmebefugnis kann zwar nach allgemeinen Grundsätzen – unbeschadet der Regelungen des § 48 Abs. 4 VwVfG - verwirkt werden. Eine Verwirkung setzt aber voraus, dass das betreffende Recht längere Zeit nicht geltend gemacht worden ist und besondere Umstände vorliegen, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Derartige besondere Umstände liegen nur vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen wird (BVerwG, EuGH-Vorlage vom 28. September 1994 – 11 C 3/93 –, NVwZ 1995, 703; Urteil vom 20. Dezember 1999 – 7 C 42/98 –, BVerwGE 110, 226; VGH Mannheim, Urteil vom 10. Dezember 1996 - 10 S 6/96 -) Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, da es an besonderen Umständen fehlt, die ein Vertrauen der Klägerin auf die Nichtrücknahme rechtfertigen. Der Beklagte hat durch sein Verhalten in keiner Weise zum Ausdruck gebracht, dass er von seinem Rücknahmerecht keinen Gebrauch machen werde. Infolge seiner Unkenntnis bis zum Erlass des Rücknahmebescheides hat er sich zu einer möglichen Rücknahme seit der Freigabeentscheidung schlicht gar nicht verhalten. Auf das Schreiben der BPjM vom 14. April 2005 kann sich die Klägerin insoweit nicht berufen. Dieses betraf weder die hier streitgegenständliche Altersfreigabe der DVD „Vile-Live“ noch war es an die Klägerin gerichtet. Überdies kann bei der Klägerin, wie vorstehend dargelegt, infolge ihrer arglistigen Täuschung kein schutzwürdiges Vertrauen entstanden sein. Allein der zeitlich lange Bestand der rechtswidrigen Altersfreigabe kann eine Verwirkung nicht begründen. Dass der Klägerin durch die Rücknahme unzumutbare Nachteile entstünden, hat diese zudem – ohne dass es hier darauf noch ankäme – nicht im Ansatz dargelegt.

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10. Schließlich hat der Beklagte sein ihm von § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG eingeräumtes Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Die Ausübung des Ermessens des Beklagten ist nach § 114 Satz 1 VwGO nur auf Ermessensfehler zu überprüfen. Ein solcher liegt nicht vor. Insoweit mag dahinstehen, ob in Fällen des § 48 Abs. 3 S. 1 VwVfG im Rahmen des Ermessens ein schutzwürdiges Vertrauen Berücksichtigung zu finden hat (noch ablehnend: BVerwG, Urteil vom 28. April 1987 – 1 C 18/84; Hessischer VGH, Beschluss vom 29. Dezember 1992 – 14 TH 668/92 –, NVwZ-RR 1993, 350; jetzt einschränkend: BVerwG, Urteil vom 20. Oktober 1987 – 9 C 255/86 –, BVerwGE 78, 139; Beschluss vom 07. November 2000 – 8 B 137/00 –, NVwZ-RR 2001, 198; zum Streitstand: Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 137). Denn jedenfalls kann die Klägerin für sich kein schutzwürdiges Vertrauen in Anspruch nehmen. Auf ein schutzwürdiges Vertrauen kann sie sich – wie ausgeführt – entsprechend § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 VwVfG nicht berufen. Entgegen der Auffassung der Klägerin durfte der Beklagte im Rahmen seines Ermessens auch auf die bereits indizierten CDs der C. abstellen. Es handelt sich dabei nicht deshalb um sachfremde Erwägungen, weil diese selbst nicht verfahrensgegenständlich waren. § 14 Abs. 4 S. 1 JuSchG sieht ihm Rahmen des Freigabeverfahrens ausdrücklich vor, andere indizierte Trägermedien heranzuziehen, um eine Freigabe abzulehnen.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 Abs. 1, Abs. 2 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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