Beschluss vom Oberlandesgericht Naumburg (1. Zivilsenat) - 1 W 5/13

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Verfügungsklägerin wird der Beschluss des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 28. Dezember 2012 abgeändert:

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Verfügungsbeklagte.

Der Verfügungsbeklagten werden die Kosten des Beschwerdeverfahrens auferlegt.

Der Streitwert entspricht der Gebührenstufe bis 2.500,00 EUR.

Gründe

I.

1

Im Januar 2012 erwarb die Verfügungsklägerin von der Verfügungsbeklagten einen VW Transporter zum Kaufpreis von 7.037,18 EUR. Sie leistete eine Anzahlung von 3.000,00 EUR. Offen blieben 4.037,18 EUR. Das Fahrzeug wurde der Verfügungsklägerin übergeben. Die Verfügungsbeklagte behielt den Kfz.-Brief und die Zweitschlüssel. Mitte September 2012 verschwand das Fahrzeug vom Privatgrundstück eines Mitarbeiters der Verfügungsklägerin. Es stellte sich heraus, dass die Verfügungsbeklagte den VW in Besitz genommen hatte, um ihn wegen des noch nicht vollständig bezahlten Kaufpreises zu verwerten.

2

Die Verfügungsklägerin forderte die Verfügungsbeklagte zur Herausgabe auf und beantragte schließlich Mitte Oktober 2012 den Erlass einer auf Herausgabe gerichteten einstweiligen Verfügung. Das Landgericht hat dem Antrag mit Beschluss vom 18. Oktober 2012 stattgegeben. Am 20. November 2012 widersprach die Verfügungsbeklagte der einstweiligen Verfügung und behauptete, über den Restkaufpreis hätten die Parteien einen Darlehensvertrag geschlossen, der vorsehe, das Fahrzeug bei Verzug mit den vereinbarten Raten einzuziehen und zu verwerten. So sei die Verfügungsbeklagte vorgegangen, nachdem sie den Darlehensvertrag gekündigt und die Verfügungsklägerin erfolglos zur Herausgabe des Fahrzeugs aufgefordert habe. Schon zur Zeit des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sei sie nicht mehr im Besitz des Fahrzeuges gewesen. Sie habe es am 19. September 2012 verkauft.

3

In der mündlichen Verhandlung vom 17. Dezember 2012 haben die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt. Das Landgericht hat daraufhin mit Beschluss vom 28. Dezember 2012 der Verfügungsklägerin die Kosten des Rechtsstreits auferlegt, denn sie wäre im Rechtsstreit voraussichtlich unterlegen. Die Verfügungsklägerin habe den Besitz der Verfügungsbeklagten am Transporter zur Zeit des Eintritts der Rechtshängigkeit nicht glaubhaft gemacht. Hieran hätte der Antrag auf Erlass der Herausgabeverfügung scheitern müssen.

4

Gegen diese, ihrem Prozessbevollmächtigten am 7. Januar 2013 zugestellte Entscheidung wendet sich die Verfügungsklägerin mit der am 17. Januar 2013 beim Landgericht eingegangenen sofortigen Beschwerde, der die Einzelrichterin nicht abgeholfen hat.

5

Nach Auffassung der Verfügungsklägerin habe die Verfügungsbeklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Sie habe ihr den Besitz am Fahrzeug entzogen und nicht nachweisen können, das Fahrzeug bereits am 19. September 2012 veräußert zu haben. Es sei sogar der Beweis des Besitzes der Verfügungsbeklagten geführt. Dies habe materiell-rechtlich und prozessual die Folge, dass die Verfügungsbeklagte nach der übereinstimmenden Erledigungserklärung der Parteien die Kosten zu tragen habe.

6

Die Verfügungsbeklagte verteidigt hingegen die Entscheidung des Landgerichts und vertritt die Auffassung, sie habe das Fahrzeug auf Grund des Zahlungsverzuges verwerten dürfen.

