Endurteil vom Landgericht München II - 12 O 5868/20

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 427.169,86 € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 25.04.2020 zu bezahlen.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4. Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

5. Der Streitwert wird auf 427.169,86 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Leistungen aus einer Betriebsschließungsversicherung vor dem Hintergrund der Corona-Krise.

Die Klägerin betreibt die Gaststätte ...

Zwischen den Prozessparteien besteht gemäß Versicherungsschein Nr. ... für das Restaurant mit Biergarten, Veranstaltungsräumen und Picknickkorb-Catering eine Betriebsschließungsversicherung. Vereinbart ist bis zur Dauer von 30 Schließtagen für die Monate Oktober bis März eine Tagesentschädigung in Höhe von 4.000 EUR, für die Saisonmonate April bis September eine Tagesentschädigung in Höhe von 20.000 EUR. Weiterhin ist ein Warenschaden bis 10.000 EUR versichert.

Ergänzend wird auf den Versicherungsschein vom 31.01.2013 (Anlage K 1) Bezug genommen.

Einen Ruhetag gibt es im klägerischen Betrieb nicht.

Dem Vertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Betriebsschließung ... - Stand 01.01.2012 (...) der Beklagten zugrunde (Anlage K 8).

In § 1 ist folgendes geregelt:

§ 1 Gegenstand der Versicherung, versicherte Gefahren

1. Versicherungsumfang

Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2)

a) den versicherten Betrieb […] schließt; […].

2. Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger

Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger:

a) Krankheiten

- Botulismus

- Cholera

- Diphtherie

- akute Virushepatitis

- enteropathisches hämolytischurämisches Syndrom (HUS)

- virusbedingtes hämorrhagisches Fieber

- Masern

- Meningokokken-Meningitis oder -Sepsis

- Milzbrand

- Poliomyelitis (als Verdacht gilt jede akute schlaffe Lähmung, außer wenn traumatisch bedingt)

- Pest

- Tollwut

- Tuberkulose

- Typhus abdominalis/Paratyphus

- mikrobiell bedingte Lebensmittelvergiftung

- akute infektiöse Gastroenteritis

- der Verdacht einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung

- die Verletzung eines Menschen durch ein tollwutkrankes, -verdächtiges oder -ansteckungsverdächtiges Tier sowie die Berührung eines solchen Tieres oder Tierkörpers, b) Krankheitserreger

- Adenoviren (Meldepflicht nur für den direkten Nachweis im Konjunktivalabstrich);

- Bacillus anthracis

- Borrelia recurrentis

- Brucella sp.

- Campylobacter sp., darmpathogen

- Chlamydia psittaci,

- Clostridium botulinum oder Toxinnachweis

- Corynebacterium diphtheriae, Toxin bildend

- Coxiella brunetii

- Cyrptosporidium parvum

- Ebolavirus

- Escherichia coli (enterohämorrhagische Stämme - EHEC) und sonstige darmpathogene Stämme

- Francisella tularensis

- FSME-Virus

- Gelbfiebervirus

- Giardia lamblia

- Haemophilus influenzae (Meldepflicht nur für den direkten Nachweis aus Liquor oder Blut)

- Hantaviren

- Hepatitis-A-, -B-, -C-, -D-, -E-Virus (Meldepflicht für Hepatitis-C-Virus nur, soweit nicht bekannt ist, dass eine chronische Infektion vorliegt)

- Influenzaviren (Meldepflicht nur für den direkten Nachweis)

- Lassavirus

- Legionella sp.

- Leptospira interrogans

- Listeria monocytogenes (Meldepflicht nur für den direkten Nachweis aus Blut, Liquor oder anderen normalerweise sterilen Substraten sowie aus Abstrichen von Neugeborenen)

- Marburgvirus

- Masernvirus

- Mycobacterium leprae

- Mycobacterium tuberculosis/africanum, Mycobacterium bovis (Meldepflicht für den direkten Erregernachweis sowie nachfolgend für das Ergebnis der Resistenzbestimmung;

vorab auch für den Nachweis säurefester Stäbchen im Sputum)

- Neisseria meningitidis (Meldepflicht nur für den direkten Nachweis aus Liquor, Blut, hämorrhagischen Hautinfiltraten oder andere normalerweise sterilen Substrate)

- Norwalkähnliches Virus (Meldepflicht nur für den direkten Nachweis aus Stuhl)

- Poliovirus

- Rabiesvirus

- Rickettsia prowazekii

- Rotavirus

- Salmonella Paratyphi (Meldepflicht für alle direkten Nachweise)

- Salmonella Typhi (Meldepflicht für alle direkten Nachweise)

- Salmonella, sonstige

- Shigella sp.

- Trichinella spiralis

- Vibrion cholerae O 1 und O 139

- Yersini enterocolitica, darmpathogen

- Yersinia pestis

- andere Erreger hämorrhagischer Fieber

- Treponema pallidum

- HIV

- Echinococcus sp.

- Plasmodium sp.

- Rubellavirus (Meldepflichten nur bei konnatalen Infektionen)

- Toxoplasma gondii (Meldepflichten nur bei konnatalen Infektionen)“.

Unter § 3 ist schließlich geregelt:

„§ 3 Ausschlüsse

4. Krankheiten und Krankheitserreger

Der Versicherer haftet nicht bei Prionenerkrankungen oder dem Verdacht hierauf. […].“

Am 31.01.2020 verkündete das Bundesministerium für Gesundheit die Verordnung über die Ausdehnung der Meldepflicht nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und § 7 Abs. 1 S. 1 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) auf Infektionen mit dem Coronavirus vom 30.01.2020 (BAnz AT 31.01.2020 V1). Die Verordnung trat am 01.02.2020 in Kraft.

Am 11.03.2020 veröffentlichte die Beklagte auf ihrer Internetseite folgenden Text:

„[…] Welche Krankheiten und Krankheitserreger sind meldepflichtig?

Die meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger sind in §§ 6 und 7 des Infektionsschutzgesetzes genannt. Am 01.02.2020 wurde der Coronavirus als meldepflichtige Krankheit im IfSG aufgenommen. Da wir u.a. Krankheiten nach §§ 6 und 7 des IfSG versichert haben, gilt eine Betriebsschließung durch eine Behörde aufgrund des Coronavirus im Rahmen unserer Bedingungen als mitversichert.“

Am 20.03.2020 erließ das bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege eine Allgemeinverfügung zum Vollzug des IfSG, nach der Gastronomiebetriebe jeder Art mit Ausnahme der Abgabe und Lieferung von mitnahmefähigen Speisen untersagt wurden (Aktenzeichen Z6a, 68000-2020/122-98). Die Allgemeinverfügung trat am 21.03.2020 in Kraft. Am 24.03.2020 erließ das bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege eine Verordnung mit unter anderem dem gleichen Inhalt (2126-1-4-G, BayMBl. 2020 Nr. 130). Die Verordnung wurde rückwirkend zum 21.03.2020 in Kraft gesetzt. Das Verbot des Betriebs von Gastronomiebetrieben jeder Art mit Ausnahme der Abgabe und Lieferung von mitnahmefähigen Speisen wurde durch die Verordnungen vom 27.03.2020, 16.04.2020, 01.05.2020 und 05.05.2020 fortlaufend verlängert.

Außengastronomie konnte ab dem 18.05.2020 wieder geöffnet werden, die Innengastronomie ab dem 25.05.2020.

Mit Schreiben vom 20.03.2020 meldete die Klägerin einen ersten Schaden bei der Beklagten für den Zeitraum vom 21.03.2020 bis 03.04.2020 in Höhe von 104.000,00 € an (Anlage K 4). Mit einer weiteren Schadensmeldung vom 21.03.2020 machte die Beklagte Ersatz für verderbliche Ware in Höhe von 3.169,86 € netto geltend (Anlage K 5). Mit Schreiben vom 30.03.2020 meldete die Klägerin aufgrund der Verlängerung der behördlichen Anordnungen einen weiteren Schaden für den Zeitraum vom 04.04.2020 bis 19.04.2020 in Höhe von 320.000,00 € an (Anlage K 6).

Mit Schreiben vom 03.04.2020 lehnte die Beklagte die Regulierung des Schadens ab (Anlage K 7).

Die Klägerin forderte mit anwaltlichem Schreiben vom 15.04.2020 unter Fristsetzung bis 24.04.2020 die Beklagte nochmals zur Leistung auf, welcher diese nicht nachkam.

Am 17.06.2020 veröffentlichte die Beklagte ein Merkblatt „...", welches sie unter anderem auch an ihre Versicherungsnehmer versandte. Darin heißt es:

„Die ... erkennt Covid-19 als versicherten Erreger an und beruft sich nicht auf eine „abschließende Aufzählung“. Voraussetzung für einen Versicherungsfall in der BSV ist die Tatsache, dass ein versicherter Erreger im Betrieb aufgetreten ist, hiervon eine Gefahr ausging und deshalb auf behördliche Anordnung geschlossen wurde. Es muss also eine „intrinsische Betroffenheit“ vorliegen. Für solche Fälle prüfen wir jeden Schaden im Einzelfall und erkennen auch Versicherungsleistungen an. Für andere Fälle, bei denen die beschriebenen Umstände nicht vorliegen, können wir keinen Versicherungsschutz gewähren.“

Die Klägerin behauptet, in der Zeit vom 21.03.2020 bis zum 17.05.2020 sei der Betrieb vollständig geschlossen gewesen. Das von ihr angebotene Picknickkorb-Catering mache nur 1,96 Promille der Gesamtumsätze aus und sei vom zuständigen Gesundheitsamt während der Schließung ohnehin untersagt worden. Einen Außerhausverkauf habe es im Betrieb noch nie gegeben. Die vereinbarte Tagesentschädigung beruhe auf den Umsatzzahlen der Klägerin. Dem Versicherungsmakler hätten die Kennzahlen des Unternehmens bei Versicherungsabschluss vorgelegen. Die Taxe werde jedes Jahr anhand der betriebswirtschaftlichen Auswertung durch die Beklagte überprüft. Die Umsatzzahlen hätten sich seit dem Abschluss der Versicherung erhöht oder seien in einigen Jahren nahezu gleich geblieben. Aus staatlichen Mitteln habe sie die vom Freistaat Bayern angebotene Corona-Soforthilfe in Höhe von 15.000,00 €, aus Bundesmitteln weitere 15.000,00 € erhalten. Es sei ein Warenschaden in Höhe von 3.169,86 € netto entstanden. Bei den in Anlage K 5 aufgelisteten Produkten handele es sich ausschließlich um Ware, die entweder angebrochen war und sofort entsorgt werden musste, oder deren Haltbarkeitszeit während der Betriebsschließung abgelaufen war.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass das Coronavirus vom Versicherungsschutz umfasst sei. Die Beklagte habe gegenüber ihren Maklern bekanntgegeben, dass es mitversichert sei. Dies habe die Beklagte am 11.03.2020 auch auf ihrer Internetseite, insbesondere auch gegenüber ihren Versicherungsnehmern, so verlautbart. Zusätzlich habe die Beklagte in ihrem Schreiben vom 03.04.2020 selbst anerkannt und bestätigt, dass das Coronavirus als Krankheit im Sinne der Versicherungsbedingungen zu verstehen sei (Anlage K 7). Dies ergebe sich auch aus dem auf der Internetseite der Beklagten abrufbaren Merkblatt vom 17.06.2020 (Anlage K 10). Auch handele es sich bei § 1 Ziffer 2 der Versicherungsbedingungen nicht um eine abschließende Aufzählung. Unter § 3 Ziffer 4 sei ein Ausschluss nur bei Prionenerkrankungen oder dem Verdacht hierauf vorgesehen. Die Versicherungsbedingungen würden keine behördliche Einzelanordnung erfordern. Die Auffassung der Beklagten, dass ein Versicherungsfall nur dann vorliegen würde, wenn eine „intrinsische Betroffenheit“ vorliege, sei unzutreffend und werde auch nicht vom Wortlaut der Versicherungsbedingungen gestützt. Weiterhin handle es sich vorliegend um eine Summenversicherung, nicht um eine Schadensversicherung. § 76 VVG sei daher bereits nicht anwendbar. Eine Anrechnung der staatlichen Soforthilfen komme auf Basis der Versicherungsbedingungen nicht in Betracht. Auch stünden der Klägerin keine sonstigen öffentlichrechtlichen Entschädigungsansprüche zu.

Die Klägerin beantragt,

  • 1.Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Betrag in Höhe von 427.169,86 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz seit dem 25.04. 2020 zu zahlen.

  • 2.Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Kosten in Höhe von 4.479,70 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz seit dem 25.04.2020 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beklagte behauptet, die tatsächlichen Schäden der Klägerin lägen deutlich unter der vereinbarten Taxe in Höhe von 4.000,00 € beziehungsweise 20.000,00 €. Die Jahresabschlüsse der Klägerin für den Zeitraum 2007-2017 würden einen stark steigenden Schuldenstand zeigen (Anlage … 2). Ausweislich des von der Klägerin zuletzt veröffentlichten Jahresabschlusses zum 31.12.2018 habe es keinen Gewinn gegeben. Bei der Klägerin handele es sich um einen Verlustbetrieb (Bl. 130 d.A.). Ein Tagessatz von auch nur 4.000,00 € für den März 2020 oder gar 20.000,00 € für den April 2020 sei fernliegend. Der tatsächliche Schaden der Klägerin betrage im März 1.500,00 € und im April 2.500,00 € pro Tag.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass das Coronavirus nicht Gegenstand der Versicherung sei. Die tabellarische Auflistung der versicherten Krankheiten und Krankheitserreger in § 1 Ziffer 2 erfasse das Virus nicht und sei abschließend.

Weiterhin liege keine wirksame Allgemeinverfügung beziehungsweise Rechtsverordnung vor. Diese seien nichtig. Zudem sei keine konkrete Verfügung bezüglich der Klägerin ergangen. Abstraktgeneralpräventive Gesundheitsmaßnahmen seien nicht Gegenstand einer Betriebsschließungsversicherung.

Auch liege keine Betriebsschließung, sondern allenfalls eine Betriebseinschränkung vor. Sämtliche Arbeiten ohne Außenkontakt seien erlaubt gewesen, wie zum Beispiel Bürotätigkeiten, vorbereitende Werbemaßnahmen, Lagerarbeiten oder Renovierungsarbeiten. Ferner sei auch die betriebliche Tätigkeit in Form sowohl eines Liefer- als auch eines Abholangebots zulässig gewesen. Dass unter einer Betriebsschließung nur eine Anordnung einer vollständigen Schließung zu verstehen sei, liege auf der Hand.

Die vereinbarte Taxe sei nicht maßgeblich, da diese erheblich von dem tatsächlichen Schaden abweiche. Es komme nicht auf das Vorjahr an, sondern es sei auf den Zeitraum unmittelbar vor der behördlichen Anordnung abzustellen. Im Zeitraum 01.03.2020 bis 19.03.2020 habe der Umsatz nicht mehr als 20% des Umsatzes des Vergleichszeitraums vom 01.03.2019 bis 19.03.2019 betragen (Bl. 36 d.A.). Auf eine etwaige Kenntnis der Umsatzzahlen der Klägerin des Versicherungsmaklers bei Vertragsabschluss komme es nicht an, da dieser im Lager des Versicherungsnehmers stehe (Bl. 129 d.A.).

Auch stehe der Klägerin kein Anspruch auf Entschädigung zu, da diese Schadensersatz aufgrund des öffentlichrechtlichen Entschädigungsrechts beanspruchen könne. Die Klägerin müsse sich Leistungen Dritter, wie zum Beispiel die „Soforthilfe Corona“ und das Kurzarbeitergeld, anrechnen lassen.

Die Parteien habe sich mit Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt. Die Klagepartei hat mit Schriftsatz vom 21.08.2020 einen gesonderten Hinweisbeschluss, hilfsweise die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, beantragt. Auch die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 30.09.2020 die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung beantragt.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 31.07.2020 Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.

I.

Das Verfahren ist entscheidungsreif. Entgegen dem Antrag der Klägerin mit Schriftsatz vom 21.08.2020 (Bl. 63 d.A.) und dem Antrag der Beklagten mit Schriftsatz vom 30.09.2020 (Bl. 124 d.A.) war weder ein gesonderter Hinweisbeschluss zu erlassen noch die mündliche Verhandlung gemäß § 156 Abs. 2 Nr. 1 ZPO wiederzueröffnen.

Das Gericht hat die Parteien im Termin der mündlichen Verhandlung auf die entsprechende vorläufige Rechtsauffassung zur streitgegenständlichen Klausel hingewiesen. Selbst wenn man diesbezüglich den Protokollvermerk im Hinblick auf § 139 Abs. 4 ZPO als zu knapp ansehen würde, ergibt sich der weitere Inhalt der Erörterung im Termin ohne weiteres aus den sich anschließenden Schriftsätzen der Prozessparteien jeweils vom 21.08.2020 (vgl. BGH, Beschluss vom 30.06.2011, Az.: IX ZR 35/10, Rn. 7 - zitiert nach juris).

Unzutreffend rügt die Klägerin, dass das Verhandlungsprotokoll vom 31.07.2020 unvollständig sei (Bl. 58/61 d.A.). Die Sach- und Rechtslage wurde mit den Parteien umfassend erörtert und die wesentlichen Gesichtspunkte in das Protokoll aufgenommen. Soweit der Antrag der Klägerin erkennbar darauf abzielt, die Rechtsansicht des Gerichts zu der streitgegenständlichen Klausel der Beklagten zu erfahren, ist zu beachten, dass das Gericht grundsätzlich nicht zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet ist. Auch wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch ist, müssen daher die Verfahrensbeteiligten grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und ihren Vortrag darauf einstellen (BVerfG, Beschluss vom 04.07.2016, Az.: 2 BvR 1552/14, Rn. 7 - zitiert nach juris).

Soweit die Beklagte darüber hinaus rügt, dass die Klägerin keine Unterlagen in Form von Jahresabschlüssen vorlegt (Bl. 129 ff. d.A.), stellt dies keinen Grund für die Wiedereröffnung der Verhandlung dar, zumal es darauf nicht entscheidungserheblich ankommt.

II.

Die Klage ist in der Hauptsache begründet.

Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch in Höhe von 427.169,86 € gemäß §§ 1 Ziffer 1 lit. a), 2 Ziffer 3 lit. a) zu.

1. Gemäß § 1 Ziffer 1 lit. a) leistet der Versicherer Entschädigung, wenn die zustän dige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten den versicherten Betrieb schließt.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege hat ab dem 21.03.2020 den klägerischen Betrieb aufgrund des Coronavirus geschlossen.

Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung entsprechend den Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse auszulegen, der diese aufmerksam liest und vollständig unter Abwägung der Interessen der beteiligten Kreise sowie unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhanges würdigt. Dabei kommt es auf den betreffenden Versicherungszweig an. Spricht der Versicherungsvertrag üblicherweise einen bestimmten Personenkreis an, so kommt es auf die Verständnismöglichkeiten und Interessen der Mitglieder dieses Personenkreises an. Maßgeblich für die Auslegung ist in erster Linie der Klauselwortlaut. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind dabei grundsätzlich „aus sich heraus“, also ohne Heranziehung anderer Texte, auszulegen. Die vom Versicherer verfolgten Zwecke sind maßgeblich, sofern sie in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen Ausdruck gefunden haben, sodass sie dem aufmerksamen und verständigen Durchschnittsversicherungsnehmer erkennbar sind. Maßgeblich ist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 22.01.2020, Az: IV ZR 125/18; BGH, Urteil vom 06.03.2019, Az.: IV ZR 72/18).

Betriebsschließungsversicherungen werden von gewerblich tätigen Versicherungsnehmern abgeschlossen, insbesondere von Betrieben, die mit der Lebensmittelherstellung oder -verarbeitung zu tun haben (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 2 IfSG). Bei solchen Unternehmen besteht die Gefahr, dass eine Behörde den Betrieb aufgrund von Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) schließt. Dabei handelt es sich regelmäßig um Betriebe, die einen kaufmännisch eingerichteten Gewerbebetrieb erfordern, weshalb man von den Inhabern oder Geschäftsführern jeweils entsprechende kaufmännische Kenntnisse und Sorgfalt bei dem Durchlesen eines Vertragsformulars erwarten kann. Im Regelfall besitzen die Inhaber oder Geschäftsführer dieser Betriebe jedoch keine vertieften Kenntnisse medizinischer oder rechtlicher Art im Zusammenhang mit dem Inhalt des IfSG.

Gemessen an diesen Voraussetzungen ergibt sich für die Auslegung der von der Beklagten verwendeten Bedingungen folgendes:

a) Eine Anordnung der Schließung des klägerischen Betriebs seitens der zuständigen Behörde lag vor.

aa) Die Zuständigkeit des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege für die Maßnahme ergibt sich aus §§ 28 Abs. 1, 32 S. 1 IfSG in Verbindung mit § 65 S. 2 Nr. 2 BayZustV und Art. 3 Abs. 1 Nr. 1 GDVG.

bb) Der Text der Versicherungsbedingungen verwendet im Übrigen keine verwaltungsrechtlichen Rechtsbegriffe. Die Betriebsschließung beruhte zunächst auf der Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 20.03.2020, später auf der Verordnung vom 24.03.2020, welche im Folgenden aufrechterhalten wurde. Nach dem Text der Versicherungsbedingungen kommt es nicht darauf an, in welcher Rechtsform die Anordnung der Schließung vorgenommen wird. Denn in der Allgemeinverfügung und den später erlassenen Verordnungen wird die Schließung rein tatsächlich „angeordnet“.

cc) Nach dem Wortlaut der Bedingungen spielt auch die Rechtmäßigkeit der Schließungsanordnung für den Versicherungsschutz keine Rolle.

Unabhängig davon, ob § 82 VVG auf die Betriebsschließungsversicherung anwendbar ist, wäre auch im Rahmen der Schadensminderungsobliegenheit ein verwaltungsgerichtliches Vorgehen der Klägerin gegen die Anordnung weder erfolgversprechend noch zumutbar gewesen.

Der Versicherungsnehmer muss sich - wie jeder andere - grundsätzlich an Gesetze und Verordnungen halten. Diese sind selbst im Falle von Mängeln oder bei Rechtswidrigkeit nicht automatisch unwirksam und damit grundsätzlich zu befolgen. Es ist dem Versicherungsnehmer im Regelfall auch nicht zumutbar, vor der Geltendmachung von Versicherungsleistungen zur Schadensminderung vor den Verwaltungsgerichten gegen eine behördliche Anordnung vorzugehen.

Allenfalls im Fall offensichtlicher, zur Nichtigkeit führender Fehler kann eine Pflicht des Versicherungsnehmers bestehen, sich zur Schadensminderung nicht an die Vorschrift zu halten und gegen sie gerichtlich vorzugehen. Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Es fehlt bereits an einer offensichtlich unwirksamen Verordnung (vgl. BayVGH, Beschluss vom 30.03.2020, Az.: 20 NE 20.632).

b) Die zuständige Behörde handelte gemäß § 1 Ziffer 1 aufgrund des Infekti onsschutzgesetzes.

aa) Es handelte sich um eine Maßnahme zur Bekämpfung der Corona - Pandemie. Die Maßnahme wurde in der Allgemeinverfügung und den nachfolgenden Verordnungen des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege auf Vorschriften des IfSG gestützt, nämlich auf § 28 beziehungsweise § 32 IfSG i.V.m. der Verordnung des Bundesministeriums für Gesundheit vom 30.01.2020, mit der die Meldepflicht nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und § 7 Abs. 1 S. 1 IfSG auf das neuartige Coronavirus ausgedehnt wurde (BAnz AT 31.01.2020 V1).

bb) Nach dem Wortlaut der Bedingungen ist nicht erforderlich, dass der Betrieb selbst betroffen sein muss. Die Maßnahme muss nach dem maßgeblichen Wortlaut der Versicherungsbedingungen lediglich aufgrund des IfSG erlassen worden sein.

(1) Etwas anderes ergibt sich nicht aus § 1 Ziffer 1 lit. a) Hs. 2 . Der Wortlaut lässt für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer insbesondere nicht den zwingenden Schluss auf eine notwendige betriebsinterne Gefahr im Hinblick auf § 1 Ziffer 1 lit. a) Hs. 1 zu. Die Gleichstellung im Rah men des Versicherungsumfangs erfordert nach dem Wortlaut nicht, dass auch identische Voraussetzungen vorliegen müssten. Soweit die Beklagte argumentiert, es handle sich bei § 1 Ziffer 1 lit. a) Hs. 2 um eine De ckungserweiterung in Form der Gleichstellung, womit es sich „erstrecht“ um eine betriebsinterne Gefahr handeln müsse, greift dies bereits methodisch nicht durch, da gerade kein Rückschluss auf § 1 Ziffer 1 lit. a) Hs. 1 gezogen wird.

(2) Auch daraus, dass die übrigen Bestimmungen in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten Bezug auf den versicherten Betrieb nehmen (Tätigkeitsverbote für sämtliche Betriebsangehörige, Desinfektion der Betriebsräume Verwertung oder Vernichtung von Vorräten und Waren, Beschäftigungsverbote für Mitarbeiter oder Einleitung von Ermittlungsverfahren nach dem IfSG, vgl. § 1 Ziffer 1 lit. b) bis lit. E)), lassen sich für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer keine Anhaltspunkte dafür finden, dass sich das Deckungsversprechen des Versicherers nur darauf beziehen soll. Denn diese Versicherungsgegenstände werden neben der Betriebsschließung als eigener Versicherungsgegenstand genannt.

(3) Die Beklagte kann auch nicht mit dem für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer vermeintlich erkennbaren Sinnzusammenhang argumentieren. Einerseits sind Versicherungsbedingungen „aus sich heraus“ auszulegen. Der Versicherungsantrag mit den zugehörigen Unterlagen, Rechtsverordnungen und etwaige Stimmen aus der Literatur, auf welche die Beklagte abstellt, spielen insoweit keine Rolle. Andererseits folgt aus den weiteren Regelungen der Versicherungsbedingungen wie § 4 (Versicherungsort) und § 8 (Obliegenheiten des Versicherungsnehmer vor dem Versicherungsfall) keine für den Versicherungsnehmer erkennbare Einschränkung des Versicherungsumfangs, wie er sich aus dem Wortlaut des § 1 Ziffer 1 lit. a) Hs. 1 ergibt. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer, der die Klausel verständig würdigend und aufmerksam durchsieht, wird § 4 nur entnehmen können, dass Versicherungsschutz nur innerhalb des Versicherungsortes, also hier die im Versicherungsvertrag bezeichneten Betriebsstätten des versicherten Betriebs, besteht. Mithin wird der Versicherungsnehmer der Klausel zwar entnehmen, dass der Versicherer den Versicherungsschutz auf den konkret definierten Versicherungsort beschränkt, er also nur leistet, wenn der versicherte Betrieb aufgrund des IfSG geschlossen wird. Eine Einschränkung lediglich auf einen Versicherungsfall bei der Verwirklichung von intrinsischen Gefahren ist indes nicht erkennbar.

Entsprechendes gilt für die in den §§ 8, 12 geregelten Obliegenhei ten. Die Einhaltung zum Beispiel von Sicherheitsvorschriften oder die Einholung von Weisungen lässt für den Versicherungsnehmer nicht erkennen, dass der Versicherungsumfang lediglich betriebsinterne Gefahren umfasst. Auch setzt unter anderem die Schadensminderungsobliegenheit, wie auch die weitere Argumentation der Beklagten zeigt, eine betriebsinterne Gefahr nicht zwingend voraus. Selbst wenn der Versicherungsnehmer die von der Beklagten dargestellten Überlegungen anstellt, wird er diesbezüglich auch die eigenen Versicherungsgegenstände (§ 1 Ziffer 1 lit. b) bis e)) als Bezugspunkt in Betracht ziehen müssen. Ein erkennbarer Sinnzusammenhang mit § 1 Ziffer 1 lit. a) und einer etwaigen Einschränkung des Versicherungsumfangs besteht nicht. Zweifel bei der Auslegung gehen im Übrigen zu Lasten des Versicherers (§ 305c Abs. 2 BGB).

c) Die Beklagte beruft sich darauf, dass der Betrieb der Klägerin durch die Anordnung nicht geschlossen worden sei, weil ein Außerhausverkauf und sämtliche Arbeiten ohne Außenkontakt (z.B. Bürotätigkeiten, Renovierungsarbeiten, usw.) weiterhin möglich waren. Es habe damit lediglich eine Betriebseinschränkung vorgelegen.

aa) Den Wortlaut der maßgeblichen Versicherungsbedingungen muss der durchschnittliche Versicherungsnehmer grundsätzlich so verstehen, dass die vollständige Schließung der Einrichtung angeordnet worden sein muss, damit ein Anspruch auf Versicherungsleistungen entsteht. Die vereinbarte Tagespauschale wird am Schaden für den gesamten Betrieb berechnet und setzt dies folglich voraus. War der Betrieb nicht vollständig geschlossen, scheiden Ansprüche aus der Betriebsschließungsversicherung grundsätzlich aus (vgl. LG München I, Urteil vom 17.09.2020, Az.: 12 O 7208/20).

bb) Der Nichtbetrieb einer Gaststätte kann gemäß § 12 Ziffer 1 lit. b) in Verbindung mit §§ 28 Abs. 2, 82 Abs. 1 VVG eine Obliegenheitsverletzung aus dem Versicherungsvertrag darstellen, soweit ein Gastronomiebetrieb auch auf einen Außerhausverkauf ausgelegt ist und dieser nicht lediglich ein vollkommen untergeordnetes Mitnahmegeschäft darstellt.

Im konkreten Einzelfall war der Außerhausverkauf keine unternehmerische Alternative. Der Geschäftsführer der Klägerin erläuterte im Rahmen der informatorischen Anhörung überzeugend und glaubhaft, dass das angebotene Picknickkorb-Catering in seinem Betrieb eine absolut untergeordnete Rolle spiele. Der Umsatz aus diesem Geschäft betrage 1,96 Promille des Gesamtumsatzes und sei mehr als „Marketing-Tool“ zu sehen. Einen sonstigen Außerhausverkauf habe es im Betrieb nie gegeben. Der Betrieb sei ausschließlich auf die Bewirtung von Gästen vor Ort ausgelegt und biete Speisen zum Mitnehmen nicht an.

Unter den dargelegten Grundsätzen kann sich die Beklagte auch nicht darauf berufen, dass sonstige Arbeiten ohne Außenkontakt weiterhin möglich gewesen seien. Dies ist bereits nicht Gegenstand der streitgegenständlichen Versicherung. Die Betriebsschließungsversicherung soll dem Versicherungsnehmer Umsatzeinbußen ersetzen, welche dieser aufgrund einer Schließung aufgrund des IfSG erleidet. Auf Basis der maßgeblichen Versicherungsbedingungen handelt es sich erkennbar um Schließungen, welche dazu führen, dass der Betrieb nicht mehr von Kunden besucht werden kann. Eine Betriebsschließung im Sinne der Versicherungsbedingungen erfordert demgegenüber keine hermetische Abriegelung im Sinne eines Betretungsverbots.

Der Versicherer kann den Versicherungsnehmer danach nicht auf Tätigkeiten außerhalb des Betriebs wie zum Beispiel Renovierungsarbeiten verweisen, wenn die maßgebliche umsatzerzielende Tätigkeit nicht mehr möglich ist.

2. Eine Einschränkung des Versicherungsumfangs aufgrund der in § 1 Ziffer 2 ge nannten Krankheiten und Krankheitserreger besteht nicht.

a) § 1 Ziffer 2 verstößt gegen das sich aus § 307 Abs. 1 S. 2 BGB ergebende Transparenzgebot und ist damit gem. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam.

aa) Nach dem Transparenzgebot ist der Verwender allgemeiner Versicherungsbedingungen gehalten, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Dabei kommt es nicht nur darauf an, dass eine Klausel in ihrer Formulierung für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlich ist. Vielmehr gebieten Treu und Glauben auch, dass sie die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen soweit erkennen lässt, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann (BGH, NJW-RR 2008, 1123, 1125; BGH, NJW 2001, 2014, 2016). Dem Versicherungsnehmer soll bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vor Augen geführt werden, in welchem Umfang er Versicherungsschutz erlangt und welche Umstände seinen Versicherungsschutz gefährden (vgl. BGH, NJW 2018, 1544). Wird der Versicherungsschutz durch eine Klausel eingeschränkt, so muss dem Versicherungsnehmer damit klar und deutlich vor Augen geführt werden, in welchem Umfang Versicherungsschutz trotz der Klausel besteht (BGH, r + s 2013, 601 Rn. 9). Der durchschnittliche Versicherungsnehmer braucht nicht mit Lücken im Versicherungsschutz zu rechnen, ohne dass die Klausel ihm dies hinreichend verdeutlicht (BGH, NJW 2019, 2172).

Mithin sind Allgemeine Versicherungsbedingungen so zu gestalten, dass dem Versicherungsnehmer die leistungsbeschränkende Wirkung einer Klausel nicht erst nach intensiver Beschäftigung oder aufgrund ergänzender Auskünfte deutlich wird.

bb) Gemessen an diesen Maßstäben entspricht die Klausel nicht den Erfordernissen des Transparenzgebots.

(1) Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird sich zunächst am Wortlaut orientieren und zunächst in § 1 Ziffer 1 den dort beschriebenen Versicherungsumfang zur Kenntnis nehmen, der bestimmt, dass der Versicherer Entschädigung leistet, „[…] wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten und Krankheitserreger (siehe Nr. 2) […] den versicherten Betrieb schließt; […]“.

Aufgrund des Klammerzusatzes wird der Versicherungsnehmer erkennen, dass die meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger in § 1 Ziffer 2 geregelt sind und sich diese Klausel erschließen.

Der einleitende Satz der Klausel lautet: „Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im IfSG in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger: […]“. Anschließend folgt eine Aufzählung von 18 Krankheiten und 49 Krankheitserregern, überwiegend mit lateinischen Namen.

Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird dem Wortlaut der Bestimmung entnehmen, dass die Aufzählung die meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger nach dem IfSG wiedergibt. Einen Hinweis darauf, dass im IfSG etwas enthalten sein könnte, was in dieser Liste nicht wiedergegeben ist, befindet sich weder an dieser, noch an anderer Stelle in den Bedingungen der Beklagten. Allein die Überschrift oder den Wortlaut „Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden […]“ muss der Versicherungsnehmer nicht als Einschränkung des Versicherungsumfangs verstehen. Aufgrund der (werbenden) Länge der sich anschließenden Liste und der damit suggerierten Vollständigkeit ist es für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht naheliegend, dass die Klausel einen einschränkenden Versicherungsumfang formuliert und insoweit negative Abweichungen gegenüber dem maßgeblich in Bezug genommenen IfSG bestehen. Eine klare und deutliche Formulierung wie zum Beispiel „nur die folgenden“, „ausschließlich die folgenden“ oder „diese Auflistung ist abschließend“ enthält die Klausel nicht.

Vielmehr kann der durchschnittliche Versicherungsnehmer aufgrund des Wortlauts und der Verweisung in § 1 Ziffer 1 erwarten, dass eine bloße Wiedergabe der gesetzlich erfassten Krankheiten und Krankheitserreger erfolgt. „Namentlich genannt“ wird der Versicherungsnehmer, welcher nicht über Spezialkenntnisse zum IfSG (§ 9 IfSG sowie §§ 6 Abs. 1 Nr. 5, 7 Abs. 2 IfSG) verfügt, dahingehend verstehen, dass es sich hierbei um die vom IfSG benannte Krankheiten und Krankheitserreger handelt.

Letztlich wird der Versicherungsnehmer auf der folgenden zweiten Seite der unter § 3 die Ausschlüsse zur Kenntnis nehmen und dabei in § 3 Ziffer 4 hinsichtlich der Krankheiten und Krankheitserreger nur den Ausschluss hinsichtlich Prionenerkrankungen feststellen. Weitergehende Einschränkungen des Versicherungsschutzes muss der Versicherungsnehmer dem Wortlaut nicht entnehmen.

Lediglich ergänzend ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass im konkreten Fall die Beklagte im Rahmen ihrer Veröffentlichungen vom 11.03.2020 sowie vom 17.06.2020 (Bl. 105 f. d.A.) eine Auslegung ihrer eigenen Versicherungsbedingungen dergestalt vornimmt, dass das Coronarvirus mitversichert ist und dies auch ihren Versicherungsnehmern mitteilt. Damit gibt sie zu verstehen, dass sie selbst nicht der Auffassung ist, dass § 1 Ziffer 2 eine abschließende Liste darstellen soll.

(2) Der systematische Zusammenhang sowie Sinn und Zweck der Klausel stützen den Versicherungsnehmer bei diesem Verständnis. Er wird aufgrund der Stellung sowie der jeweiligen Überschriften der Klauseln erkennen, dass § 1 den grundsätzlichen Versicherungsumfang positiv festlegt, während § 3 die Ausschlüsse formuliert. Prionenerkrankungen sind in der Auflistung in § 1 Ziffer 2 jedoch gar nicht enthalten. Falls der Versicherungsumfang in § 1 Ziffer 2 abschließend definiert worden wäre, würde sich der Ausschluss in § 3 Nr. 4 nicht erschließen.

(3) Auf der Grundlage des Wortlauts, des systematischen Zusammenhangs sowie des erkennbaren Zwecks der Klausel § 1 Ziffer 2 weist diese den durchschnittlichen Versicherungsnehmer, auch im Hinblick auf den maßgeblichen Personenkreis der unternehmerischen Gastronomen, nicht mit der gebotenen und möglichen Klarheit darauf hin, dass der Umfang des Versicherungsschutzes gegenüber den in Bezug genommenen §§ 6 und 7 IfSG beschränkt sein soll.

(a) Allein der Wortlaut „Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten“ stellt insoweit gerade keine explizite und eindeutige Verengung der erfassten Krankheiten und Krankheitserreger dar. Die katalogartige Aufzählung suggeriert, insbesondere in ihrer optisch erschlagenden Darstellung, eine Vollständigkeit und eine Deckungsgleichheit mit dem IfSG, obwohl die Aufzählung in § 1 Ziffer 2 deut lich enger gefasst ist, als der Gesetzestext. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer müsste, wenn er aufgrund der steten Bezugnahme auf §§ 6 und 7 IfSG überhaupt auf die Idee kommt, zur Überprüfung einer negativen Abweichung vom Gesetz, die Regelungen des IfSG in der jeweils geltenden Fassung zur Hand nehmen und diese mit dem Katalog der Klausel im Einzelnen vergleichen. Erst dann wäre erkennbar, dass der Versicherungsumfang gegenüber der gesetzlichen Regelung negativ abweicht und die Auflistung unvollständig ist, sodass dem Versicherungsnehmer, selbst bei innerbetrieblich aufgetretenen Infektionsquellen, Deckungslücken drohen. Auch im Rahmen von lediglich leistungsbeschränkenden Klauseln muss es dem Versicherungsnehmer jedoch möglich sein, Lücken des Versicherungsschutzes klar und deutlich zu erkennen, ohne dass es insoweit einer intensiven Beschäftigung mit den jeweiligen Klauseln bedarf und Lücken erst über ergänzende Auskünfte in Form eines synoptischen Gesetzesvergleichs deutlich werden. Die Aufgabe, diese Konsequenz erst durch Zusammenschau mit der jeweils gültigen Fassung des IfSG zu erkennen, würde den durchschnittlichen Versicherungsnehmer überfordern.

(b) Völlig unerwähnt bleibt zudem, dass im IfSG Auffangtatbestände wie §§ 6 Abs. 1 Nr. 5 und 7 Abs. 2 IfSG enthalten sind, welche es den Behörden ermöglichen, auch bei neu auftretenden oder aufgetretenen bedrohlichen Krankheiten und Erreger, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob sie schon in die gesetzlichen Listen ausdrücklich benannter Krankheiten oder Erreger aufgenommen sind, den Betrieb zu schließen. Die wirtschaftlichen Belastungen und Nachteile, welche die streitgegenständliche Klausel für den Versicherungsnehmer insoweit mit sich bringt, sind für ihn nicht einmal im Ansatz erkennbar.

Insgesamt führt die Klausel dem verständigen Versicherungsnehmer bei Vertragsschluss gerade nicht deutlich vor Augen, was ihn hinsichtlich des Versicherungsumfangs erwartet. Der Klauselinhalt ist aus sich heraus, ohne zusätzliche Konsultation des Gesetzeswortlauts, nicht klar und verständlich, da nicht erkennbar ist, dass trotz der sinnstiftenden Bezugnahme auf die §§ 6 und 7 IfSG eine leistungsbeschränkende Klausel vorliegen soll, welche zu einer Divergenz zwischen der vertraglichen sowie der gesetzlichen Regelung führt, und dass letztlich für den Versicherungsnehmer wesentliche Versicherungslücken drohen.

b) Damit ist die Klausel in § 1 Ziffer 2 unwirksam. Der Versicherungsumfang bestimmt sich mithin nach § 1 Ziffer 1 lit. a), dessen Voraussetzungen wie ausgeführt erfüllt sind.

3. Auch der von der Beklagten erstmals mit Schriftsatz vom 16.09.2020 eingewandte Wegfall der Geschäftsgrundlage kommt nicht in Betracht.

Im Rahmen des § 313 BGB ist zu beachten, dass Erwartungen und um Umstände, die in den Risikobereich einer der Parteien fallen, bei der Prüfung, ob die Geschäftsgrundlage entfallen ist, unbeachtet bleiben müssen. Insoweit fällt die Ausgestaltung des Versicherungsumfangs sowie der möglichen Ausschlüsse, wie § 3 Ziffer 4 in Bezug auf Prionenerkrankungen zeigt, in den Risikobereich des Versicherers. Ihm obliegt es, die versicherten Krankheiten und Krankheitserreger klar zu benennen sowie Risiken, wie etwa im Rahmen der Betreibsschließungsversicherung gerade auch Pandemien, versicherungsmathematisch zu kalkulieren. Das Risiko, beim Auftreten neuer Krankheiten oder Krankheitserreger haften zu müssen, sofern der Versicherungsumfang nicht klar geregelt ist, fällt in den Verantwortungsbereich des Versicherers.

4. Die Höhe des Schadens bestimmt sich nach der in § 2 Ziffer 3 lit. a) zwischen den Parteien vereinbarten Taxe. Die Beklagte kann sich insoweit nicht auf eine erhebliche Abweichung im Sinn des § 76 Abs. 1 S. 2 VVG berufen. Der geltend gemachte Warenschaden ist gemäß §§ 5 lit. a), 6 lit a), 7 Ziffer 1 zu ersetzen.

a) Nach den glaubhaften Aussagen des Geschäftsführers der Klägerin im Rahmen seiner informatorischen Anhörung war der Betrieb vom 21.03.2020 an für 30 Tage wegen der Allgemeinverfügung und der nachfolgenden Verordnungen geschlossen. Das pauschale Bestreiten der Beklagten zu diesem Punkt war bereits unsubstantiiert. Dass Gaststätten der Betrieb durch die Allgemeinverfügung und durch die nachfolgenden Verordnungen verboten war sowie dass bayerische Gaststätten während des „Lockdown“ geschlossen waren, ist allgemein bekannt. Die Beklagte hätte konkrete Umstände vortragen müssen, warum sie davon ausgeht, dass dies für die Klägerin nicht galt.

Die konkrete Höhe der Entschädigung bestimmt sich nach der zwischen den Parteien vereinbarten Tagesentschädigung. Diese beläuft sich auf 4.000,00 € für die Monate Oktober bis März, vorliegend mithin 11 Tage vom 21.03.2020 bis 31.03.2020, sowie auf 20.000,00 € für die Monate April bis September, vorliegend mithin 19 Tage vom 01.04.2020 bis zum 19.04.2020.

Insgesamt beläuft sich die Entschädigung damit auf 424.000,00 €.

b) Die so errechnete Entschädigung ist auch nicht nach Maßgabe des § 76 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 VVG zu kürzen, weil die vereinbarte Tagesentschädigung (Taxe) den wirklichen Versicherungswert zu diesem Zeitpunkt erheblich übersteigen würde.

aa) Das Gericht folgt zwar insoweit der Auffassung der Beklagten, dass es sich bei der Betriebsschließungsversicherung um eine Schadensversicherung und nicht um eine betragsmäßig von der Ursache unabhängige Summenversicherung handelt. Zweck einer Betriebsschließungsversicherung ist es, sich für den Schaden durch Umsatzausfall zu versichern. Die vereinbarte Summe für die Tagesentschädigung wurde vorliegend nach dem Willen der Parteien pauschal vereinbart. Mithin soll der Schaden durch einen pauschalierten Betrag abgesichert werden, um Streit über die Höhe der Versicherungsleistung zu vermeiden (BGH, Urteil vom 04.04.2001, Az.: IV ZR 138/00; Halbach in MüKo VVG, 2. Aufl. 2016, § 76 Rn. 3; Armbrüster in Prölss/Martin, VVG, 30. Aufl., § 76 VVG Rn. 2 m.w.N.). Dafür spricht auch die Klausel zur Anrechnung öffentlichrechtlicher Entschädigungsleistungen gemäß § 21 lit. a), die in diesem Zusammenhang zulässig ist.

bb) Demnach könnte die Beklagte grundsätzlich gemäß § 76 VVG die vereinbarte Tagesentschädigung mindern, wenn sie den wirklichen Versicherungswert erheblich übersteigt.

Dabei gibt es jedoch keine fixe Grenze. Entscheidend sind vielmehr Art und Zweck der Versicherung und der Grund der Vereinbarung der Taxe. Des Weiteren ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Zweck des § 76 VVG zu berücksichtigen, der die Feststellung der Höhe des vom Versicherer zu leistenden Schadensersatzes erleichtern soll. Dieser Zweck würde gefährdet, wenn das Interesse der Parteien an der Verlässlichkeit der Vereinbarung einer Taxe außer Betracht bliebe. Diesem Zweck ist abwägend gegenüberzustellen, dass nach § 76 S. 2 Hs. 2 VVG die Taxe erst dann nicht mehr gelten soll, wenn eine erhebliche Bereicherung des Versicherungsnehmers eintreten würde (BGH a.a.O.; Armbrüster in Prölss/Martin, VVG, 30. Aufl. 2018, § 76 Rn. 12 m.w.N.).

cc) Gemessen daran kommt eine Abweichung von der Taxe hier nicht in Betracht.

(1) Vorliegend wurden die vereinbarten Summen für die Tagesentschädigung zur Überzeugung des Gerichts nach dem Willen der Parteien anhand der Umsatzzahlen des klägerischen Betriebs festgelegt, nicht auf Basis des Gewinns. Die Klägerin hat klargestellt, dass die Grundlage der vereinbarten Tagesentschädigung der im klägerischen Betrieb erzielte Umsatz war. Dass der Gewinn maßgebliche Grundlage der vereinbarten Tagesentschädigung gewesen sein soll, ist im Rahmen der vorliegenden Betriebsschließungsversicherung, welche gerade einen Umsatzausfall versichern soll, nicht naheliegend. Dies zeigt sich auch anhand des Antragsformulars der Beklagten (Anlage K 12, dort S. 2), welches bei Betrieben mit saisonalen Umsatzspitzen einen möglichen Zuschlag auf die vereinbarte Tagesentschädigung vorsieht. Ein solcher Zuschlag aufgrund von Umsatzspitzen ist nur nachvollziehbar, wenn auch die Tagesentschädigung anhand derselben Grundlage festgelegt wurde. Soweit die Beklagte im Rahmen des § 76 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 VVG auf den von der Klägerin nicht erzielten Gewinn abstellt (vgl. Bl. 36 d.A.), ist sie im Übrigen auch dafür darlegungs- und beweisbelastet, dass die Tagesentschädigung auf Grundlage des Gewinns festgelegt wurde, um eine erhebliche Abweichung zu begründen.

Daher ist unerheblich, ob es sich nach dem Vortrag der Beklagten bei dem klägerischen Betrieb, in Anbetracht des Jahresfehlbetrags zum 31.12.2017 bzw. 31.12.2018 sowie des nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrags zum 31.12.2018, um einen Verlustbetrieb handelt. Maßgeblich ist der Umsatz.

(2) Aus dem Sinn und Zweck der vereinbarten Taxe folgt zudem, dass die Umsatzzahlen in der Zeit unmittelbar vor der Anordnung der Schließung als Maßstab für eine erhebliche Abweichung von der Taxe nicht berücksichtigt werden können. Die vereinbarte Pauschale orientiert sich allein an den Tagen der Betriebsschließung. Den Parteien war bei Vertragsabschluss jedoch bewusst, dass der Schaden durch das zugrunde liegende Ereignis ausgelöst wird, nämlich das Auftreten einer Krankheit oder eines Krankheitserregers im Sinne des Infektionsschutzgesetzes. Damit sind im Regelfall bereits vor der behördlichen Anordnung der Schließung Einschränkungen im Gewerbebetrieb verbunden.

Außerdem leistet die Versicherung vereinbarungsgemäß Schadensersatz nur für eine Höchstdauer von 30 Tagen, egal wie lange die Einschränkungen tatsächlich dauern, sodass der Gesamtschaden tatsächlich auch sehr viel höher sein kann, als die für 30 Tage vereinbarte Taxe (zu ähnlichen Erwägungen vgl. BGH a.a.O.). Folglich kann auch die Zeit kurz vor der Schließung nicht als Vergleichsmaßstab der erheblichen Abweichung des Schadens von der vereinbarten Taxe dienen.

Würde man dahingehend der Argumentation der Beklagten folgen, wonach auf den Zeitraum unmittelbar vor der Betriebsschließung abzustellen wäre, wäre eine Taxe in den typischen Fällen einer Betriebsschließung aufgrund des Infektionsschutzgesetzes wertlos. Im Regelfall wird - auch bei innerbetrieblich aufgetretenen Infektionsquellen - der Betrieb des Versicherungsnehmers bereits vor einer vollständigen Schließung durch die zuständige Behörde Umsatzeinbußen erleiden, sei es durch das Ausbleiben von Kunden aufgrund von Gerüchten oder einer notwendigen Betriebseinschränkung aufgrund der aufgetretenen Infektionsquelle. Die Argumentation der Beklagten konsequent zu Ende gedacht, wäre auch in diesem Fall auf den dann - hypothetisch - zu erzielenden Umsatz unmittelbar vor der Betriebsschließung abzustellen, und sei es am letzten Tag davor. Der Sinn und Zweck der Vereinbarung einer Taxe träte hier letztlich vollständig zurück.

