Beschluss vom Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken - 6 UF 34/11

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – in Saarbrücken vom 29. November 2010 – 52 F 485/10 SO – samt des ihm zugrunde liegenden Verfahrens aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung – auch über die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens – an das Familiengericht zurückverwiesen.

Damit erledigt sich der Antrag der Beschwerdeführerin auf Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Beschlusses.

2. Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erhoben.

3. Der Beschwerdewert wird auf 3.000 EUR festgesetzt.

4. Der Beschwerdeführerin wird mit Wirkung vom 26. Januar 2011 für den zweiten Rechtszug ratenfreie Verfahrenskostenhilfe unter gleichzeitiger Beiordnung von Rechtsanwältin L. bewilligt.

Gründe

I.

Die drei betroffenen Kinder V., geboren am ... August 1995, K., geboren am ... April 2000, und N. Arno, geboren am ... August 2003, sind – neben der nicht verfahrensbetroffenen volljährigen Tochter R. M. – aus einer Verbindung der Mutter mit dem Vater der Kinder, Herrn F. F., hervorgegangen. Die Eltern waren und sind nicht miteinander verheiratet. Sorgeerklärungen sind von den Eltern nicht abgegeben worden. V., K. und N. werden seit der Trennung der Eltern von der Mutter betreut, die am 9. Juni 2009 einen anderen Mann, Herrn E. F., geheiratet hat, mit dem sie zusammenlebt.

Die Staatsanwaltschaft Saarbrücken ermittelt gegen die Mutter und ihren Ehemann wegen des Verdachts der Misshandlung von Schutzbefohlenen.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft hat das Familiengericht – Rechtspflegerin – nach Anhörung des Jugendamts durch den angefochtenen Beschluss vom 29. November 2010, auf den Bezug genommen wird, Ergänzungspflegschaft angeordnet und das Jugendamt zum Ergänzungspfleger bestellt, und zwar für den Wirkungskreis Vertretung der Kinder in dem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft 16 Js 294/10, Zustimmung „der“ Untersuchung der Kinder nach § 81 c StPO, Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht für die behandelnden Ärzte der Kinder, Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts, Zustimmung zur Mitwirkung der Kinder bei der Erstattung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens zur Frage der Glaubwürdigkeit, Aufenthaltsbestimmung in Bezug auf die angeführten Untersuchungshandlungen und Zeugenvernehmungen.

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Mutter mit ihrer Beschwerde, mit der sie die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Zurückverweisung der Sache an das Familiengericht, ferner die Aussetzung der Vollziehung des angegriffenen Beschlusses im Wege einstweiliger Anordnung erstrebt. Sie sucht um Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren nach.

Das Familiengericht hat der Beschwerde, zu der sich das Jugendamt nicht geäußert hat, mit Verfügung vom 18. Februar 2011 nicht abgeholfen.

Dem Senat haben die Akten des Amtsgerichts – Familiengericht – in Saarbrücken 39 F 250/09 SO und 39 F 279/09 UG samt EA Nr. I sowie die Akte 16 Js 294/10 der Staatsanwaltschaft Saarbrücken vorgelegen.

II.

Die nach §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde – bezüglich der eine Nichtabhilfeentscheidung nicht veranlasst gewesen ist (§ 68 Abs. 1 S. 2 i.V.m. §§ 38 Abs. 1 S. 1, 111 Nr. 2, 151 Nr. 5 FamFG) – hat in der Sache vorläufigen Erfolg und führt unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des diesem zugrunde liegenden Verfahrens zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Familiengericht. Denn das Verfahren des Familiengerichts leidet an wesentlichen Mängeln, für eine Entscheidung des Senats wären aufwendige Ermittlungen notwendig und die Mutter hat die Zurückverweisung beantragt (§ 69 Abs. 1 S. 3 FamFG).

Dabei kann dahinstehen, ob es der Entscheidung – deren Gründe sich in einer Paragrafenkette erschöpfen – bei den gegebenen Umständen nicht bereits an einer Begründung im Rechtssinne ermangelt (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 9. Dezember 2010 – 6 WF 130/10 – m.w.N.).

Denn jedenfalls hat das Familiengericht seiner § 26 FamFG entspringenden Pflicht, den entscheidungserheblichen Sachverhalt amtswegig zu ermitteln, nicht ansatzweise genügt. Gemäß § 52 Abs. 2 S. 1 StPO dürfen Minderjährige, die wegen mangelnder Verstandesreife von der Bedeutung des Zeugnisverweigerungsrechts keine genügende Vorstellung haben, nur vernommen werden, wenn sie zur Aussage bereit sind und auch ihr gesetzlicher Vertreter der Vernehmung zustimmt. Zwar kann dieser, wenn er selbst Beschuldigter ist, wegen § 52 Abs. 2 S. 2 StPO über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts nicht entscheiden mit der Folge, dass diesbezüglich – wie das Familiengericht im Ausgangspunkt zu Recht angenommen hat – die Anordnung von Ergänzungspflegschaft in Betracht kommen kann. Indessen enthebt dies das Familiengericht nicht von der – vorrangigen – Prüfung, ob das Kind überhaupt aussagebereit ist; denn fehlt es hieran, ist für die Anordnung der Ergänzungspflegschaft von vornherein kein Raum (OLG Bremen, NJW-RR 2011, 154 m.w.N.; OLG Brandenburg, FamRZ 2010, 843 m.w.N.; Julius/ Gercke, StPO, 4. Aufl., § 52, Rz. 23; Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 52, Rz. 32 a.E.; Meyer-Goßner/Cierniak, StPO, 53. Aufl., § 52, Rz. 20 a.E.; vgl. auch BGH NStZ 1991, 398; BayObLG FamRZ 1998, 257; OLG Naumburg, OLGR 2006, 392; OLG Nürnberg, FamRZ 2010, 1996). Den Akten lässt sich nicht entnehmen, dass das Familiengericht seine Ermittlungen in diese Richtung erstreckt hätte. Das Familiengericht konnte sich auch nicht – dann hier stillschweigend – auf den Antrag der Staatsanwaltschaft oder den Inhalt der Akten des Strafverfahrens stützen, nachdem aus beiden keine Anhaltspunkte für eine Aussagebereitschaft der Kinder hervorgehen (vgl. dazu BayObLG, FamRZ 1998, 257).

Dadurch, dass das Familiengericht der alleinsorgeberechtigten Mutter auch keine Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme zum Antrag gegeben hat – es hat den Antrag der Staatsanwaltschaft nur dem Jugendamt zugeleitet – hat es bei den vorliegenden Gegebenheiten ferner deren in Art. 103 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich verbrieften Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, weil eine verfahrensrechtliche Rechtfertigung für diese Verfahrensweise nicht ersichtlich ist. Insbesondere war weder Gefahr im Verzug – zumal das Familiengericht auch dem Jugendamt Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme binnen drei Tagen eingeräumt hat – und ist nicht ersichtlich, dass durch jene Gehörsgewährung der Erfolg der hier rein sorgerechtlichen Maßnahme hätte gefährdet werden können.

Hiernach ist die Sache nach Maßgabe der Entscheidungsformel zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Familiengericht zurückzuverweisen. Damit wird zugleich der Antrag der Mutter auf Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Beschlusses gegenstandslos.

Im weiteren Verfahren wird das Familiengericht nach Klärung der Frage der Aussagebereitschaft der Kinder auch zu prüfen haben, ob und auf welcher rechtlichen Grundlage – über die Entscheidungsbefugnis bezüglich der Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts für die Kinder hinausgehend – bezüglich anderer Teilbereiche der elterlichen Alleinsorge der Mutter (§ 1626 a Abs. 2 BGB) die Anordnung von Ergänzungspflegschaft in Betracht kommt. Denn das Familiengericht hat – vollumfänglich dem Antrag der Staatsanwaltschaft entsprechend – den Wirkungskreis der Ergänzungspflegschaft weit über den hinaus erstreckt, den § 52 Abs. 2 StPO erfasst. Diese Vorschrift erkennt allein hinsichtlich der Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts dem gesetzlichen Vertreter des Kindes, der selbst Beschuldigter ist, die Entscheidungsbefugnis ab, so dass sich zwar insoweit die Anordnung der Ergänzungspflegschaft – Aussagebereitschaft des Kindes unterstellt – unmittelbar aus § 1909 Abs. 1 S. 1 BGB ergibt. Hinsichtlich aller anderen Teilbereiche der Personensorge besteht hingegen kein solch automatischer Ausschluss von der gesetzlichen Vertretung. Insoweit ist zudem – anders als das Familiengericht in der angegriffenen Entscheidung – nicht auf §§ 1629 Abs. 2 S. 1, 1795 Abs. 1 Nr. 3 BGB abzustellen, sondern auf §§ 1629 Abs. 2 S. 3 Hs. 1, 1796 BGB (für deren Prüfung die Rechtspflegerin allerdings nach §§ 14, 3 Nr. 2 a RPflG ebenfalls funktional zuständig ist, BGH FamRZ 2009, 861). Denn § 1795 Abs. 1 Nr. 3 erfasst nur das zivilprozessuale Verfahren und streitige Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, also nicht das hier in Rede stehende Strafverfahren (vgl. OLG Frankfurt, FamRZ 2009, 1227 m.w.N.). Mithin bedarf – gerade auch aus Gründen der Verhältnismäßigkeit – die Erforderlichkeit des Entzugs der anderen Teilbereiche der Personensorge gesonderter Untersuchung. Denn stimmte der Personensorgeberechtigte insoweit den von der Staatsanwaltschaft oder den Strafgerichten beabsichtigten Ermittlungsschritten zu, bedürfte es der Anordnung der Ergänzungspflegschaft in diesem Umfang nicht mehr (vgl. OLG Karlsruhe, FamRZ 2004, 51).

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf §§ 20 FamGKG, 81 Abs. 1 FamFG.

Die Festsetzung des Verfahrenswertes für die Beschwerdeinstanz folgt aus §§ 40 Abs. 1 S. 1, 45 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 FamGKG.

Der Mutter ist für den zweiten Rechtszug nach § 76 Abs. 1 i.V.m. § 114 S. 1 ZPO ratenfreie Verfahrenskostenhilfe unter – hier nach § 78 Abs. 2 FamFG angezeigter – Beiordnung ihrer Verfahrensbevollmächtigten zu bewilligen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (§ 70 FamFG).

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