Urteil vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (5. Kammer) - 5 Sa 543/13

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 28.08.2013 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Mainz, Az. 1 Ca 2313/12, aufgehoben.

Das klagestattgebende Versäumnisurteil des Amtsgerichts Mainz vom 16.10.2012, Az. 79 C 311/12, wird aufrechterhalten.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten darüber, ob Entgeltansprüche des Klägers durch Aufrechnung erloschen sind.

2

Zwischen den Parteien bestand vom 01.11.2009 bis zum 31.03.2012 ein Arbeits-verhältnis, das durch eine Kündigung der Beklagten aufgelöst worden ist. Der Kläger war als Verkaufsmitarbeiter im Außendienst zu einem Bruttomonatsgehalt von € 1.300,00 angestellt. Der geldwerte Vorteil für die Privatnutzung des Dienstwagens betrug zusätzlich € 216,00.

3

Die Parteien schlossen ab 01.11.2009 einen weiteren schriftlichen Vertrag. Danach war der Kläger als selbständiger Handelsvertreter iSd. §§ 84 ff. HGB für die Beklagte auf Provisionsbasis tätig. Ebenfalls im Zeitraum vom 01.11.2009 bis 31.03.2012 stand der Kläger in einem Vertragsverhältnis als selbständiger Berater mit einer niederländischen Schwestergesellschaft der Beklagten, der Firma J. G. N. BV, die ihm monatlich einen Betrag von € 800,00 auf sein Konto in Deutschland überwies.

4

Die Beklagte hat gegen den Kläger aus einem früheren Handelsvertretervertrag eine durch Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Mayen vom 17.07.2007 (Az. 06-5916103-0-0) titulierte Hauptforderung ("Darlehensrückzahlung gemäß Vertrag 30019/61 vom 16.12.04") iHv. € 33.358,96 zzgl. Kosten und 11 % Zinsen seit 02.12.2004.

5

Am 21.12.2009 schloss der Kläger mit der Firma F.-F. P. v. P. Wein- und Sektkellerei GmbH, einer Schwestergesellschaft der Beklagten, einen "Darlehensvertrag" über eine Summe von € 6.770,13. Der Vertrag hat -auszugsweise - folgenden Wortlaut:

6

Das Darlehen resultiert aus dem Soll-Saldo des Provisionskontos Nr. 20368 - Stand: 30.11.2009 - in Höhe von € 4.288,70 sowie den nicht bezahlten Sozialabgaben gemäß Aufstellung des Personalbüros in Höhe von € 2.481,43.

7

Für das Darlehen werden 5% keine Zinsen Zinsen berechnet.

8

Die Belastung der Zinsen erfolgt monatlich.

9

Die Rückzahlung des Darlehens erfolgt ab November 2009 in monatlichen Raten von € 50,00, die vom Gehalt bei [der Beklagten] einbehalten werden.
… "

10

Am 25.06.2010 schloss der Kläger mit der Beklagten einen Darlehensvertrag über eine Summe von € 41.197,09. Dieser Vertrag hat - auszugsweise - folgenden Wortlaut:

11

"Das Darlehen resultiert ersichtlich auf dem Provisionskonto Nr. 30019 sowie dem Darlehenskonto Nr. 9185.

12

Für das Darlehen werden 7% Zinsen berechnet.

13

Die Belastung der Zinsen erfolgt monatlich.

14

Die Rückzahlung des Darlehens erfolgt ab Juli 2010 in monatlichen Raten von € 150,00 über das Provisionskonto.
…."

15

Die Beklagte behielt vom abgerechneten Nettoarbeitsentgelt des Klägers in folgenden Monaten folgende Beträge ein:

16

Monat 

Gesamt
netto

Einbehalt
netto

Auszahlung
netto

Mai 2011

€ 870,05

€ 381,57

€ 488,48

August 2011

€ 870,05

€ 447,80

€ 422,25

Januar 2012

€ 875,71

€ 424,57

€ 451,14

Februar 2012

€ 869,41

€ 446,85

€ 442,56

März 2012

€ 330,40

€ 330,40

€ 0,00

        

SUMME

€ 2.031,19

        

17

Mit seiner am 26.07.2012 beim Amtsgericht Mainz eingegangenen Klage verlangte der Kläger von der Beklagten die Zahlung von € 2.031,19 nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 29.06.2012. Das Amtsgericht hat am 16.10.2012 ein klagestattgebendes Versäumnisurteil (Az. 79 C 311/12) erlassen. Gegen das am 25.10.2012 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 31.10.2012 Einspruch eingelegt. Mit Beschluss vom 23.11.2012 hat das Amtsgericht den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Mainz verwiesen.

