Urteil vom Landgericht Hamburg (5. Zivilkammer) - 305 O 268/20

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.805,68 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 05.12.2020 zu zahlen, Zug-um-Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs der Marke VW vom Typ Golf VII GTD 2.0 TDI mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) ... nebst zwei Fahrzeugschlüsseln, Kfz-Schein, Kfz-Brief und Serviceheft.

2. Es wird festgestellt, dass der in Ziffer 1 bezeichnete Anspruch des Klägers aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herrührt.

3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 808,13 € freizustellen.

4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

5. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

6. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 9.585,05 € festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Klagepartei verlangt Schadensersatz von der Beklagten im Zusammenhang mit dem Vorwurf der Abgasmanipulation.

2

Die Klagepartei erwarb am 22.10.2016 von einer Privatperson ein Gebrauchtfahrzeug VW Golf VII GTD 2.0 TDI zu privaten Zwecken mit der im Tenor genannten Fahrzeugidentifizierungsnummer zu einem Kaufpreis in Höhe von 19.900 € brutto (Anlage K1). Das gebrauchte Fahrzeug (Erstzulassung: Oktober 2013) wies bei Übergabe an die Klagepartei eine Laufleistung in Höhe von 54.134 Kilometer auf. Die Klagepartei bezahlte den Kaufpreis an den Verkäufer.

3

Das Fahrzeug ist nicht mit einem Dieselmotor vom Typ EA189, der vom sogenannten „Abgasskandal“ betroffen ist, ausgestattet. Die im Zusammenhang mit dem Motor EA189 ursprünglich von der Beklagten als Herstellerin dieses Motors verwendete Software („Umschaltlogik“) erkannte, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird und schaltete in diesem Fall in den Abgasrückführungsmodus 1, einen Stickoxid-(NOx)-optimierten Modus. In diesem Modus fand eine Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß statt. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltete der Motor hingegen in den Abgasrückführungsmodus 0, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer und der Stickoxidausstoß höher ist. Für die Erteilung der Typgenehmigung der Emissionsklasse Euro 5 nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 war der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand maßgeblich. Der NEFZ wird auf dem Rollenstand unter Laborbedingungen durchgeführt, um unter anderem die Stickoxidwerte zu messen. Die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm wurden bei dem Motor EA189 nur im Abgasrückführungsmodus 1 – also nur auf dem Prüfstand – eingehalten. Im September 2015 räumte die Beklagte öffentlich die Verwendung dieser Software ein, so veröffentlichte sie unter anderem am 22.09.2015 eine entsprechende Ad-hoc-Mitteilung (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19 = NJW 2020, 1962).

4

In dem von der Klagepartei erworbenen Fahrzeug ist ein von der Beklagten hergestellter Dieselmotor des Typs EA288 mit der Abgasnorm Euro 6 verbaut. Bei diesem Motor handelt es sich um das direkte Nachfolgemodell des Motors EA189. Das streitgegenständliche Fahrzeug besitzt eine sogenannte Fahrkurve, auch „Akustikfunktion“ genannt. Die Fahrkurve ist eine Softwarefunktion des Motorsteuergeräts, die erkennt, ob das Fahrzeug einen gesetzlichen Prüfzyklus, wie etwa den NEFZ durchfährt.

5

Zudem ist in dem streitgegenständlichen Fahrzeug eine temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung (sogenanntes „Thermofenster“) vorhanden. Die Abgasreinigung erfolgt dabei im streitgegenständlichen Fahrzeug über die Abgasrückführung. Dabei wird ein Teil der Abgase wieder der Verbrennung im Motor zugeführt, was zu einer Verringerung der Stickoxidemissionen führt. Die Abgasrückführung wird bei kühleren Außentemperaturen reduziert („Thermofenster“), wobei zwischen den Parteien streitig ist, bei welchen Außentemperaturen dies der Fall ist.

6

Das Fahrzeug verfügt auch über ein On-Board-Diagnose System („OBD“). Das streitgegenständliche Fahrzeug verfügt jedoch nicht über einen sogenannten SCR-Katalysator, der einen Harnstoff verwendet, der handelsüblich mit „AdBlue“ bezeichnet wird. Den Abgasen wird folglich keine Harnstofflösung beigemischt, um die Emissionen zu reduzieren.

7

In einem mit „Applikationsanweisung Diesel Fahrkurven EA288“ überschriebenen und dem Vermerk „PRIVILEGED & CONFIDENTIAL“ versehenen internen Dokument der Beklagten vom 18.11.2015 (vgl. Anlage K 2d) wird unter „Anwendungsbeschreibung“ (vgl. S. 5 der Anlage K 2d) die bis dahin erfolgte („bisherige“) Bedatung des SCR wie folgt beschrieben:

8

„SCR: Bedatung, Aktivierung und Nutzung der Fahrkurven zum Erkennen des Precon und des NEFZ, um die Umschaltung der Rohemissionsbedatung (AGR-High/Low) streckengesteuert auszulösen (bis Erreichung SCR-Arbeitstemperatur und OBD-Schwellwerte)“

9

Des Weiteren geht aus diesem internen Dokument hervor, dass für alle Fahrzeuge mit einem Produktionsstart ab der 22. Kalenderwoche des Jahres 2016 „die Fahrkurven aus der Software entfernt“ werden sollten; stattdessen sollten „Umschaltungen oder die Platzierung von Abgasnachbehandlungsevents (...) auf Basis physikalischer Randbedingungen unter Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben für Roh- und Endrohremissionen erfolgen“, d.h. dann, wenn ein für die Regeneration günstiges Fahrprofil gefahren wird (vgl. S. 5 der Anlage K 2d).

10

Im Zusammenhang mit der im September 2015 bekannt gewordenen, in den EA189 Motoren installierten, unzulässigen Abschalteinrichtung kommunizierte die Beklagte dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) Ende des Jahres 2015 auch die konkrete Bedatung der Motorsteuerungsgeräte der EA288-Motoren, wie beispielsweise die Fahrkurvenerkennung.

