Urteil vom Landgericht Hamburg (10. Zivilkammer) - 310 O 339/18

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.300.000 EUR Schadensersatz nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 17.12.2018 zu zahlen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

4. Der Streitwert wird auf EUR 1.300.000 festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Klägerin ist eine der führenden Tonträgerhersteller. Sie ist in der Katalogdatenbank „Media-Cat“ der PhonoNet GmbH als Inhaberin der Auswertungsrechte der 26 streitgegenständlichen Musikalben geführt (vgl. Anlagen K 3 bis K 28).

2

Die Beklagte betreibt den Sharehosting-Dienst „ u..net“, der über die Websites u..net, u..to und u1.to abgerufen werden kann. Dieser Dienst bietet jedermann - kostenlos - Speicherplatz für das Hochladen von Dateien beliebigen Inhalts. Für jede hochgeladene Datei erstellt die Beklagte automatisch einen elektronischen Verweis (Download-Link) auf den Dateispeicherplatz und teilt diesen dem Nutzer automatisch mit. Die Beklagte bietet für die bei ihr abgespeicherten Dateien weder ein Inhaltsverzeichnis noch eine entsprechende Suchfunktion. Die Server der Beklagten sind nicht mit einer Suchmaschine durchsuchbar. Daher können Dritte auf die hochgeladenen Inhalte nur dadurch zugreifen, dass sie die jeweilige URL des hochgeladenen Inhalts aufrufen. Allerdings können Nutzer die Download-Links in sog. Linksammlungen im Internet einstellen. Diese werden von Dritten angeboten und enthalten Informationen zum Inhalt der auf dem Dienst der Beklagten gespeicherten Dateien. Über die Download-Links im Suchergebnis der Linksammlungen erhalten Nutzer dann Zugriff auf die auf den Servern der Beklagten abgespeicherten Dateien.

3

Der Download von Dateien von der Plattform der Beklagten ist kostenlos möglich. Allerdings sind Menge und Geschwindigkeit für nicht registrierte Nutzer und solche mit einer kostenfreien Mitgliedschaft beschränkt. Zahlende Nutzer bekommen dagegen täglich ein Download-Kontingent von 30 GB, maximal sammelbar auf bis zu 500 GB ohne Beschränkungen der Downloadgeschwindigkeit. Sie können beliebig viele Downloads parallel tätigen und müssen zwischen einzelnen Downloads keine Wartezeit in Kauf nehmen (vgl. Anlage B 2).

4

Es gibt drei Möglichkeiten, den Dienst der Beklagten zu nutzen:

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- als Gast („Guest“) ohne Uploadmöglichkeit, aber mit Downloadmöglichkeiten, diese allerdings erst nach verschiedenen Zwischenschritten und mit geringer Geschwindigkeit;
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- als registrierter Nutzer („Free Account“), dem ein bestimmter Anschluss mit einer sog. Account-ID kostenlos zugewiesen wird und der kostenfreie Up- und Download-Möglichkeiten hat, jedoch mit vergleichsweise langsamen Geschwindigkeiten; sowie
7
- als registrierter Nutzer mit einem bezahlpflichtigen Account („Premium Account“), dem ebenfalls eine bestimmte Account-ID zugewiesen wird und der mit hohen Geschwindigkeiten Up- und Downloads vornehmen kann. Außerdem bestehen für den Premium-Nutzer Vergütungschancen, und zwar wenn die von ihm hochgeladenen Inhalte von anderen Nutzern heruntergeladen werden („pay per download“) und wenn aus Anlass des Downloads seiner Inhalte die Drittnutzer ihrerseits einen kostenpflichtigen Premium-Account von der Beklagten erwerben erwerben („pay per sale“).
8

Der Preis für einen solchen Premium-Account liegt zwischen 4,99 € für zwei Tage und 99,99 € für zwei Jahre. Die Beklagte beteiligt Uploader an den Umsätzen, die sie mit dem Verkauf von Premium-Accounts generiert (sog. Pay per Sale-Programm). Im Falle der Erstbestellung eines Premium-Accounts erhält der Uploader 60% des Kaufpreises, hatte der Besteller bereits einen Uploaded-Account und bestellt nur eine Verlängerung dessen, erhält der Uploader 50% des Kaufpreises. Zudem zahlt die Beklagte den Nutzern, die Dateien hochladen, Downloadvergütungen. Die Höhe der Vergütung ist abhängig von der Dateigröße und dem Standort des Downloaders und beträgt je nach Standort zwischen 1 und 8 EUR für 3-100 MB sowie zwischen 4 und 30 EUR für 100-1000 MB (sog. Pay per Download-Programm).

9

Der Dienst der Beklagten wird sowohl für legale Anwendungen genutzt als auch für solche, die Urheberrechte Dritter verletzen. Die Beklagte erhielt bereits in der Vergangenheit u.a. von der Klägerin in durchaus großem Umfang sog. "Abuse-Mitteilungen". Nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten ist es den Nutzern untersagt, Urheberrechtsverstöße über die Plattform der Beklagten zu begehen.

10

Die Klägerin hat die Beklagte in der Vergangenheit wiederholt - auch vor der erkennenden Kammer - wegen rechtswidrig öffentlich zugänglich gemachter, urheberrechtlich geschützter Musikinhalte gerichtlich in Anspruch genommen. Im vorliegenden Verfahren verlangt die Klägerin Schadensersatz von der Beklagten, wobei sie den Anspruch auf eine Mittäter-, eine mittelbare Täter- und/oder eine Teilnehmer-Haftung der Beklagten für 5.725 von der Klägerin geltend gemachte Uploads von Usern der Beklagten stützt.

11

Für die Ermittlung von Rechtsverstößen ist von der Klägerin die p. GmbH als Dienstleister beauftragt. Sie durchsucht regelmäßig Internetseiten mit Linklisten, die Links zu URLs auf den Servern der Beklagten enthalten. Die p. GmbH unternimmt anschließend sog. Abuse- Mitteilungen gegenüber der Beklagten mit dem Ziel, dass diese die gerügten Inhalte löschen lassen soll. Die Beklagte ihrerseits hat für das sog. Abuse-Management die I. GmbH als Dienstleister beauftragt.

12

Auf der Grundlage von Recherchen im Zeitraum vom 28.10.2013 bis zum 05.05.2016 - nach Zustellung der Klageschrift in der Sache 310 O 89/16 - wendet sich die Klägerin gegen die Uploads der folgende 26 Musikalben durch Nutzer der Beklagten auf die Plattform u.:

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Insgesamt bilden 5.725 URLs, die eines der 26 vorgenannten Musikalben enthalten haben, den Gegenstand ihrer Beanstandung (vgl. Aufstellung in der Anlage K 1 mit der Liste aller ermittelter streitgegenständlicher URL, nebst Angabe des Referrers [Link auf Linksammlung], Benachrichtigung des Hosts, Künstler, Album, Dateiname [bei der Beklagten] und Account-ID des Nutzers.

14

Die Klägerin ließ durch die p. zumindest für 5.494 dieser URLs eine Beanstandung, sog. „Abuse-Meldung“, an die Beklagte übersenden, in denen sie die Beklagte zum Löschen der mitgeteilten rechtsverletzenden Dateien aufforderte. Ob Abuse-Mitteilungen auch für die weiteren 231 URLs, die die Klägerin auf den Nutzer mit der Account ID ... zurückführt, übersandt wurden, ist zwischen den Parteien streitig. Unstreitig enthielten diese Beanstandungen als Informationen die Uploaded-URL, den Namen des Künstlers, des Albumtitels und Rechteinhabers sowie den Referrer (Linksammlung). Die Angabe der sog. Account-ID enthielten die Abuse-Mitteilungen nicht; auch ließ die Klägerin die Beklagte nicht zur Sperrung der dahinterstehenden Accounts, nach Klägervortrag 13 an der Zahl, auffordern. Alle von der Klägerin beanstandeten Inhalte sind nachfolgend von der Beklagten gelöscht worden. Eine Sperrung der hinter den Uploads stehenden Accounts nahm die Beklagte dagegen nicht vor.

15

Die Klägerin behauptet, es sei der p. GmbH durch einen neuen Ermittlungsansatz gelungen festzustellen, von welchem jeweiligen Account aus die einzelnen Dateien, die unter den URLs erreichbar waren, hochgeladen worden seien. Es sei ihr auch möglich geworden, diese Account-IDs bestimmten Usern auf bestimmten Linklistenseiten zuzuordnen. Zum Beleg, dass die Account-ID die Zuordnung der URLs ermögliche, bezieht sich die Klägerin auf einen Versuch des Rechtsanwalts B..

16

Die Klägerin behauptet, die streitgegenständlichen 5.725 rechtsverletzenden Uploads seien auf 13 Nutzer der Beklagten zurückzuführen, die den Dienst der Beklagten in großem Umfang nutzten bzw. genutzt hätten. Die Zuordnung der Nutzer ergebe sich aus der von der Beklagten bei Registrierung vergebenen Account-ID bzw. Uploader-ID. In Bezug auf die streitgegenständlichen 5.725 Uploads der 26 Musikalben verteile sich dies wie folgt:

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Weiter heißt es im Vortrag der Klägerin wörtlich:

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Die Klägerin behauptet, diese 13 Nutzer seien insgesamt sehr auffällig geworden. In Bezug auf diese 13 Nutzer habe die p. insgesamt über 756.152 Meldungen gegenüber der Beklagten wegen Rechtsverletzungen geltend gemacht:

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Die Zahl pro Nutzer habe zwischen 6.020 und 238.871 Meldungen (=Musikalben) betragen.

20

Ergänzend trägt die Klägerin vor, dass der Kammer aus verschiedenen Ordnungsmittelverfahren bekannt sei, dass die Firma I. bis heute rein manuell auf Linksammlungen nach Rechtsverletzungen suchen lasse, obwohl andere Dienstleister, wie die p., seit über 10 Jahren erfolgreich mit sog. Crawlern oder Bots automatisierte Suchen nutzten. Schon hieraus zeige sich die mangelnde Erfahrung, Expertise und Kompetenz der I.. Zu den behaupteten Anweisungen der Beklagten an die I. erklärt sich die Klägerin mit Nichtwissen, einschließlich, dass die Beklagte diese regelmäßig kontrolliere. Die Anlage K 1 zeige, dass die I. keinen Wortfilter verwende, da die Albumnamen sowohl in den Referrern als auch in den Dateinamen auf den Servern der Beklagten auftauchte. Die Klägerin überreicht mit Anlagen K 31 und K 32 zwei Auswertungen der Anlage K 1 in Bezug auf nicht verhinderte Re-Uploads.

21

Hinsichtlich der von ihr vorgenommenen Nutzerzuordnung bestreitet sie, dass es sich bei den Account-IDs um ein inaktives Modul gehandelt habe. Die Beklagte habe sich selbst im Verfahren 310 O 463/16 noch im November 2016 auf die Account-ID bezogen habe (vgl. Anlage K 33). Die Auflistung der Beklagten in der Anlage B 5 belege, dass die Beklagte entgegen ihrer Behauptung auch im Nachhinein noch Rechtsverletzungen den Uploader-Accounts zuordnen könne. Die dort aufgeführten 971 Account-IDs zu denen angeblich keine Abuse-Meldungen registriert seien, beträfen bis auf eine ( ... ) nicht die streitgegenständlichen Accounts. Damit seien die übrigen 12 Accounts unstreitig beanstandet worden. Im Übrigen bestreitet die Klägerin den Vortrag der Beklagten gestützt auf die Anlage B 5.

22

Zudem habe die Beklagte zu jeder Abuse-Meldung eine Empfangsbestätigung versandt. Die Beanstandung sei damit Gegenstand der eigenen Wahrnehmung der Beklagten; sie könne sich daher nicht mit Nichtwissen erklären. Die Klägerin überreicht mit der Anlage K 34 exemplarisch eine Dokumentation zu jeweils der ersten ID pro Seite der Anlage B 5 mit der Bestätigungsnachricht der Beklagten, der jeweiligen Downloadseite und des Quelltextes der Downloadseite.

23

Zu den Beanstandungen habe auch der Nutzer mit der ID ... gehört („ f.“), dessen Upload(s) bereits Gegenstand eines Ordnungsmittelverfahrens zum Az. 310 O 409/13 gewesen sei. Dieser Account sei für 436 der 5.725 Uploads verantwortlich; die p. habe zu diesem Account 47.168 Beanstandungen versandt. Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte habe daher Kenntnis vom umfangreichen rechtswidrigen Handeln genau dieses Nutzers gehabt.

24

Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte sei ihren Pflichten nicht ausreichend nachgekommen. Die Klägerin trägt insoweit unter Bezugnahme auf die Anlage K 2 vor, dass die Beklagte im Zeitraum 14.05.2014 bis 23.05.2016 zu 1.980 verschiedenen Account-IDs jeweils mindestens drei Abuse-Meldungen erhalten habe, von denen die erste und die letzte mindestens drei Monate auseinandergelegen hätten. Allein 676 Nutzer seien Gegenstand von mehr als 100 Abuse-Meldungen gewesen, 185 Nutzer sogar Gegenstand von mehr als 1000 Abuse- Meldungen. Der Umstand, dass die Beklagte diese Accounts nicht gesperrt habe und diese wiederholten Uploads möglich gewesen seien, zeige, dass die Beklagte entgegen ihrer nach außen kommunizierten angeblichen Geschäftspolitik auch massenhaft wiederholte Rechtsverletzungen durch die immer wieder identischen Nutzer dulde und damit deren Rechtsverstöße letztlich zum Teil ihres Geschäftsmodells mache, was eine Mithaftung der Beklagten als Täterin, mindestens aber als Teilnehmerin der Rechtsverletzungen bedeute. Die Klägerin meint, die Beklagte habe sich bewusst dazu entschieden, Extrem-Uploader gewähren zu lassen.

25

Die Klägerin ist der Ansicht, der Grund dafür, dass die Beklagte die ihr mittels der ID-Benennungen mitgeteilten Accounts der Wiederholungstäter nicht gesperrt habe, liege in einer bewussten geschäftlichen Entscheidung in der Führungsebene der Beklagten. Die Beklagte nutze den Effekt, dass sie sich von Dritten wirtschaftlich interessante, jedoch rechtliche geschützte Inhalte zuliefern lasse, um die Attraktivität ihres Dienstes für alle Nutzer auf diese Weise zu steigern. Das ergebe sich auch aus der Kosten- und Vergütungsstruktur des Dienstes. Aufgrund der Hinweise auf die immer wieder selben 13 Account-IDs und die immer wieder identischen Inhalte aus den 26 Alben hätte die Beklagte im streitgegenständlichen Zeitraum eindeutig erkennen können und müssen, dass es sich bei den hier tätigen Usern dieser Accounts um vorsätzlich rechtsbrüchige Wiederholungstäter gehandelt habe. Die Beklagte habe aber keine nachvollziehbaren Gründe angegeben, warum sie deren Accounts nicht gesperrt habe. Das deute darauf hin, dass es der Beklagten recht gewesen sei, von diesen Usern attraktive geschützte Inhalte „geliefert“ zu bekommen.

26

Die Klägerin ist der Ansicht, wegen der Kosten- und Vergütungsstruktur schaffe die Beklagte für die Nutzung ihres Dienstes gezielte Anreize für rechtswidrige Uploads urheberrechtlich geschützter Inhalte. Deshalb sei der Dienst der Beklagten auf die Begehung solcher Rechtsverletzungen angelegt. Weil die Klägerin die ihr zugelieferten Inhalte als Teil ihres Geschäftsmodells zur Steigerung der Attraktivität ihres Dienstes nutze, müsse sie für die streitgegenständlichen Uploads als Täterin, Mittäterin oder mittelbare Täterin haften.

27

Die Klägerin berechnet ihren Schadensersatzanspruch nach § 97 Abs. 2 UrhG im Wege der Lizenzanalogie.

28

Sie macht geltend, dass im Mittel auf den streitgegenständlichen Werken 14 Tonaufnahmen enthalten seien. Wie häufig die bei der Beklagten gespeicherten Dateien heruntergeladen worden seien, entziehe sie aus technischen Gründen der Kenntnis der Klägerin; das wisse allein die Beklagte.

29

Üblicherweise lizenziere die Klägerin die öffentliche Zugänglichmachung zum kostenfreien Download nicht, sondern nur, wenn diese verkauft oder anderweitig kommerziell verwertet würden, wie bei iTunes, Amazon oder Spotify. Vereinzelte Ausnahmen gebe es beim sog. „Brand Partnership Deal“, beispielsweise wenn ein bekanntes Unternehmen an die Klägerin herantrete und für eine Werbeaktion Tonaufnahmen in Form von Download-Gutscheinen verteilen möchte. Hierdurch würden der Klägerin neue Kunden zugeführt. Das Verwertungsrisiko trage allerdings vollständig der Vertragspartner. So habe sie beispielsweise im Jahr 2009 mit einem namhaften deutschen Automobilhersteller einen Lizenzvertrag für einen Song mit einem Pauschalbetrag von 5.000 EUR für eine limitierte Anzahl von bis zu 7.000 unentgeltlichen Downloads für einen Zeitraum von einem Jahr und elf Monaten abgeschlossen (vgl. Anlage K 29). Für The Voice of Germany habe sie im Jahr 2014/2015 einen Betrag von 7.000 EUR für eine limitierte Anzahl von bis zu 4.000 unentgeltlichen Downloads für einen Zeitraum von vier Monaten abgeschlossen.

30

Für den Streitfall seien die üblichen Lizenzsätze eines „Brand Partnership Deal“ jedoch deutlich zu erhöhen, da es sich bei der Beklagten nicht um ein seriöses, mit einem positiven Image verbundenes Unternehmen handele. Schon ohne Erhöhung ergebe sich bei durchschnittlich 14 Tonaufnahmen pro Album ein Betrag von 70 - 98.000 EUR je Album. Mit ihrer Klage mache sie lediglich einen Betrag von 50.000 EUR je Album geltend und damit einen in jedem Fall angemessenen Lizenzschaden.

31

Diese Höhe werde von der, von der Kammer in ihrem Urteil vom 27.06.2018 zum Az. 310 O 89/16 angeführten Kontrollüberlegung getragen. Demnach sei ein Wert von mindestens 200 EUR je öffentlich zugänglicher Tonaufnahme zugrunde zu legen. Dieser Betrag dürfe im Rahmen der Schätzung auf Basis von 400 möglichen Abrufen je Tonaufnahme berechnet werden. Zudem sei die Zahl der Uploads zu berücksichtigen, da diese bereits die Rechtsverletzung nach § 19a UrhG begründeten, ohne dass es auf die Anzahl der konkreten Downloads ankomme. Für die hier von der Klägerin gewählte abstrakte Schadensberechnung nach der Lizenzanalogie komme es hierauf ohnehin nicht an. Allerdings seien die Erst- und Zweituploads in Abzug zu bringen, so dass sich unter Zugrundelegung des Rechenmodells der Kammer die folgende Kontrollrechnung ergebe.

32

Die fiktive Mindestlizenz für 5.095 Uploads x 5 Musiktitel ergebe damit 5.069.000 EUR

33

Die Klägerin beantragt,

34

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.300.000 EUR Schadensersatz nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

35

Die Beklagte beantragt,

36

die Klage abzuweisen.

37

Sie regt an,

38

das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Parallelsache vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht zum Az. 5 U 128/17 sowie dem unter dem Az. C- 683/18 geführten Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof auszusetzen

39

Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung für die Ansprüche aus dem Zeitraum vom 28.10.2013 bis 31.12.2015, § 102 UrhG. Die Zustellung der Klage sei nicht „demnächst“ erfolgt.

40

Die Beklagte erklärt sich zur Aktivlegitimation der Klägerin mit Nichtwissen. Die Klägerin habe nicht die Verträge mit den Urhebern der streitgegenständlichen Werke vorgelegt.

41

In der Sache nimmt die Beklagte den Vorwurf der Urheberrechtsverletzung und der ihrer Verantwortlichkeit hierfür in Abrede.

42

Sie macht geltend, sie stelle Nutzern Speicherplatz für ihre persönlichen Dateien zur Verfügung, auf den der jeweilige Nutzer über seinen Nutzer-Account oder ihm zugewiesene Uploaded-Links zugreifen könne. Sie sei ein Host-Provider, der keine eigenen Inhalte anbiete. Sie biete kein Register und keine Suchfunktion an, mittels derer auf die auf ihren Servern gespeicherten Dateien zugegriffen werden könne. Welche Daten von welchen Nutzern hochgeladen würden, entziehe sie ihrer Kenntnis. Auch eine öffentliche Zugänglichmachung erfolge allenfalls durch die Nutzer der Plattform; von der Beklagten sei sie weder gewollt noch werde sie gefördert. Die Beklagte beruft sich insoweit auf ein Gutachten des Prof. H. (vgl. Anlage B 1).

