Urteil vom Landgericht Köln - 16 O 575/13
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, 108.986,52 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 01.12.2013 an den Kläger zur Masse zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
T a t b e s t a n d:
2Mit der Klage macht der Kläger als Sachwalter über das Vermögen der Bäckerei P GmbH (nachfolgend: „Schuldnerin“) insolvenzrechtliche Rückgewähransprüche geltend.
3Mit Schreiben vom 09.09.2013 beantragte die Schuldnerin beim Amtsgericht Osnabrück u.a., über ihr Vermögen das Insolvenzverfahren zu eröffnen und die Eigenverwaltung anzuordnen (K 2, Bl. 8 d.A.). Einen Antrag, dass das Gericht sie nach § 270b Abs. 3 InsO zur Begründung von Masseverbindlichkeiten ermächtigt, stellte die Schuldnerin nicht. Mit Beschluss vom 10.09.2013 bestellte das Amtsgericht Osnabrück den Kläger zum vorläufigen Sachwalter und beschloss, dass die Schuldnerin berechtigt sei, unter der Aufsicht des vorläufigen Sachwalters weiterhin die Insolvenzmasse zu verwalten und über sie zu verfügen (B 1, Bl. 33 d.A.). Eine Anordnung, dass die Schuldnerin Masseverbindlichkeiten begründen darf, enthielt dieser Beschluss nicht.
4Mit Fax vom 17.09.2013 informierte die Schuldnerin die Beklagte über die Stellung des Insolvenzantrags. Sie wies zudem darauf hin, dass die an die Beklagte abgeführten Sozialversicherungsbeiträge vom Sachwalter angefochten würden und von der Beklagten zurückzuerstatten seien (K 3, Bl. 10 f. d.A.). In der Folgezeit, jedoch vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, leistete die Schuldnerin folgende Zahlungen an die Beklagte:
526.09.2013 |
EUR |
34.323,66 |
24.10.2013 |
EUR |
38.112,48 |
24.10.2013 |
EUR |
1.031,74 |
25.11.2013 |
EUR |
34.799,04 |
25.11.2013 |
EUR |
719,60 |
Summe |
EUR |
108.986,52 |
Bei diesen Zahlungen handelte es sich um Sozialversicherungsbeiträge der Schuldnerin.
7Mit Beschluss des Amtsgerichts Osnabrück vom 01.12.2013 wurde am selben Tage über das Vermögen der Schuldnerin wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eröffnet und der Kläger zum Sachwalter bestellt.
8Mit Schreiben vom 02.12.2013 erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten die Anfechtung der an sie erfolgten Zahlungen und forderte die Beklagte unter Fristsetzung bis zum 15.12.2013 zur Rückgewähr der Zahlungen auf. Eine Zahlung durch die Beklagte erfolgte nicht.
9Der Kläger beantragt,
10die Beklagte zu verurteilen, 108.986,52 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen aktuellen Basiszinssatz hieraus seit dem 01.12.2013 an den Kläger zur Masse zu zahlen.
11Die Beklagte beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Die Beklagte ist der Ansicht, dass sie Massegläubigerin und nicht Insolvenzgläubigerin sei. Liege die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis im Eröffnungsverfahren weiterhin beim Schuldner, lasse sich dogmatisch angesichts der Funktion des Schutzschirmverfahrens nach § 270b InsO als eigenständigem Sanierungsverfahren nicht begründen, warum dieser keine Masseschulden begründen könne. Aus dem Fehlen eines Antrags der Schuldnerin und einer entsprechenden Anordnung im Sinne von § 270b Abs. 3 InsO im Beschluss des Amtsgerichts Osnabrück vom 10.09.2013 könne nicht gefolgert werden, dass die Schuldnerin zur Begründung von Masseverbindlichkeiten nicht befugt gewesen sei. Die Beklagte meint, es fehle daher auch an einer Gläubigerbenachteiligung, weil die Erfüllung von Verbindlichkeiten, die im Insolvenzverfahren Masseverbindlichkeiten begründen, ohne Einfluss auf die Befriedigungsmöglichkeiten der Gläubigergesamtheit seien. Die Beklagte meint, eine Rückforderung sei auch aus Gründen des Vertrauensschutzes nicht zulässig. Für die Beklagte sei aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts Osnabrück vom 10.09.2013 nicht erkennbar gewesen, dass mit einer Rückforderung zu rechnen gewesen sei. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 24 ff. d.A., Bl. 60 ff. d.A. sowie Bl. 73 ff d.A. Bezug genommen.
14E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
15I.
16Der Kläger hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Rückgewähr von 108.986,52 EUR nach §§ 280, 129, 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO, 143 Abs. 1 S. 1 InsO.
17Der Kläger ist als Sachwalter über das Vermögen der Schuldnerin aktivlegitimiert, § 280 InsO. Er erklärte mit Schreiben vom 02.12.2013 gegenüber der Beklagten die Anfechtung der an sie erfolgten Zahlungen.
18Nach § 280 InsO sind die Vorschriften der §§ 129 bis 147 InsO für die Eigenverwaltung nach §§ 270 ff. InsO. anwendbar. Die Vorschrift stellt damit klar, dass auch bei der Eigenverwaltung die Insolvenzanfechtung uneingeschränkt stattfindet (Münchener Kommentar, InsO, Band III, 3. Auflage 2014, § 280 Rn. 1). Die Voraussetzungen der §§ 129, 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO liegen vor. Die Schuldnerin hat durch die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen an die Beklagte als Insolvenzgläubigerin anfechtbare Rechtshandlungen vorgenommen, die die übrigen Insolvenzgläubiger aufgrund der so herbeigeführten Verringerung der Haftungsmasse benachteiligen.
19Die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen durch die Schuldnerin an die Beklagte stellt Rechtshandlungen im Sinne von § 129 InsO dar. Die Zahlungen sind unstreitig vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 01.12.2013 vorgenommen worden.
20Diese Rechtshandlungen sind nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar. Nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die einem Insolvenzgläubiger Befriedigung gewährt hat, wenn sie nach dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und wenn der Gläubiger zur Zeit der Handlung die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag kannte. Diese Voraussetzungen liegen vor. Die unstreitig geleisteten Zahlungen erfolgten nach dem Eröffnungsantrag der Schuldnerin vom 09.09.2013. Es ist ebenso unstreitig, dass die Beklagte aufgrund des Faxes der Schuldnerin vom 17.09.2013 spätestens ab diesem Zeitpunkt den Eröffnungsantrag kannte.
21Durch die Zahlungen ist die Beklagte als Insolvenzgläubigerin befriedigt worden.Die Beklagte ist entgegen deren Auffassung nicht Masse-, sondern Insolvenzgläubigerin im Sinne von §§ 130 Abs. 1 Nr. 2, 38 InsO. Insolvenzgläubiger ist nach der Legaldefinition des § 38 InsO jeder persönliche Gläubiger, der einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner hat. Danach handelt es sich bei der Beklagten um eine Insolvenzgläubigerin im Sinne des § 38 InsO, da deren Ansprüche zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 01.12.2013 begründet gewesen wären, wenn die Schuldnerin sie nicht bereits durch die im September, Oktober und November geleisteten Zahlungen erfüllt hätte.
22Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht daraus, dass der Schuldnerin nach § 270b InsO im Zeitraum zwischen Eröffnungsantrag und Verfahrenseröffnung ein eigenständiges Sanierungsverfahren zur Verfügung gestellt wurde und im Zuge dessen die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis bei der Schuldnerin verblieb. Der Vorteil dieses sogenannten Schutzschirmverfahrens ist die Möglichkeit des Schuldners, sich gemäß § 270b Abs. 3 InsO zur Begründung von Masseverbindlichkeiten im Wege von Global- oder Einzelermächtigungen ermächtigen zu lassen; § 55 Abs. 2 InsO gilt entsprechend. So kann der Schuldner praktisch in die Stellung eines starken vorläufigen Insolvenzverwalters einrücken und Masseverbindlichkeiten begründen. Macht der Schuldner von seinem Antragsrecht in § 270b Abs. 3 InsO Gebrauch, so hat das Insolvenzgericht ihn zu ermächtigen, Masseverbindlichkeiten zu begründen. Einen solchen Antrag hat die Schuldnerin jedoch nicht gestellt, der Beschluss des Amtsgerichts Osnabrück enthält konsequenterweise eine entsprechende Anordnung nicht. Macht der Schuldner – wie vorliegend – von der Möglichkeit der Ermächtigung nach § 270b Abs. 3 Satz 1 InsO keinen Gebrauch, so liegt lediglich eine schwache vorläufige Eigenverwaltung im Schutzschirmverfahren vor. In diesem Fall gilt für vom eigenverwaltenden Schuldner begründete Verbindlichkeiten, dass zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, und damit auch während der vorläufigen Eigenverwaltung, begründete Vermögensansprüche Insolvenzforderungen im Sinne von § 38 InsO sind (vgl. LG Dresden, Urteil vom 11. September 2013 – 1 O 1168/13 –, juris). Folglich ist entgegen der Auffassung der Beklagten eine Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten nicht bereits darin zu sehen, dass die Schuldnerin weiterhin die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über ihr Vermögen ausübte und somit keinen Verlust ihrer Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis erfuhr. Anderenfalls wäre die in § 270b Abs. 3 InsO vorgesehene Ermächtigung ohne eigenständige Bedeutung. Die Existenz der Norm verdeutlicht, dass der Gesetzgeber vom Erfordernis einer positiven gerichtlichen Anordnung ausging und ein bloßes Unterlassen für eine Masseschuldbegründungskompetenz nicht ausreicht. In den Gesetzgebungsmaterialien heißt es ausdrücklich, dass dem Schuldner die Möglichkeit, quasi in die Rechtsstellung eines starken vorläufigen Insolvenzverwalters einzurücken, durch eine entsprechende Anordnung des Gerichts gewährt wird (BT-Drucks. 17/7511, S. 37). Das Erfordernis der positiven gerichtlichen Anordnung für die Verleihung einer Masseschuldbegründungskompetenz für den im Eröffnungsverfahren stehenden Schuldner erklärt sich vor dem Hintergrund, dass es gemäß §§ 270, 271 InsO auch in der Zeit nach Verfahrenseröffnung für die zu einer Masseschuldbegründungskompetenz führende Zulassung der Eigenverwaltung im oder nach dem Eröffnungsbeschluss einer positiven Anordnung bedarf (vgl. Marotzke, DB 2013, 1283, 1286).
23Eine Benachteiligung der Insolvenzgläubiger im Sinne des § 129 InsO liegt ebenfalls vor. Durch die Auszahlungen an die Beklagte ist die Haftungsmasse verringert worden.
24Nach § 143 Abs. 1 S. 1 InsO muss die Beklagte entsprechend der Höhe der erlangten Zahlungen einen Betrag von 108.986,52 EUR an den Kläger zahlen. Dem steht kein schutzwürdiges Vertrauen der Beklagten entgegen. Diese musste bereits aufgrund der fehlenden Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten im Beschluss des Amtsgerichts Osnabrück vom 10.09.2013 mit Rückforderungen rechnen. Im Übrigen wies die Schuldnerin die Beklagte bereits in ihrem Fax vom 17.09.2013 daraufhin, dass die abgeführten Sozialversicherungsbeiträge vom Sachwalter angefochten und zurück erstattet werden müssten.
25II.
26Der Kläger hat gemäß § 143 Abs. 1 S. 2 InsO i. V. m. §§ 819 Abs. 1, 818 Abs. 4, 291 S. 1, 288 Abs. 1 S. 2 BGB Anspruch auf Verzinsung des von der Beklagten anfechtbar erworbenen Gesamtbetrages in Höhe von 108.986,52 EUR ab Insolvenzeröffnung in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.12.2013 (BGH, Urteil vom 01. Februar 2007 – IX ZR 96/04 –, BGHZ 171, 38-45).
27Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288 Abs. 1 S. 2, 291 S. 1 BGB entsprechend.
28III.
29Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.
30IV.
31Streitwert: 108.986,52 EUR
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Referenzen
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- InsO § 133 Vorsätzliche Benachteiligung 1x
- InsO § 38 Begriff der Insolvenzgläubiger 4x
- InsO § 137 Wechsel- und Scheckzahlungen 1x
- IX ZR 96/04 1x (nicht zugeordnet)
- InsO § 141 Vollstreckbarer Titel 1x
- InsO § 134 Unentgeltliche Leistung 1x
- §§ 270 ff. InsO 1x (nicht zugeordnet)
- InsO § 135 Gesellschafterdarlehen 1x
- BGB § 291 Prozesszinsen 2x
- InsO § 139 Berechnung der Fristen vor dem Eröffnungsantrag 1x
- InsO § 130 Kongruente Deckung 6x
- InsO § 270 Voraussetzungen 1x
- 1 O 1168/13 1x (nicht zugeordnet)
- InsO § 280 Haftung. Insolvenzanfechtung 3x
- InsO § 142 Bargeschäft 1x
- InsO § 144 Ansprüche des Anfechtungsgegners 1x
- InsO § 55 Sonstige Masseverbindlichkeiten 1x
- BGB § 819 Verschärfte Haftung bei Kenntnis und bei Gesetzes- oder Sittenverstoß 1x
- InsO § 145 Anfechtung gegen Rechtsnachfolger 1x
- ZPO § 91 Grundsatz und Umfang der Kostenpflicht 1x
- InsO § 132 Unmittelbar nachteilige Rechtshandlungen 1x
- InsO § 138 Nahestehende Personen 1x
- InsO § 143 Rechtsfolgen 4x
- InsO § 140 Zeitpunkt der Vornahme einer Rechtshandlung 1x
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- BGB § 818 Umfang des Bereicherungsanspruchs 1x
- BGB § 288 Verzugszinsen und sonstiger Verzugsschaden 2x
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- InsO § 136 Stille Gesellschaft 1x
- InsO § 129 Grundsatz 5x
- InsO § 147 Rechtshandlungen nach Verfahrenseröffnung 1x