(3) Zu den insoweit wesentlichen Umsatzzahlen der Klägerin im Sinne einer Gewinn- und Verlustrechnung trägt die Beklagte im Übrigen nicht vor. Insbesondere geht sie nicht auf die substantiiert vorgetragenen Umsatzzahlen der Klägerin (Bl. 73 d.A.) ein. Einfaches Bestreiten der darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten genügt insoweit nicht.

c) Hinsichtlich des geltend gemachten Warenschadens ist nach § 6 lit. a) Versicherungswert der Betrag, der aufzuwenden ist, um Sachen gleicher Art und Güte wiederzubeschaffen oder sie neu herzustellen; maßgebend ist der niedrigere Betrag. Gemäß § 7 Ziffer 1 ist für die Berechnung des Ersatzwertes der Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles maßgebend.

Vorliegend konnte die Klägerin aufgrund der glaubhaften und überzeugenden Angaben des Geschäftsführers in der mündlichen Verhandlung vom 31.07.2020 sowie anhand der Anlage K 5 beweisen, dass ihr ein Warenschaden in Höhe von 3.169,86 € netto (vgl. § 7 Ziffer 1 S. 3) entstanden ist.

5. Die Entschädigungspflicht der Beklagten entfällt auch nicht gemäß § 21 lit. a) we gen Schadensersatzansprüchen auf Grund öffentlichrechtlichen Entschädigungsrechts. Auch Kurzarbeitergeld sowie die Liquiditätshilfen von Bund und Freistaat Bayern muss sich die Klägerin nicht anspruchsmindernd anrechnen lassen.

a) Vorliegend ist der Einwand hinsichtlich eines möglichen Schadensersatzanspruchs auf Grund öffentlichrechtlichen Entschädigungsrecht bereits deshalb nicht durchgreifend, weil die Beklagte das Bestehen solcher Ansprüche größtenteils lediglich allgemein und damit unsubstantiiert behauptet, ohne zu den tatsächlichen Voraussetzungen vorzutragen (vgl. Bl. 37 ff., 132 d.A.). Sie ist hierfür jedoch darlegungsund beweispflichtig. Die Klägerin ist lediglich nach § 138 Abs. 2 ZPO gehalten, zu entsprechend konkretem und substantiiertem Vortrag der Beklagtenseite Stellung zu nehmen. Die Beklagte ist auch in der Lage, sich zu in Betracht kommenden Ansprüchen substantiiert zu äußern. Öffentlichrechtliche Entschädigungsansprüche ergeben sich aus Gesetzen, Verordnungen und Richtlinien. Es handelt sich um Rechtsvorschriften, die nicht durch ein Sachverständigengutachten (so wie von der Beklagten zum Beweis angeboten) erst ermittelt werden müssen. Die Beklagte wäre in der Lage gewesen, konkret vorzutragen.

Ergänzend sei angemerkt, dass das Landgericht Hannover nach Prüfung der entsprechenden Anspruchsgrundlagen hinsichtlich der in § 21 lit. a) ausdrück lich genannten öffentlichrechtlichen Entschädigungsansprüche schon zu dem Ergebnis kam, dass solche Ansprüche nicht bestehen (LG Hannover, Urteil vom 09.07.2020, Az.: 8 O 2/20). Ebenso entschied jüngst das Landgericht Berlin (LG Berlin, Urteil vom 13.10.2020, Az.: 2 O 247/20).

b) Auch Kurzarbeitergeld sowie die Liquiditätshilfen von Bund und Freistaat Bayern sind nicht anspruchsmindernd anzurechnen.

aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gibt es im Versicherungsrecht kein allgemeines Bereicherungsverbot (BGH, Urteil vom 18.02.2004, Az.: IV ZR 94/03, Rn. 21 - zitiert nach juris; BGH, Urteil vom 04.04.2001, Az.: IV ZR 138/00, Rn. 13; BGH, Urteil vom 08.11.1995, Az.: IV ZR 365/94, Rn. 17 f.). Zum Schutz des Versicherers bedarf es keines allgemeinen Bereicherungsverbots, da dieser in der Lage ist, seine Interessen durch sachgerechte Risikoprüfung und Vereinbarung in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen zu wahren (Armbrüster in Prölss/Martin, VVG, 30. Aufl. 2018, vor § 74 Rn. 25 m.w.N.).

bb) Nach § 95 Nr. 1 SGB III haben Arbeitnehmer und nicht der Arbeitgeber unter bestimmten persönlichen und betrieblichen Voraussetzungen einen Anspruch auf Kurzarbeitergeld. Das Kurzarbeitergeld schützt mithin die Arbeitnehmer, nicht die Unternehmer. Auch wenn die Beklagte zu Recht anführt, dass der Arbeitgeber - sofern man ihm das Betriebsrisiko gemäß § 615 S. 3 BGB für eine flächendeckende Betriebsschließungen zuweisen möchte - von einer Entgeltfortzahlung (teilweise) befreit wird (Bl. 131 d.A.), übersieht sie, dass das Kurzarbeitergeld bereits begrifflich nicht zu den Entschädigungsansprüchen zählt, auf die § 21 lit. a) Bezug nimmt. Es handelt sich nicht um einen Schadensersatzanspruch der Klägerin.

cc) Für die Liquiditätshilfen des Bundes sowie des Freistaates Bayern gilt entsprechendes. Nach der maßgeblichen Richtlinie für die Unterstützung der von der Corona-Virus-Pandemie (SARS-CoV-2) geschädigten Unternehmen und Angehörigen Freier Berufe („Soforthilfe Corona“) in der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie vom 17. März 2020, Az.: 52-3560/33/1 (BayMBl. 2020 Nr. 156) erfolgt die Finanzhilfe gerade ohne Rechtsanspruch im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel (Satz 2 der Einführung). Auch auf die Corona-Hilfsmaßnahmen des Bundes besteht kein Rechtsanspruch. Weiterhin handelt es sich ersichtlich nicht um „Schadensersatz auf Grund öffentlichrechtlichen Entschädigungsrechts“. Es geht bei diesen Maßnahmen um eine Hilfe zur Überwindung kurzfristiger Liquiditätsengpässe, mithin um eine Konjunkturhilfe, welche nicht als Schadenskompensation unter die einschlägige Bestimmung der vorliegenden Versicherungsbedingungen fällt.

Damit kommt es bereits aus Rechtsgründen nicht auf den Bezug beziehungsweise die tatsächliche Höhe des Kurzarbeitergeldes oder etwaiger Corona-Hilfen der Klägerin an.

II.

Keinen Anspruch hat die Klägerin gem. §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 BGB auf Ersatz ihrer vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Insoweit war die Klage abzuweisen.

Ein Verzug der Beklagten lag zum Zeitpunkt der Beauftragung nicht vor. Zum Zeitpunkt des 03.04.2020 war die gesamte geforderte Versicherungsleistung gem. § 20 Ziffer 1 noch nicht fällig, zumal das Schreiben der Beklagten vom 03.04.2020 von der Klägerin nicht als das letzte Wort aufzufassen war, mithin keine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung im Sinn des § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB darstellt. Damit wirkte erst das anwaltliche Schreiben vom 15.04.2020 verzugsbegründend. Die Kosten der den Verzug begründenden Erstmahnung kann die Klägerin indes nicht vom Schuldner ersetzt verlangen (BGH, NJW 1985, 320, 324).

III.

Der geltend gemachte Zinsanspruch beruht auf §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. § 187 Abs. 1 BGB analog.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, diejenige der vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 S. 1 und S. 2 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in § 48 Abs. 1 S. 1 GKG i.V.m. §§ 3, 4 Abs. 1 Hs. 2 ZPO.

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