II.

7

Die nach §§ 91a Abs. 2 Sätze 1 u. 2, 567 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 569 Abs. 1 Sätze 1 u. 2, Abs. 2 ZPO zulässige und vom Einzelrichter des Beschwerdegerichts zu entscheidende (§ 568 Satz 1 ZPO) sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Entgegen der Auffassung des Landgerichts sind die Kosten des Rechtsstreits unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen der Verfügungsbeklagten aufzuerlegen (§ 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO).

8

Der Ausgangspunkt des Landgerichts, wonach über die Kosten des Rechtsstreits nach § 91a ZPO zu entscheiden ist, es dabei vor allem darauf ankommt, wer ohne die Erledigung die unterlegene Partei gewesen wäre, und der Erfolg des Antrags der Verfügungsklägerin vom Besitz der Verfügungsbeklagten abhängig war, trifft zu. Nicht genügend berücksichtigt hat die Einzelrichterin allerdings die Billigkeit und in diesem Zusammenhang den materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch der Verfügungsklägerin aus §§ 823 Abs. 1, 858 Abs. 1, 249 Abs. 1, 251 Abs. 1 BGB.

9

Da die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, kommt es nicht darauf an, ob tatsächlich Erledigung eintrat. Der Kostenentscheidung nach § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO steht damit auch der Zeitpunkt der möglichen Erledigung nicht im Wege. Sie ist allein kraft Parteidisposition zu treffen (Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 91a Rdn. 10).

10

Inhaltlich kommt es auf die nach dem bisherigen Sach- und Streitstand summarisch aufzustellende Prognose an, wer nach dem hypothetischen Ausgang des Prozesses entsprechend den allgemeinen Regelungen des Zivilprozesses die Kosten hätte tragen müssen. Für denjenigen, der den Erlass einer auf § 861 Abs. 1 BGB gestützten Herausgabeverfügung begehrt, verspricht die Rechtsverfolgung nur dann Erfolg, wenn er den Besitz des Verfügungsbeklagten (zumindest zur Zeit der Rechtshängigkeit, also der Antragstellung bei Gericht - vgl. § 265 ZPO) darlegen und glaubhaft machen kann. Ist er hierzu nicht in der Lage, muss sein Antrag abgelehnt werden, was im Falle der übereinstimmenden Erledigungserklärung auf den ersten Blick zur Pflicht führt, die Prozesskosten zu tragen (§§ 91a Abs. 1 Satz 1, 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

11

Richtig betrachtet verlangt allerdings die verbotene Eigenmacht der Verfügungsbeklagten, ihr die Kosten des auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gerichteten Verfahrens aufzuerlegen. Dem von einer Entziehung seines Besitzes durch verbotene Eigenmacht Betroffenen werden nicht selten wichtige Kenntnisse zum Verbleib der Sache fehlen. Weiß er um den fehlerhaften Besitzer, kann er zumindest nicht verhindern, dass sich dieser kurzfristig und unbemerkt der Sache entledigt, um dem Wiedereinräumungsanspruch des § 861 Abs. 1 BGB zu entgehen. Kommt er deshalb mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu spät, erscheint es unbillig, ihn mit den Kosten zu belasten. § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO verlangt gerade für solche Fälle die billige Ausübung des Ermessens. In diesem Zusammenhang ist es möglich, in reziproker Anwendung des § 93 ZPO die Kostenlast danach auszurichten, ob der Beklagte zur Erhebung der Klage Veranlassung gab (OLG Naumburg, Beschluss vom 17. April 2012, 10 W 25/12 - BeckRS 2012, 20172; Stein/Jonas/Bork, § 91a Rdn. 33 m.w.N.; Zöller/Vollkommer, ZPO, 29. Aufl., § 91a Rdn. 25; PG/Hausherr, ZPO, 3. Aufl., § 91a Rdn. 32). Den Erfolgsaussichten des Antrages kann billigerweise auch dann keine entscheidende Bedeutung beigemessen werden, wenn sich zugunsten des voraussichtlich Unterlegenen ein materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch (einfach) feststellen lässt (BGH NJW 2002, 680; Stein/Jonas/Bork, § 91a Rdn. 34; PG/Hausherr, § 91a Rdn. 33; Zöller/Vollkommer, § 91a Rdn. 24; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 33. Aufl., § 91a Rdn. 48).

12

Die Verfügungsbeklagte durfte der Verfügungsklägerin das Fahrzeug nicht gegen ihren Willen wegnehmen. Ihr Vorgehen war verbotene Eigenmacht (§ 858 Abs. 1 BGB). Es kommt nicht entscheidend auf die Auffassung der Verfügungsbeklagten an, sie habe das Fahrzeug mitbesessen. Auch unter Mitbesitzern bestehen Besitzschutzansprüche (§ 866 BGB), insbesondere wenn es um die völlige Besitzentziehung geht (Palandt/Bassenge, BGB, 72. Aufl., § 866 Rdn. 4). Tatsächlich haben die Parteien angesichts des nicht vollständig gezahlten Kaufpreises einen Eigentumsvorbehalt vereinbart, der sich besonders im Zurückbehalten des Kraftfahrzeugbriefes durch die Verfügungsbeklagte zeigte (BGH NJW 2006, 3488, 3489). Der Eigentumsvorbehalt begründete ein Besitzmittlungsverhältnis im Sinne von § 868 BGB und damit mittelbaren Besitz der Verfügungsbeklagten. Ihr gegenüber genoss die Verfügungsklägerin als unmittelbare Besitzerin vollen Besitzschutz (Staudinger/Bund, BGB, Neubearb. 2007, § 869 Rdn. 10; PWW/Prütting, BGB, 6. Aufl., § 869 Rdn. 3).

13

Der umstrittene Darlehensvertrag enthielt keine voraus erteilte Zustimmung. Das „Einziehen“ des Fahrzeuges durch die Verfügungsbeklagte bei Zahlungsverzug heißt nicht, ihr sei die Wegnahme des gewerblich genutzten Transporters gestattet (§§ 133, 157 BGB). Außerdem hätte die Zustimmung zum Zeitpunkt der Besitzentziehung fortbestehen müssen, woran bereits die vorangegangene Kündigung des Darlehensvertrages zweifeln lässt. Spätestens aber mit der erfolglos gebliebenen Aufforderung der Verfügungsbeklagten an die Verfügungsklägerin, das Fahrzeug herauszugeben, muss die Zustimmung als widerrufen gelten.

14

Ein Anspruch der Verfügungsbeklagten auf Herausgabe des Fahrzeuges lässt die Wegnahme nicht rechtmäßig erscheinen (Palandt/Bassenge, § 858 Rdn. 5; § 863 Rdn. 1).

15

Sah sich die Verfügungsbeklagte nach alledem dem Wiedereinräumungsanspruch des § 861 Abs. 1 BGB ausgesetzt, der mit der einstweiligen Verfügung durchzusetzen ist (Staudinger/ Bund, § 861 Rdn. 18; PWW/Prütting, § 861 Rdn. 6), gab sie der Verfügungsklägerin Anlass, sich dieses Mittels der Rechtsverfolgung zu bedienen. Gleichzeitig machte sie sich durch Verletzung eines sonstigen Rechts nach § 823 Abs. 1 BGB schadensersatzpflichtig (Staudinger/Bund, § 861 Rdn. 29), was zu einem materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch führt (Palandt/Grüneberg, § 249 Rdn. 56).

III.

16

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

17

Der Streitwert der Beschwerde entspricht den bis zur Erledigungserklärung entstandenen Kosten des Rechtsstreits (vgl. bspw. PG/Hausherr, § 91a Rdn. 37).


Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen