Beschluss vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 2 Ws 260/22

Tenor

1. Dem Antragsteller wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Freiburg vom 19.07.2022 gewährt.

2. Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Landgerichts Freiburg vom 19.07.2022 aufgehoben.

3. Es wird festgestellt, dass die Erhebung eines Kostenbeitrages von dem Antragsteller für die Sicherheitsüberprüfung sowie die Versiegelung oder Verplombung des vom Antragsteller erworbenen Fernsehgerätes rechtswidrig ist.

4. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der insoweit dem Antragsteller entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

5. Der Gegenstandswert für das gesamte Verfahren wird auf 23,20 EUR festgesetzt.

Gründe

 
I.
Der Antragsteller befindet sich im Vollzug der Sicherungsverwahrung in der Justizvollzugsanstalt X..
Mit dem angegriffenen Beschluss vom 19.07.2022 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Freiburg seinen Antrag vom 11.05.2022 auf gerichtliche Entscheidung, mit dem er die Feststellung begehrt, die Erhebung eines Kostenbeitrages i.H.v. 23,20 EUR für die Überprüfung des von ihm bestellten TV-Gerätes und Deaktivierung des WLAN Moduls sowie Verplombung sei rechtswidrig gewesen, als unbegründet zurückgewiesen. Nach den Feststellungen in dem angefochtenen Beschluss bestellte der in der Sicherungsverwahrung befindliche Antragsteller direkt bei dem Versandhändler Amazon ein neues TV Gerät, welches insbesondere über eine WLAN Funktion verfügt. Da aus Sicherheitsgründen solche TV Geräte nicht über WLAN oder Bluetooth Funktionen verfügen dürfen, übersandte die Antragsgegnerin das Gerät an die externe Firma Radio Focke, welche für die Überprüfung und Unterbrechung der WLAN und USB Funktion sowie die neue Verplombung mit der Rechnung vom 07.04.2022 inklusive Mehrwertsteuer ein Betrag von 23,20 EUR berechnete. Am 05.04.2022 hat der Antragsteller an die Antragsgegnerin um Aushändigung seines Fernsehgerätes ersucht, welches über die Firma Focke modifiziert worden sei, wobei die Bezahlung über sein Taschengeld erfolgen sollte. Der Rechnungsbetrag i.H.v. 23,20 EUR wurde dem Antragsteller in Rechnung gestellt und das Fernsehgerät von der Antragsgegnerin ausgehändigt.
Hiergegen hat sich der Betroffene mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung gewandt. Er ist zusammenfassend der Auffassung, dass die Kosten der Überprüfung und Verplombung nicht von ihm, der in der Sicherungsverwahrung untergebracht ist, zu tragen seien. Den Rechnungsbetrag habe er zunächst nur bezahlt, um den Fernseher überhaupt zu erhalten. Die Strafvollstreckungskammer hat seinen Antrag mit dem angefochtenen Beschluss als unbegründet zurückgewiesen und erachtet insoweit eine Kostenbeteiligung gemäß § 52 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 JVollzGB V für zulässig.
Gegen den ihm am 22.07.2022 zugestellten Beschluss wendet sich der Antragsteller mit der erst am 01.09.2022 erhobenen Rechtsbeschwerde. Zugleich beantragte er die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, da er mit der Einlegung der Rechtsbeschwerde bereits am 12.08.2022 zugleich die Protokollierung beantragt habe. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts.
II.
Dem Antragsteller ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde (§§ 118 Abs. 1, 138 Abs. 3 StVollzG, 83 JVollzGB V BW) zu gewähren, weil er rechtzeitig mit der am 12.08.2022 eingelegten Rechtsbeschwerde zugleich beantragt hatte, der zuständigen Rechtspflegerin zur Protokollierung vorgeführt zu werden. Ausweislich des Vermerks der Rechtspflegerin war ein früherer Termin aus dienstlichen Gründen nicht möglich.
Die Monatsfrist des § 118 Abs. 1 StVollzG lief nach der Zustellung des angefochtenen Beschlusses am 22.07.2022, am Montag, den 22.08.2022 ab (§§ 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG, 43 Abs. 2 StPO). Erst mit der Aufnahme zu Protokoll der Geschäftsstelle am 01.09.2022, und damit nach Ablauf der Frist, erfolgte jedoch die Einlegung und Begründung in der durch § 118 Abs. 3 StVollZG gesetzlich vorgegebenen Form.
Der gleichzeitig gestellte Wiedereinsetzungsantrag ist zwar nicht ausreichend begründet. Da die versäumte Handlung nachgeholt wurde und sich aus dem Akteninhalt ergibt, dass den Antragsteller kein für die Säumnis verantwortliches Verschulden trifft, ist aber Wiedereinsetzung von Amts wegen zu gewähren (§§ 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG, 44 Satz 2, 45 Abs. 2 Satz 2 und 3 StPO).
III.
Die nach der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.
1.
Die Rechtsbeschwerde war nach § 116 Absatz 1 StVollzG zur Fortbildung des Rechts zuzulassen, da die Frage, ob die Kosten der Überprüfung, Deaktivierung von Funktionalitäten und Verplombung von technischen Geräten in Baden-Württemberg unter die Regelung nach § 52 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 JVollzGB V fallen, bisher obergerichtlich noch nicht geklärt ist.
