Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht (Vergabesenat) - 54 Verg 5/21
Tenor
1) Die Entscheidung der Vergabekammer vom 1. April 2021 wird auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin insoweit aufgehoben, als der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin betreffend das Los Nord (Los 1) zurückgewiesen worden ist.
Die Antragsgegner werden verpflichtet, das Vergabeverfahren für das Los Nord (Los 1) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats fortzusetzen.
2) Von der auf € 50.000,00 festgesetzten Verfahrensgebühr des Verfahrens vor der Vergabekammer tragen die Antragstellerin 60 % und die Beigeladene zu 2) 20%.
Die Antragstellerin trägt 60 % der Auslagen der Antragsgegner in dem Verfahren vor der Vergabekammer. Die Antragsgegner einerseits und die Beigeladene zu 2) andererseits tragen als Gesamtschuldner 40 % der Auslagen der Antragstellerin in dem Verfahren vor der Vergabekammer.
Im Übrigen tragen die Beteiligten ihre Auslagen im Verfahren vor der Vergabekammer selbst.
Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin, der Antragsgegner und der Beigeladenen zu 2) wird für notwendig erklärt.
3) Die Antragstellerin trägt die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung in dem Beschwerdeverfahren notwendigen außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1) und 3).
Die Antragstellerin trägt die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung in dem Verfahren nach § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB (Senatsaktenzeichen 54 Verg 4/21) notwendigen außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1).
Die Antragstellerin trägt ferner 60 % der Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens sowie 60 % der Gerichtskosten des Verfahrens nach § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB und 60 % der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung in dem Beschwerdeverfahren und dem Verfahren nach § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsgegner.
Die Antragsgegner einerseits und die Beigeladene zu 2) andererseits tragen als Gesamtschuldner 40 % der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung in dem Beschwerdeverfahren notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.
Die Antragsgegner tragen 40 % der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung in dem Verfahren nach § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.
Die Beigeladene zu 2) trägt 20 % der Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens.
Im Übrigen tragen die Beteiligten ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Gründe
I.
- 1
Die Antragsgegner veröffentlichten im Supplement zum EU-Amtsblatt vom ... unter dem Aktenzeichen ... eine Auftragsbekanntmachung zur Vergabe von Verkehrsleistungen im Schienenpersonennahverkehr im XMU-Netz bestehend aus drei Losen (Anlage ASt 1 zum Nachprüfungsantrag). Die Ausschreibung erfolgte nach Ziff. IV. 1.1, VI 3.5 der Bekanntmachung im nichtoffenen Verfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb. Nach VI. 3.1 der Auftragsbekanntmachung ist das antragsgegnerische Land zu 1) Auftraggeber für alle Lose, während die Antragsgegnerin zu 2) Mitauftraggeberin für das Los Ost ist. Die N. ist nach Ziffer 1.1. der Bewerbungsbedingungen (Anlage ASt 3 zum Nachprüfungsantrag) Vergabestelle für die Auftraggeber.
- 2
Der Auftrag ist ausweislich Ziffer II der Auftragsbekanntmachung in das Los Ost des Akku-Netzes S. (Los 1, rund 4,2 Mio Zug-km p.a., darunter auch eine zwischen L. und L./N. bestehende Verbindung), das Los Nord des Akku-Netzes S. (Los 2, rund 4,5 Mio Zug-km p.a.) und das Los Ost-West des Akku-Netzes S. (Los 3, rund 1,7 Mio Zug-km p.a.) aufgeteilt. Die nicht elektrifizierten Verbindungen in den Netzen Nord und Ost werden derzeit von der Antragstellerin, entsprechende Verbindungen in dem Netz Ost-West von der Beigeladenen zu 3) bedient, dies jeweils mit Diesel-Triebwagen.
- 3
Die Bieter durften Angebote für alle Lose abgeben. Nach Ziffer II.1.6 der Auftragsbekanntmachung können maximal zwei Lose an einen Bieter vergeben werden. Ziff. VI.3.3) der Auftragsbekanntmachung sieht folgende Los-/Zuschlagslimitierung vor:
- 4
„Es erfolgt eine Loslimitierung, indem die Aufträge für das Los Ost und das Los Nord an verschiedene Bieter vergeben werden, es sei denn, es liegen zuschlagfähige Angebote für die Lose Ost und Nord nur von einem Bieter vor."
- 5
Ziff. 1.4 der Bewerbungsbedingungen (Anlage ASt 3 zum Nachprüfungsantrag) führt hierzu konkretisierend aus. Die Leistungen im Los Ost sind ab Dezember 2022, in den Losen Nord und Ost-West ab Dezember 2023 zu erbringen. Die Vertragslaufzeit endet in allen Losen am 8. Dezember 2035, wobei der Auftraggeber jeweils die Möglichkeit hat, die Vertragsdauer einseitig um bis zu zwei weitere Fahrplanjahre zu verlängern (Ziffer 1.5 der Bewerbungsbedingungen). Nach Ziff. 1.3.6 der Bewerbungsbedingungen sind die erfolgreichen Bieter verpflichtet, den Verkehrsvertrag auf eine Projektgesellschaft zu übertragen. Dies wird in Ziffer 8.2.2 „Projektgesellschaft“ des abzuschließenden Verkehrsvertrages u.a. dahingehend konkretisiert, dass das Eisenbahnverkehrsunternehmen (nachfolgend abgekürzt mit: EVU) verpflichtet ist, den Vertrag spätestens 90 Tage nach Zuschlag mit allen Rechten und Pflichten auf eine Projektgesellschaft zu übertragen. Ziffer 8.5.2 „Nachunternehmer“ des Verkehrsvertrages (S. 127 f) beschränkt den Einsatz von Nachunternehmern.
- 6
Ziffer III. 1.2) der Auftragsbekanntmachung befasst sich mit den Anforderungen an die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit der Bewerber (gleichlautend: Ziffer 3.3 der Bewerbungsbedingungen, Anlage ASt 3 zum Nachprüfungsantrag).
- 7
Zu den Anforderungen an die technische und berufliche Leistungsfähigkeit heißt es unter Ziff. III. 1.3) der Auftragsbekanntmachung (insoweit gleichlautend mit Ziffer 3.4 der Bewerbungsbedingungen, Anlage ASt 3 zum Nachprüfungsantrag):
- 8
„Die technische und berufliche Leistungsfähigkeit ist als gewährleistet anzusehen, wenn der Bieter über die Erfahrungen verfügt, die zur Durchführung der hiesigen Leistungen im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) in angemessener Qualität erforderlich sind. ...
- 9
Beruft sich ein Bewerber zum Beleg seiner technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit auf diejenige eines Dritten, so hat der Bewerber die technische und berufliche Leistungsfähigkeit dieses Dritten durch Vorlage der nachfolgend dargestellten Dokumente mit dem Teilnahmeantrag nachzuweisen. Der Bewerber hat nach Aufforderung und Fristsetzung durch die Auftraggeber innerhalb der gesetzten Frist ein Unternehmen zu ersetzen, das nach den hiesigen Vorgaben nicht als technisch und beruflich leistungsfähig anzusehen ist oder bei dem zwingende Ausschlussgründe nach § 123 GWB oder nach § 124 GWB vorliegen. Für den Fall, dass auch das neue Unternehmen nicht als technisch und beruflich leistungsfähig anzusehen ist oder ..., erfolgt keine erneute Aufforderung. ...
- 10
Darüber hinaus ist dem Teilnahmeantrag eine Vereinbarung mit dem Dritten oder eine Verpflichtungserklärung des Dritten beizufügen, aus der hervorgeht, dass der Bewerber tatsächlich über die Erfahrungen des Dritten verfügen kann. ...
- 11
Die Bewerber haben zum Beleg ihrer technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit mit dem Teilnahmeantrag Referenzen über früher ausgeführte Dienstleistungsaufträge im SPNV in Form einer Liste der in den letzten 3 Jahren erbrachten wesentlichen Dienstleistungen, mit Angabe des Erbringungszeitraums, des Auftraggebers, des Wertes, der Zug-Kilometerleistung sowie des Leistungsgegenstandes vorzulegen. Dienstleistungsaufträge im SPNV müssen nicht in allen eben genannten Jahren erbracht worden sein. Die Auftraggeber werden auch Referenzen über Dienstleistungsaufträge im SPNV berücksichtigen, die mehr als 3 Jahre, nicht jedoch mehr als 6 Jahre zurückliegen. Der Nachweis der Referenzen hat durch eigene Erklärungen auf Vordruck für Anhang A.4.1 zu erfolgen.
- 12
Möglicherweise geforderte Mindeststandards:
- 13
Vorlage einer Referenz über einen während der letzten 6 Jahre (nicht zwingend in allen Jahren) ausgeführten Dienstleistungsauftrag im SPNV.“
- 14
Der von den Bewerbern oder den eignungsverleihenden Unternehmen zum Nachweis der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit auszufüllende „Vordruck 4“ fragt zu den Referenzen die Kriterien „Erbringungszeitraum“, „Name und Anschrift des Auftraggebers“, „Wert (Auftragsvolumen)“, „jährliche Zug-Kilometerleistung“ und „Leistungsgegenstand“ ab.
- 15
In den in der Auftragsbekanntmachung in Bezug genommenen Bewerbungsbedingungen (Anlage ASt 3 zum Nachprüfungsantrag) heißt es unter „3 Anforderungen an die Teilnahmeanträge“ zu Eignungsnachweisen:
- 16
„Der Bewerber hat mit seinem Teilnahmeantrag seine Eignung für die in Rede stehende Leistung zu belegen (§ 122 GWB). Hierzu hat der Bewerber das Nichtvorliegen von Ausschlussgründen gemäß §§ 123, 124 GWB entsprechend dem nachfolgenden Kapitel 3.1 sowie die nachfolgend unter Kapitel 3.2 bis 3.4 aufgeführten Eignungskriterien zu erfüllen und dem Teilnahmeantrag die hierfür entsprechenden Nachweise beizufügen.
- 17
Alternativ zu den unter Kapitel 3.1 bis 3.4 geforderten Nachweisen akzeptiert der Auftraggeber bei der Abgabe von Teilnahmeanträgen als vorläufigen Beleg der Eignung und des Nichtvorliegens von Ausschlussgründen die Vorlage einer Einheitlichen Europäischen Eigenerklärung nach § 50 VgV (nachfolgend EEE). Soweit Bewerber von der Möglichkeit zur Übermittlung einer EEE Gebrauch machen, behält sich der Auftraggeber ausdrücklich vor, die betreffenden Bewerber jederzeit während des Verfahrens zur Beibringung der vorgenannten Nachweise (sämtlich oder zum Teil) aufzufordern, wenn dies zur angemessenen Durchführung des Verfahrens erforderlich ist.
- 18
War dem Teilnahmeantrag desjenigen Bieters, auf dessen Angebot der Auftraggeber nach dem Ergebnis der Angebotswertung den Zuschlag zu erteilen gedenkt, eine EEE beigefügt, so wird der Auftraggeber den Bieter vor Zuschlagserteilung auffordern, die nach den §§ 44 bis 49 VgV geforderten Unterlagen beizubringen. Bei Nichtbeibringung der Unterlagen kommt eine Zuschlagserteilung nicht in Betracht...“
- 19
Die Bewerbungsbedingungen enthalten u.a. auch Angaben zur Eignungsleihe in ihrer Ziffer 3.5.
- 20
Ziff. 4.7 „Zuschlagskriterien“ der Bewerbungsbedingungen lautet:
- 21
„Der Zuschlag erfolgt auf die Angebote, die unter Berücksichtigung der Loslimitierung (s. Kapitel 1.4) in Summe am wirtschaftlichsten sind. Am wirtschaftlichsten ist das Angebot mit dem niedrigsten Wertungspreis. Der Wertungspreis berücksichtigt die folgenden Positionen:
- 22
- Angebotspreis der Gesamtkosten des Bieters für ein Kalenderjahr
- 23
- Angebotspreis für Kostenänderungen im 1. Fahrplanjahr mit Gewichtung entsprechend der Relation zur Gesamtvertragslaufzeit
- 24
- Angebotspreis für den Differenzbetrag für ausgefallene Nutzkilometer für führende Fahrzeuge bei Ersatzbeförderung mit Gewichtung entsprechend der erwartet ausfallenden Nutzkilometer
- 25
- Angebotspreis für den Differenzbetrag für ausgefallene Nutzkilometer für angehängte Fahrzeuge bei Ersatzbeförderung mit Gewichtung entsprechend der erwartet ausfallenden Nutzkilometer
- 26
- Angebotspreis für Veränderungen der Zugbegleitquoten mit einer Gewichtung entsprechend der erwarteten Wahrscheinlichkeit der Bestellung dieser Option
- 27
- Angebotspreis für die Änderung der Anzahl vorzuhaltender Akku-Triebzüge mit Gewichtung entsprechend der erwarteten Anzahl zusätzlich vorzuhaltender Triebzüge
- 28
Der genaue Berechnungsweg ist dem Kalkulationsschema zu entnehmen, das den ausgewählten Bewerbern nach Abschluss des Teilnahmewettbewerbs zur Verfügung gestellt wird.“
- 29
Unter anderem die Antragstellerin und die Beigeladenen zu 1) - 3) gaben innerhalb der Antragsfrist Teilnahmeanträge ab. Die Beigeladene zu 2) hat einen Teilnahmeantrag mit dem dort erklärten Ziel gestellt, Angebote für alle Lose abgeben zu dürfen, wobei der Zuschlag auf ein Los beschränkt werden soll. In dem Antrag wird Bezug genommen auf u.a. die beigefügten eignungsbezogenen Anlagen:
- 30
- Vordruck 5: Erklärung zur Eignungsleihe, in der sich die Beigeladene zu 2) zum Nachweis der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit auf das eignungsgewährende Unternehmen beruft und zu deren Eignung verweist auf die Vordrucke 1, 3 sowie als Anlagen beifügt
- 31
- A.5.1 eine Verpflichtungserklärung des eignungsgewährenden Unternehmens vom 11. Juni 2020, der Beigeladenen zu 2) „im Wege der Eignungsleihe die erforderlichen, insbesondere finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen, um die oben genannte Leistung zu erbringen“ und
- 32
- A.5.2 eine Erklärung des eignungsgewährenden Unternehmens vom 11. Juni 2020 „gemeinsam mit dem Bewerber, ..., in die gesamtschuldnerische Haftung für die Auftragsausführung der oben genannten Leistungen einzutreten“ (Erklärungen vom 11. Juni 2020),
- 33
- Einheitliche Europäische Eigenerklärung für Beigeladene zu 2) vom 11. Juni 2020,
- 34
- Einheitliche Europäische Eigenerklärung für eignungsgewährendes Unternehmen vom 11. Juni 2020.
- 35
In den vorgelegten Einheitlichen Europäischen Eigenerklärungen heißt es jeweils in Teil IV „Eignungskriterien“:
- 36
„a: Globalvermerk zur Erfüllung aller Eignungskriterien
- 37
Erklärung des Wirtschaftsteilnehmers in Bezug auf die Eignungskriterien
- 38
Der Wirtschaftsteilnehmer erfüllt die festgelegten Eignungskriterien.
- 39
Ihre Antwort?
- 40
Ja“
- 41
Die Vergabestelle wandte sich daraufhin mit Aufklärungsschreiben vom 18. Juni 2020 an die Bieterin, in dem es u.a. heißt:
- 42
„Bei Prüfung ihres Antrages hat die Vergabestelle noch weiteren Klärungsbedarf identifiziert:
- 43
1) die beigefügte Einheitliche Europäische Eigenerklärung (EEE) nach § 50 VgV ist weder für [Beigeladene zu 2)] noch für ... im vorliegenden Teilnahmeantrag in Form des Anhangs 2 der Durchführungsverordnung (EU) 2016/7 der Kommission vom 5. Januar 2016 zur Einführung des Standardformulars für die EEE übermittelt. Die Vergabestelle bittet um die Nachlieferung von jeweils einer den Formvorschriften entsprechenden EEE mitsamt vollständig ausgefülltem Teil IV (Eignungskriterien). Der Globalvermerk von Teil IV ist dabei nicht zu verwenden, da die Vergabestelle keine entsprechende Beschränkung in den Bewerbungsbedingungen zugelassen hat.
- 44
2) Gemäß Ziffer 3.3 der Bewerbungsbedingungen hat der Bewerber in dem Fall, dass er sich zum Beleg seiner wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit auf einen Dritten beruft, mit seinem Teilnahmeantrag eine Vereinbarung mit dem Dritten oder eine Verpflichtungserklärung des Dritten beizufügen, aus der hervorgeht, dass dem Bewerber tatsächlich die für den Auftrag erforderlichen Mittel des Dritten zur Verfügung stehen werden. Aus dem Wortlaut muss hervorgehen, dass diese Vereinbarung oder Erklärung nur mit Zustimmung des Auftraggebers aufgelöst oder widerrufen werden darf. In der vorliegenden Vereinbarung des Teilnahmeantrages geht diese einschränkende Bedingung nicht hervor.
- 45
Ebenfalls fehlt in der erforderlichen Verpflichtungserklärung des Dritten zu einer gesamtschuldnerischen Haftung eine Angabe zum Umfang der bereitgestellten Mittel.
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Die Vergabestelle bittet um Nachlieferung einer entsprechend ergänzten Erklärung.
- 47
Wir dürfen Sie bitten, uns die entsprechenden Unterlagen kurzfristig, spätestens jedoch bis zum 13.06.2020 ... zuzusenden. Sollten Sie für einzelne Unterlagen eine längere Bearbeitungszeit benötigen, stimmen Sie dies bitte per E-Mail mit uns ab ...“
- 48
Daraufhin übersandte die Beigeladene zu 2) der Vergabestelle mit Schreiben vom 23. Juni 2020 „überarbeitete Dokumente“, nämlich
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- Eigenerklärung des eignungsgewährenden Unternehmens vom 23. Juni 2020 mit einem ausführlichen Teil IV „Eignungskriterien“
- 50
- Eigenerklärung der Beigeladenen zu 2) vom 23. Juni 2020 mit einem ausführlichen Teil IV „Eignungskriterien“
- 51
- Anlage 5.1 Eignungsleihe, datiert auf den 11. Juni 2020, nunmehr lautend:
- 52
„Hiermit verpflichtet sich die ..., der [Beigeladenen zu 2)] im Wege der Eignungsleihe hinsichtlich der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit die für die Erbringung des oben genannten Auftrags erforderlichen, insbesondere finanziellen, Mittel zur Verfügung zu stellen.
- 53
Diese Erklärung kann nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Auftraggebers der oben genannten Leistungen widerrufen werden.“
- 54
und
- 55
- Anlage 5.2 Verpflichtungserklärung, datiert auf den 11. Juni 2020, nunmehr lautend:
- 56
„Hiermit verpflichtet sich die ..., im Umfang von bis zu 3.500.000,00 € gemeinsam mit dem Bewerber, der [Beigeladenen zu 2)], in die gesamtschuldnerische Haftung für die Auftragsdurchführung der oben genannten Leistungen einzutreten.
- 57
Diese Erklärung kann nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Auftraggebers der oben genannten Leistungen widerrufen werden.“
- 58
Hierauf reagierte die Vergabestelle mit Schreiben vom 25. Juni 2020:
- 59
„ ... Eine Überprüfung der Unterlagen hat ergeben, dass die Angaben im Zusammenhang mit der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit auf S. 23 der einheitlichen europäischen Erklärung (Teil IV: Eignungskriterien C: Technische und berufliche Leistungsfähigkeit) zum Teil nicht den Anforderungen der Ziff. 3.4 Abs. 6 der Bewerbungsbedingungen entsprechen.
- 60
Danach haben Bewerber zum Beleg ihrer technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit mit dem Teilnahmeantrag Referenzen über früher ausgeführte Dienstleistungsaufträge im SPNV in Form einer Liste den letzten 3 Jahren erbrachten wesentlichen Dienstleistungen, mit Angabe des Erbringungszeitraums, des Auftraggebers, des Wertes, der jährlichen Zug-Kilometerleistung und des Leistungsgegenstandes vorzulegen. Dabei ist zumindest eine Referenz über einen während der letzten 6 Jahre durchgeführten Dienstleistungsauftrag vorzulegen.
- 61
Sie berufen sich in diesem Zusammenhang auf den eigenwirtschaftlichen Schienenpersonenverkehr zwischen N. und W.. Angaben zum Wert und der jährlichen Zug-Kilometerleistung enthalten ihre Ausführung allerdings nicht. Die Vergabestelle bittet um Nachreichung der vorgenannten Angaben ...“
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In einem weiteren Schreiben der Vergabestelle vom 26. Juni 2020 heißt es u.a.:
- 63
„... In der EEE haben Sie in diesem Zusammenhang auf S. 23 zwar eine Referenz angegeben. Bei dem genannten eigenwirtschaftlichen Schienenpersonenverkehr zwischen N. und W. handelt es sich aber nicht um einen Dienstleistungsauftrag. Als Dienstleistungsauftrag gilt jeder Auftrag, der eine Beschaffung und/oder eine Dienstleistung zu einem vorher festgesetzten Preis zum Gegenstand hat und von einem Dritten beauftragt wird. Diese Voraussetzungen erfüllt der eigenwirtschaftliche Schienenpersonenverkehr allerdings gerade nicht. Die Vergabestelle bittet daher um nach Einreichung einer den Bewerbungsbedingungen entsprechenden Referenz...“
- 64
Mit Schreiben vom 26. Juni 2020 teilte die Beigeladene zu 2) der Vergabestelle die seit Betriebsaufnahme in 2016 bis 2019 gefahrene Anzahl an Zügen, die Streckenlänge und die Zugkilometer mit. Mit weiterem Schreiben vom 30. Juni 2020 nahm die Beigeladene zu 2) u.a. Stellung wie folgt:
- 65
„Sie baten uns mit Schreiben vom 25.06. und 26.06.2020 um Nachweis der Referenz (Art und Umfang) im Schienenpersonenverkehr zwischen N. und W.. Dabei haben Sie mitgeteilt, dass es sich bei dem von uns als Referenz angegebenen eigenwirtschaftlichen SPNV auf der Strecke zwischen N. und W. nicht um einen Dienstleistungsauftrag handele. Als Dienstleistungsauftrag gelte ein Auftrag, der eine Beschaffung und/oder eine Dienstleistung zu einem vorher festgesetzten Preis zum Gegenstand habe und von einem Dritten beauftragt werde.
- 66
Diese nach ihrer Auffassung bestehenden Voraussetzungen eines Dienstleistungsauftrags werden auch durch die von uns angegebene Referenz erfüllt. Denn die [Beigeladene zu 2)] hat über diese Leistungen eine Vielzahl von Verträgen mit Dritten – namentlich ... Firmenkundenverträge und ... Stammkundenverträge – abgeschlossen.
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In diesen Verträgen verpflichtet sich die [Beigeladene zu 2)] gem. den im Vordruck 4 erläuterten gegenüber den Kunden zur Erbringung der Beförderungsleistungen zu den darin vereinbarten festen Preisen...
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Der daraus resultierende Umsatz betrug in den vergangenen 3 Jahren:
- 69
Umsatz Netto
- 70
Jahr Firmenkunden Stammkunden
...
2019 ...
...
- 71
Für den Fall, dass sie an ihrer Auffassung festhalten sollten, wonach es sich bei der von uns angegebenen Referenz der SPNV-Leistungen auf der Strecke N. – W. nicht um einen Dienstleistungsauftrag im SPNV handelt, verweisen wir ergänzend auf die Leistungen, die ... erbracht hat. Entsprechende Einzelheiten sind den beiliegenden Vordrucken 4 und 5 zu entnehmen. Rein vorsorglich wiesen wir darauf hin, dass mit diesen Leistungen auch Relationen bedient werden, die der Begriffsdefinition des Schienenpersonennahverkehrs gemäß § 2 Abs. 12 AEG entsprechen ...“
- 72
Diesem Schreiben waren beigefügt
- 73
- Vordruck 4: „Nachweis der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit“ für die Beigeladene zu 2), in dem (exemplarisch) drei Vertragspartner für die Beförderung von Reisenden in ihren Fahrzeugen zwischen N. und W. genannt werden
- 74
- Vordruck 4: „Nachweis der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit“ für das eignungsgewährende Unternehmen: Referenz für die Zeit vom 24. März 2018 - 18. März 2020, Auftraggeber ... für die Erbringung von Personenverkehrsleistungen auf den Strecken K. - H. und K. – H. - B. – L., Auftragsvolumen ..., jährliche Zugkilometerleistung ...
- 75
- Vordruck 5: Erklärung zur Eignungsleihe:
- 76
„Wir berufen uns zum Nachweis unserer technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit auf folgenden Dritten: ...
- 77
Die technische und berufliche Leistungsfähigkeit des Dritten weisen wir durch den vom Dritten ausgefüllten Vordruck 4 nach. Zudem fügen wir als Anhang A 5.3 eine Vereinbarung mit dem Dritten oder eine Verpflichtungserklärung des Dritten bei, dass dem Bewerber tatsächlich die für den Auftrag erforderlichen Mittel des Dritten zur Verfügung stehen werden. Der Nachweis und die Verpflichtungserklärung oder Vereinbarung entsprechen den Vorgaben in Abschnitt III.1.3) der Bekanntmachung.“
- 78
- Erklärung des eignungsgewährenden Unternehmens vom 30. Juni 2020 zur „Eignungsleihe im Rahmen der Vergabe von SPNV-Leistungen Akku-Netz SH - 2022/23 bis 2035/S 093-222374“:
- 79
„... hiermit verpflichtet sich die ..., der [Beigeladenen zu 2] im Wege der Eignungsleihe hinsichtlich der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit die für die Erbringung des oben genannten Auftrags erforderlichen Erfahrungen zur Verfügung zu stellen.
- 80
Diese Erklärung kann nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Auftraggebers der oben genannten Leistungen widerrufen werden.“
- 81
Die Vergabestelle hielt am 7. Juli 2020 mit ihren Beratern, darunter auch dem Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegner, vor dem Hintergrund der von der Beigeladenen zu 2) zum Nachweis der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit vorgelegten Referenz eine Videokonferenz ab zu der Frage, wie der in der Auftragsbekanntmachung als Referenz verlangte Dienstleistungsauftrages zu verstehen sei. Man kam hierbei ausweislich des von der Vergabestelle hierzu erstellten Vermerks zu dem Ergebnis, dass ein öffentlicher Dienstleistungsauftrag nicht verlangt werden könne, und es sich bei der von der Beigeladenen zu 2) vorgelegten Referenz um einen SPNV im Sinne des § 2 Abs. 12 AEG handele.
- 82
Mit Schreiben vom 7. Juli 2020 bat die Vergabestelle um weitere Aufklärung zu den im Vordruck 4 für die Beigeladene zu 2) angegebenen Referenzen und zu der Frage, ob es sich bei der von der Eignungsleiherin angegebenen Referenz um einen Dienstleistungsauftrag im Schienenpersonennahverkehr handele. Die Beigeladene zu 2) nahm mit Schreiben vom 8. Juli 2020 Stellung.
- 83
Nach dem Ergebnis der Eignungsprüfung durch die Antragsgegner erfüllten u.a. die Antragstellerin und die Beigeladenen die Teilnahmebedingungen und sind von der Vergabestelle zum Verfahren zugelassen und auf die Aufforderung zur Abgabe eines Angebots nebst Vergabebedingungen auf dem Vergabeportal hingewiesen worden.
- 84
Die Vergabeunterlagen bestehen u.a. aus den „Vergabebedingungen“ (Anlage ASt 4 zum Nachprüfungsantrag) nebst mehreren Anlagen, darunter dem Kalkulationsschema (Anlage ASt 5 zum Nachprüfungsantrag) und dem „Verkehrsvertrag Akku-Netz (Ost / Nord / Ost-West)“ (Anlage ASt 6 zum Nachprüfungsantrag). Dem Verkehrsvertrag waren mehrere Verträge als Anlagen beigefügt, u.a. der Werkliefervertrag, der Fahrzeugvorhaltevertrag und der Bereitstellungsvertrag.
