Urteil vom Oberlandesgericht Koblenz (Kartellsenat) - U 328/18 Kart

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Grundurteil der 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Koblenz vom 13.02.2018, Az. 4 HK O 44/16, wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I.

1

Die Klägerin ist ein Stadtwerk und ehemalige Eigentümerin der Strom- und Gasversorgungsanlagen der Stadt ...[Z]. Sie begehrt im Wege der Teilklage von der beklagten Netzbetreiberin als Rechtsnachfolgerin der …[A] AG (später firmierend als …[A1] AG) Schadensersatz wegen der Nichtübertragung von Kundenlieferverträgen nach Beendigung eines vor der Liberalisierung des Strom- und Gasmarktes geschlossenen Pachtvertrages.

2

Im Jahre 1993 verhandelte die Klägerin mit der …[A] AG über den Abschluss eines Pachtvertrages betreffend die Strom- und Gasversorgungsanlagen in ...[Z]. In einer Beratungsvorlage zur Neuordnung der Energieversorgung ...[Z]s vom 29.04.1993 für u.a. den Aufsichtsrat der Klägerin wird unter dem Punkt „1. Kommunale Lösung“ ausgeführt (vgl. Anlage K6, Anlagenordner I Klägerin):

3

„Die derzeit in der deutschen Elektrizitätswirtschaft geführte Diskussion zu Überlegungen der EG-Kommission mit „Third Party Access“, Stichwort TPA, mehr Wettbewerb im Strombereich einzuführen, könnte weitreichende Folgen aus Sicht eines Energieversorgungsunternehmens haben. Eines der Ziele von TPA ist es, größeren Energieabnehmern die freie Wahl zu gestatten, von wem der Strom bezogen werden kann. Dies kann erhebliche Einschnitte in bestehende Wirtschaftlichkeitsüberlegungen bringen bzw. die Realisierung von Konzepten in Frage stellen.“

4

Die …[A] AG übermittelte der Klägerin einen Pachtvertragsentwurf vom 07.05.1993, der unter § 6 eine „Wirtschaftsklausel“ folgenden Inhalts vorsah (vgl. Anlage K4, Anlagenordner I Klägerin):

5

„Sollten sich während der Laufzeit des Pachtvertrages die allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse oder die Grundlagen, auf denen dieser Pachtvertrag beruht, gegenüber dem Stand bei Vertragsabschluss so wesentlich ändern, dass für einen der Vertragspartner die Fortsetzung des Pachtvertrages unter den vorliegenden Bedingungen eine unbillige Härte bedeutet, so ist auf seinen Antrag eine Anpassung dieses Vertrages an die veränderten Verhältnisse mit dem Ziel vorzunehmen, ein ausgewogenes Verhältnis von Leistung und Gegenleistung wiederherzustellen. (…)“

6

Auf Wunsch der Klägerin wurde diese Klausel in den späteren Vertrag nicht übernommen.

7

Mit Pachtvertrag vom 20.12.1993 verpachtete die Klägerin die ihr gehörigen Stromversorgungsanlagen in der Kernstadt sowie die Gasversorgungsanlagen für das gesamte Stadtgebiet an die …[A] AG. Das Grundpachtentgelt betrug 5.000.000,00 DM jährlich.

8

Gegenstand des Pachtvertrages waren gemäß dessen § 1 Abs. 4 die Strom- und Gasversorgungsanlagen nebst Hausanschlüssen und Zubehör, zugehörige Grundstücke, Gebäude und Betriebsmittel. Die …[A] AG kaufte zudem die bei Pachtbeginn vorhandenen Lagermaterialien und verpflichtete sich, die der Strom- und Gasversorgung zugeordneten Mitarbeiter der Klägerin zu übernehmen (§ 1 Abs. 7 und 2 des Pachtvertrages). Der Pachtvertrag sieht des Weiteren Folgendes vor:

9

§ 1
Grundlagen und Gegenstand

10

(…)
8. (…)
Mit dem Beginn der Verpachtung der Pachtanlagen an die …[A] übertragen die Stadtwerke alle ihnen zu diesem Zeitpunkt zum Zwecke der Durchführung der Strom- und Gasversorgung ...[Z] zustehenden Rechte und Pflichten auf die …[A]. Dies gilt unter anderem für die Rechte und Pflichten aus Strom- und Gaslieferungsverträgen für die aus den Pachtanlagen belieferten Kunden. Die …[A] tritt in die insoweit bestehenden Rechte und Pflichten anstelle der …[B]/der Stadtwerke ein.
Die …[A] wird die betreffenden Gläubiger bzw. Schuldner von der Übertragung der Rechte und Pflichten auf die …[A] unterrichten. Soweit zur Übertragung von Rechten und Pflichten die Zustimmung Dritter erforderlich ist, werden die Stadtwerke die …[A] nach Kräften unterstützen, um diese Zustimmung zu erreichen. Sollte aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen eine Übertragung nicht zulässig sein, wird die …[A] die Verpflichtungen anstelle der Stadtwerke erfüllen und die Stadtwerke davon freistellen; entsprechend werden die Stadtwerke gegebenenfalls Rechte im eigenen Namen für die …[A] geltend machen.

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§ 12
Endschaftsbestimmungen

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1. Der Vertrag beginnt mit dem 01.01.1994 und endet mit dem 31.12.2013; er verlängert sich jeweils um 5 Jahre, wenn er nicht mindestens 2 Jahre vor dem jeweiligen Ablauf von einer Seite schriftlich gekündigt wird.

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2. Die…[A] ist bei Vertragsablauf verpflichtet, den Stadtwerken die Pachtanlagen in ordnungsgemäß unterhaltenem Zustand zurückzugeben. Außerdem übergibt die …[A] den Stadtwerken alle Unterlagen zur Dokumentation der bestehenden Anlagen (z.B. …) sowie die Unterlagen zu den Strom- und den Gaslieferungsverträgen, soweit vorhanden und ohne Gewähr für Vollständigkeit und Richtigkeit.
(…)

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6. Alle bei Vertragsablauf bestehenden Verträge, welche die Strom- und Gasversorgung der Stadt im Rahmen dieses Pachtvertrages betreffen, gehen mit der Übernahme der Versorgung durch die Stadtwerke auf die Stadtwerke über, und die Stadtwerke treten in die Verträge mit schuldbefreiender Wirkung für die …[A] ein. In Verträgen zwischen der …[A] und Sondervertragskunden mit einem Leistungsbedarf von mehr als 5 MW, die innerhalb der letzten 2 Jahre vor Vertragsablauf abgeschlossen werden, wird die …[A] diesen Sondervertragskunden keine Sonderzugeständnisse ohne Abstimmung mit den Stadtwerken zubilligen, sofern die Sonderzugeständnisse über das Ende dieses Pachtvertrages hinaus wirksam sind.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Pachtvertrages wird auf die Anlage K1 (Anlagenordner I Klägerin) Bezug genommen.

16

Die Stromversorgungsanlagen in den Stadtteilen …[Y], …[X], …[W] und …[V] standen noch im Eigentum der …[A] AG. Sie wurden entsprechend einer Nebenabrede zum Pachtvertrag von der Klägerin erworben und mit Vertrag vom 14.06.1995 in das Pachtverhältnis miteinbezogen (vgl. Anlage K3, Anlagenordner I Klägerin).

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In § 5 des Vertrages vom 14.06.1995 heißt es auszugsweise wie folgt:

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„1. Mit der Übergabe der in § 1 Ziffer 1 bestimmten Anlagen überträgt die …[A] alle ihr zu diesem Zeitpunkt zum Zwecke des Bestandes der Anlagen und zur Fortführung und Erweiterung der Stromversorgung im Gebiet zustehenden Rechte und Pflichten auf die Stadtwerke. Dies gilt unter anderem für alle Rechte und Pflichten der …[A] aus Stromlieferungsverträgen für die von ihr aus den Anlagen belieferten Kunden im Gebiet. Aufgrund des zwischen den Stadtwerken und der …[A2] bestehenden Pachtverhältnisses übernimmt wiederum die …[A] die Rechte und Pflichten mit Wirkung ab 01.01.1995, soweit diese nicht an das Eigentum an den Anlagen gebunden sind. (…)“

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In der Folge wurden die Rechte und Pflichten aus dem Pachtvertrag mit Abspaltungs- und Übernahmevertrag vom 05.12.2000 von der …[A] AG auf die …[A3] AG (ab 15.10.2003 firmierend als …[A10] AG), mit Ausgliederungs- und Übernahmevertrag vom 18.11.2003 von ihr auf die …[A4] AG (ab 10.12.2010 firmierend als …[A5] AG) und schließlich mit Wirkung zum 01.01.2004 auf die Beklagte (bis 17.12.2012 firmierend als …[C] GmbH) übertragen.

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Die Stromlieferverhältnisse wurden mit Abspaltungs- und Übernahmevertrag vom 29.11.2000 von der …[A] AG auf die …[A6] AG …[U] (ab 30.09.2003 firmierend als …[A4] AG, später als …[A5] AG) und von dieser mit Abspaltungs- und Übernahmevertrag vom 11.08.2009 mit Wirkung zum 31.12.2008 auf die …[A7] AG übertragen. Deren Rechtsnachfolgerin ist mittlerweile die …[A8]. Die Gaslieferverhältnisse wurden mit Abspaltungs- und Übernahmevertrag vom 13.12.2000 von der …[A] AG auf die …[A9] AG, von dieser mit Aufspaltungs- und Übernahmevertrag vom 05.05.2004 auf die ...[A4] AG und von dieser wiederum mit Abspaltungs- und Übernahmevertrag vom 11.08.2009 mit Wirkung zum 31.12.2008 auf die …[A7] AG (Rechtsnachfolgerin: …[A8]) übertragen.

21

Die Beklagte kündigte unter dem 14.10.2011 den Pachtvertrag zum 31.12.2013. Mit Netzübergabevertrag vom 05./13.09.2013 regelten die Parteien die Rückgabe der Versorgungsanlagen zum 01.01.2014 (vgl. Anlage K17, Anlagenordner I Klägerin). In § 7 Abs. 5 des Vertrages vereinbarten sie:

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„Zur strittigen Übertragung von Strom- und Gaslieferverhältnissen gemäß § 12 Abs. 6 Pachtvertrag werden die Parteien im Nachgang zum Abschluss dieses Vertrags versuchen, eine einvernehmliche Lösung zu finden.“

23

Seit dem 01.01.2014 betreibt die Klägerin die Strom- und Gasversorgung in ihrem Gebiet in Zusammenarbeit mit der …[B] GmbH im Rahmen eines sogen. Provisionsvertriebs, das heißt, im eigenen Namen auf fremde Rechnung, wobei die Vertragsabwicklung im Innenverhältnis durch die …[B] GmbH erfolgt. Im zugrunde liegenden Konsortialvertrag vom 07.06.2013 ist der Klägerin hinsichtlich eines möglichen Vollvertriebs ein Wahlrecht eingeräumt. In der Folge übertrug die Klägerin den Geschäftsbereich Energiesparte auf die Stadtwerke ...[Z] Energie GmbH, wobei Ansprüche gemäß § 12 Abs. 6 des Pachtvertrages und damit im Zusammenhang stehende Rechte und Pflichten bei der Klägerin verblieben (vgl. Anlage K14, Anlagenordner I Klägerin). Zusätzlich schloss die Klägerin mit der Stadtwerke ...[Z] Energie GmbH eine Abtretungsvereinbarung, wonach alle gegenwärtigen und künftigen Forderungen aus § 12 Abs. 6 des Pachtvertrages vom 20.12.1993 an die Klägerin abgetreten wurden (Anlage K15, Anlagenordner I Klägerin).

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Mit Schreiben vom 03.07.2015 meldeten sich die Beklagtenvertreter u.a. für die Beklagte und teilten der Klägerseite mit, dass die Rechte und Pflichten aus dem Pachtvertrag auf die Beklagte übergegangen seien. Man sei der Ansicht, dass der klägerseits erhobene Anspruch auf Übertragung der Kundenverhältnisse aufgrund des geänderten energierechtlichen Ordnungsrahmens nicht gegeben sei. Da die Klägerin dennoch auf einer Übertragung bestehe, sehe man gegenwärtig keine gemeinsame Basis für weitere Gespräche. Im Hinblick auf die angekündigten weiteren rechtlichen Schritte werde das Angebot, auf das vorgeschaltete schiedsgerichtliche Verfahren zu verzichten, angenommen. Wegen des genauen Inhalts des vorgerichtlichen Schreibens wird auf die Anlage K8 (Anlagenordner I Klägerin) verwiesen.

25

Mit der vorliegenden offenen Teilklage begehrt die Klägerin Schadensersatz wegen der Nichtübertragung der Strom- und Gaslieferverträge nach Beendigung des Pachtvertrages in Höhe von 20 Mio. € nebst Zinsen seit dem 01.01.2014 sowie Ersatz von außergerichtlichen Beraterkosten (Rechtsanwälte/Steuerberater/Wirtschaftsprüfer-

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gutachten) nebst Rechtshängigkeitszinsen.

27

Die Klägerin hat vorgetragen,

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aus § 12 Abs. 6 Satz 1 des Pachtvertrages ergebe sich die Verpflichtung der Beklagten zur Übertragung aller bei Vertragsablauf bestehenden Lieferverhältnisse. Gleiches folge aus §§ 546, 581 Abs. 2 BGB. Der Kundenstamm sei als dynamisches Pachtgut in den Pachtvertrag einbezogen worden und habe daher in dem bei Auslaufen des Pachtvertrages vorhandenen Bestand zurückgegeben werden müssen. Die zwischenzeitlich eingeführten Vorgaben zur Trennung von Netz und Vertrieb gemäß §§ 7 f. EnWG und ihre Umsetzung durch die Rechtsvorgängerin der Beklagten führten zu keiner Unmöglichkeitssituation. Es sei schon nicht notwendig gewesen, den Pachtvertrag und die Energielieferverträge auf unterschiedliche Konzernunternehmen zu übertragen; vielmehr hätte das Netz auch unterverpachtet werden können. Der Beklagten sei es unter Mitwirkung von …[A8] tatsächlich möglich, der Klägerin die Kundenverhältnisse zu übertragen. Die Zustimmung der Kunden könne bei entsprechender Kooperation in der Regel erlangt werden. Außerdem gebe es die Möglichkeit der Kundenübertragung im Wege des Umwandlungsrechts. Die Parteien hätten die Regelung in § 12 Abs. 6 des Pachtvertrages in der Erwartung der später eingetretenen Abschaffung der Monopole in der Energieversorgung getroffen. Die vor Vertragsschluss stattgefundenen Verhandlungen seien von beiden Vertragspartnern in Kenntnis und in dem Bewusstsein geführt worden, dass sich der ordnungsrechtliche Rahmen mit großer Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit ändern werde. Aus eben diesem Grund habe die Rechtsvorgängerin der Beklagten die Aufnahme der Wirtschaftsklausel in den Pachtvertrag gefordert. Wegen des sich hieraus ergebenden konkludenten Anpassungsausschlusses seien die Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nicht anwendbar. Die Parteien hätten den Vertrag zudem auch bei Kenntnis der energierechtlichen Änderungen nicht mit anderem Inhalt geschlossen. Die Beklagte habe die Kundenverhältnisse lediglich zeitlich befristet übertragen bekommen; selbst wenn sich die Vertriebskundenverträge als eigenständiger Vermögensgegenstand herausgebildet hätten, stünden sie der Klägerin zu. Außerdem sei der Beklagten die unveränderte Erfüllung des Übertragungsanspruchs nicht unzumutbar. Sie habe durch die Rechtsänderungen keinen Nachteil erlitten, sondern versuche, hieraus einen Vorteil herzuleiten, nämlich die Kundenverhältnisse über die Vertragslaufzeit hinaus behalten zu dürfen. Dessen ungeachtet sei die Einrede des Wegfalls der Geschäftsgrundlage verjährt.

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Der ihr durch die verweigerte Rückübertragung der Lieferverhältnisse entgangene Gewinn belaufe sich nach Steuern auf 34.564.000,00 € und vor Steuern auf 49.132.000,00 € und sei ab dem 01.01.2014 mit 5,18 % zu verzinsen. Hilfsweise bestehe ein Mindestschaden entsprechend dem objektiven Mindestverkehrswert des Gas- und Stromkundenstammes per 01.01.2014 von 44.124.000,00 € vor Steuern zuzüglich Zinsen.

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Die Klägerin hat beantragt,

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die Beklagte zu verurteilen, an sie

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- einen Betrag von 20.000.000,00 € (in Worten: zwanzig Millionen Euro),

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- Zinsen und Zinseszinsen in Höhe von 5,18 % pro Jahr aus 20.000.000,00 € seit dem 01.01.2014,

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- außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 154.302,50 €,

35

- Gutachterkosten in Höhe von 239.070,05 € und Steuerberater- und Wirtschaftsprüferkosten in Höhe von 59.701,56 €,

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- Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus außergerichtlichen Rechtsanwalts-, Gutachter- und Steuerberater-/Wirtschaftsprüferkosten i.H.v. 213.207,70 € seit Zustellung der Klageschrift vom 05.02.2016,

37

- sowie Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus weiteren 186.779,02 € außergerichtlichen Rechtsanwalts-, Gutachter-, Steuerberater-/Wirtschaftsprüferkosten seit Zustellung der Replik vom 02.12.2016,

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- sowie Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus weiteren 53.087,39 € außergerichtlichen Gutachter-, Steuerberater-/ Wirtschaftsprüferkosten seit dem 15.11.2017

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zu bezahlen.

40

Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

42

Sie hat vorgetragen,

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die Klage sei mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Denn die Klägerin habe sich von Beginn an einem Kompromiss verschlossen, indem sie stets bei ihrer Maximalforderung geblieben sei. Die Unzulässigkeit ergebe sich auch daraus, dass die Klägerin den Sekundäranspruch auf Schadensersatz geltend mache, obwohl die hierfür erforderlichen Voraussetzungen, insbesondere eine erfolglose Fristsetzung, nicht erfüllt seien. Soweit die …[A5] AG vorgerichtlich für sie - die Beklagte - gehandelt habe, sei diese nicht bevollmächtigt gewesen.

44

Bei § 12 Abs. 6 des Pachtvertrages handele es sich nicht um eine Verpflichtung, sondern nur um eine Beschreibung der nach dem bei Vertragsschluss geltenden Recht infolge des Netzübergangs eintretenden Rechtsfolgen. Hilfsweise seien von der Regelung nur Verträge mit den Netzkunden erfasst. Höchst hilfsweise habe der Anspruch nur die ursprünglich übertragenen und noch vorhandenen Kunden, nicht aber die im freien Wettbewerb akquirierten Kunden erfasst. Es bestehe auch keine Rückgabepflicht aus §§ 546, 581 Abs. 2 BGB, weil die Kundenverträge lediglich Annex zum vereinbarten Netzpachtvertrag und selbst nicht Pachtgegenstand gewesen seien.

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Eine etwaige Verpflichtung zur Übertragung der Vertriebskunden sei aufgrund eines Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nichtig (§ 134 BGB). Sie verstoße gegen § 36 Abs. 2 und 3 EnWG. Die Bestimmung schließe jede vertragliche Vereinbarung über die Schaffung, Übertragung oder Änderung der Grundversorgerstellung oder von Grundversorgungsverträgen aus. Die vertragliche Verpflichtung zur Übertragung der Kundenverhältnisse würde indes einer Veräußerung des Status als Grundversorger gleichkommen. Sie verstoße zudem gegen die entflechtungsrechtlichen Vorgaben der §§ 7, 7a EnWG. Denn hierdurch würden gerade jene Sparten, die vom Gesetzgeber zur Förderung des Wettbewerbs und Verhinderung von Quersubvention und Diskriminierung getrennt werden sollten, wieder in einer Hand, nämlich bei der Klägerin, zusammengeführt. Die Verpflichtung eines Netzbetreibers zur Übertragung von Vertriebsverträgen verstoße außerdem gegen § 7a Abs. 6 EnWG. Denn durch eine solche Übertragung trete der Netzbetreiber in der Kommunikation nach außen in einer Art und Weise auf, die eine Verwechslung mit dem Vertriebsbereich gerade nicht ausschließe.

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Die Verpflichtung zur Übertragung der Lieferverträge sei wegen des Verstoßes gegen § 36 Abs. 2 und 3 EnWG und §§ 7 Abs. 1, 7a EnWG zudem rechtlich unmöglich zu erfüllen. Unmöglichkeit ergebe sich außerdem daraus, dass die Beklagte als Netzbetreiberin keine Vertriebskundenverträge übertragen könne. Eine etwaige Mithilfe der …[A7] AG (jetzt: …A8]) würde eine Umgehung der Entflechtungsregelungen bedeuten. Eine Kundenübertragung im Wege des Umwandlungsrechts sei nach dem streitgegenständlichen Vertrag nicht geschuldet. Die Übertragung der Lieferverträge sei auch deshalb rechtlich unmöglich, weil sie nach § 415 Abs. 1 Satz 1 BGB der Zustimmung der betroffenen Kunden bedürfe. Die Beklagte sei indes nicht verpflichtet, sich um die Zustimmung der Kunden zu bemühen.

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Ein Schadensersatzanspruch ergebe sich hilfsweise auch nicht aus §§ 275 Abs. 4, 280 Abs. 1 und 3, 283 BGB. Denn den Kunden sei bei Vertragsschluss kein eigenständiger Wert zugekommen, weil der jeweilige zuständige Netzbetreiber nach dem damals geltenden § 6 EnWG 1935 ohnehin verpflichtet gewesen sei, sie zu versorgen. Dann aber könne auch die Unmöglichkeit der Verpflichtung zur Herausgabe der Kundenverträge nicht zu einer wirtschaftlichen Ausgleichspflicht führen. Die Parteien hätten bei Unwirksamkeit der Rückgabeklausel auch keinen wirtschaftlichen Ausgleich vereinbart, was sich im Umkehrschluss aus § 1 Abs. 8 a. E. des Pachtvertrages ergebe. Zudem würden die Parteien verpflichtet, sich im Innenverhältnis so zu verhalten, als würden die gesetzlichen Vorgaben für sie nicht gelten; dies liefe auf eine Umgehung der gesetzlichen Verbote hinaus. Da die Unmöglichkeit auf gesetzlichen Vorgaben beruhe, habe sie - die Beklagte - das Leistungshindernis nicht zu vertreten.

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Jedenfalls sei der Pachtvertrag gemäß den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage dahin anzupassen, dass die Vertriebskundenverträge nicht übertragen werden müssten. Vertragsgrundlage sei gewesen, dass das System geschlossener Versorgungsgebiete und die Monopolstellung des jeweiligen versorgenden Energieunternehmens (fort)bestehe. Die Parteien seien sich bei Abschluss des Pachtvertrages im Jahre 1993 nicht bewusst gewesen, dass sich das deutsche Energierecht grundlegend ändern würde; dies sei nicht vorhersehbar, sondern völlig offen gewesen. Die Wirtschaftlichkeitsklausel habe nur das allgemeine Risiko der Pächterin abdecken sollen, dass die von ihr zu leistenden Investitionen in die Substanz der Netzanlagen auf lange Sicht nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis zur vereinbarten Pachtzinsregelung stehen könnten. Änderungen des energiewirtschaftlichen Rechtsrahmens hätten in den Erwägungen der Parteien bei den Vertragsverhandlungen keine Rolle gespielt. Wenn die Parteien vorausgesehen hätten, dass sich der energierechtliche Rahmen dramatisch verändern würde, dann hätten sie entweder den Vertrag gar nicht abgeschlossen oder sie hätten eine Regelung vereinbart, derzufolge nur die Kunden zurückzuübertragen gewesen wären, bei denen dies bei Vertragsende auch rechtlich möglich gewesen wäre. Für sie sei ein Festhalten am unveränderten Vertrag unzumutbar. Denn infolge der gesetzlichen Änderungen komme den Kunden nun ein Wert zu, den sie bei Abschluss des Vertrages nicht gehabt hätten. Die Beklagte hätte sich nicht dazu verpflichtet, werthaltige Kunden an einen Konkurrenten zu übertragen. Aufgrund des intensiven Wettbewerbs habe die …[A7] AG (…[A8]) bzw. ihre Rechtsvorgängerin über die Jahre erhebliche ökonomische Aufwendungen tätigen müssen, um die Kunden zu halten. Die Kundenverträge hätten ursprünglich keinen für die Parteien relevanten Wert gehabt, sodass die Pächterin auch nicht die Verpflichtung habe treffen können, Aufwendungen zu tätigen, um den Kundenstamm für eine Herausgabe am Vertragsende erhalten zu können. Es sei eine unbillige Härte, wenn die Beklagte jetzt auch noch Vertriebskunden auf die Klägerin übertragen oder Schadensersatz zahlen müsse. Eine Verjährung sei auszuschließen, da die Anpassung vor der Schuldrechtsreform kraft Gesetzes eingetreten sei.

49

Wegen weiterer tatsächlicher Feststellungen und des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.

50

Das Landgericht hat die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erachtet. Das Rechtsschutzbedürfnis sei gegeben; die Klägerin sei nicht verpflichtet gewesen, sich außergerichtlich zu einigen und habe auf ein Beschreiten des Rechtswegs nicht verzichtet. Zur Begründetheit hat es ausgeführt, dass ein Schadensersatzanspruch nach §§ 280, 281 BGB gegeben sei, weil die Beklagte ihre nachvertragliche Rückgabepflicht gemäß §§ 546 Abs. 1, 581 Abs. 2 BGB in Bezug auf die Kundenbelieferungsverhältnisse schuldhaft verletzt habe. Vorliegend habe es sich um eine Unternehmenspacht gehandelt, die nach den vertraglichen Vereinbarungen, insbesondere § 1 Abs. 8 des Pachtvertrages, auch die vertraglichen Kundenbeziehungen umfasst habe. Die Rückgabe des gepachteten Unternehmens am Ende des Pachtverhältnisses habe in einer Weise zu erfolgen, dass der Verpächter das Unternehmen fortführen oder anderweitig verpachten könne, wozu im Regelfall auch die Verträge, die zum Unternehmen gehörten, auf den Verpächter zu übertragen seien. Aus dem Vertrag ergebe sich nichts Abweichendes, vielmehr regele § 12 Abs. 6 einen Übergang aller bei Vertragsablauf bestehenden Verträge. Die Verpflichtung beschränke sich nicht auf die zu Beginn bestehenden Vertragsbeziehungen. Vielmehr sei der Unternehmenspächter verpflichtet, entsprechend §§ 581 Abs. 1, 582a Abs. 2 Satz 1 BGB die Gesamtheit der übertragenen Sachen und Rechte im Rahmen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft zu erhalten und dementsprechend am Vertragsende an den Verpächter zurückzugeben. Die Beklagte sei von ihrer Rückgabepflicht nicht aufgrund der geänderten energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen frei geworden. Der Pachtvertrag sei nicht nach § 134 BGB nichtig. Denn Nichtigkeit trete nur ein, wenn das Verbot - wie hier nicht - schon bei Vornahme des Rechtsgeschäfts bestanden habe. § 36 EnWG sei keine Verbotsnorm, sondern regele nur die Grundversorgereigenschaft. Die §§ 7, 7a EnWG fänden im Verhältnis der Parteien keine Anwendung, weil die Klägerin als Unternehmen mit weniger als 100.000 angeschlossenen Kunden von den Verpflichtungen zur Trennung von Netzbetrieb und Vertrieb befreit sei. Die Grundsätze über die Störung der Geschäftsgrundlage seien nicht anwendbar, weil bei Dauerschuldverhältnissen das Kündigungsrecht aus wichtigem Grund vorgehe und das Vertragsverhältnis bereits seit Ende 2013 beendet sei. Jedenfalls lägen die Voraussetzungen nicht vor. Die Beklagte habe sich zwar der Konkurrenz anderer Anbieter ausgesetzt gesehen, ihrerseits aber die Chance gehabt, ihren Kundenstamm durch entsprechende Angebote und Werbebemühungen zu erweitern und daraus wirtschaftlichen Erfolg zu erzielen. Dass sie dies getan habe, belege der Umstand, dass sie am Vertrag über viele Jahre festgehalten habe. Zudem sei die Nichterfüllung von Gewinnerwartungen ein typisches Risiko des gewerblichen Pächters, das dieser nicht nachträglich auf den Verpächter verlagern könne. Teil dieses Risikos seien auch der Umfang und der Zustand der zurückzugebenden Pachtsache zum Vertragsende. Die Beklagte sei von ihrer Rückgabepflicht auch nicht deshalb befreit worden, weil die Vertriebsaktivitäten wegen der geänderten energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen auf eine Tochtergesellschaft ausgelagert worden seien. Denn dabei hätte sie das Auslaufen des Pachtverhältnisses im Blick behalten und für die Erfüllung der Rückgabepflicht Vorsorge treffen müssen.

51

Mit der Berufung macht die Beklagte geltend, das Landgericht habe den Herausgabeanspruch auf §§ 546 Abs. 1, 581 Abs. 2 BGB gestützt, ohne zuvor die vertraglichen Regelungen der Parteien auszulegen. Es habe verkannt, dass vorliegend ein Netzpachtvertrag und kein klassischer Unternehmenspachtvertrag geschlossen worden sei. Die Parteien seien bei Vertragsschluss davon ausgegangen, dass nach Rückübertragung des jeweiligen Versorgungsnetzes aufgrund des damals geltenden Grundsatzes (“Wer das Netz hat, hat die Kunden“) eine Versorgung durch die Klägerin gesetzlich zwingend gewesen wäre (§ 6 EnWG 1935). Vor diesem Hintergrund handele es sich bei § 1 Abs. 8 des Pachtvertrages nicht um eine eigenständige Übertragungsverpflichtung hinsichtlich der Kundenverträge, sondern um eine Regelung, die nur die damaligen rechtlichen Rahmenbedingungen widerspiegele. Auch aus §§ 546 Abs. 1, 581 Abs. 2 BGB ergebe sich kein Rückübertragungsanspruch im Hinblick auf die Vertriebskunden. Ein Rückgriff auf die Anforderungen der Rückgabe nach Beendigung eines Unternehmenspachtvertrages sei mangels Vergleichbarkeit von Netzpachtverträgen und Unternehmenspachtverträgen nicht möglich. Ob Vertriebskunden von der Rückübertragungspflicht umfasst seien, sei auch bei einem Rückgriff auf dispositives Recht vor dem Hintergrund der heute geltenden energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen und unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Netzpachtvertrages zu entscheiden. Danach könnten Vertriebskunden nicht von einer Rückübertragungspflicht umfasst sein. Ein Pächter eines Unternehmens sei grundsätzlich berechtigt, während der Pachtdauer Änderungen vorzunehmen, solange der Kern des gepachteten Unternehmens unberührt bleibe. Dass die Beklagte nicht mehr über die Vertriebsverträge verfüge, gehe auf verpflichtend umzusetzende gesetzliche Vorgaben zur Entflechtung zurück. Unabhängig davon sei der Klägerin die Durchführung der Strom- und Gasversorgung ...[Z] auch ohne die Übertragung der bei Pachtende bestehenden Lieferverträge ohne weiteres möglich.

52

Die Beklagte wiederholt und vertieft zudem ihr Vorbringen, dass eine Rückgabeverpflichtung nach § 134 BGB i.V.m. §§ 7,7 a und 36 EnWG nichtig und ihr eine Rückübertragung von Kundenbeziehungen zudem unmöglich sei. Zumindest bestehe aber ein Anspruch auf Anpassung des Vertrages dahingehend, dass von der Rückübertragung lediglich Netzkunden umfasst seien. Bei der Änderung der maßgeblichen Rahmenbedingungen handele es sich entgegen der Auffassung der Kammer nicht um Erwartungen und Umstände, die nach den vertraglichen Vereinbarungen in den Risikobereich einer der Parteien hätten fallen sollen. Hier gehe es nicht um das Verwendungsrisiko des Netzes und die Möglichkeit, hiermit Gewinn zu erzielen, sondern um die Anpassung einer Regelung, die den Umfang der Rückgabeverpflichtung des Pächters regele. Die Beklagte habe bei Vertragsschluss davon ausgehen können, dass mit der Übernahme der Versorgungsanlagen auch automatisch die Versorgung der Kunden zu erfolgen habe. Diese Bedingungen hätten sich geändert. Bereits die rechtliche Vorgabe zur Entflechtung erfordere isoliert betrachtet für ein Unternehmen einen erheblichen organisatorischen und finanziellen Aufwand. Eine Herausgabepflicht bzw. sekundäre Schadensersatzpflicht würde sie für die Umsetzung der Entflechtungsvorgaben, wozu sie rechtlich verpflichtet gewesen sei, bestrafen. Eine etwaige Verjährung sei durch die außergerichtlichen Verhandlungen der Parteien gehemmt worden.

53

Die Beklagte beantragt,

54

das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 13.02.2018, Az. 4 HK O 44/16, aufzuheben und die Klage abzuweisen.

55

Die Klägerin beantragt,

56

die Berufung zurückzuweisen.

57

Sie verteidigt das landgerichtliche Urteil unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.

58

Wegen des Sach- und Streitstandes in seinen weiteren Einzelheiten wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätzen nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

59

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

60

1. Das Landgericht hat in zulässiger Weise gemäß § 304 ZPO ein Grundurteil erlassen. Neben der Zulässigkeit der Klage setzt dies voraus, dass ein bezifferter Anspruch nach Grund und Höhe streitig ist, grundsätzlich alle Fragen, die zum Grund des Anspruchs gehören, erledigt sind und nach dem Sach- und Streitstand ein Bestehen des Anspruchs in irgendeiner Höhe zumindest wahrscheinlich ist (vgl. BGH, Urteil v. 06.06.2019 - VII ZR 103/16 -, NJW-RR 2019, 982 Rn. 16; Urteil v. 08.09.2016 - VII ZR 168/15 -, NJW 2017, 265 Rn. 21 jeweils m.w.N. - alle Entscheidungen zitiert nach juris; Feskorn, in: Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 304 Rn. 2 ff.). Diese Voraussetzungen liegen vor.

61

a) Die Klage ist zulässig.

62

aa) Insbesondere fehlt es entgegen der Auffassung der Beklagten nicht am Rechtsschutzbedürfnis. Das Erfordernis des Rechtsschutzbedürfnisses soll verhindern, dass Klagebegehren in das Stadium der Begründetheitsprüfung gelangen, die ersichtlich des Rechtsschutzes durch eine solche Prüfung nicht bedürfen. Bei Leistungsklagen ergibt sich ein solches Rechtsschutzbedürfnis regelmäßig schon aus der Nichterfüllung des behaupteten materiellen Anspruchs, dessen Vorliegen für die Prüfung des Interesses an seiner gerichtlichen Durchsetzung zu unterstellen ist (BGH, Urteil v. 25.10.2012 - III ZR 266/11 -, BGHZ 195, 174 Rn. 51). Ob die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch nach §§ 280 Abs. 1 und 3, 281 BGB gegeben sind, ist demnach erst im Rahmen der Begründetheit zu klären. Dies gilt auch für die Frage, ob die Klägerin der Beklagten erfolglos eine Frist zur Leistung gesetzt oder die Beklagte die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert hat. Eine Verpflichtung, wie sie offenbar die Beklagte voraussetzt, zunächst bzw. soweit möglich die Primärleistung einzuklagen, besteht nicht. Das Begehren der Klägerin stellt sich auch nicht als objektiv sinnlos dar, weil sie nur durch das Klageverfahren den von ihr geltend gemachten Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte durchsetzen kann.

63

bb) Die Klägerin hat auch nicht etwa auf eine gerichtliche Klärung dieses Anspruchs verzichtet. In § 7 Abs. 5 des Netzübergabevertrages vom 05./13.09.2013 haben die Parteien zwar vereinbart, dass sie im Hinblick auf die zwischen ihnen streitige Übertragung der Gas- und Stromlieferverhältnisse versuchen werden, eine einvernehmliche Regelung zu finden. Damit war aber die Möglichkeit einer gerichtlichen Klärung nicht ausgeschlossen, wie sich bereits aus der Formulierung „werden versuchen“ ableiten lässt. Auch sonst bietet die vertragliche Regelung keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Klägerin auf eine gerichtliche Klärung ihrer Ansprüche hätte verzichten wollen. Dass die Parteien die Regelung auch nicht in einem so weitgehenden Sinn verstanden haben, belegt die vorgerichtliche Vereinbarung, auf das laut Pachtvertrag vorgeschaltete schiedsgerichtliche Verfahren zu verzichten (vgl. Schreiben der Beklagtenvertreter vom 03.07.2015, Anlage K8, Anlagenordner I Klägerin).

64

b) Die mithin zulässige (Teil-)Klage ist auf einen bezifferten Schadensersatzanspruch gerichtet. Dieser Anspruch ist zwischen den Parteien sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach streitig. Der Streit über den Grund ist vollständig und im bejahenden Sinne entscheidungsreif (vgl. nachfolgend unter 2.); nicht hingegen der Streit über die Anspruchshöhe, welche vom Landgericht noch weiter aufzuklären ist. Schließlich besteht nach dem Sach- und Streitstand kein Zweifel, dass der Schadensersatzanspruch der Klägerin in irgendeiner Höhe besteht.

65

2. Die Klage ist dem Grunde nach begründet. Zu Recht hat das Landgericht die geltend gemachten Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagte auf Ersatz des ihr durch die Nichtübertragung der Vertriebskundenverträge bei Beendigung des Pachtvertrages entstandenen Schadens gemäß §§ 280 Abs. 1 und 3, 281 BGB dem Grunde nach für gerechtfertigt erachtet.

66

a) Die Beklagte ist im Hinblick auf Schadensersatzansprüche wegen der Verletzung von Pflichten aus dem Pachtvertrag vom 20.12.1993 passiv legitimiert. Sie ist insoweit Rechtsnachfolgerin der ursprünglichen Vertragspartnerin der Klägerin, der …[A] AG. Die Rechte und Pflichten aus dem Pachtverhältnis wurden von der …[A] AG mit Abspaltungs- und Übernahmevertrag vom 05.12.2000 zunächst auf die …[A3] AG (später firmierend als …[A10] AG), von dieser sodann mit Ausgliederungs- und Übernahmevertrag vom 18.11.2003 auf die …[A4] AG (später firmierend als …[A5] AG) und von dieser schließlich mit Wirkung zum 01.01.2004 auf die Beklagte (bis 17.12.2012 noch firmierend als …[C] GmbH) übertragen. Dementsprechend hatten die Prozessbevollmächtigten der Beklagten der Klägerin mit Schreiben vom 03.07.2015 auch mitgeteilt, dass die Rechte und Pflichten aus dem am 31.12.2013 beendeten Pachtvertrag auf sie übergegangen seien. Dass der Beklagten die Gas- und Stromlieferverhältnisse nicht mitübertragen wurden, ist für die Frage der Passivlegitimation, also wer aus dem streitgegenständlichen Pachtvertrag verpflichtet ist, unerheblich.

67

b) Es kann offenbleiben, ob sich eine Pflicht der Beklagten zur Übertragung der bei Auslaufen des Pachtvertrages am 31.12.2013 bestehenden Lieferverträge im Vertragsgebiet aus §§ 546 Abs. 1, 581 Abs. 2 BGB ergibt. Die Beklagte traf jedenfalls nach der Endschaftsbestimmung in § 12 Abs. 6 des Pachtvertrages die Verpflichtung, bei Beendigung des Pachtverhältnisses zum 31.12.2013 alle bei Vertragsablauf bestehenden, die Strom- und Gasversorgung der Stadt ...[Z] im Rahmen des Pachtvertrages betreffenden Verträge auf die Klägerin zu übertragen. Indem sie die bei Vertragsende bestehenden Vertriebskundenverhältnisse nicht an die Klägerin übertragen hat, hat sie diese Pflicht verletzt.

68

aa) Die Endschaftsbestimmung in § 12 Abs. 6 des Pachtvertrages erschöpft sich entgegen der Auffassung der Beklagten nicht in einer Wiedergabe der bei Vertragsschluss im Falle einer Übertragung der Versorgungsanlagen kraft Gesetzes eintretenden Rechtsfolge. Ihr ist vielmehr im Wege der Auslegung (§§ 133, 157 BGB) die verbindliche Verpflichtung zu entnehmen, die bei Pachtende bestehenden Lieferverhältnisse an die Klägerin zurückzuübertragen.

69

(1) Deutlich wird ein entsprechender Regelungswille der Parteien, dem der Wortlaut des § 12 Abs. 6 nicht entgegensteht, anhand der Parallelbestimmung in § 1 Abs. 8 UAbs. 2 des Pachtvertrages, dem § 5 Abs. 1 des Vertrages vom 14.06.1995 entspricht, für den Beginn des Pachtverhältnisses. Dort ist klargestellt, dass die Stadtwerke (Klägerin) bei Beginn des Pachtverhältnisses alle ihnen zu diesem Zeitpunkt zum Zwecke der Durchführung der Strom- und Gasversorgung in ...[Z] zustehenden Rechte und Pflichten, und zwar ausdrücklich unter anderem die aus Strom- und Gaslieferverträgen für die aus den Pachtanlagen belieferten Kunden, auf die …[A] AG „übertragen“ und die …[A] AG in die insoweit bestehenden Rechte und Pflichten anstelle der Stadtwerke „eintritt“. Darin kommt eine Verpflichtung der Parteien zu einem aktiven Handeln, nämlich der Übertragung der Rechte und Pflichten aus den Vertragsverhältnissen von der Klägerin auf die Pächterin sowie deren Eintritt zum Ausdruck. Die Endschaftsbestimmung in § 12 Abs. 6 des Pachtvertrages stellt nach der Systematik des Pachtvertrages den actus contrarius zur Regelung des § 1 Abs. 8 UAbs. 2 bei Vertragsbeginn dar. Spiegelbildlich zur Übertragung der in den Vertrag einbezogenen Sachen und Rechte bei Beginn des Pachtvertrages wollten die Parteien ausweislich der Endschaftsbestimmungen in § 12 des Vertrages bei Pachtende eine Rückübertragung des Pachtgegenstandes vereinbaren. Dementsprechend sollte auch der gemäß § 1 Abs. 8 UAbs. 2 des Pachtvertrages bei Vertragsbeginn auf die Pächterin zu übertragende und damit zum Pachtgegenstand zählende Vertriebskundenstamm bei Beendigung des Vertrages gemäß § 12 Abs. 6 des Pachtvertrages auf die Verpächterin zurückübertragen werden.

70

(2) Insoweit bestand auch nach der Rechtslage bei Vertragsbeginn ein entsprechendes Regelungsbedürfnis. Denn einen gesetzlich geregelten Übergang der Lieferverhältnisse bei Rückgabe der Versorgungsanlagen gab es unter der Geltung des EnWG 1935 nicht (vgl. hierzu auch OLG Stuttgart, Urteil v. 18.08.2005 - 2 U 27/05 -, ZNER 2005, 234 Rn. 37 ff.; OLG Schleswig, Urteil v. 10.01.2006 - 6 U Kart 58/05 -, ZNER 2006, 199 – die einen Übergang der Tarifkundenverhältnisse bei Beendigung des Konzessionsvertrages in ergänzender Auslegung des Konzessionsvertrages bejahen; a.A. OLG Frankfurt, Urteil v. 29.01.2008 - 11 U 20/07 (Kart) -, juris Rn. 81 ff.; Busche, in: Säcker, Berliner Kommentar zum Energierecht, 4. Aufl. 2019, § 36 EnWG Rn. 49). Einen solchen sahen auch die §§ 32 Abs. 6 Satz 1 AVBEltV/AVBGasV nicht vor, die im Übrigen nur für Tarifkundenverhältnisse galten. Nach diesen Bestimmungen bedurfte es zwar nicht der Zustimmung des Kunden, wenn anstelle des bisherigen Versorgungsunternehmens ein anderes Unternehmen in die sich aus dem Vertragsverhältnis ergebenden Rechte und Pflichten eintritt. Eine Regelung zum Vertragsübergang selbst war hierin aber nicht enthalten. Es war daher auch nach der Rechtslage im Zeitpunkt des Vertragsschlusses im Jahre 1993 sinnvoll und geboten, eine ausdrückliche Regelung für die Übertragung der Lieferverhältnisse zu vereinbaren. Entsprechend sind die Klägerin und die …[A] AG in § 1 Abs. 8 UAbs. 2 und § 12 Abs. 6 des Pachtvertrages verfahren.

71

(3) Die Verpflichtung zur Übertragung der Lieferverhältnisse bei Pachtende sollte für Tarif- und für Sondervertragskunden gelten, wie sich sowohl aus der Formulierung „alle bei Vertragsablauf bestehenden Verträge“ in § 12 Abs. 6 Satz 1 als auch aus der sich gerade auf Sondervertragskunden beziehenden Bestimmung des § 12 Abs. 6 Satz 2 des Pachtvertrages ableiten lässt. Danach durfte die …[A] AG in Verträgen mit Sondervertragskunden mit einem Leistungsbedarf von mehr als 5 MW, die innerhalb der letzten zwei Jahre vor Pachtablauf geschlossen werden, keine Sonderzugeständnisse ohne Abstimmung mit der Klägerin zubilligen, sofern die Sonderzugeständnisse über das Ende des Pachtvertrages hinaus wirksam sind. Da insoweit §§ 32 Abs. 6 Satz 1 AVBEltV/AVBGasV (vorbehaltlich einer vertraglichen Vereinbarung) nicht anwendbar waren, bedurfte es hierzu auch nach dem im Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Recht der Zustimmung des jeweiligen Sondervertragskunden. Ein „automatischer“ Vertragsübergang, wie ihn die Beklagte geltend macht, war im Hinblick auf die Sondervertragskunden aus diesem Grund von vornherein nicht möglich. Dessen waren sich die Parteien bewusst, wie die Regelung in § 1 Abs. 8 UAbs. 3 des Pachtvertrages deutlich macht. Sie enthält zum einen die Verpflichtung der …[A] AG, die betreffenden Gläubiger bzw. Schuldner von der Übertragung der Rechte und Pflichten auf sie zu unterrichten. Zum anderen sieht sie vor, dass, soweit zur Übertragung von Pflichten und Rechten die Zustimmung Dritter erforderlich ist, die Klägerin die …[A] AG nach Kräften unterstützen wird, um diese Zustimmung zu erreichen.

72

(4) Die Verpflichtung zur Rückübertragung des Kundenstammes lässt sich nach den vorstehenden Erwägungen nicht auf die Netzkunden beschränken. Vielmehr ergibt sich aus dem Wortlaut der Endschaftsbestimmung in § 12 Abs. 6 des Pachtvertrages, dass alle die Strom- und Gasversorgung der Stadt betreffenden Verträge übergehen sollen. Darunter fallen gerade auch die Strom- und Lieferverträge mit den Endkunden. Da sich die Übertragungspflicht ausdrücklich auf „alle bei Vertragsablauf bestehenden Verträge“ bezieht, scheidet zudem ein begrenztes Verständnis bezogen allein auf die Lieferverträge aus, die bei Pachtbeginn ursprünglich einmal von der Klägerin auf die …[A] AG übertragen worden waren.

73

bb) Der Pachtvertrag ist entgegen der Ansicht der Berufung nicht nach § 134 BGB in Bezug auf die Endschaftsbestimmung des § 12 Abs. 6 des Pachtvertrages teilnichtig (vgl. § 139 BGB). Bei den §§ 7 f., 36 EnWG handelt es sich bereits nicht um Verbotsgesetze im Sinne von § 134 BGB. Dessen ungeachtet steht die Übertragungsverpflichtung auch nicht in Konflikt zu den vorgenannten gesetzlichen Regelungen.

74

(1) Verbotsgesetze betreffen Rechtsgeschäfte, die der Betroffene vornehmen kann, aber wegen ihres Inhalts oder der Umstände ihres Zustandekommens nicht vornehmen darf (Ellenberger, in: Palandt, BGB, 78. Aufl. 2019, § 134 Rn. 5 m.w.N.). Wenngleich sich die Wirksamkeit eines Vertrags grundsätzlich nach dem zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Recht richtet, können Verbotsgesetze ausnahmsweise auch vorher begründete Dauerschuldverhältnisse erfassen. Dies setzt voraus, dass das Verbotsgesetz die für die Zukunft oder gar rückwirkend eintretende Nichtigkeit nach seinem Sinn und Zweck erfordert (BGH, Beschluss v. 18.02.2003 - KVR 24/01 -, BGHZ 154, 21 Rn. 22; BGH, Urteil v. 25.06.2014 - VIII ZR 344/13 -, BGHZ 201, 363 Rn. 33).

75

(2) Die mit dem Zweiten Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vom 07.07.2005 (BGBl. 2005 Teil I Nr. 42, 1970) eingeführte Vorschrift des § 36 EnWG regelt die Grundversorgungspflicht, durch die zum Zwecke der Daseinsvorsorge jedem Haushaltskunden im Sinne von § 3 Nr. 22 EnWG eine Belieferung mit Strom und Gas gesichert werden soll (vgl. Hellermann, in: Britz/Hellermann/Hermes, Energiewirtschaftsgesetz, 3. Aufl. 2015, § 36 Rn. 1 ff.). Hierzu sieht Absatz 1 der Regelung einen einseitigen Kontrahierungszwang des Grundversorgers vor. Absatz 2 der Vorschrift bestimmt, dass Grundversorger jeweils das Energieversorgungsunternehmen ist, das die meisten Haushaltskunden in einem Netzgebiet der allgemeinen Versorgung beliefert; darüber hinaus wird die Verfahrensweise seiner Bestimmung geregelt. Nach Absatz 3 gelten im Falle eines Wechsels des Grundversorgers infolge einer Feststellung nach Absatz 2 die von Haushaltskunden mit dem bisherigen Grundversorger auf der Grundlage des Absatzes 1 geschlossenen Energielieferverträge zu den im Zeitpunkt des Wechsels geltenden Bedingungen und Preisen fort.

76

(a) Die Vorschrift des § 36 EnWG regelt hiernach nur, wie der Grundversorger bestimmt wird und welchen Bindungen er im Versorgungsverhältnis gegenüber Haushaltskunden unterliegt. Ein Verbot im Hinblick auf das Zustandekommen oder den Inhalt rechtsgeschäftlicher Vereinbarungen zwischen zwei Energieversorgungsunternehmen lässt sich aus diesen Regelungen nicht ableiten.

77

(b) Die streitgegenständliche Rückübertragungsverpflichtung steht mit den Bestimmungen des § 36 EnWG auch nicht in Widerspruch. Weder enthält sie, noch bezweckt sie eine Änderung der Stellung des Grundversorgers entgegen den gesetzlichen Vorgaben. Sofern infolge der Übertragung der Endkundenverträge eine Änderung des Grundversorgers im Verfahren nach § 36 Abs. 2 EnWG eintritt, liegt hierin kein Gesetzesverstoß. Ein möglicher Wechsel des Grundversorgers ist vielmehr gerade Gegenstand der Regelung des § 36 Abs. 2 EnWG, wenn nämlich innerhalb des vorgesehenen Dreijahreszeitraums ein anderes Energieversorgungsunternehmen die meisten Haushaltskunden in einem Netzgebiet der allgemeinen Versorgung beliefert. Dann und im Falle der Einstellung der Geschäftstätigkeit des Grundversorgers (vgl. § 36 Abs. 2 Satz 5 EnWG) wechselt die Person des Grundversorgers. Hieran ändert der vertragliche Anspruch auf Übertragung der Lieferverhältnisse nichts. Das Schutzziel von § 36 EnWG, besonders schutzwürdige Energieverbraucher zu standardisierten Bedingungen zuverlässig mit Energie zu versorgen, wird durch die Übertragungsverpflichtung auch dann nicht in Frage gestellt, wenn die Beklagte bzw. die über die Lieferverhältnisse bei Vertragsende verfügende …[A8] im Vertragsgebiet Grundversorger gewesen wäre. Die Situation für die Haushaltskunden wäre nicht wesentlich anders, als wenn unter Anwendung des Verfahrens nach § 36 Abs. 2 EnWG der Grundversorger wechselt. Insoweit ergibt sich aus § 36 Abs. 3 EnWG, wonach im Falle eines Wechsels des Grundversorgers infolge einer Feststellung nach Absatz 2 die von Haushaltskunden mit dem bisherigen Grundversorger auf der Grundlage des Absatzes 1 geschlossenen Energielieferverträge zu den im Zeitpunkt des Wechsels geltenden Bedingungen und Preisen fortbestehen, dass als Grundversorgungsverträge geschlossene Belieferungskontrakte nicht an den jeweiligen Grundversorger gebunden sind. Der Vorschrift kommt dabei nur klarstellende Bedeutung zu, da ihr Inhalt sich aus dem Grundsatz der Relativität schuldrechtlicher Beziehungen ableitet (vgl. Busche, in: Säcker, a.a.O., Rn. 48). Die schutzwürdigen Interessen der Haushaltskunden werden durch eine Übertragung der Lieferverhältnisse auf die Klägerin im Übrigen nicht beeinträchtigt, da keine Änderung der ursprünglich mit dem (unterstellt) Grundversorger zustande gekommenen Vertragsinhalte erfolgt. Eine solche wäre auch nicht ohne Zustimmung der Kunden möglich.

78

(3) Die ebenfalls mit dem Zweiten Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vom 07.07.2005 eingeführten §§ 7 Abs. 1, 7a EnWG sehen zur Gewährleistung von Transparenz sowie einer diskriminierungsfreien Ausgestaltung und Abwicklung des Netzbetriebs (vgl. § 6 Abs. 1 Satz 1 und 2 EnWG) eine rechtliche und operationelle Entflechtung vertikal integrierter Energieversorgungsunternehmen vor; das heißt, der Verteilernetzbetreiber muss hinsichtlich seiner Rechtsform und Organisation unabhängig von den übrigen Tätigkeitsbereichen der Energieversorgung sein. Die Bestimmungen wenden sich damit an das einzelne vertikal integrierte Energieversorgungsunternehmen, das eine entsprechende Trennung des Versorgungsbereiches vom Netzbetrieb gewährleisten muss. Ein Verbot im Hinblick auf eine vertragliche Übertragungsverpflichtung bezüglich Versorgungsverträgen zwischen zwei voneinander unabhängigen Energieversorgungsunternehmen ist damit nicht verbunden.

79

Dessen ungeachtet hat das Landgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass die Klägerin nach §§ 7 Abs. 2, 7a Abs. 7 EnWG den Erfordernissen der Entflechtung selbst gar nicht unterworfen ist, da ihrem Elektrizitäts- sowie Gasverteilernetz unstreitig weniger als 100.000 Kunden angeschlossen sind. Die Übertragung der Endkundenverträge auf sie kann daher von vornherein keinen Bedenken im Hinblick auf die Entflechtungsvorschriften unterliegen. Demgegenüber ist es (allein) Sache der Beklagten, sich so zu organisieren, dass die vertraglich vereinbarte Übertragung der Versorgungsverträge unter Einhaltung der Vorgaben der §§ 7, 7a EnWG erfolgt.

80

cc) Der Anspruch nach § 12 Abs. 6 des Pachtvertrages ist nicht wegen Unmöglichkeit der Erfüllung gemäß § 275 Abs. 1 BGB ausgeschlossen.

81

(1) Zwar verfügt die Beklagte nicht über die nach § 12 Abs. 6 des Pachtvertrages an die Klägerin zu übertragenden Strom- und Gaslieferverhältnisse. Diese befinden sich vielmehr seit dem 01.01.2009 bei der …[A7] AG, deren Rechtsnachfolgerin die…[A8] ist. Dies allein führt indes nicht zu einem Unvermögen der Beklagten, die geschuldete Leistung zu erbringen. Denn die Beklagte, die insoweit die Darlegungs- und Beweislast trägt, behauptet nicht, dass die …[A8] die erforderliche Mitwirkung an einer Übertragung der Versorgungsverträge auf die Klägerin verweigert oder von grob unverhältnismäßigen Folgen abhängig macht (vgl. BGH, Urteil v. 10.10.2012 - XII ZR 117/10 -, BGHZ 195, 50 Rn. 52 ff.; Urteil v. 19.01.2018 - V ZR 273/16 -, MDR 2018, 589 Rn. 23 m.w.N.; Grüneberg, in: Palandt, a.a.O., § 275 Rn. 25, 34). Im Gegenteil ist die Beklagte dem Vorbringen der Klägerin nicht entgegengetreten, dass sich die …[A8] als zum selben Konzern gehörende Schwestergesellschaft einem entsprechenden Ansinnen der Beklagten nicht entgegenstellen würde (vgl. Klageschrift, S. 101 = Bl. 101 d.A. und Klägerschriftsatz v. 25.07.2018, S. 16 = Bl. 826 d.A.). Dieser Vortrag ist daher nach § 138 Abs. 3 ZPO als unstreitig anzusehen.

82

(2) Eine rechtliche Unmöglichkeit ergibt sich nicht daraus, dass die Übertragung der Versorgungsverträge unter Mithilfe der …[A8] gegen die Entflechtungsbestimmungen der §§ 7, 7a EnWG verstößt. Es liegt allein im Verantwortungsbereich der Beklagtenseite, sicherzustellen, dass eine rechtliche und operationelle Entflechtung vollzogen wird. Diese Unabhängigkeit der Beklagten als Verteilernetzbetreiberin von der …[A8] als Energieversorgungsunternehmen wird nicht dadurch berührt, dass die …[A8] die von ihr gehaltenen Versorgungsverträge auf die Klägerin überträgt. Auch wird hierdurch nicht zwangsläufig gegen § 7a Abs. 6 EnWG verstoßen, wie die Beklagte geltend macht. Nach dieser Bestimmung haben Verteilernetzbetreiber, die Teil eines vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmens sind, in ihrem Kommunikationsverhalten und ihrer Markenpolitik zu gewährleisten, dass eine Verwechslung zwischen Verteilernetzbetreiber und den Vertriebsaktivitäten des vertikal integrierten Energieversorgungsunternehmens ausgeschlossen ist. Bereits die Annahme der Beklagten, sie als Netzbetreiber müsse zwecks Übertragung der Energieversorgungsverträge nach außen an die Kunden herantreten, ist nicht zwingend. Die erforderliche Einholung der Zustimmung der Kunden zur Übertragung der Verträge hätte vielmehr ebenso und einfacher durch deren bisherige Vertragspartnerin, die …[A8], erfolgen können. Im Übrigen kann eine Verwechselungsgefahr im Sinne von § 7a EnWG durch entsprechende Formulierung der Anschreiben gegenüber den Kunden leicht vermieden werden.

83

(3) Eine Übertragung der Verträge ist auch nicht deshalb rechtlich unmöglich, weil es hierfür der Zustimmung der Kunden bedürfte (vgl. §§ 414, 415 BGB). Denn die darlegungs- und beweisbelastete Beklagte hat weder behauptet noch ergibt sich dies sonst, dass überhaupt und gegebenenfalls in welchem Umfang Kunden ihre Zustimmung zur Übertragung der Verträge auf die Klägerin tatsächlich verweigern. Spiegelbildlich zur Übertragungsregelung in § 1 Abs. 8 UAbs. 3 Satz 2 des Pachtvertrages ist die Beklagte gehalten, alles in ihren Kräften Stehende zu unternehmen, um die Zustimmung der Kunden zu erreichen. Dass sie derartige Anstrengungen unternommen hat, hat sie nicht dargelegt. Es kann deshalb auch unter diesem Gesichtspunkt nicht festgestellt werden, dass eine Übertragung der Lieferverhältnisse wegen des Zustimmungserfordernisses der Kunden unmöglich gewesen wäre.

84

Darüber hinaus ist, worauf die Klägerin zu Recht hinweist, eine Übertragung der Kundenverträge im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auch ohne Zustimmung der Kunden möglich. Eine solche Übertragung unter Nutzung des Umwandlungsrechts hat nach Abschluss des streitgegenständlichen Pachtvertrages im …[A2]-Konzern mehrfach stattgefunden. Die Klägerin selbst hat in einem Schreiben vom 17.07.2014 an die …[A5] AG ausdrücklich vorgeschlagen, dass der Strom- und Gaskundenstamm der Stadt ...[Z] gemäß § 123 Abs. 3 UmwG auf eine Tochtergesellschaft ausgegliedert wird, deren Geschäftsanteile auf die Klägerin übertragen werden (vgl. Anlage K18, Anlagenordner I Klägerin). Dieser Möglichkeit ist die Beklagte nur insoweit entgegengetreten, als sie meint, hierzu nach dem Pachtvertrag nicht verpflichtet zu sein. Der Pachtvertrag steht allerdings einer Erfüllung der sich aus § 12 Abs. 6 ergebenden Übertragungsverpflichtung auf diesem Wege auch nicht entgegen.

85

(4) Ein Schadensersatzanspruch der Klägerin ist im Übrigen selbst dann gegeben, wenn man entgegen den vorstehenden Erwägungen aufgrund einer fehlenden Zustimmung der Kunden von einer rechtlich unmöglichen Erfüllung der Übertragungsverpflichtung ausgehen wollte. Denn ein solches Unvermögen der Beklagten wäre schuldhaft herbeigeführt und würde daher einen Schadensersatzanspruch nach §§ 275 Abs. 4, 283 Satz 1, 280 Abs. 1 BGB begründen. Das Verschulden der Beklagten resultiert daraus, dass sie die Rechte und Pflichten aus dem Pachtvertrag übernommen hat, ohne gleichzeitig sicherzustellen, dass ihr eine Erfüllung der übernommenen Verpflichtungen ermöglicht wird (vgl. hierzu Hörtnagl, in: Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG, 8. Aufl. 2018, § 133 Rn. 9; Henning Fischer, in: Böttcher/Habighorst/Schulte, Umwandlungsrecht, 2. Aufl. 2019, § 133 Rn. 34; Seulen, in: Semler/Stengel, UmwG, 4. Aufl. 2017, § 133 Rn. 41, 54).

86

Die Beklagte hätte sich durch eine vertragliche Vereinbarung mit dem übertragenden Rechtsträger den Zugriff auf die Lieferverträge (allein) zum Zweck ihrer Rückübertragung an die Klägerin einräumen lassen können. Darüber hinaus war eine getrennte Übertragung des Netzbetriebs und der Vertriebssparte aufgrund der im Jahre 2005 eingeführten Vorschriften zur rechtlichen und operationellen Entflechtung von Verteilernetzbetreibern (§§ 7 f. EnWG) nicht zwingend erforderlich. Eine eigentumsrechtliche Entflechtung (sogen. Ownership Unbundling), das heißt ein Verkauf des Geschäftsbereichs Netzbetrieb bzw. eine Übertragung des Eigentums an Vermögenswerten des Netzes ist gerade nicht vorgeschrieben (BT-Drs. 15/3917, S. 51). Es besteht daher keine Notwendigkeit, dass das Eigentum an der Netzgesellschaft und an den wettbewerbsfähigen Bereichen in unterschiedlichen Händen liegt oder dass das Eigentum am Netz auf eine Netzgesellschaft übertragen wird (Säcker/Schönborn, in: Säcker, a.a.O., § 7 EnWG Rn. 22). Den Entflechtungsbestimmungen kann etwa auch durch die häufig gewählte Möglichkeit einer (Unter-)Verpachtung des Netzes an eine Tochtergesellschaft Rechnung getragen werden (vgl. hierzu Säcker/Schönborn, a.a.O., Rn. 27; Schaub, in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2018, § 581 Rn. 101; Hölscher, in: Britz/Hellermann/Hermes, a.a.O., § 7 Rn. 10, 15 ff. jeweils m.w.N.). Demnach hätte eine Übertragung der Rechte und Pflichten aus dem streitgegenständlichen Pachtvertrag nicht unabhängig von den Lieferverhältnissen erfolgen müssen, deren Rückgabe bei Beendigung des Pachtverhältnisses geschuldet war.

87

dd) Die Verpflichtung der Beklagten zur Übertragung der Energielieferverhältnisse auf die Klägerin ist auch nicht deshalb entfallen, weil der Pachtvertrag in Anwendung der Grundsätze der Änderung der Geschäftsgrundlage (§ 313 Abs. 2 und 3 BGB) entsprechend anzupassen wäre. Dabei kann offenbleiben, ob ein Anspruch der Beklagten auf Anpassung des Vertrages, wie die Klägerin meint, verjährt ist oder ob dies nicht der Fall ist, weil die insoweit aus Sicht der Beklagten maßgebliche Rechtsänderung in Gestalt der Abschaffung der Gebietsmonopole im Stromversorgungsbereich sowie der Einrichtung eines Zugangs von Dritten zum Stromnetz durch das Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vom 24.04.1998 (BGBl. I 1998 Nr. 23, S. 730) bereits im Jahre 1998 in Kraft getreten und die Vertragsanpassung entsprechend dem vor der Schuldrechtsreform geltenden Recht daher unmittelbar kraft Gesetzes erfolgt war, ohne dass es ihrer Geltendmachung bedurfte (vgl. dazu BGH, Entscheidung v. 19.11.1971 - V ZR 103/69 -, NJW 1972, 152 Rn. 13; Heinrichs, in: Palandt, BGB, 61. Aufl. 2002, § 242 Rn. 130). Denn bereits die Voraussetzungen für eine Vertragsanpassung liegen nicht vor.

88

(1) Einer Anwendung dieser Grundsätze steht allerdings entgegen der Annahme des Landgerichts hier nicht entgegen, dass bei Dauerschuldverhältnissen wie dem streitgegenständlichen Pachtvertrag das Kündigungsrecht aus wichtigem Grund vorrangig ist. Denn dies gilt nur, soweit es um die Auflösung des Vertrages geht (BGH, Urteil v. 09.10.1996 - VIII ZR 266/95 -, BGHZ 133, 363 Rn. 17; Grüneberg, in: Palandt, 78. Aufl. 2019, § 313 Rn. 14). Vorliegend macht die Beklagte indes nicht die Auflösung des Pachtvertrages, sondern seine Anpassung im Sinne eines Wegfalls der sich aus der Endschaftsbestimmung des § 12 Abs. 6 ergebenden Verpflichtung zur Rückübertragung der Lieferverhältnisse geltend.

89

Eine Anwendung der Grundsätze zur Störung der Geschäftsgrundlage kann auch nicht deshalb verneint werden, weil der Pachtvertrag bereits seit Ende 2013 beendet ist. Zwar kommt eine Anpassung in der Regel nur für noch nicht abgewickelte Vertragsverhältnisse in Betracht (vgl. BGH, Urteil v. 24.11.1995 - V ZR 164/94 -, BGHZ 131, 209 Rn. 27 m.w.N.; Finkenauer, in: MünchKomm BGB, 8. Aufl. 2019, § 313 Rn. 48). Die sich aus dem streitgegenständlichen Pachtvertrag ergebenden Verpflichtungen sind jedoch noch nicht vollständig erfüllt. Die nach Auffassung der Beklagten für die begehrte Anpassung maßgebliche Rechtsänderung durch das Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vom 24.04.1998 wie auch das Erste Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vom 20.05.2003 (BGBl. I 2003, Nr. 20, S. 696), mit dem der Rechtsanspruch auf diskriminierungsfreien Zugang zu fremden Leitungsnetzen auf den Gasbereich erweitert wurde, traten noch während der Laufzeit des Pachtvertrages in Kraft. Gerade die Erfüllung der deshalb zwischen den Parteien streitigen Verpflichtung zur Rückübertragung der Lieferverhältnisse bzw. des sekundären Schadensersatzanspruches steht noch aus.

90

(2) Eine Anpassung des Pachtvertrages wegen des Wegfalls der Gebietsmonopole der jeweils versorgenden Energieunternehmen in den Jahren 1998 und 2003 und der dadurch eröffneten Wechselmöglichkeit der Strom- und Gaskunden scheidet zunächst deshalb aus, weil die Parteien mit einer Liberalisierung des Energiemarktes während der 20-jährigen Laufzeit des Vertrages gerechnet und gleichwohl bewusst auf eine dem Rechnung tragende Anpassungsklausel verzichtet haben.

91

(a) Notwendige Voraussetzung für eine Vertragsanpassung ist, dass sich die Umstände, die Geschäftsgrundlage geworden sein sollen, unvorhersehbar geändert haben (BGH, Versäumnisurteil v. 09.01.2009 - V ZR 168/07 -, NJW 2009, 1348 Rn. 11). Denn hätten diese Umstände, weil sie vorhersehbar waren, im Vertrag durch eine ihnen Rechnung tragende Anpassungsklausel berücksichtigt werden können, ist in der Regel davon auszugehen, dass die Parteien das Risiko ihres Eintritts übernommen haben (vgl. BGH, Urteil v. 23.05.2014 - V ZR 208/12 -, NJW 2014, 1970 Rn. 25).

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(b) Unstreitig gab es bereits vor dem Abschluss des Pachtvertrages sowohl auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft als auch der Bundesregierung Liberalisierungsbestrebungen im Hinblick auf den Energiemarkt. Die von der Bundesregierung eingesetzte Deregulierungskommission hatte bereits im Jahre 1991 eine grundlegende Veränderung des Ordnungsrahmens mit einer Aufhebung des Gebietsschutzes und der Trennung von Stromerzeugung und -versorgung gefordert (vgl. Deregulierungskommission, Marktöffnung und Wettbewerb, 1991, S. 84 ff., Anlagenordner zum Schriftsatz der Klägerin v. 02.12.2016 (2-2); Das energiepolitische Gesamtkonzept der Bundesregierung vom 11.12.1991, BT-Drs. 12/1799, S. 36, vorgen. Anlagenordner). Im März 1992 hatte die Europäische Kommission Vorschläge für Richtlinien betreffend gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitäts- und Erdgasbinnenmarkt vorgelegt, die u.a. einen Zugang von Drittunternehmen zu den Netzen (sogen. „Third Party Access“) sowie die Einführung des Konzeptes des „Unbundling“ in vertikal integrierten Versorgungsunternehmen für Management und Rechnungswesen vorsahen (KOM(91) 548 endg., ABl. EG 1992 Nr. C 65/4 und 14, vorgen. Anlagenordner). Damit sollte eine zweite Stufe zur Verwirklichung eines Binnenmarktes für Elektrizität und Gas erreicht werden; für die dritte und letzte Stufe sah die Kommission einen Zeitraum von lediglich drei Jahren als ausreichend an (vgl. die Erwägungsgründe der Kommissionsvorschläge, a.a.O.). Das Europäische Parlament hat unter dem 17.11.1993 Änderungsvorschläge zu den Richtlinienvorschlägen der Europäischen Kommission verabschiedet, die demgegenüber u.a. die Berechtigung der Mitgliedstaaten vorsahen, Liefermonopole von Verteilungsunternehmen in dem Gebiet ihrer jeweiligen Zuständigkeit beizubehalten (vgl. Europäische Union und Internationales, in: Energiewirtschaftliche Tagesfragen 1994, S. 73, Anlage KE 8 zur Klageerwiderung). Vor diesem Hintergrund legte die Europäische Kommission am 07.12.1993 abgeänderte Vorschläge für Richtlinien des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend gemeinsame Vorschriften für einen Elektrizitäts- bzw. Erdgasbinnenmarkt vor (KOM(93) 643 endg., ABl. EG 1994 Nr. C 123), in denen dieser Änderungsvorschlag nicht übernommen wurde. Wie sich der EU-Energieministerrat zu den Vorschlägen positionieren würde, war im Zeitpunkt der Unterzeichnung des Pachtvertrages noch offen (vgl. Europäische Union und Internationales, in: Energiewirtschaftliche Tagesfragen 1994, S. 74, a.a.O.). Wenngleich daher bei Vertragsschluss am 20.12.1993 noch nicht absehbar war, in welchem Umfang und wann es zu einer Umsetzung der Kommissionsvorschläge kommen würde, musste in Anbetracht der in ihnen konkretisierten Bestrebungen zur Gewährleistung eines offenen Netzzugangs dennoch damit gerechnet werden, dass die Monopolstellung der örtlichen Energieversorgungsträger während der Mindestlaufzeit des Pachtvertrages von 20 Jahren abgeschafft und ein Wettbewerb unter den Stromlieferanten eröffnet werden würde.

93

(c) Dieser möglichen Entwicklung waren sich die Parteien entgegen der Behauptung der Beklagten auch bewusst. Dies ergibt sich deutlich aus der Beratungsvorlage für den Aufsichtsrat der Klägerin vom 29.04.1993 (Anlage K6, Anlagenordner I Klägerin), in der im Hinblick auf eine etwaig kommunale Lösung der Energieversorgung im Stadtgebiet auf die „derzeit in der deutschen Elektrizitätswirtschaft geführte Diskussion zu Überlegungen der EG-Kommission mit „Third Party Access“, Stichwort TPA, mehr Wettbewerb im Strombereich einzuführen“, hingewiesen wird. Es erscheint fernliegend, dass die …[A] AG als ursprüngliche Vertragspartnerin der Klägerin und Rechtsvorgängerin der Beklagten im Gegensatz zu den klägerischen Stadtwerken eine solcherart mögliche Liberalisierung in absehbarer Zeit nicht ebenfalls im Blick gehabt hat. Dass die …[A] AG Kenntnis von den durch die Europäische Kommission in Gang gesetzten Liberalisierungsbestrebungen hatte, wird von der Beklagten auch nicht bestritten. Sie weist lediglich darauf hin, dass nicht erkennbar gewesen sei, wie die europarechtlichen Rahmenbedingungen für die Strom- und Gaswirtschaft am Ende aussehen, welche etwaigen Spielräume für den Landesgesetzgeber verbleiben und im nationalen Recht verankert werden würden. Dies stellt jedoch nicht in Frage, dass aufgrund der Vorschläge der Europäischen Kommission für den Elektrizitäts- und Erdgasbinnenmarkt mit der Möglichkeit eines liberalisierten Netzzugangs (“Third Party Access“) gerechnet werden musste und die Abschaffung der Gebietsmonopole, auf die die Beklagte ihr Anpassungsbegehren stützt, damit vorhersehbar gewesen war. Dass die Parteien bei Vertragsschluss erwartet haben, eine solche Änderung der vertraglich vorausgesetzten rechtlichen Rahmenbedingungen werde gleichwohl innerhalb der 20-jährigen Vertragslaufzeit nicht eintreten, behauptet die Beklagte nicht.

94

(d) Indem die Parteien sich geeinigt haben, die von der …[A] AG ursprünglich vorgeschlagene und von ihr in vergleichbaren Verträgen sonst üblicherweise vereinbarte Wirtschaftsklausel nicht in den Vertrag aufzunehmen, haben sie sich gegen eine Anpassungsmöglichkeit im Falle einer wesentlichen Änderung der allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse oder aber der Grundlagen, auf denen der Pachtvertrag beruht, entschieden. Sie haben damit das nach den vorstehenden Ausführungen absehbare Risiko, dass eine solche Änderung eintritt, sowie die sich hieraus ergebenden Folgen für die eine oder die andere Seite bewusst in Kauf genommen. Dieser Parteiwille würde konterkariert, wollte man aufgrund der späteren Verwirklichung des Risikos nunmehr doch eine Vertragsanpassung zulassen.

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(3) Dessen ungeachtet ist der Beklagten ein Festhalten an der vertraglich vereinbarten Rückübertragungsverpflichtung der Lieferverhältnisse auch nicht unzumutbar.

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(a) Unzumutbarkeit setzt voraus, dass ein Festhalten am unveränderten Vertrag für den betroffenen Vertragspartner zu untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit nicht zu vereinbarenden Ergebnissen führen würde (BGH, Urteil v. 11.10.1994 - XI ZR 189/93 -, BGHZ 127, 212 Rn. 22; Urteil v. 05.01.1995 - IX ZR 85/94 -, BGHZ 128, 230 Rn. 19; Urteil v. 01.02.2012 - VIII ZR 307/10 -, NJW 2012, 1718 Rn. 30; Grüneberg, in: Palandt, 78. Aufl. 2019, § 313 Rn. 24). Die Prüfung dieser Voraussetzung erfordert eine umfassende Interessenabwägung unter Würdigung aller Umstände, insbesondere auch der Vorteile, die der betroffenen Partei neben den Nachteilen aus den eingetretenen Veränderungen erwachsen sind (BGH, Urteil v. 11.10.1994 - XI ZR 189/93 -, a.a.O.; Grüneberg, a.a.O.).

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(b) Die Verpflichtung zur Rückübertragung der Strom- und Gaslieferverhältnisse - in ihrem wechselnden Bestand - bei Beendigung des Pachtvertrages liegt darin begründet, dass diese der …[A] AG und ihren Rechtsnachfolgerinnen nur auf Zeit überlassen worden waren. Auch wenn es nicht zu einer Öffnung des Strom- und Gasmarktes während der Vertragslaufzeit gekommen wäre, hätte die Beklagte diese daher mit dem Netz an die Klägerin zurückgeben müssen und nicht die Möglichkeit gehabt, nach Pachtende von den Kundenbeziehungen weiter zu profitieren. Zwar mussten die Beklagte bzw. die …[A8] und ihre Rechtsvorgängerinnen, auf die die Lieferverhältnisse übertragen worden waren, aufgrund des eröffneten Wettbewerbs unter den Energielieferanten Akquisebemühungen entfalten, die bei einer Fortgeltung der alten Rechtslage nicht erforderlich gewesen wären. Die Liberalisierung hatte für sie aber auch wirtschaftliche Vorteile. So konnten sie durch die Gewinnung von Netzkunden zusätzliche Entgelte generieren. Darüber hinaus stand der Beklagten bzw. der …[A8] und ihren Rechtsvorgängerinnen die Möglichkeit offen, bereits während der Laufzeit des Pachtvertrages zusätzliche Kunden in Gebieten anderer Netzbetreiber und nach dem Ende des Pachtvertrages zudem auch Kunden im Netzgebiet der Klägerin anzuwerben. Der sich hieraus ergebende wirtschaftliche Nutzen hätte bei einer Fortgeltung der alten Rechtslage nicht bestanden. Ein für die Beklagte untragbares Ergebnis bei Fortgeltung der sich aus der Endschaftsbestimmung in § 12 Abs. 6 des Pachtvertrages ergebenden Übertragungsverpflichtung im Hinblick auf die Energielieferverhältnisse lässt sich bei Würdigung dieser Umstände nicht feststellen. Gegen eine unzumutbare Belastung durch die zur Kundenerhaltung und -gewinnung erforderliche Akquisetätigkeit spricht im Übrigen auch, dass der Pachtvertrag trotz der bereits im Jahre 1998 bzw. 2003 eingetretenen Änderung der rechtlichen Rahmenbedingungen von der Beklagten bzw. ihren Rechtsvorgängerinnen unbeanstandet bis zum Ablauf der Mindestvertragszeit am 31.12.2013 fortgeführt worden ist.

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c) Das Verschulden der Beklagten hinsichtlich der Nichtübertragung der Lieferverhältnisse wird nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB vermutet; einen Entlastungsbeweis hat die Beklagte nicht geführt.

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d) Einer erfolglosen Fristsetzung zur Leistung gegenüber der Beklagten gemäß § 281 Abs. 1 Satz 1 BGB bedarf es vorliegend nicht, weil die Beklagte die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert hat (§ 281 Abs. 2 BGB). Dabei kommt es auf eine etwaige wirksame Bevollmächtigung der …[A5] AG durch die Beklagte nicht an. Denn mit Schreiben vom 03.07.2015 haben sich die Beklagtenvertreter gegenüber der Klägerin u.a. für die Beklagte bestellt und erklärt, dass nach ihrer Ansicht aus den bereits mitgeteilten Gründen kein Anspruch auf Übertragung der Kundenverhältnisse bestehe, es insoweit keine Basis für weitere Gespräche gebe und im Hinblick auf die angekündigten rechtlichen Schritte das Angebot angenommen werde, auf das vorgeschaltete schiedsrichterliche Verfahren zu verzichten. Die Beklagte hat damit zum Ausdruck gebracht, dass sie nicht leisten werde und der Klägerin eine gerichtliche Klärung ihrer Forderung anheimgestellt. Damit hat sie ernsthaft und endgültig eine (Rück-)Übertragung der Lieferverhältnisse auf die Klägerin verweigert.

100

3. Die Kostentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 709 Satz 2 ZPO.

101

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Zulässigkeitsvoraussetzungen nach § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht gegeben sind.

102

Der Senat hat beschlossen, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 20.000.000,00 € festzusetzen.

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