11

Das KBA überprüfte ab dem Jahr 2016 unter anderem von der Beklagten hergestellte Fahrzeuge mit EA288-Motoren auf unzulässige Abschalteinrichtungen – das streitgegenständliche Fahrzeug wurde nicht überprüft.

12

Das streitgegenständliche Fahrzeug unterliegt keinem Rückruf durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA).

13

Die Beklagte bietet kein Software-Update bezüglich der Motorsteuerung für das streitgegenständliche Fahrzeug an. Die Klagepartei ließ auch kein derartiges Update durchführen.

14

Mit Schreiben vom 07.05.2020 forderte die Klagepartei die Beklagte vorgerichtlich vergeblich zur Zahlung von 19.900,00 €, „ggf. verringert um eine Nutzungsentschädigung auf Basis oben genannter Parameter“ durch ihre Prozessbevollmächtigte Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeuges auf (Anlage K 4). Die Prozessbevollmächtigten gingen in diesem Anspruchsschreiben von einer zu erwartenden Gesamtlaufleistung für das streitgegenständliche Fahrzeug von 300.000 Kilometern aus.

15

Die Klagepartei reichte mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 31.10.2020, bei Gericht eingegangen am 02.11.2020, Klage ein. Die Klageschrift wurde der Beklagten am 04.12.2020 zugestellt.

16

Zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung am 12.07.2021 betrug der Kilometerstand des streitgegenständlichen Fahrzeugs 202.700 Kilometer.

17

Die Klagepartei behauptet, dass das streitgegenständliche Fahrzeug ebenfalls vom sogenannten Abgasskandal betroffen sei. Ihr sei es aber gerade auf den Erwerb eines umweltfreundlichen Fahrzeugs angekommen. Die Beklagte habe durch den Einbau verschiedener unzulässiger Abschalteinrichtungen in verbotener Weise Einfluss auf das Emissionsverhalten des Motors genommen, so im Typgenehmigungsverfahren die Einhaltung der gesetzlichen Grenzwerte vorgespiegelt und die Klagepartei dadurch vorsätzlich sittenwidrig geschädigt. Das Fahrzeug enthalte eine der im Motor EA189 vorhandenen vergleichbare Umschaltlogik, die dazu führe, dass das Fahrzeug die EU-Vorgaben der NOx-Emissionen von bis zu 80 mg/km ausschließlich im Zustand NEFZ-Zyklus (kalt) erfülle. Die in dem Fahrzeug programmierte Fahrkurve bewirke nicht nur, dass das Fahrzeug erkenne, ob es einen Prüfzyklus durchfahre – was unstreitig ist –, sondern verringere gleichfalls währenddessen auch die Emissionen, so dass es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele. Die Beklagte habe auch das unstreitig vorhandene Thermofenster in vorsätzlicher, sittenwidriger Schädigungsabsicht als Prüfstandserkennung verwendet, um die Zulassungsvorschriften zu umgehen und sich so die EG-Typengenehmigung zu erschleichen. Die temperaturabhängige Abgasrückführung erfolge nur in Extremtemperaturbereichen – ab einer Außentemperatur von (unter) 17 Grad Celsius und über 30 Grad Celsius schaltet sich das Thermofenster regelmäßig ganz ab, was zu einem stark erhöhten Stickoxidausstoß führe. Die Beklagte habe ferner in dem streitgegenständlichen Fahrzeug ein manipuliertes „On-Board-Diagnose System“ verwendet, welches auch als unzulässige Abschalteinrichtung einzustufen sei. Die Beklagte habe die OBD-Systeme in ihren mit Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugen so programmiert, dass sie bei einer Fahrzeuginspektion fälschlicherweise meldeten, dass die Abgassysteme der Fahrzeuge ordnungsgemäß funktionieren – was jedoch so nicht zutreffend sei. Die Abschalteinrichtungen seien sämtlich auch nicht aus Motorschutzgründen erforderlich. Die Klagepartei ist der Ansicht, dass der Mechanismus zur aktiven Unterdrückung der tatsächlich im Rahmen des normalen Fahrbetriebs näherungsweise zu erwartenden-Schadstoffemissionen im für die Betriebsgenehmigung des Fahrzeugs relevanten Prüfmodus als so genannte Abschalteinrichtung rechtswidrig gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 sei. Da der im NEFZ verwendete Betriebsmodus so programmiert worden sei, dass er die Aktivierung der höheren Abgasrückführung exakt an die Parameter der NEFZ-Prüfung knüpft, komme es für eine Beurteilung der Sittenwidrigkeit nicht darauf an, ob die Grenzwerte auch ohne den Betriebsmodus eingehalten werden. Ausschlaggebend sei in diesem Zusammenhang allein die Tatsache, dass die Beklagte ein Bauteil konstruiert habe, dass ausschließlich die Funktion habe, über die tatsächlichen Emissionswerte des Fahrzeuges auf dem Prüfstand zu täuschen und so eine Typgenehmigung unter Zugrundelegung der durch den Betriebsmodus stark geschönten Emissionswerte zu erwirken. Auch das Thermofenster sei als unzulässige Abschaltvorrichtung einzuordnen. Gleiches gelte für die Manipulation des OBD. Die Beklagte sei – auch vor dem Hintergrund der Geschehnisse um die EA189 Motoren – ihrer sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen. So habe sie beispielsweise schon nicht erläutert, aus welchen Gründen die programmierten Softwarefunktionen wie die Fahrkurve überhaupt installiert worden seien, wenn nicht zu einer unzulässigen Emissionsreduzierung auf dem Prüfstand und der vorsätzlichen Täuschung des KBA. Soweit das KBA Fahrzeuge mit EA288-Motoren untersucht habe, seien die getroffenen Feststellungen unzureichend beziehungsweise gehe das KBA von einer unzutreffenden Rechtsauffassung aus. Auch sei – was unstreitig ist – das streitgegenständliche Fahrzeug gerade nicht untersucht worden. Für die der Klagepartei anzurechnende Nutzungsentschädigung sei von einer geschätzten Gesamtlaufleistung in Höhe von mindestens 300.000 Kilometern auszugehen. Für die vorgerichtliche anwaltliche Tätigkeit sei eine 2,0 Gebühr angemessen.

18

Die Klagepartei hat zunächst in der Klageschrift angekündigt zu beantragen,

19

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie EUR 9.585,05 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Die Verurteilung erfolgt Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs der Marke VW vom Typ Golf VII GTD 2.0 TDI mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN)... nebst zwei Fahrzeugschlüsseln, Kfz-Schein, Kfz-Brief und Serviceheft;

20

2. hilfsweise festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr Schadensersatz zu zahlen für Schäden, die aus dem Einbau einer unzulässigen Abschaltvorrichtung in das Fahrzeug der Marke VW vom Typ Golf VII GTD 2.0 TDI mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN)... und der damit verbundenen Manipulation des Emissionskontrollsystems resultieren;

21

3. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme, der in vorgenannten Klageanträgen genannten Zug-um-Zug-Leistung im Annahmeverzug befindet;

22

4. festzustellen, dass der in Antrag zu 1) bezeichnete Anspruch aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herrührt sowie

23

5. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 1.789,76 freizustellen.

24

Sodann hat die Klagepartei vor der mündlichen Verhandlung mit Schriftsatz vom 22.03.021 (Bl. 220 ff. d.A.) die Klage im Hauptantrag zu Ziffer 1 teilweise zurückgenommen und angekündigt insoweit nur noch – unter Aufrechterhaltung der übrigen angekündigten Anträge – zu beantragen,

25

die Beklagte zu verurteilen, an sie EUR 8.938,19 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21. Mai 2020 zu zahlen. Die Verurteilung erfolgt Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs der Marke VW vom Typ Golf VII GTD 2.0 TDI mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN)... nebst zwei Fahrzeugschlüsseln, Kfz-Schein, Kfz-Brief und Serviceheft.

26

Zuletzt beantragt die Klagepartei,

27

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie EUR 7.875,31 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21. Mai 2020 zu zahlen. Die Verurteilung erfolgt Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs der Marke VW vom Typ Golf VII GTD 2.0 TDI mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN)... nebst zwei Fahrzeugschlüsseln, Kfz-Schein, Kfz-Brief und Serviceheft;

28

2. hilfsweise festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr Schadensersatz zu zahlen für Schäden, die aus dem Einbau einer unzulässigen Abschaltvorrichtung in das Fahrzeug der Marke VW vom Typ Golf VII GTD 2.0 TDI mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN)... und der damit verbundenen Manipulation des Emissionskontrollsystems resultieren;

29

3. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme, der in vorgenannten Klageanträgen genannten Zug-um-Zug-Leistung im Annahmeverzug befindet;

30

4. festzustellen, dass der in Antrag zu 1) bezeichnete Anspruch aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herrührt sowie

31

5. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 1.789,76 freizustellen.

32

Im Übrigen hat die Klagepartei den Rechtsstreit hinsichtlich des Klagantrag zu 1) in der mündlichen Verhandlung in Höhe von 1.062,88 € (8.938,19 - 7.875,31 €) aufgrund der mit dem Fahrzeug weiter zurückgelegten Kilometer für erledigt erklärt. Die Beklagte hat sich dieser Erledigungserklärung nicht angeschlossen.

33

Die Beklagte beantragt,

34

die Klage abzuweisen.

35

Die Beklagte bestreitet, dass eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung vorliege. Messungen des KBA im Rahmen der „Untersuchungskommission Volkswagen“ hätten gezeigt, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug die von der Klagepartei behauptete und aus den EA189-Verfahren bekannte Umschaltlogik gerade nicht zum Einsatz komme. Der EA288-Motor halte bei allen vom KBA untersuchten Fahrzeugen bei voller Funktionsfähigkeit aller abgasbehandelnden Bauteile die gesetzlich vorgegebenen Abgasgrenzwerte ein. Dies erfolge unabhängig von der Fahrkurvenerkennung. Das KBA sei zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass Hinweise, die seinerzeit laufende Produktion der Fahrzeuge mit Motoren der Baureihe EA288 seien ebenfalls von Abgasmanipulation betroffen, sich hierbei auf Grundlage der Überprüfung als unbegründet erwiesen hätten. Es gebe auf Basis der bisherigen Messungen des KBA keine im Prüfstandsbetrieb optimierende Funktion, die erforderlich wäre, um die gesetzlichen Emissionsgrenzwerte einzuhalten. Es gebe regulatorisch aber ohnehin keine Verbote einer Fahrkurven- oder Zykluserkennung als solche. Es fehle aber auch bereits an einer Verringerung der Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter normalen Fahrbedingungen. Die interne Applikationsrichtlinie könne die unsubstantiierten Vorwürfe der Klagepartei nicht stützen. Unabhängig von den Messergebnissen habe die Beklagte im November 2015 entschieden, künftig auch für EA288-Fahrzeuge die Akustikfunktion bzw. Fahrkurvenerkennung zu entfernen. Allein dies sei Gegenstand der Applikationsrichtlinie gewesen. Es habe nur generell jeglicher Eindruck einer gegebenenfalls unzulässigen Bedatung vermieden werden sollen. Dies sei der Hintergrund für die mit dem KBA abgestimmte Entscheidung gewesen, spätestens ab dem Modelljahreswechsel der Kalenderwoche 22 des Jahres 2016 bei allen EA288-Fahrzeugen (im Rahmen eines neuen Produktionsstarts bzw. einer Modellpflege) die Fahrkurvenerkennung nicht mehr vorzusehen. Ein Thermofenster sei üblich und hier auch zulässig. Es handele sich schon nicht um eine Abschalteinrichtung, da bei den EA288-Motoren das Thermofenster extrem weit bedatet sei, nämlich zwischen -24 °C bis +70 °C, weshalb es praktisch nie zur Anwendung komme, die Abgasrückführung stets bei einer Temperatur zwischen -24 °C bis +70 °C voll aktiv sei. Soweit das Thermofenster doch greife, sei dies zum Motorschutz erforderlich. Das OBD-System sei nicht rechtswidrig manipuliert. Es müsse auch nicht jede Überschreitung des OBD-Schwellenwerts im realen Straßenbetrieb anzeigen. Überdies habe die Klagepartei schon das subjektive Haftungselement nicht substantiiert dargelegt. Auch liege ein Schaden der Klagepartei nicht vor. Nur hilfsweise seien die gezogenen Nutzungen auf Basis einer Gesamtlaufleistung von lediglich 250.000 Kilometern anzurechnen. Nebenansprüche bestünden – jedenfalls in der geltend gemachten Höhe – nicht.

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Die Kammer hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung persönlich informatorisch angehört. Auf das Sitzungsprotokoll vom 12.07.2021 wird verwiesen. Ergänzend wird hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat teilweise Erfolg.

I.

38

Die Klage ist zulässig. Das Gericht ist nach § 32 ZPO, jedenfalls aber aufgrund der rügelosen Einlassung der Beklagten zur Sache auch örtlich zuständig, § 39 ZPO.

II.

39

Die Klage ist in dem tenorierten Umfang auch begründet.

40

1. Die Klagepartei hat gegen die Beklagte einen Anspruch aus §§ 826, 31 BGB auf Zahlung in Höhe von 4.805,68 € Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs.

41

a) Die Beklagte hat potentielle Erwerber des streitgegenständlichen Fahrzeugs Golf VII GTD 2.0 TDI getäuscht, indem sie mit dem Inverkehrbringen dieses mit dem EA288-Motor ausgestatteten Fahrzeugs konkludent erklärt hat, dass letzteres im Zeitpunkt des Vertragsschlusses über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis verfügen würde, deren Fortbestand nicht dadurch gefährdet sein würde, dass die erforderliche EG-Typengenehmigung durch eine Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamtes erschlichen worden sei. Diese Erklärung war unzutreffend, weil in dem im streitgegenständlichen Fahrzeug verbauten EA 288-Motor jedenfalls eine gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 1 Verordnung (EG) Nr. 715/2007 unzulässige Abschalteinrichtung in Gestalt einer sogenannten Fahrkurvenerkennung zum Einsatz gelangt ist, wodurch der Betrieb des streitgegenständlichen Fahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr gefährdet wird, weil die zuständige Zulassungsbehörde dem Eigentümer oder Halter gemäß § 5 Abs. 1 FZV eine angemessene Frist zur Mängelbeseitigung setzen oder den Betrieb des Fahrzeugs auf öffentlichen Straßen beschränken oder untersagen konnte (vgl. zu dem Motor EA189, BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19 = NJW 2020, 1962 (Rn. 21)).

42

Die Klagepartei ist ihrer Darlegungslast hinreichend nachgekommen, indem sie im Wesentlichen vorgetragen hat, dass die Beklagte sich in Kenntnis und Veranlassung des Vorstands dafür entschieden habe, eine Software in Gestalt einer Zykluserkennung einzusetzen, um ausschließlich für den Prüfbetrieb eine Motoreinstellung zu besitzen, die die gesetzlichen Stickoxidwerte einhält, während im Fahrbetrieb die Stickoxidwerte deutlich überschritten würden. Nur auf dem Prüfstand, nicht aber im realen Fahrbetrieb kämen die Softwarefunktionen zum Einsatz, die eine Minderung der Emissionen gemäß den vorgegebenen Grenzwerten ermöglichten. Die Klagepartei hat ihren Vortrag insbesondere durch Vorlage des internen Dokuments der Beklagten zur „Applikationsanweisung Diesel Fahrkurven EA288“ (Anlage K 2d) hinreichend substantiiert, mit der Folge, dass die Beklagte im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast gehalten war, vorzutragen, dass und warum hier bei dem direkten Nachfolgemotor des EA189 keine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt (so auch überzeugend das OLG Naumburg, Urteil vom 09.04.2021 – 8 U 68/20 – BeckRS 2021, 8880 (Rn. 16)).

43

Den substantiierten Vortrag des Klägers hat die Beklagte nicht wirksam bestritten, so dass er nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden gilt. Denn die Beklagte ist ihrer sekundären Darlegungslast, die sie aufgrund des allein ihr und nicht der Klagepartei zugänglichen Wissens über den von ihr entwickelten und produzierten Motor EA288 trifft, nicht nachgekommen.

44

Um ihrer aufgrund des substantiierten Klägervortrags bestehenden sekundären Darlegungslast zu genügen, hätte die Beklagte zumindest nachvollziehbar darlegen müssen, dass und warum die unstreitig im Fahrzeug vorhandene Fahrkurve, die ebenfalls unstreitig das Erkennen des Prüfzyklus bewirkt, nicht zur Verringerung der Abgaswerte gerade in der Prüfstandssituation eingesetzt worden sei. Hierzu verhält sich der Vortrag der Beklagten aber nicht im Ansatz. Die Beklagte hat lediglich behauptet, dass die Fahrkurve bei EA288-Fahrzeugen nicht die gleichen Folgen gehabt habe, wie die bei den EA189-Fahrzeugen verwendete rechtswidrige „Umschaltlogik“, durch die Emissionen in erheblich grenzwertrelevanter Weise auf dem Prüfstand reduziert wurden. Es gebe auf Basis der bisherigen Messungen des KBA keine im Prüfstandsbetrieb optimierende Funktion, die erforderlich wäre, um die gesetzlichen Emissionsgrenzwerte einzuhalten und es gebe regulatorisch aber ohnehin auch keine Verbote einer Fahrkurven- oder Zykluserkennung als solche. Auf Messwerte außerhalb des Prüfstands komme es ohnehin nicht an.

45

Jegliche Erklärung dazu, welche andere(n) Funktion(en), als die Ermöglichung einer rechtswidrigen Reduzierung der Abgaswerte auf dem Prüfstand die Fahrkurvenerkennung gehabt habe, trägt die Beklagte nicht vor. Vielmehr räumt sie selbst ein, dass ohnehin stets ein – davon aber zu unterscheidender – sogenannter „Rollenprüfstandsmodus“ erforderlich sei, um etwa die Elektronische Stabilitätskontrolle und die Airbags auf dem Rollenprüfstand „zwingend“ zu deaktivieren (Klageerwiderung vom 15.02.2021, S. 14, dort letzter Absatz, Bl. 151 d.A.), also hierfür eine Erkennung des Prüfstands mittels einer weiteren, anderen Software – wie der Fahrkurve – doch gerade dafür nicht erforderlich war. Aus dem von der Klagepartei eingereichten internen Dokument wird auch hinreichend deutlich, dass die Fahrkurvenerkennung zur „Einhaltung der Emissions- und OBD-Grenzwerte genutzt“ wurde und die „Erkennung des Precon“ (Warmlaufs) und „NEFZ“ (Prüfstand) dazu genutzt wurde, „um die Rohemissionsbedatung (AGR-High/Low) streckengesteuert auszulösen“ (vgl. Anlage K 2d, S. 5). Der Vortrag der Beklagten beschränkt sich im Wesentlichen darauf, zu behaupten, dass es sich nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele, was das KBA auf Basis der „bisherigen“ Messungen bei „repräsentativen“ Fahrzeugen auch so festgestellt habe. Zum einen ist der gesamte Vortrag nicht im Sinne des § 138 Abs. 3 ZPO ausreichend, um den substantiierten Vortrag der Klagepartei zu widerlegen, zum anderen ist er aber auch angesichts der Vorkommnisse zu dem Vorläufermodell EA189, die der Kammer aus zahlreichen Verfahren gerichtsbekannt sind, nicht naheliegend.

46

Unter Zugrundelegung des von der Beklagten nicht hinreichend substantiiert bestrittenen Vortrags der Klagepartei gemäß § 138 Abs. 3 ZPO ist in dem streitgegenständlichen Motor EA288 eine Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 3 Nr. 10 Verordnung (EG) Nr. 715/2007 verbaut, weil die Motorsteuerung verschiedene Betriebsmodi des Emissionskontrollsystems für den Prüfzyklus und für den normalen Fahrbetrieb vorsieht, wobei im Prüfzyklus der Ausstoß an Stickoxiden (NOx-Werte) in unzulässiger Weise verringert wird ((vgl. OLG Naumburg, Urteil vom 09.04.2021 – 8 U 68/20 – BeckRS 2021, 8880 (Rn. 16)) vgl. zum Vorgängermotor EA189, BGH, Hinweisbeschluss vom 08.01.2019, VIII ZR 225/17, (Rn. 12 – juris)).

47

Die Abschalteinrichtung ist auch unzulässig, weil die in Art. 5 Abs. 2 S. 2 Verordnung (EG) Nr. 715/2007 normierten Ausnahmetatbestände nicht greifen. Art. 5 Abs. 2 S. 2 lit. c Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ist nur dann einschlägig, wenn die Abschalteinrichtung deshalb greift, weil dies durch die Prüfverfahren zur Emissionsmessung im Wesentlichen vorgegeben wird (vgl. BGH, Beschl. v. 08.01.2010, VIII ZR 225/17, Rn. 15, zitiert nach juris). Dieser Fall ist weder ersichtlich, noch durch die Beklagte vorgetragen. Wie vorgenannt verhält sich der Beklagtenvortrag bereits nicht dazu, welches Ziel mit der Fahrkurvenerkennung verfolgt wurde. Aus dem Umstand, dass die Beklagte in ihrer eigenen Applikationsanweisung vorgegeben hat, dass Fahrkurven künftig nicht mehr zu verwenden sind (bei Fahrzeugen mit Produktionsstart (= SOP) vor KW 22/16) bzw. zu entfernen sind (bei Fahrzeugen ab SOP KW 22/16) folgt jedenfalls, dass auch die Beklagte selbst davon ausgegangen ist, dass die Fahrkurvenerkennung nicht durch das Prüfverfahren zur Emissionsmessung im Rahmen der Zulassung vorgegeben wird. Andernfalls hätte sie eine Deaktivierung bzw. Entfernung der Fahrkurve gerade nicht angeordnet. Indes hält die Kammer den Vortrag, dass lediglich „generell jeglicher Eindruck einer ggf. unzulässigen Bedatung vermieden werden sollte“ für nicht überzeugend.

48

Ob ohne das Programm die Grenzwerte noch eingehalten würden, kann dahinstehen. Auch eine Verbesserung der Werte innerhalb der Grenzwerte durch eine Prüfstanderkennung ist unzulässig. Für eine anderweitige teleologische Auslegung bietet Art. 5 Abs. 2 S. 2 lit. c VO (EG) Nr. 715/2007 keinen Raum (vgl. LG Offenburg, Urteil vom 23.06.2020 – 3 O 38/18 - BeckRS 2020, 16625, Rn. 27).

49

Durch die Verwendung der Fahrkurvenerkennung im streitgegenständlichen Motor EA288 wurde die Klagepartei im Ergebnis daher genauso getäuscht, wie die Erwerber eines Fahrzeugs, in dem ein mit der sogenannten Umschaltlogik versehener VW-Motor EA189 verbaut ist (so auch OLG Naumburg, Urteil vom 09.04.2021 – 8 U 68/20 – aaO, Rn. 26; LG Aachen, Urteil vom 04.05.2021 – 10 O 363/2 BeckRS 2021, 11234, Rn. 36; LG Offenburg, Urteil vom 23.06.2020 – 3 O 38/18 - BeckRS 2020, 16625), hinsichtlich der die höchstrichterliche Rechtsprechung eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung i.S.d. § 826 BGB zu Recht annimmt. (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 25.05.2020, VI ZR 252/19 – juris).

50

b) Der dadurch verursachte Schaden liegt bereits im Abschluss des Kaufvertrages als ungewollter Verbindlichkeit. Auf das Bestehen beziehungsweise Fortbestehen eines konkreten Minderwerts des Fahrzeugs kommt es nicht an.

51

c) Die Täuschung war auch ursächlich für den Schaden. Dass der Kläger vom Erwerb des Fahrzeugs Abstand genommen hätte, wenn ihm bekannt gewesen wäre, dass das Fahrzeug zwar formal über eine EG-Typengenehmigung verfügt, aber wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung zuvorderst nicht hätte erhalten dürfen, weshalb Maßnahmen der die Typengenehmigung erteilenden Behörde und dem folgend der Zulassungsstelle bis hin zur Stilllegung drohen, liegt auf der Hand. Die Kammer ist nach Anhörung der Klagepartei im Sinne des § 286 Abs. 1 ZPO darüber hinaus aber auch davon überzeugt, dass sie den Kaufvertrag in Kenntnis der illegalen Abschalteinrichtung nicht abgeschlossen hätte. Die Klagepartei hat insbesondere nachvollziehbar und plausibel ausgeführt, dass sie zwar keine konkrete „technische“ Recherche vor dem Erwerb des Fahrzeugs durchgeführt habe. Der Kläger habe sich indes bewusst für einen ökonomischen Diesel entschieden. Da das Fahrzeug jedenfalls im Zeitpunkt des Erwerbs eine unzulässige Abschalteinrichtung aufwies, lag ein Sachverhalt vor, der – gegebenenfalls in Verbindung mit weiteren Umständen – dazu führen konnte, dass die Zulassungsbehörde eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung nach § 5 Abs. 1 FZV vornehmen konnte. Daher erscheint es als ausgeschlossen, dass ein Käufer, dem es auf die Gebrauchsfähigkeit und ständige Verfügbarkeit des Kraftfahrzeugs maßgeblich ankommt, ein Fahrzeug erwirbt, dem eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung droht und bei dem im Zeitpunkt des Erwerbs in keiner Weise absehbar ist, ob, wann und wie dieses Problem behoben werden kann (vgl. BGH, NJW 2020, 1962 (Rn. 49 ff.). Dass der Kläger im vorliegenden Fall anders entschieden hätte, ist nicht ersichtlich und zeigt die Beklagte auch nicht substantiiert auf.

52

d) Durch den Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung hat sich die Beklagte gegenüber der Klagepartei sittenwidrig verhalten. Die besondere Verwerflichkeit eines Verhaltens kann sich aus einer bewussten Täuschung ergeben (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rz. 15 zit. nach juris), die hier im Verschweigen des Einbaus der unzulässigen Abschalteinrichtung gegenüber dem KBA im Typgenehmigungsverfahren zu sehen ist (so auch, OLG Köln, Urteil vom 05. November 2020 – I-7 U 35/20 –, Rn. 83 - 84, juris). Es ist von besonders verwerflichen Charakter unter Ausnutzung des Vertrauens der Käufer in eine öffentliche Institution, nämlich das Kraftfahrt-Bundesamt und unter Inkaufnahme nicht nur der Schädigung der Käufer, sondern auch der Umwelt ein Fahrzeug mit einer solchen unzulässigen Abschalteinrichtung in den Verkehr zu bringen.

53

Das Inverkehrbringen des Fahrzeugs mit der unzulässigen Abschalteinrichtung ist der Beklagten entsprechend § 31 BGB zurechenbar. Die Klagepartei hat substantiiert vorgetragen, dass der Vorstand sowie Zahlreiche Mitarbeiter der Beklagten im Hinblick darauf, dass die Verwendung der Abgasrückführung in einer ganzen Motorenreihe eine wesentliche Unternehmensentscheidung sei, Kenntnis von der unzulässigen Abschaltvorrichtung gehabt habe. Die Abgasmanipulation sei im Rahmen einer objektiv feststehenden, gezielten Manipulationsstrategie des gesamten Volkswagenkonzerns erfolgt. Nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast wäre es Sache der Beklagten gewesen, vorzutragen, wie der Entscheidungsprozess hinsichtlich der Motorkonzeption, insbesondere der unstreitig verbauten Fahrkurve abgelaufen ist, welche Mitarbeiter, die nicht als verfassungsmäßig berufene Vertreter anzusehen sind, hieran beteiligt waren und wie dem Vorstand beziehungsweise ihren Abteilungsleitern die Verwendung der manipulativen Software gleichwohl entgehen konnte, § 138 Abs. 3 ZPO.

54

e) Der Schädigungsvorsatz der Beklagten bzw. ihrer verfassungsmäßig berufenen Vertreter ergibt sich bereits aus der heimlichen und manipulativen Vorgehensweise. Von einem Handeln aufgrund vertretbarer Rechtsansicht kann bei der Verwendung einer Einrichtung zur Emissionskontrolle, welcher nur auf dem Prüfstand stets aktiv wird, so dass die Grenzwerte sicher auch nur dort eingehalten werden, nicht gesprochen werden. Es kommt, anders als die Beklagte zu meinen scheint, insofern aber auch nicht ausschließlich auf die Einhaltung der Grenzwerte auf dem Prüfstand an. Die regulären Testverfahren sollen doch gerade soweit wie möglich dem künftigen regulären Nutzungsbild der zu testenden Fahrzeuge entsprechen und die tatsächlichen Fahrbedingungen abbilden, mit denen das Fahrzeug bei seiner normalen Nutzung später konfrontiert wird. Durch die Emissionsgrenzwerte soll letztlich auch die Umwelt geschützt werden. Dieses Ziel der Verordnung Nr. 715/2007 (vgl. EuGH, Urteil vom 17.12.2020, NJW 2021, 1216 (Rn. 113)) würde aber gänzlich verfehlt, wenn es zulässig wäre, Fahrzeuge – beispielsweise zu Zwecken der Gewinnoptimierung – herzustellen, die allein auf dem Prüfstand die Emissionsgrenzwerte einhielten, unter normalen Fahrbedingungen diese aber stets um ein Vielfaches übersteigen ((EuGH, Urteil vom 17.12.2020, NJW 2021, 1216 (Rn. 98)).

