Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht (16. Zivilsenat) - 16 U 43/19

Tenor

Die Berufungen der Beklagten und der Streithelferinnen werden zurückgewiesen.

Die Beklagte und die Streithelferinnen tragen die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsrechtszug je zur Hälfte.

Die Kostenentscheidung – auch bezüglich der Kosten des Berufungsverfahrens – bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Die Revision wird umfassend zugelassen.

Gründe

I.

1

Die Klägerin, ein Unternehmen, das sein Tätigkeitsfeld im Internet als „Zeitschriftentransporte im Güternah- und -fernverkehr“ angibt, erhebt aus nurmehr noch neun Erwerbsvorgängen Schadensersatzansprüche gegen die am sog. Lkw-Kartell beteiligte Beklagte.

2

Die Klägerin erwarb im Zeitraum zwischen dem Oktober 2004 und dem August 2006 bei selbständigen D.-Lkw-Händlern drei Lkw des Typs D.1 und drei des Typs D 2 (Anlagenkonvolute K 8 bis K 13). Im März 2001 erwarb sie ab Werk einen B 1 (Anlagenkonvolut K 16). Auf den November 2003 fallen zwei weitere Erwerbe desselben Fahrzeugtyps, in welchen die Rechnungen auf eine Fa. W. Güternah-Fernverkehr Zeitschriftentransporte unter der Anschrift der Klägerin in G. ausgestellt sind; eines der Fahrzeuge – Nr. 15 – wurde zeitnah auf die Firma der Klägerin zugelassen (Anlagenkonvolute K 14 und 15). In den Jahren 2010 und 2011 leaste sie darüber hinaus sieben D-Lkw (Anlagenkonvolute K 1 bis K 7), um die es hier nicht mehr geht.

3

Nach einer Kronzeugen-Mitteilung von M. im September 2010, sog. Nachprüfungen der EU-Kommission im Januar 2011, nachfolgenden weiteren Kronzeugen-Mitteilungen u.a. der Beklagten im Februar 2011, einer förmlichen Verfahrenseinleitung nach Art. 11 Abs. 6 Kartell-VO durch die EU-Kommission am 20. November 2014 und anschließenden Vergleichsgesprächen, in denen Einvernehmen über die Beschwerdepunkte und die Höhe der Geldbußen erzielt wurde, machte die EU-Kommission mit Beschluss vom 19. Juli 2016 (deutsche Übersetzung Anlage B 1) M., V./R., I., die Beklagte und die Streithelferinnen dafür haftbar, im Zeitraum vom 17. Januar 1997 bis zum 18. Januar 2011 gegen Art. 101 AEUV verstoßen zu haben durch – so der Tenor: – Kollusion über Preise und Bruttolistenpreiserhöhungen für mittelschwere und schwere Lkw sowie über den Zeitplan und die Weitergabe der Kosten für die Einführung von Emissionstechnologien und verhängte umsatzabhängige Geldbußen in Höhe von 3,8 Milliarden €, davon knapp 1,01 Mrd. € entfallend auf die Beklagte und rund 750 Mio. € entfallend auf die Streithelferinnen. Zudem erließ sie aus demselben Grund einen Bußgeldbescheid gegen S., das an dem vorbezeichneten Settlementverfahren nicht teilgenommen hatte. Die Kartellanten verfügten in dem in Rede stehenden Zeitraum im Bereich Western Europe über Marktanteile von mindestens 82,4% (ohne S.) bzw. (einschließlich S.) mindestens 92 % (vgl. Hamburg Economics [HE], Replik D. vom 7. März 2019, Anhang [S. 25], Bl. 420; nahezu identisch E.CA Economics, Abschlussbericht vom 14. November 2018, Anlage B 27, S. 25).

4

Mit ihrer am 8. Februar 2018 per Fax (und am 5. März 2018 im Original) eingegangenen und (nach Vorschussanforderung am 6. März 2018 und dessen Zahlung am 20. März 2018) am 28. März 2018 (Bl. 17R) zugestellten Klage, die zunächst der 11. Zivilkammer des Landgerichts Kiel zugeteilt worden und sodann entlastungshalber von der 6. Zivilkammer übernommen worden ist, hat die Klägerin zunächst die Feststellung begehrt, dass die Beklagte ihr den aufgrund von Kartellabsprachen beim Erwerb von Lastkraftwagen entstandenen Schaden zu ersetzen habe, wozu sie unter Angabe der jeweiligen FIN 16 Fahrzeuge (13 x D-Modelle. 3 x B.-Modelle) aufgeführt hat (Bl. 7). Im Januar 2019 hat sie die Klage auf Zahlung von 52.413,02 € nebst Zinsen wegen der eingangs genannten neun Erwerbsvorgänge (Nr. 8 bis 16) umgestellt. Sie hat geltend gemacht, ihre Erwerbe seien gemäß den bindenden Feststellungen der EU-Kommission über Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen zur Preisgestaltung und zu Bruttopreiserhöhungen kartellbefangen; für die Kartellbetroffenheit spreche auch ein Anscheinsbeweis, der daraus folge, dass sich die in Rede stehenden Beschaffungsvorgänge in sachlicher, zeitlicher und räumlicher Hinsicht in die festgestellte Absprache einfügten (Bl. 184ff, Bl. 186ff.). Etwas Anderes ergebe sich auch nicht aus der Schienenkartell-Entscheidung des BGH, der der Fall eines Quoten- und Kundenschutzkartells und nicht wie hier eines Preiskartells zugrunde gelegen habe (Bl. 353). Es sei ihr auch – jedenfalls mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in irgendeiner Höhe – ein Schaden entstanden. Es spreche nach ökonomischen Grundsätzen eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein Preis-Kartell wie hier gebildet und erhalten werde, weil es höhere als am Markt sonst erzielbare Preise erbringe (Bl. 202, 209, 211) und – mit Rücksicht auf die lange Dauer des Kartells und den erheblichen organisatorischen Aufwand unter Einschaltung höherer Führungskräfte sämtlicher Hauptverwaltungen – auch ein Anscheinsbeweis, den die Beklagte nicht zu erschüttern vermöge. Gemäß dem Gutachten von HE vom 6. März 2018 (Anlage K 17) betrügen die Preisüberhöhungen bei den Kartellanten im Zeitraum bis Ende 2003 statistisch 7.007,49 € und im Zeitraum danach bis Kartellende 5.231,76 €.

5

Die Beklagte und die beiden Streithelferinnen, die als einzige aus dem Kreis der insgesamt 17 weiteren bebußten Unternehmen (einschließlich S), denen die Beklagte (Bl. 19) den Streit verkündet hatte, dieser beigetreten sind (Bl. 26a), haben sich dem entgegengestellt.

6

Die Beklagte hat zunächst gerügt, dass die Klägerseite keine Nachweise zu den geleisteten Zahlungen vorgelegt, nicht zum Schicksal der Fahrzeuge und auch nicht zum Verlauf der konkreten Erwerbsverhandlungen vorgetragen habe (Bl. 275f.).

7

Ungenügend sei auch der Vortrag zur angeblichen Kartellbetroffenheit, für die nach der Schienenkartell-Entscheidung des BGH, die den Fall eines echten Preiskartells betreffe, kein Anscheinsbeweis streite (Bl. 152ff., 277ff.). Dafür spreche auch nicht einmal eine tatsächliche Vermutung. Es habe allein ein unzulässiger Informationsaustausch (Bl. 75ff. und ständig) stattgefunden, der nicht per se wettbewerbsschädlich sei (Bl. 153), auch nur schlicht den Aufwand für eine zulässige Informationsbeschaffung erspart oder andere Erkenntniswerte eröffnet haben möge, die mit der Erhöhung der Preise nichts zu tun gehabt hätten (Bl. 278 u.ö.). Entsprechend habe auch die Kommission nicht wie sonst üblich eine „Preisfestsetzung“ festgestellt. Der Austausch sei auch nur punktuell und inhaltlich sehr heterogen gewesen (Bl.76f.). Bewusst habe dementsprechend die Kommission eine konkrete Beeinträchtigung des Wettbewerbs nicht festgestellt (Bl. 80). Aus der bloßen Verfolgung des Ziels, die Bruttopreise zu koordinieren, folge, wie zutreffend das OLG Düsseldorf (Urteil vom 6. März 2019, Anlage B 32, Bl. 444, S. 13, Bl. 456) festgehalten habe, nicht zwangsläufig, dass die Listenpreise über den gesamten Zeitraum in allen Ländern kartellbedingt angehoben worden seien; denkbar sei auch, dass die Preise nur in einigen Ländern angehoben und in anderen unverändert geblieben seien (Bl. 440). Tatsächlich hätten die Kartellanten aufgrund des Informationsaustausches auch keine höheren Nettopreise vereinnahmt als ohne diesen; das zeige sich daran, dass es keinen systematischen Zusammenhang zwischen den Bruttolistenpreisen und den tatsächlich gezahlten Nettopreisen gegeben habe (Bl. 81f., 83ff.). Die Nettopreise hätten sich europaweit (Bl. 87) und – bei einer nahezu unübersehbaren Produktvielfalt – auch in den verschiedenen Produktgruppen unterschiedlich entwickelt (Bl. 91ff.), und zudem habe – was gegen einen Kartelleffekt spreche – in der fraglichen Zeit intensiver Wettbewerb auf dem (deutschen ebenso wie auf dem EWR-)Lkw-Markt geherrscht (Bl. 97ff.). Kartelleffekten stünden weiter die komplexen Preisfindungsmechanismen am Lkw-Markt entgegen, die mit den unspezifischen, größtenteils nur auf grob definierte Produktgruppen bezogenen Bruttolistenpreisen, die allein interne Benchmarkfunktion hätten, nicht hätten koordiniert werden können (Bl. 105f.). Für die individuellen Preisverhandlungen zwischen dem Händler und dem Kunden, der sie gar nicht kenne, seien die Bruttolistenpreise bedeutungslos. Für den Kunden seien wirtschaftlich die total costs of ownership maßgeblich, von denen die Anschaffung ohnehin nur 10 % ausmache (Bl. 111). Preisverhandlungen würden auf der Basis seiner Preisvorstellung („bottom–up“) geführt, wobei „im Paket“ neben den oftmals erheblichen variierenden Kosten für Ausstattung und/oder Aufbauten auch Wartungs-, Reparatur- und Servicepreise Berücksichtigung fänden; zudem habe der Händler erhebliche Gestaltungsspielräume, könne also im Hinblick auf erwartbare Erlöse aus Wartung, Reparatur und/oder Service seine Marge ganz oder teilweise an den Kunden weitergeben (Bl. 112f.).

8

Die Klägerin habe auch einen kausalen Schaden nicht dargelegt, auch nicht eine Wahrscheinlichkeit dafür. Dafür möge die allgemeine Lebenserfahrung bei einem Hardcore-Kartell mit bindenden Absprachen sprechen, nicht jedoch bei einem bloßen Informationsaustausch wie hier, unter dem es weiterhin intensiven Wettbewerb gegeben habe (Bl. 119f.). Dementsprechend seien selbst die von Klägerseite beauftragten Sachverständigen dazu gekommen, dass es im Kartellzeitraum etliche Lkw-Erwerbe ohne Kartelleffekte gegeben habe (Bl. 120f.). Die HE-Gutachten seien unbrauchbar (Bl. 287ff.), dies schon deshalb, weil es an einer Schadenstheorie fehle, die zeigen könne, wie es über den Informationsaustausch zu erhöhten Nettopreisen habe kommen sollen; zu Unrecht würden klassische Kartellabreden unterstellt, relevante Preiskomponenten nicht beachtet, Euro VI-Fahrzeuge nicht berücksichtigt, ein ungeeigneter Kosten- und Nachfrageindikator zugrunde gelegt und wissenschaftliche Standards (bezüglich der Datenbasis und der Robustheitstests) nicht beachtet.

9

Jedenfalls aber habe die Klägerin, ein nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen organisiertes Unternehmen, die Anschaffungskosten durch entsprechende Bemessung ihrer Preise an ihre Abnehmer und Kunden weitergegeben bzw. bei einer etwaigen späteren Verwertung der Lkw kompensiert (Bl. 122f.).

10

Schließlich seien die Ansprüche auch allemal verjährt (Bl. 124ff.): Die Klägerin müsse schon aus der Presseberichterstattung im Jahr 2011 Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen erlangt haben. Eine Hemmung nach § 33 Abs. 5 GWB a.F. sei erst mit der förmlichen Verfahrenseinleitung am 20. November 2004 erfolgt und habe sechs Monate nach der Zustellung der Kommissionsentscheidung – also am 21. Januar 2017 – geendet. Mit Rücksicht auf diesen Hemmungszeitraum seien die Ansprüche sämtlich kenntnisunabhängig – gemäß der 10-jährigen Frist des § 199 Abs. 3 Satz 1 BGB – verjährt.

11

Die Streithelferinnen haben dem beigepflichtet. Darüber hinaus haben sie vorgebracht, gerade bei ihren Fahrzeugen, die durch unabhängige Händler vertrieben würden, könnten sie die Endkundenpreise nicht steuern (Bl. 248f.), da die Preisfindung beim Absatz unabhängig vom Listenpreis erfolge (Bl. 253f.). Bei einem mittelbaren Erwerb wie hier auf einer nachgelagerten Marktstufe bestehe schon erst recht kein Anscheinsbeweis für eine Kartellbetroffenheit oder eine kartellbedingte Marktpreiserhöhung (Bl. 330ff.).

12

Mit Grundurteil vom 18. April 2019 hat die 6. Zivilkammer des Landgerichts Kiel darauf erkannt, dass die Klage bezüglich des geltend gemachten Kartellschadensersatzanspruchs nebst gesetzlicher Zinsen dem Grunde nach hinsichtlich der (verbliebenen) Erwerbsvorgänge Nr. 8 bis16 gerechtfertigt sei.

13

Die Kartellverstöße u. a. der Beklagten stünden auf der Grundlage der Bußgeldbescheide vom 19. Juli 2016 dahin fest, dass die Kartellanten von 1997 bis 2010 Preise und Bruttolistenpreiserhöhungen mit dem Ziel ausgetauscht hätten, die Bruttopreise im EWR zu koordinieren, um Unsicherheiten bezüglich des Verhaltens der jeweils anderen Hersteller zu beseitigen, ein kollusives Zusammenwirken mit dem Ziel, die Preisgestaltung und die üblichen Preisbewegungen zu verfälschen.

14

Die streitgegenständlichen Lkw-Käufe seien davon betroffen, dies auch bei einem mittelbaren Erwerb, da die Vertragshändler letztlich nur der wirtschaftlich in der Regel stark abhängige Vertriebskanal der Kartellanten seien. Die Kartellbetroffenheit könne direkt über die Bindungswirkung des Bußgeldbescheides begründet werden. Für sie streite zum anderen ein Anscheinsbeweis, für den der Vortrag genüge, dass entsprechende Geschäfte mit Kartellbeteiligten getätigt worden seien. Den Anscheinsbeweis einer allgemein preissteigenden Wirkung der Absprachen habe die Beklagte nicht erschüttern können. Von der Untauglichkeit der ausgetauschten Informationen könne schon nach den Feststellungen der Kommission nicht ausgegangen werden. Diese Feststellungen könnten auch durch weiter gehende statistische Daten nicht entkräftet werden. Dass die EU-Kommission während der Jahre 2006 und 2008 intensiven Wettbewerb zwischen Lkw-Herstellern festgestellt habe, stehe in keinem konkreten Bezug zu den Auswirkungen der bewussten Verhaltensweisen.

15

Es sei in der Abwägung der Umstände des Einzelfalls auch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein kartellbedingter Schaden anzunehmen. Dafür bestehe ein – jetzt in Gestalt der widerleglichen Vermutung des § 33a Abs. 2 Satz 1 GWB auch Gesetz gewordener – Anscheinsbeweis, da organisierte Absprachen über Preise bzw. Preiserhöhungen erfahrungsgemäß zu begrenzten Angeboten für den übrigen Markt führten und sich für gewöhnlich preisstabilisierend bzw. -erhöhend auswirkten. Solche Absprachen schalteten den Preiswettbewerb noch effizienter aus als Quotenabsprachen. Für eine preissteigernde Wirkung sprächen darüber hinaus auch die lange Dauer des Kartells und die Reichweite über den gesamten EWR, ferner der erhebliche organisatorische Aufwand zu seiner Unterhaltung, der nur erklärlich sei, wenn auf diese Art und Weise Gewinn erwirtschaftet worden sei; welcher andere Zweck mit dem Austausch habe erreicht werden sollen, habe die Beklagte konkret nicht dargelegt, wonach auch ihr Hinweis auf das von ihr eingeholte Sachverständigengutachten nicht hilfreich sei, weil die allgemeine Möglichkeit, dass ein Informationsaustausch auch zu niedrigen Preisen führen könne, die lange Aufrechterhaltung des Kartells nicht erkläre. Dem stehe auch die Schienenfreunde-Entscheidung des BGH nicht entgegen, die sich nicht auf ein Preis-, sondern ein Quoten- und Kundenschutzkartell beziehe; für regional oder zeitlich erheblich unterschiedlich intensive Absprachen, in denen der BGH dort eine mögliche Besonderheit gesehen habe, habe die Beklagte hier konkret nichts vorgetragen und sei auch sonst nichts ersichtlich. Die tatsächliche Vermutung überhöhter Preise habe die Beklagte nicht widerlegen können. Auch bei kundenindividuell konfigurierten Gütern und ausgehandelten Preisen sei Anknüpfungspunkt der Verhandlungen nicht zuletzt der Bruttolistenpreis. Angesichts des angehobenen Ausgangsniveaus änderten auch im Einzelfall gewährte Rabatte daran nichts, ebenso wenig, dass der Wettbewerb durch die Absprachen nicht gänzlich ausgeschaltet worden sei.

16

Eine Weitergabe der kartellbedingten Preiserhöhung könne die Beklagte nicht einwenden. Voraussetzung sei das Vorliegen eines Anschlussmarktes, der hier nicht ersichtlich sei. Darüber hinaus spreche dagegen der Wertungsgesichtspunkt, dass im Rahmen der Lieferkette beim Endverbraucher derart geringe Schäden ankämen, dass diese nicht eingeklagt würden und mithin die Kartellanten von ihrer Schadensersatzverpflichtung faktisch frei würden.

17

Die Ansprüche der Klägerin seien nicht verjährt, auch nicht kenntnisunabhängig. Die Verjährung sei gehemmt worden mit der Einleitung des Verfahrens der EU-Kommission, die mit den Durchsuchungen vom 18. Januar 2011 erfolgt sei. Bei Bestandskraft des Beschlusses zwei Monate nach Bekanntgabe laufe die Hemmung erst mit dem 19. März 2017 ab. Die verbliebene Zeit von 11 Monaten und 13 Tagen hinzugerechnet, sei die Frist am Sonntag, den 4. März 2018 abgelaufen, sodass die Einreichung am Montag, den 5. März 2018 rechtzeitig gewesen sei.

18

Hiergegen wenden sich mit ihren Berufungen sowohl die Beklagte als auch die beiden Streithelferinnen.

19

Die Beklagte bringt vor, das Urteil sei bereits deshalb ohne Sachprüfung aufzuheben, weil es unter Verstoß gegen das verfassungsmäßige Recht auf den gesetzlichen Richter zustande gekommen sei. Ausweislich des Geschäftsverteilungsplans des Landgerichts Kiel bestehe für Kartellsachen, die – wie vorliegend – nicht bei der Kammer für Handelssachen I eingereicht worden sein, eine Sonderzuständigkeit der 17. Zivilkammer. Hier sei indes die Kartellsache – was zutrifft – zunächst der 11. Kammer zugewiesen und dann ohne aus den Akten ersichtlichen Grund von der 6. Kammer übernommen worden (Bl. 643f.; Streithelferinnen Bl. 685f.).

20

In der Sache gehe das Landgericht unrichtig davon aus, dass die Klägerin die gegenständlichen Fahrzeuge erworben habe. Sie, die Beklagte, habe (Bl. 275) darauf hingewiesen, dass die Fahrzeuge Nr. 14 und 15 durch die W. Güternah-Fernverkehr Zeitschriftentransporte erworben worden seien. Das Landgericht habe augenscheinlich ohne weiteres auf die vage neue Behauptung der Klägerin (Bl. 346) abgestellt, dass die Rechnungen den falschen Adressaten auswiesen (Bl. 674, dazu Streithelferinnen Bl. 686f.).

21

Rechtsfehlerhaft sei auch die Auffassung, die streitgegenständlichen Erwerbsvorgänge seien kartellbetroffen (dazu Streithelferinnen Bl. 691ff.). Das lasse sich nicht mit der Bindungswirkung des Bußgeldbescheides begründen, der keine Aussage dazu treffe, dass genau die Bruttolistenpreise der streitgegenständlichen Fahrzeuge Gegenstand des Informationsaustausches gewesen seien, und sich zu Auswirkungen des bebußten Verhaltens überhaupt nicht verhalte (Bl. 648f.). Es könne nach der Schienenkartell-Entscheidung des BGH angesichts der Vielgestaltigkeit und Komplexität wettbewerbsbeschränkender Absprachen auch kein Anscheinsbeweis angenommen werden, erst recht nicht bei mittelbaren Erwerbsvorgängen (Bl. 650f., Streithelferinnen Bl. 693ff., Bl. 696ff.). Richtigerweise spreche nicht einmal eine tatsächliche Vermutung für die Kartellbetroffenheit. Der insoweit vom BGH herangezogene Erfahrungssatz, dass die langjährige und nachhaltige Durchführung eines Kartells häufig zu überhöhten Kosten für die betroffenen Kunden führe, möge im Falle von Hardcore-Kartellen gelten, könne aber nicht greifen, wenn es wie hier keine harten Preisvereinbarungen, sondern lediglich einen unzulässigen Informationsaustausch gegeben habe. Das Verständnis des Landgerichts verstoße auch gegen ökonomische Denkgesetze; erforderlich sei, wie sich aus dem Gutachten von Oxera vom 8. Mai 2019 (Anlage B 34) ergebe, eine Betrachtung des konkreten Einzelfalls, und hier gebe es danach eine Reihe von ökonomischen Mechanismen, die einem solchen Zusammenhang im Wege gestanden haben könnten (Bl. 655ff., und Gutachten Ziffern 4 C und D: Voraussetzung für ein funktionierendes Kartell seien ein ausreichend einfaches und stabiles Marktumfeld, konkrete Preisfestsetzungen, Kontrolle über und Sanktionen bei Abweichungen, vollständige Marktabdeckung). Schließlich habe die Klägerin auch nicht etwa einen Indizienbeweis erfolgreich geführt. Sie habe schon keine konkreten Umstände für die Kartellbetroffenheit vorgetragen, gegen die tatsächlich zahlreiche Tatsachen sprächen, nämlich der Umstand bloßen Informationsaustauschs anstatt harter Preisvereinbarungen, das Fehlen von Anhaltspunkten für eine flächendeckende Wirkung des kartellrechtswidrigen Verhaltens (zu der die Kommission keine Feststellungen getroffen habe) und die spezifischen Preisbildungsmechanismen auf dem Lkw-Markt (individuelle Preisbildung „von unten“, Maßgeblichkeit der Gesamtkosten des konkreten Lkw, Gestaltungsspielräume des Absatzmittlers, dazu auch Streithelferinnen Bl. 701, 730ff.). Ferner habe die Beklagte, womit sich das Landgericht überhaupt nicht befasst habe, mithilfe von E.CA Economics (Abschlussbericht vom 14. November 2018, Anlage B 27) empirisch belegt, dass die Kunden-Nettopreise aufgrund des unzulässigen Informationsaustausch zu Bruttolistenpreiserhöhungen nicht vorhersehbar gewesen seien, ferner, dass die ausgetauschten Informationen nicht umgesetzt worden seien, weil es Abweichungen von den angekündigten Anpassungen und bei einzelnen Herstellern überhaupt mangelnde Angleichungen an die kommunizierten Größen gegeben habe. Gegen eine Kartelldisziplin spreche auch, dass es keine Überwachungs- und Sanktionsmechanismen gegeben habe (Bl. 664), weiter, dass es keine stabilen Marktanteile gegeben habe, und ferner, dass selbst die Parteigutachter der Klägerin für mittelschwere Lkw keinen Kartelleffekt hätten ermitteln können, wie auch die Klägerin selbst bei sieben von 16 Fahrzeugen (den geleasten) habe zugestehen müssen, dass ihr kein Schaden entstanden sei (Bl. 665). Schließlich verbiete auch die lange Dauer eines Kartells eine pauschale Betrachtungsweise, weil das Verhalten der beteiligten Unternehmen im Laufe der Zeit typischerweise erheblichen Veränderungen unterliege und die Beteiligten ihr Verhalten aus unterschiedlichsten Gründen aufrechterhalten könnten, etwa um Aufwand zu sparen oder ob zusätzlicher Erkenntniswerte.

22

Aus denselben Gründen sei das Landgericht fehlerhaft auch zur Annahme einer Schadenswahrscheinlichkeit gelangt (Bl. 667 ff.). Dabei könne es sich auch nicht auf § 33 Abs. 2 Satz 1 GWB n.F. stützen; denn, würde es eine entsprechende Vermutung immer schon gegeben haben, würde der Gesetzgeber nicht – wie aber in § 186 Abs. 3 Satz 1 GWB – ein ausdrückliches Rückwirkungsverbot festgelegt haben.

23

Weiter habe das Landgericht den Einwand der Weiterwälzung eines etwaigen Schadens nicht ausschließen dürfen (Bl 669, Streithelferinnen Bl. 722ff.). Die Weiterwälzung hänge keinesfalls davon ab, dass das Produkt selbst weitergegeben werde; das könne auch bei einer Dienstleistung geschehen. Wenn das Landgericht weiter darauf abstelle, dass die Beklagte nicht von Personen in Anspruch genommen werde, die Transportleistungen bezogen hätten, übergehe es ihren Vortrag (Bl. 293, wo sie vorgetragen hatte, sie werde beispielsweise vor dem Landgericht München I von einer Holzwerkstoffproduzentin auf Ersatz des dieser wegen des Lkw–Kartells angeblich entstandenen Schadens in Anspruch genommen).

24

Unrichtig sei auch die Beurteilung des Verjährungseinwands (Bl. 671ff., Streithelferinnen Bl. 687ff.). Mit der Presseberichterstattung im Jahre 2011 habe die Klägerin den Hergang in seinen Grundzügen hinreichend überblicken können; es komme nicht darauf an, ob ihr damals positiv bekannt gewesen sei, worauf sich das kartellrechtswidrigen Verhalten in allen seinen Details bezogen habe. Unrichtig beurteile das Landgericht auch die Hemmung; wenn nach dem eindeutigen und eng auszulegenden Wortlaut des § 33 Abs. 5 Satz 1 GWB a. F. auf die Verfahrenseinleitung durch die Europäische Kommission abgestellt werden solle, so sei auf den im Europäischen Recht in Art. 2 Abs. 1 der VO Nr. 773/2004 in bewusster Abgrenzung zu Ermittlungsmaßnahmen definierten Begriff und damit auf den förmlichen Beschluss der Kommission abzustellen, der auf den 20. November 2014 datiere, und nicht auf die deutsche Vorschrift des § 9 VwVfG. Was die kenntnisunabhängige Verjährung angehe, gelte das nämliche und sei jedenfalls Erwerbsvorgang Nr. 16 selbst bei Hemmung ab Durchsuchung verjährt; denn europarechtlich werde die Entscheidung der Kommission bereits mit ihrem Erlass bestandskräftig, sodass es auf die Möglichkeit einer Nichtigkeitsklage, die keinen Suspensiveffekt habe und angesichts ihrer, der Beklagten, Beteiligung am Vergleichsverfahren ohnedies abwegig sei, nicht ankommen könne.

25

Die Streithelferinnen lassen sich (vgl. die im Beklagtenvorbringen angeführten Stellen) praktisch gleichsinnig ein, verweisen für die Implausbilität der „Schadenstheorie“ der Klägerin und der HE auf ein von ihnen beauftragtes wettbewerbsökonomisches Gutachten der Compass Lexecon (Bl. 710ff. mit Anlage StrH 7) und tragen des Weiteren vor, der (bloße) Informationsaustausch habe grundsätzlich auch erst stattgefunden, nachdem die Streithelferin zu 1 ihre Listenpreise bereits festgelegt und an ihre Händler kommuniziert habe (Bl. 720, 743).

26

Die Beklagte und die Streithelferinnen beantragen,

27

das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

28

hilfsweise,

29

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen.

30

Die Klägerin beantragt,

31

die Berufungen zurückzuweisen.

32

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung (Bl. 809ff.).

II.

33

Die Berufungen haben keinen Erfolg, § 513 Abs. 1 ZPO.

34

Zu Recht hat das Landgericht die Klage bezüglich des geltend gemachten Kartellschadensanspruch nebst gesetzlicher Zinsen dem Grunde nach hinsichtlich der Erwerbsvorgänge Nummer 8 bis 16 für gerechtfertigt erklärt. Die Berufungen gehen fehl; weder beruht das angefochtene Urteil auf einem Rechtsfehler, § 546 ZPO, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung.

A.

35

Zunächst greift die Rüge der unrichtigen Besetzung des Gerichtes nicht durch. Eine Aufhebung und Zurückverweisung wegen unrichtiger Besetzung des Gerichts bzw. ein Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, kommt nicht in Betracht, § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

36

Danach darf das Berufungsgericht die Sache, soweit ihre weitere Verhandlung erforderlich ist, unter Aufhebung des Urteils und des Verfahrens an das Gericht des ersten Rechtszuges nur zurückverweisen, soweit das Verfahren im ersten Rechtszug an einem wesentlichen Mangel leidet, aufgrund dieses Mangels eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist und eine Partei die Zurückverweisung beantragt.

1.

37

Hier liegt schon ein Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters nicht vor.

38

Zwar kann ungeachtet der Vorschrift des § 513 Abs. 2 ZPO (wonach die Berufung nicht darauf gestützt werden kann, dass das Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat) die fehlerhafte Besetzung des erstinstanzlichen Gerichtes im zweiten Rechtszug noch gerügt werden. Der Begriff der Zuständigkeit soll bereits nach dem Wortlaut nicht das Gebot des gesetzlichen Richters umfassen (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 26. Juli 2012, 9 U 204/11, NJW–RR 2013, 437, Rn. 34 m.w.N.; siehe aber: KG, Urteil vom 29. Oktober 2013 - 26a U 88/13, MDR 2014, 561, 562; OLG Düsseldorf, Urteil vom 8. August 2014, I -16 U 30/14, Rn 33). Entsprechend können etwa Fehler bei der Anwendung des Geschäftsverteilungsplans geltend gemacht werden (ebd.) oder auch, dass die Zuweisung auf einen gesetzeswidrigen Präsidialbeschluss zurückgehe (vgl. Zöller/Heßler, ZPO, Kommentar, 32. Auflage, § 538 Rn. 14 m.w.N.).

39

Mit der Rüge sind die Beklagte und die Streithelfer auch nicht etwa gemäß § 39 ZPO ausgeschlossen, weil sie sich in erster Instanz rügelos eingelassen haben. Das Recht auf den gesetzlichen Richter ist unverzichtbar, und auch die Vorschrift des § 295 Abs. 1 ZPO, die die Präklusion verzichtbarer Rügen betrifft, findet dann keine Anwendung (vgl. BGH, Urteil vom 16. Oktober 2008, IX ZR 183/06, MDR 2009, 404, Rn. 13 m.w.N.).

40

Tatsächlich aber ist es nicht zu beanstanden, dass die 6. Zivilkammer die Sache bearbeitet hat.

a)

41

Zunächst fällt sie, anders als die Berufungsklägerinnen wollen, nicht in die Zuständigkeit der 17. Zivilkammer.

42

Nach dem 2. Teil, Ziffer B II Nr. 9 des Geschäftsverteilungsplanes des Landgerichtes für das Jahr 2018 (Auszug Bl. 780, 786) bearbeitet die 17. Zivilkammer

43

Kartellsachen (§ 87 GWB in Verbindung mit der [Konzentrations-]Verordnung vom 11. Februar 1958, GVBl. 1958,118), die nicht bei der Kammer für Handelssachen I gemäß § 95 Abs. 2 Ziffer 1 GVG eingereicht worden sind.

44

Nach dem plausiblen Verständnis des Präsidiums des Landgerichts (vgl. dazu die eMail des derzeitigen Personalreferenten vom 20. September 2019, Bl. 778), das in einem Zuständigkeitsstreit zwischen der 17. und der 6. Zivilkammer mit Beschluss vom 18. September 2017 (Bl. 787) die Sache 17 O 171/17 (einen „Lkw-Kartell-Fall“), der 6. Zivilkammer als Turnussache zugewiesen hat, betrifft diese Bestimmung nur „echte“ Kartellsachen, also solche, die gemäß Ziffer B IV Nr. 1 des 2. Teils des GVP (S. 25),

45

wonach die Kammer für Handelssachen I Kartellsachen (§§ 87 GWB, § 95 Abs. 2 Nr. 1 GVG in Verbindung mit der Verordnung vom 11. Februar 1958, GVBl. 1958,118) bearbeitet,

46

vor die Kammer für Handelssachen I gehört hätten, also dort hätten eingereicht werden können, aber nicht eingereicht worden sind. Im Jahr 2018 war der Vorsitzende der Kammer für Handelssachen I zugleich der Vorsitzende der 17. Zivilkammer. Vor dem Hintergrund, dass bei rügeloser Einlassung (§ 39 ZPO) eine Abgabe an die Kammer für Handelssachen von Gerichts wegen nicht erzwungen werden kann, sollte die Regelung nachvollziehbarerweise dazu dienen, dass bei derartigen „echten“ Kartellsachen die Expertise der Kartellkammer, namentlich des Vorsitzenden, gewährleistet ist bzw. nicht sollte umgangen werden können.

47

Für die in Rede stehenden kartellrechtlichen Schadensersatzansprüche gilt das indessen nicht. Denn diese werden – obwohl materiell-rechtlich bzw. nach § 87 GWB natürlich Kartellsachen (und daher nach der Konzentrationsverordnung dem Landgericht Kiel zugewiesen) – in § 95 Abs. 2 Nr. 1 GVG mit der Formulierung

48

es sei denn, es handelt sich um kartellrechtliche Schadensersatzansprüche

49

von der Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen gerade ausgenommen. Der Gesetzgeber hat diese Sachen wegen ihrer Komplexität den Kollegialspruchkörpern der allgemeinen Zivilkammern zuweisen wollen (vgl. Zöller/Lückemann, § 96 GVG Rn. 16 mit Verweis auf die Gesetzesbegründung). Sollen aber für die Sache die allgemeinen Zivilkammern und nicht die Kammern für Handelssachen zuständig sein, besteht kein Grund, die Regelung des 2. Teil, Ziffer B II Nr. 9 des Geschäftsverteilungsplanes anzuwenden. Auf die entsprechenden Erläuterungen des Senats in der mündlichen Verhandlung haben die Parteien keinen Schriftsatznachlass beantragt.

b)

50

Dass die vorliegende Sache nach Zustellung der Klage von der 11. Zivilkammer auf die 6. Zivilkammer übergegangen ist, liegt darin begründet, dass die 6. Kammer aufgrund eines entsprechenden Präsidiumsbeschlusses die 11. Zivilkammer zu entlasten hatte.

2.

51

Der Zurückverweisung steht – nachdem nunmehr hilfsweise die Zurückverweisung beantragt worden ist – im Übrigen entgegen, dass auch nicht etwa aufgrund des Mangels eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist. Vielmehr ist die Sache, wie noch auszuführen sein wird, ohne weiteres entscheidungsreif. Und dann ist sie nach dem Grundsatz des § 538 Abs. 1 ZPO, wonach das Berufungsgericht die notwendigen Beweise zu erheben und in der Sache selbst zu entscheiden hat, vom Senat zu entscheiden.

3.

52

Nur der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass für die Berufung der Kartellsenat zuständig ist. Es handelt sich um eine Sache, die materiell-rechtlich von der Anwendung des GWB abhängt, §§ 91 Satz 2, 87 Satz 1 GWB. Eine „abdrängende Allgemeinverweisung“ wie die Ausnahmeregelung in § 95 Abs. 2 Nr. 1 GVG für die landgerichtliche Zuständigkeit gibt es nicht.

B.

53

In der Sache haben die Berufungen keinen Erfolg, § 513 Abs. 1 ZPO.

54

Die Beklagte ist dem Grunde nach verpflichtet ist, der Klägerin aus den Erwerbsvorgängen Nr. 8 bis 16 Schadensersatz leisten.

1.

55

Für die von der Klägerin geltend gemachten Schadensersatzansprüche ist das im jeweiligen Belieferungszeitraum geltende Recht maßgeblich (vgl. BGH, Urteil vom 28. Juni 2011, KZR 75/10 – ORWI – Rn. 13).

56

Anspruchsgrundlage für die Klägerin sind in Ansehung der Beschaffungsvorgänge Nr. 12 bis 16 (Erwerbe aus den Jahren 2001 bis 2004) die §§ 33, 1 Abs. 1 GWB in der vom 1. Januar 1999 bis 30. Juni 2005 geltenden Fassung. Nach §33 GWB a.F. ist, wer gegen eine Vorschrift dieses Gesetzes verstößt, sofern diese den Schutz eines anderen bezweckt, diesem zum Ersatz des aus dem Verstoß entstandenen Schadens verpflichtet, wenn ihm Vorsatz oder Fahrlässigkeit zur Last fällt. Nach § 1 GWB sind Vereinbarungen zwischen Unternehmen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, verboten. Die zweitgenannte Bestimmung ist zweifellos ein Schutzgesetz zugunsten von Abnehmern, die vor überhöhten Preisen geschützt werden sollen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 1998, K ZR 23/96 – Depotkosmetik I – Rn. 16f.; BGH, Urteil vom 28. Juni 2011 – ORWI – Rn. 14,16).

57

Anspruchsgrundlage, was die Beschaffungsvorgänge Nr. 8 bis 11 (November 2005 und August 2006) angeht, sind die §§ 33 Abs. 3 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 GWB in der vom 13. Juli 2005 bis zum 21. Dezember 2007 gültigen Fassung. Danach ist, wer einen Verstoß nach Absatz 1 vorsätzlich oder fahrlässig begeht (d. h., wer gegen eine Vorschrift des GWB oder u.a. Art. 81 EGV verstößt), zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Nach Art. 81 Abs. 1 EGV (nunmehr Art. 101 AEUV) sind mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten u.a. alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken, insbesondere die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- oder Verkaufspreise.

2.

58

Was derlei Schadensersatzansprüche betrifft, ist die Klägerin uneingeschränkt – d. h. auch in Ansehung der Erwerbsvorgänge Nr. 14 und 15 – aktiv legitimiert.

59

Es kann nicht ernstlich zweifelhaft sein, dass die Klägerin diese Fahrzeuge erworben hat. Es ist nur plausibel, dass, wie sie vorgebracht hat, die Benennung des Kunden in den beiden Rechnungen W. Güternah-Fernverkehr Zeitschriftentransporte eine bloß unrichtige Bezeichnung für die immer selbe Fa. W. ist. Dafür spricht, dass auch schon die älteste Rechnung aus dem Januar 2001 (Anlage K 16) wie dann auch alle späteren auf die W. ausgestellt ist. Auch ist die Rechnungsadresse immer dieselbe. Weiter ist gar nicht zu erkennen, dass es eine (separate) W. Güternah-Fernverkehr Zeitschriftentransporte überhaupt gäbe oder gegeben hätte. Es sieht vielmehr so aus, als sei – aus welchen Gründen immer – lediglich der Geschäftsgegenstand der Klägerin, den diese im Internet als „Zeitschriftentransporte im Güternah- und -fernverkehr“ angibt und womöglich auf einem Briefkopf geführt hat, in die Rechnung gelangt. Unter diesen Umständen kommt es schon gar nicht mehr darauf an, dass jedenfalls das Fahrzeug Nr. 15 auch zeitnah, nämlich nach Rechnungsstellung vom 27. November 2003 am 18. Dezember 2003, auf die Klägerin zugelassen worden ist.

3.

60

Die Beklagte hat – wie auch die Streithelferinnen – gegen das Verbot von wettbewerbswidrigen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen verstoßen.

61

Die Verstöße hat die EU-Kommission durch den Beschluss vom 19. Juli 2016 festgestellt. An die Feststellung des Verstoßes ist das Gericht gemäß § 33b GWB n.F. in einem Fall, in dem wegen eines solchen Verstoßes Schadensersatz gefordert wird, gebunden. Die mit Wirkung zum 27. Dezember 2016 eingeführte Vorschrift ist auch auf kartellbehördliche Entscheidungen anzuwenden, die – wie hier – erst nach dem Inkrafttreten der Norm Bestandskraft erlangt haben; die Bindungswirkung erfasst alle in dem Verfahren getroffenen tatsächlichen Feststellungen, die den Lebenssachverhalt bilden, bezüglich dessen ein Kartellrechtsverstoß festgestellt wurde und die seine rechtliche Einordnung als Verstoß tragen (BGH, Urteil vom 12. Juni 2018, KZR 56/16 – Grauzementkartell II – Rn. 31f.; BGH, Urteil vom 12. Juli 2016, KZR 25/14 – Lottoblock II – Rn. 14, jeweils für die inhaltsgleiche Vorgängervorschrift des § 33 Abs. 4 GWB in der Fassung vom 15. Juli 2005).

62

Im Hinblick auf das sog. Lkw-Kartell hat die Kommission festgestellt, dass die Kartellanten – M., V./R., I., D. (= B) und D. (= StrH) – in einem wegen ihres identischen Zwecks als fortdauernd zu begreifenden (Rn. 70) Verhalten durch Handlungen, die entweder als Vereinbarungen oder als aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen einzustufen sind (Rn. 68), durch – so der Tenor des Beschlusses – Kollusion u.a. über Preise und Bruttolistenpreiserhöhungen für mittelschwere und schwere Lkw vom 17. Januar 1997 bis zum 18. Januar 2011 (M. bis zum 20. September 2010, vgl. auch Rn. 62f.) gegen Art. 101 AEUV verstoßen haben.

63

Im Einzelnen haben, wie es in der Entscheidung wörtlich heißt, die Kartellanten öffentlich so nicht zugängliche Bruttopreislisten und Informationen über Bruttopreise miteinander ausgetauscht und die meisten – mit Ausnahme von D. (= StrH) – auch computerbasierte Lkw-Konfiguratoren (Rn. 46). Die kollusiven Kontakte fanden in Form regelmäßiger Treffen bei verschiedenen Veranstaltungen statt und umfassten auch regelmäßige Kontakte über E-Mail und Telefon; bis 2004 waren die Hauptverwaltungen direkt an den Gesprächen über Preise und Preiserhöhungen beteiligt, die ab August 2002 über deutsche Tochtergesellschaften liefen (Rn. 49). Die Absprachen umfassten Vereinbarungen und/oder abgestimmte Verhaltensweisen über Preise und Bruttolistenpreiserhöhungen (Rn. 50). Von 1997 bis Ende 2004 trafen sich höhere Führungskräfte sämtlicher Hauptverwaltungen mehrmals im Jahr, und besprachen – in einigen Fällen vereinbarten – ihre jeweiligen Bruttopreiserhöhungen. Vor der Einführung harmonisierter EWR-weiter Bruttopreislisten, die – bei den Streithelferinnen seit September 2002, bei der Beklagten seit 2006 – die Preise aller mittelschweren und schweren Lkw-Modelle sowie sämtlicher werksmäßiger Sonderausstattungen enthielten (Rn. 28), führten sie Gespräche über Preiserhöhungen unter Angabe ihrer jeweiligen Geltung innerhalb des gesamten, aber in Kernmärkte unterteilten EWR. Zusätzlich zu Vereinbarungen über den Umfang der Preiserhöhungen informierten sie sich regelmäßig über ihre geplanten Bruttopreiserhöhungen (Rn. 51). Das einzige wettbewerbswidrige wirtschaftliche Ziel der Kollusion zwischen den Kartellanten bestand u.a. darin, deren jeweiliges Bruttopreisverhalten zu koordinieren, um Unsicherheit hinsichtlich des Verhaltens der anderen und letztlich auch der Reaktion der Kunden am Markt zu beseitigen und die Preisgestaltung und die üblichen Preisbewegungen für Lkw im EWR zu verfälschen (Rn. 71, 81); Tatsachen, die darauf hindeuten könnten, dass das Verhalten zu Vorteilen der Warenerzeugung oder -verteilung geführt oder den technischen oder wirtschaftlichen Fortschritt gefördert haben könnte, gab es nicht (Rn. 87).

4.

64

Die Kartellverstöße geschahen unzweifelhaft vorsätzlich.

65

Die Kontakte wurden, wie festgestellt, zunächst auf der Ebene der höheren Führungskräfte der Hauptverwaltungen organisiert und später (vgl. Rn. 55) zwischen den Arbeitnehmern der deutschen Tochtergesellschaften. Aus der hohen Ansiedelung folgt, dass der Vorstand der Beklagten das Vorgehen gekannt und gebilligt hat, und die Beklagte stellt dementsprechend den Vorsatz ebenso wenig wie die Streithelferinnen auch nur ansatzweise infrage.

5.

66

Die hier gegenständlichen Erwerbsvorgänge Nr. 8 bis 16 der Klägerin waren auch von dem Kartellverstoß betroffen bzw. kartellbefangen.

67

Betroffen ist gemäß § 33 Abs. 1 GWB 2005, wer als Mitbewerber oder sonstiger Marktbeteiligter durch den Verstoß beeinträchtigt ist. Für den Zeitraum vorher (in dem § 33 GWB noch den Verstoß gegen eine den Schutz eines anderen bezweckenden Vorschrift verlangte), folgt das Merkmal der Betroffenheit aus der erforderlichen Einbeziehung des Marktbeteiligten in den Schutzbereich des Gesetzes.

68

Betroffenheit setzt voraus, dass durch die getroffenen Vereinbarungen bzw. abgestimmten Verhaltensweisen der Wettbewerb in einer Weise ausgeschlossen oder eingeschränkt geworden ist, dass dadurch in die Rechtsstellung konkret der Klägerin als Abnehmerin der Produkte der Kartellanten eingegriffen worden ist. Entsprechend der Absicht der Gesetzesverfasser, die Anspruchsberechtigung Privater bei Kartellverstößen nach Möglichkeit auszudehnen, ist der Begriff sehr weit zu verstehen (vgl. Immenga/Mestmäcker-Emmerich, Wettbewerbsrecht, Bd. 2, § 33 Rn. 15 und 11 m.w.N.). Für eine Beeinträchtigung genügt jede Verschlechterung legitimer Chancen am Markt gegenüber der Situation bei Wettbewerb (vgl. ebd.). Die entsprechenden Feststellungen sind nach Maßgabe des § 286 ZPO, also im Strengbeweis, zu treffen (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2018, KZR 26/17 – Schienenkartell – Rn. 59; Urteil vom 12. Juli 2016, KZR 25/14 – Lottoblock II – Rn. 47).

69

Es kann offenbleiben, ob, wie die Klägerin meint, ihr insoweit, weil die Beschaffungen sachlich, zeitlich und räumlich in den Bereich der Absprachen fallen, ein Anscheinsbeweis dahin zu Gute kommt, dass die Beschaffungen von den Absprachen affiziert worden sind. In der Schienenkartell-Entscheidung hat der BGH die Annahme eines Anscheinsbeweises verneint. Die Entscheidung betrifft indes ein Quoten- und Kundenkartell, bei denen die Kartellanten gemeinsam bestimmte Quoten festgelegt und Absprachen über die Zuweisung bestimmter Stammkunden getroffen hatten (Rn. 55); „Preisabsprachen“ waren nur insoweit getroffen worden, als dass man sich einig war, dass, sofern bei einer dem sog. „Spielführer“ zugewiesenen Ausschreibung die anderen Unternehmen überhaupt fristgerecht mitboten, sie dies zu Preisen zu tun hatten, die über jenen lagen, die ihnen der „Spielführer“ vorab mitgeteilt hatte (Rn. 46). Vorliegend handelt es sich indes – wie noch auszuführen sein wird – um ein Hardcore-Preiskartell, das auf eine mittelbare Festsetzung der Verkaufspreise gerichtet war, sodass zweifelhaft sein mag, ob sich die Bedenken des BGH gegen die Anwendung des Anscheinsbeweises auch hiergegen richten mögen. Dafür sprechen allerdings die Momente, die der BGH gegen die für seine Anwendung erforderliche Typizität des Durchschlagens von Abreden anführt, welche sämtlich auch Preiskartelle betreffen oder betreffen können, nämlich die Vielgestaltigkeit und Komplexität wettbewerbsbeschränkender Absprachen, die von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst werden wie der Anzahl der Marktteilnehmer, der Anzahl der an den Absprachen beteiligten Unternehmen, ihrer Möglichkeiten, die für die Umsetzung der Absprachen erforderlichen Informationen auszutauschen, dem Anteil der Marktabdeckung, dem Grad der Kartelldisziplin und den Möglichkeiten der Marktgegenseite, ihren Bedarf anderweitig zu decken oder sonstige Gegenmaßnahmen zu ergreifen (Rn. 57), praktische Schwierigkeiten in der Anfangsphase, Einschränkungen des für die Umsetzung erforderlichen Informationsaustausches, im Zeitverlauf denkbare (sachlich und regional) unterschiedliche Intensität (Rn. 62, 64).

70

Die Frage kann indes hier aber auch dahingestellt bleiben; denn vorliegend liegt die Kartellbetroffenheit der streitgegenständlichen Erwerbsvorgänge auch dann, wenn man von einer „bloß“ tatsächlichen Vermutung ausgeht und dementsprechend eine umfassende Würdigung aller von den Parteien vorgebrachten Umstände vorzunehmen hat (BGH, a.a.O, Rn. 58), praktisch auf der Hand, § 286 ZPO.

a)

71

Die Kartellanten haben (u.a.) Bruttolistenpreiserhöhungen vereinbart oder doch jedenfalls miteinander abgestimmt.

72

Das steht aufgrund des Beschlusses der EU-Kommission, die eben das, wie eingangs referiert, festgestellt hat, bindend fest. Entgegen dem Verständnis der Beklagten und der Streithelferinnen ergibt sich aus dem Beschluss nicht, dass die Kartellanten die Informationen über ihre Bruttolistenpreise lediglich (unzulässig) „ausgetauscht“ hätten. Der – von den Kartellanten akzeptierte – Vorwurf lautet vielmehr (in der maßgeblichen englischen Fassung) auf collusion, das heißt geheime Absprache, geheime Zusammenarbeit oder geheimes Einverständnis. Auch die rechtliche Würdigung der Kommission, dass das Verhalten entweder unter den Begriff der Vereinbarungen oder demjenigen der aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen zu subsumieren sei (Rn. 65ff.), ist mit Vortrag und Auslegung der Beklagten eines bloßen Informationsaustausches ohne jede Synchronisierung nicht vereinbar. Das Nämliche gilt, worauf zutreffend das LG Stuttgart (Urteil vom 12. Dezember 2019, 30 O 27/17, Rn. 90; Urteil vom 23. Dezember 2019, 30 O 132/18, Rn. 50) hingewiesen hat, im Hinblick darauf, dass nach den Feststellungen der Kommission die Beteiligten die Risiken des Wettbewerbs wissentlich durch die praktische Zusammenarbeit ersetzt haben“ (Rn. 68), so dass die Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels spürbar geworden ist (Rn. 85). Nichts anderes als eben eine bewusste und gewollte durchgreifende Koordinierung ergibt sich denn auch aus den weiteren tatbestandlichen Feststellungen der Kommission. Die Kommunikation hat sich stets und ständig auf Bruttolistenpreise konzentriert, und aus dem Umstand, dass es regelmäßige (unterjährige) ausführliche Gespräche, E-Mail-Kontakte und Telefongespräche gegeben hat (Rn. 49 und 51), ergibt sich zwingend, dass sich die Beteiligten nicht nur etwa wechselseitig über ihre je individuellen bereits feststehenden Absichten (im Voraus oder nachträglich) informiert haben, sondern dass sie im Vorfeld systematisch ihre zukünftigen (Rn. 52) geplanten (Rn. 57) Bruttolistenpreisänderungen miteinander abgesprochen und synchronisiert haben. Der von der Beklagten „zur Veranschaulichung“ eingescannte Informationsaustausch aus dem Jahr 2007 (Klageerwiderung S. 13, Rn. 18, Bl. 60), der eine einzige, spärlich ausgefüllte Liste (nur Mercedes-Benz und Volvo) zu einem unbekannten Zeitpunkt zeigt, ist nicht dazu angetan, den Senat etwas anderes erwägen zu lassen.

73

Schon wegen der Bindungswirkung der Kommissionsentscheidung können die Streithelferinnen nicht mit ihrer Einlassung gehört werden, sie hätten ihre Preise erst nach vorheriger Festlegung und Kommunikation an die Händler und an die Kartellanten weitergegeben. Unabhängig davon ist die Behauptung, die erstmals im zweiten Rechtszug aufgestellt worden ist, auch verspätet; Entschuldigungsgründe im Sinne von § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO dafür, dass so nicht schon im ersten Rechtszug hat vorgetragen werden können, haben die Streithelferinnen nicht vorgebracht.

b)

74

Die streitgegenständlichen Erwerbsvorgänge fallen sachlich, räumlich und zeitlich in den Bereich dieser Absprachen und Vereinbarungen.

aa)

75

Auch das steht – zunächst in der sachlichen Dimension – aufgrund der Kommissionsentscheidung bindend fest.

76

Die sechs Erwerbsvorgänge Nr. 8 bis 13 betreffen den Kauf von D. (= StrH)-Lkws im Zeitraum von September 2004 bis August 2006. Bereits seit September 2002 (Kommission Rn. 28) verwendete die Streithelferin zu 1 EWR-weite Bruttopreislisten, die sie mit den anderen Kartellanten kollusiv bilateral und multilateral austauschte (Rn. 46). Die EWR-Bruttopreislisten enthielten die Preise aller mittelschweren und schweren Lkw-Modelle (Rn. 28). Was die Erwerbsvorgänge Nr. 14 bis 16 (drei D.(= B.)-Lkw im März 2001 bzw. November 2003) angeht, so führte zwar die Beklagte selbst EWR-Preislisten erst im Jahre 2006 ein (Rn. 28), kommunizierte vorher aber in anderer Weise Bruttopreiserhöhungen unter Angabe ihrer jeweiligen Geltung innerhalb des gesamten, aber in Kernmärkte unterteilten EWR (Rn. 51). Auch nach der Beschreibung des „Produkts“ durch die Kommission (Rn. 5), nämlich der Betroffenheit von Lkw zwischen 6 und 16t (mittelschwere Lkw) sowie Lkw über 16 t (schwere Lkw), ist davon auszugehen, dass sämtliche Produkte auch der Beklagten betroffen waren. Für etwas anderes, namentlich eine auch nur zeitweise Beschränkung auf bestimmte einzelne Produkte, ist aus dem Beschluss nichts ersichtlich; eine solche Ausnahme bestimmter Modelle wäre auch mit dem zugestandenen Ziel, die Preisgestaltung und die üblichen Preisbewegungen für Lkw im EWR zu verfälschen (Rn. 71, 81), nicht zu vereinbaren; und die Berufungsklägerinnen, die alleine auf eine angebliche Unklarheit der Kommissionsentscheidung und die damit gegebene bloße Möglichkeit von Ausnahmen abheben, vermögen, obwohl sie könnten, auch nicht ansatzweise vereinzelt darzutun, welche Lkw-Modelle in dem angeblich „nur punktuellen und inhaltlich sehr heterogenen Austausch“ denn in concreto ausgenommen worden wären, geschweige denn, dass sie – womit der Rechtsstreit sofort in ihrem Sinne entscheidungsreif wäre – darlegten, dass ausgerechnet die hier in Rede stehenden Modelle von Absprachen ausgenommen gewesen wären.

bb)

77

Hiernach vermag der Senat auch nicht der von den Berufungsklägerinnen für sich reklamierten Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 6. März 2019, U (Kart) 15/18, Rn. 65, zu folgen, wonach – nunmehr in der räumlichen und der zeitlichen Dimension – auf der Grundlage des Beschlusses der Kommission nicht ohne weiteres von einer kartellbedingten Preisanhebung über den gesamten Zeitraum in allen Ländern des EWR ausgegangen werden können soll, weil eine Preisanpassung im EWR ohne weiteres auch in der Weise denkbar sei, dass die Bruttolistenpreise nur in einigen Ländern angehoben und in anderen Ländern unverändert geblieben seien. Es ist, wie ausgeführt, hinsichtlich der räumlichen Reichweite der Absprachen die Kommissionsentscheidung schon anders zu verstehen, in der es (Rn. 61) heißt, die räumliche Ausdehnung der Zuwiderhandlung habe sich auf den gesamten EWR während der gesamten Dauer der Zuwiderhandlung erstreckt. Tatsächlich ist auch fernliegend, weil ihrem eingeräumten Ziel widersprechend, dass die Kartellanten von ihren Absprachen bestimmte Regionen des EWR ausgenommen haben könnten, und insbesondere ist das für Deutschland abwegig, weil die unerlaubten Absprachen ab August 2002 – und damit auch in dem vom zu OLG Düsseldorf zu betrachtenden Zeitraum zwischen 2004 und 2010 – über die deutschen Tochtergesellschaften der Kartellanten liefen (Kommission Rn. 49); dass diese ausgerechnet ihren Heimatmarkt, annehmbar den bedeutendsten europäischen Markt für Lkw, ausgeklammert haben sollten, wird man vernünftigerweise nicht für möglich halten können. Konkreten Vortrag dazu, dass und welche ihrer Modelle für welchen Zeitraum von Absprachen denn ausgenommen wären, haben die Berufungsklägerinnen, obwohl sie könnten, nicht ansatzweise gehalten.

c)

78

Die Kartellanten hatten – wie sie gegenüber der Kommission eingeräumt haben – das einzige Ziel, die Preisgestaltung und die üblichen Preisbewegungen für Lkw im EWR zu verfälschen, eine Verfälschung, die vernünftigerweise nur zu ihren Gunsten (und entsprechend zu Lasten der Erwerber) hat erfolgen sollen. Und die Umstände lassen annehmen, dass sie dieses Ziel auch tatsächlich erreicht haben.

aa)

79

Damit, dass, wie die Berufungsklägerinnen verschiedentlich erwähnen, der bloße Austausch auch unverfänglichen Zielen gedient haben könnte, etwa nur den Aufwand habe ersparen sollen, der für eine legale Beschaffung der Informationen entstanden wäre, oder um irgendeinen andersartigen erlaubten zusätzlichen Erkenntnisgewinn zu ziehen, können sie schon deshalb nicht gehört werden, weil, wie ausgeführt, die Kommission ein anderes festgestellt hat. Die Einlassung solcher Zwecke bleibt im Übrigen – erneut – ohne jede konkrete Substanz und im Bereich allein einer rein theoretischen Möglichkeit, die zudem – da nur von einem bloßen Informationsaustausch gesagt werden kann, dass er nicht notwendig wettbewerbskritisch sein müsse (nicht aber von der festgestellten Koordination der Preise, s.o. a) – unter einer faktisch unrichtigen Prämisse steht.

bb)

80

Die Folgenlosigkeit des bebußten Verhaltens lässt sich entgegen der Einlassung der Beklagten ebenfalls von vornherein nicht damit begründen, dass die Kommission keine Feststellungen zu den wettbewerbswidrigen Auswirkungen der Absprachen getroffen hat.