43

Dass ihr Vergütungsmodell, insbesondere der Premium-Accounts, auf unredliche Nutzer abziele, treffe nicht zu, was auch schon das Hanseatische Oberlandesgericht bestätigt habe (Urteil vom 14.03.2012 - Az. 5 U 87/09). Es handele sich insoweit um marktübliche Vertragsausgestaltungen, der Dienst der Beklagten als solcher sei eine neutrale Handlung und ein gesellschaftlich gebilligtes Geschäftsmodell, welches zahlreiche legale Nutzungsmöglichkeiten eröffne. Ihr Dienst werde primär für legale Zwecke verwendet. Tatsächlich machten Urheberrechtverletzungen nur einen geringen Teil der Gesamtnutzung ihres Dienstes aus; der Umfang der illegalen Nutzung bewege sich im einstelligen Prozentbereich.

44

Die Beklagte erklärt sich zu den von der Klägerin behaupteten Rechtsverletzungen mit Nichtwissen. Ohne Vorlage der Abuse-Meldungen, der Empfangsbestätigungen sowie der Dokumentation der einzelnen Ermittlungsvorgänge, sei der klägerische Vortrag nicht einlassungsfähig.

45

Bei der Angabe der Account-ID habe es sich allerdings schon zum verfahrensgegenständlichen Zeitpunkt um ein inaktives Modul gehandelt. Es handele sich um einen legacy-Code, der sich auf ein nicht mehr unterstütztes System beziehe. Die Angabe im Quelltext, wie von der Klägerin ermittelt, enthalte nicht mehr die korrekten Daten zur Account-ID. Zwei Beispiele belegten die Fehleranfälligkeit (vgl. Klagerwiderung, S. 12).

46

In der Anlage K 2 seien zu 971 der dort genannten Account-IDs keine Abuse-Meldungen vorliegend. Die [nicht streitgegenständlichen, Anm. d. Gerichts] IDs ... und ... seien bereits im Jahr 2013 von der Beklagten gelöscht worden, so dass es keine Abuse-Mitteilungen mehr gegeben haben könne (vgl. Klagerwiderung, S. 13).

47

Sie bestreite, dass die streitgegenständlichen Dateien die von der Klägerin geltend gemachten Aufnahmen enthalten hätten. Sie bestreitet, dass die Downloadlinks auf Linklisten veröffentlicht gewesen seien. Sie bestreitet, dass die Zuordnung zwischen Account-ID und den von der Klägerin genannten Pseudonymen zutreffe. Die auf den Linklisten angegebenen Identitätskürzel der dort veröffentlichenden Uploader könnten nicht bestimmten Accounts bei der Beklagten zugeordnet werden.

48

Sie macht geltend, eine Konservierung aller gemeldeten Verstöße sei ihr aufgrund der Menge der insgesamt zu ihrem Dienst gemeldeten Verstöße nicht möglich und nicht zumutbar. Sie befinde sich daher entschuldigter Weise in Unkenntnis. Sie habe nicht wissen können, wie lange nach Zugang der Abuse-Mitteilung diese Dateien gespeichert werden müssten. Die Anlage eines doppelten Speichers für „tote“ Dateien sei ihr nicht zumutbar.

49

Sie behauptet, dass sie in der Vergangenheit bereits bei einer Vielzahl von Nutzeraccounts, bei denen Rechtsverletzungen festgestellt worden seien, Sperrungen dieser Accounts vorgenommen habe. Mit den Sperrungen sei die I. GmbH als Dienstleister beauftragt; diese habe allein in 2014 insgesamt 28.392 Accounts und in 2015 insgesamt 56.831 Accounts gesperrt. Es sei daher falsch, wenn die Klägerin behaupte, bei der Beklagten werde die Sperrung von Accounts systematisch unterlassen.

50

Die Bearbeitung der identifizierten Nutzeraccounts erfolge grundsätzlich chronologisch. Allerdings würden Nutzer-Accounts mit einer Vielzahl von Abuse-Meldungen vorgezogen. Im Rahmen dieser Überprüfung seien die hier streitgegenständlichen 13 Accounts, sofern über diese tatsächlich Rechtsverletzungen stattgefunden haben sollten, was bestritten werde, wohl aufgrund menschlichen Versagens bei der I. GmbH bedauerlicherweise durchgerutscht bzw. habe die Bearbeitungszeit den hier verfahrensgegenständlichen Zeitraum überschritten; genaueres sei allerdings zum heutigen Zeitpunkt nicht mehr feststellbar. Die Beklagte habe hiervon allerdings keine Kenntnis: Sie habe auch keine Kenntnis von Umständen gehabt, die auf einen Fehler bei der Bearbeitung und Überprüfung von Nutzer-Accounts durch die I. hätten hinweisen können. Die Beklagte nutze zudem Hash- und Stichwortfilter und kontrolliere proaktiv einschlägige Linksammlungen regelmäßig nach Uploaded-Links.

51

Die Beklagte nimmt (vorsorglich) auch den Vortrag zur Schadenshöhe in Abrede. Sie erklärt sich mit Nichtwissen dazu, u.a. dass die Klägerin angeblich nur für die entgeltliche öffentliche Zugänglichmachung Lizenzen erteile und dass sie als Tonträgerhersteller sämtliche Kosten der Produktion trage. Der Vortrag der Klägerin zur Lizenzierungspraxis eines einzelnen Titels sei ohne Bezug zum Streitfall. Eine geeignete Schätzgrundlage trage die Klägerin nicht vor. Die behaupteten Vergütungen bestreitet die Beklagte. Erfahrungsgemäß sei die Auswertung eines einzelnen Titels höherwertig als die eines ganzen Albums. Eine taugliche Schätzgrundlage seien aber Lizenzverträge mit iTunes oder Spotify, die die Klägerin aber offenbar wohlweislich nicht vorlege.

52

Die Beklagte beanstandet, dass die Klägerin bei ihren Abuse-Mitteilungen die Account-ID nicht mitgeteilt habe. Sie ist der Ansicht, hieraus folge zumindest ein erhebliches Mitverschulden der Klägerin.

53

Auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 07.05.2020 wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

54

Die Klage ist zulässig und begründet.

I.

55

Die internationale Zuständigkeit richtet sich wegen des Vorwurfs der Urheberrechtsverletzung in Bezug auf die in der Schweiz ansässige Beklagte nach dem Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivilund Handelssachen, geschlossen in Lugano am 30. Oktober 2007 (ABl. L 339 S. 3), das für die Europäische Union am 1. Januar 2010 in Kraft getreten ist (BGBl. I 2009, 2862), zuletzt geändert durch ÄndÜbk. vom 3. März 2017 (ABl. Nr. L 57 S. 63; nachfolgend LugÜ II). Nach Art. 5 Nr. 3 LugÜ II kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates hat, in einem anderen Vertragsstaat vor dem Gericht des Ortes verklagt werden, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht, wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichsteht, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden. Diese Regelung entspricht inhaltlich Art. 5 Nr. 3 Brüssel-I-VO aF bzw. Art. 7 Nr. 2 Brüssel-I-VO nF (vgl. Cepl/Voß/Zöllner, ZPO, 2. Aufl., Vor § 12 Rn. 26 ff).

II.

56

Die Klage ist begründet. Der Klägerin steht der geltend gemachte Schadensersatzanspruch wegen einer täterschaftlichen Urheberrechtsverletzung der Beklagten zu. Prozessual ist von der behaupteten Rechteinhaberschaft der Klägerin an den streitgegenständlichen 26 Musikalben auszugehen (dazu nachfolgend unter 1.). Die Klägerin hat mit Erfolg die Voraussetzungen einer eigenen Handlung der öffentlichen Wiedergabe durch die Beklagte dargelegt (dazu nachfolgend unter 2.). Für eine Aussetzung des Verfahrens mit Blick auf das Vorabentscheidungsersuchen des Bundesgerichtshofs besteht kein Anlass (dazu nachfolgend unter 3.). Die Beklagte ist zur Zahlung des beantragten Schadensersatzes als Mindestschaden nach § 287 ZPO verpflichtet (dazu nachfolgend unter 4.). Die Zahlungsansprüche der Klägerin sind auch nicht verjährt (dazu nachfolgend unter 5.).

1.

57

Prozessual ist davon ausgehen, dass die Klägerin Inhaberin der ausschließlichen Tonträgerherstellerrechte i.S.v. § 85 UrhG für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland an den streitgegenständlichen 26 Musikalben ist. Die Beklagte hat sich hierzu zwar zulässigerweise mit Nichtwissen erklärt. Die Klägerin hat indes ihre Eintragungen in der Katalogdatenbank „MediaCat“ der PhonoNet GmbH als Inhaberin der Auswertungsrechte der 26 streitgegenständlichen Musikalben vorgelegt (vgl. Anlagen K 3 bis K 28). Diesen kommt nach vom Bundesgerichtshof gebilligter Rechtsprechung eine maßgebliche Indizwirkung für die Inhaberschaft der Tonträgerherstellerrechte iSv § 85 I UrhG zu. Der Tonträgerhersteller kann sich deshalb zur Darlegung und zum Beweis seiner Aktivlegitimation in besonderem Maße auf Indizien, namentlich der Eintragung in den PhonoNet-Medienkatalog, beziehen. Ein weitergehender Vortrag ist erst erforderlich, wenn vom als Verletzer in Anspruch Genommenen konkrete Anhaltspunkte dargelegt werden, die gegen die Richtigkeit der Eintragungen in der fraglichen Datenbank zu den jeweiligen Musikstücken sprechen (BGH, Urteil vom 11.6.2015 - I ZR 19/14, GRUR 2016, 176 Rn. 20 - Tauschbörse I). Einen solchen Vortrag hat die Beklagte nicht gehalten.

2.