- 85
Die Verkehrsleistungen sind von den Auftragnehmern mit diesen zur Verfügung gestellten innovativen Triebwagen zu erbringen. Dabei handelt es sich um batteriebetriebene, lokal emissionsfreie Fahrzeuge eines neu entwickelten Typs, der bisher noch nicht in einem Netz in Betrieb genommen worden ist. Bis zu 55 dieser bisher nicht in einem anderen Netz in Betrieb genommenen Akkufahrzeuge werden den Eisenbahnverkehrsunternehmen (nachfolgend: EVU) für die Dauer des Verkehrsvertrages für die Erbringung der streitgegenständlichen Verkehrsleistungen auftraggeberseitig über einen Fahrzeugvorhalter, der nach erfolgreicher Ausschreibung die Züge gekauft und diese 30 Jahre an die vom Land auszuwählenden EVU zu vermieten hat, beigestellt. Der oder die Auftragnehmer müssen die Fahrzeuge von dem Fahrzeugvorhalter mieten. Die Werkstatt- und Instandhaltungsleistungen werden durch den Hersteller erbracht. Da zu Vertragsbeginn noch nicht sämtliche Fahrzeug ausgeliefert sein werden, wird es in der Zeit von Dezember 2022 bis Dezember 2024 eine Transferflotte von (Diesel-)Fahrzeugen geben, die von der Antragstellerin bereitgestellt wird (Ziffer 4.5 des Verkehrsvertrages, Anlage ASt 6 zum Nachprüfungsantrag). In der Zeit ab Dezember 2022 bis 2024 sollen die Dieselzüge der Transferflotte sukzessiv durch die Akkufahrzeuge ersetzt werden.
- 86
Mit Leistungsänderungen befasst sich Ziffer 2.2. des Verkehrsvertrages. Unter Ziffer 2.2.8 des Verkehrsvertrages geht es um eine „mögliche Weiterentwicklung des Betriebsprogramms“ durch Fahrten auf weiteren Strecken (von bis zu 10 % der bestellten Leistung, 2.2.8.1), zur Beförderung von Besuchern der K. (2.2.8.2), zur Einführung bestimmter zusätzlicher Halte ohne Änderung des Ausgleichsbetrages (2.2.8.3) und um Optionen des Landes, etwa bei etwaiger Einführung einer S. auf die Verdichtung der RB-Linien im Zulauf auf K. auf einen Halbstundentakt (2.2.8.4). Für im Rahmen der Ziffern 2.2.3 bis 2.2.10 mögliche Änderungen des Betriebsprogramms ändert sich die Abgeltung nach Ziffer 2.2.1 in Verbindung mit Ziffer 7.2 „Leistungsänderungen“.
- 87
Ziffer 5.5 der Vergabebedingungen schreibt Gliederung und Inhalt der Angebote vor; hiernach waren neben Angebotsschreiben, erforderlichen Erklärungen (A - A4) und Kalkulationsschema (C) auch Konzepte abzugeben, nämlich ein Konzept zur K. (B1), ein Ersatzbeförderungskonzept (B2), ein Personalkonzept (B3), und ein Vertriebskonzept. Ziff. 6.5 „Zuschlagskriterien“ der Vergabebedingungen lautet:
- 88
„Der Zuschlag erfolgt auf die Angebote, die unter Berücksichtigung der Loslimitierung (s. Kapitel 1.4 der Bewerbungsbedingungen) in Summe am wirtschaftlichsten sind. Am wirtschaftlichsten ist jeweils das Angebot mit dem niedrigsten Wertungspreis. Der Wertungspreis wird in Anlage 02 Kalkulationsschema für die Bieter transparent aus den Preisen und sonstigen Angaben des Bieters ermittelt und dort im Blatt „3 Wertung“ ausgewiesen."
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In Ziffer 6.5 der Vergabebedingungen wird Bezug genommen auf eine „Anlage 02 Kalkulationsschema“, die in 3 „Wertung“ eine Tabelle zur Erzeugung des Wertungspreises enthält (Anlage Ast 5 zum Nachprüfungsantrag). Der Verkehrsvertrag befasst sich in Ziffer 3.2.5 (Seite 31 - 35) mit der „Ersatzbeförderung“ zur Gewährleistung der Reisekette bei Ausfall von Zugfahrten.
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Dem Verkehrsvertrag ist als Anlage 02 ein Betriebsprogramm für das jeweilige Los beigefügt. Nach dem Anhang 10 „Allgemeine Begriffsbestimmungen“ in der Fassung nach der Antwort vom 10. August 2020 auf die öffentliche Bieterfrage ID ... ist das Betriebsprogramm „die Summe aller auf Basis der vertraglich vorgegebenen Fahrpläne zu fahrenden Leistungen inklusive der zu gewährleistenden Sitzplatzkapazitäten (Anhang 02)“.
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In der Anlage 02 zum Verkehrsvertrag befindet sich jeweils auch ein Musterumlaufplan (vgl. hierzu: Anhang 10 „Allgemeine Begriffsbestimmungen“). Dieser Musterumlauf beruht auf dem ursprünglichen Herstellerumlauf aus dem Vergabeverfahren der Fahrzeugbeschaffung. Die Vergabestelle hat am 17. August 2020 eine die Verbindlichkeit einer Umlaufplanung betreffende, öffentlich einsehbare Bieterfrage ID ... lautete beantwortet (vgl. Anlage Ast 8 zum Nachprüfungsantrag) und in der öffentlich einsehbaren Antwort vom 3. September 2020 in diesem Zusammenhang auch die Bieterfrage ID ... beantwortet (Anlage ASt 9 zum Nachprüfungsantrag). Die Vergabestelle hat sich ferner in der öffentlich einsehbaren Antwort vom 20. Oktober 2020 auf die öffentlich einsehbare Bieterfrage ID ... (Anlage Ast 7 zum Nachprüfungsantrag) mit Fragestellungen zum Musterumlaufplan befasst.
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Bei Ablauf der am 7. Januar 2021 endenden Angebotsfrist (vgl. Ziffer 5.1 der Vergabebedingungen) hatten fünf Bieter Angebote abgegeben. Mit Schreiben vom 11. Februar 2021 teilte die Vergabestelle der Beigeladenen zu 2) ihre Absicht mit, ihr den Zuschlag im Los Nord zu erteilen und forderte sie unter Hinweis auf die bisher vorgelegten EEE nach § 50 Abs. 2 Satz 2 VgV auf, ergänzend insbesondere die Vordrucke 3 zur wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit für sich und das eignungsgewährende Unternehmen einzureichen. Die Beigeladene zu 2) übersandte der Vergabestelle mit Schreiben vom 15. Februar 2021 u.a.
- 93
- ausgefüllten Vordruck 3 für sich nebst festgestelltem Jahresabschluss 2018 und vorläufigem Jahresabschlussbericht 2019,
- 94
- ausgefüllten Vordruck 3 für das eignungsgewährende Unternehmen nebst festgestelltem Jahresabschluss 2019.
- 95
Die Vergabestelle teilte der Antragstellerin mit der Mitteilung nach § 134 GWB vom 15. Februar 2021 (Anlage Ast 15 zum Nachprüfungsantrag) mit, dass ihre Angebote nicht berücksichtigt werden sollten und beabsichtigt sei, frühestens am 26. Februar 2021 den Zuschlag auf die Lose an die Beigeladenen zu erteilen, da deren Angebote bei Maßgeblichkeit des Wertungspreises wirtschaftlicher seien: Das Angebot der Antragstellerin für das Los Ost liege um rund 4 % über dem Wertungspreis des wirtschaftlichsten Angebotes und habe den zweiten Rang von insgesamt drei Rängen eingenommen; es sei beabsichtigt, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu 1) zu erteilen. Das Angebot der Antragstellerin für das Los Nord sei nicht das wirtschaftlichste Angebot, es liege um rund 5 % über dem Wertungspreis des wirtschaftlichsten Angebots und nehme den vierten Rang von insgesamt fünf Rängen ein; es sei beabsichtigt den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu 2) zu erteilen. Das Angebot der Antragstellerin für das Los Ost-West sei nicht das wirtschaftlichste Angebot, sondern liege um rund 2 % über dem Wertungspreis des wirtschaftlichen Angebotes und nehme den dritten Rang von insgesamt vier Rängen ein; es sei beabsichtigt, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu 3) zu erteilen.
- 96
Die Antragstellerin rügte mit Anwaltsschreiben vom 19. Februar 2021 (Anlage Ast 16 zum Nachprüfungsantrag) die beabsichtigte Vergabe des ausgeschriebenen Auftrags an die Beigeladenen. Am 25. Februar 2021 reichte die Antragstellerin bei der Vergabekammer des Landes Schleswig-Holstein einen Nachprüfungsantrag ein, in dem sie im Wesentlichen vorgetragen hat:
- 97
Die Auswahlentscheidung der Antragsgegner basiere auf einer unzureichenden Überprüfung der Angebote. Der Antragsgegner hätten es versäumt, die Angemessenheit der Preise aufzuklären und Zweifeln an der Vergaberechtskonformität der Angebote nachzugehen. Die Angebote seien nicht vergleichbar, nachdem die Bieter auf der Grundlage eigener Konzepte hätten planen und kalkulieren dürfen, die Umlaufkonzepte aber nicht geprüft worden seien. Die Angebote seien auch deshalb nicht vergleichbar, weil die von den Bietern vorzulegenden Konzepte Auswirkungen auf die Qualität der Leistungen hätten, dies aber nicht gewertet worden sei. Hierdurch fehle es nicht nur an der Vergleichbarkeit der Leistungszusagen der Bieter, vielmehr bilde der Wertungspreis das beste Preisleistungsverhältnis nur unzureichend ab, weil die Unterschiede in der Qualität dort keine Berücksichtigung fänden.
- 98
Die beabsichtigte Auftragsvergabe an die Beigeladene zu 2) sei rechtswidrig. Die Beigeladene zu 2) habe vergaberechtswidrig Referenzen sowie eine Erklärung zur Eignungsleihe nachgeschoben. Nach ihrer Markt- und Branchenkenntnis habe die im Jahr 2016 gegründete Beigeladene zu 2) bisher keine Dienstleistungen im SPNV durchgeführt. Die Beigeladene zu 2), die ausschließlich die A. zwischen N. und W. betreibe und keine Aufträge im Schienenpersonennahverkehr übernommen habe, verfüge nicht über die geforderte technische und berufliche Leistungsfähigkeit. Die Beigeladene zu 2) habe keine Referenz über einen „Dienstleistungsauftrag im SPNV“ vorgelegt, da eine Referenz über eine gemeinwirtschaftliche Verkehrsleistung geboten gewesen sei, aber allenfalls eine Referenz über eine eigenwirtschaftliche Verkehrsleistung (vgl. § 8 Abs. 4 Satz 2 PBefG) vorgelegt worden sei. Der eigenwirtschaftlich erbrachte Betrieb der A. N. – W. entspreche als Referenz nicht den Vorgaben der Bekanntmachung über einen „ausgeführten Dienstleistungsauftrag im SPNV“. Hierunter dürfe nur ein Dienstleistungsauftrag im Sinne der VO (EG) Nr. 1370/2007 verstanden werden, es müsse sich also nach Maßgabe von Art. 2 i) der Verordnung um einen gemeinwirtschaftlichen Auftrag handeln.
- 99
Sollten die Antragsgegner die A. rechtsfehlerhaft als Referenz eingestuft haben, wäre diese Referenz jedenfalls nicht vergleichbar. Die Streckenlänge des A. betrage weniger als 40 km, auf der Strecke existierten keine weiteren Verladestationen, Umsteigehalte erfolgten nicht. Die Verbindung sei daher im Hinblick auf Umfang und Komplexität nicht mit den hier ausgeschriebenen Leistungen vergleichbar. Allein das Netz Nord umfasse rund 4,5 Millionen Zugkilometer jährlich. An die Erbringung dieser Verkehrsleistungen würden deutlich höhere Anforderungen gestellt. Sollte es auf eine Eignungsleihe ankommen, wäre zu prüfen, ob diese nach Maßgabe von § 47 Abs. 1 Satz 3 VgV und Art. 4 Abs. 7 VO (EG) Nr. 1370/2007 zulässig wäre. Die Beigeladene zu 2) verfüge über keinen Kooperationspartner, dessen Kapazitäten sie insoweit in Anspruch nehmen könne. Die beiden weiteren in Deutschland tätigen Gesellschaften des Konzerns seien nicht im Bereich des SPNV tätig.
- 100
Die Beigeladene zu 3) sei auszuschließen, weil sie einem Wettbewerbsverbot unterliege. Sie sei eine Tochtergesellschaft der A., die 50 % ihrer Anteile halte. Gesellschafter der A. seien zu jeweils 50 % der Anteile die F. und das L.. Diese Gesellschaft sei von ihren Gesellschaftern mit Eisenbahnverkehrsdienstleistungen im Wege der Direktvergabe an den internen Betreiber gemäß Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1370/2007 beauftragt worden, nämlich mit den Linien ... (H-E-N) und ... (E-U-S). Ein interner Betreiber dürfe weder selbst noch mit einer Gesellschaft, auf die er mehr als einen unwesentlichen Einfluss ausüben könne, an wettbewerblichen Vergabeverfahren teilnehmen. Wettbewerber hätten ein Anspruch darauf, dass der Auftraggeber Bieter, die gegen diese Vorschrift verstießen, aus dem Vergabeverfahren ausschließe. Die direkt beauftragte A. habe einen wesentlichen Einfluss auf die Beigeladene zu 3). Das Zuständigkeitsgebiet sei nicht geographisch, sondern funktional zu bestimmen. Bei einer wie hier vorliegenden Direktvergabe durch eine Gruppe von Behörden dürfe sich der interne Betreiber nur im gemeinsamen Zuständigkeitsgebiet dieser Behörden, also bei der Ausschreibung grenzüberschreitender Verkehre zwischen H. und S. an wettbewerblichen Vergabeverfahren beteiligen. Die Beigeladene zu 3) sei ferner auszuschließen, weil sie ihre wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit nicht nachgewiesen habe. Die Aufteilung auf zwei Eignungsgeber sei unzulässig.
- 101
Die Antragstellerin hat beantragt,
- 102
1. gegen die Antragsgegner das Nachprüfungsverfahren einzuleiten,
- 103
2. die Antragsgegner zu verpflichten, das Vergabeverfahren unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer fortzusetzen,
- 105
4. den Antragsgegnern die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin aufzuerlegen,
- 106
5. die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragstellerin für notwendig zu erklären.
- 107
Die Antragsgegner haben beantragt,
- 108
1. den Nachprüfungsantrag abzulehnen,
- 109
2. der Antragstellerin die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin aufzuerlegen,
- 110
3. die Hinzuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten durch die Antragsgegner für notwendig zu erklären.
- 111
Die Vergabekammer hat die Zuschlagsprätendenten mit Beschluss vom 12. März 2021 beigeladen. Sie hat der Antragstellerin mit Schreiben vom 16. März 2021 auszugsweise und mit Schwärzungen Akteneinsicht in die Vergabeakte gewährt.
- 112
Die Beigeladenen haben sich an dem Nachprüfungsverfahren beteiligt; sie haben Akteneinsicht in den teilweise geschwärzten Vergabevermerk erhalten. Einen Sachantrag hat allein die Beigeladene zu 2) gestellt:
- 113
1. Den Nachprüfungsantrag zu Los 2) (Nord) kostenpflichtig zurückzuweisen.
- 114
2. Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten durch die Beigeladene zu 2) für notwendig zu erklären.
- 115
Die Vergabekammer hat ihre auf die Sitzung vom 29. März 2021 ergangene, den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurückweisende Entscheidung vom 1. April 2021 im Wesentlichen wie folgt begründet:
- 116
Der Nachprüfungsantrag sei lediglich teilweise zulässig (I), insoweit aber unbegründet (II).
- 117
I. Der Nachprüfungsantrag sei in Teilen unzulässig.
- 118
1) Für mehrere Rügen fehle der Antragstellerin mangels hinreichender Substantiierung ihres Vorbringens die Antragsbefugnis nach § 160 Abs. 2 GWB.
- 119
Das gelte zunächst für die Rüge der Antragstellerin, die Vergabestelle habe § 60 Abs. 1 VgV verletzt, nämlich die Kalkulation der Mitbewerber nicht ordnungsgemäß geprüft und aufgeklärt, obwohl hierzu eine anlassbezogene Verpflichtung bestanden habe. Für eine nicht ordnungsgemäße Aufklärung und Prüfung enthalte die Rüge keine Anhaltspunkte. Die Antragstellerin habe lediglich den Preisabstand auf für das Los Ost gegenüber dem Bestbieter als Anhaltspunkt genannt und sich unter Hinweis auf den sehr großen Fixkostenblock auf den Standpunkt gestellt, es dürfe zur Ermittlung des Preisabstandes nicht auf den Gesamtpreis, sondern lediglich auf den Anteil der vom Mieter beeinflussbaren Kosten am Gesamtpreisangebot abgestellt werden. So habe sie einen Preisabstand von über 10 % errechnet. Für die weiteren Lose habe sie keine entsprechenden Berechnungen vorgetragen, sondern lediglich darauf hingewiesen, dass die Überlegungen für diese entsprechend gälten mit graduellen Abweichungen. Jedenfalls für die Lose mit einem geringeren Abstand reiche das nicht für einen substantiierten Vortrag. Hierauf komme es allerdings auch nicht an, weil als Aufgreifschwelle nach § 60 VgV jedenfalls eine Abweichung von 20 % erforderlich sei.
- 120
Weiterhin gehe der Vortrag der Antragstellerin, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Zuschlagsprätendenten die Ausführungen in den Vergabeunterlagen und in der Bieterinformation ID ... zur Umlaufplanung zum Anlass genommen hätten, ein besonders ambitioniertes Umlaufkonzept zu erstellen, um die Kosten zu senken und einen Wettbewerbsvorsprung zu erzielen, über eine abstrakte Vermutung nicht hinaus. Es reiche zur Begründung einer Antragsbefugnis nicht aus, dass die Antragstellerin eine als möglich angenommene Vorgehensweise der weiteren Bieter lediglich nicht ausschließen könne.
- 121
Auch der Ansatz der Antragstellerin, die Antragsgegner könnten ohne Umlaufplanung die Kalkulation der Bieter nicht prüfen, gehe über eine Behauptung nicht hinaus, ohne Anhaltspunkte zu nennen. Die Vergabekammer gehe von einer Nachprüfbarkeit aufgrund der Eintragungen im Kalkulationsblatt und einem Quervergleich mit den Musterumlaufplänen aus.
- 122
Nicht hinreichend substantiiert sei der Vortrag der Antragstellerin zu der Prüfung der Kostenansätze der Mitbewerber im Hinblick auf die Personalkosten. Zwar sei im Ausgangspunkt ein Vergleich mit der eigenen Kalkulation grundsätzlich geeignet, einen Anhaltspunkt für einen Vergaberechtsverstoß begründen zu können. Der vermeintliche Vorteil in der eigenen Kalkulation reiche aber nicht aus, es müsse ein weiterer Aspekt hinzukommen, etwa Anhaltspunkte, die sich aus den Angeboten der Bieter ergäben oder aus der Wertung der Antragsgegner. Abstrakte Erfahrungswerte eines „häufigen Kalkulationsverhaltens“ - wohl aus anderen Verfahren - reichten hierfür nicht. Auch die Ausführungen der Antragstellerin zu einer unzulässigen Abpreisung der Fixkosten stelle eine Vermutung ohne jeglichen Anhaltspunkt dar.
- 123
Das gelte auch für die Rüge der Wertung der Optionen. Der Vortrag, es sei zu besorgen, dass Bieter darauf spekuliert hätten, dass die Optionen nicht gezogen werde und deshalb einen besonders niedrigen Kostenansatz angeboten hätten, werde nicht mit Anhaltspunkten gestützt.
- 124
Antragsbefugt sei die Antragstellerin, soweit sie die Überprüfung der Angebote im Hinblick auf die Kalkulation der Schienenersatz- und Busnotverkehre anzweifele. Insoweit nenne die Antragstellerin jedenfalls Punkte, die ein Indiz für eine Vergaberechtsverletzung darstellen könnten. So lege sie ihr eigenes Angebot zu Grunde, benenne den Vorteil, den sie aufgrund des Bestandsbetriebes bei der Ermittlung der Istwerte gehabt habe und die Umstände, dass sie bei der Kalkulation bis an ihre „Schmerzgrenze“ gegangen und ihr schließlich aufgrund der „vergleichsweise hohen Differenzbeträge“ Aufklärungsfragen gestellt worden seien, die Angebote der Wettbewerber also offenbar unterhalb ihrer Kalkulation gelegen und Bieterinformationen vorgelegen hätten, die ein falsches Verständnis bei der Auslegung der Vorgaben geweckt haben könnten.
- 125
2) Mit den folgenden Rügen sei die Antragstellerin nach § 160 Abs. 3 GWB präkludiert:
- 126
Soweit die Antragstellerin die Verfahrensgestaltung selbst angreife, wonach Umlaufpläne nicht einzureichen seien und nicht der Prüfung zugrunde gelegt hätten werden können, sei sie mit diesem Vortrag nach § 160 Abs. 3 GWB präkludiert. Zwar könne auch unter Berücksichtigung des in hohem Maße bei der Antragstellerin vorhandenen juristischen Sachverstands insoweit nicht von Kenntnis ausgegangen werden. Es liege aber eine Erkennbarkeit nach § 160 Abs. 3 Nr. 3 GWB vor. Der Umstand, dass die Umlaufpläne nicht mit dem Angebot einzureichen gewesen seien, habe sich unmittelbar aus den Vergabeunterlagen ergeben und sei mit der Bieterinformation ID ... bestätigt worden.
- 127
Die Antragstellerin sei ferner mit dem Vortrag, die Angebote seien hinsichtlich der Umlaufpläne nicht vergleichbar, nach § 160 Abs. 3 GWB präkludiert. Sie weise selbst in ihrer Rüge darauf hin, dass die Vergleichbarkeit der Angebote eine zwingende Grundvoraussetzung eines jeden Vergabeverfahrens sei. Bei einem Verstoß gegen deren elementare Vergaberegeln brauche für die Erkennbarkeit keine rechtsanwaltliche Unterstützung. Das gelte bereits für einen durchschnittlich erfahrenen Bieter und erst recht für eine in Vergabeverfahren so versierte Bieterin wie die Antragstellerin.
- 128
Präkludiert sei die Antragstellerin auch mit ihrem Vorbringen, in der Vorlage von Konzepten zu qualitativen Aspekten, die Vertragsbestandteil würden, aber nicht Teil der Angebotswertung seien, liege ein Verstoß gegen § 127 Abs. 1 Satz 3 GWB und eine intransparente und diskriminierende Wertung vor. Bereits aus den Vergabeunterlagen sei erkennbar gewesen, dass die Konzepte nicht in die Wertung einbezogen würden. Es sei für jeden Bieter erkennbar gewesen, dass etwaige „Mehrqualitäten“ bei den Angebotskonzepten nicht eine bessere Angebotswertung nach sich ziehen würde. Wenn für einen Bieter ersichtlich sei, dass einerseits Konzepte abgeben müsse, diese nicht aber in die Wertung einflössen, seien potentielle Vergaberechtverstöße im Hinblick auf Transparenzgebot und Gleichbehandlungsgrundsatz erkennbar. Zudem könnten Konzepte gefordert und bei der Wertung außer Acht gelassen werden, wenn diese - wie hier - nicht für die Durchführung der eigentlichen Leistungserbringung notwendig seien.
- 129
Präkludiert sei die Antragstellerin mit dem in ihrem Schriftsatz vom 23. März 2021 vorgetragenen Konflikt zwischen Eignungsleihe und Selbstausführungsgebot. Die Möglichkeit zur Eignungsleihe sei in den Bewerbungsbedingungen ausdrücklich eröffnet gewesen. Ein möglicher Konflikt zwischen Art. 4 Abs. 7 Satz 2 der VO (EG) Nr. 1370/2007 und § 47 Abs. 1 Satz 3 VgV ergebe sich „unmittelbar aus den Vorschriften selbst“. Die tatsächliche Inanspruchnahme der Eignungsleihe stelle einen „Folgefehler“ dar, ebenso die fehlende Auseinandersetzung der Antragsgegner mit dieser Thematik. Im Übrigen entstehe der Konflikt hier nicht, weil der Verkehrsvertrag nach Zuschlag auf eine Projektgesellschaft zu übertragen sei.
- 130
Antragsbefugt sei die Antragstellerin im Hinblick auf ihr Vorbringen, die Beigeladene zu 2) sei auszuschließen, weil sie die Eignung nicht habe nachweisen können. Insoweit sei sie auch nicht präkludiert. Das gelte auch für das Vorbringen der Antragstellerin, die Beigeladene zu 3) sei zwingend auszuschließen, weil sie einem Wettbewerbsverbot unterliege. Im Übrigen sei die Antragstellerin bezogen auf jedes einzelne Los antragsbefugt, da sie aufgrund ihres Vortrags zu den Ausschlussgründen in Verbindung mit den Wirkungen der Loslimitierung selbst in dem Los, bei dem sie die schlechteste Platzierung aufweist, eine Chance auf den Zuschlag haben könnte.
- 131
II. Der Nachprüfungsantrag sei nicht begründet.
- 132
a) Die Antragstellerin sei durch die vergaberechtliche Prüfung des Schienenersatz- und Busnotverkehrs durch die Vergabestelle nicht in ihren Rechten verletzt. Das gelte insbesondere für das Transparenzgebot und den Gleichbehandlungsgrundsatz und auch für das Vorbringen der Antragstellerin, die Antragsgegner hätten überprüfen müssen, ob die zugesagten Verpflichtungen mit den kalkulierten Kosten überhaupt hätten eingehalten werden können.
- 133
Vor dem Hintergrund, dass die Antragstellerin nur mit einem geringen Teil der von ihr vorgebrachten Rügen im Hinblick auf die Prüfung der Kalkulationen antragsbefugt sei, sei zur Prüfung der Angebote/der Kalkulationen anzumerken, dass die Antragsgegner bei dem Angebotsvergleich je Los zunächst einen Vergleich des Bestbieters mit dem Erwartungswert durchgeführt hätten. In einer weiteren Tabelle hätten sie auch die Preisabstände aller Bieter zum jeweiligen nächstbesten Bieter ermittelt, jeweils mit und ohne Herausrechnung der Infrastrukturkosten. Bei keinem Bieter werde die Aufgreifschwelle von 20 % auch nur annähernd erreicht. Der Erwartungswert sei anhand eines analytischen Kostenmodells ermittelt worden. Die Ergebnisse seien in ein Kalkulationsschema übertragen worden, um einen Abgleich mit den eingehenden Angeboten zu erleichtern. Die Ermittlung der Werte für den Ersatzverkehr sei nachvollziehbar. Der Erwartungswert erscheine daher geeignet, einen Abgleich mit den Angeboten der Bieter zu ermöglichen und auf dieser Basis zu beurteilen, ob die Kalkulation der Bieter realistisch sei. In dem Dokument „Akku-Netz Angebotsauswertung, Bereich „Kalkulation“ setzten sich die Antragsgegner mit der Vergütung des Ersatzverkehrs auseinander, für die Antragsgegner seien - nachvollziehbar - keine Kalkulationsfehler erkennbar gewesen. Es seien keine Prüfmängel oder Beurteilungsfehler erkennbar. Die Antragsgegner hätten anhand des ermittelten Erwartungswertes geprüft, bei Auffälligkeiten nachgefragt, die Antworten geprüft und bewertet. Die Notwendigkeit für eine weitere Prüfung der Angebote der Bieter sei nicht erkennbar. Grundsätzlich dürfe ein Auftraggeber darauf vertrauen, dass Bieter die angebotenen Leistungen ordnungsgemäß erbringen werden, nur bei Auffälligkeiten treffe ihn eine Prüfpflicht. Dieser Prüfpflicht seien die Antragsgegner transparent und unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nachgekommen.
