Beschluss vom Oberlandesgericht Celle (3. Strafsenat) - 3 Ss 48/20

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stade vom
8. Juli 2020 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Stade zurückverwiesen.

Gründe

I.

1

Der Verteidiger des Angeklagten hat gegen das Urteil des Landgerichts Stade vom 8. Juli 2020 Berufung eingelegt und diese zunächst nicht beschränkt. Auf Schreiben des Landgerichts Stade vom 4. November 2019, in welchen das Landgericht mitgeteilt hatte, dass es Veranlassung sehe, die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB zu prüfen und dem Angeklagten Gelegenheit zur Stellungnahme bezüglich der Person des zu bestellenden Sachverständigen gegeben hatte, hat der Verteidiger mit Schreiben vom 28. November 2019 die „Nichtanwendung des § 64 StGB von der Anfechtung des Urteils ausgenommen“. Im Rahmen der Berufungshauptverhandlung am 8. Juli 2020 hat der Verteidiger des Angeklagten die Berufung sodann auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.

2

Das Amtsgericht Stade hatte den Angeklagten am 17. Juli 2019 wegen Diebstahls in vier Fällen sowie wegen Beleidigung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung dieser Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt. Dem Schuldspruch liegen folgende Feststelllungen zugrunde:

3

1. „Am 02.11.2018 konsumierte der Angeklagte 5 bis 6 Bier. Um an mehr Alkohol zu gelangen betrat der Angeklagte das Ladengeschäft der Firma K. in S. Er nahm Pistazien und zwei Packungen à vier Flaschen Schnaps „K. W.“ an sich und steckte sich diese in den Ärmel, um die Ware im Wert von insgesamt 13,37 € für sich zu verwenden.

4

2. Im Rahmen der Sachverhaltsaufnahme zu Ziffer 1. betitelte der Angeklagte den hinzugerufenen Polizeibeamten PK T. als „Nigger“ und diesen sowie den ebenfalls hinzugerufenen PK Z. als „Fotzenlecker“, um diese so in ihrer Ehre zu verletzen.

5

3. Am 16.11.2018 betrat er gemeinsam mit einem Bekannten die Filiale der Firma R. in S. und nahm eine Flasche O. Korn im Wert von 4,89 € an sich und steckte diese in seine Jackentasche. So passierte er den Kassenbereich, um die Flasche für sich zu verwenden. Zum Tatzeitpunkt hatte der Angeklagte eine Atemalkoholkonzentration von 0,93 Promille.

6

4. Am 11.02.2019 konsumierte der Angeklagte aufgrund eines Streites mit seiner Freundin eine halbe Flasche Wodka. Anschließend begab er sich in das Ladengeschäft der Firma A. in S., um dort Bier zu kaufen. Die Kassiererin weigerte sich, dem Angeklagten das Bier zu verkaufen und erteilte diesem Hausverbot. Die Polizeibeamten PK T. und PK’in M. wurden sodann hinzugerufen und forderten den Angeklagten auf, die Filiale des A. Marktes zu verlassen. Der Angeklagte sagte daraufhin zu den Zeugen: „fickt Euch“, um diese in ihrer Ehre zu verletzen.

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5. Der Zeuge T. forderte den Angeklagten im Anschluss an das Geschehen zu Ziffer 4. erneut auf, das Ladengeschäft zu verlassen und brachte diesen schließlich zu Boden. Sodann geleitete der Zeuge den Angeklagten aus dem A. Markt. Auf dem Parkplatz vor dem Markt äußerte der Angeklagte gegenüber den Polizeibeamten erneut: „fickt Euch“, um diese so in ihrer Ehre zu verletzen.

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6. Am 21.04.2019 konsumierte der Angeklagte erneut Alkohol und in diesem Fall auch Kokain. Der Angeklagte war schon seit längerem in Besitz eines kleinen Notfallhammers, den er an diesem Morgen wiederfand. Mit dem Hammer begab er sich zu dem Parkplatz vor der Spielothek in S. Er schlug dort zunächst eine Scheibe auf der rechten Seite eines dort packenden schwarzen B. des Geschädigten M., ein und entnahm aus diesem ein Mobiltelefon, ein Navigationsgerät, eine Handtasche sowie eine Brille inklusive einer roten Brillentasche, im Gesamtwert von ca. 200 €, um die Gegenstände, wie von Anfang an geplant, für sich zu verwenden.

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7. Anschließend begab er sich zu dem, auf der Straße, nahe der Spielothek geparkten B., amtliches Kennzeichen XXX-XX XXX. auch hier schlug er mit dem mitgebrachten Notfallhammer die Seitenscheibe ein und nahm die Geldbörse (inklusive Inhalt, Bankcard und Personalausweis) der Zeugen S., sowie einen alten Regenschirm und Leergut im Wert von ca. 9,50 € an, um das Stehlgut, im Gesamtwert von unter 25 €, wie geplant für sich zu verwenden. Der Angeklagte wurde mit der Leerguttüte in der Hand noch am Fahrzeug von der Zeugen S. überrascht und flüchtete. Die Zeugin folgte dem Angeklagten. Der Angeklagten nannte die Zeugin sodann „Schlampe“ und sagte zu ihr, sie sei hässlich und er würde wiederkommen. Seitdem hat die Zeugin große Angst vor dem Angeklagten.

10

Das Diebesgut wurde anschließend in der Nähe der Spielothek aufgefunden.“

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Weiter hatte das Amtsgericht festgestellt, dass sämtliche „Taten aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen wurden, der Angeklagte erheblich vorbestraft ist, unter anderem sieben Mal wegen Diebstahls, auch mit Waffen, wiederholt auch wegen Raubes bzw. schweren Raubes, schwerer räuberischen Erpressung sowie mehrfach auch wegen Körperverletzung, der Angeklagte seit vielen Jahren Betäubungsmittel wie Kokain, Cannabis und Heroin konsumiert und abhängig ist, bereits zwei Mal gemäß § 64 StGB untergebracht war, aktuell an einer Depression leidet, eine Entgiftungstherapie anstrebt und „nunmehr wieder vermehrt Betäubungsmittel“ konsumiert. Das Amtsgericht ging von einer uneingeschränkten Schuldfähigkeit des Angeklagten aus.

12

Zu der Frage, ob die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten eingeschränkt und die Strafrahmen gemäß §§ 21, 49 StGB zu mildern waren bzw. ob die Steuerungsfähigkeit und damit die Schuldfähigkeit des Angeklagten gar aufgehoben waren, verhalten sich die Urteilsgründe nicht. Gleiches gilt bzgl. der Frage, ob der Angeklagte erneut gemäß § 64 StGB in einer Entziehungsanstalt unterzubringen war.

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Den Inhalt der schriftlichen Erklärung des Verteidigers vom 28. November 2019, die Ausklammerung der Nichtanwendung der Unterbringung des Angeklagten nach § 64 StGB von seinem Berufungsangriff, hat die Vorsitzende in der Berufungshauptverhandlung am 8. Juli 2020 in Anwesenheit des Angeklagten im Rahmen ihres Vortrages über die Ergebnisse des bisherigen Verfahrens mitgeteilt. Der vom Verteidiger erklärten Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch hat der Vertreter der Staatsanwaltschaft zugestimmt.

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Das Landgericht Stade hat durch Urteil vom 8. Juli 2020 das Urteil des Amtsgerichts Stade im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben und den Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten verurteilt. Die Vollstreckung dieser Strafe wurde wiederum nicht zur Bewährung ausgesetzt. Eine Entscheidung darüber, dass es damit zugleich die weitergehende Berufung des Angeklagten verwirft, dessen Verteidiger im Rahmen der Berufungshauptverhandlung angetragen hatte, den Angeklagten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten zu verurteilen, die Vollstreckung dieser Strafe zur Bewährung auszusetzen und dem Angeklagten eine Therapieweisung zu erteilen, hat es im Tenor jedenfalls nicht getroffen.

15

Das Landgericht Stade hat die vor Beginn der Hauptverhandlung abgegebenen Erklärung des Verteidigers, die Nichtanwendung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt von seinem Rechtsmittelangriff auszunehmen und die später im Rahmen der Hauptverhandlung erfolgte Erklärung, die Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch zu beschränken, für rechtswirksam erachtet. Es ist aufgrund dessen davon ausgegangen, dass „der Schuldspruch und die ihm zugrundeliegenden Feststellungen des Urteils erster Instanz in Rechtskraft erwachsen sind“ und hat auf die Feststellungen Bezug genommen.

16

Das Landgericht Stade hat „ergänzend zum Rechtsfolgenausspruch“ unter anderem folgende Feststellungen zur Person des Angeklagten getroffen: Der Bundeszentralregisterauszug vom 8. Juni 2020 des nunmehr 35-jährigen Angeklagten enthält 28 Eintragungen. Der Angeklagte hat seit seiner Jugend Betäubungsmittel, insbesondere Marihuana, Kokain und Heroin konsumiert. Seit seinem 14. Lebensjahr ist das Leben des Angeklagten von „Straffälligkeit, Freiheitsentzug, Versuchen, die Suchterkrankungen zu bewältigen und Rückfällen geprägt“. Neben Details zu einzelnen Vorstrafen hat das Landgericht Stade weiter festgestellt, dass erstmals gegen den Angeklagten mit 18 Jahren die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und diese sodann am 15. Juni 2004 für erledigt erklärt worden war. Nachdem in der Folgezeit, so das Landgericht weiter, wiederholt Freiheitsstrafen gegen den Angeklagten vollstreckt wurden, erfolgte dessen letzte vom Bundeszentralregisterauszug erfasste Verurteilung am 17. Januar 2017 unter anderem wegen räuberischen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren. Zugleich wurde gegen den nunmehr 31 Jahre alten Angeklagten erneut die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Diese wurde am 24. Oktober 2017 nach deren „Fehlschlagen“ beendet. Im Spätsommer 2019 hat der Angeklagte eine Entgiftung durchgeführt, konsumierte danach aber erneut Cannabis. Dass die Unterbringungen bzw. die Entgiftung nicht zum Erfolg geführt haben, führt der Angeklagte darauf zurück, dass er für die Therapien zu jung war. Aktuell wünscht sich der Angeklagte, der neben der Suchterkrankung auch unter einer ärztlich attestierten Depression leidet, eine Therapie. Am 23. Juni 2020 wurde der Angeklagte durch das Landgericht Hamburg zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Strafe wurde nicht zur Bewährung ausgesetzt, das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Letztmalig wurde der Angeklagte am 30. Juni 2020 durch das Amtsgericht Stade zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt. Die Vollstreckung dieser Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Das Urteil ist rechtskräftig, die schriftlichen Urteilsgründe lagen zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung noch nicht vor. Zum Zeitpunkt sämtlicher Taten litt der Angeklagte an einer Depression und trank täglich ca. eine Flasche Wodka und nahm neben weiteren Drogen täglich mindestens 1 1/2 bis 2 g Kokain.

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Das sachverständig nicht beratende Landgericht ist „infolge des regelmäßigen erheblichen Alkohol-und Drogenkonsums (…) bei den Tatausführungen“ von einer erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit des Angeklagten und bei der Strafzumessung von einem hinsichtlich aller Taten gemäß den §§ 21, 49 StGB geminderten Strafrahmen ausgegangen“. Eine günstige Sozialprognose im Sinne von § 56 Abs. 1 StGB vermochte das Landgericht dem Angeklagten nicht zu stellen; zwar sei er, so das Landgericht, bemüht, für sich eine Therapie zu organisieren, in der er sowohl an seiner Suchterkrankung als auch an seiner Depression arbeiten könne. Gleichwohl konsumiere der Angeklagte nach wie vor regelmäßig Alkohol. Zwei Unterbringungen in einer Entziehungsanstalt und eine Zurückstellung der Strafvollstreckung zum Zwecke der Therapie seien erfolglos verlaufen. Die Bemühungen des betäubungsmittelbedingt straffälligen Angeklagten um eine Therapie seien im Rahmen der Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes förderungswürdig. Der aktuelle Stand dieser Bemühungen reiche aber nicht, um die Prognosewirkung der gegen den Angeklagten sprechenden Umstände ausreichend zu entkräften und ihm eine positive Sozialprognose zu stellen. Die Prüfung der Voraussetzungen einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt habe dieser dem Gericht durch die wirksame Beschränkung seines Rechtsmittels entzogen.

18

Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten und nicht beschränkten Revision. Er rügt unter anderem, dass das Landgericht von einer Verminderung der Schuldfähigkeit ausgegangen sei und gleichwohl im Fall der Tat zu Ziff. 6 ein Regelbeispiel als erfüllt angesehen und damit auf den Strafrahmen des § 243 Abs. 1 Satz 1 StGB zurückgegriffen habe. Im Übrigen rügt er lückenhafte Feststellungen im Hinblick auf die unterbliebene Strafaussetzung.

19

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen. Eine Gegenerklärung des Angeklagten ist nicht erfolgt.

II.

20

Die zulässig eingelegte Revision des Angeklagten führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des Urteils des Landgerichts Stade durch Beschluss, § 349 Abs. 4 StPO. In sachlich-rechtlicher Hinsicht ist anzumerken, dass die erklärte Beschränkung der Berufung „auf den Rechtsfolgenausspruch“ (unter Ausschluss der Überprüfung der unterbliebenen Nichtanordnung einer Maßregel der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB und damit die Beschränkung auf den Strafausspruch) im vorliegenden Verfahren nicht zulässig ist, weil die lückenhaften Feststellungen im Urteil des Amtsgerichts Stade den Schuldspruch nicht tragen. Bereits aus den Gründen des Urteils des Amtsgerichts Stade ergibt sich, dass dieses Gericht unter Verletzung seiner Aufklärungspflicht die Prüfung unterlassen hat, ob der Angeklagte die ihm zur Last gelegten Taten im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) oder verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) begangen hat (vgl. nachfolgend 1.) und ob in Konsequenz dessen erneut die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB anzuordnen war. Insoweit weist der Senat darauf hin, dass Richter nach Art. 97 GG zwar unabhängig, aber dem Gesetz unterworfen sind. Die Umwandlung des § 64 StGB von einer Muss- in eine Sollvorschrift durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl I 1327) entbindet auch Amtsgerichte nicht von der Prüfung dieser Vorschrift. Diese freiheitsentziehende Maßregel kann anders als diejenigen der §§ 63 und 66 StGB nach §§ 24 Abs. 1 Nr. 2, 74 Abs. 1 GVG auch vom Amtsgericht und funktional sowohl durch den Strafrichter als auch durch das Schöffengericht angeordnet werden. Aus Art. 97 GG und aus der gesetzlichen Regelung des § 64 StGB leitet sich die Verpflichtung vielmehr aller Tatgerichte ab, die Frage der Unterbringung eines Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB in den hierzu Anlass gebenden Fällen zu prüfen. § 64 StGB eröffnet ein sogenanntes „gebundenes Ermessen“. Die Vorschrift ist so zu verstehen, dass das Gericht grundsätzlich eine Unterbringung anordnen „soll“, wenn die Voraussetzungen des § 64 StGB vorliegen und lediglich in besonderen Ausnahmefällen von einer solchen Anordnung abgesehen werden darf (vgl. BT-Drs. 16/5137, S. 10; BGH v. 13. November 2007 – 3 StR 452/07, NStZ-RR 2008, 73, 74).

21

Die fehlerhafte Verfahrensführung durch das Amtsgericht hat auf Seiten des Landgerichts weitere, für derartige Verfahrenskonstellationen typische und verstärkt festzustellende Verfahrensfehler zur Folge gehabt. Aus diesem Grunde sieht der Senat Veranlassung, auch hierauf näher einzugehen, wenngleich bereits die vorstehend unter 1. aufgezeigten Rechtsfehler zur Aufhebung des Urteils führen. So hat das Landgericht u.a. nicht bedacht, dass die schriftliche Erklärung des Verteidigers vom 28. November 2019 eine Teilrücknahme darstellt, für deren Zulässigkeit es nach § 302 Abs. 2 StPO einer besonderen Ermächtigung bedarf, und dass die Ausklammerung der Frage der Unterbringung eines Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB vom Berufungsangriff unter Beschränkung der Berufung auf den verbleibenden Strafausspruch aufgrund der Wechselwirkung zwischen dieser Maßregel sowie dem Strafausspruch nicht zulässig ist. In Fällen der vorliegenden Art, in denen durch das Amtsgericht eine Freiheitsstrafe von „lediglich“ einem Jahr verhängt wurde, kann die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB aufgrund der hier stets gegebenen Wechselwirkung zwischen Strafe einerseits und Maßregel andererseits nicht vom Berufungsangriff ausgenommen werden (vgl. nachfolgend 2.). Wenngleich es stets auf die Besonderheiten des Einzelfalles ankommt, dürfte dies für alle Fälle gelten, in denen die voraussichtliche Dauer der Unterbringung die Höhe der begleitenden Freiheitsstrafe erheblich übersteigt.

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1. Das Urteil des Landgerichts Stade vom 8. Juli 2020 und die diesem Urteil zum Schuldspruch zugrundeliegenden Feststellungen im Urteil des Amtsgerichts Stade vom 17. Juli 2019 begegnen bereits durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Feststellungen in Urteil des Amtsgerichts Stade sind lückenhaft. Das Landgericht Stade hat dies nicht bedacht und ist rechtsfehlerhaft von einer wirksamen Beschränkung der Berufung ausgegangen.

23

a) Der Senat hatte von Amts wegen zu prüfen, ob die Beschränkung der Berufung wirksam war. Auf eine wie hier zulässige Revision hat das Revisionsgericht unabhängig von der Frage einer sachlichen Beschwer des Rechtsmittelführers stets zu prüfen, ob das Landgericht über alle Teile des amtsgerichtlichen Urteils entschieden hat, die seiner Prüfungskompetenz unterlagen (vgl. LR-StPO/Franke, 26. Aufl., § 337 Rn. 37; Meyer-Goßner/Schmitt StPO, 63. Auflage, § 352 Rn. 4). Diese Prüfung durch das Revisionsgericht erfolgt im Freibeweisverfahren (vgl. KK-StPO/Gericke, 8. Aufl. § 349 Rn. 10). Dabei konnte der Senat seiner Prüfung den Inhalt der Verfahrensakten zugrunde legen. Der Einholung von Stellungnahmen, wie etwa einer Stellungnahme des Verteidigers bedurfte, es vorliegend nicht.

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b) Beschränkungen der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch - auch unter Ausnahme der unterbliebenen Nichtanordnung einer Maßregel nach § 64 StGB wie hier - sind grundsätzlich zulässig. Hiervon ist auch das Landgericht Stade ausgegangen. Derartige Beschränkungen bewirken, dass der vom Berufungsangriff ausgenommene Teil des Ersturteils nach § 316 Abs. 1 StPO bestandskräftig wird und in Teilrechtskraft erwächst. Mithin kann nur noch der angefochtene Teil dem Berufungsgericht zur erneuten tatrichterlichen Kognition und Entscheidung unterbreitet werden; der Überprüfung durch das Berufungsgericht unterliegt das Urteil nur, soweit es angefochten wird, § 327 StPO. Über den im Eröffnungsbeschluss umschriebenen und zugleich begrenzten Prozessgegenstand wird in Fällen der hier vorliegenden Art in zwei tatrichterlichen Urteilen entschieden, die zwar stufenweise nacheinander ergehen, sich indes gleichwohl zu einer einheitlichen, das Verfahren abschließenden Sachentscheidung zusammenfügen müssen (BGH v. 27. April 2017 – 4 StR 547/16, NZV 2017, 433, 434; BGH v. 2. März 1995 – 1 StR 595/94, BGHSt 41, 57, 59; BGH v. 22. Juli 1971 – 4 StR 184/71, BGHSt 24, 185, 187 f.). Da diese aus zwei Erkenntnissen zusammengefügte Sachentscheidung nur dann als ein einheitliches Ganzes gelten kann, wenn sie keine Widersprüche aufweist, hat das Berufungsgericht bei seiner Neufeststellung und Beurteilung des angefochtenen Teils der Vorentscheidung die für deren nicht angegriffenen Teil bedeutsamen Tatsachen – so wie in der Vorinstanz festgestellt – zugrunde zu legen. Neue Feststellungen darf es nur insoweit treffen, wie diese hierzu nicht in Widerspruch treten (BGH v. 27. April 2017 – 4 StR 547/16, NZV 2017, 433, 434; BGH v. 6. Juli 2012 – AnwSt (R) 4/12, NStZ-RR 2013, 91). Aus diesem Grunde sind Rechtsmittelbeschränkungen nur zulässig, wenn der nach dem Willen des Rechtsmittelführers neu zu verhandelnde Entscheidungsteil losgelöst vom übrigen Urteilsinhalt selbständig geprüft und beurteilt werden kann (st. Rspr.; vgl. BGH v. 27. April 2017 – 4 StR 547/16, NZV 2017, 433, 434; BGH v. 22. Juli 1971 – 4 StR 184/71, BGHSt 24, 185, 187 f.) Der nicht angegriffene Teil der Vorentscheidung muss so festgestellt und bewertet sein, dass er – unabänderlich und damit bindend geworden – eine hinreichend tragfähige Grundlage für eine eigenständige Entscheidung des Berufungsgerichts zu bieten vermag (vgl. BGH v. 27. April 2017 – 4 StR 547/16, NZV 2017, 433, 434). Umgekehrt scheidet eine Rechtsmittelbeschränkung aus, wenn die dem Schuldspruch des nicht angefochtenen Teils des Urteils zugrundeliegenden Feststellungen unklar, lückenhaft, widersprüchlich oder so dürftig sind, dass sich Art und Umfang der Schuld nicht in dem zur Überprüfung des Strafausspruchs notwendigen Maße bestimmen lassen (vgl. BGH v. 2. Dezember 2015 – 2 StR 258/15, StV 2017, 314, 315; BGH v. 4. November 1997 – 1 StR 273/97, BGHSt 43, 293, 300).

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c) Gemessen an diesen Maßstäben konnte das Urteil des Landgerichts Stade vom 8. Juli 2020 keinen Bestand haben. Das Landgericht hat verkannt, dass der Schuldspruch des Urteils des Amtsgerichts Stade und die diesen tragenden Feststellungen keine hinreichend tragfähige Grundlage für eine eigenständige Entscheidung für die Strafzumessung bieten. Nach dem verfassungsrechtlich verankerten Schuldprinzip setzt die Verhängung von Kriminalstrafe Schuld voraus, sie ist nach § 46 Abs. 1 StGB Grundlage der Strafzumessung. Die Feststellungen im Urteil müssen den Schuldspruch tragen. Belegen die Feststellungen zwar, dass der Angeklagte die Taten begangen hat, ergeben sich indes Zweifel an seiner Schuldfähigkeit, ist eine Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch bereits unwirksam, wenn sich das Gericht – hier das der 1. Instanz – mit dieser Frage nicht auseinandergesetzt hat (vgl. hierzu BGH v. 20. September 2002 – 2 StR 335/02, NStZ-RR 2003, 18; BGH v. 10. Januar 2001 – 2 StR 500/00, BGHSt 46, 257, 259; OLG Köln vom 20.09.1988 - Ss 474-478/88, NStZ 1989, 24). Zwar betrifft die Frage der Alkoholisierung und deren Grad vielfach allein die Rechtsfolgenfrage und kann in diesen Fällen vom Schuldspruch getrennt beurteilt werden. Anders verhält es sich hingegen, wenn der Zustand des Angeklagten aufgrund der Einnahme berauschender Mittel derart beeinträchtigt ist, dass er ohne Schuld gehandelt haben könnte.

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So liegt der Fall hier. Das Amtsgericht Stade hatte in seinem Urteil festgestellt, dass der nunmehr seit vielen Jahren“ von „Cocain, Cannabis und Heroin“ abhängige Angeklagte, der in der Vergangenheit wiederholt nach § 64 StGB in einer Entziehungsanstalt untergebracht war und der zum Zeitpunkt dieser Taten „wieder vermehrt Betäubungsmittel“ wie Kokain, Cannabis und Heroin konsumierte, unter einer Depression litt und sämtliche Taten aufgrund seiner Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hat. Das Amtsgericht hatte weiter festgestellt, dass der Angeklagte vor Begehung der Tat zu Ziff. 1. bereits5 bis 6 Bier“ getrunken hatte und „um an mehr Alkohol zu gelangen“ 2 Packungen à vier Flaschen Schnaps „K. . entwendet, im Fall zu Ziff. 3. eine Flasche O. Korn gestohlen hat, um diese „für sich zu verwenden“, vor den Taten zu Ziff. 4. und 5. eine halbe Flasche Wodka bzw. im Fall der Taten zu Ziff. 6. und 7. „Alkohol und in diesem Fall auch Kokain“ getrunken bzw. konsumiert hat. Das Urteil stellt in den Fällen zu den Ziff. 1. und 2. lediglich die Anzahl der Flaschen, nicht indes deren Größe bzw. Volumen und damit auch nicht die Menge an Bier und in den Fällen zu Ziff. 7. und 8. lediglich „Alkohol“ und damit eine unbestimmt gebliebene Menge Alkohol fest, bei der es sich aufgrund der Alkoholabhängigkeit des Angeklagten auch hier um eine große Menge Alkohol gehandelt haben könnte. Das Urteil verhält sich weiter nicht dazu, ob der Angeklagte vor den Taten zu den Ziff. 1. bis 5. auch Betäubungsmittel konsumiert hat. Feststellungen hierzu wären indes vor dem Hintergrund erforderlich gewesen, dass das Urteil feststellt, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der Taten „wieder vermehrt Betäubungsmittel“ wie Kokain, Cannabis und Heroin konsumiert und „sämtliche Taten“ aufgrund seiner Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hat. Das Urteil verhält sich auch nicht zu Größe und Gewicht des Angeklagten bzw. zu dessen Konstitution, Faktoren die für den Grad seiner Alkoholisierung von Bedeutung sind. Offen lässt das Urteil weiter, wie sich die Kombination von Alkohol und Betäubungsmittel – in den Fällen zu den Ziff. 6. und 7. ist sie festgestellt – sowie Depressionen auf die Handlungen des Angeklagten ausgewirkt haben. Nicht ausschließbar könnte der Angeklagte in den Fällen der Ziff. 1. und 2. drei Liter Bier und damit ebenso wie in den Fällen zu Ziff. 4. und 5. eine Blutalkoholkonzentration von deutlich über 2 Promille zur Tatzeit aufgewiesen haben. Diese Annahme beruht auf dem senats- und allgemeinkundigen durchschnittlichen Alkoholgehalt von Wodka in Höhe von 40 Volumenprozent und Bier in Höhe von 5 Volumenprozent bzw. den gängigen Flaschengrößen für diese Arten von Alkohol. Hinzu kommt weiter, dass der Angeklagte nach den Feststellungen im Urteil des Amtsgerichts Stade in den Fällen zu Ziff. 1., 3. und 4. unter dem Druck seiner Sucht gehandelt haben könnte.

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All diese Umstände drängen zur Prüfung der Frage, ob die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten in sämtlichen Fällen nicht erheblich vermindert bzw. in den Fällen der Ziff. 1. und 2. sowie 4. und 5. nicht gänzlich aufgehoben gewesen sein könnte. Wenn somit fraglich ist, ob der Angeklagte in diesen Fällen überhaupt schuldfähig war und dies auch in den Fällen der Ziff. 3., 6. und 7. aufgrund der durchgängigen Lücken in den Feststellungen des Urteils des Amtsgerichts Stade nicht ausgeschlossen werden kann, können diese Feststellungen keine hinreichend tragfähige Grundlage für eine eigenständige Entscheidung über den Strafausspruch durch das Landgericht Stade bieten. Eigene, den Schuldspruch tragende Feststellungen hat das Landgericht nicht getroffen. Das Urteil des Landgerichts Stade unterliegt bereits deshalb der Aufhebung.

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2. Das Landgericht hat weiter nicht bedacht, dass die schriftliche Erklärung des Verteidigers vom 28. November 2019, worin dieser die Überprüfung der Nichtanwendung der Unterbringung des Angeklagten nach § 64 StGB von seinem Berufungsangriff ausgenommen hat, eine Teilrücknahme darstellt, für deren Zulässigkeit es nach § 302 Abs. 2 StPO einer besonderen Ermächtigung bedarf, deren Vorliegen im hiesigen Verfahren indes nicht festgestellt werden kann. Weiter hat das Landgericht nicht berücksichtigt, dass die Ausklammerung der Frage der Unterbringung eines Angeklagten in einer Entziehungsanstalt vom Berufungsangriff unter Beschränkung der Berufung auf den verbleibenden Rechtsfolgenausspruch bei Vorliegen einer besonderen Ermächtigung und einem tragfähigen Schuldspruch zwar grundsätzlich möglich, hier jedoch aufgrund der Wechselwirkung zwischen dieser Maßregel sowie dem Strafausspruch nicht zulässig ist. Schließlich hat das Landgericht übersehen, dass es – selbst wenn vorliegend die Feststellungen im Urteil des Amtsgerichts den Schuldspruch getragen hätten und eine Teilrücknahme und damit eine Beschränkung der Berufung auf den Strafausspruch zulässig gewesen wäre – durch seine Feststellungen zum Grad der Alkoholisierung des Angeklagten einem zunächst tragfähigen Schuldspruch nachträglich die Grundlage entzogen hätte. Diese Feststellungen drängen ebenso wie die entsprechenden Feststellungen im Urteil des Amtsgerichts Stade zu der nicht ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen möglichen Prüfung, ob der Angeklagte im Einzelfall bzw. in sämtlichen Fällen ohne Schuld gehandelt hat. Es besteht eine unüberbrückbare Divergenz zwischen dem durch das Amtsgericht Stade ausgesprochenen Schuldspruch und den vom Landgericht Stade im Rahmen der Berufungshauptverhandlung „ergänzend zum Rechtsfolgenausspruch“ getroffenen Feststellungen.

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Insoweit weist der Senat auf folgende grundsätzliche und auf den Einzelfall bezogene Aspekte hin:

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a) Werden im Rahmen einer Berufung der Schuldspruch und damit – notwendigerweise – die diesen tragenden Feststellungen nicht angefochten, ist das Berufungsgericht nur befugt, solche Feststellungen zu treffen, die sich ausschließlich auf die Rechtsfolgenfrage beziehen. Hinsichtlich des nicht beanstandeten Schuldspruchs tritt Teilrechtskraft ein. Tatrichterliche Feststellungen, die ausschließlich die Schuldfrage betreffen sowie doppelrelevante, mithin zugleich die Schuld- als auch die Straffrage betreffende Feststellungen, bleiben aufrechterhalten und sind für das weitere Verfahren bindend (vgl. BGH v. 20. Juni 2017 – 1 StR 458/16, NJW 2017, 2847; BGH v. 10. Juni 2015 – 1 StR 217/15, BeckRS 2015, 13120; Kemper, Horizontale Teilrechtskraft des Schuldspruchs, 1993). Eine Bindung des Berufungsgerichts besteht dabei regelmäßig hinsichtlich solcher Sachverhaltsumstände, in denen die gesetzlichen Merkmale der dem Angeklagten zur Last gelegten Straftat gefunden wurden und darüber hinaus bzgl. solcher Bestandteile der Sachverhaltsschilderung, aus denen das erste Tatgericht – hier das Amtsgericht – im Rahmen der Beweiswürdigung seine Überzeugung von der Schuld des Angeklagten abgeleitet hat. Erfasst werden von der Bindungswirkung schließlich solche Umstände, die das Tatgeschehen im Sinne eines geschichtlichen Vorgangs näher beschreiben und die der Tatausführung ihr entscheidendes Gepräge gegeben. Bezogen auf all diese, den Schuldspruch tragenden Feststelllungen darf das Berufungsgericht keine neuen, widersprechenden Feststellungen treffen und seiner Entscheidung zugrunde legen. Dies gebietet der Grundsatz der Einheitlichkeit und der Widerspruchsfreiheit der Urteilsgründe, der unabhängig davon Gültigkeit hat, ob ein Urteil über die Schuld- und Straffrage gleichzeitig entscheidet, oder ob nach rechtskräftigem Schuldspruch die Strafe wie hier erst durch das Berufungsgericht festgesetzt wird (vgl. BGH v. 20. Juni 2017 – 1 StR 458/16, NJW 2017, 2847, 2848).

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b) Die Feststellung des Grades der Alkoholisierung, der die Voraussetzungen des § 21 StGB und damit die einer verminderten Schuldfähigkeit erfüllt, betrifft nach gefestigter Rechtsprechung nicht die Schuld-, sondern einzig die Rechtsfolgenfrage (vgl. BGHSt 16, 71, 72; Lackner/Kühl § 21 Rn. 1, Meyer-Goßner/Schmitt StPO, 63. Aufl., § 318 Rn. 17). Das Vorliegen bzw. der Umfang einer erheblicher verminderten Schuldfähigkeit ist bei einer wirksamen Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch durch das Berufungsgericht an Hand eigener Feststellungen und aufgrund eigener Würdigung zu beantworten (Meyer-Goßner, a. a. O., Rn. 16 ff.). Hat bereits das erstinstanzliche Gericht die Voraussetzungen nicht allein des § 21 StGB, sondern auch des § 20 StGB geprüft – was wie vorstehend unter 1. aufgezeigt das Amtsgericht Stade unterlassen hat - und dabei Feststellungen zur Blutalkoholkonzentration getroffen, besteht keine Bindung des Berufungsgerichtes an diese Feststellungen zum Grad der Alkoholisierung (vgl. BGH v. 14. April 1997 – 5 StR 24, 97, NStZ-RR 1997, 237). Es kann mithin abhängig vom Ergebnis seiner Beweisaufnahme wieder dieselben, dieselben und weitere, mithin „ergänzende“ oder aber auch abweichende und gänzlich andere Feststellungen treffen.

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c) Diesen Umstand hat das Landgericht, das von der Wirksamkeit der Beschränkung der Berufung auf den Strafausspruch ausgegangen ist, nicht in der gebotenen Trennschärfe berücksichtigt. So hat das Landgericht „ergänzend zum Rechtsfolgenausspruch“ weitere Feststellungen zur Abhängigkeit des Angeklagten von Betäubungsmitteln und Alkohol und dem Grad der Intoxikation zum Zeitpunkt der jeweiligen Taten unter anderem des Inhalts getroffen, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt sämtlichen Taten täglich ca. eine Flasche Wodka trank und neben weiteren Drogen mindestens 1 1/2 bis 2 g Kokain täglich konsumierte. Diese Feststellungen sind in mehrfacher Hinsicht lückenhaft.

33

aa) Lückenhaft sind die Feststellungen bereits insoweit, als durch die von Landgericht gebrauchte Formulierung „ergänzend zum Rechtsfolgenausspruch“ offen bleibt, ob das Landgericht bezüglich der von dem Angeklagten konsumierten berauschenden Mittel – was nach dem vorstehend Gesagten zulässig gewesen wäre – „gänzlich andere“, neue Feststellungen getroffen hat oder ob diese tatsächlich nur „ergänzend“ getroffen wurden und das Landgericht damit im Ergebnis festgestellt hat, dass der Angeklagte diese Mengen zusätzlich zu den bereits vom Amtsgericht festgestellten Mengen getrunken hat.

34

bb) Soweit das Landgericht die Feststellung getroffen hat, „dass der Angeklagte im Tatzeitraum bereits an einer Depression litt und täglich ca. eine Flasche Wodka und neben weiteren Drogen mindestens 1 1/2 bis 2 g Kokain konsumierte“, wäre es aufgrund dieser Menge gehalten gewesen, genaue Feststellungen zum Umfang des Konsums sowie zur körperlichen Konstitution des Angeklagten zu treffen um festzustellen zu können, ob der Angeklagte aufgrund der Menge seines Alkoholkonsums und in Verbindung mit dem Kokainkonsum noch steuerungs- bzw. schuldfähig war. So bleibt offen, welche Größe die tägliche Flasche Wodka hatte, insbesondere, ob es sich um eine 0,7 l Standardflasche gehandelt hat. In diesem Fall hätte der Angeklagte allein damit, was senats- und allgemeinkundig ist, täglich ca. 250 g reinen Alkohol konsumiert. Diese Menge kann bei einem durchschnittlich schweren Mann bereits zu einer Alkoholkonzentration von annähernd 4 Promille führen. Den Urteilsgründen kann nicht entnommen werden, dass dem Landgericht weitergehende Feststellungen nicht möglich gewesen wären. So geht aus den Urteilsgründen hervor, dass sich der Angeklagte zur Tat und auch zu den von ihm konsumierten Mengen an Alkohol bzw. Drogen eingelassen hat. Das Landgericht Stade hat nach alledem durch die von ihm „ergänzend zum Rechtsfolgenausspruch“ getroffenen Feststellungen zur Person und zum Grad der Alkoholisierung des Angeklagten dem Schuldspruch des Amtsgerichts Stade – seinerseits – die Grundlage entzogen. Nach den von ihm getroffen Feststellungen erscheint es möglich, dass der Angeklagte bedingt durch seine Alkohol- und Betäubungsmittelabhängigkeit ohne Schuld gehandelt hat. Bei dieser Sachlage hätte sich das Landgericht bereits aufgrund der ihm obliegenden Aufklärungspflicht des § 244 Abs. 2 StPO gedrängt sehen müssen, zur Prüfung dieser Frage einen Sachverständigen hinzuzuziehen.

35

Ergibt in Fällen dieser Art die abschließende Prüfung, dass ein Angeklagter entgegen dem erstinstanzlichen Urteil, das - anders als vorliegend - tragfähig davon ausgegangen ist, der Angeklagte sei voll- bzw. eingeschränkt schuldfähig, dass doch die Voraussetzungen des § 20 StGB erfüllt sein können, ist die Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch unwirksam (vgl. OLG Düsseldorf v. 31. August 1983 - 2 Ss439/83, NStZ 1984,90) und von dem Berufungsgericht in Durchbrechung der bisher angenommenen Teilrechtskraft als unbeachtlich zu behandeln. Das Berufungsgericht hat dabei die Wirksamkeit einer Berufungsbeschränkung stets von Amts wegen aus der Sicht des Ergebnisses der Beratung nach Abschluss der Beweisaufnahme, mithin „am Ende“ zu beurteilen (vgl. BGH v. 30. November 1977 – 1 StR 319/76, BGHSt 27, 70, 72; Meyer-Goßner/Schmitt, 63. Aufl., § 318 Rn 8).

36

d) Das Landgericht ist des Weiteren rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass die „Beschränkung der Berufung“ durch den Angeklagten auf den Rechtsfolgenausspruch unter gleichzeitigem Ausschluss der Überprüfung der unterbliebenen Anordnung einer möglichen Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB wirksam war. Das Landgericht hat nicht bedacht, dass in Fällen der vorliegenden Art die Strafzumessung sowie die Frage der Maßregelanordnung nach § 64 StGB rechtlich und tatsächlich nicht voneinander losgelöst beurteilt werden können. Mithin war auch die Beschränkung innerhalb des Rechtsfolgenausspruchs nicht zulässig. Insoweit ist formell und materiell Folgendes anzumerken:

37

aa) Die Erklärung des Verteidigers vom 28. November 2019, die Nichtanordnung der Maßregel nach § 64 StGB von seinem Rechtsmittelangriff auszunehmen sowie die im Rahmen der Berufungshauptverhandlung abgegebene Erklärung, die Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch zu beschränken, stellen jeweils eine Teilrücknahme dar. Der Verteidiger hatte das Urteil des Amtsgerichts Stade zunächst ohne Einschränkung angefochten und erst später, nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist des § 317 StPO, die Angriffsrichtung auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt. Ob eine solche, nach Berufungseinlegung erklärte Beschränkung als Teilrücknahme anzusehen ist, deren Zulässigkeit sich nach Maßgabe der §§ 302, 303 StPO bestimmt, hängt entscheidend vom Zeitpunkt der Erklärung ab. Erfolgt sie noch innerhalb der Wochenfrist des § 317 StPO, handelt es sich um eine Konkretisierung des Anfechtungsumfangs und damit um eine Beschränkung und nicht um eine Teilrücknahme bzw. einen Teilverzicht. Hingegen erst nach Ablauf der Berufungsbegründungfrist erklärte Beschränkungen sind als Teilrücknahme anzusehen, weil das Urteil nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist und ohne dass zuvor eine Beschränkung erfolgt war, als insgesamt bzw. als im Ganzen angefochten gilt (vgl. BGH vom 27. Oktober 1992 - 5 StR 517/92, NStZ 1993,96 und v 13. Juni 1991 - 4 StR 105/91, BGHSt 38, 4,5; OLG Koblenz v. 8. Februar 2000 - 1 Ss 5/00, NStZ-RR 2001, 247; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Auflage, § 302 Rn. 29).

38

bb) Das Vorliegen einer ausdrücklichen Ermächtigung durch den Angeklagten gemäß § 302 Abs. 2 StPO für die Rücknahme bzw. für Teilrücknahme der Berufung kann vorliegend lediglich hinsichtlich der Erklärung vom 8. Juni 2020 festgestellt werden, die Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch zu beschränken. Für die Erklärung vom 28. November 2019 gilt dies nicht. Eine entsprechende Ermächtigung ergibt sich nicht aus der bereits im Verfahren vor dem Amtsgericht Stade überreichten allgemeinen Verteidigervollmacht vom 25. Februar 2020. Zwar enthält diese auch die allgemeine Befugnis, „Rechtsmittel und Rechtsbehelfe einzulegen, ganz oder teilweise zurückzunehmen oder auf sie zu verzichten“. Solche zu Beginn bzw. im Rahmen eines erstinstanzlichen Verfahrens erteilte generelle Ermächtigungen reichen für eine „ausdrückliche Ermächtigung“ im Sinne von § 302 Abs. 2 StPO aber nicht aus (BGH v. 2. August 2000 - 3 StR 284/00, NStZ 2000,665; Meyer-Goßner/Schmitt StPO, 63- Auflage, § 302 Rn. 32; OLG Oldenburg v. 18. April 2000 - 1 Ws 197/99, NStZ-RR 2001, 246). Die Ermächtigung zur Rechtsmittelrücknahme muss sich vielmehr auf die Zurücknahme des gerade eingelegten Rechtsmittels beziehen (BGH aaO, KG v. 8. Januar 2015 - 4 Ws 128/14 - 141 AR 616/14, NJOZ 2015, 1967). Es kann auch nicht festgestellt werden, dass eine derartige Ermächtigung, für die eine bestimmte Form nicht vorgeschrieben ist, die mithin mündlich bzw. auch fernmündlich erteilt werden kann und für deren Nachweis die anwaltliche Versicherung des Verteidigers genügt (BGH v. 27. März 2019 - 4 StR 597/18, NStZ 2019,548 m.w.N. auf die Rspr.) später erteilt wurde und zum Zeitpunkt des Schreibens des Verteidigers vom 28. November 2019, in welchem dieser erklärte, er nehme die Nichtanwendung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt „namens und im Auftrage des Angeklagten“ von seinem Rechtsmittelangriff aus, vorlag. Derartige Formulierungen allein sind nicht geeignet, den Nachweis für das Vorliegen einer ausdrücklichen Ermächtigung zu erbringen. Es bedarf in diesen Fällen vielmehr regelmäßig im Rahmen des Freibeweises der auch noch nachträglich möglichen Klärung, ob eine ausdrückliche Ermächtigung tatsächlich vorlag (vgl. BGH v. 14. April 2010 - 1 StR 64/10, NJW 2010, 2294; OLG Hamm v. 2. Februar 2010 - 2 Ws 36/10, BeckRS 2010, 6145). Eine Klärung kann den Akten nicht entnommen werden. Ausgeschlossen werden kann weiter, dass die ausdrückliche“ Ermächtigung, die nicht rückwirkend (vgl. KK-StPO/Paul § 302 Rn. 22 m.w. N. auf die Rspr.), indes konkludent erteilt werden kann, dadurch erfolgt sein bzw. darin gesehen werden könnte, dass der Angeklagte auf den Vortrag der Vorsitzenden im Rahmen der Berufungshauptverhandlung, der Angeklagte habe die Nichtanwendung des § 64 StGB von seinem Berufungsangriff ausgenommen bzw. auf die Erklärung seines Verteidigers, die Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch zu beschränken, schwieg. Die Vorsitzende konnte den Angeklagten zur Teilrücknahme seines Rechtsmittels nicht ermächtigen. Der Verteidiger des Angeklagten hat eine Erklärung dieses Inhalts nicht abgeben. Die Erklärung, die Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch zu beschränken, lässt eine Überprüfung der Anordnung bzw. Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt zu. Ihre Anordnung ist zudem gemäß §§ 331 Abs. 2, 358 Abs. 2 StPO vom Verschlechterungsverbot ausgenommen.

39

Eine ausdrückliche Ermächtigung des Verteidigers zu der im Rahmen der Berufungshauptverhandlung erfolgten Teilrücknahme der Berufung und damit zu deren Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch hat der Angeklagte indes konkludent erteilt. Von einer konkludenten Ermächtigung des Verteidigers durch den Angeklagten ist auszugehen, wenn der in der Berufungshauptverhandlung anwesende Angeklagte zu der entsprechenden Erklärung seines Verteidigers schweigt (OLG Hamm v. 19. Februar 2019 - 5 RVs 23/19, BeckRS 2019, 5620; BeckOK-StPO/Cirener § 302 Rn. 1). So lag der Fall hier.

40

cc) Ob eine solche Ermächtigung vorlag, konnte das Landgericht indes offenlassen. Denn die Frage der Höhe der gegen den Angeklagten im Falle seiner Schuldfähigkeit zu verhängenden Gesamtfreiheitsstrafe kann vorliegend nicht losgelöst von der Frage der Unterbringung beurteilt werden. Zwar können Rechtsmittel auch innerhalb des Rechtsfolgenausspruchs auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt werden (vgl. §§ 318, 344 StPO). Die dabei in Betracht kommenden Konstellationen möglicher Beschränkungen sind vielfältig (vgl. KK-StPO/Paul, 8. Aufl., § 318 Rn. 1). Voraussetzung ist indes stets, dass der von dem Rechtsmittelangriff betroffene Beschwerdegegenstand nach dem inneren Zusammenhang des Urteils losgelöst von dessen nicht angefochtenem Teil rechtlich und tatsächlich selbstständig beurteilt werden kann. Soweit eine solche „Trennbarkeit“ gegeben ist, liegt kein Grund vor, eine getrennte Anfechtbarkeit nicht anzuerkennen. Die dem Rechtsmittelberechtigten in § 318 Satz 1 StPO bzw. § 302 StPO eingeräumte Verfügungsgewalt über den Umfang der Anfechtung gebietet es, den in dessen Rechtsmittelerklärung zum Ausdruck kommenden Gestaltungswillen im Rahmen des rechtlich Möglichen zu respektieren. Unter diesen Voraussetzungen darf das Rechtsmittelgericht daher diejenigen Entscheidungsteile nicht nachprüfen, deren Nachprüfung nicht begehrt wird (vgl. BGH v. 15. Mai 2001 - 4 StR 306/00, NJW 2001, 3134).