58

In der Sache hat die Klägerin mit Erfolg die Voraussetzungen dafür dargelegt, dass die Beklagte eigene täterschaftliche Handlungen der öffentlichen Zugänglichmachung (§ 15 Abs. 2 Satz 1 und 2 Nr. 2, § 19a UrhG) bzw. der öffentlichen Wiedergabe (§ 15 Abs. 2 Satz 1, § 19a UrhG) vorgenommen hat.

a)

59

Gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 UrhG hat der Urheber das ausschließliche Recht, sein Werk in unkörperlicher Form öffentlich wiederzugeben (Recht der öffentlichen Wiedergabe). Dieses Recht umfasst nach § 15 Abs. 2 Satz 2 UrhG unter anderem das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung (§ 19a UrhG). Eine öffentliche Zugänglichmachung im Sinne von § 19a UrhG erfordert, dass Dritten der Zugriff auf ein urheberrechtlich geschütztes Werk eröffnet wird, das sich in der Zugriffssphäre des Vorhaltenden befindet (BGH, Urteil vom 21. September 2017 - I ZR 11/16, GRUR 2018, 178 Rn. 19 - Vorschaubilder III).

b)

60

Bei der Auslegung des Urhebergesetzes ist zu beachten, inwieweit dessen Regelungen der Umsetzung der InfoSoc-RL 2001/29/EG dienen (vgl. BGH, Urteil vom 27. April 2017 - I ZR 247/15, GRUR 2017, 798 Rn. 18 - Aida Kussmund; Beschluss vom 1. Juni 2017 - I ZR 139/15, GRUR 2017, 901 Rn. 15 - Afghanistan Papiere; Urteil vom 21. September 2017 - I ZR 11/16, GRUR 2018, 178 Rn. 24 - Vorschaubilder III). Die hier in Rede stehenden ausschließlichen Rechte des Urhebers bzw. Leistungsschutzberechtigten zur öffentlichen Wiedergabe einschließlich der öffentlichen Zugänglichmachung (Art. 3 Abs. 1) seines Werkes, sind durch die Richtlinie auf Unionsebene harmonisiert. Nach Art. 3 Abs. 1 der InfoSoc-RL 2001/29/EG sehen die Mitgliedstaaten vor, dass den Urhebern das ausschließliche Recht zusteht, die drahtgebundene oder drahtlose öffentliche Wiedergabe ihrer Werke einschließlich der öffentlichen Zugänglichmachung der Werke in der Weise, dass sie Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich sind, zu erlauben oder zu verbieten.

b)

61

Die vorliegend in Rede stehende öffentliche Wiedergabe in Form der öffentlichen Zugänglichmachung fällt in den Anwendungsbereich von Art. 3 I der RL 2001/29/EG, weil bei dem Abruf einer im Internet von einem Nutzer der Beklagten bereitgestellten Datei die Wiedergabe in Form der Zugänglichmachung gegenüber Mitgliedern der Öffentlichkeit erfolgt, die an dem Ort, an dem die Wiedergabe in Form der Zugänglichmachung ihren Ursprung nimmt, nicht anwesend sind.

aa)

62

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union erfordert der Begriff der öffentlichen Wiedergabe eine individuelle Beurteilung. Im Interesse eines hohen Schutzniveaus für die Urheber ist der Begriff der "öffentlichen Wiedergabe" weit zu verstehen (vgl. EuGH, Urteil vom 31. Mai 2016 - C-117/15, GRUR 2016, 684 Rn. 36 - Reha Training/GEMA; Urteil vom 8. September 2016 - C-160/15, GRUR 2016, 1152 Rn. 30 - GS-Media; Urteil vom 26. April 2017 - C-527/15, GRUR 2017, 610 Rn. 27 - Stichting Brein/Wullems; Urteil vom 14. Juni 2017 - C- 610/15, GRUR 2017, 790 Rn. 22 - The Pirate Bay). Er hat zwei Tatbestandsmerkmale, nämlich eine Handlung der Wiedergabe und die Öffentlichkeit dieser Wiedergabe. Dieser Begriff vereint wiederum zwei Merkmale, nämlich eine „Handlung der Wiedergabe“ eines Werkes und seine „öffentliche“ Wiedergabe. Um zu beurteilen, ob ein Nutzer eine Handlung der „öffentlichen Wiedergabe“ iSv Art. 3 Abs. 1 der InfoSoc-RL 2001/29/EG vornimmt, sind eine Reihe weiterer Kriterien zu berücksichtigen, die unselbstständig und miteinander verflochten sind. Sie sind deshalb einzeln und in ihrem Zusammenwirken mit den anderen Kriterien anzuwenden, da sie im jeweiligen Einzelfall in sehr unterschiedlichem Maß vorliegen können (vgl. EuGH, GRUR 2016, 684 Rn. 35 - Reha Training/GEMA; GRUR 2016, 1152 Rn. 32 ff. - GS-Media; GRUR 2017, 610 Rn. 28 ff. - Stichting Brein/Wullems; GRUR 2017, 790 Rn. 23 ff. - The Pirate Bay).

63

Unter diesen Kriterien sind zunächst die zentrale Rolle des Nutzers und die Vorsätzlichkeit seines Handelns hervorzuheben. Dieser Nutzer nimmt nämlich eine Wiedergabe vor, wenn er in voller Kenntnis der Folgen seines Verhaltens tätig wird, um seinen Kunden Zugang zu einem geschützten Werk zu verschaffen, und zwar insbesondere dann, wenn ohne dieses Tätigwerden die Kunden das ausgestrahlte Werk nicht oder nur schwer empfangen könnten (vgl. EuGH, Urteil vom 15. März 2012 - C-135/10, GRUR 2012, 593 Rn. 82 - SCF; EuGH, GRUR 2017, 610 Rn. 31 - Stichting Brein/Wullems; GRUR 2017, 790 Rn. 26 - The Pirate Bay). Auch sei nicht unerheblich, ob eine Wiedergabe Erwerbszwecken dient.

64

Auch der Bundesgerichtshof hat die Rechtsprechung des Gerichtshofs nachvollzogen und ebenfalls den Begriff der „öffentlichen Wiedergabe“ in den Mittelpunkt gestellt und angenommen, dieser Begriff erfordere eine individuelle Beurteilung (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Februar 2017 - I ZR 267/15, GRUR 2017, 514 Rn. 21 - Cordoba; BGH, Urteil vom 21. September 2017 - I ZR 11/16, GRUR 2018, 178 Rn. 28 - Vorschaubilder III).

bb)

65

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat angenommen, dass grundsätzlich jede Handlung, mit der ein Nutzer in voller Kenntnis der Sachlage seinen Kunden Zugang zu geschützten Werken gewähre, eine „Handlung der Wiedergabe“ iSv Art. 3 I RL 2001/29 darstellen könne (EuGH, GRUR 2017, 790 Rn. 34 - The Pirate Bay). Der Gerichtshof hat in der Bereitstellung anklickbarer Links auf einer Internetseite, die Zugang zu auf anderen Internetseiten veröffentlichten Werken eröffnen (GRUR 2014, 360 Rn. 18 - Svensson/Retriever Sverige; GRUR 2014, 1196 Rn. 15 - BestWater International/Mebes und Potsch; GRUR 2016, 1152 Rn. 43 - GS Media BV/Sanoma ua), in der Bereitstellung eines Medienabspielgeräts, das den Zugriff auf ohne Zustimmung des Rechtsinhabers im Internet zur Verfügung gestellte Werke ermöglicht (EuGH, GRUR 2017, 610 Rn. 38-42 - Stichting Brein/Wullems [Filmspeler]), und in der Bereitstellung und dem Betrieb einer Filesharing-Plattform im Internet, die durch die Indexierung von geschützten Werken und das Anbieten einer Suchmaschine den Nutzern den Zugriff auf ohne Zustimmung des Rechtsinhabers bereitgestellte Werke ermöglicht (EuGH, GRUR 2017, 790 Rn. 35-39 - Stichting Brein/XS 4ALL [The Pirate Bay]), Handlungen der Wiedergabe gesehen.

cc)

66

Dies hat zur Folge, dass auch jemand, der nicht selbst den Upload vorgenommen hat, durch hinzutretende Umstände eine eigene (täterschaftliche) Handlung der öffentlichen Zugänglichmachung vornehmen kann. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs genügt es für eine solche Handlung der Wiedergabe, dass der Nutzer Dritten wissentlich und willentlich ermöglicht, auf urheberrechtlich geschützte Werke zuzugreifen. Er muss keine konkrete Kenntnis von den einzelnen zugänglich gemachten Werken besitzen (vgl. BGH, GRUR 2018, 178 Rn. 33 - Vorschaubilder III, mwN). Dagegen stellt das bloße Bereitstellen von Einrichtungen zur Wiedergabe nach Erwägungsgrund 27 keine Wiedergabe im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der InfoSoc-RL 2001/29/EG dar (vgl. EuGH, Urteil vom 7. Dezember 2006 - C-306/05, GRUR 2007, 225 Rn. 45 bis 47 - SGAE/Rafael; Urteil vom 18. März 2010 - C-136/09, MR-Int. 2010, 123 Rn. 33 = BeckRS 2011, 87330 - OSDD/Divani Akropolis; Urteil vom 14. Juni 2017 - C-610/15, GRUR 2017, 790 Rn. 38 = WRP 2017, 936 - The Pirate Bay). Letztlich verfolgt der Gerichtshof damit einen weiten, funktionalen Wiedergabebegriff und erfasst damit auch Handlungsweisen, die nach der bisherigen deutschen Rechtsprechung einerseits unter die Täter- und Teilnehmerhaftung gefasst wurden und andererseits solche, die unter die Figur der Störerhaftung gefasst wurden (vgl. Ohly, ZUM 2017, 793, 800; Tolkmitt, Festschrift Büscher, 2018, 249, 262; Grünberger, ZUM 2018, 321, 330; v. Ungern-Sternberg, GRUR 2018, 225, 228).

c)

67

Auch der Bundesgerichtshof hat es in der die Beklagte betreffende Vorlageentscheidung "Uploaded" (BGH, Beschluss vom 20. September 2018 - I ZR 53/17, GRUR 2018, 1239 Rn. 21) für in Betracht kommend angesehen, dass die Beklagte mit dem Betrieb des Sharehosting-Dienstes eine für die Annahme einer Handlung der Wiedergabe erforderliche zentrale Rolle im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union einnimmt. Der Bundesgerichtshof hat angenommen, dass der Annahme einer zentralen Rolle nicht entgegen steht, dass die Beklagte nicht selbst Inhalte einstellt, sondern es Dritten durch die Bereitstellung des Sharehosting-Dienstes ermöglicht, dessen Nutzern Inhalte zur Verfügung zu stellen, unter denen auch urheberrechtsverletzende Inhalte sein können. Denn die Beklagte handelt im Erwerbsinteresse, weil sie mit dem Betrieb des Dienstes Einnahmen erzielt. Für Annahme der vollen Kenntnis der Folgen des Handelns spricht, dass die Beklagte Kenntnis davon hat, dass in ihrem Dienst in erheblichem Umfang urheberrechtsverletzende Inhalte verfügbar sind. Zugleich erhöht sie durch die Gestaltung ihres Vergütungssystems, die Bereitstellung unbeschränkter Download-Links und die Ermöglichung der anonymen Nutzung ihres Dienstes erheblich die Gefahr der rechtsverletzenden Nutzung. Dem steht nicht entgegen, dass sie bis zu einem Hinweis des Rechtsinhabers keine Kenntnis von der Verfügbarkeit urheberrechtsverletzender Inhalte hat und ihre Nutzer in ihren Nutzungsbedingungen darauf hinweist, dass die Einstellung rechtsverletzender Inhalte nicht gestattet sei (vgl. BGH, GRUR 2018, 1239 Rn. 25). Damit hat der Bundesgerichtshof Abstand von seiner bisherigen Rechtsprechung genommen, dass der Betreiber eines File-Hosting-Diensts, der Nutzern im Internet Speicherplatz zur Verfügung stellt, über den diese urheberrechtsverletzende Dateien bereitstellen, weder als Täter noch als Teilnehmer eine Urheberrechtsverletzung vornimmt, solange er keine Kenntnis von den konkreten auf seinen Servern befindlichen Dateien und deren rechtsverletzenden Charakter hat (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juli 2012 - I ZR 18/11, BGHZ 339 Rn. 16 = GRUR 2013, 370 - Alone in the Dark; Urteil vom 15. August 2013 - I ZR 80/12, GRUR 2013, 1030 Rn. 28 - File-Hosting-Dienst).

d)

68

Um das im allgemeinen Interesse liegende und von der Rechtsordnung gebilligte Geschäftsmodell der gewerblichen Bereitstellung von Speicherplatz im Internet nicht unverhältnismäßig zu erschweren, ist indes ein angemessenes Gleichgewicht zwischen dem Grundrecht der Rechtsinhaber auf Schutz des geistigen Eigentums (Art. 17 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta ) einerseits und dem Recht des Diensteanbieters auf unternehmerische Freiheit (Art. 16 EU-Grundrechtecharta) sowie dem Recht der Nutzer dieses Dienstes auf Informationsfreiheit (Art. 11 Abs. 1 EU-Grundrechtecharta) andererseits zu schaffen. Denn auch wenn die Richtlinie 2001/29/EG nach ihrem Erwägungsgrund 9 ein hohes urheberrechtliches Schutzniveau bezweckt, so ist der durch das Unionsrecht verbürgte Schutz des geistigen Eigentums weder schranken- noch bedingungslos gewährleistet, sondern in ein Gleichgewicht mit anderen Grundrechten zu bringen (vgl. EuGH, Urteil vom 24. 11. 2011 - C-70/10, GRUR 2012, 265 Rn. 41 ff. - Scarlet/SABAM; Urteil vom 27. März 2014 - C-314/12, GRUR 2014, 468 Rn. 61 - UPC-Telekabel; BGH, Urteil vom 26. November 2015 - I ZR 174/14, BGHZ 208, 82 Rn. 34 - Störerhaftung des Accessproviders; BGH, Urteil vom 26. Juli 2018 - I ZR 64/17, GRUR 2018, 1044 Rn. 26 - Dead Island). Die Annahme einer eigenen Handlung der öffentlichen Wiedergabe eines Intermediärs setzt daher voraus, dass die Beklagte die neutrale Stellung verlassen und eine aktive Rolle in voller Kenntnis der Rechtsverletzungen eingenommen hat, mithin echte Verhaltenspflichten verletzt hat.

e)

69

Im Streitfall ist im Rahmen der gebotenen individuellen Beurteilung deshalb von eigenen Handlungen der öffentlichen Wiedergabe der Beklagten auszugehen, weil sie in voller Kenntnis der umfangreichen Rechtsverletzungen durch 13 Intensiv-Nutzer deren Accounts nicht gesperrt hat, sondern diese trotz einer Dreiviertelmillion auf diese Nutzer entfallender Abuse-Mitteilungen der Klägerin weiter hat gewähren lassen. Eine Entscheidung des Streitfalls ist daher unabhängig vom Ausgang des insoweit anders gelagerten Vorabentscheidungsverfahren beim Gerichtshof der Europäischen Union zur Rechtssache C-683/18 möglich.

aa)

70

Die Beklagte stellt mit ihrem Dienst Nutzern Speicherplatz für Dateien beliebigen Inhalts bereit, die Nutzer dort hochladen können. Nach Abschluss des Hochladevorgangs teilt die Beklagte dem hochladenden Nutzer automatisch einen Download-Link mit, über den direkt auf die Datei zugegriffen werden kann. Zwar bietet die Beklagte kein Inhaltsverzeichnis und keine Suchfunktion an; ihre Seiten sind auch nicht mit einer Suchmaschine für Dritte sinnvoll durchsuchbar. Beliebige Dritte können aber durch Eingabe der Upload-URL die jeweilige Datei aufrufen. Zudem werden, was die Beklagte weiß, die Download-Links von Dritten in Linksammlungen im Internet eingestellt, die Informationen zum Inhalt der Dateien enthalten und die Suche nach bestimmten Inhalten ermöglichen. Dies ist grundsätzlich von Rechts wegen nicht zu beanstanden.

bb)

71

Durch die Gestaltung ihres Vergütungssystems, die Ausgabe unbeschränkter Download-Links und die Möglichkeit der anonymen Nutzung ihres Dienstes fördert die Beklagte indes die Gefahr der rechtsverletzenden Nutzung ihres Dienstes erheblich (vgl. BGH, GRUR 2018, 1239 Rn. 23). Nicht nur neigen am Herunterladen von Dateien interessierte Nutzer eher zur Buchung eines kostenpflichtigen Premium-Accounts, wenn sie über den Dienst der Beklagten ohne weitere Kosten attraktive, urheberrechtlich geschützte Werke herunterladen können und dabei keine verringerten Downloadgeschwindigkeiten hinnehmen müssen. Insbesondere ist es die Vergütungsstruktur, die einen Anreiz dafür setzt, Dateien hochzuladen, die anderenorts legalerweise nur gegen Entgelt abgerufen werden können. So erhalten Premium-Nutzer Vergütungschancen dafür, wenn die von ihnen hochgeladenen Inhalte von anderen Nutzern heruntergeladen werden („pay per download“) und wenn aus Anlass des Downloads ihrer Inhalte die Drittnutzer ihrerseits einen kostenpflichtigen Premium-Account von der Beklagten erwerben („pay per sale“). Die Beklagte beteiligt Uploader an den Umsätzen, die sie mit dem Verkauf von Premium-Accounts generiert (sog. Pay per Sale-Programm) mit 60% des Kaufpreises (bei Erstbestellung) oder 50% des Kaufpreises (bei Verlängerung). Zudem zahlt die Beklagte den Nutzern, die Dateien hochladen, Downloadvergütungen. Die Höhe der Vergütung ist abhängig von der Dateigröße und dem Standort des Downloaders und beträgt je nach Standort zwischen 1 und 8 EUR für 3-100 MB sowie zwischen 4 und 30 EUR für 100-1000 MB (sog. Pay per Download-Programm). Die Vergütung für das Hochladen von Dateien ist also umso höher, je attraktiver die hochgeladenen Dateien für die am Herunterladen interessierten Nutzer sind. Durch die Ausgabe von im Zugang unbeschränkten Download-Links ist es den hochladenden Nutzern unproblematisch möglich, die Dateien über Linksammlungen für am Herunterladen interessierte Nutzer auffindbar zu machen. Die Anonymität der Nutzung des Sharehosting-Dienstes erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Nutzer für Urheberrechtsverletzungen nicht zur Rechenschaft gezogen werden (vgl. BGH, GRUR 2018, 1239 Rn. 23).

cc)

72

Die Beklagte weiß auch, dass ihr Dienst mitunter auch für urheberrechtsverletzende Anwendungen genutzt wird - damit entgegen ihrer eigenen AGB. Die Beklagte muss sich auch vorhalten lassen, dass sie allein aufgrund der hier vorgetragenen über eine Dreiviertelmillion Abuse-Mitteilungen in Bezug auf nur 13 Dauernutzer Kenntnis davon hat, dass teilweise in erheblichem Umfang rechtsverletzende Nutzungen von ihren Nutzern vorgenommen werden. Die Beklagte kann sich weder zu dem Zugang der Abuse-Mitteilungen noch zu den damit beanstandeten Rechtsverletzungen mit Nichtwissen erklären.

73

(1) Nach § 138 Abs. 4 ZPO ist eine Erklärung mit Nichtwissen - also die Einlassung, die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Behauptungen des Gegners nicht zu kennen - nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind; bei einer juristischen Person kommt es insoweit auf ihre Organe an. Eine Erklärung mit Nichtwissen ist auch außerhalb des Bereichs der eigenen Handlungen und eigenen Wahrnehmung der Partei unzulässig, wenn und soweit eine Informationspflicht der Partei hinsichtlich der vom Gegner behaupteten Tatsachen besteht. Die Partei trifft eine solche Erkundigungspflicht, sofern die maßgebenden Tatsachen Personen bekannt sind, die unter ihrer Anleitung, Aufsicht oder Verantwortung tätig geworden sind. Auch im Fall des Forderungsübergangs ist der Bundesgerichtshof davon ausgegangen, dass der Neugläubiger in Ausübung seines Auskunftsrechts nach §§ 412, 402 BGB Erkundigungen anstellen muss, bevor eine Erklärung mit Nichtwissen in Betracht kommt. Ein Insolvenzverwalter darf eine Tatsache, zu der sich Erkenntnisse aus den Unterlagen des Schuldners oder von diesem selbst ergeben können, mit Nichtwissen nur bestreiten, wenn er ohne Erfolg die Unterlagen gesichtet und notfalls den Schuldner befragt hat und wenn er das Ergebnis seiner Bemühungen nachvollziehbar darlegt (BGH, Urteil vom 23. Juli 2019 - VI ZR 337/18, NJW 2019, 3788 Rn. 9 - 11, mwN).

74

(2) Wie die Kammer bereits in ihrem Urteil zur Sache 310 O 89/16 ausgeführt hat, handelt es sich bei ihrem Bestreiten bzw. ihrem Erklären mit Nichtwissen um ein unbeachtliches Vorbringen, weil es insofern unzulässig ist, als die bestrittenen Behauptungen der Klägerin die Erkenntnissphäre der Beklagten betreffen. Der Inhalt ihrer Server ist ohne Weiteres Gegenstand der Wahrnehmung der Beklagten, so dass insoweit ein Bestreiten mit Nichtwissen unzulässig ist, § 138 IV ZPO (BGH, GRUR 2013, 1030 Rn. 26 - File-Hosting-Dienst).