18

Der Kläger macht geltend, der vorgenommene Einbehalt verletze das Aufrechnungsverbot des § 394 BGB und sei deshalb unwirksam.

19

Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,

20

das Versäumnisurteil des Amtsgerichts Mainz vom 16.10.2012 aufrecht zu erhalten,
hilfsweise: die Beklagte zu verurteilen, an ihn € 2.031,19 netto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.06.2012 zu zahlen.

21

Die Beklagte hat beantragt,

22

das Versäumnisurteil des Amtsgerichts Mainz vom 16.10.2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

23

Die Beklagte hat vorgetragen, sie habe mit dem Kläger vereinbart, dass von seinem Nettogehalt monatlich um € 50,00 und € 150,00 sowie Zinsen iHv. 7 % p.a. einbehalten werden. Das Aufrechnungsverbot des § 394 BGB greife nicht. Das bei ihrer niederländischen Schwestergesellschaft erzielte Einkommen des Klägers von monatlich € 800,00 (netto) sei dem Arbeitseinkommen hinzuzurechnen.

24

Das Arbeitsgericht hat mit am 28.08.2013 verkündeten Urteil das Versäumnisurteil des Amtsgerichts Mainz vom 16.10.2012, Az. 79 C 311/12, aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung der Entscheidung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, der Anspruch des Klägers auf Zahlung von € 2.031,19 netto sei erloschen, weil die Beklagte mit Gegenforderungen wirksam aufgerechnet habe. Zwar sehe der schriftliche Darlehensvertrag vom 25.06.2010 eine Aufrechnung mit dem Provisionskonto des Klägers vor, jedoch sei zwischen den Parteien mündlich vereinbart worden, dass die Monatsraten iHv. € 150,00 mit dem Gehaltskonto des Klägers verrechnet werden sollen. Außerdem sei die Aufrechnung mit den anfallenden Zinsen mündlich bzw. stillschweigend vereinbart worden. Hinzu komme, dass die Beklagte - für den Kläger erkennbar - über mehrere Monate mit den anfallenden Zinsen aufgerechnet habe. Ein gesetzliches Aufrechnungsverbot nach § 394 BGB bestehe nicht, weil das Arbeitseinkommen des Klägers bei der Beklagten mit seinem zweiten Arbeitseinkommen für seine Beratertätigkeit bei der Firma J. G. N. BV iHv. € 800,00 monatlich zusammenzurechnen sei. Ein Zusammenrechnungsbeschluss des Vollstreckungsgerichts sei nicht erforderlich (vgl. BAG 30.07.1992 - 6 AZR 169/91 - Juris). Zu den Unterhaltspflichten ggü. seiner Tochter sei der Kläger beweisfällig geblieben. Wegen weiterer Einzelheiten der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf Seite 7 bis 12 des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.

25

Das am 28.08.2013 verkündete Urteil ist dem Kläger am 30.10.2013 in abgefasster Form zugestellt worden. Er hat mit am 29.11.2013 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 19.12.2013 eingegangenem Schriftsatz begründet.

26

Der Kläger macht geltend, das von der Beklagten gezahlte Arbeitsentgelt habe in den im Streit stehenden Monaten dem Pfändungsschutz des § 850c ZPO unterlegen. Die Aufrechnung sei daher gemäß § 394 BGB unzulässig. Die von der Firma J. G. N. BV monatlich gezahlten € 800,00 seien nicht mit seinem Arbeitsentgelt bei der Beklagten zu addieren, weil es sich um Zahlungen aus einer selbständigen Tätigkeit gehandelt habe. Für die Zusammenrechnung der beiden Einkünfte fehle es darüber hinaus an einem Beschluss des Vollstreckungsgerichts. Das Arbeitsgericht hätte schließlich auch berücksichtigen müssen, dass er gegenüber seiner Tochter (J. B., geb. 1992) in den im Streit stehenden Monaten unterhaltspflichtig gewesen sei und ihr auch Unterhalt gezahlt habe, so dass sich die Pfändungsfreigrenze erhöht habe. Er habe seine Tochter für die Unterhaltszahlungen als Zeugin benannt. Dieses Beweisangebot habe das Arbeitsgericht übergangen. Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Inhalt des Schriftsatzes des Klägers vom 19.12.2013 Bezug genommen.

27

Der Kläger beantragt zweitinstanzlich,

28

das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 28.08.2013, Az. 1 Ca 2313/12, abzuändern und das Versäumnisurteil des Amtsgerichts Mainz vom 16.10.2012, Az. 79 C 311/12, aufrecht zu erhalten.

29

Die Beklagte beantragt,

30

die Berufung zurückzuweisen.

31

Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung vom 31.01.2014 auf die Bezug genommen wird, als zutreffend. Zwischen den Parteien sei im Rahmen der Verhandlungen zum Abschluss des Arbeitsvertrags vereinbart worden, dass das Gehalt des Klägers um monatlich € 150,00 zzgl. Zinsen iHv. 7 % pro Jahr per Anrechnung einbehalten werde. Auf diese Anrechnungsvereinbarung sei das Aufrechnungsverbot des § 394 BGB nicht anwendbar. Im Übrigen liege auch kein Verstoß gegen das gesetzlich Aufrechnungsverbot vor, weil das unpfändbare Arbeitseinkommen des Klägers nach § 850c ZPO aufgrund der Zusammenrechnung mit den monatlichen Einnahmen von € 800,00 (netto) aus seiner selbstständigen Beratertätigkeit für die Firma J. G. N. BV überschritten sei. Ein Zusammenrechnungsbeschluss des Vollstreckungsgerichts sei nicht erforderlich. Vorliegend sei eine Anrechnungsvereinbarung geschlossen worden. Außerhalb eines Vollstreckungsverfahrens könne ein Vollstreckungsgericht keinen Zusammenrechnungsbeschluss iSv. § 850e Nr. 2 ZPO vornehmen. Sollte sie nicht berechtigt sein, die verschiedenen Einkommen zusammenzurechnen, würde dies zu einer nicht gerechtfertigten Gläubigerbenachteiligung führen. Da sie mit ihrer Schwestergesellschaft J. G. N. BV über die gemeinsame Muttergesellschaft (Fa. J. G. GmbH & Co. KG) verbunden sei, habe sie umfassende Kenntnis über die Einkünfte des Klägers. Dadurch sei sichergestellt, dass ihm die Pfändungsfreigrenze jedenfalls einmalig verbleibe. Da der Kläger nicht substantiiert vorgetragen habe, dass er seiner Tochter in den streitigen Monaten tatsächlich Unterhalt gewährt habe, sei eine Unterhaltspflicht bei der Ermittlung der Pfändungsfreigrenze nicht zu berücksichtigen.

32

Im Übrigen wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

33

Die gemäß § 64 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. b ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist insbesondere form- sowie fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO).

II.

34

Die Berufung des Klägers hat auch in der Sache Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des am 28.08.2013 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Mainz und zur Aufrechterhaltung des klagestattgebenden Versäumnisurteils des Amtsgerichts Mainz vom 16.10.2012.

35

1. Der Anspruch des Klägers auf Zahlung des restlichen Arbeitsentgelts für die fünf Monate Mai 2011, August 2011, Januar 2012, Februar 2012 und März 2012 in der geltend gemachten Gesamthöhe von € 2.031,10 netto aus § 611 BGB iVm. dem zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrag ist unstreitig entstanden.

36

2. Entgegen der Auffassung der Beklagten war sie nicht berechtigt, von den fälligen Nettoarbeitsentgeltansprüchen des Klägers für die im Streit stehenden Monate Darlehensraten nebst Darlehenszinsen ohne Aufrechnung nach §§ 387 ff. BGB in Abzug zu bringen. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der die Berufungskammer folgt, darf der Arbeitgeber ohne Rücksicht auf die Pfändungsgrenzen (§ 394 BGB iVm. §§ 850a ff. ZPO) im Wege der Verrechnung nur Vorschüsse von der verdienten Vergütung in Abzug bringen (BAG 25.09.2002 - 10 AZR 7/02 - Rn. 31 mwN, NZA 2003, 617). Bei den Darlehensraten nebst Zinsen handelte es sich nicht um Vorschüsse.

37

Soweit sich die Beklagte darauf beruft, sie habe mit dem Kläger im Rahmen der Vertragsverhandlungen eine "Anrechnungsvereinbarung" getroffen, verkennt sie, dass das zwingende Aufrechnungsverbot des § 394 Satz 1 BGB nicht durch Parteivereinbarung umgangen werden kann (BAG 17.02.2009 - 9 AZR 676/07 - Rn. 21 ff mwN, NZA 2010, 99).

38

3. Der Anspruch des Klägers auf Arbeitsentgelt ist nicht - auch nicht teilweise - durch Aufrechnung nach §§ 387, 389 BGB erloschen. Die durch die Entgelteinbehaltungen in den im Streit stehenden Monaten realisierten Aufrechnungen der Beklagten (vgl. BAG 25.09.2002 - 10 AZR 7/02 - Rn. 34, aaO) verstoßen gegen das Aufrechnungsverbot des § 394 Satz 1 BGB.

39

§ 394 Satz 1 BGB schließt eine Aufrechnung gegen eine Forderung aus, soweit diese nicht der Pfändung unterworfen ist. Bei Arbeitseinkommen bestimmt sich der pfändbare Teil gemäß § 850 Abs. 1 ZPO nach Maßgabe der §§ 850a bis 850i ZPO. Zur Sicherung des Existenzminimums des Arbeitnehmers und seiner unterhaltsberechtigten Familienangehörigen regelt § 850c Abs. 1 ZPO einen unpfändbaren Grundbetrag. Das Nettoarbeitsentgelt des Klägers in den im Streit stehenden fünf Monaten lag stets deutlich unter dem pfändungsfreien Grundbetrag von € 985,15 (bis 30.06.2011) bzw. von € 1.028,89 (ab 01.07.2011). Das Nettoeinkommen des Klägers betrug ausweislich der vorgelegten Verdienstabrechnungen im Mai 2011 € 870,05, im August 2011 € 870,05, im Januar 2012 € 875,71, im Februar 2012 € 869,41 und im März 2012 € 330,40. Auf die Erfüllung von Unterhaltspflichten gegenüber der Tochter des Klägers kommt es dabei nicht an.

40

4. Der Zugriff auf das pfändungsfreie Nettoentgelt lässt sich entgegen der Ansicht der Beklagten nicht mit der Erwägung rechtfertigen, die monatlichen Einkünfte des Klägers iHv. € 800,00 (netto) für seine selbständige Beratertätigkeit bei ihrer niederländischen Schwestergesellschaft J. G. N. BV seien dem bei ihr erzielten Arbeitseinkommen hinzuzurechnen.

41

a) Eine solche Zusammenrechnung ist nach § 850e Nr. 2 ZPO grundsätzlich möglich. Danach sind auf Antrag mehrere Arbeitseinkommen "bei der Pfändung" zusammenzurechnen. Für einen solchen Beschluss nach § 850e Nr. 2 ZPO sind aber nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift nur die Vollstreckungsgerichte zuständig. Ein entsprechender Beschluss liegt nicht vor.

42

b) Der Gesetzgeber hat in den §§ 850 ff. ZPO den Pfändungsschutz von Arbeitseinkommen im Einzelnen geregelt, insb. welche Einkünfte der Pfändung unterliegen und welche Beträge einem Pfändungsschuldner als Eigenbehalt bzw. zur Erfüllung seiner Unterhaltspflichten belassen werden müssen. In Einzelfällen lässt das Gesetz zu, dass grundsätzlich unpfändbare Einkünfte pfändbar werden, Unterhaltsverpflichtungen unberücksichtigt bleiben oder Freibeträge auf Grund besonderer Umstände erhöht werden (§§ 850b Abs. 2, 850c Abs. 4, 850e, 850f ZPO). Diese Ausnahmeregelungen bedürfen aber ausdrücklich einer rechtsgestaltenden gerichtlichen Anordnung durch die Vollstreckungsgerichte. Dies gilt auch für die Berücksichtigung mehrerer Einkünfte des Schuldners. Bezieht ein Pfändungsschuldner mehrere Einkommen, ist bei der Berechnung pfändbarer Anteile jedes Einkommen getrennt zu betrachten (§ 850e ZPO). Ausschließlich das Vollstreckungsgericht kann die Zusammenrechnung mehrerer Einkommen anordnen. Für eine entsprechende Befugnis der Prozessgerichte besteht keine Rechtsgrundlage. Auch eine analoge Anwendung des § 850e Nr. 2 ZPO scheidet aus. Dies hat das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 24.04.2002 mit ausführlicher Begründung, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, entschieden (BAG 24.04.2002 - 10 AZR 42/01 - Rn. 24 ff, AP ZPO § 850e Nr. 5). Die Berufungskammer folgt dieser Rechtsprechung, von der - auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH 31.10.2003 - IXa ZB 194/03 - NZA 2004, 119; BGH 19.05.2009 - IX ZR 37/06 - NJW-RR 2010, 211) - abzuweichen kein Anlass besteht.

43

c) Entgegen der Ansicht der Beklagten liegt hier kein Ausnahmefall vor, der eine Zusammenrechnung von mehreren Einkommen außerhalb des Vollstreckungsverfahrens rechtfertigen könnte. Der Kläger bezog Arbeitseinkommen und Einkommen aus selbständiger Tätigkeit von zwei rechtlich selbständigen Schuldnern, der Beklagten (sowohl aus Arbeits- als auch aus Handelsvertretervertrag) sowie ihrer niederländischen Schwestergesellschaft aus Beratervertrag. Das Arbeitseinkommen von der Beklagten und das Einkommen aus selbständiger Tätigkeit von der Beklagten und der Firma J. G. N. BV können nicht als "ein Arbeitseinkommen" betrachtet werden. Die Aufteilung der Einkommensquellen war von den Parteien - aus welchen Motiven auch immer - bewusst so gewollt. Die Beklagte verfügt über einen Vollstreckungstitel, so dass sie die Zwangsvollstreckung betreiben und beim Vollstreckungsgericht einen Antrag nach § 850e Nr. 2 ZPO stellen kann.

44

Wollte man im Streitfall eine Zusammenrechnung ohne Beschluss des Vollstreckungsgerichts zulassen, könnten sich die Beklagte und ihre Schwestergesellschaft F.-F. P. v. P. Wein- und Sektkellerei GmbH einen sachlich nicht gerechtfertigten Vorteil verschaffen. Es ist ohnehin unklar, weshalb der Kläger als Arbeitnehmer der Beklagten für "nicht bezahlte Sozialabgaben gemäß Aufstellung des Personalbüros" der Schwestergesellschaft F.-F. P. v. P. Wein- und Sektkellerei GmbH iHv. € 2.481,43 mit seinem pfändungsfreien Arbeitseinkommen haften müsste. Außerdem fällt auf, dass die Beklagte dem Kläger für eine "Darlehensforderung" von € 41.197,09 ab Juni 2010 Zinsen von 7 % p.a. berechnet, obwohl die mit Vollstreckungsbescheid titulierte Hauptforderung € 33.358,96 beträgt, die seit 02.12.2004 mit Zinsen von 11 % p.a. zu verzinsen ist, so dass ein Verstoß gegen das Zinseszinsverbot des § 289 Abs. 1 BGB vorliegen dürfte. Auch aus Schuldnerschutzgesichtspunkten ist es daher nicht gerechtfertigt, der Beklagten zu gestatten, auf den unpfändbaren Grundbetrag des Arbeitseinkommens ohne Zusammenrechnungsbeschluss des Vollstreckungsgerichts iSv. § 850e Nr. 2 ZPO zuzugreifen.

45

5. Der Zinsanspruch des Klägers beruht auf Verzug (§§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB). Der Kläger hat die Beklagte mit Schreiben vom 22.06.2012 unter Fristsetzung zur Zahlung aufgefordert.

III.

46

Die Beklagte hat nach § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz zu tragen, weil sie in vollem Umfang unterlegen ist.

47

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.

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