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f) Der Klagepartei steht daher, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, ein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises zu, wobei sie sich im Wege des Vorteilsausgleichs die gezogenen Nutzungen anrechnen lassen muss (BGH, NJW 2020, 1962 (Rn. 64 ff.)). Die Nutzungsentschädigung – welche die Klagepartei hier in geringerem Umfang auch selbst in Abzug bringen will – errechnete sich aus der Multiplikation des Bruttokaufpreises, hier 19.900 € und der von der Klagepartei seit Kauf zurückgelegten Fahrstrecke von unstreitig 148.566 Kilometern (202.700 Kilometer zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung abzüglich der 54.134 Kilometer im Erwerbszeitpunkt) geteilt durch die im Erwerbszeitpunkt noch zu erwartende Restlaufleistung. Die Gesamtrestlaufleistung schätzt die Kammer gemäß § 287 ZPO für das streitgegenständliche Fahrzeug Golf VII GTD 2.0 TDI mit Erstzulassung im Oktober 2013 unter Berücksichtigung von Qualität, prognostizierter Haltbarkeit und Nutzungsbestimmung auf 250.000 Kilometer (vgl. dazu OLG Naumburg, Urteil vom 09.04.2021 - 8 U 68/20, BeckRS 2021, 8880 (Rn. 35)), so dass abzüglich der im Erwerbszeitpunkt bereits gefahrenen 54.134 Kilometer folglich eine erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt von 195.866 Kilometer verbleibt (vgl. zur Schätzung nach § 287 ZPO BGH, Urteil vom 23.03.2021 – VI ZR 3/20). Demnach beträgt die Nutzungsentschädigung hier 15.094,32 €. Diese ist von dem gezahlten Kaufpreis abzuziehen, so dass ein Schadensersatzanspruch in Höhe von nur 4.805,68 € verbleibt (19.900 € - 15.094,32 €), den die Beklagte Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs leisten muss. Soweit die Klagepartei nur eine geringere Nutzungsentschädigung in Abzug bringen will, da sie durchgehend von einer höheren Gesamtlaufleistung von 300.000 Kilometern ausgeht, war die Klage daher abzuweisen. Über den hilfsweise zu Ziff. 2 gestellten Antrag war nicht zu entscheiden, da der Hauptantrag teilweise begründet ist.

56

2. Die Beklagte schuldet die Verzugszinsen lediglich gemäß §§ 288, 291 ZPO ab dem auf die Rechtshängigkeit der Klage folgenden Tag, hier dem 05.12.2020. Soweit die Klagepartei ihren Zinsantrag mit der Replik dahingehend erweitert hatte, dass Zinsen nicht nur ab Rechtshängigkeit, sondern bereits früher nach Ablauf der in dem Anspruchsschreiben vom 07.05.2020 der Beklagten gesetzten zweiwöchigen Frist gemäß §§ 288, 286 BGB geschuldet seien, ist nicht vorgetragen, wann dieses Schreiben der Beklagten zugegangen sein soll. Die Frist sollte jedoch ausweislich der Formulierung in dem Schreiben erst ab Zugang des Schreibens laufen. Der Beginn des Zinslaufs ist so für die Kammer nicht bestimmbar. Der Replikschriftsatz verhält sich dazu nicht. Vielmehr wird dort unzutreffend ausgeführt, dass eine Frist zur Rückabwicklung „bis zum 21. Mai 2020“ gesetzt worden sei. In dem Schreiben (Anlage K4) heißt es vielmehr wörtlich: „Für die Erfüllung der berechtigten Ansprüche unseres Mandanten haben wir uns eine Frist von zwei Wochen ab Zugang dieses Schreibens notiert.“ Eines Hinweises bedurfte es insoweit nicht, § 139 Abs. 2 Satz 1 ZPO.

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3. Soweit die Klagepartei hinsichtlich ihres modifizierten angekündigten Antrags zu 1 (vgl. Replikschriftsatz, Bl. 220 d.A.) den Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung für teilweise erledigt erklärt hat, ist diese einseitige gebliebene Erledigungserklärung als gemäß § 264 Nr. 2 ZPO zulässige Klagänderung in eine Feststellungsklage anzusehen. Diese Feststellungsklage ist jedoch nicht begründet, da die Klage insoweit zwar zulässig jedoch nicht begründet war. Denn bereits im Zeitpunkt des Replikschriftsatzes, in dem in der Hauptsache noch 8.938,19 € verlangt wurden, war bereits eine Nutzungsentschädigung auf Basis einer erwarteten Gesamtlaufleistung in Höhe von 250.000 Kilometern bei einem Kilometerstand von 189.568 in Höhe von 13.760,10 € angefallen, die Klage mithin nur noch in Höhe von 6.139,90 € und nicht in Höhe von 8.983,19 € begründet. Die aufgrund der dann noch bis zur mündlichen Verhandlung weiter angefallenen 13.132 Kilometer erfolgte Teilerledigungserklärung ging folglich ins Leere – die Klage ist insoweit nicht aufgrund der weiter zurückgelegten Kilometer nach Rechtshängigkeit unbegründet geworden. Bereits im Zeitpunkt der Klageeinreichung waren die Klage in der Hauptsache nur in Höhe von 6.951,88 € begründet.

58

4. Der mit dem weiteren Klageantrag zu Ziffer 3 geltend gemachte Anspruch auf Feststellung des Annahmeverzugs steht der Klagepartei nicht zu. Der Antrag ist zulässig aber unbegründet (siehe zur Zulässigkeit eines solchen Feststellungsantrags nur BGH, NJW 2000, 2663 (2664)). Denn die Beklagte befindet sich nicht gemäß §§ 293 ff. BGB im Annahmeverzug, da in dem für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt, dem Schluss der mündlichen Verhandlung (st. Rspr., vgl. Senatsurteil vom 2. Februar 2021 - VI ZR 449/20, juris Rn. 9), das wörtliche Angebot der Klagepartei auf Rückgabe des Fahrzeugs an eine unberechtigte Bedingung geknüpft war, nämlich an die Rückzahlung des Kaufpreises in einem Umfang, der mit 7.875,31 € die tatsächliche Schadensersatzpflicht der Beklagten von 4.805,68 € um mehr als 163 % überstieg. Eine solchermaßen überhöhte Forderung schließt den Annahmeverzug insgesamt aus (vgl. BGH, Urteile vom 20.04.2021 - VI ZR 521/19; 14. Dezember 2020 - VI ZR 573/20, WM 2021, 139 Rn. 4; vom 30. Juli 2020 - VI ZR 397/19, VersR 2020, 1327 Rn. 30; vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 Rn. 85). Erfolgt das wörtliche Angebot in Form einer Klageerhebung Zug um Zug, darf nur die geschuldete (Gegen-)Leistung eingeklagt sein, damit ein wirksames wörtliches Angebot vorliegt (Ernst, in MünchKomm BGB, 8. Aufl. 2019, § 295 Rn. 4).

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5. Der zulässige Feststellungsantrag zu Ziff. 4 (vgl. § 850 f Abs. 2 ZPO) ist auch begründet, da die Hauptforderung des Klägers auf einer vorsätzlichen, sittenwidrigen Schädigung im Sinne des § 826 BGB und somit einer unerlaubten Handlung der Beklagten beruht.

60

6. Der Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB umfasst auch die Kosten der nachvollziehbaren Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe, auch vor Verzug der Beklagten. Mangels bereits erfolgter Zahlung durch die Klagepartei an seine Prozessbevollmächtigten geht dieser hier auf Freistellung, § 257 BGB. Allerdings sind Umstände, die eine Erhöhung der Schwellengebühr von 1,3 auf 2,0 rechtfertigen könnten, nicht ersichtlich und seitens des Klägers mit Blick auf den konkreten Fall auch nicht dargetan. Insbesondere kann die von der Klagepartei zur Begründung einer 2,0fachen Geschäftsgebühr herangezogene Komplexität der „Dieselthematik“ bei kaum geklärter Rechtslage im Falle einer erst Ende des Jahres 2020 erhobenen Klage nicht überzeugen. Zu diesem Zeitpunkt bestand zumindest hinsichtlich der wesentlichen Grundzüge der maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Fragen, die auch Gegenstand dieses Rechtsstreits sind, bereits eine gefestigte Rechtsprechung jedenfalls der Oberlandesgerichte. Nichts Anderes folgt daraus, dass es sich hier nicht um den „Ausgangsmotor“ EA189 handelt. Der Ersatzanspruch beschränkt sich daher auf 1.072,77 € nach der folgenden Gebührenberechnung, wobei auch hier die höher anzusetzende Nutzungsentschädigung bei einer damals angegebenen Kilometerleistung von 169.230 nach der obigen Berechnungsformel nur zu einem berechtigten Gegenstandswert von bis zu 9.000 € führt – nicht aber 19.900 €, dem kompletten Kaufpreis – denn der Gegenstandswert nach § 2 RVG bemisst sich nach dem Wert der anwaltlichen Tätigkeit für den Mandanten:

61

Position

Betrag

1,3 Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV

659,10 €

Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV

20,00 €

Zwischensumme

679,10 €

zzgl. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV

129,03 €

Endsumme

808,13 €

III.

62

4. a) Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 ZPO. Die Beklagte unterliegt auf den Gesamtstreitwert von 9.585,05 € mit 4.805,68 €, was einer Quote von gerundet 50 % entspricht. Die Klagepartei verliert ebenfalls in Höhe von gerundet 50 %, nämlich die Differenz zwischen 4.805,68 € zu dem letzten Antrag in Höhe von 7.875,31 € (3.069,63 €) sowie den Teil, der auf die Feststellungsklage entfällt (1.062,88 €). Soweit der Kläger die Klage teilweise vor der mündlichen Verhandlung in Höhe von 646,86 € zurückgenommen hat, trifft ihn auch insoweit die Kostentragungspflicht nach § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO. Es sind keine Gründe ersichtlich, diese Kosten der Beklagten aufzuerlegen. Es ist davon auszugehen, dass die Klagepartei die Klage teilweise zurückgenommen hat, weil sich der Kilometerstand erhöht hatte (vgl. Replikschriftsatz Seite 70). Insoweit hätte die Klage aber für teilweise erledigt erklärt werden können – solches findet sich in diesem Schriftsatz jedoch nicht. Dies rechtfertigt insgesamt eine Kostenaufhebung nach § 92 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 ZPO.

63

b) Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Satz 1 und 2 ZPO.

64

5. Der Streitwert war gemäß § 3 ZPO auf die Höhe des von der Klagepartei in diesem Rechtsstreit maximal verfolgten Zahlungsantrags festzusetzen, hier 9.585,05 €. Der Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs hat keinen eigenständigen wirtschaftlichen Wert (vgl. nur BGH NJW-RR 2010, 1295). Der Hilfsantrag war hier nach § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG nicht werterhöhend.

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