75

Die Beklagte hätte - schon auch im eigenen Interesse - die ihr unter Angabe der Dateiinhalte, der Linklistenveröffentlichungen und der Dateinamen auf ihren Speichern gemeldeten Verletzungshandlungen auf die Richtigkeit der klägerischen Angaben überprüfen oder zumindest eine Datensicherung in der Form durchführen können, dass sie sich nun im Prozess dazu hätte substantiiert erklären können. Dass sie solche Vorkehrungen unterließ, berechtigt sie nicht zu einem Erklären mit Nichtwissen. Zwar ist ein Bestreiten mit Nichtwissen unter Umständen möglich, wenn die Partei zum behaupteten Vorgang kein aktuelles Wissen (mehr) hat, sie muss aber ihr Gedächtnis - soweit möglich und zumutbar - etwa anhand eigener Unterlagen auffrischen. Die Partei trifft insoweit eine Informationspflicht. Insbesondere im eigenen Unternehmensbereich sind Erkundigungen einzuziehen, der bloße Hinweis etwa auf den Ablauf von Aufbewahrungsfristen (z.B. nach § 257 HGB) genügt ohne konkrete Nachforschung zum Verbleib von Unterlagen nicht (OLG Hamburg, Beschluss 29.01.2016 - 5 W 111/14). Die Beklagte hat zu derartigen Bemühungen nichts vorgetragen; sie hat nicht einmal behauptet, sich bei der I. vergebens erkundigt zu haben.

76

Der Vortrag der Beklagten zur Einschaltung der I. zeigt noch ein weiteres auf: Die Beklagte hat nach eigenem Vortrag die nähere Überprüfung und Löschung durch die I. vornehmen lassen, behauptet aber gleichzeitig, deren Handeln natürlich regelmäßig zu überprüfen. Dann erscheint es jedoch nicht nachvollziehbar, wie die Beklagte die Tätigkeit der von ihr beauftragten Firma I. nachvollziehen und überwachen können will, ohne jegliche Dokumentation. Schließlich erscheint es widersprüchlich, wenn die Beklagte einerseits - unstreitig - eine Löschung der URLs veranlasst hat, dabei sich aber nicht einmal Kenntnis über den Inhalt verschafft haben will. Zudem wäre eine Dokumentation aus Datensparsamkeit auch nur dann von Nöten, wenn die Beanstandung der Klägerin als unberechtigt eingestuft worden wäre. Der Umstand, dass es keine Dokumentation gibt, spricht daher als Indiz für die Annahme einer Rechtsverletzung - und davon hätte die Beklagte damit Kenntnis. Soweit die Beklagte sich darauf beruft, dass eine Konservierung aller gemeldeten Verstöße ihr aufgrund der Menge der insgesamt zu ihrem Dienst gemeldeten Verstöße nicht möglich und nicht zumutbar sei, vermag dies letztlich ebenfalls nur den klägerischen Vortrag zu bestätigen, dass der Dienst der Beklagten, was diese weiß, zu einem erheblichen Umfang in rechtswidriger Weise genutzt wird. Die Anlage eines doppelten Speichers für „tote“ Dateien ist der Beklagten jedenfalls dann zumutbar, wenn sie ihr anreizsetzendes Vergütungsmodell und die nicht-zugangsbeschränkten Downloadlinks beibehalten will.

77

(3) Die Beklagte kann dem nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass die prozessualen Regelungen zum Bestreiten mit Nichtwissen erst ab Entstehen des Prozessrechtsverhältnisses eingreifen und sie nicht schon aufgrund prozessualer Regelungen gehalten sein kann, etwaige Rechtsverletzungen dokumentieren zu müssen. Würde die Beklagte so argumentieren, so würde sie sich in materiell-rechtlich missbräuchlicher Weise auf die grundsätzliche rechtliche Billigung ihres Geschäftsmodells berufen; dies ist nicht zulässig.

78

Ein nach seiner Struktur an sich rechtlich unbedenkliches Geschäftsmodell verliert diese rechtliche Billigung, wenn es in erheblichem Umfang durch Dritte zu Rechtsverletzungen missbraucht wird und der Betreiber zwar „auf dem Papier“ die Beendigung der Nutzungsmöglichkeit für rechtsverletzende Kunden verbindlich vorschreibt, es gleichzeitig aber unterlässt, ihm konkret angezeigte Missbrauchsfälle so ausreichend zu dokumentieren, dass er sich zu den Vorwürfen in einem späteren Prozess zur Überprüfung der Einhaltung seiner eigenen Geschäftsbedingungen substantiiert äußern kann. Denn ein solches Verhalten des Betreibers des Geschäftsmodells zielt von vornherein darauf ab, den von einem Verletzten nachgesuchten Rechtsschutz durch die (nur vermeintlich zulässige) Berufung auf Nichtwissen im Sinne des § 138 IV ZPO faktisch ins Leere laufen zu lassen. Dies ist ein rechtsmissbräuchliches Verhalten, welches auch im Prozessrecht nicht gebilligt werden kann.

79

Wenn die Beklagte sich gegenüber den durch ihre Kunden verletzten Rechtsinhabern darauf beruft, ihr Geschäftsmodell sei seiner Struktur nach rechtlich unbedenklich und vereinzelte Rechtsverletzungen würden effektiv verfolgt und durch Ausschluss der Kunden von der Nutzung geahndet, so folgt aus der Inanspruchnahme dieser Rechtfertigung des Geschäftsmodells materiell-rechtlich zumindest aus Treu und Glauben die Obliegenheit, die behaupteten Verfolgungsmaßnahmen prozessual überprüfbar zu dokumentieren; verletzt die Beklagte diese Obliegenheit, so ist die daraus zumindest resultierende Sanktion, dass es ihr verwehrt ist, sich prozessual auf ein auf die eigene materielle Obliegenheitsverletzung zurückführbares Nichtwissen zu berufen.

80

Das Argument der Beklagten, die Verstöße seien zu zahlreich, als dass der Beklagten eine nachvollziehbare Dokumentation zumutbar sei, verfängt nicht, sondern ist Ausdruck eines sogar noch gesteigert widersprüchlichen Verhaltens der Beklagten: Einerseits beruft sie sich den Rechtsinhabern gegenüber darauf, etwaiger Missbrauch ihres Geschäftsmodells werde entsprechend ihrer Geschäftsbedingungen effektiv verfolgt; andererseits kann sie gegenüber substantiiertem Vortrag zu konkreten Verletzungen des eigenen Standards nicht substantiiert erwidern, weil die Zahl der Fälle so groß sei, dass eine Dokumentation im Rahmen des Geschäftsmodell wirtschaftlich nicht darstellbar sei.

81

(4) Die Fundorte der Links sind der Beklagten ebenfalls mitgeteilt worden (vgl. Anlagen K 1 und Anlage K 34). Auch hierbei handelt es sich also um Umstände, die Gegenstand der eigenen Wahrnehmung der Schuldnerin waren. Die Schuldnerin hat diese tatsächlichen Umstände nach ihrem eigenen Vorbringen lediglich nicht dokumentiert und beruft sich darauf, dass sie deshalb nicht mehr nachvollziehen könne, ob derartige Links veröffentlicht wurden und ob sie zu bei ihr gespeicherten Dateien führten, die die streitgegenständlichen Musikwerke enthielten. In einer solchen Situation ist jedoch ein Bestreiten mit Nichtwissen nicht nur unsubstantiiert, sondern auch unzulässig (vgl. OLG Hamburg, Beschluss 29.01.2016 - 5 W 111/14).

dd)

82

Im Streitfall fällt es der Beklagten zur Last, dass es sich bei den streitgegenständlichen 13 Nutzern um Intensiv-Nutzer handelt, wozu sich die Beklagte nach den obigen Grundsätzen ebenfalls nicht mit Nichtwissen erklären kann. Die Beklagte muss sich nicht nur die Inhalte ihrer Server auf die Beanstandungen der Klägerseite hin als Gegenstände eigener Wahrnehmung vorhalten lassen, sondern naturgemäß auch die Identität des bei ihr registrierten, betroffenen Accounts.

83

(1) Die Klägerin hat vorgetragen, dass sie sich zu Nutze habe machen können, dass anhand des Quelltextes einer Datei diese dem jeweiligen Uploader-Account habe zugeordnet werden können (vgl. Schriftsatz der Klägerin vom 29.04.2020, S. 5 f). Dies habe die Beklagte erst nach Zustellung der Klage in der Sache 310 O 89/16 geändert und die Account-ID aus dem Quelltext hinter dem Wert „ref_user=....“ entfernt. Soweit die Beklagte dieses Vorbringen der Klägerin in Abrede genommen und behauptet hat, hierbei habe es sich um eine veraltete Kodierung ohne Aussagewert gehandelt, stellt dieser Vortrag ersichtlich eine reine Schutzbehauptung dar. Zum einen ist mit der von der Beklagten überreichten Anlage B 5 das Gegenteil belegt, nämlich, dass die Beklagte sehr wohl in der Lage ist, zum Zugang von Abuse-Meldungen aufgeschlüsselt nach Account-ID im Prozess vorzutragen, sie also konkrete Beanstandungen konkreten Account-IDs zuordnen kann. Zum anderen ist die Zuordnung von Dateien zu einem bestimmten, bei der Beklagten registrierten Account erneut eine Tatsache, die den Gegenstand eigener Wahrnehmung der Beklagten betrifft. Die Beklagte wäre für ein substantiiertes Bestreiten daher gehalten gewesen, eine abweichende Zuordnung der von der Klägerin ermittelten Dateiuploads darzulegen. Einen solchen Vortrag hat die Beklagte aber nicht gehalten, sondern, wie erwähnt, mit der Anlage B 5 das genaue Gegenteil.

84

(2) Die Klägerin hat weiter vorgetragen, dass die Beklagte im Zeitraum 14.05.2014 bis 23.05.2016 zu 1.980 verschiedenen Account-IDs jeweils mindestens drei Abuse-Meldungen erhalten habe, von denen die erste und die letzte mindestens drei Monate auseinandergelegen hätten (vgl. Anlage K 2). Allein 676 Nutzer seien Gegenstand von mehr als 100 Abuse- Meldungen gewesen, 185 Nutzer sogar Gegenstand von mehr als 1000 Abuse-Meldungen. Der Umstand, dass die Beklagte diese Accounts nicht gesperrt habe und diese wiederholten Uploads möglich gewesen seien, zeige, dass die Beklagte massenhaft wiederholte Rechtsverletzungen durch die immer wieder identischen Nutzer dulde und damit deren Rechtsverstöße letztlich zum Teil ihres Geschäftsmodells mache, was eine Mithaftung der Beklagten bedeute.

85

Auch die hiergegen vorgebrachten Einwände der Beklagten vermögen nicht zu überzeugen. Unbestreitbar sind die von der Beklagten vergebenen Upload-URLs einzigartig und ermöglichen damit eine eindeutige Zuordnung zum Uploader. Das muss auch so sein, da die Beklagte anderenfalls ihr eigenes Prämiensystem nicht umsetzen könnte, mit welchem Uploader besonders attraktiver Dateien eine Rückvergütung erhalten. Die Beklagte nutzt damit den Effekt, dass sie sich von Dritten wirtschaftlich interessante, jedoch rechtlich geschützte Inhalte zuliefern lässt, um die Attraktivität ihres Dienstes für alle Nutzer auf diese Weise zu steigern, und lässt die Uploader daran über ihre Kosten- und Vergütungsstruktur partizipieren. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist es nicht Sache der Klägerin, die Beklagte auf die Identität der Nutzer der Beklagten gesondert hinzuweisen. Dies festzustellen anhand der eigenen Registrierungsdaten ist allein und einfache Sache der Beklagten. Dabei widerlegt die schiere Masse der durch diese 13 streitgegenständlichen Nutzer verursachten Urheberrechtsverletzungen die Effektivität der von der Beklagten behaupteten Schutzmaßnahmen. Aufgrund der Hinweise auf die immer wieder selben 13 Account-IDs und die immer wieder identischen Inhalte aus den 26 Alben hätte die Beklagte im streitgegenständlichen Zeitraum eindeutig erkennen können und müssen, dass es sich bei den hier tätigen Usern dieser Accounts um vorsätzlich rechtsbrüchige Wiederholungstäter gehandelt hat. Nachvollziehbaren Gründe, warum sie deren Accounts nicht gesperrt hat, hat die Beklagte nicht vorzubringen vermocht - fehlende Kenntnis kann es jedenfalls nicht sein. Auch für ein Versehen, dass die Beklagte für sich in Anspruch nimmt, ist angesichts der ungeheuren Vielzahl an Abuse-Mitteilungen bezogen auf diese 13 Nutzer kein Raum. Dabei nimmt die Beklagte selbst für sich in Anspruch, Accounts bei wiederholten Abuse- Mitteilungen zu sperren (vgl. Klagerwiderung S. 19/20). Daher ist mit der Klägerin davon auszugehen, dass es die Beklagte bewusst hingenommen hat, von diesen Usern attraktive geschützte Inhalte „geliefert“ zu bekommen. Zumutbarkeitserwägungen stehen dem schon deswegen nicht entgegen, weil es der Beklagten freisteht, die Konzeption ihres Dienstes abzuändern, sei es durch Änderung der Vergütungsstruktur, sei es durch Zugangsbegrenzung der URLs oder auf andere Weise. Eine Erhöhung der Zahl der Beanstandungen führt nicht, wie die Beklagte zu meinen scheint, zu einer Herabsetzung der an sie zu stellenden Verhaltenspflichten, sondern im Gegenteil, desto sorgfältiger muss die Beklagte ihren Pflichten nachkommen. Die Intensiv-Nutzer hat die Beklagte in jedem Fall in den Blick zu nehmen. Angesichts sehr hoher Beanstandungsfälle und der gleichwohl unterbliebenen Sperrung oder Löschung der betreffenden Verletzer-Accounts hat die Beklagte eine aktive Rolle eingenommen und eine eigene Handlung der öffentlichen Widergabe insoweit vorgenommen.

86

(3) Auch hinsichtlich der Nutzungen über die Account-ID ... gilt nichts anderes. Zwar hat die Beklagte, wenn auch nicht schriftsätzlich so doch zumindest mit der Anlage B 5 behauptet, in Bezug auf diesen Account keine einzige Abuse-Mitteilung erhalten zu haben. Dieses Bestreiten war indes vor dem Hintergrund als unsubstantiiert einzustufen, weil unstreitig die Beklagte auf sämtliche streitgegenständlichen Beanstandungen hin die entsprechenden Dateien gelöscht hat (vgl. Klagerwiderung, S. 14). Diese Löschung auch der auf den vorgenannten Account entfallenden Dateien ist aber nicht erklärbar, ohne Zugang der von der Klägerin behaupteten Abuse-Mitteilung. Die Beklagte hat auch nicht dargetan, dass diese Löschungen auf anderen Gründen beruht hätten

f)

87

Da das Verhalten der Beklagten eine Handlung der Wiedergabe iSv Art. 3 Abs. 1 der RL 2001/29/EG darstellt, kann sie sich nicht auf die Haftungsprivilegierung nach Art. 14 Abs. 1 der RL 2000/31/EG berufen (vgl. BGH, GRUR 2018, 1239 Rn. 31 - Uploaded).

3.

88

Für eine Aussetzung des Verfahrens mit Blick auf das vor dem Gerichtshof der Europäischen Union zum Gz. C-683/18 anhängige Vorabentscheidungsersuchen des Bundesgerichtshofs besteht kein Anlass. Zum einen ist die Kammer als erstinstanzliches Gericht weder zu einem eigenen Vorabentscheidungsersuchen noch zu einer Aussetzung nach § 148 ZPO verpflichtet. Zum anderen erweist sich der vorliegende Rechtsstreit auch in der Sache nicht durch das Vorabentscheidungsersuchen des Bundesgerichtshofs präjudiziert. Denn völlig unabhängig vom Ausgang jenes Verfahrens wird die Beklagte Intensiv-Nutzer mit einer Dreiviertelmillion Beanstandungen in jedem Fall in den Blick zu nehmen und zu deren Accounts zu sperren oder zu löschen haben. Eine solche Fallkonstellation liegt dem Vorabentscheidungsersuchen nicht zugrunde. Das Verfahren 5 U 128/17 vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht ist nicht präjudiziell iSv § 148 ZPO.

4.

89

Die Beklagte ist zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe des geltend gemachten Mindestschadens verpflichtet. Hinsichtlich der Schadenshöhe gilt das Beweismaß des § 287 ZPO.

a)

90

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gilt das Beweismaß des § 287 Abs. 1 ZPO nicht nur für die Höhe des Schadens, sondern auch für die Frage, ob ein Schaden überhaupt entstanden ist (vgl. BGH, NJW 2016, 3527, Rn. 42 - Lottoblock II). Nach dieser Norm entscheidet der Tatrichter unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung, ob ein Schaden entstanden ist und wie hoch er ist. Der Tatrichter muss nach pflichtgemäßem Ermessen auch beurteilen, ob nach § 287 Abs. 1 ZPO nicht wenigstens die Schätzung eines Mindestschadens möglich ist. Eine Schätzung darf nur dann unterbleiben, wenn sie mangels konkreter Anhaltspunkte vollkommen „in der Luft hinge“ und daher willkürlich wäre; eine völlig abstrakte Berechnung des Schadens, auch in Form der Schätzung eines Mindestschadens, lässt § 287 ZPO grundsätzlich nicht zu (BGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 - VII ZR 84/10, NJW 2013, 525, Rn. 23; BAG, NJW 2013, 331, Rn. 19; Cepl/Voß/Rinken, ZPO, 2. Aufl., § 287 Rn. 7, jeweils mwN).

b)

91

Die Klägerin hat die Schadensberechnung im Wege der Lizenzanalogie nach § 97 Abs. 2 S. 3 UrhG gewählt. Nach dieser Vorschrift kann die Höhe des Ersatzbetrages auf der Grundlage des Betrages berechnet werden, den der Verletzer als angemessene Vergütung hätte entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur Nutzung des verletzten Rechts eingeholt hätte. Die Kammer hatte im vorgenannten Urteil zum Az. 310 O 89/16 bereits auf die Rechtsprechung der 8. Zivilkammer des Landgerichts verwiesen (vgl. LG Hamburg, Urteil vom 30. Januar 2015 - 308 O 105/13, juris-Rz. 103):

92

Bei dieser Art der Berechnung der Höhe des zu leistenden Schadensersatzes ist zu fragen, was vernünftige Vertragspartner als Vergütung für die vom Verletzer vorgenommenen Benutzungshandlungen vereinbart hätten. Zu ermitteln ist der objektive Wert der Benutzungsberechtigung. Dabei ist unerheblich, ob der Verletzer selbst bereit gewesen wäre, für seine Nutzungshandlungen eine Vergütung in dieser Höhe zu zahlen (BGH, GRUR 2006, 136Rn. 23 - Pressefotos; NJOZ 2013, 1690 Rn. 30 - Einzelbild). Im Rahmen der Ermittlung des objektiven Werts der Benutzungsberechtigung, der für die Bemessung der Lizenzgebühr maßgebend ist, müssen die gesamten relevanten Umstände des Einzelfalls in Betracht gezogen und umfassend gewürdigt werden (vgl. BGH, GRUR 2009, 407Rn. 25 - Whistling for a train). Bei der Festsetzung einer angemessenen Lizenzgebühr liegt es nahe, branchenübliche Vergütungssätze und Tarife als Maßstab heranzuziehen, wenn sich in dem maßgeblichen Zeitraum eine solche Übung herausgebildet hat (vgl. BGH, GRUR 2009, 407Rn. 29 - Whistling for a train). Gibt es keine branchenüblichen Vergütungssätze und Tarife, ist die Höhe der als Schadensersatz zu zahlenden Lizenzgebühr vom Tatrichter gemäß § 287 ZPO unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls nach seiner freien Überzeugung zu bemessen.

93

Dem schließt sich die Kammer (erneut) an. Betroffen sind im Streitfall 26 Alben von unterschiedlich bekannten Künstlern. Die Lizenzwerte sind dabei grundsätzlich individuell zu bewerten. Für eine Lizenzierung einer Möglichkeit, Dritten bei wiederholten Uploads zum kostenfreien Download zu unterstützen, gibt es jedoch ersichtlich kein Vorbild in der Lizenzierungspraxis der Klägerin, der Beklagten oder Dritter. Das Verlustpotential der Klägerin, Einbußen bei eigenen entgeltlichen Verkäufen zu erleiden, ist erheblich. Die Ermittlung der konkreten Anzahl der von den 5.725 vorhandenen Uploads getätigten Downloads durch dritte Nutzer dürfte - soweit der Beklagten technisch überhaupt möglich - mit erheblichem Zeit- und Kostenaufwand verbunden sein, zumal die Hemmschwelle für Drittnutzer zur Nutzung des Dienstes der Beklagten deutlich niedriger liegen dürfte als etwa bei Filesharing-Nutzungen, bei denen der Downloader aufgrund des technischen Systems regelmäßig selbst zum - ermittelbaren - Anbieter des heruntergeladenen Inhalts innerhalb der Tauschbörse wird. Allerdings lässt sich ungeachtet dessen ein Mindestschaden ermitteln, der oberhalb der Klageforderung liegt. Denn es ist nach der Rechtsprechung des Hanseatischen Oberlandesgerichts davon auszugehen, dass in dieser Lage vernünftige Parteien, die gleichwohl eine Lizenzvereinbarung geschlossen hätten, eine großzügige Pauschallizenz vereinbart hätten, dabei ohne Rücksicht auf die konkrete Werthaltigkeit einzelner Titel auf den 26 Alben (vgl. OLG Hamburg, Urteil vom 07. November 2013 - 5 U 222/10, juris-Rz. 65):

94

Der Versuch, für jeden denkbaren Musiktitel einen individuell ausgestalteten Schadensersatzbetrag zu finden, der den Besonderheiten dieses einzelnen Musikstücks gerecht wird (Alter, Hitparadenplatzierung, Verkaufszahlen, Bekanntheit der Gruppe usw.), kann angesichts der Vielzahl der verfügbaren Musiktitel nach Auffassung des Senats nicht gelingen bzw. würde einen unangemessen hohen zeitlichen Aufwand mit sich bringen. Deshalb muss sich die Bemessung an einer gewissen Pauschalierung des Schadensersatzbetrages pro Titel orientieren, um die Beurteilung handhabbar zu halten. Dies zeigt der diesem Rechtsstreit zu Grunde liegende Verletzungsfall besonders deutlich. Die Klägerinnen werfen den Beklagten Rechtsverletzungen in Bezug auf 4.120 unterschiedliche Musikwerke vor, die Gegenstand einer einheitlichen schadensstiften Verletzungshandlung gewesen sind. Würden die Klägerinnen - was sie zwar vorliegend nicht tun, wozu sie aber unter Umständen berechtigt wären - Schadenersatz für jeden einzelnen Titel beanspruchen, so bedarf es keiner näheren Erläuterung, dass insoweit eine entsprechend differenzierte Betrachtung und Bewertung nicht sinnvoll vorgenommen werden kann.

95

In jener, das Filesharing betreffenden Entscheidung orientierte sich das OLG Hamburg an Rechtsprechung des OLG Köln und nahm für eine Filesharing-Nutzung eines einzelnen Musiktitels, die bzgl. des betroffenen Titels nur für einen einzelnen Zeitpunkt nachgewiesen war (vgl. a.a.O. Rz. 76), als einen Mindestschaden einen Lizenzbetrag von € 200,- an, basierend auf der Überlegung geschätzter 400 Abrufe bei einem geschätzten Lizenzwert von € 0,50,- je Abruf. Die Klägerin hat - der Rechtsprechung der Kammer gemäß - die Erst- und Zweituploads in Abzug gebracht, um die Schäden allein den Wiederholungstäter-Accounts zurechnen zu können. Sie hat die maßgeblichen Uploads damit auf 5.059 beziffert (vgl. Klageschrift S. 67). Übertragen auf den vorliegenden Fall beliefe sich der zu schätzende Mindestwert bei 5.069 Uploads, bei lediglich 5 Titeln pro Album - tatsächlich sind es mehr - mithin 25.295 hochgeladen Titeln, und einer Lizenzgebühr von 200 EUR auf 5.059.000 EUR. Dies gälte ohne Berücksichtigung der zeitlichen Komponente einer hier während eines Monats immer wieder erneut festgestellten Abrufmöglichkeit.

c)

96

Selbst unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Beklagte nicht gleich bei der ersten Abuse-Mitteilung in Bezug auf einen Account zu dessen Sperrung verpflichtet ist, sondern erst bei einer wiederholten Rechtsverletzung unabhängig davon, ob dasselbe Album betroffen ist oder nicht, und einem hierfür veranschlagten weiteren Abschlag von 1/3, beliefe sich der Schadenswert noch auf 3.372.666 EUR.

97

Ohnehin ist nach der Rechtsprechung des Hanseatischen Oberlandesgerichts bei der fiktiven Lizenzbemessung eine private Filesharing-Nutzung nicht mit einer kommerziellen Nutzung durch einen Verwerter, der nach der Art seines Geschäftsbetriebes an sich zur Nutzung gegen Lizenzierung bereit sein müsste, gleichzusetzen (a.a.O. Rz. 67):

98

Auch bei der Bestimmung eines angemessenen Pauschalbetrages muss es nach Auffassung des Senats aber dabei bleiben, dass ein jugendlicher Filesharer (bzw. sein Erziehungsberechtigter) nicht auf eine Stufe gestellt werden kann mit Anbietern, die ein geschütztes Werk auf der Grundlage eines Lizenzvertrages zu nutzen bereit wären. Zwar trifft es zu, dass es für die Schadensersatzhöhe nicht darauf ankommt, ob der Verletzer bereit gewesen wäre, für seine Nutzungshandlungen eine Vergütung in dieser Höhe zu bezahlen. Gleichwohl kann nicht außer Ansatz bleiben, dass es insoweit in erster Linie um Sachverhalte geht, in denen Jugendliche häufig ohne vollständige Kenntnis der rechtlichen Tragweite ihres Handelns leichtfertig derartige Verletzungshandlungen begehen. Dies rechtfertigt oder entschuldigt ihr Verhalten zwar nicht. Unabhängig davon, ob auch rechtsgeschäftliche Partner eines Lizenzvertrages entsprechende Regelungen treffen würden, erscheint es dem Senat jedenfalls bei einem Fall wie dem vorliegenden auch unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Klägerinnen als Rechteinhaberinnen nicht vertretbar zu sein, allein durch die Multiplikation eines bestimmten (Mindest-)Schadenersatzbetrages mit der Anzahl der rechtsverletzend genutzten Titel den angemessenen Schadensersatzbetrag zu ermitteln. Vielmehr sind angemessene Abstufungen vorzunehmen. Dies zeigt erneut der Ausgangssachverhalt des vorliegenden Falls besonders deutlich: Den Beklagten wird die rechtsverletzende Nutzung von insgesamt 4.120 Titeln zur Last gelegt. Die Anwendung eines für jeden einzelnen Verstoß angemessenen, festen Mindestbetrages auf die Gesamtzahl der rechtsverletzenden Titel würde zu einer ausufernden Schadensersatzsumme führen, die ersichtlich in keinem Verhältnis mehr zu der Eingriffsintensität und zu dem Verschulden des Rechtsverletzers stehen würde. Vor diesem Hintergrund muss das mögliche Ausmaß einer Schadenersatzpflicht nach Auffassung des Senats notwendigerweise in die Betrachtungen des Einzelfalls mit einbezogen werden, um nicht zu unvertretbaren Ergebnissen zu gelangen.

99

Davon unterscheidet sich der vorliegend zu beurteilende Fall erheblich. Denn die Beklagte ist eine kommerzielle Anbieterin, die - wie die Klägerin insofern zu Recht geltend macht - natürlich ein wirtschaftliches Interesse an Einnahmen aus dem Abschluss von Premium-AccountVerträgen hat, die umso mehr abgeschlossen werden dürften, je attraktiver das Content-Angebot auf den Servern der Beklagten ist. Daher ist jedenfalls davon auszugehen, dass vernünftige Vertragsparteien bei der Lizenzierung der streitgegenständlichen umfangreichen Nutzungen der 26 Alben keine geringeren als die oben skizzierten Mindestlizenzen vereinbart hätten. Der begehrte Schadensersatz in Höhe von (nur) 1,3 Millionen EUR ist nach dem pflichtgemäßen Ermessen der Kammer nach Maßgabe des § 287 ZPO als Mindestschaden anzunehmen und der Klägerin zuzusprechen.

5.

100

Die Ansprüche der Klägerin sind auch nicht verjährt.

a)

101

Nach § 102 S. 1 UrhG, § 195 BGB gilt im Urheberrecht die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren. Diese Frist beginnt gem. § 199 I BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. Gemäß § 102 S. 2 UrhG findet § 852 BGB entsprechende Anwendung, wenn der Verpflichtete durch die Verletzung auf Kosten des Berechtigten etwas erlangt hat. Danach ist der Ersatzpflichtige auch nach Eintritt der Verjährung des Anspruchs auf Ersatz des aus einer Verletzung des Urheberrechts entstandenen Schadens zur Herausgabe nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung verpflichtet (§ 852 S. 1 BGB). Dieser Anspruch verjährt nach § 852 S. 2 BGB in zehn Jahren von seiner Entstehung an und ohne Rücksicht auf seine Entstehung in 30 Jahren von der Begehung der Verletzungshandlung oder dem sonstigen den Schaden auslösenden Ereignis an (BGH, Urteil vom 12.5.2016 - I ZR 48/15, NJW 2017, 78 Rn. 94 f. - everytime we touch).

b)

102

Diese Verjährungsfrist war bei Anhängigmachung des Rechtsstreits im Oktober 2018 und bei Rechtshängigkeit im Dezember 2018 in Bezug auf die streitgegenständlichen Musiktitel nicht abgelaufen. Auf die Verletzung des ausschließlichen Rechts zum öffentlichen Zugänglichmachen einer Datei mit einem Musiktitel gemäß § 85 Abs. 1 S. 1 UrhG gestützte Ansprüche auf Zahlung von Schadensersatz nach den Grundsätzen der Lizenzanalogie gemäß § 97 Abs. 2 UrhG verjähren binnen 10 Jahren, weil sie nach § 102 S. 2 UrhG, § 852 BGB auf die Herausgabe einer durch die Verletzung dieses Rechts erlangten ungerechtfertigten Bereicherung gerichtet sind (vgl. BGH, NJW 2017, 78 Rn. 95 - everytime we touch). Die Beklagte hat durch die Verletzung des Rechts zum öffentlichen Zugänglichmachen der streitgegenständlichen Dateien mit den urheberrechtlich geschützten Musiktiteln auf Kosten der Klägerin etwas iSv § 102 S. 2 UrhG erlangt. Sie hat durch das Gewährenlassen der in Rede stehenden 13 Nutzer und ihrer Partizipation daran in den Zuweisungsgehalt der der Klägerin zustehenden Rechte eingegriffen und sich damit auf deren Kosten den Gebrauch dieser Rechte ohne rechtlichen Grund verschafft.

III.

103

Die Verspätungsrüge der Beklagten vom 04.05.2020 geht ins Leere. Die Kammer hatte der Klägerin schon keine richterliche Erwiderungsfrist gesetzt, § 296 Abs. 1 ZPO. Der Klägerin wurde mit Verfügung vom 19.03.2019 lediglich eine Frist zur Stellungnahme zum Aussetzungsantrag gesetzt. Eine Verzögerung war auch nicht zu besorgen, § 296 Abs. 1 und 2 ZPO. Zwar war der letzte Schriftsatz der Klägerin nur unter Beachtung der Wochenfrist und damit in Konflikt mit § 282 ZPO eingereicht worden. Der Klagevortrag war indes schon mit der Klageschrift schlüssig und zur Verurteilung ausreichend. Zudem war die Beklagte bereits durch den Klagforderung zum Einholen von Erkundigungen verpflichtet, insoweit enthält der letzte Schriftsatz keinen erheblichen neuen Sachvortrag.

IV.

104

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 709 S. 1 und 2, 711 ZPO.

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