2.
10 
Entsprechend den zutreffenden Feststellungen in dem Beschluss der Strafvollstreckungskammer betrifft das vorliegende Verfahren nicht die Frage, ob der Antragsteller im Rahmen der Sicherungsverwahrung das von ihm direkt bei Amazon bestellte TV Gerät überhaupt gemäß §§ 54, 55 Abs. 1 JVollzGB V besitzen durfte, sondern nur die Frage der Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Kostenbeteiligung des Sicherungsverwahrten für die Überprüfung eingebrachter Elektrogeräte. Vorliegend hat die Antragsgegnerin den vom Antragsteller bestellten Fernseher von der externen Firma Radio Focke insbesondere auf eine unzulässige WLAN Fähigkeit überprüfen lassen. Für diese Überprüfung und die Deaktivierung der WLAN Funktion und USB Schnittstellenfunktion sowie die neue Verplombung des Gerätes hat die Firma mit Rechnung vom 07.04.2022 inklusive Mehrwertsteuer ein Betrag von 23,20 EUR in Rechnung gestellt.
11 
Der Vollzug der Sicherungsverwahrung bestimmt sich - mit Ausnahme der §§ 109 bis 121 StVollzG - nach eigenständigen Regeln. Dies betrifft insbesondere auch die im Landesgesetz enthaltenen Regelungen zum Einbringen von Gegenständen und einer Kostenbeteiligung für bestimmte Leistungen. In Baden-Württemberg ist eine Kostenbeteiligung für sonstige Leistungen in der Sicherungsverwahrung in § 52 JVollzGB V in der Fassung, gültig seit 01.06.2013, geregelt.
12 
Nach dem Grundsatz in § 52 Abs. 1 JVollzGB V werden Untergebrachte in der Sicherungsverwahrung an den Kosten für die Unterbringung und Verpflegung nicht beteiligt. Damit wird der Sache nach der Sonderopfergedanke des Bundesverfassungsgerichts aufgegriffen, wonach dem Sicherungsverwahrten zu präventiven Zwecken ein Sonderopfer auferlegt wird. Dem muss nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes auch bei der Ausgestaltung des Vollzuges Rechnung getragen werden (BVerfG, Urt. v. 04.05.2011 - 2 BvR 2333/08, juris).
13 
Um diesen Maßstäben gerecht zu werden, ist § 52 Abs. 2 JVollzGB V verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass sonstige Leistungen nur als solche anzusehen sind, durch die der Untergebrachte – wie in dem im Katalog aufgezählten Beteiligungstatbeständen – einen geldwerten Vorteil erlangt. Es muss sich also um eine Leistung handeln, für deren Inanspruchnahme auch außerhalb des Vollzuges eine Gegenleistung – in der Regel die Zahlung eines Entgeltes – zu erbringen wäre (vgl. auch OLG Celle, Beschluss vom 28.08.2017, 3 Ws 369/17, juris). Da die Verplombung des Fernsehgerätes aber allein Sicherungszwecken dient, kann eine Kostenbeteiligung jedenfalls nur dann gefordert werden, wenn hierfür eine gesetzliche Grundlage besteht. Entgegen der Auffassung der Strafvollstreckungskammer ergibt sich eine solche aus der aktuellen Regelung in Baden-Württemberg nicht, da § 52 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 JVollzGB V eine Kostenbeteiligung nur für die Überlassung von Geräten der Unterhaltungs- und Informationstechnik vorsieht. Schon der Wortlaut dieser Vorschrift erfasst nur die Überlassung in allen denkbaren Formen, beispielsweise durch die kostenpflichtige Miete der Geräte, nicht aber deren Überprüfung. Denn die Kosten der Überprüfung, hier zusätzlich der Deaktivierung und Verplombung, entstehen nicht durch die Überlassung oder den Betrieb des Gerätes, sondern allein aufgrund des nachvollziehbaren Sicherungsbedürfnisses der Vollzugsanstalt (vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 18.02.2014, III-1Vollz (Ws) 26/14, juris, zu der alten Fassung des § 40 SVVollzG Nordrhein-Westfalen).
14 
Da es zumindest derzeit bereits an einer Rechtsgrundlage in Baden-Württemberg für eine Kostenbeteiligung des Sicherungsverwahrten für die Überprüfung eingebrachter Elektrogeräte fehlt, muss der Senat hier die grundsätzliche Frage, ob Sicherungsverwahrte in Anbetracht des Charakters der Maßregel als Sonderopfer (vgl. BVerfG, a.a.O) überhaupt an Kosten für derartige Maßnahmen zur Gewährung der Sicherheit des Vollzuges beteiligt werden dürfen, vorliegend nicht entscheiden (vgl. auch OLG Hamm Beschluss vom 16.04.2020, 1 Vollz (Ws) 64/20; Beschluss vom 18.08.2021, 1 Vollz (Ws) 347/21 zum Maßregelvollzug; OLG Celle, Beschluss vom 28.08.2017, 3 Ws 369/17; jeweils juris).
15 
Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass die Antragsgegnerin verpflichtet ist, dem Betroffenen den mit ihrer ursprünglichen Entscheidung zu Unrecht in Rechnung gestellten Betrag zu erstatten.
IV.
16 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 4 StVollzG i.V.m. § 465 StPO entsprechend.
17 
Der Gegenstandswert war – in Anwendung der §§ 65 S. 2, 63 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GKG für das gesamte Verfahren – entsprechend der exakt bezifferten Höhe der verfahrensgegenständlichen Überprüfungskosten i.H.v. 23,20 EUR festzusetzen (§§ 52 Abs. 1, 60 GKG).

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen