Urteil vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (2. Kammer) - 2 Sa 203/16

I. Auf die Berufung des Klägers wird das zweite Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 23.03.2016 - 11 Ca 3960/15 - aufgehoben.

II. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Berufung, an das Arbeitsgericht Koblenz zurückverwiesen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Mit seiner beim Arbeitsgericht Koblenz gegen die Beklagte erhobenen Klage vom 10. November 2015 hat der Kläger beantragt "festzustellen, dass es sich um eine sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmerschaft handelt" und "den gesetzlich gültigen Mindestlohn zu zahlen". Zur Begründung hat er in seiner Klageschrift, in deren Betreff es u.a. "Kündigungsschutzklage sowie Leistungsanspruch auf Arbeitsentgelt ab dem 08. Juni 2015" heißt, ausgeführt, dass er am 09. Mai 2015 einen Vertrag als T.-Repräsentant geschlossen habe, der mit dem als Anlage beigefügten Schreiben der Beklagten vom 16. Oktober 2015 gekündigt worden sei. Dem mit Schreiben vom 17. und 26. Oktober 2015 eingelegten Widerspruch gegen diese Kündigung sei nicht stattgegeben und die Kündigung auch nicht vorab dem Betriebsrat vorgelegt worden. Nach der gelebten Vertragspraxis handele es sich um eine sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmerschaft und nicht um ein Handelsvertretervertragsverhältnis. Ein genauerer Vortrag hierzu müsse aus den von ihm angeführten gesundheitlichen Gründen nachgereicht werden.

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Im Gütetermin vom 24. Februar 2016 ist der Kläger nicht erschienen. Daraufhin hat das Arbeitsgericht auf Antrag der Beklagten die Klage durch das im Termin verkündete Versäumnisurteil vom 24. Februar 2016 abgewiesen. Hiergegen hat der Kläger mit seinem am 25. Februar 2016 beim Arbeitsgericht eingegangenen Telefax Einspruch eingelegt. Sodann hat das Arbeitsgericht Kammertermin zur mündlichen Verhandlung über den Einspruch auf den 23. März 2016 bestimmt. Zu diesem Termin ist der Kläger ausweislich der Zustellungsurkunde am 01. März 2016 geladen worden. Im Kammertermin vom 23. März 2016 ist der Kläger nicht erschienen. Daraufhin hat das Arbeitsgericht auf Antrag der Beklagten den Einspruch des Klägers gegen das Versäumnisurteil vom 24. Februar 2016 durch das von ihm erlassene zweite Versäumnisurteil vom 23. März 2016 verworfen.

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Das zweite Versäumnisurteil ist dem Kläger am 15. April 2016 zugestellt worden. Der Kläger hat mit seinem am 17. Mai 2016 (Montag) beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangenen Telefax Prozesskostenhilfe zum Zwecke der Einlegung der Berufung gegen das zweite Versäumnisurteil vom 23. März 2016 mit der Begründung beantragt, dass nach den vorgelegten Gutachten sein Fernbleiben nicht unentschuldigt gewesen sowie aktuell auch keine Prozessfähigkeit mehr gegeben sei. Mit Beschluss des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 18. Juli 2016 ist dem Kläger für die beabsichtigte Berufung gegen das zweite Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 23. März 2016 - 11 Ca 3960/15 - Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten bewilligt worden. Mit Schriftsatz vom 27. Juli 2016, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am gleichen Tag eingegangen, hat der Kläger gegen das zweite Versäumnisurteil Berufung eingelegt und vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Mit Schriftsatz vom 12. August 2016, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am gleichen Tag eingegangen, hat der Kläger seine Berufung begründet.

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Mit Beschluss vom 05. Oktober 2016 - 2 XVII 1211/13 - (Bl. 333 - 335 d. A.) hat das Amtsgericht Koblenz die für den Kläger angeordnete Betreuung um die Aufgabenkreise der Vertretung in Gerichts- und Parteigerichtsverfahren sowie die Vertretung gegenüber Behörden erweitert und zum Betreuer des Klägers dessen Prozessbevollmächtigten bestellt.

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Der Kläger trägt vor, seine Säumnis im zweiten Termin sei unverschuldet gewesen, weil er dem Gericht eine Vertagung rechtzeitig ermöglicht habe. Er habe die per Telefax vom 07. März 2016 beantragte Terminsverlegung auch begründet sowie entsprechende Belege eingereicht. Nachdem seine Aussagen über Facebook Gegenstand eines "Wahlkampfskandals" mit bundesweiter Beachtung gewesen seien, sei er in der Folge massiv bedroht worden und habe sich Anfeindungen von allen Seiten ausgesetzt gesehen. Er habe sich als ohnehin schon psychisch labil nicht in der Lage gesehen hiermit umzugehen und daher um Vertagung und Fristverlängerung gebeten. In dieser Zeit habe er sich kaum noch aus dem Haus getraut und sei daher nicht in der Lage gewesen, an dem Termin teilzunehmen. Zudem habe er darauf hingewiesen, dass er unter Betreuung durch seinen jetzigen Prozessbevollmächtigten gestanden habe. Das Arbeitsgericht wäre nach diesem Hinweis gehalten gewesen, die Frage der Prozessfähigkeit von Amts wegen nach § 56 ZPO zu prüfen. Dabei hätten sich Zweifel an der Prozessfähigkeit dem Gericht geradezu aufdrängen müssen. Er selbst habe vorgetragen, dass er bereits unter Betreuung stehe und diese ggf. erweitert werden solle. Hinzu seien die massiven Belastungen durch die "Affäre A." im Landeswahlkampf sowie körperliche Gebrechen gekommen, wozu er ausführlich vorgetragen habe. Das Arbeitsgericht habe es unterlassen, ihn als möglicherweise prozessunfähigen Kläger auf die Möglichkeit der Betreuerbestellung hinzuweisen, damit die Klage nicht als unzulässig abzuweisen wäre. Damit habe es sein Recht auf rechtliches Gehör nach Art. 103 GG verletzt.

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Der Kläger beantragt,

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das erste Versäumnisurteil vom 24. Februar 2016 sowie das zweite Versäumnisurteil vom 23. März 2016 des Arbeitsgerichts Koblenz - 11 Ca 3960/15 - aufzuheben, seinem Einspruch stattzugeben und das Verfahren nach § 538 ZPO ggf. an das Arbeitsgericht zurück zu verweisen und
festzustellen, dass es sich um eine sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmerschaft handelt,
ihm den gesetzlichen Mindestlohn zu zahlen.

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Der Kläger beantragt weiterhin,

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ihm wegen Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Berufung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Sie erwidert, ein Grund zur Zurückverweisung des Rechtsstreits bestehe nicht. Auch wenn § 68 ArbGG eine Zurückverweisung nach § 538 Abs. 2 Nr. 6 ZPO nicht ausschließe, könne das Berufungsgericht in der Sache selbst entscheiden. Falls der Kläger prozessunfähig sei, so wäre er auch beim Abschluss des Handelsvertretervertrags vom 09. Mai 2015 geschäftsunfähig gewesen, so dass er seinen solchen Vertrag nicht wirksam habe abschließen können. Der Kläger berufe sich aber auf diesen Vertrag und wolle hieraus Ansprüche ableiten. In der Sache selbst trage der Kläger nichts dafür vor, woraus er eine sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmerschaft ableiten wolle. Der Antrag auf Feststellung, dass dem Kläger der gesetzliche Mindestlohn zu zahlen sei, sei bereits unzulässig. Zum einen sei der Kläger selbständiger Handelsvertreter gewesen, zum anderen müsse er einen Lohnanspruch für die Vergangenheit beziffern. Auch hierzu fehle jeder substantiierte Sachvortrag.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen zweiten Versäumnisurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Arbeitsgericht gemäß § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 6 ZPO.

I.

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Die gemäß § 64 Abs. 1 und 2 Buchst. d ArbGG statthafte Berufung ist zulässig.

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1. Dem Kläger ist gemäß § 233 ZPO wegen der Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Berufung (§ 66 Abs. 1 ArbGG) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

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Der Kläger war wegen Mittellosigkeit und somit ohne sein Verschulden verhindert, die Fristen zur Einlegung und Begründung der Berufung einzuhalten. Das durch Bedürftigkeit begründete Unvermögen einer Partei, einen Rechtsanwalt mit der notwendigen Vertretung zur Vornahme von fristwahrenden Prozesshandlungen zu beauftragen, begründet eine unverschuldete Versäumung von Rechtsmittelfristen, wenn die Partei alles in ihren Kräften stehende und ihr Zumutbare getan hat, um die Frist zu wahren. Demgemäß besteht ein Wiedereinsetzungsgrund dann, wenn die Partei ein vollständiges Gesuch um Prozesskostenhilfe innerhalb der Rechtsmittelfrist beim zuständigen Gericht anbringt (vgl. LAG Rheinland-Pfalz 14. Juli 2015 - 6 Sa 22/15 - Rn. 27, juris). Der Kläger hat am Montag, 17. Mai 2016, und damit innerhalb der Berufungsfrist beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Prozesskostenhilfe beantragt, die ihm mit Beschluss des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 18. Juli 2016 bewilligt worden ist. Mit Schriftsatz vom 27. Juli 2016, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am gleichen Tag eingegangen, hat der Kläger innerhalb der zweiwöchigen Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 S. 1 ZPO Berufung eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Die Begründung der Berufung ging am 12. August 2016 und damit innerhalb der Monatsfrist des § 234 Abs. 1 S. 2 ZPO beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz ein. Damit hat der Kläger die versäumten Prozesshandlungen innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist nachgeholt (§ 236 Abs. 2 S. 2 ZPO), so dass ihm Wiedereinsetzung zu gewähren ist.

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2. Die vom Kläger selbst vorgebrachte eigene Prozessunfähigkeit führt nicht zur Unzulässigkeit seiner Berufung.

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Zwar ist für die Zulässigkeit der Berufung grundsätzlich die Prozessfähigkeit des Berufungsklägers als Prozesshandlung erforderlich. Jedoch muss im Interesse eines vollständigen Rechtsschutzes auch der Prozessunfähige die Möglichkeit haben, den Prozess durch seine Handlungen in die höhere Instanz zu bringen. Dies gilt anerkanntermaßen für das Rechtsmittel der Partei, die sich dagegen wendet, dass sie in der Vorinstanz zu Unrecht als prozessfähig oder als prozessunfähig behandelt worden ist. Anderenfalls bliebe ein an dem Verfahrensverstoß leidendes Urteil der unteren Instanz aufrechterhalten, erwüchse in Rechtskraft und könnte nur mit der Nichtigkeitsklage (§ 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO) beseitigt werden. Dieser Gesichtspunkt, der der Schutzbedürftigkeit des Prozessunfähigen Rechnung trägt, hat auch Bedeutung, wenn die Partei, deren Prozessfähigkeit fraglich ist, sich gegen das in der Vorinstanz gegen sie ergangene Sachurteil wendet und mit ihrem Rechtsmittel ein anderes, ihrem Begehren entsprechendes Sachurteil erstrebt. Denn auch in diesem Fall würde mit der Verwerfung der Berufung als unzulässig ein möglicherweise fälschlich ergangenes Sachurteil bestätigt, obwohl es sich bei der Prozessfähigkeit der Partei um eine von Amts wegen zu prüfende Prozessvoraussetzung handelt (BGH 08. Dezember 2009 - VI ZR 284/08 - Rn. 12, juris).

II.

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Die Berufung ist auch begründet.

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Nach § 514 Abs. 2 S. 1 ZPO unterliegt ein zweites Versäumnisurteil, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist (§ 345 ZPO), der Berufung insoweit, als sie darauf gestützt wird, dass ein Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe. Eine schuldhafte Säumnis setzt insbesondere die ordnungsgemäße Ladung zum Termin zur mündlichen Verhandlung über den Einspruch voraus (BGH 06. Oktober 2011 - IX ZB 149/11 - Rn. 9, juris), die hier nicht wirksam erfolgt ist.

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1. Aufgrund des vom Kläger vorgelegten Betreuungsgutachtens vom 01. März 2016, das im Auftrag des Amtsgerichtes Koblenz in dem bei ihm anhängigen Verfahren (Az.: 142 C 836/15) erstattet worden ist, steht zur Überzeugung des Berufungsgerichts fest, dass der Kläger bereits im Zeitpunkt seiner am 01. März 2016 erfolgten Ladung zum Termin zur mündlichen Verhandlung über den Einspruch prozessunfähig mit der Folge war, dass die an ihn selbst bewirkte Zustellung der Ladung gemäß § 170 Abs. 1 S. 2 ZPO unwirksam ist.

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a) Das mögliche Fehlen der Prozessfähigkeit als eine zwingende Prozessvoraussetzung ist in jeder Lage des Verfahrens nach § 56 Abs. 1 ZPO von Amts wegen zu berücksichtigen. Bei der Ermittlung und Feststellung, ob Prozessunfähigkeit vorliegt, ist das Gericht nicht an die förmlichen Beweismittel des Zivilprozesses gebunden, vielmehr gilt der Grundsatz des Freibeweises (BAG 05. Juni 2014 - 6 AZN 267/14 - Rn. 13, NZA 2014, 799). Eine Person ist nach § 52 ZPO insoweit prozessfähig, als sie sich durch Verträge verpflichten kann. Prozessunfähig, weil geschäftsunfähig, sind deshalb Volljährige unter den Voraussetzungen des § 104 Nr. 2 BGB. Danach ist geschäftsunfähig, wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden, dauerhaften Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet. Ein solcher Zustand ist gegeben, wenn jemand nicht im Stande ist, seinen Willen frei und unbeeinflusst von einer vorliegenden Geistesstörung zu bilden und nach zutreffend gewonnenen Einsichten zu handeln. Abzustellen ist allein darauf, ob eine freie Entscheidung nach Abwägung des Für und Wider bei sachlicher Prüfung der in Betracht kommenden Gesichtspunkte möglich ist oder umgekehrt von einer freien Willensbildung nicht mehr gesprochen werden kann (BAG 05. Juni 2014 - 6 AZN 267/14 - Rn. 15, NZA 2014, 799). Die Geschäftsfähigkeit und damit die Prozessfähigkeit kann auch für einen bestimmten Kreis von Angelegenheiten wegen Vorliegens einer geistigen Störung ausgeschlossen sein (sog. partielle Prozessunfähigkeit, vgl. Zöller ZPO 31. Aufl. § 52 Rn. 10).

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b) Das Amtsgericht Koblenz hat in dem bei ihm unter dem Aktenzeichen 142 C 836/15 geführten Räumungsprozess ein Sachverständigengutachten zur Prozessfähigkeit des Klägers eingeholt. Die beauftragte Gutachterin Frau Z, Fachärztin für Psychiatrie, Psychotherapie, Suchtmedizin, Verkehrsmedizin, hat das von ihr erstattete fachpsychiatrische Gutachten auf die ihr zur Verfügung gestellten Sachakten des Amtsgerichts Koblenz, die Betreuungsakten des Klägers sowie auf eine von ihr durchgeführte psychiatrische Exploration des Klägers in seiner häuslichen Umgebung und die dabei erhobenen Befunde sowie den persönlich von ihr gewonnenen Eindruck gestützt. In ihrem Gutachten hat sie die Vorgeschichte, die Befunde der Sachakten, die bisherigen Gutachten und die Ergebnisse ihrer eigenen Begutachtung des Klägers am 15. Februar 2016 in seiner häuslichen Umgebung im Einzelnen dargestellt. Auf der Grundlage der von ihr festgestellten Auffälligkeiten ist die Gutachterin zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger unter einer paranoiden Persönlichkeitsstörung leide. Vor dem Hintergrund seiner Persönlichkeitsstörung und der in diesem Zusammenhang vorliegenden unkorrigierbaren Überzeugungen u.a. vom Rechtssystem grundsätzlich benachteiligt und von der Justiz verfolgt zu werden, sei die freie Willensbildung stark beeinträchtigt bzw. nicht gegeben. Aus fachpsychiatrischer Sicht sei der Kläger nicht ausreichend in der Lage, gewissen krankheitsbedingten Impulsen kognitiv angemessen zu begegnen, ihnen die Anforderungen der Realität entgegenzusetzen oder gar Alternativverhalten zu entwickeln. So sei er in seinen überdauernden Vorstellungen derart erstarrt, dass ihm die Möglichkeit fehle, bei Rechtsstreitigkeiten sein Denken und Handeln zu steuern. Er sei nicht mehr in der Lage, andere Auffassungen zu bedenken, und damit auch nicht fähig, die Behandlung seiner Anträge durch die Gerichte im Verfahren nachzuvollziehen, so dass aus fachpsychiatrischer Sicht aktuell und auf nicht absehbare Zeit die medizinischen Voraussetzungen einer Prozessunfähigkeit gegeben seien. Eine entsprechende Erweiterung der gesetzlichen Betreuung mit Einwilligungsvorbehalt sei daher auch gegen den Willen des Betroffenen erforderlich, weil dieser krankheitsbedingt in seiner freien Willensbildung stark beeinträchtigt sei.

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Aufgrund der sachverständigen Feststellungen, die sich an einem zutreffenden Verständnis der Prozessunfähigkeit orientieren, ist das Berufungsgericht zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger in Bezug auf Rechtsstreitigkeiten nicht im Stande ist, seinen Willen frei und unbeeinflusst von der gutachterlich festgestellten paranoiden Persönlichkeitsstörung zu bilden und nach zutreffend gewonnenen Einsichten zu handeln, so dass er insoweit als prozessunfähig anzusehen ist. Bei seiner Anhörung im Termin vom 02. Februar 2017 hat auch der Kläger selbst erklärt, er sei gemäß dem von ihm vorgelegten Gutachten bereits zum damaligen Zeitpunkt prozessunfähig gewesen. Entgegen den Ausführungen der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 05. Juli 2016 steht dem nicht entgegen, dass der Kläger nach dem Sachverständigengutachten rein kognitiv in der Lage ist, die Anforderungen an eine Prozessfähigkeit zu erfüllen. Maßgeblich ist vielmehr, dass er aufgrund der ihm attestierten paranoiden Persönlichkeitsstörung in seiner freien Willensbildung derart stark beeinträchtigt ist, dass ihm die Möglichkeit fehlt, bei Rechtsstreitigkeiten sein Denken und Handeln zu steuern und eine freie Entscheidung nach Abwägung des Für und Wider bei sachlicher Prüfung der in Betracht kommenden Gesichtspunkte zu treffen.

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c) Danach ist die dem Kläger am 01. März 2016 zugestellte Ladung zum Termin zur mündlichen Verhandlung über den Einspruch vom 23. März 2016 nicht ordnungsgemäß erfolgt, weil er gemäß dem vorgelegten Gutachten vom 01. März 2016 bereits zu diesem Zeitpunkt prozessunfähig war.

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Nicht verkündete Terminsbestimmungen sind gemäß § 329 Abs. 2 S. 2 ZPO zuzustellen. Nach § 170 Abs. 1 S. 1 ZPO ist bei nicht prozessfähigen Personen an ihren gesetzlichen Vertreter zuzustellen. Die Zustellung an die nicht prozessfähige Person ist nach § 170 Abs. 1 S. 2 ZPO unwirksam. Betreute Personen werden im Aufgabenkreis des Betreuers gemäß § 1902 BGB durch diesen gerichtlich und außergerichtlich vertreten. Die Ladung zum Termin am 23. März 2016 hätte nur an einen Betreuer des prozessunfähigen Klägers wirksam zugestellt werden können, was nicht erfolgt ist. Mithin hat mangels ordnungsgemäßer Ladung des Klägers zum Termin am 23. März 2016 keine Säumnis vorgelegen (vgl. hierzu BAG 05. Juni 2014 - 6 AZN 267/14 - Rn. 23 - 26, NZA 2014, 799).

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2. Aufgrund der hiernach begründeten Berufung gegen das vom Arbeitsgericht erlassene zweite Versäumnisurteil macht das Berufungsgericht gemäß §§ 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 6 ZPO vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch, die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Arbeitsgericht zurückzuverweisen.

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Die Anwendung von § 538 Abs. 2 Nr. 2 bis 7 ZPO wird durch § 68 ArbGG nicht ausgeschlossen (Germelmann/Matthes/Prütting ArbGG 8. Aufl. § 68 Rn. 10; vgl. auch BAG 20. Februar 2014 - 2 AZR 864/12 - Rn. 13, NZA 2015, 124). Den für eine Zurückverweisung nach § 538 Abs. 2 S. 1 ZPO erforderlichen Antrag hat der Kläger gestellt. Im Streitfall ist auch eine weitere Verhandlung zur Gewährung rechtlichen Gehörs erforderlich. Ist eine Partei prozessunfähig, kann sie sich nicht eigenverantwortlich äußern. Ihr kann rechtliches Gehör wirksam deshalb nur durch die Anhörung eines gesetzlichen Vertreters gewährt werden. Die Beteiligung allein des Prozessunfähigen reicht zur Wahrung des rechtlichen Gehörs nicht aus. Art. 103 Abs. 1 GG verlangt von den Gerichten, die unterlassene Gewährung rechtlichen Gehörs nachzuholen, sofern die Auslegung des Verfahrensrechts dies ermöglicht (BAG 28. Mai 2009 - 6 AZN 17/09 - Rn. 5, NZA 2009, 1109). Für den prozessunfähigen Kläger ist erst im Verlaufe des Berufungsverfahrens mit Beschluss des Amtsgerichts Koblenz vom 05. Oktober 2016 - 2 XVII 1211/13 - ein Betreuer für den Aufgabenkreis der Vertretung in (allen) Gerichts- und Parteigerichtsverfahren bestellt worden. Dem nunmehr als Betreuer bestellten Prozessbevollmächtigten des Klägers ist zunächst gemäß § 139 Abs. 1 ZPO durch Erteilung entsprechender Hinweise und Auflagen Gelegenheit zu geben, die Klage schlüssig zu begründen und dem Klagebegehren entsprechende, hinreichend bestimmte Klageanträge zu stellen. Bei der nach § 538 Abs. 2 ZPO zu treffenden Ermessensentscheidung ist zwar zu berücksichtigen, dass eine Zurückverweisung der Sache in aller Regel zu einer Verzögerung des Rechtsstreits führt und im arbeitsgerichtlichen Verfahren das Beschleunigungsgebot der §§ 9 Abs. 1, 61 a Abs. 1 ArbGG zu beachten ist. Gleichwohl erscheint vorliegend eine Zurückverweisung bei Abwägung des hiermit verbundenen zusätzlichen Zeit- und Kostenaufwands gegen den Verlust einer Tatsacheninstanz als sachdienlich. Der Kläger konnte sich aufgrund seiner Prozessunfähigkeit erstinstanzlich nicht eigenverantwortlich äußern. Dementsprechend erscheint es unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs als geboten, seinem erst im Verlaufe des Berufungsverfahrens bestellten Betreuer die Möglichkeit einzuräumen, das Verfahren erstinstanzlich erneut zu führen und die Klage nach den noch zu erteilenden Hinweisen und Auflagen mit entsprechend sachdienlichen Anträgen zu begründen. Insbesondere ist ihm Gelegenheit zu geben, den Feststellungsantrag im Hinblick auf die nach der Klagebegründung angegriffene Kündigung zu präzisieren und schlüssig zu begründen. Gleiches gilt für den Antrag auf Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns, der bislang nicht beziffert und deshalb nicht hinreichend bestimmt ist (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Das Arbeitsgericht wird schließlich auch über die Kosten der Berufung zu entscheiden haben.

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Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 72 Abs. 2 ArbGG) nicht vorliegen.

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