41

Wegen der Zweiteilung des strafrechtlichen Sanktionssystems in Strafen einerseits und Maßregeln der Besserung und Sicherung andererseits, wozu auch die freiheitsentziehenden Maßregeln, nämlich die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB, die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB sowie die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 StGB gehören, ist auch eine getrennte Anfechtung der neben einer (Begleit)Freiheitsstrafe verhängten Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB zulässig. Strafen - Haupt- wie Nebenstrafen - unterliegen dem sie begrenzenden Schuldgrundsatz und können nur gegen einen schuldfähigen Täter verhängt werden. Sie dienen dem Schuldausgleich, der Resozialisierung und der Prävention. Die Schuld des Täters ist nach § 46 Abs. 1 Satz 1 StGB Grundlage für die Zumessung der Strafe. Für Maßregeln der Besserung und Sicherung und damit auch für die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB gilt der Schuldgrundsatz indes nicht. Diese Maßregel dient gemäß § 64 S. 1 StGB in erster Linie dem Schutz der Allgemeinheit vor gefährlichen Tätern, wenn die Gefahr besteht, dass Straftäter infolge ihres Hanges künftig erhebliche rechtswidrige Taten begehen werden (vgl. auch MüKo-StGB/van Gemmeren, 4. Aufl., § 64 StGB Rn. 1). Die Freiheitsstrafe sowie die Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt verfolgen mithin verschiedene Zwecke. Sie können deshalb auch nebeneinander angeordnet werden. Da beide staatlichen Reaktionen indes mit einem Freiheitsentzug verbunden sind, erfordert das Grundrecht der Freiheit der Person gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, dass beide Reaktionen einander so zuzuordnen sind, dass die Zwecke von Strafe und Maßregel möglichst weitgehend erreicht werden, ohne dass in das Freiheitsrecht des einzelnen Betroffenen mehr als notwendig eingegriffen wird (BVerfG v. 16. März 1994 - 2 BvL 3/90 bis 2 BvL 4/91, 2 BvR 1537/88, NStZ 1994, 578). Diese Zuordnung hat der Gesetzgeber in § 67 StGB vorgenommen, nach dessen Abs. 1 die neben einer Freiheitsstrafe angeordnete Unterbringung nach § 63 bzw. 64 StGB grundsätzlich vor der Strafe zu vollziehen und nach dessen Abs. 4 in diesen Fällen die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet wird, bis zwei Drittel der Strafe erledigt sind. Strafe und Maßregel stehen in derartigen Fällen mithin in einer Wechselwirkung, die sich unmittelbar sowohl auf die Art des Freiheitsentzugs - Strafe oder Maßregelvollzug - als auch auf dessen Dauer auswirkt. So bestimmt § 67 Abs. 2 Satz 3 StGB, dass bei einer Anordnung von einer zeitigen Freistrafe von über 3 Jahren neben einer der beiden vorgenannten Maßregeln der Zeitraum des Vorwegvollzugs eines Teils der Freiheitsstrafe so zu bemessen ist, dass nach deren Vollzug sowie dem anschließenden Vollzug der Maßregel der Halbstrafenzeitpunkt erreicht ist, damit das zuständige Gericht unter den Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nummer 2 und 3 StGB die restliche Freiheitsstrafe zur Bewährung aussetzen kann.

42

Die nach der gefestigten Rechtsprechung sowie der vorherrschenden Meinung in der Literatur grundsätzlich zulässige Beschränkung eines Rechtsmittels auf den Rechtsfolgenausspruch unter gleichzeitigem Ausschluss der Überprüfung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 64 StGB wird für die Fälle anerkannt, in denen zwischen dem Strafausspruch und der Maßregelanordnung „keine Wechselwirkung“ besteht. Strafe und Maßregel können vielfach unabhängig voneinander bemessen und verhängt werden (vgl. BGH v. 7. Oktober 1992 - 2 StR 374/92, NJW 1993,477; KK-StPO/Paul, 8. Aufl., § 318 Rn. 8a mwN; MüKo-StPO/ Quentin, 1. Aufl. § 318 Rn. 70ff.). Mit Blick auf das Grundrecht der Freiheit der Person nach Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG und § 67 StGB ist indes festzustellen, dass zwischen Strafe und Maßregel eine verfassungsrechtlich bedingte Wechselwirkung und damit eine strukturelle Verbundenheit jedenfalls im Hinblick auf die Art des Freiheitsvollzuges und die Vollzugsdauer besteht. Darüber hinaus erkennt der Bundesgerichtshof in seiner Rechtsprechung in einer Vielzahl von Fällen, deren Kasuistik kaum noch zu überschauen ist, in denen er indes regelmäßig darauf hinweist, dass es stets auf den Einzelfall ankommt, einen Zusammenhang zwischen den freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung und einer parallel verhängten Begleitstrafe an (vgl. KK-SPO/Paul, 8. Auf., § 318 Rn. 8a m.w.N auf die Rspr.).

43

Die Beschränkung der Berufung auf den Strafausspruch war vorliegend unwirksam, weil eine Trennbarkeit zwischen dem Strafausspruch und der möglichen Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB nicht gegeben ist. Im Gegenteil – im Falle der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt bestünde eine Wechselwirkung zwischen dieser Maßregel und der verhängten bzw. nach erneuter Verhandlung möglichen Gesamtfreiheitsstrafe. Ausweislich der vom Landgericht getroffenen Feststellungen zur Person handelt es sich bei dem Angeklagten um einen seit seinem 14. Lebensjahr Abhängigen, dessen Leben von „Straffälligkeit“ und der wiederholten Begehung auch erheblicher rechtswidriger Taten, von „Freiheitsentzug, Versuchen, die Suchterkrankungen zu bewältigen und (von) Rückfällen geprägt“ ist, der bereits zwei Mal in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB untergebracht war, ohne dass ein dauerhafter Therapieerfolg zu verzeichnen war, der darüber hinaus selbst und vergeblich eine Entgiftung versucht hat, der nunmehr indes erneut eine Therapie anstrebt und der zum Zeitpunkt der Taten ganz erhebliche Mengen Alkohols trank. Vorbehaltlich der Hinzuziehung eines Sachverständigen liegen nach alledem gewichtige Anhaltspunkte dafür vor, dass der Angeklagte zur Tatzeit einen Hang hatte, alkoholische sowie andere berauschende Mittel, nämlich Betäubungsmittel, im Übermaß zu sich zu nehmen, die verfahrensgegenständlichen Taten, bei denen es sich vereinzelt nicht nur um Bagatelltaten handelt, auf diesen Hang zurückzuführen sind, weitere erhebliche rechtswidrige Taten infolge des Hanges des Angeklagten von diesem zu erwarten sind und eine Unterbringung aufgrund der erklärten Therapiebereitschaft des Angeklagten trotz zweier zuvor erfolgloser Unterbringungen in einer Entziehungsanstalt noch eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht bietet. Hätte das Landgericht die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abschließend geprüft und eine entsprechende Maßregel angeordnet, hätte es zu prüfen gehabt, ob bei der Bemessung der Höhe der anzuordnenden Begleitstrafe die Tatsache strafmildernd zu berücksichtigen gewesen wäre, dass gegen den Angeklagten mit der Unterbringung eine weitere freiheitsentziehende Anordnung getroffen wurde. Die Unterbringung eines Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB kann sich im Einzelfall wie ein zusätzliches Strafübel auswirken und deshalb Rückwirkung auf die Bemessung der Höhe der Strafe haben. Dies gilt namentlich dann, wenn die Dauer der Unterbringung die der Strafe überschreiten kann (BGH v. 16. Februar 2012 - 2 StR 29/12, NStZ-RR 2012, 202). So läge der Fall hier. Das Landgericht hat gegen den Angeklagten eine Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten verhängt. Im Falle der Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB würde deren Dauer die Höhe der Strafe voraussichtlich deutlich überschreiten. Das Landgericht hätte mithin Veranlassung gehabt, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die Gesamtfreiheitsstrafe vor diesem Hintergrund nicht milder zu bemessen wäre. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass das Landgericht auf eine mildere Strafe erkannt hätte.

44

3. Im Falle einer erneuten Verhandlung wird das Landgericht nach alledem zu bedenken haben, dass eine Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch im vorliegenden Fall nicht zulässig und das Landgericht gehalten ist, unter Hinzuziehung eines Sachverständigen die Frage zu prüfen, ob der Angeklagte bei Begehung der Taten schuldfähig war und ob seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB anzuordnen ist. Weiter wird das Landgericht in den Blick zu nehmen haben, ob die Strafen aus den im angefochtenen Urteil festgestellten Nachverurteilungen vom 23. Juni 2020 bzw. 30. Juni 2020 einzubeziehen sind.

 


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