Urteil vom Landgericht Frankenthal (Pfalz) (6. Zivilkammer) - 6 O 238/19

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreites.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Klägerin ist nach eigener Bezeichnung eine nationalistische politische Partei mit Sitz in Ort. Die Beklagte betreibt das soziale Netzwerk D (in Eigenschreibweise D) in Europa. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Freischaltung ihres inzwischen gesperrten D-Nutzerkontos und dort eingestellter Beiträge, auf Unterlassung künftiger Löschung dieser Beiträge oder Sperrung ihres Nutzerkontos für das erneute Einstellen dieser Beiträge, sowie hilfsweise auf Erstellen eines neuen Nutzerkontos in Anspruch.

2

Die Beklagte verwendet zur Regelung der Kommunikation ihre sogenannten Gemeinschaftsstandards. Auf das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien sind die Nutzungsbedingungen („Erklärung der Rechte und Pflichten“, sog. Gemeinschaftsstandards) der Beklagten in der Fassung vom 15.04.2020 anwendbar. Den „Nutzungsbedingungen“ muss jeder Nutzer vor der Registrierung bei dem D-Dienst zustimmen. Nach diesen ist es den Nutzern untersagt, Posts zu veröffentlichen, die „gegen diese Gemeinschaftsstandards oder sonstige Nutzungsbedingungen und Richtlinien, die für deine Nutzung von D gelten“, verstoßen. Die Ziffer 4.2 der Nutzungsbedingungen mit dem Titel „Aussetzung oder Kündigung von Konten“ regelt ein Kündigungsrecht der Beklagten:

3

„Unser Recht auf Kündigung ().... Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor, wenn eine Partei gegen aus diesen Nutzungsbedingungen resultierenden Pflichten, Gesetze, Rechte Dritter oder Datenschutzrichtlinien verstößt, und der kündigenden Partei unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls und nach Abwägung der Interessen beider Parteien die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zum vereinbarten Kündigungstermin oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Eine Kündigung aus wichtigem Grund ist nur innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens nach Kenntniserlangung von dem Verstoß möglich. Ist der wichtige Grund ein Verstoß gegen eine Pflicht dieser Nutzungsbedingungen, so ist die Kündigung nur nach dem erfolglosen Ablauf einer gewährten Abhilfefrist oder nach einer erfolglosen Abmahnung zulässig. Eine Frist für die Abhilfe ist jedoch nicht erforderlich, wenn die andere Seite die Erfüllung ihrer Pflichten ernsthaft und endgültig verweigert oder wenn nach Abwägung der Interessen beider Parteien besondere Umstände eine sofortige Kündigung rechtfertigen.“

4

In den Gemeinschaftsstandards der Beklagten heißt es u.a. weiter:

5

„Verstöße gegen unsere Gemeinschaftsstandards haben Folgen. Wie diese Folgen konkret aussehen, hängt von der Schwere des Verstoßes und dem bisherigen Verhalten der jeweiligen Person auf unserer Plattform ab...()

6

Ziffer III. 12 der Gemeinschaftsstandards enthält bezüglich des aufgelisteten Kanons der möglichen verstöße eine Definition von verbotener „Hassrede”:

7

„Wir definieren Hassrede als direkten Angriff auf Personen aufgrund geschützter Eigenschaften: ethnische Zugehörigkeit, nationale Herkunft, religiöse Zugehörigkeit, sexuelle Orientierung, Kaste, Geschlecht, Geschlechtsidentität, ernsthafte Erkrankung oder schwere Behinderung. Auch der Einwanderungsstatus ist in gewissem Umfang eine geschützte Eigenschaft. Wir definieren Angriff als gewalttätige oder menschenverachtende Sprache, Aussagen über Minderwertigkeit oder Aufrufe, Personen auszuschließen oder zu isolieren.“

8

Weiter definieren die Gemeinschaftsstandards in Ziffer 2 unter der Überschrift „gefährliche Organisationen und Personen“, denen auf der Plattformen der Beklagten generell keine Präsenz erlaubt wird.

9

„Jedweder aus drei oder mehr Personen bestehender Zusammenschluss, der unter einem Namen, Zeichen oder Symbol organisiert ist und dessen Ideologie, Aussagen oder physische Handlungen Personen aufgrund bestimmter Eigenschaften, wie u.a. ethnische Zugehörigkeit, religiöse Zugehörigkeit, Nationalität, ethnische Herkunft, Geschlecht, sexuelle Orientierung, schwere Erkrankung oder Behinderung, angreifen.“ ...()

10

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Anlagen B 44-46 Bezug genommen (Bl. 571f. d. A.).

11

Die Klägerin unterhielt bis zum 30.1.2019 bei dem sozialen Netzwerk D eine D Seite mit der Bezeichnung „Kläger “, auf der sie über das aktuelle politische Tagesgeschehen und ihre Parteiarbeit berichtete.

12

Die Klägerin veröffentlichte auf ihrer Internetseite unter der URL https://Kläger.info/2019/01winterhilfestand-in-zwickau-neuplanitz/ einen Artikel über einen Winterhilfestand in Zwickau-Neuplanitz, der aus Text und Lichtbildern besteht, der u.a. den nachfolgenden Passus enthält:

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“ Im Zwickauer Stadtteil Neuplanitz gibt es zahlreiche Menschen, die man landläufig wohl als sozial und finanziell abgehängt bezeichnen würde. Während nach und nach immer mehr art-und kulturfremde Asylanten in Wohnungen in den dortigen Plattenbauten einquartiert wurden, die mitunter ihrer Dankbarkeit mit Gewalt und Kriminalität Ausdruck verleihen, haben nicht wenige Deutsche im Viertel kaum Perspektiven (…)“.

14

Am 21.1.2019 teilte einer der Seitenadministratoren der D Seite der Klägerin einen Link zu dem von der Klägerin auf ihrer Internetseite veröffentlichen Artikel.

15

Unmittelbar nach der Veröffentlichung wurde seitens der Beklagten mitgeteilt, dass die Sichtbarkeit des Beitrages eingeschränkt und das Veröffentlichen von Beiträgen für 30 Tage gesperrt sei. Als Begründung wurde ein Verstoß gegen die Gemeinschaftsstandards ausgeführt, wonach eine Sperrung wegen „Hassrede“ erfolgt sei (Anlage K 5). Der Administrator der D Seite legte Einspruch ein und bat um Prüfung der Sperrung. Am 30.1.2019 erfolgte die Löschung der D Seite der Klägerin, deren Inhalt nicht mehr verfügbar ist.

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Die Klägerin forderte mit Schreiben vom 22.02.2019 unter Fristsetzung bis zum 26.02.2019 zur Unterlassung der Sperrung und dem Vorenthalten der Nutzung auf (Anlage K 8).

17

Nachdem die Klägerin im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens mit Beschlüssen der hiesigen Kammer vom 08.03.2019 und 04.04.2019 (Az: 6 0 56/19) sowie des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken mit Beschluss vom 17.04.2019 (Az. 4 W 20/19, B 1, Bl. 114 f. d.A.) mit ihrem behaupteten Verfügungsanspruch scheiterte, erließ das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 22.05.2019 (Az. 1 BvQ 42/19) eine einstweilige Anordnung nach § 32 BVerfGG, wonach die Beklagte verpflichtet wurde, den Internetauftritt der Klägerin auf der Plattform D vorläufig zu entsperren und ihr für diesen Zeitraum die Nutzung der Funktionen von www.D.com wieder einzuräumen.

18

Mit Bekanntgabe des amtlichen Endergebnisses der Europawahl wurde die Dselte der Klägerin in der Folge durch die Beklagte erneut gesperrt. Hiergegen wendet sich die Klägerin nunmehr in der Hauptsache und macht gegen die Beklagte behauptete Leistungs- sowie Unterlassungsansprüche wegen der Sperrung ihrer Dseite geltend.

19

Der Klägerin trägt vor,

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die Sperrung sei rechtswidrig erfolgt. Die Beklagte sei aufgrund ihrer eigenen allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht dazu berechtigt. Durch die Zurverfügungstellung der Nutzungsmöglichkeiten sei ein Vertragsverhältnis mit gegenseitigen Rechten und Pflichten begründet. Der gelöschte Beitrag falle nicht unter die vertraglich eingeräumten Sanktionierungsmöglichkeiten, da er keinen Verstoß gegen die allgemeinen Geschäftsbedingungen darstelle. Hilfsweise seien die Gemeinschaftsstandards wegen Verstoß gegen die §§ 305 ff. BGB unwirksam.

21

Auch läge kein Fall einer Volksverhetzung im Sinne des § 130 StGB vor.

22

Weiter seien die Voraussetzungen einer außerordentlichen Kündigung im Sinne des § 314 Abs.1 BGB nicht gegeben. Es fehle an einem Kündigungsgrund, sowie zudem an einer vorangegangenen Abmahnung.

23

Die Beklagte sei – obwohl sie kein staatliches Organ ist - an Grundrechte gebunden und müsse deren mittelbare Drittwirkung beachten, da sie quasi eine Monopolstellung habe. Die Klägerin könne sich neben Art. 5 GG auch auf ihre grundrechtsgleichen Rechte aus Art. 21, 3 GG und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 38 Abs. 1 GG berufen. Sie müsse davon ausgehen, dass ihre D Seite weiterhin gesperrt bleibe, was in Anbetracht der Bedeutung des Portals D für die Politik zu einer Chancenverzerrung im politischen Wettbewerb führen würde. Der Beklagten stehe auch kein virtuelles Hausrecht zu.

24

Daher stelle das Verhalten der Beklagten eine unerlaubte Handlung dar, weshalb der Klägerin gegen die Beklagte ein Anspruch aus § 241 Abs. 2 i.V.m § 1004 BGB sowie aus § 823 Abs. 1 i.V.m § 249 Abs. 1 BGB zustehe, da das der Klägerin aus dem Vertragsverhältnis zustehende Nutzungsrecht an der streitgegenständlichen Dseite eine eigentumsfähige Rechtsposition darstelle.

25

Die Klägerin beantragt,

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1. Die Beklagte wird verurteilt, die Dseite der Klägerin unter der URL https.//www.D.com/ mit der Bezeichnung „Kläger" zu entsperren und ihr die Nutzung der Funktionen von www.D.com wieder einzuräumen.

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2. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meldung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000 Euro, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu unterlassen, die Dseite der Klägerin unter der URLhttps://www.D.com/ mit der Bezeichnung „Kläger“ wegen des Teilens des nachfolgenden Beitrages zu sperren und die Nutzung der Funktionen von www.D.com vorzuenthalten oder den Beitrag zu löschen bzw. deren Sichtbarkeit einzuschränken:

Bild der Internetseite
Abbildung

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3. Hilfsweise, für den Fall einer unwiederbringlichen Löschung der Daten der Klägerin, wird die Beklagte verurteilt, die Dseite der Klägerin unter der URL https://www.D.com/ mit der Bezeichnung „Kläger" neu einzurichten und der Klägerin die Nutzung der Funktionen von www.D.com wieder einzuräumen.

29

Die Beklagte beantragt,

30

die Klage wird abgewiesen.

31

Die Beklagte trägt vor,

32

die Klägerin verkenne das Recht der Beklagten, ihre Plattform im Einklang mit ihrer Berufsfreiheit, der Eigentumsfreiheit und dem virtuellen Hausrecht zu betreiben, sowie ihr Interesse an der Aufrechterhaltung einer sicheren, konfliktfreien Plattform für ihre multikulturelle Gemeinschaft von mehr als 2,8 Milliarden Nutzern weltweit zu schützen. Der Beklagten stehe ein Recht zu, der Präsenz gewisser Arten von Inhalten auf ihrer Plattform zu entgegenzuwirken.

33

Bei der Klägerin handele es sich um eine rechtsextremistische Organisation mit verfassungsfeindlichen politischen Ansichten und engen Beziehungen zur Neo-Nazi-Szene, was aus den vorgelegten Verfassungsschutzberichten erkennbar sei. Die Behauptung der Klägerin, die streitgegenständliche Seite sei lediglich aufgrund eines einzelnen Posts entfernt worden, der gegen das in den Gemeinschaftsstandards enthaltene Verbot von „Hassrede“ verstieß, sei unzutreffend. Vielmehr sei die Beklagte durch den streitgegenständlichen Post erst auf die Seite der Klägerin aufmerksam geworden und habe die D-Seite der Klägerin auch deswegen gesperrt, da es sich bei der Klägerin um eine bekannte „Hassorganisation“ im Sinne der „Gemeinschaftsstandards“ handele. Der Sperrung der streitgegenständlichen Seite sei eine dauerhafte Auseinandersetzung mit der Klägerin vorausgegangen. D-Seiten der Klägerin seien bereits mehrfach gelöscht worden, so etwa bereits am 25. Januar 2018, am 15. August 2017, am 13. Mai 2017 und am 10. Februar 2014. Die streitgegenständliche Seite sei ein weiterer Versuch, unter Verstoß gegen die Richtlinien und Bestimmungen von D Ireland eine fremdenfeindliche Ideologie auf dem D Dienst zu verbreiten.

34

Ein privates Unternehmen könne nicht dazu verpflichtet werden, einer Organisation eine Plattform zur Verfügung zu stellen, die laut dem Verfassungsschutzbericht 2019 historischen Nationalsozialismus, Antisemitismus und fremdenfeindliche Äußerungen verbreite sowie die demokratische Verfassung grundsätzlich ablehne. Dies sei nicht nur unzumutbar, sondern könnte auch den Ruf dieses Unternehmens gefährden.

35

Die Kammer hat am 11.08.2020 verhandelt und hat hierbei die Akte des einstweiligen Verfügungsverfahrens des Landgericht Frankenthal (Pfalz), Az. 6 O 56/19, zu Informationszwecken beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.

36

Im Übrigen wird wegen des weiteren Vorbringens auf die Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die ergänzenden Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

37

Die internationale Zuständigkeit des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) ergibt sich aus Art. 17 Abs. 1 lit.c, Abs. 2 i. V. m. Art. 18 Abs. 1 Var. 2 Brüssel Ia-VO. Die Klägerin begehrt jedenfalls auch Unterlassung der Sperrung und Freigabe der Nutzung aufgrund behaupteten deliktischen Anspruchs wegen Eingriffs in Grundrechte bzw. Ansprüchen wegen Vertragsverletzung nach § 241 Abs. 2 BGB. Eingetreten ist das für die Klägerin behauptete schädigende Ereignis sowohl am Ort des Schadenseintritts - Erfolgsort - als auch am Ort des ursächlichen Handelns oder Unterlassens - Handlungsort. Gleiches gilt für die Behauptung des Eingriffs in Grundrechte.

II.

38

Die Anträge auf Aufhebung der Sperrung sowie Unterlassung der Löschung sind unbegründet. Die Kammer kann hierbei im Rahmen der Rechtsprüfung offenlassen, ob in den vorgelegten Gemeinschaftsstandards der Beklagten wirksam die Anwendung irischen Rechts vereinbart ist. Denn die Parteien haben sich bewusst auf eine Verhandlung nach deutschem Recht durch ihren Vortrag eingelassen, so dass dieser Aspekt des Verfahrens außer Streit steht. Auch bei einer wohlwollenden Auslegung des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO hinsichtlich der geltend gemachten Anträge steht der Klägerin keiner der geltend gemachten Ansprüche zu. Sowohl vertragliche (§ 280 Abs.1 i.V.m dem Nutzvertrag bei D), quasivertragliche (§§ 311 Abs.1, 2 241 Abs. 2 BGB) als auch gesetzliche Ansprüche der Klägerin (§§ 1004 oder § 823 Abs.1 BGB) scheiden aus.

1.

39

Durch die Sperrung und Löschung des Beitrages hat die Beklagte sich nicht rechtswidrig verhalten, sondern hat den bestehenden Vertrag vielmehr konkludent wirksam und berechtigt nach § 314 Abs.1 BGB analog gekündigt.

40

Die nach Ablauf des Europa-Wahlkampfes erfolgte erneute Sperrung der D Seite der Klägerin aufgrund der erfolgten Verlinkung des streitgegenständlichen Beitrages (https://Kläger.info/2019/01winterhilfestand-in-zwickau-neuplanitz/) über die D-Seite der Klägerin ist rechtmäßig erfolgt. Dieses Verhalten ist als konkludent erfolgte außerordentliche Kündigung unter Bezugnahme auf die Gemeinschaftsstandards anzusehen (§§ 133, 157 BGB), bei welcher unter Abwägung der Interessen beider Parteien besondere Umstände eine sofortige Kündigung rechtfertigen.

a.

41

Die Parteien haben unstreitig einen Vertrag über die Nutzung des sozialen Netzwerks der Beklagten geschlossen, bei dem es sich um einen schuldrechtlichen Vertrag mit Miet-, Werk- sowie dienstvertraglichen Elementen handelt (So auch: OLG München, Beschluss vom 24. August 2018 – 18 W 1294/18). Gegenstand dieses Vertrages sind auch die von der Beklagten gestellten Verhaltensregeln, welche allgemeine Geschäftsbedingungen Sinne der §§ 305ff. BGB darstellen. Grundsätzlich kann der Betreiber eines sozialen Netzwerks seine Verhaltensregeln auch durch Entfernung eines rechtswidrigen Inhalts oder durch Sperrung eines Nutzeraccounts durchsetzen (Schwartmann/Ohr in Schwartmann, Praxishandbuch IT-, Urheber- und Medienrecht, 4. Aufl. 2018, Kap. 11 Rn. 40; Elsaß/Labusga/Tichy, CR 2017, 234, 236 ; Feldmann/Heidrich, CR 2006, 406, 411; vgl. zu einer D-Seite auch VG München, Urt. v. 27.10.2017 - M 26 K 16.5928; VG Mainz, Urt. v. 13.04.2018 - 4 K 762/17.MZ, BeckRS 2018, 10857).

b.

42

Hierbei ist - entgegen der Rechtsansicht der Klägerin - die auf der Grundlage der Nutzungsbedingungen der Beklagten durch außerordentliche Kündigung verhängte, dauerhafte Sperrung des D-Accounts durch die Beklagte nicht nach § 306 BGB unwirksam. Vielmehr greift die in Ziffer 4.2 der Nutzungsbedingungen mit dem Titel „Aussetzung oder Kündigung von Konten“ enthaltene Regelung die nach deutschem Recht übliche Möglichkeit einer Partei eines auf Dauer angelegten Schuldverhältnisses auf, sich bei schwerwiegenden Belastungen von einem Dauerschuldverhältnis zu lösen (BeckOGK/Martens, 1.7.2020, BGB § 314 Rn. 2). Hierbei stellt die Ziffer 4.2 der Nutzungsbedingungen klar, dass ein Grund für eine außerordentliche Kündigung des Nutzungsvertrages in einem Verstoß gegen die Nutzungsbedingungen der Beklagten vorliegen kann.

43

Ein solcher außerordentlicher Kündigungsgrund ist vorliegend gegeben:

aa.

44

Bei den Nutzungsbedingungen (Anlage B 44, Bl. 571f. d. A.) handelt es sich ebenso um für eine Vielzahl von Fällen vorformulierte Vertragsbedingungen und damit um AGB i.S.d. §§ 305ff. BGB wie bei den in Bezug genommenen Verhaltensregeln der so. „Gemeinschaftsstandards“ (Anlage B 45, Bl. 584 f. d.A.). Beide Bedingungen hat die Beklagte durch Veröffentlichung auf ihrer Homepage wirksam einbezogen. Weder die in den Gemeinschaftsstandards niedergelegte Definition der „Hassrede“, der „Hassorganisation“ noch die hieran anknüpfende Sanktion der Nutzungsbedingungen durch außerordentliche Kündigung verstoßen nach Ansicht der Kammer gegen § 307 Abs. 1 S. 2 oder Abs. 2 BGB.

45

Die für den vorliegenden Fall maßgeblichen Regelungen zu den Gemeinschaftsstandards sind nicht unwirksam. Eine unangmessene Benachteiligung der Nutzer als Vertragspartner der Verwenderin entgegen den Geboten von Treu und Glauben liegt nicht vor (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB; A.A.: OLG München, Beschluss vom 17.07.2018, Az. 18 W 858/18).

46

Insbesondere enthalten die Gemeinschaftsstandards eine ausführliche, in leicht verständlicher Sprache verfasste Definition der vorliegend untersagten Hassrede (Anlage B 45, Rn. 622 f. d.A.). Hierbei wird vor allem verdeutlicht, dass zwar eine Kritik an Zuwanderungsgesetzen erlaubt bleibt, jedoch keine Herabwürdigung oder Ausgrenzung von Zuwanderern erfolgen darf.

47

Weder dieser jedermann einleuchtende Sinn dieser Definition, noch die hieran anknüpfende Möglichkeit der Beklagten der teilweise- oder dauerhaften Accountsperrung ist ungewöhnlich im Sinne des § 305c BGB.

48

Ob dies der Fall ist, beurteilt sich nach den Gesamtumständen des Vertrages, insbesondere danach, ob eine Klausel vom Leitbild des Vertragstyps oder von den üblichen Vertragsbedingungen oder dem dispositiven Recht erheblich abweicht (vgl. BGH NJW 1992, 1236; BGHZ 121, 113 Palandt-Grüneberg, aaO. § 305c Rn 3). Eine solche Abweichung ist hier nicht ersichtlich. Gemessen an den gesetzlichen Maßstäben können die Gemeinschaftsstandards für den durchschnittlichen Nutzer kaum als überraschend qualifiziert werden.

49

Fast alle vergleichbaren Kommunikationsplattformen kennen in der ein oder anderen Form vergleichbare Verhaltensregeln; sie sind auch in der Öffentlichkeit hinreichend diskutiert worden, durchaus in Gestalt als Kritik an dem sozialen Netzwerk hinsichtlich der Löschung bzw. Sperrung an sich zulässiger Inhalte, aber auch im Rahmen der Diskussion um das NetzDG bzw. „hate speech“.

50

Daher dürfte es jedem durchschnittlichen Nutzer bewusst sein, dass Betreiber sozialer Netzwerke sich entsprechende Rechte vorbehalten und versuchen, Teilnahmebedingungen bzw. Qualitätsstandards durchzusetzen, auch wenn in den letzten Jahren eine Verrohung der Kommunikationssitten um sich gegriffen hat. Ferner sind die Bedingungen nicht unüblich, wie die Vertragswerke bzw. Regeln anderer Plattformen zeigen, so dass der durchschnittliche Nutzer mit ihnen rechnen kann (Spindler, CR 2019, 238, 241).

51

Der Nutzer, der die Definition der Hassrede sowie der Hassorganisation im Rahmen der Gemeinschaftsstandards zur Kenntnis nimmt, wird erkennen, dass jede Art von herabwürdigender Sprache, und damit Aussagen, welche Personen auf Grund der Eigenschaft als Zuwanderer angreifen, mit einer Sanktion geahndet werden kann.

bb.

52

Die in dem verlinkten Artikel enthaltene Bewertung von Zuwanderern als „kultur- und artfremd“ die ihren Dank mit Kriminalität und Gewalt kundtun gibt klar zu erkennen, dass aus Sicht des Artikels Zuwanderer eine andere Art Mensch sind, welche per se undankbar ist und zur Gewalt neigt.

53

Die im sprachlichen Duktus enthaltene Bewertung verschiedener Kulturkreise als fremde Arten, zudem in Kontext gesetzt zu den im Artikel genannten perspektivisch benachteiligten Deutschen stellt aus der Sichtweise eines Durchschnittsempfängers eine sprachlich gezielt angelegte Abwertung des Personenkreises der Zuwanderer da.

54

Dies erfüllt klar den Tatbestand der im Rahmen der streitgegenständlichen AGB definierten verbotene Hassrede. Bereits dies stellt für sich genommen einen Kündigungsgrund im Sinne der vertraglichen Regelungen des streitgegenständlichen Vertrages dar.

55

Hinzu kommt weiter, dass die Klägerin sich selbst als eine „nationalistische politische Partei“ bezeichnet, die bereits ausweislich der vorgelegten Bilder ihres D-Auftrittes ein Symbol - genauer einen Lorbeerkranz mit der Zahl drei in römischen Ziffern - als Organisation führt. Bereits durch die hier streitgegenständliche Äußerung hat die Klägerin in mindestens einem Fall Personen aufgrund ihrer Eigenschaften als Zuwanderer als andere Art Mensch herabgewürdigt. Mithin erfüllt bereits dies die Voraussetzungen, welche die Regelungen der Beklagten an den Begriff der Hassorganisation stellen, woraus ein weiterer Kündigungsgrund der Beklagten resultiert.

56

Die Klägerin verkennt, dass der durch die Beklagte gesetzte Begriff der Hassorganisation gerade nicht mit den strengen Vorgaben des Grundgesetzes an das Verbot einer Partei gleichzusetzen oder angelehnt ist, sondern Teil einer wirksamen vertraglichen Vereinbarung darstellt.

57

Der Beklagten steht es als Wirtschaftsunternehmen frei, die durch sie angebotenen Leistungen der Plattform D in der vorliegenden Form zu regulieren und das Verhalten und Auftreten der Klägerin auf der Plattform D über ihre AGB als Kündigungstatbestand im Sinne des § 314 Abs. 1 BGB analog zu bewerten.

(1)

58

Eine anderweitige Bewertung erfolgt im Rahmen der § 307 BGB auch nicht aus den Wertungen des GG. Der abstrakt generelle Ausschluss bestimmter Inhalte durch Community Richtlinien sozialer Netzwerke ist als Ausübung der von Art. 2, 12, 14 GG geschützten Freiheiten der Anbieter ohne weiteres zulässig, und zwar gerade auch dann, wenn bestimmte Inhalte verboten werden sollen, die nach der Rechtsordnung legal sind.

59

Dass § 3 NetzDG die Anbieter eines sozialen Netzwerkes nur zur Entfernung offensichtlich rechtswidriger Inhalte i.S.d. in § 1 Abs. 2 NetzDG aufgeführten Straftatbestände verpflichtet, steht strengeren Verhaltensregeln der Anbieter gerade nicht entgegen. Es ist nicht Ziel dieses Gesetzes, auf den Plattformen derlei Handlungen abschließend zu erfassen. Vielmehr machen der Begriff und die abschließende Aufzählung der einschlägigen Straftatbestände deutlich, dass die Rechtsdurchsetzung bei der Bekämpfung von Hasskriminalität und strafbaren Falschnachrichten in sozialen Netzwerken geregelt werden soll. Das Gesetz gibt hierbei gewissermaßen nur Mindestanforderungen für ein Einschreiten der Anbieter vor, überlässt diesen aber darüber hinaus die Befugnis, durch eigene Standards zulässiges und unzulässiges Verhalten selbst zu regeln.

60

Dass D sich hierbei durch seine AGB vorbehält, auch eine nach eigenem Ermessen deutlich niedrigere Schwelle anzusetzen, ist schon deshalb nicht bedenklich, da hierfür ein objektiv nachvollziehbar berechtigtes wirtschaftliches Interesse der Beklagten spricht. Gerade im Bereich der Abgrenzung zwischen erlaubter Meinungsäußerung und dieser einschränkender Straftatbestände (wie z.B. §§ 185ff. StGB) herrscht zwangläufig eine gewisse Rechtsunsicherheit. Da das NetzDG wiederum die Möglichkeit gegenüber Anbietern eröffnet, bei Nichteinschreiten erhebliche Bußgelder zu verhängen, ist es nur konsequent, dass der Beklagten die Möglichkeit eröffnet wird, eine niedrigere Schwelle im Einzelfall anzusetzen, so lange für den Verbraucher ersichtlich ist, wann mit einem Eingriff zu rechnen ist.

(2)

61

Die Kammer verkennt hierbei nicht, dass sich das Verbot von Hassreden im Rahmen der Gemeinschaftsstandards auf die Meinungsfreiheit der Nutzer auswirkt und dass vorliegend hinzukommend auch Nachteile der Klägerin einhergehen, im Internet als politische Partei für sich zu werben. Auch dass die durch die Beklagte vorgegebenen Grenzen der zulässigen Aussagen auf der Plattform D nicht lediglich Formalbeleidigungen und Schmähkritik, sondern auch Meinungsäußerungen, die als Ausfluss der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG zulässig sind, umfassen können, lässt die Transparenz der oben aufgegriffenen Regelungen unberührt. Eine unangemessene Benachteiligung der Nutzer im Sinne des § 307 BGB, die eine Unwirksamkeit der betreffenden Klausel nach sich zöge, liegt hierin nicht (LG Frankfurt, Beschluss vom 10. September 2018 – 2-03 O 310/18 –, juris Zitiervorschlag).

62

Grundrechte verpflichten die Privaten grundsätzlich nicht unmittelbar untereinander selbst. Sie entfalten auf die privatrechtlichen Rechtsbeziehungen lediglich Ausstrahlungswirkung und sind von den Fachgerichten, insbesondere über zivilrechtliche Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe, bei der Auslegung des Fachrechts zur Geltung zu bringen. Die Grundrechte strahlen als "Richtlinien" in das Zivilrecht ein. Die Freiheit der einen ist dabei mit der Freiheit der anderen in Einklang zu bringen. Dabei kollidierende Grundrechtspositionen sind hierfür in ihrer Wechselwirkung zu erfassen und nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz so in Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden (BVerfG, Beschluss vom 11. April 2018 – 1 BvR 3080/09 –, Rn. 32, juris, ähnlich bereits BVerfGE 7, 198, 205 ff. – Lüth). Diese mittelbare Drittwirkung ist auch bei der Auslegung der AGB zu berücksichtigen. Eine andere Bewertung folgt auch nicht aus der Entscheidung des BVerfG gemäß § 32 BVerfGG mit Beschluss vom 22.05.2019 (Az. 1 BvQ 42/19).

63

Letztlich sind hier das Recht aus Art. 5 Abs. 1 und 2 GG der Klägerin sowie ihre grundrechtsgleichen Rechte als politische Partei aus Art. 21, 3 GG und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art 38 Abs. 1 GG mit dem durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Interesse der Beklagten am Betrieb ihrer Plattform abzuwägen (vgl. insoweit auch Holznagel, CR 2018, 369 Rn. 21).

64

Hierbei ist bekannt, dass durch störendes Verhalten und Hassrede in den letzten Jahren vermehrt Foren und Diskussionen, teils zu einzelnen Artikeln geschlossen wurden. Nutzer von Internetplattformen sollen grundsätzlich ohne Furcht vor Sperren zulässige Meinungsäußerungen auf den Plattformen kundtun können und sich insoweit auch auf die Maßstäbe, die Art. 5 Abs. 1 GG setzt, berufen können. Demgegenüber ist jedoch auch einzubeziehen, dass durch die oben dargestellten Beeinträchtigungen von Diskussionen die Interessen der Beklagten nach Art. 12 Abs. 1 GG betroffen sind (vgl. VG München MMR 2018, 418 Rn. 27; Holznagel, CR 2018, 369 Rn. 20).

(3)

65

Insoweit ist zwar zu berücksichtigen, dass ein durch staatliche Organe verfügtes Verbot von Hassrede zwar nach den Maßstäben von Art. 5 Abs. 1 GG unzulässig wäre (vgl. BVerfG NJW 2010, 47 - Wunsiedel, auch zur Sonderrechtslehre und dem Verbot nach § 130 Abs. 4 StGB), sich ein solches Verbot im Rahmen einer privat betriebenen Netzwerkplattform aber auch nach den vom EGMR aufgestellten Grundsätzen im Einzelfall als zulässig darstellen kann, weil hierdurch die Grundrechte Dritter ernsthaft beeinträchtigt werden (vgl. EGMR NJW 2017, 2091 - Magyar Tartalomszolgáltatók Egyesülete u. Index.hu Zrt/Ungarn zu Hassrede in Kommentaren eines Internetproviders; EGMR NJW 2015, 2863 - Delfi AS/Estland zu Internet-Nachrichtenportalen; EGMR NJW 2006, 1645 - Pedersen u. Baadsgaard/Dänemark; EGMR NJW-RR 2011, 981 Rn. 50 - Ruokanen u. a./Finnland; EGMR, Urt. v. 17.12.2004 - 33348/96 Rn. 115 - Cumpana u. Mazare/Rumänien; vgl. zur EGMR-Rechtsprechung zu Hassrede im Verhältnis zur Rechtsprechung des BVerfG auch Hong, ZaöRV 2010, 73).

66

Bereits aus den soeben aufgezeigten Gründen scheidet aber nach dem Verständnis der Kammer eine pauschale Unwirksamkeit der AGB der Beklagte aus, da es stets einer einzelfallbezogenen Bewertung des Sachverhaltes bedarf.

(4)

67

Diese vorliegende Einzelfallbewertung führt dazu, dass die Beklagte zu einer dauerhaften Sperrung nach Ansicht der Kammer nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet war. Denn die Seite durfte nämlich schon deshalb gesperrt und gelöscht werden, weil die Äußerung jedenfalls in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz rechtswidrig ist und die Antragsgegnerin zur Ergreifung von Maßnahmen verpflichtet war, § 1 Abs.3 NetzDG i.V.m. § 130 StGB.

68

Der Artikel, welcher der Beklagten Anlass zur Sperrung und Löschung gab, enthält die Aussage, dass Asylanten art- und kulturfremd sind. Die Beklagte ist sogar verpflichtet, derartige Äußerungen zu löschen, falls sie einen Straftatbestand erfüllen. Der Verstoß gegen die Pflichten des Plattformbetreibers ist mit empfindlichen Geldbußen nach § 4 NetzDG belegt.

69

Die Seite mit der Äußerung: „ (…) art- und kulturfremde Asylanten (…), die mitunter ihrer Dankbarkeit mit Gewalt und Kriminalität Ausdruck verleihen (…)“, gibt dem Plattformbetreiber jedenfalls Anlass zur Prüfung des § 130 StGB (Volksverhetzung).

70

Die Gruppe der Asylanten ist als Bevölkerungsgruppe im Sinne des § 130 StGB taugliches Angriffsobjekt (Sternberg-Lieben/Schittenhelm, Schoenke Ko StGB, 30. Aufl., § 130, Rnr. 4). Durch die Bezeichnung als art- und kulturfremd sowie der Kombination von Dankbarkeit zeigen durch Gewalt und Kriminalität wird diese Bevölkerungsgruppe in ihrer Menschenwürde angegriffen und böswillig verächtlich gemacht (Ebenso: VG Darmstadt, Beschluss vom 25.1.2008, Beck RS 2008,35462- Redeverbot – Bezeichnung Ausländer artfremden Blutes).

71

Damit besteht für die Beklagte zumindest die Gefahr einer Inanspruchnahme nach § 4 NetzDG, weshalb die Sperrung und auch die Löschung des Beitrages nicht als unverhältnismäßig angesehen werden kann (OLG Stuttgart, MMR 2019, 110).

72

Der Gesetzgeber hat über die Wertungen des NetzDG bewusst eine entsprechende Schranke der hier durch die Klagepartei angeführten grundrechtsgleichen Rechte gesetzt, die sich insoweit im Rechtsverkehr auf die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte im Rahmen von Äußerungen auf Onlineplattformen, hier diejenige der Beklagten auswirkt.

cc.

73

Aus den Wertungen des NetzDG folgt auch, dass ein Kündigungstatbestand der Beklagten nach § 314 Abs.1 BGB analog demnach sogar anzunehmen wäre, wenn man hinsichtlich der Wirksamkeit der durch die Beklagte im Rahmen ihrer AGB definierten Kündigungstatbestände anderer Auffassung wäre (s.o.).

74

Denn selbst wenn die Beklagte insbesondere im Zeitraum vor Wahlen nach teilweise vertretener Auffassung einer erheblichen mittelbaren Grundrechtsbindung unterliegen würde, welche bei der Kontrolle ihrer AGB zu berücksichtigen sind, dürfte der Beitrag gelöscht werden (OLG Dresden, NJW 2018, 3111).

75

Auch wenn die Klägerin eine bislang nicht verbotene politische Partei ist, sind die Grundrechte nicht schrankenlos zu gewähren. Insbesondere ist auch auf die Persönlichkeitsrechte der anderen Nutzer der Beklagten nach Art. 1, Art. 2 GG Rücksicht zu nehmen. Die Beklagte hat entgegen der Ansicht der Klägerin ein virtuelles Hausrecht nach Art. 14 GG, wonach sie die Diskussionskultur nach ihren Regeln gestalten darf. Da der Beitrag der Klägerin selbst bei großzügiger Auslegung des § 130 StGB jedenfalls Anlass zur Prüfung des § 130 StGB gibt, durfte die Beklagte den Beitrag präventiv löschen und den Vertrag mit der Klägerin außerordentlich kündigen.

76

Damit kann die Beklagte zulässig verhindern, dass andere Nutzer sich in ihrem Persönlichkeitsrecht und ihrer Menschenwürde getroffen fühlen und sie selbst möglicherweise mit einem Bußgeld belegt werden kann. Auch vermag die Beklagte somit drohende Nachteile ihres Rufs im internationalen Wettbewerb vergleichbarer Plattformen zu verhindern.

dd.

77

Aus den soeben genannten Gründen folgt auch, dass die Beklagte auf Grund der besonderen Umstände auch zu einer außerordentlichen Kündigung ohne vorangegangene Abmahnung berechtigt gewesen ist. Ein auf Dauer angelegtes Schuldverhältnis soll immer dann sofort beendet werden können, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen den Vertragsparteien schwerwiegend beeinträchtigt ist. Denn durch die Fristsetzung bzw. die Abmahnung soll dem Vertragspartner lediglich die Möglichkeit gegeben werden, sein Verhalten zu ändern, um so die Vertrauensgrundlage zwischen den Parteien wieder herzustellen. Indem die Klägerin gleich mehrere Kündigungstatbestände der vorliegenden AGB erfüllt hat, ein zögerliches Reagieren für die Beklagte aber gerade die Gefahr eines Bußgeldes mit sich bringt, war die Beklagte dazu berechtigt die Kündigung auch ohne vorangegangene Abmahnung auszusprechen.

78

Dass die Klägerin zudem einräumt, dass die Parteien bereits zuvor Vertragsbeziehungen hatten, welche ebenfalls im Zusammenhang mit Aussagen auf der D-Seite der Klägerin beendet wurden, ist insoweit bzgl. der Entbehrlichkeit einer vorherigen Abmahnung nach Ansicht der Kammer nicht von Belang, spricht aber zusätzlich dafür, dass eine vorherige Abmahnung der Beklagten auch wenig Aussicht auf Erfolg hinsichtlich einer Verhaltensänderung der Klägerin gehabt hätte. Anhaltspunkte für eine sachfremde oder willkürliche Löschung sind gerade nicht ersichtlich.

79

Da ein rechtswidriges Verhalten der Beklagten nicht vorliegt scheiden sowohl vertragliche Ansprüche (§ 280 Abs.1 i.V.m dem Nutzvertrag bei D), quasivertragliche (§§ 311 Abs.1, 2 241 Abs. 2 BGB) als auch gesetzliche Ansprüche der Klägerin (§§ 1004 oder § 823 Abs.1 BGB) aus.

2.

80

Ein Anspruch auf Wiedereinräumung der Nutzung besteht nicht. Zum einen hat die Klägerin einen nach dem NetzDG unzulässigen Beitrag online gestellt. Zum anderen ist eine Anspruchsgrundlage für eine Pflicht zur erneuten Kontrahierung mit der Klägerin und Veröffentlichung von Beiträgen nicht ersichtlich (Beurskens, NJW 2018, 3418).

81

Kontrahierungszwänge sind im deutschen Vertragsrecht überhaupt nur in sehr speziellen Anwendungsbereichen durch den Gesetzgeber vorgesehen und erfordern schon auf Grund ihres Ausnahmecharakters eine eng umschriebenen Anwendungsbereich. Es erscheint mithin verfehlt Kontrahierungszwänge im Vertragsrecht aus einer mittelbaren Anwendbarkeit von Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten herzuleiten. Eine solche Auslegung würde die Grenzen einer demokratischen Legitimation sicherlich überschreiten.

82

Die Kammer verkennt nicht, dass die Beklagte als derzeit eines der bekanntesten sozialen Netzwerke bei der Meinungsbildung eine wichtige Rolle spielt. Gleichwohl kann die Klägerin auch andere Formen der Meinungskundgabe nutzen, beispielsweise ihre Homepage im Internet, E- Mail Verkehr, andere sozialen Netzwerke oder andere Medienträger wie Flugblätter, Werbeflyer u.a. Ebenso wie kein Anspruch gegenüber Rundfunksendern, Fernsehsendern oder Tageszeitungen besteht, bestimmte Beiträge zu senden, kann die Beklagte jedenfalls nach bestehender Rechtslage nicht verpflichtet werden, eine bestimmte Seite wieder freizuschalten oder einen Nutzer wieder zuzulassen, wenn sie einen Beitrag zulässigerweise gelöscht hat.

III.

83

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs.1 S. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.

84

Beschluss

85

Der Streitwert wird auf 10.000,00 € festgesetzt. Die beiden gestellten Anträge sind mangels anderer Anhaltspunkte mit jeweils 5.000 € zu bewerten gemäß § 52 Abs. 2 GKG ( OLG Zweibrücken, 4 W 13/19).

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