- 134
b) Die Beigeladene zu 2) sei nicht auszuschließen. Die Eignung eines Bieters könne nur aufgrund von Kriterien abgelehnt werden, die nach § 122 Abs. 4 GWB, §§ 45 ff. VgV zuvor klar und unmissverständlich bekannt gemacht worden seien. Die Bewerber hätten zum Beleg ihrer technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit mit dem Teilnahmeantrag Referenzen über früher ausgeführte Dienstleistungsaufträge im SPNV in Form einer Liste der in den letzten drei Jahren erbrachten wesentlichen Leistungen, mit Angabe des Erbringungszeitraums, des Auftraggebers, des Wertes der jährlichen Zug-Kilometerleistung und des Leistungsgegenstandes vorlegen müssen. Es sei mindestens eine Referenz über einen während der letzten sechs Jahre (nicht zwingend in allen Jahren) ausgeführten Dienstleistungsauftrag im SPNV vorzulegen gewesen.
- 135
Die Beigeladene zu 2) habe ihre Eignung nachgewiesen. Dies ergebe sich bereits aus ihrer eigenen Referenz, jedenfalls aber aus der Eignungsleihe des von der Beigeladenen zu 2) angegebenen Unternehmens. Die Beigeladene zu 2) habe eine Referenz vorgelegt, die den Vorgaben der Bekanntmachung entspreche und damit ihre Eignung nachgewiesen. Zwar sei die Referenz in der mit dem Teilnahmeantrag eingereichten Einheitlichen Europäischen Eigenerklärung (EEE) noch nicht enthalten gewesen, da die Beigeladene zu 2) zunächst auf den Globalvermerk zur Erfüllung aller Eignungskriterien abgestellt habe. Bereits dies reiche möglicherweise für den vorläufigen Nachweis der Referenz aus, auch wenn die Antragsgegner den Globalvermerk nicht ausdrücklich zugelassen hätten. Die Kammer sehe die Notwendigkeit einer ausdrücklichen Zulassung des Globalvermerks aufgrund des Wortlauts des § 50 VgV und auch aufgrund der Zielsetzung, die Hürden für die Unternehmen für die Teilnahme am Vergabeverfahren so gering wie möglich zu gestalten, zumindest nicht als zwingend an.
- 136
Die Antragsgegner hätten die Angaben zu den Referenzen jedenfalls nachfordern dürfen. Hierin liege weder ein Verstoß gegen § 56 Abs. 2 VgV noch ein Verstoß gegen Art. 56 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24/ EU. Selbst mehrfaches Nachfordern sei hiernach möglich, denn die Regelungen der VgV enthielten anders als die Regelungen der VOB/A EU keine Regelung, wonach die Angebote zwingend auszuschließen seien, wenn die nachgeforderten Unterlagen nicht innerhalb der Frist vorgelegt würden. Hier hätten die Antragsgegner jeweils nur ein Mal nachgefordert und zwar die fehlenden Angaben in der EEE, danach die fehlenden Angaben zur Referenz. Auf die Frage, wie die Aufforderung der Antragsgegner zu werten wäre, Referenzen vorzulegen, die den Anforderungen der Bewerbungsbedingungen entsprechen und ob hierin möglicherweise ein Verstoß gegen Art. 56 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24/EU liegen könnte, komme es nicht an, weil die Beigeladene zu 2) keine neuen Referenzen vorgelegt, sondern ihre bereits vorhandene Referenz erläutert habe. Bei unternehmensbezogenen Referenzen bestehe kein Risiko einer Manipulation durch eine Nachforderung, da es um zurückliegende, feststehende Tatsachen und keine Änderungen, Nachbesserungen oder Nachverhandlungen der angebotenen Leistungsinhalte gehe.
- 137
Die Referenz entspreche den Vorgaben der Bewerbungsunterlagen. Die von der Beigeladenen zu 2) betriebene A. sei eine SPNV Leistung, es handele sich nicht um eine sogenannte rollende Landstraße, sondern es gehe vorrangig um die Beförderung von Personen, wenn auch gleichzeitig mit ihren Fahrzeugen. Allerdings weiche diese Leistung bezogen auf den Umfang im Hinblick auf die km-Leistung von der ausgeschriebenen Leistung ab, eine Referenzleistung in Höhe der ausgeschriebenen km-Leistung sei von den Antragsgegnern aber nicht gefordert gewesen. Maßstab nach § 46 VgV seien nicht in jeder Hinsicht „vergleichbare“ Leistungen, ausreichend sei nach § 46 Abs. 3 Nr. 1 VgV eine „geeignete Referenz“. Zwar könne die Formulierung „Referenzen über früher ausgeführte Dienstleistungsaufträge im SPNV in Form einer Liste der in den letzten 3 Jahren erbrachten wesentlichen Dienstleistungen, mit Angabe des Erbringungszeitraums, des Auftraggebers, des Wertes, der Zug-Kilometerleistung sowie des Leistungsgegenstandes vorzulegen“ den Eindruck vermitteln, dass etwa die km-Leistung des in der Referenz genannten Dienstleistungsauftrags in einem Verhältnis zum ausgeschriebenen Dienstleistungsauftrag stehen solle. Vorgegeben sei dies aber nicht. Auch soweit in den Bewerbungsunterlagen festgelegt sei, dass der Bieter über Erfahrungen verfügen solle, die zur Durchführung der „hiesigen Leistung“ im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) in angemessener Qualität erforderlich seien, sei die Formulierung so offen, dass in diese Formulierung nicht hineingelesen werden könne, dass ausschließlich mit Erfahrungen aus Dienstleistungsaufträgen, die eine vergleichbare km-Zahl, also eher eine bestimmte Quantität aufwiesen, entsprechende Erfahrungen belegt werden könnten.
- 138
Dem stehe nicht entgegen, dass es sich bei der von der Beigeladenen zu 2) vorgelegten Referenz um eine eigenwirtschaftlich erbrachte Verkehrsleistung handele. Es sei ausdrücklich lediglich ein Dienstleistungsauftrag verlangt, der ein Vertragsverhältnis voraussetze. Zumindest ein Ausschluss lasse sich darauf aufgrund des zumindest interpretierbaren Wortlauts der Bewerbungsbedingungen nicht stützen.
- 139
Aber auch wenn in der eigenwirtschaftlich erbrachten Dienstleistung kein Dienstleistungsauftrag im geforderten Sinne zu sehen wäre, wäre die Beigeladene zu 2) nicht auszuschließen; denn sie hätte sich wirksam auf die Eignungsleihe eines anderen Unternehmens gestützt. Die Beigeladene zu 2) habe sich nachträglich auf die Eignungsleihe als Nachweis ihrer technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit berufen und einen entsprechenden Nachweis nachreichen dürfen. Der Nachweis der Eignungsleihe sei im Falle eines anderen Verständnisses des Dienstleistungsauftrags als fehlende Unterlage anzusehen, die nachgefordert werden könne. Zwar sei im Rahmen des Aufklärungsprozesses nicht der Nachweis der Eignungsleihe nachgefordert worden, sondern neue bzw. andere Referenzen im Hinblick auf die in Zweifel gezogene Referenz des eigenwirtschaftlichen Verkehrs. Die Beigeladene zu 2) habe auf diese Aufforderung zumindest vorsorglich einen Nachweis zur Eignungsleihe als Alternative zur bezweifelten Referenz nachreichen dürfen.
- 140
c) Die Beigeladene zu 3) sei nicht vom Vergabeverfahren auszuschließen, weil sie sich auf zwei Eignungsleiher berufe. Zwar sei der Antragstellerin zuzugestehen, dass die Bewerbungsbedingungen „vom Dritten“ sprächen, was darauf hindeute, dass es nur einen einzigen Eignungsleiher geben dürfe. Das wäre aber - trotz des Wortlautes - eine Überinterpretation des Inhalts. Der Verordnungsgeber der VgV gehe nach dem Inhalt der Begründung zur Verordnung (allgemeiner Teil) davon aus, dass für die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit auch die Eignungsleihe bei mehreren Unternehmen möglich sei. Der Antragsgegner sei durch die Eignungsleihe durch zwei Eignungsleiher wirtschaftlich nicht schlechter gestellt. Verlange der öffentliche Auftraggeber eine gemeinsame Haftung von Bewerber oder Bieter und Unternehmen sei die Haftung nach § 47 Abs. 3 VgV auf den Umfang der Eignungsleihe begrenzt. Bei zwei Eignungsleihern erhalte der öffentliche Auftraggeber einen weiteren Haftenden, ebenso begrenzt auf den Umfang seiner Eignungsleihe.
- 141
Die Beigeladene zu 3) sei nicht wegen eines Verstoßes gegen das Wettbewerbsverbot auszuschließen. Es sei der Beigeladenen zu 3) nicht nach Art. 5 Abs. 2 b VO (EG) Nr. 1370/2007 verwehrt, sich an dem streitgegenständlichen Vergabeverfahren zu beteiligen. Es handele sich nicht um eine Vergabe außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der zuständigen örtlichen Behörde. Auf den Vortrag der Antragstellerin, dass ein Wettbewerbsverbot auf die Beigeladene zu 3) durchschlagen würde, komme es nicht an, da kein Wettbewerbsverbot bestehe.
- 142
Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde und im Wesentlichen den folgenden Beschwerdeangriffen:
- 143
a) Sie sei für die von ihr erhobenen Rügen nach § 160 Abs. 2 GWB antragsbefugt. Sie habe konkrete Anhaltspunkte aufgezeigt, die befürchten ließen, dass die Angebotsprüfung und Angebotsaufklärung der Antragsgegner zu wertungsrelevanten Themenkomplexen unzureichend gewesen sei. Unter dem Gesichtspunkt des effektiven Rechtsschutzes dürften die Anforderungen an die Bieter hinsichtlich der Rüge von Rechtsverletzungen nicht überspannt werden, es sei ein großzügiger Maßstab anzulegen. Aus den Rügeausführungen werde deutlich, dass sie die gerügten Rechtsverletzungen aus ihrer eigenen Angebotsgestaltung und ihrer Markterfahrung ableite.
- 145
Die Vergabekammer lasse bei ihren Ausführungen zur mangelnden Substantiierung außer Betracht, dass sie eine Reihe von Indizien vorgetragen habe, die Anhaltspunkte für eine Unterkalkulation bzw. eine unzulässige Kalkulation beinhalteten, nämlich im Hinblick auf die Umläufe, Personalkosten, Ersatzverkehr, Fixkosten und Optionen. Diese Ausführungen blende der Beschluss an dieser Stelle vollständig aus, obwohl sie ersichtlich dem Thema Angebotsprüfung und Angebotsaufklärung zugeordnet seien. Die Vergabekammer überspanne die Anforderungen an die Darlegung einer Verletzung der Pflichten aus § 60 VgV. Die Rechtsprechung knüpfe hieran nur minimale Voraussetzungen. In einer derartigen Konstellation sei es ausreichend, wenn der Bieter das vortrage, was er nach seiner Einschätzung für wahrscheinlich halten dürfe. Ob ein erheblicher Preisabstand vorliege, der einen unangemessen niedrigen Preis indiziere und eine Aufklärungspflicht auslöse, sei keine Frage der Zulässigkeit, sondern im Rahmen der Begründetheit zu erörtern.
- 146
(2) Umlaufpläne
- 147
Auch hinsichtlich ihrer Rügen der Überprüfung der Realisierbarkeit der Umläufe und der Auswirkungen auf die Kalkulation überspanne die Kammer die Anforderungen an die Darlegung eines Vergaberechtverstoßes, wenn Sie ausführe, die Antragstellerin hätte keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass einer der Bieter entsprechend den Hinweisen in der Bieterinformation ID ... kalkuliert habe. Es liege in der Natur des Geheimwettbewerbs, dass sie nicht dazu vortragen könne, dass ein Bieter tatsächlich die Umläufe überoptimiert habe. Es müsse für die Darlegung im Rahmen der Antragsbefugnis genügen, Anhaltspunkte für entsprechendes Vorgehen zu benennen. Das habe sie getan, indem sie vorgetragen habe, dass die Antragsgegner mit der Bieterinformation ID ... einerseits dazu aufgerufen hätten, den Wettbewerb auch über die Umlaufkonzepte auszutragen, obwohl sie die Umlaufkonzepte nicht überprüfen könnten. Gleichzeitig habe sie in der Bieterinformation ID ... zum Ausdruck gebracht, dass die Nichtvereinbarkeit von Umläufen nicht sanktioniert werden. Aus ihrer Sicht lade diese Verfahrensgestaltung dazu ein, Umlaufpläne über das Maß des Zulässigen hinaus überzuoptimieren, um somit bewertungsrelevant Kosten zu senken. Den Anreiz hierzu hätten die Antragsgegner in ihren Bieterinformationen selbst gegeben. Ob es tatsächlich zu einer solchen Überoptimierung gekommen sei, sei keine Frage der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit.
- 148
(3) Personalkosten
- 149
Zu Unrecht habe die Vergabekammer ihr Rügevorbringen im Hinblick auf die Personalkosten als unzureichend angesehen. Sie habe geltend gemacht, als Bestandsbetreiberin über einen erheblichen Kalkulationsvorteil zu verfügen, weshalb die Mitbewerber nicht erheblich günstiger angeboten haben könnten als sie. Sollte dies dennoch der Fall sein, wäre daran ein Indiz für eine unzureichende Personalerstattung zu erblicken. Der Verweis auf die eigene Kalkulation und den Kalkulationsvorteil, den sie als Bestandsbetreiberin habe, genüge entgegen den der Auffassung der Kammer für die Substantiierung der Rüge. Ergänzend habe sich auf ihre Marktkenntnis berufen, wonach gerade die Ausbildungskosten häufig zu niedrig angesetzt würden.
- 150
(4) Fixkosten
- 151
Aus ihrer Sicht bestehe die Sorge, dass Wettbewerber die besondere Ausschreibungskonstellation, nach der aufgrund der Beistellung ein erheblicher Teil der üblicherweise variablen Kosten fix vorgegeben sei, dazu genutzt haben könnten, wertungsoptimierende Abpreisungen in diesen Fixkostenblöcken vorzunehmen. Mehr können Sie hierzu naturgemäß nicht vortragen. Ob Wettbewerber tatsächlich so agiert hätten, sei im Rahmen der Begründetheit zu klären.
- 152
(5) Optionen
- 153
Das gelte auch im Hinblick auf die Optionen. Auch hier bestehe aus ihrer Sicht die Gefahr, dass Mitbewerber, um sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen, den Kostenansatz besonders niedrig angeboten hätten in der Hoffnung, dass die Optionen nicht gezogen würden. Mehr könne sie hierzu naturgemäß nicht vortragen.
- 154
b) Zu Unrecht habe sich die Vergabekammer auf den Standpunkt gestellt, die von ihr gerügten Vergaberechtsverstöße im Hinblick auf die mangelnde Vergleichbarkeit der Angebote und des Verstoßes gegen das Selbstausführungsgebot seien nach § 160 Abs. 3 Nr. 3 GWB präkludiert. Nach der Rechtsprechung seien Vergaberechtsverstöße nicht nach § 160 Abs. 3 Nr. 3 GWB erkennbar, wenn nur ein Experte oder Fachmann nach genauerem Studium den in Rede stehenden Verstoß feststellen könne, sondern erst dann, wenn der Vergaberechtsverstoß so offensichtlich sei, dass er einem verständigen Bieter bei der Vorbereitung seines Angebotes oder seiner Bewerbung auffallen müsse. Maßstab sei die Perspektive eines durchschnittlich fachkundigen und sorgfältigen Bieters. Hiernach könne der Beschluss der Vergabekammer, dass die gerügten Verstöße erkennbar gewesen seien, keinen Bestand haben:
- 155
(1) Umlaufpläne
- 156
Sie habe gerügt, dass der Antragsgegner die Angebote nicht hinreichend geprüft hätten, insbesondere im Hinblick darauf ob die Angebote auf Umlaufkonzepte beruhten, die überhaupt fahrbar seien, da mit dem Angebot keine Umlaufpläne hätten vorgelegt werden müssen und die Angebote nicht vergleichbar seien, weil diese aufgrund des Aufrufs der Antragsgegner, den Wettbewerb auch über die Umlaufpläne auszutragen, eine sehr unterschiedliche Risikoneigung aufweisen dürften, die Antragsgegner dies aber nicht effektiv überprüfen könnten.
- 157
Entgegen der Bewertung der Vergabekammer, deren Beschluss auf einer unzutreffenden Würdigung ihres Rügevorbringens beruhe, habe sie nicht die Verfahrensgestaltung als solche angegriffen, sondern geltend gemacht, dass die Antragsgegner die Angebote nicht hinreichend daraufhin überprüft hätten, ob die Umlaufkonzepte tatsächlich realisierbar und damit die Kalkulationsgrundlagen realistisch seien und die Angebotsinhalte aus vergaberechtlicher Sicht vergleichbar seien. Selbst wenn man in ihrem Vorbringen jedenfalls auch einen Angriff gegen die Verfahrensgestaltung als solche sehen sollte, greife der Präklusionseinwand nicht durch. Zwar hätten die Bieter das vergaberechtliche Problem erkennen müssen, dass ihr Leistungsprogramm von selbst erstellten, dem Auftraggeber nicht vorzulegenden Konzepten abhänge. Auch dem erfahrenen Bieter sei nicht bekannt, dass es vergaberechtlich unzulässig sein könnte, Angebote zu vergleichen und die Seriosität der Kalkulation zu prüfen, wenn die Kalkulationsgrundlage nicht offengelegt werde. Denn es müsse nicht jede interne Kalkulationsgrundlage offengelegt werden, die rechtliche Einordnung und Abgrenzung sei schwierig, der rechtliche Verstoß dränge sich nicht auf. Hieran ändere auch der Verweis darauf nichts, dass die zentralen vergaberechtlichen Grundsätze Transparenz und Gleichbehandlung jedem Bieter bekannt sein dürften. Derartige Verstöße seien nicht immer erkennbar, die Vorgaben aus § 97 Abs. 1 und 2 GWB seien generalklauselartig formuliert, es handele sich um unbestimmte Rechtsbegriffe.
- 158
(2) Konzepte
- 159
Zu Unrecht habe die Kammer sie mit ihrem Einwand, dass mit den Konzepten qualitative Aspekte abgefragt, diese aber nicht Teil der Angebotswertung geworden seien, als präkludiert angesehen. Der rechtliche Schluss, dass die Nichtberücksichtigung qualitative Aspekte gegen § 127 Abs. 1 Satz 3 GWB verstoße, dränge sich nicht auf. Die Frage, ob in bestimmten Konstellationen qualitative Kriterien in die Bewertung einbezogen werden müssten und eine reine Preiswertung damit ausscheide, sei eine komplexe rechtliche Frage. Das sei etwa in Erwägung zu ziehen, wenn aufgrund konzeptioneller Angebotsbestandteile die angebotene Leistung der Bieter unterschiedlich sein könne und ein bloßer Preisvergleich die Qualitätsunterschiede außer Betracht lassen würde. Hier bestehe die Gefahr, dass die Angebotspreise nicht vergleichbar seien und das Bewertungsergebnis wettbewerbsverzerrend sei. Das sei in Anbetracht der hier einzureichenden Konzepte anzunehmen. Der daraus resultierende Rechtsverstoß springe jedoch nicht ins Auge, es fehle an der Erkennbarkeit eines Verstoßes gegen den Grundsatz einer diskriminierungsfreien Angebotswertung.
- 160
(3) Selbstausführungsgebot
- 161
Der Präklusionseinwand greife nicht im Hinblick auf den gerügten Verstoß gegen das Selbstausführungsgebot in Art. 4 Abs. 7 Satz 2 der VO (EG) Nr. 1370/2007 in den Angeboten der Bieter C, G und der Beigeladenen zu 2). Die Begründung der Vergabekammer hierzu, der mögliche Konflikt zwischen der in den Vergabeunterlagen ausdrücklich zugelassenen Eignungsleihe und dem Selbstausführungsgebot ergebe sich aus den Vorschriften selbst und hätte innerhalb der Angebotsfrist gerügt werden müssen, überzeuge nicht. Bei Zugrundelegung dieser Auffassung müsste ein Verkehrsunternehmen in jeder SPNV-Ausschreibung, bei der die Möglichkeit zur Eignungsleihe der technischen beruflichen Leistungsfähigkeit vorgesehen sei, diese Vorgabe rügen. Das sei jedoch mit erheblichen Risiken verbunden, nachdem die Eignungsleihe vom Auftraggeber grundsätzlich nicht untersagt werden könne. Nachdem der Bieter sein Angebot im Einklang mit den Vorgaben aus § 47 Abs. 1 Satz 3 VgV einerseits und Art. 4 Abs. 7 Satz 2 VO (EG) Nr. 1370/2007 zu erstellten habe, sei dem Grunde nach nicht zu beanstanden, dass auftraggeberseitig keine konkreten Vorgaben zum Umgang mit der Eignungsleihe im Hinblick auf das Selbstausführungsgebot gemacht worden seien, zumal es hierzu weder Rechtsprechung noch Literatur gebe. Zu beachten sei auch, dass sich das Selbstausführungsgebot nur auf die Erbringung von Verkehrsleistungen, die operativen Fahrleistungen mit Fahrzeugen und Personal des Betreibers, beziehe, während die Selbsterbringungsquote für die Verwaltung nicht gelte, mithin der Betrieb von Ticketcentern, Informationssystemen, die Verwaltung des Personals und Öffentlichkeitsarbeit vollständig von Dritten erbracht werden könne. Art. 4 Abs. 7 Satz 2 VO (EG) Nr. 1370/2007 schließe hiernach die Unterauftragsvergabe und damit die Möglichkeit der Eignungsleihe nicht gänzlich aus, sondern schränke sie nur ein.
- 162
Hieran orientiert sei ihre Rüge zu bewerten. Sie habe erst im Zuge der Akteneinsicht davon erfahren, dass sich u.a. die Beigeladene zu 1) für die technische und berufliche Leistungsfähigkeit vollständig auf die Kapazitäten eines Dritten berufen habe, die Beigeladene zu 2) eine Eignungsleihe nachgeschoben und ergänzt habe und die Vergabestelle dies nicht geprüft habe. Der Vergabevermerk zeige, dass dort der Konflikt zwischen Eignungsleihe und Selbstausführungsgebot nicht im Ansatz erkannt worden sei. Dies habe sie daher erst mit Schriftsatz vom 23. März 2021 in das Verfahren einführen können.
- 163
Der Einwand der Kammer, es handele sich um einen Folgefehler, greife nicht. Der vergaberechtliche Verstoß liege nicht in den Bewerbungsbedingungen, die keinen Anlass zur Rüge gegeben hätten, sondern in dem Verstoß gegen Art. 4 Abs. 7 Satz 2 VO (EG) Nr. 1370/2007 durch die Beigeladenen zu 1) und 2) und der völligen Negierung dieser Problematik in der Angebotsauswertung durch die Antragsgegner.
- 164
2. Der Nachprüfungsantrag sei begründet.
- 165
a) Die Auswahlentscheidung der Antragsgegner basiere auf eine unzureichende Überprüfung der Angebote, die Antragsgegner hätten es versäumt, die Angemessenheit der Preise aufzuklären und Zweifeln an der Vergaberechtkonformität der Angebote nachzugehen.
- 166
(1) Preisprüfung
- 167
Die Behauptung der Antragsgegner, sie hätten die Angebote intensiv und im Detail geprüft, bleibe auch unter Berücksichtigung der vorgenommenen Akteneinsicht vage, nachdem die Ausführungsüberprüfung der Angebote in der Vergabedokumentation nahezu vollständig geschwärzt worden seien. Sie könne anhand des vorgelegten Aktenauszuges die vermeintliche Prüfung durch die Antragsgegner nicht ansatzweise nachvollziehen. Auch der Beschluss der Vergabekammer bringe insoweit keine Aufklärung und überzeuge nicht. Er nehme keine Stellung dazu, ob und in welchem Umfang eine Preisaufklärung erfolgt sei, sondern führe lediglich dazu aus, dass die Aufgreifschwelle von 20 % bei keinem Bieter erreicht worden sei, die Vorgehensweise der Antragsgegner zum Themenkomplex Ersatzverkehr nachvollziehbar sei und Prüfmängel oder Beurteilungsfehler nicht erkennbar seien.
- 168
Die Antragsgegner seien zu einer umfassenden Überprüfung der Kalkulation der Bestbieter verpflichtet gewesen, nachdem die Aufgreifschwelle, für die nach der Auffassung weiter Teile der Rechtsprechung Spannen zwischen 10 und 20 % ausreichten, überschritten sei. Insoweit sei auf den vom Bieter beeinflussbaren Teil abzustellen. Nachdem der Abstand zwischen dem erst- und zweitplatzierten Bieter im Los Ost im Hinblick auf die beeinflussbaren Kostenbestandteile 12 % betragen habe und sich die Situation in den anderen beiden Losen mit graduellen Abweichungen vergleichbar darstelle, sei die Aufgreifschwelle überschritten. Sie habe auch dargelegt, dass die Preisdifferenzen bei SPNV-Ausschreibungen aus ihrer Markterfahrung in aller Regel sehr gering seien und daher eine Abweichung von mehr als 10 % sehr ungewöhnlich und nicht zu erwarten sei. Insoweit sei in der Rechtsprechung anerkannt, dass bereits geringe Preisabstände bei hoher Wettbewerbsintensität auf Unterkostenangebote hinweisen könnten. So liege der Fall hier.
- 169
(2) Prüfung der Leistungszusagen
- 170
Der Auftraggeber dürfe ungeachtet der Frage der Auskömmlichkeit seine Angebotsprüfung nicht darauf beschränken, ob die Angebote in formaler Hinsicht den Anforderungen der Vergabeunterlagen entsprächen. Der Auftraggeber müsse aus Gründen der Transparenz und der Gleichbehandlung der Bieter nach § 97 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GWB auch überprüfen, ob die Bieter ihre mit dem Angebot zugesagten Verpflichtungen überhaupt einhalten könnten, wenn die Umstände des Einzelfalls Zweifel an der Plausibilität der Leistungsversprechen begründeten.
- 171
(3) Ersatzverkehr
- 172
Sie habe in ihrer Rüge eine Reihe von Indizien vorgetragen, die auf eine unzulässige Angebotsgestaltung und eine unzureichende Überprüfung durch die Auftraggeber schließen lasse. Bei ordnungsgemäßer Aufklärung hätte sich herausgestellt, dass die Angebote der Zuschlagsprätendenten, insbesondere das Angebot der Beigeladenen zu 1), wegen eines Missverhältnisses zwischen Preis und Leistung und wegen Abweichung von Vorgaben der Vergabeunterlagen auszuschließen gewesen wäre. Die Vergabekammer habe sich lediglich mit dem Themenkomplex Ersatzverkehr beschäftigt. Bereits aus Ziffer 3.23 der Vergabedokumentation ergebe sich die Schwierigkeit der Bieter, den Aufwand für den Ersatzverkehr zu kalkulieren, wenn es dort heiße, es hätten offenbar „unterschiedliche Einschätzungen zum erforderlichen Aufwand und ggf. zu den Einsparungen bestanden“, die Aufwandsentschädigung sei „komplex“, unterschiedliche Kalkulationsansätze seien nicht überraschend „ganz abgesehen von den angesprochenen Unsicherheiten bezüglich Preis und Verfügbarkeit von Subunternehmen“. Es sei offensichtlich zu erheblichen Unterschieden in der Kalkulation der Differenzbeträge gekommen, die Angebote unterschieden sich insoweit deutlich. Die Vergabekammer werte bei der Sachentscheidung Umstände, deren Offenlegung sie mit Rücksicht auf ein Geheimhaltungsinteresse abgelehnt habe, zulasten der Antragstellerin. Das sei nur in engen Grenzen möglich. Die Vorgehensweise der Kammer verletze sie in ihren prozessualen Rechten. Der Beschluss gebe nur sehr oberflächlich wieder, dass es unterschiedliche Erklärungsansätze gegeben habe, die die Antragsgegner geprüft und aufgeklärt hätten. Die Kammer komme auf dieser Grundlage zu dem nicht näher begründeten Ergebnis, dass die Prüfung nicht zu beanstanden sei. Die Antragsgegner hätten eine hinreichend qualifizierte Überprüfung der Angebote im Hinblick auf das Thema Ersatzverkehr nicht durchgeführt. Zudem werde aus Ziffer 3.23 ersichtlich, dass nur bei drei von fünf Bietern, unter anderem der Antragstellerin aufgeklärt worden sei. Angesichts der Komplexität des Themas sei es nicht plausibel, dass bei den zwei übrigen Bietern kein Aufklärungsbedarf bestanden habe.
- 173
Konkrete Anhaltspunkte für eine nicht ausschreibungskonforme Kalkulation der Differenzbeträge der Mitbewerber und eine gesteigerte Aufklärungspflicht ergäben sich daraus, dass sie als Bestandsbetreiberin der Netze Ost und Nord die Differenzbeträge auf Grundlage ihrer eigenen Ist-Werte ermittelt habe und bei der Kalkulation an ihre „Schmerzgrenze“ gegangen sei, also einen sehr attraktiven und aus ihrer Sicht geringen Betrag für den Mehraufwand im Ersatzverkehr angeboten habe. Gleichwohl sei sie zu ihrer Überraschung gebeten worden, ihre „vergleichsweise hohen“ Differenzbeträge für Ersatzverkehre zu erläutern. Offensichtlich hätten die übrigen Bieter deutlich niedrigere Differenzbeträge angeboten. Das werde in der Rügeantwort bestätigt, wonach die Antragstellerin im „mittleren Bereich“ liege. Das sei aus ihrer Sicht nicht plausibel, noch geringere Differenzbeträge können den Mehraufwand nicht abdecken, insbesondere in Anbetracht der sehr detaillierten und anspruchsvollen Vorgaben zur Ersatzbeförderung. Vor diesem Hintergrund liege es nahe, dass andere Bieter die Berechnung des Mehraufwandes nicht ausschreibungskonform vorgenommen hätten, weil die komplexen Vorgaben in den Vergabeunterlagen nicht richtig erfasst worden seien. Für ein unklares und gegebenenfalls unzutreffendes Verständnis einiger Bieter bei der Auslegung der Vorgaben zum Ersatzverkehr und zur Berechnung des Differenzbetrages spreche, dass es zum Umgang mit diesen Vorgaben eine Vielzahl von Nachfragen (etwa die Bieterinformationen ID ..., ID ... und auch ID ...) gegeben habe. Es könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass einige Wettbewerber bewusst und spekulativ zu niedrige Kosten angesetzt hätten. Anlass zu dieser Sorge gäben insbesondere die Bieterinformationen ID ... und ID ..., in denen der Auftragnehmererseite suggeriert worden sei, Kostenposition dürften verschoben werden, weil das Kalkulationsschema bewusst Gestaltungsspielräume eröffne. Jedoch müsse in den einzelnen Positionen des Kalkulationsschemas jeweils der wahre Preis angegeben werden, es dürften keine Kosten verdeckt verschoben werden. In hohem Maße spekulativ wären Angebote, wenn die Kosten des Ersatzverkehrs bewusst zu niedrig angesetzt worden seien in der Hoffnung, dass der angegebene Mengenvordersatz zu hoch sei und es nur in geringerem Umfang zu Ersatzverkehren kommen werde. Vor diesem Hintergrund seien die Angaben der Bieter zu den Kosten des Ersatzverkehrs mit gesteigerter Sorgfalt zu prüfen und aufzuklären gewesen.
- 174
(4) Unzureichende Aufklärung: weitere Indizien
- 175
Nicht auseinandergesetzt habe sich die Kammer mit den weiteren Indizien für eine unzureichende Aufklärung der insoweit aufklärungsbedürftigen Angebote, wie der Komplexität der Ausschreibung (a), dem Zeitrahmen für die Prüfung (b), den Umlaufplänen (c), dem Personal (d), den Fixkosten (e) und den Optionen (f).
- 176
(a) Das Erfordernis einer umfassenden Überprüfung ergebe sich aus der Komplexität und den Unwägbarkeiten der durch zahlreiche Besonderheiten gekennzeichneten Ausschreibung. Das gelte vor allem für die neuartigen batteriebetriebenen Fahrzeuge, die sich in der Praxis noch nicht bewährt hätten. Durch die Vorgabe der Vergütungspflicht der Verkehrsunternehmen für Miete und Werkstattleistungen durch Pauschalen seien wesentliche Wertschöpfungselemente beigestellt worden. Das Betriebsprogramm der Antragsgegner beruhe auf den technischen Daten des Herstellers, auf Laborwerten, die auf Optimalbedingungen beruhten. Erfahrungsbasierte Angaben aus der Praxis etwa zum Energieverbrauch oder zum Ladeverhalten lägen nicht vor. Zahlreiche Bieterfragen belegten, dass an der Umsetzbarkeit des Betriebskonzeptes Zweifel bestünden. Auch im Übrigen sähen die Vergabebedingungen komplexe Vorgaben vor, etwa zur Berechnung der Kosten des Ersatzverkehrs, zu hohen Qualitätsstandards und zudem der Pflicht, den Verkehrsvertrag auf eine eigens zu gründende Projektgesellschaft zu übertragen. Es bestehe die Gefahr, dass gerade unerfahrene Bieter mit deren Umsetzung Schwierigkeiten gehabt hätten und es bewusst oder unbewusst zu Fehlern gekommen sei. Dem seien die Antragsgegner nicht hinreichend nachgegangen.
- 177
(b) Die Behauptung der Antragsgegner, die Angebote und die einzelnen Kalkulationspositionen seien einer intensiven Prüfung unterzogen worden, sei im Hinblick auf die zeitlichen Abläufe nicht plausibel, nachdem hierfür nur 13 volle Arbeitstage zur Verfügung gestanden hätten. Nicht nur angesichts der hohen Komplexität des Verfahrens erscheine es als nahezu ausgeschlossen, dass in dieser Zeit eine intensive Auseinandersetzung mit den angebotenen Kalkulationen stattgefunden habe. Die Aufklärung bei ihr belege nichts anderes.
- 178
(c) Das Umlaufkonzept sei wesentlicher Bestandteil der Kalkulationsgrundlagen. Es bestimme den Rahmen, wie die Fahrten nacheinander abzuwickeln seien, um den fahrplanmäßigen Betrieb zu ermöglichen. Der Umlaufplan sei daher nicht nur für die Einsatzplanung, sondern auch für die Kalkulation essenziell. Hier seien die Umlaufpläne von besonderer Bedeutung, weil bei dem innovativen Antriebskonzept der Akkuflotte die Vorgaben zum Energieverbrauch, zum Wenden und zum Nachladen theoretische Werte seien. Der Auftraggeber habe mitgeteilt, dass der „Musterumlauf“ nicht bindend sei, nicht exakt umgesetzt werden müsse, vielmehr durch kluge Umlaufplanung der wirtschaftliche Wettbewerb auch über eigene Umlaufpläne ausgetragen werden könne (ID ...), die dann nicht mit dem Angebot vorzulegen seien (ID ...). Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Zuschlagsprätendenten diesen „Aufruf“ zum Anlass genommen hätten, ein besonders ambitioniertes Umlaufkonzept zu erstellen, um so Kosten zu senken und einen Wettbewerbsvorsprung zu generieren. Der Auftraggeber müsse die Umlaufplanung jedoch zumindest auf Plausibilität prüfen, das Umlaufkonzept müsse fahrbar sein.
- 179
Die Stellungnahme der Antragsgegner, sie hätten eine solche Prüfung durchgeführt und etwaige Abweichungen zum Musterumlauf, die sich aus den Mengenansätzen ergeben hätten, aufgeklärt, sei aufgrund ihrer Pauschalität kaum einlassungsfähig. Die Antragsgegner ließen offen, welche Art von Mengenansätzen in diesem Kontext gemeint sei. Der Vortrag zeige, dass eine tief gehende Prüfung, ob mit den den Angeboten zugrunde liegenden Umlaufplänen die Verkehrsleistungen vertragsgemäß erbracht werden könnten, nicht erfolgt sei.
- 180
Der von den Antragsgegnern nach ihrer Darstellung durchgeführte Quervergleich mit den Musterumläufen sei jedenfalls untauglich, denn eine geschickte aber unzulässige Optimierung der Umläufe habe zu kalkulatorischen Vorteilen führen können, die aufgrund fehlender Nachprüfbarkeit nicht hätten aufgedeckt werden können, wie sich am Beispiel des sich aus den Vergabeunterlagen ergebenden Verbots einer Durchbindung für bestimmte Strecken ergebe. Angesichts der Vielzahl der Rückfragen der Bieter zu diesem Thema sei von einem großen Klärungsbedarf der Bieter auszugehen; es sei nicht unwahrscheinlich, dass es insoweit zu kalkulatorischen Abweichungen gekommen sei, die nicht hinterfragt worden seien. Zudem habe ohne Vorlage der Umlaufpläne auch das vom Bieter einzureichende Personalkonzept (B3 der Vergabebedingungen), das unmittelbar mit den Laufplänen korreliere, nicht überprüft werden können.
- 181
(d) Es bestehe die Sorge, dass die Zuschlagsprätendenten Kostenansätze für das Personal angeboten hätten, die die tatsächlichen Kosten nicht ordnungsgemäß abbildeten. Das gelte insbesondere für die kostenintensive Funktionsausbildung der Lokführer. Die Ausbildungskosten seien vor allem deshalb erheblich, weil die Lokführer sowohl für die Dieselfahrzeuge der Transferflotte als auch für die Akkufahrzeuge auszubilden seien. Während sie auf ihr Bestandspersonal aufbauen könne, müssten andere Bieter erhebliche Vorlaufkosten einkalkulieren. Unterschiede bei den Personalkosten könnten tarifvertraglich bedingt sein, ein erheblicher Faktor sei jedoch die Quantität, also die Anzahl der vorgesehenen Mitarbeiter. Die Mengenansätze müssten den Personalkonzepten zu entnehmen sein und über alle Bieter hinweg nahezu identisch sein, weil der Fahrplan vorgegeben sei. Sollte es bei einem Bieter zu Abweichungen im Mengengerüst gekommen sein, wäre das ein Indiz für eine fehlerhafte Personalplanung und einen unzureichenden Personalansatz, was sich unmittelbar die Kalkulation auswirken würde. Das hätten die Antragsgegner prüfen und aufklären müssen.
- 182
(e) Angesichts der Verfahrensgestaltung bestehe Grund zur Sorge, dass es zu unzulässigen Kostenverschiebung bei den Fixkostenpositionen gekommen sei. Aufgrund des gewählten Bereitstellungsmodells sei ein erheblicher Teil der Kosten vorgegeben, auf den die Bieter allenfalls minimal Einfluss hätten. Diese Kosten seien neutral in die Kalkulation eingepreist worden, weil sie trotz der fehlenden Beeinflussbarkeit Bestandteil des Wertungspreises und damit wertungsrelevant gewesen seien. Es besteht die Möglichkeit, dass Bieter unzulässige wertungsoptimierende Abpreisungen dieser vorgegebenen Kostenblöcke in ihrer Kalkulation vorgenommen hätten.
- 183
(f) Es gebe nach dem Verkehrsvertrag wertungsrelevante Optionen, etwa hinsichtlich der Erhöhung der Zugbegleiterquote nach Ziffer 2.2.9 des Verkehrsvertrages (W.5 Wertungsschema), die Option zur Änderung der Fahrzeuganzahl gemäß Ziffer 2.2.7 des Verkehrsvertrages (W.6 Wertungsschema) und die Option zur Beauftragung des EVU mit Leistungen des Abovertriebes (W. 7 Wertungsschema). Sie habe gerügt, dass Bieter darauf spekuliert haben könnten, dass die Optionen nicht gezogen würden und deshalb spekulativ einen besonders niedrigen Kostenansatz angeboten und sich hierdurch einen entscheidenden Vorsprung verschafft hätten. Diese Rüge hätten die Antragsgegner weder in der Rügeerwiderung noch im Nachprüfungsverfahren beantwortet.
- 184
b) Die Angebotswertung können keinen Bestand haben, weil nicht sichergestellt sei, dass die Angebote hinreichend vergleichbar seien. Nachdem die Antragsgegner es den Bietern überlassen hätten, die Umlaufpläne selbst zu konzeptionieren und den Wettbewerb auch hierüber auszutragen, aber nur der Preis wertungsrelevant sei, hätten die Antragsgegner die gebotene Vergleichbarkeit der Angebote nach § 97 Abs. 1, 2 GWB - dem Ausgehen der Bieter von einheitlichen Kalkulationsgrundlagen - nur bei Vorlage und Prüfung der Umlaufpläne der Bieter feststellen können, was sie versäumt hätten. Der Einwand der Antragsgegner, die „planerischen Freiheiten“ der Bieter würden durch Fahrplanvorgaben und Mindestwendezeiten hinreichend konkretisiert, so dass die Vergleichbarkeit der Angebote gewährleistet sei, überzeuge nicht. Diese „Konkretisierung“ des Leistungsgegenstandes sei schon deshalb untauglich, weil das Betriebskonzept der Antragsgegner einschließlich des Musterumlaufes auf dem Herstellerumlauf beruhe, der - wie die zahlreichen Bieterfragen deutlich machten - von den Bietern kritisch gesehen worden sei. Das für die Kalkulation und die Erfüllbarkeit der Leistungszusagen zentrale Betriebskonzept habe nicht auf Plausibilität und Realisierbarkeit geprüft werden können, wenn keine Umlaufpläne vorgelegen hätten.
- 185
c) Die in Ziffer 5.5 der Vergabebedingungen genannten nicht wertungsrelevanten Konzepte seien Anlagen zum Angebot und würden Vertragsbestandteil. Sie bestimmten daher den Leistungsumfang mit, seien aber nicht Teil der Angebotswertung; einziges Zuschlagskriterien sei der Preis, qualitative Ansätze würden nicht gewertet, dies auch nicht über fiktive Abzugsbeträge. Diese Verfahrensgestaltung verstoße gegen § 127 Abs. 1 Satz 3 GWB, wonach sich das wirtschaftlichste Angebot nach dem besten Preis-Leistung-Verhältnis bestimme. Nach Satz 4 könnten daneben auch qualitative Aspekte berücksichtigt werden. Es sei dem Auftraggeber überlassen, ob er die Angebotswertung auf eine reine Preiswertung gründen wolle oder auch qualitative Aspekte berücksichtigt werden sollten. Der Auftraggeber müsse sich aber entscheiden. Er dürfe keine reine Preiswertung durchführen, wenn er gleichzeitig Konzepte abfrage, die zu unterschiedlichen Leistungsbildern führten. Insofern bilde der hier ermittelte Wertungspreis das „beste Preis-Leistung-Verhältnis“ im Sinne des § 127 Abs. 1 Satz 3 GWB nicht ab, weil die Unterschiede in der Leistungsqualität keine Berücksichtigung fänden. Nach den Erläuterungen in den Vergabebedingungen hätten in den Konzepten Möglichkeiten für eine Über-/Bessererfüllung der Leistungsvorgaben beschrieben werden sollen. Das sei etwa im Hinblick auf das Konzept für die Kieler Woche (B 1) der Fall: So sei dort darzustellen, welche Möglichkeiten der Bieter habe, zusätzliche Angebotskapazitäten zur Verfügung zu stellen und er habe darzulegen, auf welche anderen Personenzüge er während der Kieler Woche Zugriff habe oder erlangen könne. Hier gehe es um den Nachweis der Möglichkeit der Übererfüllung der vertraglichen Leistungspflichten.
- 186
Auch beim Vertriebskonzept (B4) seien „Angaben zu den vorgesehenen Fahrkartenautomaten“ und zu „Rückfallebenen für den Fall von gestörten Fahrkartenautomaten“ zu machen sowie zu „weiteren vorgesehenen Services“. Qualität und Quantität der Vertriebsbemühungen könnten sich zwischen den Bietern erheblich unterscheiden. Hierfür spreche auch der Umstand, dass die Antragsgegner jedenfalls bei der Antragstellerin Fragen zu den Konzepten gestellt und um ergänzende Angaben zu Leistungen gebeten hätten, die über die Erfüllung von Mindestbedingungen zweifellos hinausgingen, wie etwa die Frage, ob und in welchem Umfang die Antragstellerin Reservefahrausweisautomaten für die streitgegenständlichen Leistungen vorhalten werde. Derartige Angaben seien aber nicht bewertet worden.
- 187
d) Die beabsichtigte Auftragsvergabe an die Beigeladene zu 2) sei rechtswidrig, weil diese weder über die geforderte technische und berufliche Leistungsfähigkeit noch die erforderliche wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit verfüge.
- 188
aa) Die Beigeladene zu 2) habe trotz mehrerer Nachforderungs- und Nachlieferungsversuche ihre technische und berufliche Eignung nicht nachgewiesen, was die Akteneinsicht ergeben habe. Zu Unrecht habe die Vergabekammer die eigenwirtschaftliche Referenz über die A. nach S. berücksichtigt und die Eignungsleihe zugelassen. Vielmehr sei die Beigeladene zu 2) mangels Eignung zwingend vom Verfahren auszuschließen.
- 189
Zu Unrecht habe sich die Vergabekammer auf den Standpunkt gestellt, die Bewerbungsbedingungen erforderten keinen öffentlichen Dienstleistungsauftrag, es sei eine weite Auslegung beabsichtigt gewesen, um Newcomern den Marktzutritt zu erleichtern. Tatsächlich seien die Antragsgegner in der Eignungsprüfung noch davon ausgegangen, dass es sich bei der Referenz der Beigeladenen zu 2) nicht um einen Dienstleistungsauftrag im Sinne der Bewerbungsbedingungen handele.
- 190
Nach der vorzunehmenden Auslegung der Auftragsbekanntmachung aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen fachkundigen Bieters sei von einem öffentlichen Dienstleistungsauftrag auszugehen: Gegenstand des Vergabeverfahrens sei ein Auftrag über die Erbringung von gemeinwirtschaftlichen Verkehrsleistungen im Schienenpersonennahverkehr im Sinne des Art. 2 lit. L) VO (EG)1370/2007. Der konkrete Auftragsgegenstand bilde die Grundlage für das Verständnis und die Auslegung der Vergabeunterlagen. Daher könne die Formulierung „Dienstleistungsauftrag im SPNV“ von einem durchschnittlich fachkundigen Bieter aus dem angesprochenen Bieterkreis nur dahingehend verstanden werden, dass eine Referenz über einen Dienstleistungsauftrag im vergaberechtlichen Sinne vorzulegen sei, mithin über einem von einem öffentlichen Auftraggeber vergebenen Dienstleistungsauftrag.
- 191
Neben dem Ausschreibungskontext, nach dem ein öffentlicher Dienstleistungsauftrag im Sinne der VO (EG) Nr. 1370/2007 vergeben werden solle, spreche hierfür auch der Begriff „Dienstleistungsauftrag“. Dies sei entgegen der Auffassung von Vergabekammer und Antragsgegnern ein rein vergaberechtlicher Terminus. Ein Dienstleistungsauftrag sei ein öffentlicher Auftrag nach § 103 Abs. 1 GWB, der in § 103 Abs. 4 GWB legaldefiniert werde und zwar als „Dienstleistungsauftrag“ und nicht als „öffentlicher Dienstleistungsauftrag“. Der Dienstleistungsauftrag setze denklogisch ein Vertragsverhältnis mit einem öffentlichen Auftraggeber voraus. Das Zivilrecht kenne den Begriff des Dienstleistungsauftrages nicht, § 611 BGB sehe den Dienstvertrag vor, § 662 BGB den Auftrag.
- 192
Die Erbringung eines eigenwirtschaftlichen Verkehrs sei kein Dienstleistungsauftrag im Sinne der Bewerbungsbedingungen. Bei eigenwirtschaftlichen Verkehren beruhe die Tätigkeit des Verkehrsunternehmens nicht auf einer Beauftragung durch einen öffentlichen Auftraggeber, sondern auf dem wirtschaftlichen Handeln des Verkehrsunternehmens, ein Vertragsverhältnis werde nicht begründet. Diese Tätigkeit unterliege aufgrund des gewerberechtlichen Erlaubnisvorbehalts lediglich einer verwaltungsrechtlichen Genehmigungspflicht.
- 193
Nach der Bekanntmachung seien eine Reihe von Referenzangaben zu machen gewesen (Erbringungszeitraum; Auftraggeber, Wert, Zug-Kilometer und Leistungsgegenstand), die nicht zu einer eigenwirtschaftlich erbrachten Verkehrsleistung passten. Die Beigeladene zu 2) sei angesichts ihres gegenüber Einzelpersonen und Firmen-/Stammkunden erbrachten eigenwirtschaftlichen Verkehrs nicht in der Lage gewesen, die Angaben in der Tabelle des Vordrucks 4 einzusetzen, was dazu geführt habe, dass sie Sonderkundenverträge mit Volumina von € 50 und € 63 angegeben habe.
- 194
Abwegig sei die Argumentation der Vergabekammer, das für den Dienstleistungsauftrag maßgebliche Vertragsverhältnis liege in der Beziehung zwischen dem Verkehrsunternehmen und dem einzelnen Nutzer, die ein Entgelt zahlten und Empfänger der Leistung seien. Der jeweilige Fahrgast schließe mit dem Verkehrsunternehmen keinen Dienstleistungsauftrag, sondern einen Beförderungsvertrag, mithin einen Werkvertrag im Sinne des § 631 BGB. Gegen die Auffassung der Kammer sprächen ferner die Anforderungen zu den Referenzangaben nach Ziffer 3.4 der Bewerbungsbedingungen, wonach die wesentlichen Dienstleistungen, der Auftraggeber, der Wert und die jährlichen Zug-Km-Leistungen anzugeben gewesen seien. Die Angabe der erbrachten Dienstleistung dürfte bei einem eigenwirtschaftlichen Verkehr nicht möglich sein, würden gegenüber den Fahrgästen doch Werkleistungen erbracht. Es gebe auch nicht den einen Auftraggeber, nach dem Verständnis der Vergabekammer müssten es tausende oder gar zehntausende von Auftraggebern sein. Es gäbe dann nicht eine Referenz über einen Dienstleistungsauftrag, sondern über zigtausende, was nicht richtig sein könne. Hieraus folge, dass die Vorlage einer Referenz über einen eigenwirtschaftlichen Verkehr nicht die Anforderung einer Referenz über einen Dienstleistungsauftrag erfülle. Die Referenz der Beigeladenen zu 2) dürfe daher nicht berücksichtigt werden.
- 195
Im Übrigen sei die Referenz über die Erbringung von eigenwirtschaftlichen Verkehrsleistungen auf der A. N.-W. mit dem streitgegenständlichen Auftrag nicht vergleichbar.
- 196
Die von der Beigeladenen zu 2) in der dritten Aufklärungsrunde am 30. Juni 2020 und damit nach Ablauf der Bewertungsfrist nachgeschobene Eignungsleihe dürfe nicht berücksichtigt werden. Es fehle bereits an einer Nachforderung der Antragsgegner. Das Nachforderungsrecht des Auftraggebers nach § 56 Abs. 2 VgV decke ein derartiges Nachschieben nicht ab, sei nach herrschender Meinung richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass der Bieter inhaltlich nachgebesserte Unterlagen nicht einreichen dürfe, lediglich Klarstellungen sollten vorgenommen oder offensichtliche sachliche Fehler behoben werden dürfen. Das Nachforderungsrecht finde seine Grenze, wo die Nachreichung zu einer Abänderung des Angebots führte. Der Bieter, der eine untaugliche Referenz durch eine andere Referenz ersetze oder ergänze, ändere sein Angebot ab.
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Die Antragsgegner hätten nicht beliebig oft aufklären oder nachfordern dürfen, bis der Bieter aus ihrer Sicht die Eignung zufriedenstellend nachgewiesen habe. Bereits die Auffassung der Kammer, die Ergänzung der Angaben in der EEE sei zulässig gewesen, sei zweifelhaft, nachdem die Antragsgegner die Beschränkung auf den Globalvermerk nicht zugelassen hätten. Nach den Ausfüllhinweisen in dem Formular stehe den Bietern diese Möglichkeit nur offen, wenn der Auftraggeber diese verkürzte Auskunftserteilung in der Auftragsbekanntmachung oder den Auftragsunterlagen ausdrücklich gestattet habe.
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Auch die eignungsleihende Konzerngesellschaft der Beigeladenen zu 2) habe als Referenz keinen öffentlichen Dienstleistungsauftrag angegeben. Im Übrigen stellte sich auch die Frage, welche Tätigkeiten diese gegenüber dem in der Referenz genannten Auftraggeber erbracht habe. Denn das gesamte operative Geschäft dürfte durch die B. GmbH abgewickelt worden sein. Ferner gehe weder aus der knappen Beschreibung im Vordruck 4 noch aus den Erläuterungen der Beigeladenen zu 2) im Schreiben vom 8. Juli 2020 hervor, welche Relationen konkret bedient worden sei, die Rede sei von Halten auf den Strecken H. – K. und A. – K. – B. - L. Es werde nicht deutlich, ob das eignungsgewährende Unternehmen die gesamte Strecke oder nur Teilstücke befahren haben wolle. Hier hätten die Antragsgegner Zweifel an der Referenz haben müssen.
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Ferner habe bei den geltend gemachten Verkehren keine Verkehrsleistung im Schienenpersonennahverkehr vorgelegen. Nach den Angaben im Vordruck 4 betreffe die Referenz die Strecken K. – H. und K. – H. – B. - L. Bereits die Darstellung dieser Relationen spreche prima facie gegen die Annahme von Schienenpersonennahverkehr im Sinne des § 2 Abs. 12 AEG („ein Verkehrsdienst, dessen Hauptzweck es ist, die Verkehrsbedürfnisse im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr abzudecken“). Bei der Beurteilung, ob eine Verkehrsleistung dem SPNV zugeordnet werden könne, sei zunächst danach zu fragen, welche Zweckbestimmung das jeweilige EVU seinen Zügen auf der Grundlage einer sachgerechten Prognose beimesse. Der Referenzgeber sehe sich nach eigener Darstellung als Anbieter von Fernverkehrsverbindungen (vgl. Qualitätsbericht 2018-2019: S. 3 „Fernzüge“ und S. 6 „Schienenpersonenfernverkehrsanbietern“). Das folge auch aus Ziffer 11.1 der AGB des Referenzgebers, wo es heiße: „Die Züge von ... sind grundsätzlich Züge des Fernverkehrs“. Hiernach diene das Angebot des Referenzgebers der Befriedigung der Verkehrsnachfrage im überregionalen Fernverkehr.
- 200
Nach § 2 Abs. 12 Satz 2 AEG sei im Zweifel anzunehmen, dass Hauptzweck des Verkehrsdienstes die Bedienung der Verkehrsbedürfnisse im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr ist, soweit die gesamte Reiseweite 50 Kilometer oder die gesamte Reisezeit eine Stunde in der Mehrzahl der Beförderungsfälle nicht übersteige. Abzustellen sei dabei nur auf die Reisedauer der Mehrheit der Fahrgäste eines Zuges sowie auf die Gesamtbeförderungsweite in allen während eines konkreten Beförderungsfalls benutzten Zügen. Konkrete Anhaltspunkte, die eine solche Annahme hier rechtfertigen könnten, seien nicht ersichtlich. Die im Schreiben der Beigeladenen zu 2) vom 8. Juli 2020 dargestellten Städtepaare könnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Verbindungen H. – K. sowie A. – H. – B. – L. keine regionalen Verkehrsbedürfnisse bedienten, sondern klassische Relationen des Fernverkehrs darstellten. Ob die Gesamtzahl der Fahrgäste die Züge für eine Gesamtreiseweite von max. 50 Kilometern bzw. die gesamte Reisezeit bei der Mehrzahl der Beförderungsfälle eine Stunde nicht übersteige, sei von der Beigeladenen zu 2) bzw. dem eignungsgewährenden Unternehmen nicht ansatzweise plausibel erläutert worden. Das Schreiben vom 8. Juli 2020 beinhalte insoweit lediglich einen sehr vagen Hinweis auf eine Auskunft des Referenzgebers, wonach ein „nicht unwesentlicher Teil“ der Reisenden auf den genannten Verbindungen im Nahverkehr befördert werde. Eine schlüssige Darlegung, dass die in § 2 Abs. 12 Satz 2 AEG genannten Grenzen nicht überschritten würden, fehle.
- 201
Daran ändere auch der Verweis auf das Schreiben des Ministeriums für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr des L. vom 2. September 2014 nichts. Zum einen richte sich das Schreiben an die damalige Betreiberin des HKX. Gegenstand der vorgelegten Referenz seien aber nicht nur die Verbindungen des HKX, sondern auch die Linie A. – L. Zum anderen handele es sich um eine Prognose aus dem Jahr 2014, die nur unter Annahme mehrerer Bedingungen (Umstellung Tarifsystem, Einführung weiterer Haltestelle) eine Mehrzahl von SPNV-Beförderungsfällen sehr knapp (52,03 %) attestiere. Zudem ergebe sich aus dem im Konjunktiv formulierten Schreiben, dass nach Auffassung des Ministeriums zum damaligen Status quo der Zweck des HKX die Erbringung von Leistungen im Schienenpersonenfernverkehr gewesen sei. Die beschriebenen Prognoseannahmen seien auch nicht eingetreten. Für die angekündigte Anwendung der Nahverkehrstarife hätte es des Beitritts der Gesellschaft zu den entsprechenden Verkehrsverbünden, wie etwa dem Verkehrsverbund ... und dem Verkehrsverbund ..., bedurft. Die Gesellschaft hätte an dem Einnahmenaufteilungsverfahren der Verbünde teilnehmen müssen. Einen entsprechenden Antrag auf Aufnahme habe es nach Kenntnis der Antragstellerin, die selbst oder durch verbundene Unternehmen in den entsprechenden Verkehrsverbünden vertreten sei, jedoch nicht gegeben. Auch der avisierte Halt in ... sei nie realisiert worden.
- 202
bb) Nach dem Ergebnis der erweiterten Akteneinsicht mangele es der Beigeladenen zu 2) auch an der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit, weshalb sie auszuschließen sei.
- 203
Die der Beigeladenen zu 2) von den Antragsgegnern eingeräumte Möglichkeit zur nachträglichen Änderung bzw. Ersetzung der EEE sei unzulässig, nachdem eine Beschränkung auf den Globalvermerk von den Antragsgegnern in der Auftragsbekanntmachung oder den Auftragsunterlagen nicht zugelassen worden sei. Die Beigeladene zu 2) habe die erforderlichen Angaben zur Eignung nicht gemacht, sondern durch einen Globalvermerk ersetzt. Der Fall einer fehlenden oder unvollständigen Unterlage nach § 56 Abs. 2 VgV liege hier nicht vor, eine Nachforderung scheide hiernach aus. Denn die Beigeladene zu 2) habe eine Erklärung abgegeben, diese sei jedoch nicht ausschreibungskonform gewesen.
- 204
Die Beigeladene zu 2) sei nach § 124 Abs. 1 Nr. 8 GWB auszuschließen, denn sie habe in ihrer EEE unter Nutzung des Globalvermerks erklärt, alle Eignungsanforderungen zu erfüllen, was im Hinblick auf die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit erwiesenermaßen unzutreffend sei, wie dem im Februar 2021 nachgereichten Jahresabschluss für 2018 entnommen werden könne. Die Beigeladene zu 2) habe offenbar gegenüber den Auftraggebern den unzutreffenden Eindruck vermitteln wollen, sie verfüge über die erforderliche Leistungsfähigkeit. Eine derartige Täuschung über die Erfüllung der Eignungsanforderungen müsse nach § 124 Nr. 8 GWB zum Ausschluss führen.
- 205
Zu Unrecht hätten die Antragsgegner die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit der Beigeladenen zu 2) bejaht. Denn nicht nur sie wirtschafte defizitär, sondern auch das eignungsgewährende Unternehmen.
- 206
e) Die Vergabeentscheidung sei auch deswegen rechtswidrig, weil der Konflikt zwischen Eignungsleihe und Selbstausführungsgebot im Hinblick (auch) auf das Angebot der Beigeladenen zu 2) von der Vergabestelle nicht aufgelöst worden sei. Die Möglichkeit der Eignungsleihe stehe bei der Vergabe von SPNV-Leistungen im Konflikt mit den Vorgaben der VO (EG) Nr. 1370/2007. Nach § 47 Abs. 1 Satz 3 VgV könne sich der Bieter nur auf die Referenzen anderer Unternehmer berufen, wenn diese die Leistung erbrächten, für die diese Kapazitäten benötigt würden, was voraussetze, dass diese als Unterauftragnehmer eingesetzt würden. Das sei für die hiesigen Verkehrsleistungen nach Art. 4 Abs. 7 Satz 2 der VO (EG) Nr. 1370/2007 unzulässig. Hiernach sei das Verkehrsunternehmen verpflichtet, einen bedeutenden Teil der öffentlichen Personennahverkehrsdienste selbst zu erbringen. Bedeutsam sei der Leistungsteil, wenn er ca. 20 - 30 % des Wertes der Dienste ausmache. Die nach dem Verkehrsvertrag binnen 90 Tagen nach dem Zuschlag vorzunehmende Übertragung des Vertrages auf eine Projektgesellschaft löse den Konflikt nicht auf. Vertragspartei werde mit dem Zuschlag der Bieter, also das EVU. Dieser halte alle Anteile an der Projektgesellschaft und bleibe auch nach der Übertragung in der Pflicht (vgl. 8.2.2 Abs. 7 Verkehrsvertrag zur Haftung für die Vertragserfüllung). Bieter und Projektgesellschaft müssten daher als Einheit betrachtet werden. Wenn es dem EVU nach Art. 4 Abs. 7 Satz 2 VO (EG) Nr. 1370/2007 verwehrt sei, die operativen Verkehrsleistungen fremd zu vergeben, dann könne für die Projektgesellschaft nichts anderes gelten. Ansonsten hätte der Auftraggeber es in der Hand, das unionsrechtlich angeordnete Selbstausführungsgebot durch die Einschaltung einer Projektgesellschaft zu umgehen.
- 207
Mit der Beschwerdebegründung hat die Antragstellerin zunächst beantragt:
- 208
1. die Entscheidung der Vergabekammer Schleswig-Holstein vom 01.04.2021, VK-SH 04/21, aufzuheben,
- 209
2. die Antragsgegner und Beschwerdegegner zu verpflichten, das Vergabeverfahren unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts fortzuführen,
- 211
4. die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin und Beschwerdeführerin für notwendig zu erklären,
- 212
5. den Antragsgegnern und Beschwerdegegnern die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen der Antragstellerin aufzuerlegen,
- 213
6. gemäß § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde bis zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde zu verlängern.
- 214
Nach dem Beschluss des Senats vom 5. Juli 2021 (Az. 54 Verg 4/21 und 54 Verg 5/21) über den Antrag nach § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB sowie den Antrag auf Akteneinsicht hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 25. August 2021 ihren Nachprüfungsantrag im Hinblick auf das Los Ost (Los 1) und das Los Ost-West (Los 3) zurückgenommen. Die Antragstellerin beantragt zuletzt:
- 215
1. die Entscheidung der Vergabekammer Schleswig-Holstein vom 01.04.2021, VK-SH 04/21, bezogen auf das Los Nord aufzuheben,
- 216
2. die Antragsgegner und Beschwerdegegner zu verpflichten, das Vergabeverfahren unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts fortzuführen,
- 217
3. die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin und Beschwerdeführerin für notwendig zu erklären,
- 218
5. den Antragsgegnern und Beschwerdegegnern die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen der Antragstellerin aufzuerlegen.
- 219
Die Antragsgegner beantragen,
- 220
die sofortige Beschwerde zurückzuweisen und der Antragstellerin im Hinblick auf den zurückgenommenen Teil die Kosten aufzuerlegen.
- 221
Die Beigeladene zu 2) beantragt,
- 222
die sofortige Beschwerde zurückzuweisen, soweit sie die vorgesehene Zuschlagserteilung an die Beigeladene zu 2) bei Los 2/Los Nord betrifft.
- 223
Die Beigeladene zu 1) hatte mit Anwaltsschriftsatz vom 27. Mai 2021 (Bl. 219 - 238 der Akte 54 Verg 4/21) für beide Verfahren (also auch das Verfahren 54 Verg 4/21) in der Sache vorgetragen und mit Schriftsatz vom 8. Juli 2021 (Bl. 256 d.A.) in dem hiesigen Verfahren den Antrag angekündigt:
- 224
Der Nachprüfungsantrag ist im Hinblick auf das Los Ost (Los Nr. 1 nach Maßgabe der Auftragsbekanntmachung vom 13. Mai 2020) zurückzuweisen
- 225
Die Beigeladene zu 3) hatte in beiden Verfahren (also auch in dem Verfahren 54 Verg 4/21) mit Schriftsatz vom 4. Mai 2021 ihre anwaltliche Vertretung angekündigt und mit Schriftsatz vom 12. Juli 2021 (Bl. 263 d.A.) in dem hiesigen Verfahren beantragt,
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die sofortige Beschwerde zurückzuweisen, soweit diese die beabsichtigte Erteilung des Zuschlags an die Beigeladene zu 3) in Los 3 (Los Ost-West) betrifft.
- 227
Die Antragsgegner treten dem Vorbringen der Beschwerde entgegen und führen u.a. aus:
- 228
Die sofortige Beschwerde müsse auch im Hinblick auf den von der Antragstellerin begehrten Ausschluss der Beigeladenen zu 2) ohne Erfolg bleiben.
- 229
Da die Antragstellerin für das Los Nord nur auf dem vierten Wertungsplatz liege, fehle ihr die für die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrages nach § 160 Abs. 2 GWB erforderliche Antragsbefugnis. Der insoweit erforderliche drohende Schaden durch eine Rechtsverletzung im Sinne des § 97 Abs. 6 GWB liege für die Antragstellerin nicht vor. Der Nachprüfungsantrag sei jedenfalls unbegründet, denn er könne nach § 168 Abs. 1 GWB in der Sache nur Erfolg haben, wenn der Antragsteller in seinen Rechten verletzt sei. Eine Rechtsverletzung scheide zwingend aus, wenn der Antragsteller bei einem Hinwegdenken des gerügten Vergaberechtsverstoßes den Zuschlag nicht erhalten würde. Stehe aus anderen Gründen, insbesondere der Wertungsreihenfolge fest, dass die Antragstellerin den Zuschlag nicht erhalten würde, drohe durch den angeblichen Vergabefehler keine Verletzung subjektiver Bieterrechte der Antragstellerin. Die Antragstellerin geriere sich dann als „Hüterin des objektiven Rechts“, wofür das vergaberechtliche Nachprüfungsverfahren keine Basis biete. Aus der bestehenden Wertungsreihenfolge, die von der Antragstellerin nicht angegriffen worden sei, folge die fehlende Rechtsverletzung der Antragstellerin.
- 230
Die Beigeladene zu 2) sei geeignet. Die Anforderung „Dienstleistungsauftrag im SPNV“ könne nicht mit „öffentlichem Dienstleistungsauftrag im SPNV“ gleichgesetzt werden. Die Vergabestelle habe formulierte Eignungskriterien bieterfreundlich auszulegen, Zweifel bei der Auslegung gingen zu Lasten der Vergabestelle. Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass auch der Bieter C die Anforderung an die Referenzen in den Vergabebedingungen entsprechend verstanden habe und als Referenz für die technische und berufliche Leistungsfähigkeit SPNV-Leistungen für einen privaten Auftraggeber angegeben. Die Auslegung der in der Bekanntmachung geforderten Referenzen „Dienstleistungsaufträge im SPNV“ ergebe, dass gerade keine öffentlichen Dienstleistungsaufträge gefordert gewesen seien. Dies folge bereits aus dem Wortlaut. Die Vergabestelle habe sich mit ihrer Formulierung an der Praxis in den vorausgegangenen Ausschreibungen zum Netz West (Ag 1) und dem E-Netz Ost (Ag 2) orientiert. Auch dort seien bei Referenzen zum Nachweis der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit explizit gefordert worden. Hätte die Antragsgegnerin eine Änderung ihrer bewusst wettbewerbsfreundlichen Festlegung der Eignungsanforderungen beabsichtigt, hätte dies deutlicher formuliert sein müssen. Insbesondere könne dies nicht aus einer vermeintlichen Gleichsetzung eines Dienstleistungsauftrages mit einem öffentlichen Dienstleistungsauftrag gerechtfertigt werden.
- 231
Entgegen der vom Senat in dem Beschluss vom 5. Juli 2021 geäußerten Auffassung sei der Begriff des „Dienstleistungsauftrages“ nicht ein lediglich im öffentlichen Vergaberecht verwendeter Begriff. Das deutsche Zivilrecht kenne typengemischte Verträge, ebenso sei es anerkannt, dass die Parteien in freier Selbstbestimmung einen Vertrag mit einer von Ihnen gewählten Bezeichnung versehen könnten. So sei hier vorgegangen worden, weil in dem ausgeschriebenen Verkehrsvertrag sowohl die Vertragstypen der Dienstleistung (Dienstvertrag) wie auch des Auftrages kombiniert worden seien. Die Wahl des Wortes „Dienstleistungsauftrag“ sei daher zivilrechtlich ohne weiteres möglich und im Übrigen auch üblich. Der Begriff des Dienstleistungsauftrages sei nach seiner Wortbedeutung nicht identisch mit dem des „ öffentlichen Dienstleistungsauftrages“. Eine Internetrecherche unter dem Begriff „Dienstleistungsauftrag“ ergebe, dass dieser Begriff im Rechtsverkehr auch für private Dienstleistungsaufträge verwendet werde (etwa für Reinigungs- und Dienstleistungsaufträge, Dienstleistungen im Heizungsbereich und im Bereich der Energieberatung).
- 232
Bei der Auslegung sei weiter zu berücksichtigen, dass es sich um eine europaweite Ausschreibung gehandelt habe und eine Auslegung unter Rückgriff auf das deutsche Zivilrecht hiernach nicht angängig sei, nachdem sich im deutschen Zivilrecht nicht auskennende Bieter bei der Auslegung der Vergabebedingungen nicht auf Vertragskategorien des BGB zurückgreifen würden. Nach dem Erwägungsgrund Nummer 27 zur Richtlinie 2014/24/EU werde bezogen auf Art. 5 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1370/2007 ausdrücklich zwischen Dienstleistungsaufträgen und öffentlichen Dienstleistungsaufträgen differenziert. Die Differenzierung mache deutlich, dass auch das europäische Recht den Begriff des Dienstleistungsauftrages nicht mit dem des öffentlichen Dienstleistungsauftrages gleichsetze. Es komme hinzu, dass der Begriff des öffentlichen Dienstleistungsauftrages im Kern kein vergaberechtlicher Begriff sei, sondern dem europäischen Beihilfe- und Marktzugangsrecht der VO 1370/2007 entstamme, einen Spezialbegriff des Marktzugangs- und Beihilferechts im öffentlichen Verkehr darstelle. Wie auch anhand der englisch- und französischsprachigen Mutterbegriffe deutlich werde, gehe es nicht um Dienstleistungsverträge in der vergaberechtlichen Logik in der Abgrenzung gegenüber Bau- und Lieferverträgen, sondern der Schwerpunkt des Begriffes liege auf einer Sicherstellung von Verkehrsleistungen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse der Mitgliedstaaten.
- 233
Die vom Senat vorgenommenen Rückschlüsse aus dem Leistungsgegenstand des zu vergebenen Auftrages seien nicht berechtigt. Es bestehe kein Zwang oder auch nur eine naheliegende Verbindung, dass ein öffentlicher Auftraggeber bei der Ausschreibung eines öffentlichen Auftrages als Referenzen nur Dienstleistungen berücksichtigen wolle, die der Bieter im Rahmen des öffentlichen Dienstleistungsauftrages erbracht habe. Für die Eignung eines Bieters komme es in erster Linie darauf an, wie die geforderten Leistungen fachlich erbracht worden seien und nicht darauf, ob der Vertrag seiner Rechtsnatur nach als öffentlicher Dienstleistungsauftrag einzuordnen sei oder nicht. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Hinweis des Senats auf Seite 77 des Beschlusses vom 5. Juli 2021, dass im Rahmen der Beschreibung der Eignungskriterien Erfahrungen genannt würden, die zur Durchführung der „hiesigen Leistungen im Schienenpersonennahverkehr“ in angemessener Qualität erforderlich seien. Eine Verbindung zu öffentlichen Dienstleistungsaufträgen werde hierdurch nicht hergestellt; diese Formulierung stelle auf Erfahrungen mit der Leistungsdurchführung und nicht etwa im Vertragsmanagement ab. Unerheblich für die Durchführung der „hiesigen Leistungen im Schienenpersonennahverkehr“ sei es, ob die Erfahrungen in öffentlichen oder sonstigen Dienstleistungsaufträgen gewonnen worden seien. In dieser Weise seien die Antragsgegnerin auch bei vorausgegangenen Ausschreibung im SPNV vorgegangen. Dementsprechend sei auch die Kritik des Senats unberechtigt, dass sich aus der Angabe des Erbringungszeitraums, des Auftraggebers, des Wertes, der Zug-Kilometerleistung sowie des Leistungsgegenstandes unmittelbar einleuchtend ergeben müsste, dass nur öffentliche Auftraggeber mit öffentlichen Dienstleistungsaufträgen gemeint sein könnten. Auch in diesem Zusammenhang finde sich bei der Bezeichnung des Auftragsgebers nicht die Begrenzung auf öffentliche Auftraggeber.
- 234
Das antragsgegnerische Land strebe wie auch der Vergangenheit an, möglichst viele Bieter für die Teilnahme an SPNV-Vergabeverfahren zu motivieren und dabei auch neu in den Markt eintreten Unternehmen zuzulassen, um dadurch den Wettbewerb zu stärken.
- 235
Vor diesem Hintergrund erfülle bereits die von der Beigeladenen zu 2) vorgelegte Referenz die notwendigen Anforderungen. Es komme hinzu, dass die hilfsweise im Wege der Eignungsleihe herangezogene Referenz nicht nur eine eigenwirtschaftlich betriebene Verbindung betreffe, sondern die Eignungsleiherin die Erbringung von SPNV-Leistungen für ein Privatunternehmen angeboten habe. Es handele sich zum Teil um Referenzen aus öffentlichen Dienstleistungsaufträgen aus dem Bereich des SPNV. Ein Ausschluss der Beigeladenen zu 2) komme hiernach nicht in Betracht.
- 236
Die wirtschaftliche und finanzielle Eignung der Beigeladenen zu 2) sei zu bejahen. Bei den Antragsgegnerinnen hätten zu keinem Zeitpunkt Zweifel an der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit des eignungsgewährenden Unternehmens bestanden. Sie hätten sich im Vergabeverfahren mit der Frage auseinandergesetzt, ob gegebenenfalls Korrekturen der im Jahresabschluss ausgewiesenen Werte vorzunehmen seien, zu diesem Zweck Einsicht in das Handelsregister (Anlage Ag 3) genommen und festgestellt, dass ein Ergebnisabführungsvertrag mit der H. nicht bestehe. Es sei daher sowohl gesellschaftsrechtlich als auch bilanzrechtlich ausgeschlossen, Verbindlichkeiten der H. oder ein in deren Jahresabschluss ausgewiesenes negatives Eigenkapital bei der Bewertung der Eigenkapitalausstattung des eignungsgewährenden Unternehmens zu berücksichtigen.
- 237
Die Beigeladene zu 2) führt im Wesentlichen aus:
- 238
Die sofortige Beschwerde sei aufgrund der chancenlosen Platzierung der Antragstellerin zurückzuweisen. Bei ihrem Ausschluss und Berücksichtigung der Besonderheiten der Loslimitierung hätte die Antragstellerin keine Chance, den Zuschlag zu erhalten. Der Nachprüfungsantrag sei damit schon unzulässig, jedenfalls aber unbegründet. Die Antragstellerin würde auch bei einer rechtswidrigen Zuschlagserteilung an sie nicht in ihren Rechten verletzt, da sie durch einen Ausschluss der Beigeladenen zu 2) keine Besserstellung erfahre.
- 239
Die von ihr vorgelegten Referenzen beträfen Dienstleistungsaufträge. Bei der Auslegung der EU-Bekanntmachung sei auf den objektiven Empfängerhorizont der möglichen Bieter abzustellen, wobei es entscheidend auf die Verständnismöglichkeit ankomme. Das bedeute, dass es nicht zwingend nur eine richtige Auslegung gebe, sondern eine Auslegung, die aus Bietersicht noch möglich und vertretbar sei, einem Bieter nicht zum Nachteil gereichen könne. Zweifel gingen zulasten der Vergabestelle.
- 240
Damit könne im Ergebnis nicht auf ein vergaberechtlich geprägtes Verständnis des Begriffs des „Dienstleistungsauftrags“ abgestellt werden. Bieter müssten über das für die Auftragsausführung relevante Fachwissen verfügen, nicht erforderlich sei aber, dass Bieter eine Vergabebekanntmachung unter Berücksichtigung etwa der Normierung in § 103 GWB auslegen müssten. Die Anforderung an die Bewerbungen müssen sich vielmehr aus sich heraus allein aus der Bekanntmachung bzw. den Vergabeunterlagen ergeben. Ohne ausdrückliche Vorgabe in der Bekanntmachung selbst sei eine einschränkende Auslegung nicht möglich. Fehle es diesbezüglich an eindeutigen Vorgaben, müssten etwa selbst bei der Ausschreibung von ÖPNV mit Bussen auch Busfernverkehrsleistungen als Referenz berücksichtigt werden (OLG Frankfurt, Beschluss vom 18. Juli 2017 - 11 Verg 7/17). Für eine demgegenüber einschränkende Auslegung nach dem Inhalt des abzuschließenden Vertrages sei vergaberechtlich kein Raum.
- 241
Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch werde der Begriff „Dienstleistungsauftrag“ auch für von Privatpersonen und Unternehmen der Privatwirtschaft vorgenommene Bestellungen einer Dienstleistung verwendet. Nach dem Duden sei ein Auftrag die „Bestellung (einer Ware oder Leistung)“. Im Duden werde die Dienstleistung als „Leistung, Arbeit in der Wirtschaft, die nicht unmittelbar der Produktion von Gütern dient“ beschrieben. Die Einschätzung, dass ein solcher Dienstleistungsauftrag nur von öffentlichen Auftraggebern erfolgen könne, ergebe sich demgegenüber allein bei Einnahme einer nicht nur juristischen, sondern darüber hinaus noch vergaberechtlich geprägten Sichtweise, worauf es für die Auslegung der Bekanntmachung aus der maßgeblichen Bieterperspektive nicht ankommen könne. Der Rückschluss auf einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag im Sinne von § 103 GWB sei nur für einen Vergaberechtler, nicht aber für den adressierten Interessentenkreis naheliegend. Die Bewerberanbieter seien nicht Adressaten des Vergaberechts. Dementsprechend bestehe eine Rügepflicht für erkennbare Vergaberechtverstöße nur bei auf allgemeiner Überzeugung der Vergabepraxis beruhenden und ins Auge fallenden Rechtsverstößen. Komme eine Rügeverpflichtung nur in Betracht, wenn ein Verstoß so offensichtlich sei, dass er einem verständigen Bieter bei der Vorbereitung seines Angebots bzw. seiner Bewerbung auffallen müsse, könnten erst recht bei der Auslegung der Vergabeunterlagen keine vergaberechtlichen Maßstäbe zugrunde gelegt werden, die nicht aus Bietersicht als bekannt vorausgesetzt werden müssten. Eine umfassende Kenntnis der am Vergabeverfahren zugrunde liegenden Vorschriften sei von den Bietern gerade nicht zu erwarten. Dementsprechend könne von den Bietern auch nicht erwartet werden, sich mit den Feinheiten der Begriffsdefinition in § 103 GWB auch im Verhältnis zu den zivilrechtlichen Standardverträgen zu beschäftigen. Das gelte auch vor dem Hintergrund, als der vergaberechtliche Begriff des Dienstleistungsauftrags auch Werkverträge umfasse, selbst für Juristen ein erklärungsbedürftiger Umstand darstelle. Es sei daher nach dem Wortlaut festzustellen, dass jeder Dienstleistungsauftrag - auch ein nicht-öffentlicher - ausreiche. Nach dem Wortlaut der Bekanntmachung fehle aus Sicht der Interessenten jede Grundlage, dass hier nur „öffentliche“ Dienstleistungen gemeint sein könnten.
- 242
Auch das Kartellvergaberecht rechtfertige keine Auslegung gegen den Wortlaut. So wie dem Begriff des Dienstleistungsauftrags nach § 103 Abs. 4 GWB eine Auffangfunktion zukomme, hätten die Interessenten davon ausgehen dürfen, dass an den Inhalt des nachzuweisen Dienstleistungsauftrags keine besonderen Anforderungen gestellt würden, solange ein fahrplanmäßig zu erbringender SPNV betroffen sei. Beim Durchschnittsbieter könne die Kenntnis von § 103 Abs. 4 GWB nicht vorausgesetzt werden. Selbst in Kenntnis dieser Vorschrift ergebe sich kein anderes Bild, da der Begriff des Dienstleistungsauftrages hierdurch nicht definiert werde, sondern die Vorschrift als Auffangnorm gelte. Für die Auslegung durch die Bieter seien auch die zivilrechtlichen Kategorien von Miet-, Dienst-, Geschäftsbesorgungs-, Werk- und gemischten Verträgen sowie Verträgen sui generis unerheblich. Ein verständiger Bieter kenne diese zivilrechtlichen Einordnungen wie auch die Definition des Dienstleistungsauftrags im Kartellvergaberecht nicht und müsse diese auch nicht kennen. Der Bieter sei verständig, wenn er die ausgeschriebene Leistung beherrsche und auf der Grundlage des vorrangig maßgeblichen Wortlauts zu einem vertretbaren Auslegungsergebnis einer Bekanntmachung gelange.
- 243
Auch wenn die Auftragsbekanntmachung die Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags betreffe, lasse sich wegen § 46 Abs. 3 Nr. 1 VgV nicht schlussfolgern, dass auch die Referenzen öffentliche Dienstleistungsaufträge beinhalten müssten. Sollte eine Beschränkung auf Referenzen für Leistungen öffentlicher Auftraggeber gewünscht sein, müsse der Auftraggeber diese ausdrücklich mitteilen, da sonst Referenzen, da es immer um die Vergabe eines öffentlichen Auftrags gehe, dann nur berücksichtigungsfähig wären, wenn sie von öffentlichen Auftraggebern stammten.
- 244
Nach der Vergabebekanntmachung sei es nicht erforderlich, dass es sich bei den Referenzaufträgen um öffentliche Dienstleistungsaufträge im Sinne der Verordnung (EG) 1370/2007 handele, auch wenn die streitgegenständliche Vergabe auf den Abschluss eines derartigen Vertrages gerichtet sei. Die Verordnung gelte nicht allgemein für Dienstleistungsaufträge im SPNV, sondern nach Art. 2 lit i) ausdrücklich nur für „öffentliche“ Dienstleistungsaufträge. Der Begriff des Dienstleistungsauftrags aus der Vergabebekanntmachung lasse sich nicht mit dem Begriff des öffentlichen Dienstleistungsauftrags im Sinne der Verordnung gleichsetzen, da die Verordnung nur den öffentlichen Dienstleistungsauftrag betreffe. Es gebe keinen Grund, etwa die von dem eignungsgewährenden Unternehmen für einen privaten Auftraggeber erbrachte SPNV-Leistung - auch wenn es sich zivilrechtlich im Kern um einen Werkvertrag handeln dürfte - nicht als Dienstleistungsauftrag zu bewerten.
- 245
Da die im SPNV erfahrenen Antragsgegner in der Auftragsbekanntmachung nicht auf „öffentliche“ Dienstleistungsaufträge abgestellt hätten, reiche auch jeder sonstige Dienstleistungsauftrag aus, sei es, dass Nutzer bzw. Gruppen von Nutzern die SPNV-Leistung bezahlten oder der SPNV in einem Nachunternehmerverhältnis für ein anderes Eisenbahnverkehrsunternehmen erbracht werde. Im Zweifelsfall sei auf eine wettbewerbsfreundliche Auslegungsvariante zurückzugreifen. Da Newcomer, die noch keine öffentlichen Dienstleistungsaufträge erbracht hätten, nach dem Wortlaut der Bekanntmachung nicht eindeutig ausgeschlossen seien, habe sie sich mit ihrer Referenz bewerben dürfen. Die Bestätigung dieses Auslegungsergebnisses durch Antragsgegner und Vergabekammer belege dessen Vertretbarkeit. Jedenfalls ein anderer Bieter habe ebenfalls eine Referenz eines privaten Auftraggebers vorgelegt, was ebenfalls für die Vertretbarkeit spreche. Wie Mitbieter die Vergabeunterlagen verstanden hätten, könne für die normativ zu bestimmende Verständnismöglichkeit des durchschnittlichen Bieters von indizieller Bedeutung sein.
- 246
Die nach der Bekanntmachung geforderten Einzelangaben zu den Referenzen sprächen nicht für das Erfordernis eines öffentlichen Dienstleistungsauftrages, sondern die Angaben zu Erbringungszeitraum, Auftraggeber, Wert, Zug-Kilometer sowie Leistungsgegenstand ließen sich auch bei eigenwirtschaftlichen Verkehrsleistungen und erst Recht bei SPNV-Leistungen in Nachunternehmerstellung zu einem anderen Eisenbahnverkehrsunternehmen beibringen. Der von ihr betriebene SPNV auf der Strecke N - W werde zu vorab festgelegten Bedingungen zugunsten auch der von ihr benannten Auftraggeber erbracht. Dass hierbei zwangsläufig die Auftragsvolumina und Zugkilometer für die einzelnen Auftraggeber für sich betrachtet recht niedrig ausfielen, stehe der Berücksichtigung als Dienstleistungsauftrag nicht entgegen. Mindestvorgaben habe es insoweit nicht gegeben. Unter Berücksichtigung des Gesamtumsatzes und der Gesamtzugkilometerstrecke könne nicht zweifelhaft sein, dass dieser fahrplanmäßig erbrachte SPNV geeignet sei, um ausreichende Erfahrungen mit Dienstleistungsaufträgen des SPNV zu belegen, auch wenn die benannten Auftragsverhältnisse für sich betrachtet sehr kleinteilig seien.
- 247
Allein maßgeblich für den Nachweis der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit sei die zugrunde liegende Dienstleistung, mithin der Leistungsinhalt des SPNV und nicht die vertragliche Beziehung als solche und die Frage, wer Vertragspartner sei. Aus Sicht der Nutzer und auch der tatsächlichen Durchführung des SPNV mache es keinen Unterschied, ob ein Verkehr eigenwirtschaftlich oder gemeinwirtschaftlich erbracht werde, da die Verkehrsleistung als solche identisch sei. Der einzige Unterschied zum gemeinwirtschaftlichen Verkehr sei, dass das Verkehrsaufkommen einen sich selbst tragenden Betrieb ermögliche. Im Übrigen habe sie bei ihrem eigenwirtschaftlichen Verkehr auch öffentliche Auftraggeber wie etwa die Gemeinde ... und die Gemeinde ... Wenn also auf eine Beauftragung durch öffentliche Auftraggeber abzustellen wäre, läge eine solche vor.
- 248
Für ein offenes Verständnis des Begriffs des Dienstleistungsauftrags sprächen auch die von Antragsgegnerseite im Rahmen des Teilnahmewettbewerbs getroffenen öffentlichen Aussagen, die sie zur Bewerbung motiviert hätten. Der Verkehrsminister des antragsgegnerischen Landes habe am 16. Januar 2019 im Wirtschaftsausschuss geäußert, dass er sich mehr Bieter wünschen würde, nachdem sich an einer dort betroffenen SPNV-Vergabe nur die hiesige Antragstellerin beteiligt hätte (Anlage BG-2(3). Der Pressemitteilung der N. vom 14. Mai 2020 (Anlage BG 2 (4) sei zu entnehmen: „Um das Vergabeverfahren auch für neue Bieter interessant zu machen, garantiert eine Loslimitierung, dass mindestens zwei verschiedene Verkehrsunternehmen einen Auftrag erhalten.“ Hiernach habe der Wettbewerb für neue Bieter geöffnet werden sollen. Dieser Eindruck werde bestätigt durch den Entwurf des landesweiten Nahverkehrsplans Schleswig-Holstein 2022 - 2027 in Ziffer 6.3 (Anlage BG 2(5). Eine Beschränkung dahingehend, dass als Referenz lediglich bereits durchgeführte öffentliche Dienstleistungen eingereicht werden dürften, hätte dieses Ziel konterkariert.
- 249
Jedenfalls wäre die im Rahmen der Eignungsleihe herangezogene Referenz zu berücksichtigen. Zwar liege auch hier kein öffentlicher Dienstleistungsauftrag vor. Die vom Senat für das vermeintliche Erfordernis eines öffentlichen Dienstleistungsauftrages angestellten Überlegungen griffen mit Blick auf die im Rahmen der Eignungsleihe in Anspruch genommene Referenz nicht. Das Vergaberecht sehe eine Beschränkung von Referenzen auf Leistungen zugunsten öffentlicher Auftraggeber grundsätzlich nicht vor. Aus der streitgegenständlichen Vergabebekanntmachung ließe sich eine solche Einschränkung allenfalls unter gekünstelten Auslegungsbemühungen herauslesen. Werde ein Unternehmen auf einer eigenwirtschaftlich betriebenen Strecke als Nachunternehmer tätig, unterscheide sich seine Stellung inhaltlich nicht von der eines Auftragnehmers im Falle eines öffentlichen Dienstleistungsauftrages. Der Verkehr sei vom Nachunternehmer ebenso wie auch vom Auftragnehmer bei einem öffentlichen Dienstleistungsauftrag gemäß Fahrplan zu den vereinbarten Qualitäten und sonstigen Konditionen zu erbringen. Die einzige Unterscheidung liege in der Natur des jeweiligen Auftraggebers, was einen bloß formalen Aspekt darstelle. Die vom Senat bei dem eigenwirtschaftlichen Verkehr auf der Strecke N - W vermeintlich ausgemachten Inkompatibilitäten hinsichtlich der für die Referenz beizubringenden Einzelangaben lägen bei einer SPNV-Erbringung als Nachunternehmer nicht vor. Dort seien - wie bei einem öffentlichen Dienstleistungsauftrag - Angaben zum Erbringungszeitraum, dem Auftraggeber, dem Wert, den Zug-Kilometerleistungen sowie dem Leistungsgegenstand möglich. Ein Argument, dass eine einschränkende Auslegung der Vorgaben der Bekanntmachung dem ersten Anschein nach maßgeblich stütze, greife hier nicht. Hier sei eine differenzierende Betrachtung zwingend.
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Es greife im Übrigen ein Erst-recht-Schluss: Erfülle eine Referenz als Nachunternehmerin eines eigenwirtschaftlich betriebenen SPNV die formalen und inhaltlichen Anforderungen der Vergabebekanntmachung, könne nichts anderes für die eigene Erbringung eines eigenwirtschaftlichen Verkehrs gelten. Es wäre widersprüchlich, den Nachunternehmerverkehr zuzulassen, die originär eigene Verkehrserbringung aber nicht.
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Als einzige Stütze für einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag verbleibe mit Blick auf eine Referenz aus einer Nachunternehmerstellung die von der Antragstellerin ins Spiel gebrachte vergaberechtlich geprägte Auslegung der EU-Bekanntmachung. Dieser entspreche jedoch nicht dem maßgeblichen Empfängerhorizont fachkundiger Eisenbahnverkehrsunternehmen, sondern stelle auf eine vergaberechtliche Perspektive ab, die gerade nicht die maßgebliche Auslegung eines verständigen Bieters darstellen müsse.
- 252
Sie habe ihren Teilnahmeantrag nicht inhaltlich nachträglich abgeändert, indem sie für die eignungsgewährende Konzerngesellschaft die Erklärungen nach Ziffer 3.4 Abs. 3 und 4 der Bewerbungsbedingungen nachgereicht habe. Dies sei auch bei enger Auslegung von § 56 Abs. 2 VgV gedeckt. Gleiches gelte, weil diese Referenz wegen der engen personellen Verflechtung mit der eignungsgewährenden Konzerngesellschaft ohnehin als eigene Referenz zuzurechnen sei. Hiervon unabhängig sei auch eine Korrektur einer fehlerhaften unternehmensbezogene Unterlage nach § 56 Abs. 2 VgV im Einklang mit den europarechtlichen Vorgaben zulässig.
- 253
Es handele sich bei der von dem eignungsgewährenden Unternehmen bereit gestellten Referenz um dessen Referenz. Aus den dem Senat vorliegenden Verträgen gehe eindeutig hervor, dass diese zwischen dem eignungsgewährenden Unternehmen und der Referenzgeberin geschlossen worden seien. Einen Zweifel hieran könnten auch die von der Antragstellerin angeführten Fundstellen aus Internetblogs nicht hervorrufen. Dass das eignungsleihende Unternehmen im Rahmen der Abwicklung auch auf die B. zurückgegriffen habe, stehe der Berücksichtigungsfähigkeit dieser Referenz nicht entgegen, da sie belege, dass das eignungsgewährende Unternehmen den betroffenen Verkehr in eigener Verantwortung gegenüber dem Vertragspartner ordnungsgemäß erbracht habe. Zu dem von der Antragstellerin angezweifelten Leistungsumfang werde auf § 2 des Zug-Partner-Vertrages verwiesen. Hieraus ergebe sich, dass das eignungsgewährende Unternehmen die volle Verantwortung für den Zugbetrieb, unter anderem die Fahrgastbeförderungsdienste einschließlich Zeitplanung, Standards, Zugpersonal und Fahrbetrieb, die Entwicklung und Umsetzung des Betriebskonzepts und etwa die Bereitstellung des Zugpersonals übernehme. Das eignungsgewährende Unternehmen habe damit umfassend Aufgaben übernommen, wie sie auch ein Auftragnehmer im Rahmen eines gemeinwirtschaftlichen Verkehrs übernehme.
- 254
Zweifel an ihrer wirtschaftlichen und finanziellen Eignung seien nicht berechtigt. Sie habe sich im Rahmen einer zulässigen Eignungsleihe auf die eignungsgewährende Konzerngesellschaft berufen und für diese wie auch für sich zunächst eine nach den Teilnahmebedingungen nicht ausgeschlossene EEE als Normalvermerk und auf Anforderung dann eine detaillierte EEE eingereicht. Aus letzterer ergebe sich, dass der geforderte Mindestjahresumsatz im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr und das geforderte Eigenkapital übererfüllt würden. Unabhängig davon, dass sich aus den Vergabeunterlagen ergeben habe, dass eine EEE mit Globalvermerk nicht ausreichen würde, sei eine Nachreichung unter Berücksichtigung von § 56 Abs 2 VgV als Vervollständigung der EEE mit Globalvermerk zulässig gewesen. Es sei hinsichtlich der finanziellen Lage der eignungsgewährenden Konzerngesellschaft unzutreffend, dass diese defizitär sei, ein Gewinnabführungsvertrag bestehe nicht.
- 255
Die Beigeladene zu 2) hat mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 3. September 2021 ergänzend vorgetragen. Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung bestand in entsprechender Anwendung von § 156 ZPO nach dem Inhalt des Schriftsatzes nicht.
II.
- 256
Nach der analog § 22 VwVfg statthaften (vgl. Steck in Ziekow/Völlink, aaO, § 178, Rn. 12) Rücknahme des Nachprüfungsantrages durch die Antragstellerin mit ihrem Schriftsatz vom 25. August 2021 im Hinblick auf die nach dem Beschluss des Senats vom 5. Juli 2021 über den Antrag der Antragstellerin nach § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB von den Antragsgegnern für das Los Ost an die Beigeladene zu 1) und dem AG 1 für das Los Ost-West an die Beigeladene zu 3) erteilten Zuschläge, war lediglich über die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen die Zurückweisung ihres Nachprüfungsantrages durch die Vergabekammer im Hinblick auf den von den Antragsgegnern beabsichtigten Zuschlag für das Los Nord (Los 1) zu an die Beigeladene zu 2) entscheiden.
- 257
Die in diesen Rahmen zu behandelnde sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 15. April 2021 gegen den Beschluss der Vergabekammer Schleswig-Holstein vom 1. April 2021 zum Los Nord ist nach § 172 Abs. 1 - 3 GWB zulässig, sie ist insbesondere innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des angefochtenen Beschlusses bei dem Vergabesenat erhoben, rechtzeitig begründet und durch einen Rechtsanwalt unterzeichnet worden.
- 258
Die auf die beabsichtigte Vergabe für das Los Nord bezogene sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist zum Teil begründet. Die sofortige Beschwerde ist begründet, soweit der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zulässig und begründet war.
- 259
Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist mit einem Großteil der erhobenen Rügen unzulässig (A).
- 260
Der Nachprüfungsantrag ist im Hinblick auf den von der Antragstellerin geltend gemachten Ausschluss der Beigeladenen zu 2) in Ermangelung der erforderlichen technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit der Beigeladenen zu 2) zulässig und begründet. Dies führt nach § 178 GWB zur Aufhebung der Entscheidung der Vergabekammer vom 1. April 2021 zum Los Nord und zu der Verpflichtung der Antragsgegner, das Vergabeverfahren zum Los Nord unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats fortzuführen (B).
- 261
A. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist teilweise unzulässig, wäre insoweit aber auch unbegründet
- 262
1) Zu Recht hat die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag im Hinblick auf mehrere von der Antragstellerin erhobene Rügen unter Hinweis auf deren nicht hinreichende Substantiierung als mangels Antragsbefugnis nach § 160 Abs. 2 GWB unzulässig zurückgewiesen. Jedenfalls wären die Rügen nicht begründet.
- 263
Nach § 160 Abs. 2 GWB hat der Antragsteller bei der Stellung des Nachprüfungsantrages darzulegen, dass er in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften verletzt ist und ihm dadurch ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht. Erforderlich ist, dass ein Unternehmen mit Interesse am Auftrag eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB schlüssig aufzeigt (BGH, Beschluss vom 31. Januar 2017 - X ZB 10/16, Rn. 12).
- 264
An die Substantiierung der Darlegung einer Rechtsverletzung durch den Antragsteller ist ein großzügiger Maßstab anzulegen. Gerade wenn der Bieter nur begrenzten Einblick in die Vorgänge haben kann, etwa weil es um die Sphäre eines Mitbewerbers geht, darf er im Nachprüfungsverfahren behaupten, was er auf der Grundlage seines Informationsstands redlicherweise - weil dafür objektive Anhaltspunkte vorliegen - für wahrscheinlich oder möglich halten darf. Er muss hierfür zumindest tatsächliche Anknüpfungstatsachen oder Indizien vortragen, die einen hinreichenden Verdacht auf einen bestimmten Vergaberechtsverstoß begründen. Der Antragsteller muss daher schon vor der Rüge zumutbare Erkenntnisquellen ausschöpfen und, um eine Überprüfung zu ermöglichen, angeben, woher seine Erkenntnisse stammen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15. Januar 2020, Verg 20/19, Rn. 56 bei juris; Senat, Beschluss vom 3. Juni 2020 - 54 Verg 1/20).
- 265
Pauschale Rügen oder Rügen ohne Substanz genügen diesen Anforderungen nicht. Denn wenn der Bieter Vergabeverstöße lediglich pauschal „ins Blaue hinein“ behauptet, geht es ihm in Wirklichkeit nicht um die Beseitigung konkreter Mängel, sondern darum, dass sich im Zuge der Bearbeitung der Rüge erst konkrete Anhaltspunkte für einen Vergabeverstoß erweisen. Dies ist nicht Sinn einer Rüge (vgl. OLG München, Beschluss vom 7. August 2007 - Verg 8/07 = BeckRS 2007, 16152; Dicks in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, Kommentar, 4. Aufl. 2020, § 160, Rn. 19). Beruft sich ein Bieter auf seine Branchen- oder Marktkenntnis, liegt keine bloße Behauptung ins Blaue hinein vor (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. April 2011, Verg 58/10, Rn. 53 f. bei juris; Senat, aaO). Nach diesen Maßstäben gilt zu den von der Antragstellerin geltend gemachten Rügen das Folgende:
- 266
a) Die Rüge der Antragstellerin, die Antragsgegner hätten gegen eine Verpflichtung zur Aufklärung nach § 60 VgV verstoßen, ist nicht hinreichend substantiiert und damit unzulässig. Erscheinen der Preis oder die Kosten eines Angebots im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig, verlangt der öffentliche Auftraggeber vom Bieter nach § 60 Abs. 1 VgV Aufklärung. Der Auftraggeber darf nach § 60 Abs. 3 Satz 3 VgV den Zuschlag auf ein Angebot ablehnen, dessen Preis in einem offenbaren Missverhältnis zur Leistung steht – es sei denn, der Auftraggeber kann die Höhe des angebotenen Preises zufriedenstellend aufklären. Nach der vom Senat geteilten neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 31. Januar 2017 - X ZB 10/16) ist § 60 Abs. 2 VgV unter gewissen Voraussetzungen bieterschützend; Mitbewerber haben dann einen Anspruch auf Durchführung einer Prüfung nach § 60 Abs. 2 VgV.
- 267
Nach der vom Senat geteilten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist für die Zulässigkeit eines auf § 160 Abs. 2 Satz 1 und 2 GWB gestützten Nachprüfungsantrags erforderlich, dass ein Unternehmen mit Interesse am Auftrag eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB schlüssig aufzeigt. Zu der schlüssigen Darlegung einer Rechtsverletzung bei dem Drohen des Zuschlags auf ein Angebot mit einem Preis, den der Antragsteller nach Maßgabe von § 60 Abs. 1 VgV für unangemessen niedrig hält, gehört die Darlegung die Unangemessenheit des Preises indizierender Umstände, wobei es sich hierbei regelmäßig um die Höhe des beanstandeten Preises und dessen Abstand zum nächstgünstigen Angebot handeln wird (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Januar 2017 - X ZB 10/16, Rn. 12, 13 f, 21).
- 268
Eine durch einen ungewöhnlich niedrigen Preis begründete Aufklärungsverpflichtung des Auftraggebers besteht nach der vom Senat geteilten Rechtsprechung der Vergabesenate erst bei Erreichen einer Aufgreifschwelle. Diese Aufgreifschwelle liegt nach der vom Senat geteilten Rechtsprechung der Vergabesenate der Oberlandesgerichte regelmäßig, sofern nicht besondere Umstände des Einzelfalls Aufklärungsbedarf auch bei einem geringeren Abstand begründen, bei einem Abstand von 20 % der Gesamtauftragssumme zum nächstplatzierten Bieter (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25. April 2012 - Verg 61/11; OLG München, Beschluss vom 25. September 2014 - Verg 10/14; OLG Düsseldorf, Beschluss vom VII Verg 17/17, juris Rn. 42; OLG Rostock, Beschluss vom 6. Februar 2019 - 17 Verg 6/18, juris Rn. 40 f.: Untergrenze von 20 % im Hinblick auf besondere Umstände, die auch bei geringeren Abständen im Einzelfall Aufklärungsbedarf indizieren könnten; bei einer Differenz von 30 % offen gelassen von: BGH, Beschluss vom 31. Januar 2017 - X ZB 10/16, Rn. 15). Maßgeblich ist der Gesamtpreis eines Angebots (vgl. Steck in: Ziekow/Völlink, aaO, § 60 VgV, Rn. 3; Lausen in: Beck'scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl. 2019, § 60 VgV, Rn. 7). Bezugspunkt ist das nächst höhere Angebot (100 %, vgl. Steck, aaO, § 60 VgV, Rn. 4).
- 269
Die insoweit darlegungsbelastete Antragstellerin hat die Voraussetzungen für eine Verletzung einer Aufklärungs- und Prüfungspflicht nach § 60 Abs. 1, 2 VgV durch die Antragsgegner nicht schlüssig darlegt:
- 270
Die Antragstellerin konkretisiert ihr Vorbringen zum Erreichen der Aufgreifschwelle nur für das Netz Ost. Bei der auch vom Senat als zutreffend erachteten Bezugsgröße „Gesamtpreis“ für die Ermittlung der Preisdifferenz liegt dort jedoch nur eine marginale, deutlich unter der Aufgreifschwelle liegende Differenz der Preise vor. Für das hier (noch) verfahrensgegenständliche Netz Nord fehlt es an Vorbringen der Antragstellerin zum Vorliegen der Aufgreifkriterien.
- 271
Jedenfalls fehlt es an der Begründetheit des Vorbringens der Antragstellerin zum Erfordernis einer Preisprüfung der Antragsgegner nach § 60 VgV; der Nachprüfungsantrag wäre insoweit unbegründet. Die Aufgreifschwelle nach § 60 VgV ist im Los Nord nicht erreicht. Dort liegen - wie die Antragsgegner und die Vergabekammer zutreffend ausgeführt haben und der Senat in der elektronischen Vergabeakte überprüft hat - die prozentualen Abstände zwischen dem nach dem Wertungspreis erstplazierten und dem darauf folgenden Angebot unter Berücksichtigung der Gesamtauftragssumme sehr deutlich unter 10 %. Selbst bei Herausrechnung der Infrastrukturkosten liegt der entsprechende Abstand bei dem Los Nord sehr deutlich unter 10 %.
- 272
Ob die unterhalb der Aufgreifschwelle liegenden Preisabstände nach den spekulativen Überlegungen der Antragstellerin durch Überoptimierung von Umlaufplänen, den Ansatz nicht auskömmlicher Personalkosten, wertungsoptimierende Abpreisungen in den Fixkostenblöcken oder einen zu niedrigen Kostenansatz bei Optionen zurückgeführt werden können, spielt im Rahmen des bieterschützenden Bereichs von § 60 Abs. 2 VgV keine Rolle. Die hierzu vorgetragenen Aspekte geben jedenfalls weder für sich noch in der Gesamtschau betrachtet Veranlassung zu der Einschätzung, dass hier besondere Umstände des Einzelfalls vorliegen, die einen Aufklärungsbedarf auf Seiten der Antragsgegner auch bei dem vorliegenden geringen Abstand zwischen den Angeboten zu begründen vermögen:
- 273
aa) Umlaufpläne
- 274
Die Umlaufpläne vermögen eine Aufgreifpflicht von vornherein nicht zu begründen. Die Antragstellerin zieht insoweit einen mit der Regelung des § 60 VgV nicht zu vereinbarenden Schluss. Sie will aus dem Umstand, dass aus einer näheren Prüfung nach ihrem Dafürhalten etwas folgen könnte, eine Pflicht entnehmen, eine derartige Prüfung durchzuführen. So ist die Vorschrift des § 60 VgV aber nicht aufgebaut. Zwar regelt § 60 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 VgV, dass die Prüfung die gewählten technischen Lösungen betreffen kann. Die Prüfung setzt aber gerade voraus, dass überhaupt Anlass besteht, von dem Bieter nach § 60 Abs. 1 VgV Aufklärung zu verlangen. Anlass nach § 60 Abs. 1 VgV besteht aber nur, wenn die Aufgreifschwelle erreicht wird. Die Sichtweise der Antragstellerin führte hingegen dazu, dass die Vergabestelle immer die Kalkulation überprüfen müsste, ohne dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 VgV erfüllt wären.
- 275
Überdies durfte die Vergabestelle die Umlaufpläne nicht zum Anlass nehmen, die Kalkulation der Angebote zu überprüfen. Im Ausgangspunkt waren von den Bietern keine Umlaufpläne vorzulegen, was die Antragsgegner in ihrer Antwort auf die Bieterfrage ID ... noch einmal ausdrücklich klargestellt hatte. Des Weiteren hat sie für den Fall, dass Umlaufpläne vorgelegt werden sollten, erklärt, sie nicht zu sanktionieren. In dieser Situation eröffnet § 60 Abs. 1 VgV von vornherein nicht die Möglichkeit, eine Prüfung des niedrigen Preises auf die Umlaufpläne zu stützen. Diese Möglichkeit hat die Vergabestelle mit der von ihr gewählten Verfahrensweise ausgeschlossen.
- 276
Und schließlich darf die Vergabestelle die Umlaufpläne nicht in der von der Beschwerde gewünschten Weise berücksichtigen, weil hierin eine Veränderung der Vergabeunterlagen läge. Die Vergabestelle beauftragt einen Erfolg; wie die Bieter diesen Erfolg erreichen, ist ihre Sache. In dieses Konzept fügen sich die von der Beschwerde angeführten Bieterinformationen ID ... und ID ... ein: Die Bieter sollen sich überlegen, wie sie den von ihnen geforderten Erfolg erreichen können und auf Basis dieser Überlegungen kalkulieren. Eine „Sanktionierung“ der Überlegungen der Bieter zu den Umläufen kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil diese einen Erfolg, die beauftragten Fahrten, schulden. Die Vergabestelle will und kann sich die Überlegungen der Bieter gerade nicht zu eigen machen. Hierin läge nämlich eine Veränderung der Vergabeunterlagen von einem geschuldeten Erfolg hin zu dem von dem jeweiligen Bieter erarbeiteten Konzept, diesen Erfolg zu erreichen.
- 277
Vor diesem Hintergrund gehen auch die Ausführungen der Beschwerde zur Vergleichbarkeit der Angebote an den Vorgaben der Vergabebedingungen vorbei: Die Antragstellerin will erreichen, dass die Antragsgegnerin die Vergabe an einem Umstand - den Umlaufplänen - ausrichtet, den sie ausdrücklich nicht berücksichtigen will und nach ihren eigenen Vorgaben auch nicht berücksichtigen darf.
- 278
bb) Personalkosten
- 279
Zur Aufgreifpflicht wegen der Personalkosten gilt das zu den Umlaufplänen Gesagte entsprechend. Die Vergabestelle muss zunächst einen ungewöhnlich niedrigen Preis feststellen, bevor sie die Gründe dieses Preises aufklären darf (vgl. § 60 Abs. 1 VgV). Sie darf nicht anlasslos zur Aufklärung von Einzelpositionen schreiten. Ob dies in dem von der Beschwerde zitierten Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf (Beschluss vom 17. Februar 2016 – VII-Verg 37/14, juris Rn. 36) im Einzelfall anders war, weil die Aufgreifschwelle erreicht war (vgl. OLG Düsseldorf, aaO juris Rn. 12), bedarf insoweit keiner Entscheidung. Einen von den vorstehenden Rechtssätzen abweichenden Rechtssatz stellt das Oberlandesgericht Düsseldorf in der zitierten Entscheidung nicht auf; es subsumiert vielmehr im Einzelfall.
- 280
Überdies trägt die Antragstellerin zu den Personalkosten ohnehin ins Blaue hinein vor. Ihre Auffassung, Mitbewerber könnten die Personalkosten nicht preisgünstiger kalkulieren als sie, ist ersichtlich irreal und durch nichts belegt. Allein in dem hiesigen Vergabeverfahren gibt es eine ganze Reihe im Ergebnis preisgünstigerer Angebote als diejenigen der Antragstellerin. Im Übrigen gibt es sowohl in Schleswig-Holstein als auch in anderen Bundesländern eine ganze Reihe anderer Unternehmen, die mit Dienstleistungen im Schienenpersonennahverkehr beauftragt worden sind. Das wäre nicht denkbar, wenn niemand preisgünstiger kalkulieren könnte als die Antragstellerin. Die Berufung auf eine Marktkenntnis erweist sich vor diesem Hintergrund als reines Scheinargument. Das weitere Vorbringen, Ausbildungskosten würden häufig zu niedrig angesetzt, erschöpft sich schon deshalb in reiner Spekulation, weil kein Bezug zum hiesigen Vergabeverfahren hergestellt wird.
- 281
cc) Fixkosten und Optionen
- 282
Im Hinblick auf Fixkosten und Optionen gilt das zum Aufgreifen bei den Umlaufplänen und den Personalkosten Gesagte entsprechend. Überdies sind die „Sorgen“ der Antragstellerin, Mitbewerber könnten besonders niedrig angeboten haben, rein spekulativ und durch nichts belegt.
- 283
dd) Ersatzverkehre
- 284
Die Ausführungen hierzu auf den Seiten 53 bis 56 der Beschwerdeschrift erschöpfen sich in Spekulationen und gipfeln in der Aussage, die Antragstellerin sei als Bestandsbetreiberin der Netze Nord und Ost „an ihre Schmerzgrenze“ gegangen (Seite 55), preisgünstigere Angebote seien nur so erklärbar, dass andere Bieter die komplexen Vorgaben in den Vergabeunterlagen nicht verstanden und deshalb die Berechnung des Mehraufwandes nicht ausschreibungskonform vorgenommen hätten. Hierzu wird auf die vorstehenden Ausführungen zu den Personalkosten Bezug genommen.
- 285
b) Auch die Rüge der Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Vergabeentscheidung im Hinblick auf einen nach Auffassung der Antragstellerin von den Antragsgegnern nicht aufgelösten Konflikt zwischen der von Bietern in Anspruch genommenen und in Ziffer 3.5 der Bewerbungsbedingungen zugelassenen Eignungsleihe für die technische und berufliche Leistungsfähigkeit und dem Selbstausführungsgebot nach Art. 4 Abs. 7 VO (EG) 1370/2007 ist nicht schlüssig dargelegt.
- 286
Nach Art. 4 Abs. 7 Satz 2 der VO Nr. 1370/2007 ist für den Fall, dass Unteraufträge vergeben werden, der mit der Verwaltung und Erbringung von öffentlichen Personenverkehrsdiensten nach Maßgabe dieser Verordnung betraute Betreiber verpflichtet, einen bedeutenden Teil der öffentlichen Personenverkehrsdienste selbst zu erbringen. Hiermit wird bezweckt, Betreiber von der Vergabe von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen auszuschließen, die den Betrieb der öffentlichen Personenverkehrsdienste nur pro forma erbringen (vgl. Zuck in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, VO (EG) 1370/2007 Art. 4, Rn. 47). Die Behörde hat bei der Festlegung der Unterauftragnehmerquote ein Ermessen, das bei einer Selbsterbringungsquote von 70 % nicht fehlerhaft ausgeübt worden ist (vgl. EuGH, Urteil vom 27. Oktober 2016 - C-292/15 = NZBau 2017, 48, 51 Rn. 55 ff.).
- 287
Hier führt die Inanspruchnahme einer Eignungsleihe durch die Bieter im Rahmen der Erbringung der Leistung nicht zur Beauftragung von Unterauftragnehmern durch die Bieter. Vielmehr sind die erfolgreichen Bieter nach Ziff. 1.3.6 der Bewerbungsbedingungen in Verbindung mit Ziff. 8.2.2 des Verkehrsvertrages verpflichtet, den Verkehrsvertrag spätestens 90 Tage nach Zuschlag auf eine Projektgesellschaft zu übertragen, die so mit finanziellen und sächlichen Mitteln auszustatten ist, dass sie die vertraglichen Verpflichtungen erfüllen kann. Die zu beauftragenden Personenverkehrsdienstleistungen sind mithin von einer von dem Bieter entsprechend auszustattenden Projektgesellschaft zu erbringen. Die Projektgesellschaft selbst darf in Übereinstimmung mit den Vorgaben in Art. 4 Abs. 7 VO (EG) 1370/2007 nach Ziffer 8.5.2 des Verkehrsvertrages „Nachunternehmer“ nur im Umfang von maximal 10 % der Leistung einsetzen. Diese Fremderbringungsquote ist nach Art. 4 Abs. 2 Satz 2 der VO 1370/2007 unproblematisch zulässig.
- 288
Zu diesem Gesichtspunkt fehlt im Übrigen jede nähere Darlegung in Nachprüfungsantrag und Beschwerde. Insbesondere fehlt jede Darlegung, dass die Antragsgegnerin ihr weites Ermessen, die Vergabe von Unteraufträgen zu beschränken oder zuzulassen (vgl. EuGH, Urteil vom 27. Oktober 2016 – C-292/15, Rn. 51 ff), mit den Regelungen in Ziffer 8.5.2. des Verkehrsvertrages fehlerhaft ausgeübt haben könnte.
- 289
2) Auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens nicht zu bestanden sind die Ausführungen der Vergabekammer zur Präklusion nach § 160 Abs. 2, 3 Nr. 3 GWB im Hinblick auf die Rüge zu dem Verfahren der Antragsgegner, die Umlaufpläne der Bieter nicht vorlegen zu lassen und zu prüfen, die Rüge, die Angebote seien hinsichtlich der Umlaufpläne nicht vergleichbar, die Rüge zu der Vorlage von nicht wertungsrelevanten Konzepten zu qualitativen Aspekten und die Rüge des Konflikts zwischen Eignungsleihe und Selbstausführungsgebot.
- 290
Soweit insoweit nicht bereits von einer Unzulässigkeit nach § 160 Abs. 2 GWB mangels Schlüssigkeit auszugehen sein sollte (s.o. 1), wäre jedenfalls eine Präklusion der Rügen nach § 160 Abs. 3 GWB anzunehmen.
- 291
Nach § 160 Abs. 2, Abs. 3 Nr. 3 GWB ist der Nachprüfungsantrag unzulässig, soweit Verstöße gegen Vergabevorschriften, die aufgrund der Bekanntmachung bzw. der Vergabeunterlagen erkennbar sind, nicht spätestens bis zum Ablauf der Frist zur Bewerbung oder zur Angebotsabgabe gegenüber dem Auftraggeber gerügt worden sind. Ob hiernach (geltend gemachte) Vergabeverstöße präkludiert sind, ist für jede erhobene Rüge eines Vergabeverstoßes gesondert zu prüfen (OLG Celle, Beschluss vom 31. Juli 2008 - 13 Verg 3/08, juris Rn. 23; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21. Oktober 2015 - VII-Verg 28/14, juris Rn. 24; Senat, Beschluss vom 22. Januar 2019 – 54 Verg 3/18, juris Rn. 69).
- 292
Die Erkennbarkeit ist dabei auf die einen Rechtsverstoß begründenden Tatsachen und deren rechtliche Bewertung als Vergaberechtsverstoß zu beziehen. Maßgeblich ist, ob der Verstoß gegen Vergabevorschriften aufgrund der Bekanntmachung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht dem durchschnittlich fachkundigen Bieter bei üblicher Sorgfalt erkennbar war und die Nichtfeststellung dieses Verstoßes insoweit vorwerfbar ist (vgl. EuGH, Urteil vom 12. März 2015 - C-538/13 „eVigilo“, Rn. 55, 58 = EuZW 2015, 391, 394).
- 293
Hiernach sind als vergaberechtswidrig Verstöße gegen Vergabevorschriften erkennbar, die sich auf eine allgemeine Überzeugung der Vergabepraxis gründen und gewissermaßen laienhaft und ohne Anwendung juristischen Sachverstands ins Auge fallen. Bei einem Durchschnittsbieter ist eine umfassende Kenntnis der vergaberechtlichen Literatur und Rechtsprechung nicht vorauszusetzen, insbesondere auch nicht im Einzelnen die Rechtsprechung zur Auslegung dieser Bestimmungen. Von Unternehmen, die sich an (europaweiten) Ausschreibungsverfahren beteiligen, ist jedoch zu erwarten, dass sie zumindest über einen aktuellen Text der einschlägigen Vergabe- und Vertragsordnung verfügen und auch wissen, welchen Mindestanforderungen die Bekanntmachung eines Auftrags im offenen Verfahren genügen müssen. Ein Vergaberechtsverstoß, der sich durch bloßes Lesen der einschlägigen Normen und einem Vergleich mit dem Text der Bekanntmachung und Vergabeunterlagen ohne Weiteres feststellen lässt, ist für jeden erkennbar, der über die intellektuellen Fähigkeiten verfügt, die notwendig sind, um ein Angebot zu erstellen oder ein Unternehmen zu leiten (vgl. Senat, Beschluss vom 22. Januar 2019 - 54 Verg 3/18 Rn. 47 f; OLG Sachsen-Anhalt, 7 Verg 6/16, juris Rn. 53 ff; OLG Frankfurt/Main, Beschluss vom 16. Februar 2015 - 11 Verg. 11/14, juris Rn. 61 f; 2. VK des Landes Hessen, Beschluss vom 15. Dezember 2014 - 69 d VK 36/2014, juris Rn. 57 f.; OLG Celle, Beschluss vom 16. Juni 2011 - 13 Verg 3/11; 2. Vergabekammer des Bundes, Beschluss vom 14. Januar 2014 - VK 2 - 118/13; OLG Thüringen, Beschluss vom 16. September 2013 - 9 Verg 3/13 - jeweils juris). Es ist ein objektiver Maßstab anzulegen, wonach es darauf ankommt, ob ein sorgfältig handelnder Unternehmer, der mit den wichtigsten Regeln der öffentlichen Auftragsvergabe vertraut ist, den Wettbewerbsverstoß ohne besonderen Rechtsrat erkennen kann (Senat, Beschluss vom 12. November 2020 - 54 Verg 2/20, Senat, Beschluss vom 22. Januar 2019 - 54 Verg 3/18, Rn. 90 bei juris).
- 294
Nach diesen Maßstäben waren die eingangs aufgeführten und nunmehr von der Antragstellerin gerügten Umstände für einen durchschnittlichen, mit Vergabeverfahren vertrauten Bieter erkennbar. Selbst wenn man dies anders sähe, wären die Rügen jedenfalls nicht begründet. Im Einzelnen:
- 295
a) Umlaufpläne
- 296
Zu Recht hat die Vergabekammer den von der Antragstellerin gerügten Vergaberechtsverstoß, die Umlaufpläne seien nicht auf Plausibilität und Realisierbarkeit geprüft, die Angebote deshalb nicht vergleichbar als bei Ablauf der Angebotsfrist erkennbar angesehen.
- 297
Die Bewertung der Erkennbarkeit aus den Vergabeunterlagen, dass keine Umlaufpläne eingereicht werden mussten, nimmt die Beschwerde hin (Seite 39). Auch soll die Verfahrensgestaltung ausdrücklich nicht angegriffen sein (Seite 39). Überdies ist dieser Aspekt in der Antwort auf die Bieterfrage ID ... noch einmal ausdrücklich klargestellt worden.
- 298
Soweit die Antragstellerin geltend macht, „es könne vergaberechtlich unzulässig sein, Angebote vergleichend zu werten und die Seriosität der Kalkulation zu überprüfen, wenn die Kalkulationsgrundlagen nicht offengelegt“ werde, weil „nicht per se jede Kalkulationsgrundlage offengelegt werden“ müsse, ist das schon sprachlich und logisch kaum nachzuvollziehen. Vor allem aber ist die Vergabestelle exakt so vorgegangen, wie es von der Antragstellerin - wohl - verlangt wird: Sie hat keine Umlaufpläne erfordert und diese dementsprechend nicht überprüft.
- 299
Soweit das Beschwerdevorbringen so zu verstehen sein sollte – „besonders ambitionierte Umlaufpläne“ (Seite 39) oder „auf einem realisierbaren Umlaufplan kalkuliert“ (Seite 40) -, dass die Vergabestelle die Kalkulation unter Zugrundelegung der Umlaufpläne überprüfen müsse, gilt zum einen das oben zu § 60 VgV Gesagte. Zum anderen hat die Vergabestelle das Verfahren aus den Vergabeunterlagen erkennbar so gestaltet, dass keine Umlaufpläne eingereicht werden mussten. Von diesem Verfahren darf sie im Nachhinein nicht abweichen. Soweit die Beschwerde das anders sieht, wendet sie sich letztlich gegen die Verfahrensgestaltung.
- 300
b) Konzepte: qualitative Aspekte
- 301
Die Beschwerde nimmt die Bewertung hin, dass sich bereits aus den Vergabeunterlagen die Abfrage von sich aus einzureichenden Konzepten folgenden qualitativen Aspekte ergibt, die nicht in die Angebotswertung einfließen (Seite 41). Gegen die entsprechenden Ausführungen der Vergabekammer (Beschluss vom 29. März 2021 – Seite 54) wendet sie sich nicht (länger).
- 302
Ohne Erfolg macht die Beschwerde geltend, es sei für die Antragstellerin nicht erkennbar gewesen, dass dieses Vorgehen vergaberechtswidrig sein könne. Das trifft nicht zu. Die rechtliche Erkennbarkeit ist nach den vorstehenden Grundsätzen zu bejahen, wenn bereits das Lesen der einschlägigen Vergabevorschrift auf einen Verstoß hindeutet. Es ist gerade nicht erforderlich, dass der Bieter den Verstoß gegen vergaberechtliche Vorschriften positiv erkennt. Hier deutet bereits die Lektüre der einschlägigen Vorschrift auf einen möglichen Verstoß hin.
- 303
Die Vorschrift, die durch die vorstehende Verfahrensgestaltung verletzt sein könnte, ist § 127 Abs. 1 GWB. Die Regelung des Zuschlags ist die zentrale und für jeden Bieter entscheidende Vorschrift jedes Vergabeverfahrens. Bereits durch das Lesen der Vorschrift des § 127 Abs. 1 GWB wird klar, dass nach dessen Satz 4 zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots neben dem Preis oder den Kosten auch qualitative, umweltbezogene oder soziale Aspekte berücksichtigt werden können. Vor diesem Hintergrund war es nicht nur erkennbar, sondern lag auf der Hand, dass die Vergabestelle qualitative Aspekte abfragt, die entgegen der nach § 127 Abs. 1 Satz 4 GWB eröffneten Möglichkeit nicht bei der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots berücksichtigt werden sollen. Die sich nach Lektüre der Vorschrift und dem vorstehenden Schluss aufdrängende Frage – „Geht das?“ – ist derart schlicht, dass sie von jedem Bieter erwartet werden kann.
- 304
c) Selbstausführungsgebot
- 305
Soweit das Vorbringen der Beschwerde so zu verstehen sein sollte, dass die Projektgesellschaft nach Ziff. 8.5.2 der Vergabebedingungen in einem Umfang Nachunternehmer beauftragen kann, der mit Art. 4 Abs. 7 Satz 2 der VO Nr. 1370/2007 nicht in Einklang steht, musste sich dies nach Lektüre der vorgenannten Norm, die allen Bietern, die im öffentlichen Personenverkehr (vgl. Art. 2 lit. a) der VO Nr. 1370/2007) tätig sind, bekannt ist, aufdrängen.
- 306
B. Soweit die Antragstellerin in ihrem Nachprüfungsantrag die mangelnde technische und berufliche Eignung der Beigeladenen zu 2) rügt, ist der Nachprüfungsantrag zulässig und begründet.
- 307
Insoweit ist der den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurückweisende Beschluss der Vergabekammer Schleswig-Holstein vom 1. April 2021 nach § 178 GWB aufzuheben und den Antragsgegnern aufzugeben, das Vergabeverfahren unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu der nicht nachgewiesenen technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit der Beigeladenen zu 2) fortzuführen. Im Einzelnen:
- 308
1) Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist insoweit nach den §§ 155, 160 f. GWB zulässig. Insbesondere ist die mit dem Nachprüfungsantrag der Antragstellerin geltend gemachte Rüge der Antragstellerin, die Beigeladene zu 2) sei nach § 57 Abs. 1 VgV auszuschließen, von der Vergabekammer zutreffend nicht als in Ermangelung der Antragsbefugnis der Antragstellerin nach § 160 Abs. 2 GWB unzulässig zurückgewiesen worden. Auch jetzt - nach der Erteilung der Zuschläge für die Netze Ost und Ost-West durch die Antragsgegner und nach der hierauf bezogenen teilweisen Rücknahme des Nachprüfungsantrages durch die Antragstellerin - kann die Antragsbefugnis der Antragstellerin nicht verneint werden.
- 309
Der Antragsteller muss nach § 160 Abs. 2 Satz 2 GWB darlegen, dass ihm durch die Verletzung des Vergaberechts ein Schaden entstanden ist oder ein solcher droht. Hierzu ist schlüssiger Vortrag des Antragstellers erforderlich, aus dem sich ergibt, dass gerade durch den gerügten Verstoß gegen Vergaberecht die Aussichten des Antragstellers auf eine Berücksichtigung seiner Bewerbung oder die Erteilung des Zuschlags beeinträchtigt sein kann; der Schaden muss daher grundsätzlich auf die Zuschlagschance bezogen sein. Das folgt aus der ratio legis der Antragsbefugnis, wonach nur solche Teilnehmer am Wettbewerb die Möglichkeit haben sollen, ein investitionshemmendes Nachprüfungsverfahren zu betreiben, die auch tatsächlich eine realistische Chance auf den Zuschlag haben. An die Darlegung sind keine übertriebenen Anforderungen zu stellen; es genügt, dass ein Schadenseintritt nicht offensichtlich ausgeschlossen ist. Die Chance, den Zuschlag zu erhalten, darf nicht gänzlich ausgeschlossen sein. Das Fehlen einer Zuschlagschance kann sich auch aus einem schlechten Rang des Angebots nach Durchführung der letzten Wertungsstufe ergeben, wenn es etwa aus Preisgründen so schlecht abgeschnitten hat, dass ein Zuschlag darauf unmöglich erscheint. Dies gilt allerdings nicht, wenn der Antragsteller gerade die Wertung, die Grundlage für seinen schlechten Rang ist, beanstandet (vgl. Burgi/Dreher in: Beck'scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl. 2017, § 160, Rn. 33 f., 39 mwN).
- 310
Die Antragsbefugnis fehlt der Antragstellerin im Hinblick auf den mit der Rüge geltend gemachten Ausschluss der Beigeladenen zu 2) nicht wegen der Bewertung ihrer Aussicht, bei einem Ausschluss der Beigeladenen zu 2) den Zuschlag für das Los Nord zu erhalten, wie dies von den Antragsgegnern und der Beigeladenen zu 2) geltend gemacht wird.
- 311
Zwar liegt die Antragstellerin auf Rang vier der Wertung für das Netz Nord (Los 1). Im Falle des von ihr geltend gemachten Ausschlusses der Beigeladenen zu 2) lägen noch zwei Mitbewerber, die Beigeladenen zu 1) und 3), vor ihr. Hier kann aber im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung nicht hinlänglich ausgeschlossen werden, dass die Antragstellerin bei einem Ausschluss der Beigeladenen zu 2) den Zuschlag für das Netz Nord erhalten könnte. Im Einzelnen:
- 312
Eine vor der Antragstellerin liegende Mitbewerberin, die Beigeladene zu 1), die zwischenzeitlich den Zuschlag für das Netz Ost erhalten hat, kann wegen der Zuschlagslimitierung nach Ziffer VI.3.3) der Auftragsbekanntmachung/Ziffer1.4 der Bewerbungsbedingungen für die Netze Nord und Ost den Zuschlag für das Netz Nord nicht mehr erhalten.
- 313
Mit ihrem Nachprüfungsantrag und ihrer sofortigen Beschwerde hatte die Antragstellerin ferner - in zulässiger Weise - den Ausschluss der weiteren vor ihr liegenden Mitbewerberin, der Beigeladenen zu 3), wegen der Berufung auf zwei Eignungsleiher für ihre wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit sowie wegen eines Beteiligungsverbots an dem Vergabeverfahren nach § 57 Abs. 1 VgV in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 b VO (EG) 1370/2007 geltend gemacht. Der Erklärung der Antragstellerin zu der Rücknahme ihres Nachprüfungsantrags im Hinblick auf die beabsichtigte Vergabe für die Lose Ost und Ost-West in dem Schriftsatz vom 25. August 2021 kann nicht entnommen werden, dass sie diese Rügen im Rahmen der Vergabe für das Los Nord zukünftig nicht mehr geltend machen wird: Ausgehend von dem wirtschaftlichen Interesse der Antragstellerin an der Erlangung des Zuschlags für das Los Nord kann nur das Gegenteil angenommen werden.
- 314
Sollte nach einem Ausschluss der Beigeladenen zu 2) von den Antragsgegnern ein Zuschlag für das Los Nord zugunsten der Beigeladenen zu 3) beabsichtigt werden, könnte die Antragstellerin diese - in dem vorliegenden Verfahren nach der teilweisen Rücknahme des Nachprüfungsantrages nicht zu bescheidenden - Rügen in einem erneuten Nachprüfungsantragsverfahren geltend machen. Darauf, ob die auf den Ausschluss der Beigeladenen zu 3) abzielenden Rügen begründet sind (vgl. die Ausführungen des Senats im Rahmen der summarischen Prüfung der Rechtslage im Beschluss vom 5. Juli 2021, Seiten 67 - 72 d.A.), kommt es im Rahmen der Prüfung der Antragsbefugnis nicht an, da Grundlage der Zulässigkeitsprüfung das in diesem Rahmen als richtig zu unterstellende Vorbringen des Antragstellers ist (vgl. Burgi/Dreher, aaO, Rn. 33). Das Ergebnis der Begründetheitsprüfung eines möglicherweise in der Zukunft geführten Nachprüfungsverfahrens kann hier nicht im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung vorweggenommen werden. Damit kann eine Chance der Antragstellerin auf den Zuschlag im Netz Nord nicht verneint werden.
- 315
2) Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist insoweit begründet, als die Antragstellerin die fehlende technische und berufliche Leistungsfähigkeit der Beigeladenen zu 2) geltend macht.
- 316
Ein Nachprüfungsantrag ist nach § 168 Abs. 1 Satz 1 GWB begründet, wenn der Antragsteller in seinen Rechten verletzt ist. Das ist der Fall, wenn nach § 97 Abs. 6 GWB bieterschützende Vorschriften zum Vergabeverfahren von dem Antragsgegner nicht eingehalten worden sind. Die Rechtsverletzung des Antragstellers ist eine Verletzung in Vergabeverfahrensrechten (vgl. Dreher in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Aufl. 2021, § 168, Rn. 18 ff.).
- 317
Nach § 42 Abs. 1 VgV überprüft der öffentliche Auftraggeber u.a. die Eignung der Bewerber oder Bieter anhand der nach § 122 des GWB festgelegten Eignungskriterien und das Nichtvorliegen von Ausschlussgründen nach den §§ 123 und 124 GWB und schließt gegebenenfalls Bewerber oder Bieter vom Vergabeverfahren aus. Nach § 122 Abs. 1, 2, 4 GWB werden öffentliche Aufträge an fachkundige und leistungsfähige (geeignete) Unternehmen vergeben, die nicht nach den §§ 123 oder 124 GWB ausgeschlossen worden sind, wobei die Eignungskriterien lediglich die Befähigung und Erlaubnis zur Berufsausübung, die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit und die technische und berufliche Leistungsfähigkeit betreffend dürfen und in der Auftragsbekanntmachung, der Vorinformation und der Aufforderung zur Interessensbetätigung aufzuführen sind. Gemäß § 57 VgV werden im Rahmen dieser Prüfung von der Wertung ausgeschlossen Angebote von Unternehmen, die die Eignungskriterien nicht erfüllen.
- 318
Die Beigeladene zu 2) hat die Erfüllung der Anforderungen der Antragsgegner zu der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit weder durch ihre Eigenreferenz noch durch die vorsorglich in Anspruch genommene Eignungsleihe nachgewiesen.
- 319
Denn es mangelt in beiden Fällen bereits an der Erfüllung der sich aus der Auftragsbekanntmachung im Wege der Auslegung nach den §§ 133, 157 BGB ergebenden Mindesteignungsanforderung eines während der letzten sechs Jahre erbrachten öffentlichen Dienstleistungsauftrages: Die Referenz der Beigeladenen zu 2) betrifft lediglich einen eigenwirtschaftlich erbrachten Verkehr, bei der vorsorglich im Wege der Eignungsleihe angeführten Referenz handelt es sich um eine Nachunternehmertätigkeit für den eigenwirtschaftlich erbrachten Verkehr einer Dritten. Hierzu gilt:
- 320
Für die Beantwortung der zwischen den Beteiligten umstrittenen Frage, ob mit dem Eignungserfordernis eines „Dienstleistungsauftrages im SPNV“ eine Referenz über einen „öffentlicher Dienstleistungsauftrag“ oder lediglich über einen „Dienstleistungsauftrag“ verlangt wird, ist die Eignungsanforderung in der Auftragsbekanntmachung auszulegen und sodann festzustellen, ob die Beigeladene zu 2) die Erfüllung der Anforderung für sich selbst oder über eine Eignungsleihe nachgewiesen hat.
- 321
Nach der vom Senat geteilten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müssen Vergabeunterlagen klar und verständlich sein und muss aus ihnen für die Bieter bzw. die Bewerber eindeutig und unmissverständlich hervorgehen, was von ihnen verlangt wird. Für die Frage, welcher Erklärungswert dem Inhalt von Vergabeunterlagen zukommt, ist nach den für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB zu entscheiden und dabei auf den objektiven Empfängerhorizont der potenziellen Bieter, also eines abstrakt bestimmten Adressatenkreises, abzustellen (BGH, Beschluss vom 7. Januar 2014 - X ZB 15/13, Rn. 31; BGH, Urteil vom 15. Januar 2013 - X ZR 155/10, Rn. 9; Senat, Beschluss vom 30. April 2015 - 1 Verg 7/14, Rn. 43). Entscheidend ist die Verständnismöglichkeit aus der Perspektive eines verständigen und mit der ausgeschriebenen Leistung vertrauten Unternehmens, das über das für eine Angebotsabgabe oder die Abgabe eines Teilnahmeantrags erforderliche Fachwissen verfügt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. März 2018 - VII Verg 52/17, juris Rn. 53).
- 322
Nach Ziff. III. 1.3) der Auftragsbekanntmachung ist die technische und berufliche Leistungsfähigkeit als gewährleistet anzusehen, wenn der Bieter über die Erfahrungen verfügt, die zur Durchführung der hiesigen Leistungen im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) in angemessener Qualität erforderlich sind. Die Bewerber hatten hiernach zum Beleg ihrer technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit mit dem Teilnahmeantrag Referenzen über früher ausgeführte Dienstleistungsaufträge im SPNV in Form einer Liste der in den letzten drei Jahren erbrachten wesentlichen Dienstleistungen, mit Angabe des Erbringungszeitraums, des Auftraggebers, des Wertes, der Zug-Kilometerleistung sowie des Leistungsgegenstandes vorzulegen. Dienstleistungsaufträge im SPNV mussten nicht in allen eben genannten Jahren erbracht worden sein, Referenzen über Dienstleistungsaufträge im SPNV, die mehr als drei Jahre, nicht jedoch mehr als sechs Jahre zurücklagen, würden berücksichtigt. Der Nachweis der Referenzen hatte durch eigene Erklärungen auf Vordruck für Anhang A.4.1 zu erfolgen. Durch diese Vorgabe und die abschließende Formulierung „Möglicherweise geforderte Mindeststandards: Vorlage einer Referenz über einen während der letzten 6 Jahre (nicht zwingend in allen Jahren) ausgeführten Dienstleistungsauftrag im SPNV“ haben die Antragsgegner nach der gemäß den §§ 133, 157 BGB vorzunehmenden Auslegung der Auftragsbekanntmachung als Mindestanforderung an die technische und berufliche Eignung die Durchführung eines öffentlichen Dienstleistungsauftrages innerhalb der letzten sechs Jahre aufgestellt. Im Einzelnen:
- 323
Die Auftragsbekanntmachung betrifft, was einem verständigen und fachkundigen Bieter bekannt ist, die Vergabe von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen im Sinne von Art. 2 i) der VO (EG) Nr. 1370/2007, wobei es sich nach der dortigen Legaldefinition um einen Akt handelt, der die Übereinkunft zwischen einer zuständigen Behörde und einem Betreiber eines öffentlichen Dienstes bekundet, diesen Betreiber eines öffentlichen Dienstes mit der Verwaltung und Erbringung von öffentlichen Verkehrsdiensten zu betrauen, die gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen unterliegen. Allerdings lässt § 46 Abs. 3 Nr. 1 VgV für öffentliche Aufträge ausdrücklich Referenzen privater und öffentlicher Auftraggeber zu, so dass die Art des Auftrages keinen zwingenden Rückschluss auf die Art der Referenz zulässt. Auch spricht der Wortlaut in III.1.3 der Auftragsbekanntmachung lediglich von einem „Dienstleistungsauftrag“ ohne den Zusatz „öffentlich“. Damit ergibt sich aus dem reinen Wortlaut eine Einschränkung auf einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag als Referenz nicht, ohne allerdings eine derartige Auslegung aus anderen Gesichtspunkten auszuschließen.
- 324
Die Einschränkung der Referenz auf einen „öffentlichen Dienstleistungsauftrag“ ergibt sich jedoch mit der für die Bieter gebotenen Eindeutigkeit aus einer Gesamtbetrachtung der Eignungsanforderungen, insbesondere unter Berücksichtigung des vergabespezifischen Sinngehalts der Angaben in der Auftragsbekanntmachung:
- 325
Zunächst ist der Begriff des Dienstleistungsauftrages ein lediglich im (öffentlichen) Vergaberecht verwendeter Rechtsbegriff, dem deutschen Zivilrecht ist er fremd. Im Zivilrecht gibt es etwa Mietverträge, Dienstverträge, Geschäftsbesorgungsverträge, Werkverträge und auch gemischttypische Verträge oder Verträge sui generis aber keine „Dienstleistungsaufträge“. Nach dem objektiven Bieterhorizont ist davon auszugehen, dass öffentliche Auftraggeber, die sich des formalisierten Vergabeverfahrens bedienen, Rechtsbegriffe dem rechtlichen Sinngehalt des maßgeblichen - hier des deutschen - Rechts entsprechend verwenden und hierbei nicht untechnische Begriffe zur Bezeichnung irgendeiner Dienstleistung verwenden. Dem von den Bietern herzustellenden Zusammenhang zum deutschen Recht steht nicht entgegen, dass der Auftrag europaweit ausgeschrieben worden ist. Denn der Auftrag unterliegt - wie jedem Bieter bewusst sein musste und worauf sich jeder Bieter einzurichten hat - dem deutschen Vergabe- und Zivilrecht.
- 326
Daher kann ein verständiger Bieter bereits vor dem Hintergrund des deutschen Zivil- und Vergaberechts im Kontext der Auftragsbekanntmachung unter dem Begriff des „Dienstleistungsauftrages“ lediglich einen Dienstleistungsauftrag im vergaberechtlichen Sinne, also einen von einem öffentlichen Auftraggeber erteilten Auftrag, verstehen. Öffentliche Aufträge sind nach § 103 Abs. 1 GWB entgeltliche Verträge zwischen öffentlichen Auftraggebern oder Sektorenauftraggebern und Unternehmen über die Beschaffung von Leistungen, die die Lieferung von Waren, die Ausführung von Bauleistungen oder die Erbringung von Dienstleistungen zum Gegenstand haben. Nach § 103 Abs. 4 GWB gelten als Dienstleistungsaufträge die Verträge über die Erbringung von Leistungen, die nicht unter die Absätze 2 und 3 (Lieferaufträge und Bauaufträge) fallen. Diesem Verständnis stehen entgegen der von den Antragsgegnern vertretenen Auffassung auch nicht die Ausführungen in dem 27. Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/24/EU entgegen; denn bei den dort genannten Dienstleistungsaufträgen und öffentlichen Dienstleistungsaufträgen „über öffentliche Personenverkehrsdienste mit Bussen und Straßenbahnen“ handelt es sich jeweils um öffentliche Aufträge im Sinne des § 103 Abs. 1 GWB, mithin um Verträge zwischen öffentlichen Auftraggebern und Unternehmen.
- 327
In diesem Lichte waren von einem verständigen Bieter auch die weiteren Angaben zu den Eignungsanforderungen in technischer und beruflicher Hinsicht dahingehend zu verstehen, dass sie sich auf einen Dienstleistungsauftrag im vergaberechtlichen Sinne, mithin gemeinwirtschaftlich, also für einen öffentlichen Auftraggeber erbrachte Schienenpersonennahverkehrsleistungen bezogen. Denn dort werden im Rahmen der Beschreibung der Eignungskriterien zunächst Erfahrungen genannt, die zur Durchführung der „hiesigen Leistungen im Schienenpersonennahverkehr“ in angemessener Qualität erforderlich sind, mithin wird dort auf die zukünftig gemeinwirtschaftlich zu erbringenden Leistungen Bezug genommen. Ferner sind nach den Vorgaben in der Auftragsbekanntmachung Referenzen über früher ausgeführte „Dienstleistungsaufträge im SPNV“ in Form einer Liste der „in den letzten drei Jahren erbrachten wesentlichen Dienstleistungen mit Angabe des Erbringungszeitraums, des Auftraggebers, des Wertes, der Zug-Kilometerleistung sowie des Leistungsgegenstandes“ anzugeben, was ebenfalls auf eine gemeinwirtschaftlich erbrachte Referenz hinweist.
- 328
Den Bietern musste unmittelbar einleuchten, dass die dort zum Beleg der Referenz gewünschten Angaben (des Erbringungszeitraums, des Auftraggebers, des Wertes, der Zug-Kilometerleistung sowie des Leistungsgegenstandes) nicht zu einer (wie von der Beigeladenen zu 2) eigenwirtschaftlich ausschließlich gegenüber einer Vielzahl von zahlenden Fahrgästen oder Sonderkunden wie Unternehmen und Körperschaften erbrachten Verkehrsleistung passten. Deutlich wird die mangelnde Übereinstimmung von Eignungsanforderungen und der (versuchten) Nachweisführung durch die Beigeladene zu 2) auch an den auf die Schreiben der Vergabestelle vom 25. und 26. Juni 2020 von der Beigeladenen zu 2) mit Schreiben vom 30. Juni 2020 vorgelegten im Vordruck 4 „Nachweis der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit“ vorgelegten Referenzen 1 - 3 für den Betrieb des A. zwischen N. und W. für das Jahr 2019, wobei es sich um Sonderkundenverträge mit zwei Gemeinden und einem Unternehmen handelt mit Auftragsvolumina von € 50,00, € 63,00 und € 14.947,22 jeweils für die Beförderung von Reisenden in ihren Fahrzeugen zwischen N. und W. und für alle Referenzen jeweils eine Zugkilometerleistung für 2019 von 228.930,5 angegeben wurde.
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Hier hätten nach dem Verständnis der Beigeladenen zu 2) alle Kunden, die eine Fahrkarte gekauft haben, angegeben werden können. Dass dies von dem Auftraggeber mit den Eignungsanforderungen nicht so gemeint sein konnte, musste sich jedem Bieter aufdrängen. Diese Inkompatibilität zwischen den Eignungsanforderungen in der Auftragsbekanntmachung und einem eigenwirtschaftlich erbrachten Verkehr ist auch der Vergabestelle bei Prüfung der Eignung der Beigeladenen zu 2) aufgefallen, weshalb sie sich am 7. Juli 2020 zu der Auslegung des Begriffs „Dienstleistungsauftrag“ juristisch hat beraten lassen.
- 330
Dieser Auslegung steht ferner auch nicht entgegen, dass die in dem Vordruck 4 verlangten Angaben zu Erbringungszeitraum, Auftraggeber, Wert, Zug-Kilometerleistung sowie Leistungsgegenstand der jeweiligen Referenz in der besonderen Konstellation eines Nachunternehmers des Betreibers eines eigenwirtschaftlichen Verkehrs durch den Nachunternehmer hätten gemacht werden können. Insoweit musste jedem Bieter einleuchten, dass die Zulassung eines Nachunternehmers bei fehlender Eignung eines eigenwirtschaftlichen Betriebes nicht vertretbar ist und im Übrigen angesichts der ausweislich der Auftragsbekanntmachung erforderlichen Vergleichbarkeit mit der zu vergebenden Leistung nicht nur der reine Betrieb, sondern auch der Ticketverkauf und die Kundenbetreuung von der Referenzleistung umfasst hätte sein müssen, was regelmäßig bei Nachunternehmern nicht der Fall ist.
- 331
Von dem Auslegungsergebnis eines „öffentlichen Dienstleistungsauftrages“ vertretbar abweichende Schlussfolgerungen konnten und durften die Bieter auch nicht aus dem Inhalt früherer Auftragsbekanntmachungen des antragsgegnerischen Landes, wo Referenzen privater Auftraggeber ausdrücklich zugelassen worden seien oder aus einer öffentlich verlautbarten Absicht des antragsgegnerischen Landes, durch niedrige Marktzutrittshindernisse Newcomer zu ermuntern, ziehen. Ersteres trifft schon mangels Vergleichbarkeit der Formulierungen in den Auftragsbekanntmachungen deshalb nicht zu, weil in den beiden von den Antragsgegnern angeführten Auftragsbekanntmachungen aus den Jahren 2014 und 2018 (Anlage Ag1 und Anlage Ag 2) als Referenzen keine Dienstleistungsaufträge verlangt wurden. Vielmehr waren nach dem dortigen - abweichenden - Wortlaut erforderlich „erbrachten Leistungen im Schienenpersonennahverkehr“ und es waren dort - anders als hier - ausdrücklich anzugeben „öffentliche oder private Auftraggeber“ (Auftragsbekanntmachung zum E-Netz Ost vom 25. Januar 2018, Anlage Ag 1, III.1.3; Auftragsbekanntmachung zum Netz West vom 27. Oktober 2014, Anlage Ag 2, III.2.3, Anlage Ag 2). Aus einer allgemeinen Verlautbarung des Landes, Wettbewerb durch niedriger Marktzutrittshindernisse zu ermöglichen, kann der objektive Bieter nicht auf eine weite Auslegung eines Rechtsbegriffs schließen, zumal durch die Möglichkeit, lediglich eine Referenz aus einem (langen) Sechsjahreszeitraum vorzulegen und durch die Loslimitierung der Marktzugang für die Wettbewerber der Antragstellerin bereits erweitert worden ist.
- 332
Dieser Auslegung steht schließlich nicht indiziell entgegen, dass nicht nur die Beigeladene zu 2) als Referenz einen eigenwirtschaftlich betriebenen Schienenverkehr angegeben hat, sondern auch der Bieter C nach einem öffentlichen Dienstleistungsauftrag als zweite Referenz eine Nachunternehmertätigkeit im Rahmen eines eigenwirtschaftlich betriebenen Schienenverkehrs aufgeführt hat. Angesichts von insgesamt neun Bietern auf die Vergabebekanntmachung, die das Eignungserfordernis von den angegebenen Ausnahmen abgesehen nach dem Inhalt ihrer Referenzen als „öffentlichen Dienstleistungsauftrag“ verstanden haben, erlaubt dieser Umstand nicht die Schlussfolgerung, dass nach dem objektiven Bieterhorizont kein „öffentlicher Dienstleistungsauftrag“ als Referenz verlangt wurde.
- 333
Auch die in dem Schreiben der Beigeladenen zu 2) vom 30. Juni 2020 erstmals für die technische und berufliche Leistungsfähigkeit in Anspruch genommene Eignungsleihe führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung des Eignungsnachweises durch die Beigeladene zu 2). Es kann offen bleiben, ob die Beigeladene zu 2) ihren Teilnahmeantrag nach Ablauf des in IV.2.2) der Auftragsbekanntmachung mitgeteilten Schlusstermins vom 10. Juni 2020 für den Eingang der Teilnahmeanträge insoweit noch abändern durfte. Denn auch bei der von dem eignungsgewährenden Unternehmen beigesteuerten Referenz des Betriebes von Zügen auf der eigenwirtschaftlich betriebenen Verbindung eines privaten Auftraggebers von K. nach H. und K. über H. und B. nach L. liegt nach den obigen Ausführungen ein öffentlicher Dienstleistungsauftrag nicht vor. Auf die Frage, ob es sich hierbei überhaupt um eine Leistung im Schienenpersonennahverkehr und angesichts der tatsächlichen Erbringung der Leistung durch ein Tochterunternehmen des eignungsgewährenden Unternehmens um eine Referenz des eignungsgewährenden Unternehmens handelt, kommt es hiernach nicht an.
- 334
3) Es kann hiernach auch offen bleiben, ob die Vergabestelle im Hinblick auf die wirtschaftliche und finanzielle Eignung der Beigeladenen zu 2) ihr Ermessen hinreichend ausgeübt hat oder diese in Ermangelung des Nachweises der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit hätte ausschließen müssen.
- 335
B. Kostenentscheidung für das Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer, für das hiesige Verfahren der sofortigen Beschwerde sowie für das Verfahren nach § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB (Aktenzeichen 54 Verg 4/21)
- 336
1) a) Nach § 182 Abs. 1, 2 GWB werden für Amtshandlungen der Vergabekammern Kosten (Gebühren und Auslagen) zur Deckung des Verwaltungsaufwandes erhoben, wobei das Verwaltungskostengesetz vom 23. Juni 1970 in der am 13. August 2013 geltenden Fassung anzuwenden ist und sich der Gebührenrahmen aus § 182 Abs. 2 GWB ergibt. Soweit ein Beteiligter im Verfahren unterliegt, hat er die Kosten zu tragen. Mehrere Kostenschuldner haften als Gesamtschuldner, § 182 Abs. 3 Satz 1, 2 GWB. Soweit ein Beteiligter im Nachprüfungsverfahren unterliegt, hat er die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners zu tragen. Hat sich der Nachprüfungsantrag durch Antragsrücknahme oder anderweitig erledigt, erfolgt die Entscheidung darüber, wer die Kosten der Vergabekammer und die notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners zu tragen hat, gemäß § 182 Abs. 3 Satz 5, Abs. 4 Satz 3 GWB nach billigem Ermessen. Bei einer Antragsrücknahme entspricht es grundsätzlichen billigem Ermessen, dass der Antragsteller, der sich durch die Rücknahme in die Rolle des Unterlegenen begeben hat, die Kosten zu tragen hat (vgl. OLG München, Beschluss vom 8. März 2016 – Verg 1/16, Rn. 3, juris).
- 337
Die Aufwendungen von Beigeladenen sind nur erstattungsfähig, soweit sie die Vergabekammer aus Billigkeit der unterlegenen Partei auferlegt, § 183 Abs. 4 Satz 1, 2 GWB. Nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 VwKostG in der am 14. August 2013 geltenden Fassung sind von der Zahlung der Gebühren für Amtshandlungen die Länder und die juristischen Personen des öffentlichen Rechts, die nach den Haushaltsplänen eines Landes für Rechnung eines Landes verwaltet werden, befreit.
- 338
b) Die Kosten des Beschwerdeverfahrens - die Gerichtskosten und die Aufwendungen der Verfahrensbeteiligten - sind gemäß § 175 Abs. 2 GWB in Verbindung mit § 71 GWB (in der seit dem 19. Januar 2021 geltenden Fassung) nach Billigkeit zu verteilen. Es entspricht der Billigkeit, dem in der Beschwerdeinstanz Unterlegenen mit den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten anderer Verfahrensbeteiligter zu belasten, soweit nicht die besonderen Umstände des Einzelfalls ausnahmsweise eine abweichende Entscheidung gebieten (vgl. Krohn in: Burgi/Dreher, Beck'scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl. 2017, § 182 GWB, Rn. 60 ff.). Die Länder sind nach § 2 Abs. 1 GKG von der Zahlung der Kosten in Verfahren vor den ordentlichen Gerichten befreit.
- 339
Bei Beigeladenen, die nicht Beschwerdeführer sind, kommt es bei der Billigkeitsentscheidung nach § 175 Abs. 2 in Verbindung mit § 78 S. 1 GWB auf die Art ihrer Mitwirkung am Verfahren, auf ihre Interessenlage und den Ausgang des Verfahrens an. Unterstützt der Beigeladene einen im Beschwerdeverfahren erfolgreichen Auftraggeber durch einen eigenen substantiellen Vortrag und/oder eigene Anträge, so entspricht es regelmäßig der Billigkeit, ihm einen Kostenerstattungsanspruch gegen den unterlegenen Antragsteller zuzusprechen. Obsiegt der Antragsteller in einem solchen Verfahren und hat sich der Beigeladene aktiv auf Seiten des Auftraggebers beteiligt, so entspricht es der Billigkeit, ihm einen Teil der Kosten des Antragstellers aufzuerlegen. Beteiligen sich Beigeladene nicht aktiv am Verfahren, so kommen Erstattungspflichten und Erstattungsansprüche dagegen nicht in Betracht (vgl. Reider in: Münchener Kommentar Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2018, § 182 GWB, Rn. 20; Stockmann in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Aufl. 2021, § 182, Rn. 41; Losch in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, § 182 GWB, Rn. 42).
- 340
c) Der Senat hat auch über die Kosten des von der Antragstellerin eingeleiteten Verfahrens gemäß § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB zum Aktenzeichen 54 Verg 4/21 zu entscheiden. Hierbei handelt es sich um Kosten des Beschwerdeverfahrens, über die in der Hauptsache zu entscheiden ist. Das Verfahren zur Verlängerung der aufschiebenden Wirkung gem. § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB stellt im Verhältnis zum Beschwerdeverfahren eine kostenrechtlich verschiedene Angelegenheit dar. Das Kostenverzeichnis zum GKG120 und das Vergütungsverzeichnis (VV) zum RVG ordnen das Hauptsacheverfahren gemäß § 169 GWB, das Eilverfahren gemäß § 173 Abs. 1 S. 3 GWB und ebenso das Eilverfahren gemäß § 176 GWB als verschiedene Verfahren ein. Dementsprechend fallen hierfür eine gesonderte Verfahrensgebühr und gesonderte Rechtsanwaltskosten an (vgl. Losch in: Ziekow/Völlink, aaO, § 182, Rn. 46 f.).
- 341
2) Hiernach gilt im vorliegenden Fall:
- 342
Ausgehend von den Angeboten der Antragstellerin tragen das Netz Ost mit 43 %, das Netz Nord mit 40 % und das Netz Ost-West mit 17 % zu dem Gesamtvolumen der Ausschreibung bei; die Streitwertfestsetzung mag von diesem Volumen abweichen, jedoch hält es der Senat für ein Gebot der Billigkeit, bei den Überlegungen zu der Kostenentscheidung das Gesamtvolumen zu berücksichtigen. An dieser Gewichtung orientiert sich der Senat bei der Verteilung der Kosten des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer, des Beschwerdeverfahren sowie des Verfahrens nach § 173 Abs. 1 GWB.
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Nachdem die Antragsgegner angesichts der (geringfügigen) Beteiligung der Antragsgegnerin zu 2) an dem Los Ost in dem die drei Lose betreffenden Vergabeverfahren insgesamt als Auftraggebergemeinschaft aufgetreten sind, sind sie als Auftraggebergemeinschaft wie ein Auftraggeber zu behandeln. Eine Auftraggebergemeinschaft, die wie hier auf der Grundlage eines absprachegemäß gemeinsam geführten Vergabeverfahrens eine einheitliche Vergabeentscheidung trifft, ist - spiegelbildlich zu einer Bietergemeinschaft auf Antragstellerseite - kostenrechtlich wie ein Auftraggeber zu behandeln (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. Mai 2006 - Verg 79/04, juris Rn. 13; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25. Juli 2007 - 17 Verg 2/06, juris Rn. 5; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9. Januar 2008 - Verg 33/07, juris, Rn. 7 ff; OLG Celle, Beschluss vom 16. Oktober 2019 - 13 Verg 6/18, BeckRS 2019, 50479, Rn. 50 ff.; Krohn in: Burgi/Dreher, Beck'scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl. 2017, § 182 GWB, Rn. 53). Die Antragsgegner sind hiernach auch bei der hier zu treffenden Kostengrundentscheidung einheitlich als eine Partei zu behandeln.
- 344
Aufgrund der Rücknahme des Nachprüfungsantrages für die Lose Ost und Ost-West im laufenden Beschwerdeverfahren durch die Antragstellerin mit dem Schriftsatz vom 25. August 2021 sowie aufgrund der im Hinblick auf das Los Nord gegenüber den Antragsgegnern erfolgreichen sofortigen Beschwerde der Antragstellerin hat die Antragstellerin 60 % der von der Vergabekammer in nicht zu beanstandender Weise mit € 50.000,00 festgesetzten Kosten des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer, sowie 60 % der Gerichtskosten des Verfahrens der sofortigen Beschwerde und des Verfahrens nach § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB gemäß den §§ 182 Abs. 3 GWB, 175 GWB in Verbindung mit § 78 GWB zu tragen.
- 345
Dies entspricht für alle Verfahren der Billigkeit, nachdem die Antragstellerin sich in dem Umfang der teilweisen Rücknahme des Nachprüfungsantrages in die Rolle der Unterlegenen begeben hat.
- 346
Hiermit korrespondierend hat die Antragstellerin 60 % der außergerichtlichen Kosten der Antragsgegner und 60 % ihrer eigenen außergerichtlichen Kosten in dem Nachprüfungsverfahren, dem Beschwerdeverfahren und dem Verfahren nach § 173 Abs. 1Satz 3 GWB zu tragen.
- 347
Ferner hat die Antragstellerin hiernach die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1) und 3) im Beschwerdeverfahren zu tragen. Anders als in dem Nachprüfungsverfahren haben sich die Beigeladenen zu 1) und 3) aktiv an der Seite der Antragsgegner an dem Beschwerdeverfahren beteiligt. Die Beigeladene zu 1) hat mit Schriftsatz vom 27. Mai 2021 umfangreich in der Sache (zum Los Ost) zur Zurückweisung der Beschwerde vorgetragen sowie darüber hinaus in dem Schriftsatz vom 8. Juli 2021 insoweit einen Zurückweisungsantrag angekündigt. Die Beigeladene zu 3) hat mit Schriftsatz om 12. Juli 2021 im Hinblick auf das Los Ost-West den Antrag auf Zurückweisung der sofortigen Beschwerde beantragt.
- 348
Die Antragstellerin hat ferner die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1) in dem Verfahren nach § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB zu tragen, nachdem sich die Beigeladene zu 1) - bezogen auf das Los Ost - mit dem umfangreichen Vortrag in dem Schriftsatz vom 27. Mai 2021 aktiv zu beiden Senatsaktenzeichen und damit auch in dem Verfahren nach § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB (54 Verg 4/21) auf Seiten der Antragsgegner an dem Verfahren beteiligt hat. Demgegenüber hat sich die Beigeladene zu 3) an dem Verfahren nach § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB nicht aktiv auf Seiten der Antragsgegner beteiligt, weshalb eine Kostentragung durch die Antragstellerin insoweit nicht in Betracht kommt.
- 349
Die Antragsgegner einerseits und die Beigeladene zu 2) andererseits haben als Gesamtschuldner 40 % der außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin in dem Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer, in dem Verfahren der sofortigen Beschwerde zu tragen. Die Antragsgegner haben ferner 40 % der außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin in dem Verfahren nach § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB zutragen. Denn die Antragsgegnerseite ist im Hinblick auf die von den Antragsgegnern beabsichtigte Vergabe für das Los Nord an die Beigeladene zu 2) unterlegen.
- 350
Dies gilt auch für die insoweit ebenfalls unterlegene Beigeladene zu 2), die sowohl im Nachprüfungsverfahren als auch im Beschwerdeverfahren mit eigenen Anträgen die Erteilung des Zuschlags für das Los Nord an sich erstrebt hat und deshalb insoweit nach der Billigkeit mit Verfahrenskosten zu belasten ist, mithin gesamtschuldnerisch mit der Antragsgegnerseite 40 % der außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin in dem Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer und in dem Beschwerdeverfahren sowie ihre eigenen außergerichtlichen Kosten zu tragen hat.
- 351
Dies gilt für die Beigeladene zu 2) jedoch nicht für Gerichtskosten und außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin aus dem Verfahren nach § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB. Denn die Beigeladene zu 2) (vgl. Schriftsatz vom 21. Mai 2021) hat sich ausdrücklich nicht an dem Verfahren nach § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB beteiligt, weshalb sie nicht mit Kosten dieses Verfahrens belastet werden kann.
- 352
Die Antragsgegnerseite war nach § 8 Abs. 1 Nr. 3 VwKostG nicht mit Kosten des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer sowie nach § 2 Abs. 1 GKG nicht mit Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens und des Verfahrens nach § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB zu belasten. Denn das antragsgegnerische Land ist nach den vorgenannten Vorschriften von der Gebühren- bzw. Kostenzahlung befreit, was sich hier angesichts des Auftretens der Antragsgegnerseite als ein einheitlicher Auftraggeber auch für die Antragsgegnerin zu 2) auswirkt.
- 353
Anders verhält es sich hinsichtlich der Kosten des Nachprüfungsverfahrens und der Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens bei der Beigeladenen zu 2), die insoweit jeweils 20 % zu tragen hat. Nach dem Maß ihres Unterliegens hätte sie allerdings 40 % der Kosten des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer und der Gerichtskosten gesamtschuldnerisch mit der Antragsgegnerseite zu tragen. Dem Umstand, dass die mit ihr für die Kosten des Nachprüfungsverfahrens und der Gerichtsverfahren gesamtschuldnerisch haftende Antragsgegnerseite gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 2 VwKostG von der Zahlung der Gebühren für Amtshandlungen und nach § 2 Abs. 1 GKG von Gerichtskosten befreit ist, wird mit der Reduzierung des Gebühren- und Kostenanteils für die Beigeladene zu 2) auf die Hälfte Rechnung getragen (vgl. hierzu allgemein: Losch in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, § 182, Rn. 7 und Volpert in: Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Aufl. 2021, § 3 GKG, Rn. 60). Die Beigeladene zu 2) hat daher lediglich 20 % der Kosten des Nachprüfungsverfahrens der Vergabekammer und 20 % der Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
- 354
C. Der Senat wird den Streitwert für das Beschwerdeverfahren und das Verfahren nach § 173 Abs. 1 Satz 3 GWB festsetzen, wenn der Bundesgerichtshof zu dem von dem Senat beabsichtigten Vorlagebeschluss nach § 179 Abs. 2 GWB (vgl. zum Erfordernis einer Divergenzvorlage auch bei Fragen der Streitwertfestsetzung: BGH, Beschluss vom 18. März 2014 - X ZB 12/13, Rn. 3) zu der Berücksichtigung „durchlaufender Kosten“ bei der Streitwertbemessung Stellung genommen haben wird.
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