81

Darin liegt keineswegs, wie die Beklagte aber will, eine bewusste Beschränkung in der Erkenntnis, dass es an dem nicht sei. Vielmehr genügte es, wie die Kommission (Rn. 80) ausdrücklich ausführt, für eine Bebußung des unerlaubten Verhaltens schon, dass eine Verfälschung des Wettbewerbes bezweckt war. Auf die Erreichung des Ziels kam es danach nicht an.

cc)

82

Die Abstimmung von Bruttolistenpreisen ist – weiter – ein besonders wirksames Instrument zur Beeinflussung von Preisen.

83

Bruttolistenpreise sind, wie die Kommission (Rn. 27) festgehalten und die Beklagte (Klageerwiderung Rn. 11, Bl. 57) zugestanden hat, der Ausgangspunkt für die Preisgestaltung der Lkw-Produzenten. Sie bestimmen gleichsam das Ausgangsniveau, von dem aus die Preise auf den nachgelagerten Marktstufen gebildet werden; auch das beschreibt die Beklagte selbst (Klageerwiderung Rn. 32, Bl. 64). Schon weil das so ist, erschließt sich nicht, dass diese Preise lediglich eine „interne Referenzgröße“ oder „Benchmark zu Controlling-Zwecken“ (gewesen) sein sollten. Sie leiten vielmehr die Preisverhandlungen mit der nationalen Vertriebseinheit und den Absatzmittlern an und sind damit – und so beschreibt es die Beklagte selbst – das Basisniveau, aus dem vermittelst eines prozentualen Händlernachlasses der zu verhandelnde Händlereinkaufspreis berechnet wird. Und – natürlich – bestimmt der so ermittelte Händlereinkaufspreis auch mit, welche Preise und welche Nachlässe vernünftigerweise und mit Rücksicht auf seine eigenen Interessen der Händler dem Endkunden gewähren kann. Das gilt – anders als insbesondere die Streithelferinnen wollen – unter den Bedingungen der kapitalistischen Warendistribution selbstverständlich auch dann, wenn die Händler keine gebundenen Vertragshändler, sondern selbstständig sind.

84

In dieser Weise ist der Bruttolistenpreis ein wesentliches Instrument zur Preiskalkulation aller Kartellanten, und in dieser Weise findet er sich als ein entsprechender Bruchteil auch in den sog. Nettopreisen, die der Endkunde zahlt, rechnerisch notwendig wieder. Dementsprechend hat die Kommission auch festgestellt, dass die Kartellanten anhand der Kenntnis der Bruttopreise und zusätzlich ermittelter Marktforschungsdaten sogar die ungefähren Nettopreise ihrer Konkurrenten besser berechnen konnten (Beschluss der Kommission, Rn 47). Vereinbarungen über die einvernehmliche Steuerung von Bruttolistenpreisen, wie sie hier vorliegen, erlauben es die Unsicherheit auszuschalten, die bei Marktbedingungen (gleichsam unter dem Schleier des Nichtwissens) über das Steuerungsverhalten der Konkurrenten bestehen, von denen man nicht sicher wissen kann, ob und in welchem Umfang sie Kostenerhöhungen (Inflation, Produktionskosten, technische Verbesserungen usw.) in ihre Preisbildung einfließen lassen, und aus ihnen folgt mithin eine ganz erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass die abgestimmten prozentualen Preiserhöhungen – jedenfalls tendenziell und im zeitlichen Verlauf kumulativ – höher ausfallen als sie unter Marktbedingungen ausfielen.

85

Der Mechanismus lässt sich spieltheoretisch leicht anhand des von der Beklagten (Klageerwiderung Rn. 10, Bl. 56) referierten Falls der beiden Apfelhändler illustrieren (der auf den Aufsatz von Matthew Bennett und Philipp Collins, The Law and Economics of Information Sharing: The Good, the Bad, and the Ugly, European Competition Journal 2010, 325f. zurückgeht). Unter Marktbedingungen und bei im Wesentlichen gleichwertigen Produkten werden sich die Preise der beiden Händler angleichen, gesetzt auf 7. A und B werden nun im Zeitverlauf notwendig mit annehmbar ähnlichen Kostenerhöhungen – gesetzt 1 – konfrontiert, ohne dass sie wüssten, wie ihr Konkurrent damit umgeht. Sie haben also das Risiko, dass sie bei einer vollständigen Weitergabe ihrer Kosten an die Kunden teurer werden als der Konkurrent, erst recht bei über ihren Kostensteigerungen liegenden Erhöhungen. Treffen sie – und genau das ist der hier in Rede stehende Fall – eine Vereinbarung über eine gleichförmige Erhöhung ihrer Kosten (etwa um 1), so können beide ihre Kosten vollen Umfangs weitergeben; tatsächlich können sie sich sogar auf eine darüber hinausgehende Erhöhung (bspw. auf 1,5) verständigen. Ohne eine solche Vereinbarung dagegen würden sie (oder würde jedenfalls einer von ihnen), um den Verlust an Marktanteilen zu vermeiden, erwartbar defensiver vorgehen, um dadurch die Absatzchancen zu steigern, und eine Anhebung der Preise über die Kostensteigerung hinaus wäre solchenfalls ohnehin auszuschließen.

86

Aus eben diesem Grunde wird in dem bereits zitierten Aufsatz von Bennett und Collins, ehemaligen Angehörigen der britischen Wettbewerbsbehörde, dargelegt, dass der direkte Austausch (sic) zukünftiger Preissetzungsabsichten zwischen Wettbewerbern die wahrscheinlich nützlichste Information ist, um den sog. Fokalpunkt (also das spezifische Preisniveau, das die Unternehmen im Sinn hatten [Oxera 2019, Ziffer 4.13) zu erreichen und daher die am meisten schädliche (S. 321, Übersetzung nach HE, D.–Replik, S. 9, hier Bl. 404). Diese Beurteilung ist für zutreffend zu erachten; denn, wie schon wiederholt betont, ist es im vorliegenden Fall zu einer konkreten allseitigen Abstimmung über die Höhe der zukünftigen Preiserhöhungen gekommen.

87

Dass es anders nicht gewesen sein kann, lässt sich ebenfalls unmittelbar aus dem Fall der Apfelhändler ableiten. Wenn – wie die Berufungsklägerinnen behaupten – es lediglich zu einem Informationsaustausch in dem Sinne gekommen wäre, dass die Kartellanten (A und B) einander ihre jeweils für sich bereits fest bestimmten Preisänderungsabsichten einer nach dem anderen mitgeteilt hätten, so hätte der Händler, der seine Absichten als letztes mitteilte (gesetzt B), erhebliche Vorteile. Er könnte anders als A seine Preisänderung in voller Kenntnis der Absichten seines Konkurrenten vornehmen und sich, indem er dessen Steigerungsrate unterbietet, Vorteile auf dem Markt verschaffen. Unter diesen Vorzeichen ist nicht vorstellbar, dass irgendeiner der Kartellanten bereit gewesen wäre, „bloße Informationen“ über sein zukünftiges Verhalten als erstes mitzuteilen. Das konnte er vernünftigerweise nur dann tun, wenn er die Erwartung hegen durfte, dass es am Ende zu einer Koordination des allseitigen zukünftigen Verhaltens kommen würde. Und umgekehrt: Käme es zu keiner Koordination (sondern würde ein Kartellant die erlangten Informationen für eine Abweichung „nach unten“ ausnutzen, wäre das Kartell sofort am Ende. Vorliegend ist aber über Jahre kein einziger Kartellant ausgestiegen.

88

Angesichts dieser Überlegungen, die sich auch den über beträchtliche ökonomische Expertise verfügenden Kartellanten aufgedrängt haben müssen, ist es am Maßstab der praktischen Vernunft, § 286 ZPO, gemessen vollkommen ausgeschlossen, dass die Kartellanten, deren eingeräumtes Ziel es war, die Preisgestaltung und die üblichen Preisbewegungen für Lkw im EWR – natürlich: zu ihren Gunsten – zu verfälschen, auf dem Weg in den evident empfindlich bußgeldbedrohten Bereich auf halber Strecke stehen geblieben sein und sich auf einen bloßen Informationsaustausch beschränkt haben sollten und nicht den naheliegenden und ersichtlich effektiveren Schritt einer genuinen Koordination der Preiserhöhungen gegangen sein sollten. Auf die Frage des Senats im Termin, wie sämtlichen Kartellanten eine solche Verfehlung ihrer Absichten hätte unterlaufen sein können, haben die Vertreter der Berufungsklägerinnen nicht zu antworten gewusst.

89

Unter den gegebenen Umständen ist das hier in Rede stehende Kartell auch fraglos ein Hardcore-Kartell. Auch wenn nicht – worauf die Beklagte abheben will – die Nettopreise der Kunden bestimmt worden sind, so sind doch die Preise durch Abstimmung der mittelbaren Festsetzung der Verkaufspreise (Art. 101 Abs. 1a AEUV) in der Weise beeinflusst worden, dass die Kartellanten ihre alljährlichen Preiserhöhungen miteinander abgesprochen haben. Dass, wie die Berufungsklägerinnen weiter vorbringen, die Kommission nicht den Ausdruck „Preisfestsetzungen“ verwendet hat, besagt dementsprechend auch nichts dafür, dass das Eintreten von Effekten unsicher sei; der Ausdruck wäre vielmehr schon deshalb unpassend gewesen, weil es oberhalb der Absprache konkreter Verkaufspreise um Absprachen über allseitige Erhöhungen gegangen ist, die sich, wie schon ausgeführt, in jeder einzelnen Preissetzung der Hersteller wiederfinden.

90

All das gilt auch für den vom OLG Düsseldorf (a.a.O., Rn. 65) für möglich gehaltenen Fall, dass in einzelnen Jahren in bestimmten Regionen die Bruttolistenpreise einmal unverändert geblieben wären. Der Kartelleffekt resultiert bereits aus der allseitigen Ausschaltung der Unsicherheit bezüglich des Erhöhungsverhaltens der anderen. Und eine jede erfolgte abgesprochene Preiserhöhung führt zu einer verbotenen Anhebung des Ausgangsniveaus, die sich kumuliert auch in den Folgejahren auswirkt, mag es auch – wofür nichts spricht – in einem oder mehreren einzelnen Jahren einmal an einer weiteren wettbewerbswidrigen Steigerung gemangelt haben.

dd)

91

Vor diesem Hintergrund vermögen denn auch die Einwände der Berufungsklägerinnen gegen die Wirksamkeit der Absprachen gegenüber Endkunden wie der Klägerin nicht zu überzeugen.

(1)

92

So stehen dem nicht etwa die Besonderheiten auf dem vielgestaltigen Lkw-Markt entgegen.

93

Es kann gut (und wird tatsächlich) so sein, dass die Preise auf dem Lkw-Markt nicht nur durch die (anfänglich allein kommunizierten) Preise der Basismodelle bestimmt werden, sondern dafür auch die sehr unterschiedlichen und sehr unterschiedlich teuren Aufbauten und sonstigen Ausstattungen von erheblicher Bedeutung sind. Das vermag aber nichts daran zu ändern, dass, wie ausgeführt, in den nicht wegzudenkenden Kostenerhöhungen für die Basismodelle immer auch das kartellbedingt erhöhte Niveau gleichsam mitläuft.

94

Man wird annehmen müssen, dass die Kartellanten in dem im einzelnen unübersichtlichen Markt gerade deshalb darauf verfallen sind, ihre unerlaubten Absprachen eben auf die Bruttolistenpreise zu richten, weil so die Preisentwicklung mit einem oberhalb der „Wirren“ der konkreten Nettopreise liegenden Datum hat gesteuert werden können.

(2)

95

Weil danach der Kartelleffekt in dem allseits erhöhten Ausgangsniveau liegt, lässt sich eine Beeinträchtigung des Endkundenmarktes auch nicht mit dem Argument wegdiskutieren, dass das Ob und der Umfang der Entwicklung der konkreten Nettopreise nicht vorhersehbar gewesen seien. Gerade dann ist ein Ansetzen an abgesprochenen Bruttolistenpreiserhöhungen zielführend.

(3)

96

Gleichermaßen unerheblich ist deshalb, dass – allerdings nur plausibel – der Käuferkunde den Bruttolistenpreis nicht kennt und er auch für die Preisverhandlungen keine Rolle spielt. Anders könnte es nur sein, wenn, wie die Berufungsklägerinnen weiter vorbringen, die Preise auf dem Lkw-Markt ausschließlich bottom up gebildet würden. Das wird man indes – zumal mit dem behaupteten Ausmaß: ausschließlich – vernünftigerweise nicht für möglich halten und daher nicht feststellen können.

97

Auf Märkten bilden sich die Preise im Wechselspiel von Angebot und Nachfrage. Auch individuelle Preisverhandlungen, von denen auch die Beklagte (etwa Klagerwiderung S. 66, Rn. 267, Bl. 113) selbst ausgeht, sind immer geprägt nicht nur von dem, was der Kunde zu zahlen bereit ist, sondern auch von dem, was der Händler kalkulatorisch „braucht“ und danach im Verhandlungsspiel „setzt“, und der Händlerpreis ist hier, wie ausgeführt, immer auch affiziert von dem, was wiederum „sein“ Produzent ihm setzt. Das entspricht den allgemeinen Gesetzmäßigkeiten der Warendistribution. Dass das ausgerechnet – und zumal in einem Umfang, der die Marge des Händlers zum Verschwinden bringt – auf dem Lkw-Markt anders sein sollte, ist für den Senat nicht ansatzweise nachvollziehbar. Es mag in Einzelfällen und bei entsprechender Marktmacht des Kunden möglich sein, dass er den Preis so zu drücken vermag, dass der Händler „seine Marge ganz oder teilweise“ an ihn weitergibt (Bl. 112f.); bei der Klägerin, die im Zeitraum zwischen 2001 und 2011 16 LKWs „abgenommen“ (davon 7 geleast) hat, liegt die Annahme einer solchen Marktmacht gänzlich fern. Und erneut haben die Berufungsklägerinnen, obwohl sie das anhand der Rechnungen könnten, nicht einmal ansatzweise versucht, einen solchen Verhandlungseffekt für die Erwerbe der Klägerin konkret zu plausibilisieren.

98

An dem Durchgriff der Wirkungen der Absprache von Bruttolistenpreisen ändert sich, weil eben der Kartelleffekt aus einer einseitig-allseitigen Erhöhung des Ausgangsniveaus „ganz oben“ resultiert, auch nichts durch die Verweise der Berufungsklägerinnen auf die zahlreichen weiteren Erwägungen, die auf Seiten der Beteiligten sonst noch eine Rolle spielen können (die Berufungsbegründung der Streithelferinnen nennt insoweit acht Parameter auf Seiten der Endkunden, Bl. 734, neun Parameter für Händler, Bl. 736, und elf Parameter für sich selbst). Solche Erwägungen mögen im Einzelfall dazu führen, dass der Kartelleffekt für einen konkreten Erwerbsvorgang nivelliert worden ist. Das aber ist eine Frage der konkreten Schadensberechnung; für das Merkmal der Kartellbetroffenheit, für die eine Verschlechterung legitimer Chancen am Markt genügt, ist es ohne Belang.

(4)

99

Gegen eine durchgreifende Beeinträchtigung des Wettbewerbes spricht auch nicht, dass durch die Absprachen der Wettbewerb nicht vollständig außer Kraft gesetzt worden ist, sondern es – worauf insbesondere die Beklagte verweist – während der Dauer des Kartells gewisse Schwankungen der Marktanteile bei den Kartellanten gegeben hat.

100

Der hier in Rede stehende Mechanismus – die allseitig abgestimmte Beeinflussung des endpreiswirksamen Ausgangsniveaus – ermöglicht, wie aufgezeigt, allen Kartellanten eine tendenziell höhere Rendite für jeden einzelnen Lkw-Verkauf. Die Ausschaltung des Wettbewerbes um Marktanteile ist weder notwendige noch hinreichende Bedingung für sein Funktionieren, und entsprechend lässt sich mit dem Fortbestand eines gewissen Wettbewerbs unterhalb der allseits nützlichen Preiserhöhungsabsprachen ein Kartelleffekt nicht entscheidend infrage stellen.

d)

101

Auch die dem BGH zufolge weiter in die Abwägung einzustellenden Gesichtspunkte sprechen eindeutig für und nicht gegen eine Kartellbefangenheit der streitgegenständlichen Erwerbsvorgänge.

aa)

102

Was zunächst die Vielgestaltigkeit und Komplexität wettbewerbsbeschränkender Absprachen angeht, so steht hier aufgrund der Kommissionsentscheidung eine konkrete Gestalt – nämlich die allseitig abgestimmte Beeinflussung des endpreiswirksamen Ausgangsniveaus – fest.

bb)

103

Fest steht weiter die sachliche, räumliche und zeitliche Ausdehnung des Kartells. Für eine im Zeitverlauf denkbare (sachlich und regional) unterschiedliche Intensität ist nichts, schon gar nichts Konkretes, vorgetragen und auch sonst nichts ersichtlich.

cc)

104

Die Möglichkeit, die für die Umsetzung der Absprachen erforderlichen Informationen auszutauschen, war im vorliegenden Fall nicht eingeschränkt. Die Anzahl der an den Absprachen beteiligten Unternehmen war – mit sieben Großkonzernen – überschaubar und angesichts ihrer Kommunikationskompetenzen praktisch problemlos handhabbar. Die Berufungsklägerinnen vermögen es nicht, ja unternehmen es nicht einmal, etwas anderes auch nur ansatzweise vereinzelt darzutun.

dd)

105

Der Anteil der Marktabdeckung war außerordentlich beträchtlich. Die Kartellanten verfügten in dem in Rede stehenden Zeitraum im Bereich Western Europe über Marktanteile von – ohne S. – mindestens 82,4 % bzw. – inklusive S. – mindestens 92 % (vgl. HE, Replik D. (= B) vom 7. März 2019, Anhang [S. 25], Bl. 420; nahezu identisch E.CA Economics, Abschlussbericht vom 14. November 2018, Anlage B 27, S. 25).

ee)

106

Entsprechend außerordentlich begrenzt waren die Möglichkeiten der Marktgegenseite, hier also der Endkunden, ihren Bedarf anderweitig zu decken oder sonstige Gegenmaßnahmen zu ergreifen (die an die Hersteller gebundenen Händler hatten ersichtlich keine Ausweichmöglichkeiten). Vor dem Hintergrund, dass den Endkunden bei allen namhaften Herstellern und dem allergrößten Teil des Marktes dieselben Grundpreiserhöhungen „entgegenschlugen“, werden sie diese vielmehr als nur normal begriffen haben und gar nicht auf die Idee gekommen sein, zur Vermeidung eines ihnen verborgenen Kartelleffektes auf Hersteller aus dem verbleibenden 8- bzw. 18%igen Marktsegment auszuweichen. Darauf, ob und in welchem Umfang diese anderen Hersteller ihren Qualitäts- und Ausstattungsanforderungen hätten entsprechen können, kommt es schon nicht mehr an.

ff)

107

Es bestehen ferner auch keine durchgreifenden Anhaltspunkte für eine mangelnde Kartelldisziplin.

108

Der Kommissionsentscheidung ist diesbezüglich nichts zu entnehmen. Auch die Berufungsklägerinnen lassen, was ihr jeweils eigenes Verhalten angeht, jeden konkreten Vortrag zu Abweichungen von den gemeinsam verabredeten Vorgaben vermissen. Soweit sich die Beklagte auf den Abschlussbericht von E.CA vom 14. November 2018 (Anlage B 27, S. 46ff.) bezieht, betreffen die dortigen Ausführungen – womöglich mit gutem Grund – nur die Jahre ab 2007, die hier – bei einem letzten Erwerb im Jahre 2006 – keine Rolle spielen. Für A.-Fahrgestelle (also die drei von der Klägerin in den Jahren 2001 und 2003 aus der Produktpalette der Beklagten erworbenen Fahrzeuge) zeigt das Gutachten (S. 62) einen kontinuierlichen Bruttolistenpreis-Anstieg im Zeitraum 2000 bis 2005. Und auch für die folgenden Jahre liegt nichts näher als die Annahme, dass die durch das Kartell generierten kumulierten Erhöhungen des Ausgangsniveaus noch fortwirken.

gg)

109

Mangels erkennbarer Abweichungen (jedenfalls in dem hier streitrelevanten Zeitraum) spricht gegen systematische Kartelleffekte schließlich auch nicht, dass es – wohl unstreitig – keine Überwachungs- und Sanktionsmechanismen gegeben hat. Tatsächlich wird das Kartell dadurch stabilisiert worden sein, dass – aus den oben erörterten Erwägungen – jedem Kartellanten klar war, dass es mit dem Kartell oder doch jedenfalls mit seiner Beteiligung rasch zu Ende wäre, wenn er dazu fände, die abgesprochenen Erhöhungen einseitig zu unterbieten.

e)

110

Nach all dem liegt – in einer umfassenden Würdigung aller Umstände – die Kartellbetroffenheit der Klägerin auf der Hand.

111

Nach ökonomischen Grundsätzen wird bei Kartellen vielfach eine Kartellrendite entstehen. Treffen Unternehmen trotz der damit einhergehenden erheblichen Risiken solche Absprachen, streitet danach eine tatsächliche Vermutung dafür, dass die im Rahmen eines Kartells erzielten Preise im Schnitt über denen liegen, die sich ohne die wettbewerbsbeschränkende Absprache bildeten. Diese Vermutung gewinnt an Gewicht, je länger und nachhaltiger ein Kartell praktiziert wurde. Einer solchen tatsächlichen Vermutung kommt im Rahmen der freien Beweiswürdigung regelmäßig eine starke indizielle Bedeutung zu. Hierdurch kann den Anforderungen, die sich aus dem Unionsrecht ergeben, Rechnung getragen werden. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union müssen die nationalen Gerichte, die im Rahmen ihrer Zuständigkeit das Unionskartellrecht anzuwenden haben, die volle Wirkung von dessen Bestimmungen gewährleisten und die Rechte schützen, die das Unionsrecht dem Einzelnen verleiht. Die volle Wirksamkeit von Art. 101 AEUV setzt danach voraus, dass jedermann Ersatz des Schadens verlangen kann, der ihm durch gegen diese Bestimmung verstoßende Absprachen entsteht. Bei der Anwendung der einzelstaatlichen Regelungen über Voraussetzungen und Durchsetzung des Anspruchs auf Schadensersatz haben die nationalen Gerichte den Effektivitätsgrundsatz zu beachten, also dafür Sorge zu tragen, dass die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert wird (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2018, KZR 26/17 – Schienenkartell – Rn. 55f. m.w.N.).

112

Im vorliegenden Fall ist nach den Umständen das Gewicht der tatsächlichen Vermutung ganz erheblich. Die Kartellanten beherrschten angesichts ihrer Marktanteile den Lkw-Markt nahezu vollständig. Sie haben sich auf einen überaus wirksamen Beeinflussungsmechanismus verständigt, den sie über lange Jahre praktiziert haben, ohne dass ihnen dabei Kommunikations- oder Umsetzungshindernisse im Wege gestanden hätten. Unterschiede in der Intensität sind weder in sachlicher noch in räumlicher Hinsicht zu erkennen und betreffen in zeitlicher Hinsicht allenfalls spätere als die hier in Rede stehenden Beschaffungszeiträume.

113

Dagegen vermögen die gegen die Effektivität des Mechanismus vorgebrachten Einwände allesamt nicht durchzugreifen. Teilweise beruhen sie auf unrichtigen oder implausiblen tatsächlichen Voraussetzungen (bloßer Informationsaustausch; anderweitige Zwecke des „Austauschs“; sachlicher räumlicher und zeitlicher Umfang; Preisbildung ausschließlich „bottom up“). Anderenteils verkennen sie seine Wirkweise (Vielgestaltigkeit und Komplexität des Lkw-Marktes; mangelnde Vorhersehbarkeit konkreter Nettopreise; mangelndes Wissen des Endkunden um den Bruttolistenpreis; Fortbestehen eines gewissen Wettbewerbes unter den Kartellanten). Letztenteils bleiben sie bloß abstrakt und theoretisch (keine Betroffenheit der streitgegenständlichen Basismodelle; mangelnde Umsetzung; mangelnde Kartelldisziplin) und widersprechen zum Teil den Feststellungen der Kommission, wie im Hinblick auf die kartellbedingte Berechenbarkeit der ungefähren Nettopreise der Konkurrenten (Rn 47). Irgendeinen auch nur ansatzweise konkreten Bezug zu den hier streitgegenständlichen Erwerben haben die Berufungsklägerinnen in keiner der von ihnen angeführten Hinsichten aufzuzeigen vermocht. Angesichts der Substanzlosigkeit ihres Vorbringens sieht sich der Senat auch nicht gehalten, dem von den Berufungsklägerinnen für angebliche Besonderheiten und angeblich erforderlich nicht gegebene Randbedingungen stets angeführten Beweisangeboten des Sachverständigenbeweises bzw. der Zeugnisse der von ihr beauftragten Gutachter zu deren aktenkundigen Gutachten weiter nachzugehen.

114

Unter den aufgezeigten Umständen hält es der Senat am Maßstab des § 286 ZPO für praktisch ausgeschlossen, dass durch die verbotenen abgestimmten Verhaltensweisen die Endkundenpreise – allemal in dem hier in Rede stehenden Zeitraum von 1997 bis 2006 – im Ergebnis nicht beeinflusst worden sein könnten. Das würde voraussetzen, dass über einen Zeitraum von nahezu 10 Jahren keiner der mit den Absprachen befassten hochrangigen Mitarbeiter in Management und Controlling in immerhin sieben international operierenden Großkonzernen auf den Gedanken gekommen wäre, dass mit den verbotenerweise abgestimmten Zahlen tatsächlich keinerlei Vorteile für die Kartellanten haben erzielt werden können. Das erscheint als ebenso abwegig wie die (weiter denkbare) Möglichkeit, dieser Mitarbeiter habe es nicht oder nicht mit Erfolg vermocht, seine Erkenntnisse hinreichend zu kommunizieren.

6.

115

Das Landgericht ist zu Recht auch dazu gelangt, dass der Klägerin dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch zusteht.

116

Gemäß § 304 Abs. 1 ZPO kann ein Gericht vorab über den Grund entscheiden, wenn der Rechtsstreit hinsichtlich der anspruchsbegründenden Tatsachen zur Entscheidung reif ist, nicht aber hinsichtlich des Betrags. Erforderlich ist, dass die Voraussetzungen für eine Haftung der Beklagten dem Grunde nach Vorliegen und lediglich noch Fragen offen sind, die im Betragsverfahren zu beantworten sind. Voraussetzung ist weiter, dass es zumindest wahrscheinlich ist, dass der geltend gemachte Anspruch in irgendeiner Höhe besteht (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2018 – Schienenkartell – Rn. 38 m.w.N.).

117

Ein Schadensersatzanspruch der Klägerin setzt voraus, dass ihr aus der Abwicklung der in Rede stehenden Aufträge ein Schaden entstanden ist, die Geschäfte ohne den Wettbewerbsverstoß also jeweils zu günstigeren Konditionen hätten abgeschlossen werden können. Dabei gilt der Beweismaßstab des § 287 Abs. 1 ZPO (BGH, ebd., Rn. 52 m.w.N.). Dementsprechend hat hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung zu entscheiden; ohne das Erfordernis des Wahrheitsbeweises (§ 286) darf das Gericht Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen anstellen und zu Schätzungen greifen (vgl. Zöller/Greger, ZPO, Kommentar, 33. Auflage, § 287 Rn. 1 m.w.N.).

a)

118

Auch wenn hier allein aufgrund des von der Klägerin beigebracht Privatgutachtens (HE, Lkw-Kartell: Schadensschätzung Lkw-Pool vom 6. März 2018, Anlage K 17) die Schadenshöhe der einzelnen Erwerbe noch nicht feststehen mag, so liegt doch das Entstehen irgendeines Schadens aus den neun noch in Rede stehenden Erwerbsvorgängen ebenso auf der Hand wie – s.o. 5. – deren Kartellbefangenheit, § 287 ZPO.

aa)

119

Insoweit kann zunächst auf die Ausführungen zur Kartellbefangenheit (soeben 5.) verwiesen werden. Die dort im Rahmen der erforderlichen Abwägung angestellten Erwägungen gelten gleichermaßen für die Frage des konkreten Kartellschadens (vgl. BGH, Urteil vom 11. Dezember 2018 – Schienenkartell – Rn. 55f.; vgl. auch OLG Stuttgart, Urteil vom 4. April 2019, 2 U 101/18, Rn. 157ff., das die hier bereits erörterten Einwendungen der Beklagten [mit demselben Endergebnis] – unter der Frage des Schadenseintritts erörtert).

120

Die Kausalität des Kartells für irgendeinen Schaden der Klägerin lässt sich auch nicht damit infrage stellen, dass, worauf die Streithelferin noch abheben will, Kartelleffekte aufgrund des „nur“ indirekten Erwerbs der Klägerin über Händler nennenswert nivelliert worden sein könnten. Tatsächlich gibt es im vorliegenden Fall keinerlei Anhalt dafür, dass – und darauf beruht unter Bezugnahme auf die ORWI-Entscheidung des BGH (BGH, Urteil vom 28. Juni 2011 – KZR 75/10, Rn. 46) der Einwand – Preiserhöhungen auf der Zwischenstufe aufgrund einer unabhängigen besonderen Marktstellung der Händler autonom und unabhängig von den kartellbedingten Preiserhöhungen erfolgt sein könnten. Die Argumentation der Berufungsklägerinnen, dass Händler aufgrund der angeblichen Besonderheiten des Lkw-Marktes, der Preisbildung „bottom up“, regelmäßig nicht einmal die ihnen abverlangten Preissteigerungen an die Kunden weitergegeben hätten, geht in die genau gegenteilige Richtung. Der diesbezügliche Vortrag zeigt vielmehr, dass die Berufungsklägerinnen selbst von einer geringeren Preissetzungsautonomie der Händler ausgehen, und dafür gibt es auch tatsächlich plausible Gründe. Dem BGH (a.a.O., Rn. 47) zufolge kann, wenn die meisten der auf dem nachgelagerten Markt auftretenden Anbieter den Kartellpreis entrichten müssen (hier sind es aufgrund der von der Beklagten selbst dargelegten Preisbildungsmechanismen alle) und die Marktgegenseite keine oder nur geringe Ausweichmöglichkeiten hat (wie, wie erörtert, ebenfalls hier) und schließlich (wie hier ebenfalls zutreffend) der Anschlussmarkt ansonsten funktionsfähig ist, davon ausgegangen werden, dass eine kartellbedingte Kostenwälzung erfolgt.

bb)

121

Zu nichts anderem führen auch die weiteren Einwendungen, die die Berufungsklägerinnen vorbringen.

(1)

122

So verstößt die Annahme der Entstehung eines Schadens nicht etwa gegen ökonomische Denkgesetze.

123

Dass dem, wie die Beklagte unter Berufung auf das Gutachten von Oxera vom 8. Mai 2019 (Anlage B 34) geltend macht, ökonomische Mechanismen im Wege stünden bzw. die Randbedingungen für ein funktionierendes Kartell nicht gegeben seien, trifft, wie schon erörtert, nicht zu. Diesem Gutachten sind überdies keine überzeugenden Schlussfolgerungen zu entnehmen, da es wie die Verfasser mehrfach betonen (vgl. Ziffern 1.9, 2.7, 4.1f.), auftragsgemäß von der – wie schon erörtert: unrichtigen – Annahme ausgehen soll, dass es lediglich einen bloßen Informationsaustausch gegeben habe. Dass unter dem Vorzeichen der Vereinbarung von Bruttolistenpreiserhöhungen ein Schaden nicht plausibel sei, behauptet auch die Beklagte nicht.

(2)

124

Der Annahme eines Schadens stehen auch nicht etwa gesicherte empirische Befunde entgegen.

125

Soweit sich die Beklagte dazu auf den Abschlussbericht von E.CA vom 14. November 2018 (Anlage B 27) beziehen will, so geht auch dieses Gutachten schon im Ansatz unrichtig davon aus, dass es – Dreh- und Angelpunkt der Argumentation der Berufungsklägerinnen – lediglich einen Informationsaustausch gegeben habe (S. 2). Ebenfalls nicht überzeugend ist aufgrund der schon oben erläuterten Wirkweise des vereinbarten Mechanismus, abgestimmt das Ausgangsniveau zu erhöhen, die Annahme, dass für einen Kartelleffekt das Verhältnis zwischen Bruttolisten- und Nettopreisänderungen vorhersehbar sein müsse (S. 2f.). Dass, wie das Gutachten zeigen soll, das Verhältnis von Bruttolistenpreisen zu Nettopreisen keine gleichförmige sog. Abwälzungsrate zeigt, besagt nichts dafür, wie die Nettopreise sich ohne eine einvernehmliche Steuerung entwickelt hätten, und es ist nicht zu erkennen, dass das Gutachten dies überhaupt zu bemessen gesucht hätte.

126

Das Nämliche gilt für das von den Streithelferinnen noch beigebrachte Gutachten der Compass Lexecon vom 7. Mai 2019 (Anlage D. (= StrH) 07, S. 2). Und es gilt auch für den von der Beklagten nachgereichten Abschlussbericht von E.CA vom 26. September 2019 (Anlage B 39), der ebenfalls schon im Ansatz unrichtig von einem bloßen Informationsaustausch (Einleitung 1.1.) ausgeht.

127

Kein entscheidendes Argument lässt sich schließlich daraus zu gewinnen, dass die von den Klägervertretern beauftragten Gutachter von HE für einzelne Bereiche – nicht betreffend die in Rede stehenden konkreteren Fahrzeugtypen – einen Kartellschaden nicht haben ermitteln können. Unabhängig hiervon mag sich dieses (so HE, D. (= B)-Replik, S. 14, Bl. 409) daraus erklären lassen, dass mit den vorhandenen Daten keine belastbaren Aussagen getroffen werden konnten.

(3)

128

Unbehelflich ist schließlich der Einwand, dass Händler erhebliche Gestaltungsspielräume hätten, also im Hinblick auf erwartbare Erlöse aus Wartung, Reparatur und/oder Service ihre Marge ganz oder teilweise an den Kunden weitergeben könnten.

129

Dass Händler im Allgemeinen oder auch nur regelmäßig so verführen, will augenscheinlich selbst die Beklagte nicht behaupten. Das wäre auch ersichtlich fernliegend, weil – natürlich – Händler typischerweise auch an dem Verkauf der Fahrzeuge verdienen wollen. Ein Fall der vollständigen Weitergabe der Marge an den Kunden kann daher nicht mehr als ein außerordentlicher Ausnahmefall sein, der nicht geeignet ist, die Annahme eines Schadens ernstlich infrage zu stellen. Dafür, dass sich derlei konkret bei den in Rede stehenden Erwerbsvorgängen der Klägerin ereignet hätte, tragen die Berufungsklägerinnen, obwohl sie das anhand der ihnen vorliegenden Rechnungen könnten, ohnedies nichts vor.

cc)

130

Für den Direkterwerb des M.-Modells (der B.) im März 2001 (Anlagenkonvolut K 16) ergibt sich umstandslos und ohne alle von den Berufungsklägerinnen aufgeworfenen „Vermittlungsprobleme“ der Effekt von Preisüberhöhungsvereinbarungen.

b)

131

Die Berufungsklägerinnen können schließlich auch mit dem Einwand nicht gehört werden, die Klägerin habe ihren etwaigen Schaden über ihre Preise an ihre Kunden weitergegeben (sog. passing-on-defense).

132

Eine etwa erfolgte Abwälzung eines kartellbedingten Vermögensnachteils schließt nicht bereits die Entstehung eines Schadens aus, noch mindert es ihn. Der Schaden ist vielmehr ungeachtet einer Umlegung auf die Preise oder eines späteren Weiterverkaufs der Sache mit dem Erwerb in Höhe der Differenz aus dem Kartellpreis und dem (hypothetischen) Wettbewerbspreis eingetreten. Davon unabhängig ist jedoch die Frage, ob es den Ersatzanspruch des Geschädigten ausschließt oder mindert, wenn er den kartellbedingten Preisaufschlag auf seine Kunden oder beim Weiterverkauf der Sache abwälzt. Diese Frage ist nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung zu beurteilen (BGH, Urteil vom 28. Juni 2011, KZR 75/10 – ORWI – 56f.).

133

Die Vorteilsausgleichung setzt nach allgemeinen Regeln (vgl. nur Palandt/ Grüneberg, BGB, Kommentar, 79. Auflage, vor § 249, Rn. 67ff.) zum einen voraus, dass ein adäquater Kausalzusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und dem Vorteil besteht. Weiter muss die Anrechnung des Vorteils dem Zweck des Schadensersatzes entsprechen, d. h. sie darf den Geschädigten nicht unzumutbar belasten und den Schädiger nicht unbillig begünstigen.

134

Vorliegend dürfte – schon nach den Grundsätzen kaufmännischer Vernunft – mit den Beklagten prima facie einiges dafür sprechen, dass die Klägerin die Kosten, die ihr durch den Erwerb der Lkw entstanden sind, über ihre Preise an ihre Kunden weitergegeben hat, also regelmäßig auch die dabei angefallenen Mehrkosten. Ebenso kommt (für den unklaren Fall eines Weiterverkaufs) jedenfalls theoretisch in Betracht, dass auch mit dem Weiterverkaufspreis noch ein Teil des überhöhten Einkaufspreises hat finanziert werden können.

135

Eine Vorteilsausgleichung scheidet im vorliegenden Fall dessen ungeachtet indes schon deshalb aus, weil dadurch die Berufungsklägerinnen unbillig begünstigt würden. Tatsächlich würde in einem solchen Fall der Kartellverstoß für sie praktisch folgenlos bleiben, und zwar deshalb, weil weder – insoweit unstreitig – die Klägerin von ihren Abnehmern auf Erstattung überhöhter Preisanteile in Anspruch genommen wird, noch etwa die Beklagte oder die Streithelferinnen in nennenswertem Umfang von in der Wertschöpfungskette hinter den Fahrzeugkäufern rangierenden Personen oder Unternehmen in Anspruch genommen werden. Die Beklagte kann dazu (Bl. 293) lediglich auf einen einzigen Fall verweisen, in dem sie (vor dem Landgericht München I) von einer Holzwerkstoffproduzentin auf Ersatz der dieser wegen des Lkw–Kartells entstandenen Schäden in Anspruch genommen wird. Das vermag ihren Einwand und den generellen Ausschluss ihrer Schadensersatzpflichtigkeit nicht zu tragen.

7.

136

Die Ansprüche der Klägerin sind auch nicht etwa verjährt.

a)

137

Eine kenntnisabhängige Verjährung binnen 3 Jahren nach den §§ 195, 199 Abs. 1 BGB kommt nicht in Betracht.

138

Danach beginnt die dreijährige Regelverjährung, soweit nichts anderes bestimmt ist, mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Erforderlich ist insoweit eine Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände, in dem Umfang, dass eine hinreichend aussichtsreiche, wenn auch nicht risikolose Klage – zumindest eine Feststellungsklage – erhoben werden kann (vgl. nur Palandt/Ellenberger, § 199 Rn. 28 m.w.N.).

139

Vorliegend konnte von der Klägerin nicht erwartet werden, dass sie sich bereits – wie aber die Berufungsführerinnen wollen – aufgrund der ersten Pressemitteilungen zum Lkw-Kartell im Jahre 2011 zur Erhebung einer Feststellungsklage entschloss. Zu dieser Zeit lag außer der Presseberichterstattung nichts vor, auf das sie sich hätte stützen können. Sie musste daher damit rechnen, dass die Beklagte die daraus ersichtlichen Umstände als haltlos und spekulativ, jedenfalls aber ungenau, ungenügend und unbewiesen in Abrede stellen würde; Beweismittel, auf die die Klägerin ihren Anspruch hätte stützen können, gab es nicht. Eine solche Klage könnte daher schwerlich als hinreichend aussichtsreich bewertet werden, sondern musste vielmehr als außerordentlich riskant und damit unzumutbar erscheinen. Tatsächlich ist auch nicht bekannt (und erst recht nicht vorgetragen), dass irgendein Geschädigter bereits zu dieser Zeit gegen die Beklagte oder einen anderen Kartellanten vorgegangen wäre.

b)

140

Die Ansprüche sind auch nicht etwa gemäß § 199 Abs. 3 Nr. 1 BGB kenntnisunabhängig verjährt. Danach verjähren sonstige Schadensersatzansprüche (das sind andere als die hier nicht einschlägigen, die in Abs. 2 nennt) ohne Rücksicht auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis in 10 Jahren von ihrer Entstehung an.

141

Danach ist der Schadensersatzanspruch selbst aus dem ältesten, am 16. März 2001 berechneten (und folglich erst später bezahlten) Erwerb Nr. 16 nicht verjährt, erst recht sind es nicht die Ansprüche aus späteren Erwerben.

142

Die in § 199 Abs. 3 Nr. 1 BGB bestimmte 10-jährige Frist der Verjährung dieses vor der Schuldrechtsreform entstandenen ältesten Anspruchs (Nr. 16) begann (weil die Verjährungsfrist nach neuem Recht [3 Jahre] kürzer ist als nach altem Recht [30 Jahre]) am 1. Januar 2002 zu laufen. Sie lief daher grundsätzlich am 31. Dezember 2011 um 24 Uhr ab.

143

Zu berücksichtigen ist indes die Verjährungshemmung nach §§ 33 Abs. 5 GWB 2005, 204 Abs. 2, 209 BGB. Nach der letztgenannten Vorschrift wird der Zeitraum, während dessen die Verjährung gehemmt ist, in die Verjährungsfrist nicht eingerechnet.

144

Nach § 33 Abs. 5 GWB 2005 wird die Verjährung eines Schadensersatzanspruchs gehemmt, wenn die Kartellbehörde wegen eines Verstoßes im Sinne des Absatzes 1 oder die Kommission der Europäischen Gemeinschaft oder die Wettbewerbsbehörde eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Gemeinschaft wegen eines Verstoßes gegen Artikel 81 oder 82 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft ein Verfahren einleitet. § 204 Abs. 2 BGB gilt entsprechend. Die Vorschrift ist auf den vorliegenden „Altfall“ anwendbar, in dem ein kartellbehördliches Verfahren wegen Kartellverstoßes bereits vor dem Inkrafttreten der 7. GWB–Novelle eingeleitet, jedoch erst nach deren Inkrafttreten abgeschlossen wurde (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juni 2018, KZR 56/16 – Grauzementkartell II – Rn. 30f.).

aa)

145

Die Hemmung hat hier begonnen bereits mit der Vornahme der gegen die Kartellanten gerichteten Ermittlungsmaßnahmen und nicht erst, wie die Berufungsklägerinnen wollen, mit der formellen Eröffnung eines Verfahrens im Sinne von Art. 2 Abs. 1 der VO (EG) Nr. 733/2004, der bestimmt, dass die Kommission jederzeit die Einleitung eines Verfahrens zum Erlass einer Entscheidung gemäß Kapitel III der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 beschließen kann (ebenso OLG Stuttgart, Urteil vom 4. April 2019, 2 U 101/18, Rn. 201f. m.w.N.). Nach dem Gesetz soll die Hemmung beginnen, wenn entweder – so ohne Unterteilung in fortlaufendem Text – die deutsche oder eine andere nationale Wettbewerbsbehörde oder schließlich die EU-Kommission ein solches Verfahren einleitet, und es spricht nichts dafür, dass das Verständnis von „einleiten“ nach dem jeweils für die entsprechende Behörde geltenden Recht ein unterschiedliches sein solle.

146

Entgegen der Auffassung der Beklagten kann zunächst keine Rede davon sein, dass das Gesetz sich „seinem eindeutigen Wortlaut nach“ auf eine förmliche Entscheidung der Kommission im oben genannten Sinne bezöge. Entsprechend gibt es auch keinen rechten Anknüpfungspunkt für die von der Beklagten favorisierte „enge“ Auslegung des Wortlauts. Umgekehrt muss man in Ermangelung solcher Anknüpfungspunkte vielmehr davon ausgehen, dass der Begriff des „Einleitens“ einheitlich verstanden und dafür dann nach deutschem Recht, das die Regelung für seinem Geltungsbereich unterworfene Fälle trifft, auf deutsche Maßgaben abgestellt werden soll und also auf § 9 VwVfG, wonach das Verwaltungsverfahren jede nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden ist, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass eines Verwaltungsaktes (…) gerichtet ist. Daneben ist noch nicht einmal eindeutig, dass nach europäischem Recht auf die förmliche Verfahrenseinleitung im Sinne von Art. 2 Abs. 1 der VO (EG) Nr. 733/2004 abzustellen wäre. Dort ist (nur) von der Einleitung eines Verfahrens zum Erlass einer Entscheidung gemäß Kapitel III der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 die Rede, und Kapitel III sieht in Art. 7 zuallererst die Verpflichtungsentscheidungen zur Feststellung und Abstellung von Zuwiderhandlungen vor; daneben sieht die Verordnung in Kapitel V verschiedene Ermittlungsbefugnisse in Gestalt von Untersuchungsmöglichkeiten, Auskunftsverlangen, Befugnissen zur Befragung und sog. Nachprüfungen vor, von denen man angesichts ihrer dezidierten Regelung und ihrer Eingriffsqualität schwerlich wird annehmen können, sie seien noch keine von der Kommission in Gang gesetzte Verfahren.

147

Im Übrigen wäre es mit dem Sinn und Zweck der Verjährungshemmung nur schwer vereinbar, wenn dem Geschädigten zugemutet würde, schon bei laufenden Ermittlungsverfahren ohne greifbares Ergebnis eine Klage einzureichen, um eine Verjährung vor der formellen Verfahrenseröffnung abzuwenden. Die Verjährungshemmung soll gewährleisten, dass den Betroffenen die Tatbestandswirkung des § 33 Abs. 4 GWB auch dann zugute kommt, wenn sich das kartellbehördliche Verfahren – wie hier – in die Länge zieht (ebenso OLG Stuttgart, a.a.O.). Damit ist auch nicht etwa, wie aber die Beklagte meint, ein Verlust an Rechtssicherheit verbunden; denn aus der Entscheidung der Kommission ist der Zeitpunkt der Einleitung erster Ermittlungen genauso zu ersehen wie derjenige der späteren Entscheidung zum Erlass einer Verpflichtungsentscheidung.

148

Folglich begann die Hemmung mithin am 18. Januar 2011, dem Tag an dem die Kommission erste Nachprüfungen in den Räumlichkeiten der Adressatinnen durchführte (vgl. Kommission Rn. 32).

bb)

149

Die Hemmung endete, wie das Landgericht (U 17) zutreffend befunden hat, am 19. März 2017, § 204 Abs. 2 BGB.

150

Nach dieser in § 33 Abs. 5 Satz 2 GWB in Bezug genommenen Vorschrift endet die Hemmung sechs Monate nach der rechtskräftigen Entscheidung oder anderweitigen Beendigung des Verfahrens.

151

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist – ungeachtet des unglücklichen Ausdrucks des Landgerichtes, ebd. – nicht auf die Bestandskraft der Entscheidung, sondern eben auf deren Rechtskraft abzustellen. Insoweit beginnt die Sechs-Monats-Frist, nach der die Hemmung endet, mit der formellen Rechtskraft der Entscheidung (Palandt/Ellenberger, § 204 Rn. 34). Rechtskraft der Kommissionsentscheidung ist aber erst eingetreten, nachdem die in Art. 263 Abs. 4 AEUV bestimmte zweimonatige Frist zur Erhebung einer Klage gegen (u.a.) die Entscheidung der Kommission abgelaufen war (ebenso OLG Stuttgart, Urteil vom 4. April 2019, 2 U 101/18, Rn. 205). Die Klage vor dem Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 263 Abs. 3 AEUV ist auch nicht etwa ein außerordentlicher Rechtsbehelf, der bei der Feststellung der Rechtskraft unberücksichtigt zu bleiben hätte wie etwa die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde. Nach Art. 263 Abs. 3 AEUV kann jede natürliche oder juristische Person gegen die an sie gerichteten oder sie unmittelbar und individuell betreffenden Handlungen Klage erheben; es handelt sich mithin um einen ordentlichen Rechtsbehelf gegen Entscheidungen der Kommission. Darauf, dass es – in der Tat – nicht eben wahrscheinlich war, dass einer der Kartellanten gegen die im Vergleichsverfahren namentlich zur Höhe des Bußgeldes abgestimmte Entscheidung vorgehen würde, kommt es, da eben auf die formelle Rechtskraft abzustellen ist, nicht an.

152

Bei Bekanntmachung der Kommissionsentscheidung am 19. Juli 2016 und ihrer Rechtskraft am 19. September 2016 endete die Hemmung mithin – sechs Monate später – mit Ablauf des 19. März 2017.

cc)

153

Da zum Zeitpunkt des Beginns der Hemmung (dem 18. Januar 2011, s.o. aa) bis zum regulären Verjährungsende (am 31. Dezember 2011) noch 348 Tage verblieben, sind diese an den Tag, mit dessen Ablauf die Hemmung endete (den 19. März 2017), „anzuhängen“. Das führt zu einem Verjährungsende mit Ablauf des 2. März 2018.

dd)

154

Die Einreichung der Klage – per Fax vorab – am 28. Februar 2018 (Bl. 1) hat die Verjährung erneut gehemmt, §§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB, 167 ZPO.

155

Zwar setzt die Verjährungshemmung durch zivilgerichtliche Rechtsverfolgung nach der erstgenannten Vorschrift voraus, dass die Klage erhoben wird, was gemäß § 253 Abs. 1 ZPO durch die Zustellung der Klageschrift (und nicht bereits durch die Einreichung bei Gericht) erfolgt. Indes tritt, sofern durch die Zustellung die Verjährung nach § 204 BGB gehemmt werden soll, diese Wirkung bereits mit dem Eingang des Antrags (hier der Klagschrift) ein, wenn die Zustellung demnächst erfolgt. Das ist hier der Fall.

156

Das Merkmal „demnächst“ ist erfüllt, wenn sich die der Partei zuzurechnenden Verzögerungen in einem hinnehmbaren Rahmen halten. Insoweit muss die klagende Partei den Gerichtskostenvorschuss (§ 12 Abs. 1 GKG) nicht von sich aus mit der Klage einzahlen, sondern kann die Anforderung durch das Gericht abwarten; eine noch hinnehmbare Verzögerung ist zu bejahen, wenn der Vorschuss nach seiner Anforderung innerhalb eines Zeitraums eingezahlt wird, der sich „um zwei Wochen bewegt oder nur geringfügig darüber liegt“ (BGH, Urteil vom 10. Juli 2015 – V ZR 154/14, Rn. 6).Hier ist der Vorschuss am 6. März 2018 angefordert worden und ist die Zahlung am 20. März 2018 erfolgt. Das reicht für die Rückwirkung der Zustellung aus.

ee)

157

Erst recht nicht verjährt sind, was keiner weiteren Ausführungen mehr bedarf, die später – frühestens im November 2003 – entstandenen Ansprüche.

ff)

158

Für die Hemmung der Verjährung hat schließlich auch die Anbringung der anfänglichen Feststellungsklage genügt. Diese war gemäß § 256 Abs. 1 ZPO zulässig. Auf eine grundsätzlich vorrangige bezifferte Leistungsklage musste sich die Klägerin nicht verweisen lassen, wenn sie ihren Anspruch noch nicht oder nicht ohne Durchführung einer aufwändigen Begutachtung beziffern konnte (vgl. nur Zöller/ Greger, § 256 Rn. 7a). Hier lag ihr das Gutachten, auf das sie sich stützen wollte, zur Klageeinreichung noch nicht vor; denn dieses datiert erst vom 6. März 2018 (Anlage K 4). Zum Zeitpunkt des Anwaltsschreibens vom 14. Dezember 2017 (Anlage GL 19), auf das die Beklagte für etwas anderes verweisen will, waren, wie sich aus dem Schreiben (S. 4) eindeutig gibt, die Ermittlungen der Schadenshöhe noch nicht abgeschlossen und konnte lediglich ein voraussichtlicher Schaden angegeben werden.

8.

159

Zu Recht hat schließlich das Landgericht auch festgestellt, dass der Klägerin auf ihren Schadensersatzanspruch die gesetzlichen Zinsen zu stehen.

160

Das sind (zutreffend U 17) für die Beschaffungsvorgänge Nr. 8 bis 11, die nach dem 1. Juli 2005 entstanden sind, 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. Das folgt aus §§ 33 Abs. 3 Satz 4 und 5 GWB 2005, wonach das Unternehmen Geldschulden nach § 33 Abs. 3 Satz 1 ab Eintritt des Schadens zu verzinsen hat, wobei die §§ 288 und 289 Satz 1 BGB entsprechend Anwendung finden. Es gilt der Zinssatz des § 288 Abs. 1 BGB, nicht der des § 288 Abs. 2, da es sich, wiewohl ein Verbraucher an dem Rechtsgeschäft nicht beteiligt gewesen ist, bei dem Schadensersatzanspruch nicht um eine Entgeltforderung handelt.

161

Hinsichtlich der Erwerbsvorgänge Nr. 12 bis 16, die vor dem 1. Juli 2005 erfolgt sind, ergibt sich ein Anspruch auf Zinsen in Höhe von 4 % jährlich aus §§ 849, 246 BGB.

C.

162

Die Kostenentscheidung war dem Landgericht vorzubehalten (ebenso OLG Hamm, Urteil vom 3. Mai 2010, 6 U 142/09 Rn. 34 m.w.N.). Allerdings ist umstritten, inwieweit das Berufungsgericht im Falle der Bestätigung eines Grundurteils die Kostenentscheidung dem erstinstanzlichen Gericht im weiteren Verfahren überlassen darf. Der Bundesgerichtshof verneint diese Möglichkeit unter Hinweis auf den Wortlaut von § 97 ZPO, wonach es sich um eine zwingende Regelung handele (BGH NJW 1956, 1235; ebenso Zöller-Herget, § 97 Rdn. 2). Nach anderer Ansicht soll dies sehr wohl möglich sein. Ansonsten würde ein Beklagter, der, weil die Klage zwar wohl dem Grunde nach, nicht aber vollständig der Höhe nach gerechtfertigt ist, im Ergebnis nur teilweise unterliegt und deswegen bei einer einheitlichen erstinstanzlichen Entscheidung über Grund und Höhe möglicherweise auch nur teilweise im Berufungsverfahren unterlegen wäre, durch den Erlass eines Grundurteils schlechter gestellt, da er dann bei Erfolglosigkeit seiner Berufung hiergegen (trotz teilweisen Erfolgs im Nachverfahren) die Kosten des Berufungsverfahrens zur Gänze tragen müsste. Abgesehen davon, dass der Wortlaut des § 97 ZPO nichts über den Zeitpunkt der Kostenentscheidung aussagt (also die Entscheidung nach § 97 ZPO auch noch im Nachverfahren erfolgen kann), erscheint es dem Senat nicht angängig, die Beklagte und die Streithelferinnen dem Risiko einer kostenmäßigen Benachteiligung durch den Erlass eines Grundurteils auszusetzen.

163

Einer Vollstreckbarerklärung bedarf es demgemäß nicht; aus dem Urteil des Senats ist auch mittelbar nichts zu vollstrecken.

D.

164

Der Senat lässt umfassend die Revision zu. Die aufgeworfenen Fragen bedürfen, da sie sich in einer Vielzahl von Fällen stellen und derzeit (wie erörtert) auch in der obergerichtlichen Rechtsprechung noch unterschiedlich beantwortet werden, der höchstrichterlichen Klärung, § 543 Abs. 2 ZPO.


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