Beschluss vom Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken - 6 UF 126/11

Tenor

1. Dem Antragsteller wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich der von ihm versäumten Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – in St. Wendel vom 6. Juli 2011 – 6 F 37/11 SO – gewährt.

2. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – in St. Wendel vom 6. Juli 2011 – 6 F 37/11 SO – wird zurückgewiesen.

3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

4. Der Beschwerdewert wird auf 3.000 EUR festgesetzt.

5. Der Antragsgegnerin wird mit Wirkung vom 14. September 2011 ratenfreie Verfahrenskostenhilfe für den zweiten Rechtszug unter gleichzeitiger Beiordnung von Rechtsanwalt K., Illingen, bewilligt.

Gründe

I.

Aus der Ehe des Vaters und der Mutter, beide Deutsche, ist am 13. Mai 2003 die verfahrensbetroffene Tochter hervorgegangen, die seit der Trennung ihrer Eltern am 4. Februar 2008 bei der Mutter lebt. Das Scheidungsverfahren ist seit Februar 2009 unter der Geschäftsnummer 6 F 33/09 S – seit November 2009 auch die Folgesache nachehelicher Unterhalt – beim Familiengericht anhängig. Vor diesem streiten die Eltern seit dem Jahr ihrer Trennung auch um Trennungsunterhalt sowie das Sorgerecht für und das väterliche Umgangsrecht mit, nachdem die Mutter dem Vater seit 2008 nur sporadisch Umgang mit gewährt, wobei sich die Mutter insoweit auf einen entgegenstehenden Willen beruft.

Im Sorgerechtsverfahren 6 F 104/08 SO, zu dem die Umgangsrechtsverfahren 6 F 171/08 UG samt EA Nr. I und II, 6 F 189/09 UG hinzuverbunden worden waren, holte das Familiengericht ein – am 14. September 2009 erstattetes – schriftliches Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Psych. – das in Bezug genommen wird – zu der Frage ein, ob der Wechsel zum Vater ihrem Wohl am Besten entspricht. Das Verfahren mündete am 23. November 2009 in einem eine vorangegangene Umgangsregelung des Familiengerichts vom 5. Mai 2008 – 6 F 27/08 SO – abändernden Umgangsvergleich, dem zufolge der Vater mit ... – zuletzt – ab März 2010 in jeder ungeraden Kalenderwoche alle 14 Tage von samstags 9.00 Uhr bis sonntags 19.00 Uhr Umgang pflegen durfte. Übergabemodalitäten wurde nicht festgelegt. Im Übrigen wurden das Sorge- und die Umgangsrechtsverfahren übereinstimmend für erledigt erklärt.

Nachdem auch das neu festgelegte Umgangsrecht in der Folgezeit praktisch nicht umgesetzt worden war, ordnete das Familiengericht mit Beschluss vom 13. September 2010 – 6 F 106/10 UG – für die Dauer von sechs Monaten Umgangspflegschaft – wohl zur Durchsetzung des Umgangsvergleichs vom 23. November 2009 – an und bestellte die Dipl.-Pädagogin zur Umgangspflegerin. Deren Tätigkeit endete, ohne dass ein Umgang stattgefunden hatte.

Im vorliegenden Verfahren – das bis zu seiner Abtrennung vom Scheidungs-verbundverfahren 6 F 33/09 S am 8. März 2011 als dortige Folgesache und sodann als selbständige Familiensache geführt worden ist – hat der Vater mit am 27. Dezember 2010 eingegangenem Schriftsatz die Übertragung der Alleinsorge, hilfsweise des Aufenthaltsbestimmungsrechts für auf sich begehrt. Die Mutter hat gegenläufigen Antrag auf Übertragung der Alleinsorge für gestellt. Der Verfahrensbeistand und das Jugendamt haben sich gegen eine Veränderung des Lebensmittelpunktes ausgesprochen, das Jugendamt hat außerdem eine Aussetzung des väterlichen Umgangsrechts angeregt.

Nach persönlicher Anhörung, der Eltern und der vormaligen Umgangspflegerin – die beide Eltern in der Verantwortung für das Scheitern des Umgangs gesehen und ebenfalls für eine Aussetzung des Umgangsrechts des Vaters plädiert hat – hat das Familiengericht durch den angefochtenen Beschluss vom 6. Juli 2011, auf den Bezug genommen wird, der Mutter die Alleinsorge für übertragen.

Gegen diesen dem Vater am 14. Juli 2011 zugestellten Beschluss richtet sich dessen am 12. August 2011 beim Senat und – nach von diesem veranlasster Weiterleitung – am 18. August 2011 beim Familiengericht eingegangene Beschwerde, mit der er die Aufhebung des angegangenen Beschlusses erstrebt und hilfsweise seine erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgt. Auf Hinweis des Senats auf die versäumte Beschwerdefrist hat der Vater mit Schriftsatz vom 2. September 2011 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Die Mutter stellt die Gewährung von Wiedereinsetzung in das Ermessen des Senats, bittet um Zurückweisung der Beschwerde und sucht um Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren nach. Trotz Zustellung der Beschwerdeschrift und Aufforderung zur Stellungnahme haben sich zweitinstanzlich weder der Verfahrensbeistand noch das Jugendamt geäußert.

Dem Senat haben die Akten 6 F 84/08 UG, 6 F 104/08 SO, 6 F 33/09 S und UE sowie 6 F 76/08 UEUK des Familiengerichts vorgelegen.

Im letzteren Verfahren, in dem der Vater die Verwirkung des Unterhaltsanspruchs der Mutter wegen Umgangsboykotts einwendet, hat das Familiengericht im Termin vom 7. Dezember 2009 die Zeugin F. vernommen. Diese hat im Wesentlichen bekundet, die Mutter habe ihr gesagt, sie wisse aus der ersten Ehe des Vaters, dass man ihn damit bestrafen könne, wenn er sein Kind nicht sehe; so werde sie den Vater auch bestrafen. Sie möchte mit dem Druckmittel ihren Lebensstandard halten. Ferner hat der Sachverständige Dipl.-Psych. am 24. August 2011 ein schriftliches Gutachten – das in Bezug genommen wird – zu der Frage erstattet, ob die Weigerung, beim Vater zu übernachten, auf deren eigene Willensbildung oder auf Beeinflussung durch die Mutter zurückzuführen ist.

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Dem Vater ist zwar nach §§ 17 Abs. 1, 18, 19 Abs. 1 und 2 FamFG Wiedereinsetzung in die von ihm versäumte Frist zur Einlegung der Beschwerde beim Familiengericht (§§ 63 Abs. 1, 64 Abs. 1 FamFG) zu gewähren, nachdem er mit Schriftsatz vom 2. September 2011, auf den Bezug genommen wird, fristgerecht ausreichende Gründe glaubhaft gemacht hat, aufgrund derer er ohne eigenes Verschulden an der Fristwahrung verhindert war.

Die mit dieser Maßgabe nach §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde des Vaters ist jedoch unbegründet.

Denn zu Recht und auf der Grundlage einer beanstandungsfreien Verfahrens hat das Familiengericht der Mutter nach § 1671 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB die Alleinsorge für übertragen.

Rechtsbedenkenfrei (vgl. zu den insoweit einschlägigen Maßstäben BGH FamRZ 2011, 796 m. Anm. Völker; BGH FamRZ 2008, 592; Senatsbeschlüsse vom 5. Januar 2011 – 6 UF 96/10 – und vom 26. August 2009 – 6 UF 68/09 –, FamRZ 2010, 385, jeweils m.w.N.) hat das Familiengericht die gemeinsame elterliche Sorge vollumfänglich aufgehoben. Die Eltern können schon seit Jahren – was der Vater in seiner Beschwerde unbeschadet seines vorrangig verfolgten Beschwerdeantrags insoweit nicht mit Sachvortrag in Abrede stellt – in keinem Sorgerechtsteilbereich über Belange auch nur ansatzweise gedeihlich miteinander kommunizieren. Auch das Jugendamt hat in seiner erstinstanzlichen Stellungnahme – von den Beteiligten unwidersprochen – mitgeteilt, die Eltern seien selbst der Meinung, der „Zuspruch der elterlichen Sorge auf einen Elternteil“ sei die einzig sinnvolle Lösung, und der Vater habe erklärt, eine Kommunikation zur Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge gebe es nicht und jene sei auch in Zukunft nicht vorstellbar.

Es findet ebenfalls die Billigung des Senats, dass das Familiengericht – auf der zweiten Prüfungsebene des § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB (vgl. dazu BGH FamRZ 2008, 592) – gerade der Mutter die Alleinsorge für übertragen hat.

Bei der allein am Kindeswohl auszurichtenden Frage, welchem der Elternteile die elterliche Sorge zu übertragen ist, sind die Erziehungseignung der Eltern – einschließlich ihrer Bindungstoleranz –, die Bindungen des Kindes – insbesondere an seine Eltern –, die Prinzipien der Förderung und der Kontinuität sowie der Kindeswille als gewichtige Kriterien zu berücksichtigen (vgl. BGH FamRZ 2011, 796; 2010, 1060 m. Anm. Völker; 1990, 392; 1985, 169). Außer diesen Aspekten sind je nach den Begleitumständen des Falles weitere Gesichtspunkte wie Erziehungsbereitschaft, häusliche Verhältnisse und soziales Umfeld einzubeziehen (vgl. BGH FamRZ 1985, 169). Diese Kriterien stehen aber letztlich nicht wie Tatbestandsmerkmale kumulativ nebeneinander; jedes von ihnen kann im Einzelfall mehr oder weniger bedeutsam für die Beurteilung sein, was dem Wohl des Kindes am besten entspricht (BGH FamRZ 2011, 796; 2010, 1060; 1990, 392). Denn sie stehen über den allüberstrahlenden und letztentscheidenden (vgl. BVerfGE 56, 363; BVerfG FuR 2008, 338) Begriff des Kindeswohls in innerer Beziehung zueinander und können sich gegenseitig verstärken oder aufheben (vgl. BGH FamRZ 1985, 169; siehe zum Ganzen und den diesbezüglichen Maßstäben eingehend Senatsbeschluss vom 20. Januar 2011 – 6 UF 106/10 –, FamRZ 2011, 1153 m.w.N.).

Hieran gemessen tritt der Senat der Auffassung des Familiengerichts bei, dass es dem Wohl bei den gegebenen Umständen am besten entspricht, wenn die Alleinsorge für sie der Mutter übertragen wird.

Der Sachverständige Dipl.-Psych. hatte in seinem im Sorgerechtsverfahren 6 F 104/08 SO am 14. September 2009 erstatteten Gutachten beiden Eltern aufgrund fehlender Trennungsbewältigung eine deutliche Einschränkung der Erziehungseignung attestiert. Die Mutter verhalte sich aggressiv-abwehrend gegen den Vater und nehme – zum Teil grob – manipulativ Einfluss auf, die dieser deutlich den Kontakt zum Vater erschwere, während der Vater fordernd und teilweise realitätsverleugnend sei. Trotz der Einschränkung der Erziehungseignung der Mutter sei eine relativ gute soziale Integration und Stabilität zu beobachten, während der Vater in seinem Lebensgefüge eher instabil und nicht sozial integriert wirke, auch was seine Zukunftspläne für anbetreffe, die unklar, nicht ausreichend fundiert und wechselhaft erschienen. Beide Eltern hätten – jeweils für sich allein betrachtet – in Bezug auf die Förderung guten konstruktiven Einfluss auf; ihre Förderung sei altersgerecht und adäquat erfolgt, hauptsächlich im Einflussbereich der Mutter. Im Bereich der Betreuung und Versorgung finde sich eine deutliche Präferenz der Mutter, weil diese für ihre Tochter seit der Geburt in primärer und sekundärer Hinsicht sorge, zumal die Umweltfaktoren bei der Mutter für eher stabilisierend wirkten, während das Betreuungs- und Versorgungsmodell des Vaters unklar bleibe. Insgesamt hatte der Gutachter sich – unbeschadet der festgestellten deutlich eingeschränkten Bindungstoleranz der Mutter – im Wesentlichen aufgrund der klaren und deutlichen Haltung der damals sechs Jahre alten, aus Stabilitäts- und Kontinuitätsaspekten und unter Berücksichtigung der wechselseitigen Förderungskompetenz der Eltern sowie der bewährten Betreuungs- und Versorgungssituation der Mutter für den Verbleib bei dieser ausgesprochen. Zugleich hatte der Sachverständige eine Umgangsregelung, aufgrund des hoch eskalierten Konflikts unter Einschaltung eines Umgangspflegers, und eine Konfliktmediation empfohlen sowie beiden Eltern dringend angeraten, sich psychotherapeutische Hilfe zu organisieren.

… hat im vorliegenden Verfahren in ihrer Anhörung vor dem Familiengericht bekundet, sie wolle bei der Mama bleiben und den Papa nicht besuchen. Mit ihm wolle sie auch dann kein Eis essen gehen, wenn die vormalige Umgangspflegerin dabei sei.

Wenn sich das Familiengericht vor diesem Hintergrund und im Lichte der weiteren Entwicklungen seit dem vorangegangenen Sorgerechtsverfahren bei seiner Entscheidung im Wesentlichen vom Kontinuitätsgrundsatz und dem stabilen Willen der zwischenzeitlich acht Jahre alten hat leiten lassen, so ist dies nicht zu beanstanden, zumal auch entscheidende, dem Vater günstige Veränderungen jedenfalls in der grundsätzlichen Erziehungseignung und den häuslichen und sozialen Verhältnissen der Eltern, den Bindungen zu diesen sowie der Förderung durch die Mutter weder vorgebracht noch ersichtlich sind. Die Gegebenheiten entsprechen – auch im Hinblick auf die Schwierigkeiten bei der Ausübung des Umgangsrechts des Vaters mit – im Wesentlichen den bereits bei Abschluss des vorangegangenen Sorgerechtsverfahrens 6 F 27/08 SO vorliegenden. Insbesondere zeigt der Vater weiterhin kein schlüssiges Betreuungskonzept für für den Fall ihres Wechsels in seinen Haushalt auf.

Allerdings kommt die Mutter – was der Vater im Ausgangspunkt zu Recht beanstandet – ihrer Wohlverhaltenspflicht seit Jahren nicht ausreichend nach.

Diese verfassungsrechtlich der in Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG verbrieften gemeinsamen Elternverantwortung entspringende und in § 1684 Abs. 2 BGB einfachrechtlich ausgestaltete Obliegenheit – auch – zu wechselseitig loyalem Verhalten bei der Verwirklichung des Umgangsrechts verpflichtet den Elternteil, bei dem sich das Kind gewöhnlich aufhält, grundsätzlich den persönlichen Umgang des Kindes mit dem anderen Elternteil zu ermöglichen (vgl. BVerfG FamRZ 2010, 1622 m.w.N.). Dem Obhutselternteil obliegt es daher, auf das Kind erzieherisch dahin einzuwirken, dass psychische Widerstände des Kindes gegen den Umgang mit dem anderen Elternteil abgebaut werden und das Kind eine positive Einstellung dazu (zurück-)gewinnt. Er hat Kontakte zum anderen Elternteil nicht nur zuzulassen, sondern positiv zu fördern, um dem Kind mögliche Loyalitätskonflikte zu ersparen. Die Wohlverhaltensklausel verbietet dem Obhutselternteil jede negative Beeinflussung des Kindes gegen den Umgangsberechtigten, und zwar auch in mittelbarer Weise dergestalt, dass sich das Kind scheinbar aus eigenem Entschluss gegen den Umgang wendet (vgl. zum Ganzen Senatsbeschluss vom 24. Januar 2011 – 6 UF 116/10 –, FamRZ 2011, 1409; Beschluss des 9. Zivilsenats des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 21. Dezember 2006 – 9 UF 147/06 – FamRZ 2007, 927; NK-BGB/Peschel-Gutzeit, 2. Aufl. 2010, § 1684, Rz. 28 ff.; Völker/Clausius, Sorge- und Umgangsrecht in der Praxis, 4. Aufl. 2011, § 2, Rz. 30 ff., jeweils m.w.N.).

Dass das Gesamtverhalten der Mutter diesen Anforderungen nicht ansatzweise ausreichend entspricht, hatte bereits der Sachverständige Dipl.-Psych. in seinem ersten Gutachten vom 14. September 2009 überzeugend beschrieben und bewertet. Die Mutter hat dies in der Folgezeit und bis heute nicht zum Anlass genommen, ihr insoweit – teilweise grob – kindeswohlwidriges Verhalten, gegebenenfalls unter auch ihr bereits vom Sachverständigen anempfohlener Inanspruchnahme psychologischer Unterstützung, zu verändern.

Dies wird nicht nur – neben den insoweit bestehenden zahlreichen anderen Anhaltspunkten und ohne dass es dabei auf den zwischen den Eltern streitigen Verlauf und die Folgen des Vorfalls in Schule am 26. Januar 2011 entscheidend ankäme – daran deutlich, dass die Mutter mehrfach Schreiben des Verfahrensbevollmächtigten des Vaters gezeigt und diese mit ihr durchgesprochen und gegenüber der vormaligen Umgangspflegerin am 8. November 2010 bekundet hat, wenn die Mutter einverstanden sei, würde sie den Vater besuchen, indes am 20. November 2010 – dem daraufhin vereinbarten Umgangstag – den Umgang wieder abgelehnt hat.

Vielmehr wird der von der Mutter mehr oder weniger subtil ins Werk gesetzte Umgangsboykott in dem Gutachten deutlich, das erneut der Sachverständige Dipl.-Psych. – im Laufe des vorliegenden Beschwerdeverfahrens – im parallel geführten Unterhaltsverfahren 6 F 76/08 UEUK zu der Frage erstattet hat, ob die Weigerung, beim Vater zu übernachten, auf deren eigene Willensbildung oder auf Beeinflussung durch die Mutter zurückzuführen ist.

Ausweislich dieses Gutachtens hat die Mutter erklärt, das letzte Gutachten sei verantwortlich dafür, dass ... habe zum Vater gehen müssen. Sie sei zwar nach wie vor damit einverstanden, dass den Vater besuche, es hänge jedoch vom Kind ab, ob es dies wolle. Sie habe die Geburtstagskarte, die der Vater geschickt habe, nicht gezeigt, weil er geschrieben habe, er vermisse und sei in Gedanken bei ihr.

Diese Verhaltensweisen sprechen für sich und lassen jedwedes Hinwirken der Mutter auf eine Entlastung in Bezug auf deren Umgang mit dem Vater vermissen, obwohl auch diese, wie die vormalige Umgangspflegerin dem Sachverständigen am 17. Juni 2011 telefonisch berichtet hat, zum Vater zu Besuch ginge, wenn die Mutter ihr Einverständnis gebe.

Wie sehr sich – aus vom Sachverständigen bereits im ersten Gutachten überzeugend beschriebenen Gründen psychischen Eigenschutzes – an den Wünschen der Mutter orientiert, hat sich auch anlässlich des Hausbesuches des Sachverständigen am 20. Mai 2011 gezeigt. Die Mutter hat dem Sachverständigen erklärt, ... sitze mit Magen-Darm-Problemen auf der Toilette, da sie Angst vor dem Termin gehabt habe. Der Sachverständige schildert, als es ihm und der Mutter gelungen sei, dazu zu überreden, aus dem Badezimmer zu kommen, habe sie sich grinsend (!) von ihrer Mutter zum Tisch ziehen lassen, sehr lebendig, gesund, häufig kichernd gewirkt. Die Frage nach ihrem Vater habe sie deutlich ohne jedwede Anzeichen von Dissoziation oder Belastung beantwortet. Allerdings habe sie häufiger den Blickkontakt zur Mutter gesucht, die ein kontrollierendes Verhalten gegenüber ihrer Tochter gezeigt habe, indem sie immer bei ihr sitzend ständig ihren Blick auf sie fixiert habe.

Spiegel all dessen ist der von beiden Eltern als völlig spannungsfrei berichtete Umgang am 23. Juli 2011, an dem das Kind und beide Eltern sich eigeninitiativ verabredet und getroffen haben. Dabei bedarf keiner Vertiefung, welche Gründe die Mutter letztendlich dazu bewogen haben, diesen Umgang – während der laufenden Begutachtung im Unterhaltsverfahren, in dem der Vater, auf die Behauptung eines Umgangsboykotts gestützt, die Verwirkung des Unterhaltsanspruchs der Mutter einwendet – zuzulassen. Jedenfalls hat diesen Umgang von nahezu zwei Stunden nach den Schilderungen der Mutter ein oder zwei Tage später als „ganz gut“ beschrieben. Dessen unbeschadet hat danach kein weiterer Umgangstermin mehr stattgefunden, obwohl der Vater aktenersichtlich und von der Mutter unbestritten diesbezüglich mehrfach nachgefasst hat.

Im Lichte dessen ist die Schlussfolgerung des Gutachters, dass nicht die Beziehung des Kindes zum Vater das Problem sei, sondern – wie bereits im Erstgutachten beschrieben – das fehlende Einvernehmen der Eltern untereinander, leicht nachvollziehbar. Zentral aber scheitert der Umgang daran, dass die Mutter seit Jahren gegen ihre Umgangsförderungspflicht verstößt.

Wenngleich sich diese umgangsbezüglichen Probleme zwischenzeitlich jedenfalls nicht gebessert haben, unterliegt es bei den vorliegenden Einzelfallumständen im Ergebnis keinen durchgreifenden Bedenken, dass das Familiengericht bei seiner Würdigung letztlich offen gelassen hat, ob die den Vater ablehnende Haltung auf eine bewusste Beeinflussung durch die Mutter zurückzuführen ist. Denn dass selbst dann die Herausnahme des Kindes aus deren Haushalt nicht zu verantworten wäre, erweist sich vor allem in Anbetracht dessen als überzeugend, dass nunmehr seit über dreieinhalb Jahren im Haushalt der Mutter lebt, sozial integriert ist – sie tanzt und reitet regelmäßig –, in der Schule sehr erfreuliche – gute bis sehr gute – Leistungen zeigt und ihr einem Wechsel zum Vater klar entgegenstehender Wille auch Ausdruck ihres – wenn auch im Alter von acht Jahren noch eher verhaltenen – Rechts zur Selbstbestimmung ist. Ein solcher Obhutswechsel entspräche dem Wohl deutlich weniger gut als ihr Verbleib bei der Mutter.

Das Kernanliegen des Vaters, vermehrt Umgang mit zu haben, kann rechtlich vielmehr nur auf anderem Wege befördert werden.

Wenngleich der Vater eine zwangsweise Durchsetzung seines Umgangsrecht ausweislich seiner Bekundungen beim Sachverständigen (S. 28 unten des Gutachtens vom 24. August 2011) wohl zeitweise nicht angestrebt hat, kann diese Möglichkeit der Herstellung von Umgang – und vorliegend insbesondere die Festsetzung eines Ordnungsgeldes gegen die Mutter nach § 89 Abs. 1 FamFG – zukünftig nicht von vornherein außer Betracht bleiben (vgl. dazu Völker/Clausius in Kemper/Schreiber, Familienverfahrensrecht, 2. Aufl., § 89 FamFG, Rz. 15 ff. m.w.N.), zumal einiges – gerade auch das Zustandekommen und der problemlose Verlauf des Umgangskontakts vom 23. Juli 2011 – dafür spricht, dass die Mutter durch finanziellen Druck erreichbar sein könnte. Ein nicht zu niedriges Ordnungsgeld könnte – unbeschadet einer möglicherweise dadurch mittelbar verursachten kurzfristigen Belastung – diese mittelfristig durchaus auch entlasten, wobei der Senat nicht zuletzt die vom Sachverständigen im Gutachten vom 24. August 2011 anschaulich dargestellten „ersten Anzeichen einer eher autonomeren Entwicklung des Kindes in diesem Familienkonflikt“ im Blick hat. Allerdings setzte dies alles zunächst eine vollstreckbare Umgangsregelung voraus, die derzeit schon mangels ausreichender Konkretheit (vgl. dazu Senatsbeschlüsse vom 12. März 2010 – 6 UF 128/09 –, FamRZ 2010, 1922, und vom 25. März 2010 – 6 UF 136/09 –, FamRZ 2010, 2085, jeweils m.w.N.) des Umgangsvergleichs vom 23. November 2009 nicht vorliegt, wobei dahinstehen kann, ob dieser Vergleich auch aus anderen Gründen nicht vollstreckbar ist.

Ferner wird das Familiengericht in Fortsetzung des bereits von ihm durch Zeugeneinvernahme und Einholung des Sachverständigengutachtens im Unterhaltsverfahren 6 F 76/08 UEUK beschrittenen Weges angesichts des Gesamtverhaltens der Mutter in den beiden noch bei ihm anhängigen Unterhaltsverfahren gründlich zu wägen haben, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang eine Verwirkung ihrer Unterhaltsansprüche gegen den Vater anzunehmen ist (vgl. dazu BGH FamRZ 2007, 882).

Keiner Vertiefung im vorliegenden Verfahren bedarf nach alldem, dass die vom Jugendamt und der vormaligen Umgangspflegerin erstinstanzlich angeregte Aussetzung des väterlichen Umgangsrechts nicht nur wegen der tatsächlichen Gegebenheiten, sondern bereits aus Rechtsgründen nicht ansatzweise möglich ist (vgl. zu den diesbezüglich strengen Maßstäben nur Senatsbeschluss vom 24. Januar 2011 – 6 UF 116/10 –, FamRZ 2011, 1409 m.w.N.).

Nachdem schließlich Anhaltspunkte dafür, dass die elterliche Sorge ganz oder teilweise aufgrund anderer Vorschriften abweichend geregelt werden muss (§ 1671 Abs. 3 BGB; siehe dazu BGH FamRZ 2010, 1060 m.w.N.), nicht erkennbar sind, bewendet es bei dem angefochtenen Beschluss.

Der Senat sieht nach § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG von einer Wiederholung der bereits vom Familiengericht durchgeführten mündlichen Anhörung ab, weil von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen entscheidungserheblichen (§ 26 FamFG) Erkenntnisse zu erwarten sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG; bei den vorliegend obwaltenden Umständen entspräche insbesondere die Anordnung einer Kostenerstattung zu Lasten des im Ergebnis unterlegenen Vaters ausnahmsweise nicht der Billigkeit.

Die Festsetzung des Beschwerdewertes folgt aus § 40 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 45 Abs.1 Nr. 1 FamGKG.

Der Mutter ist ratenfreie Verfahrenskostenhilfe für die Beschwerdeinstanz unter Beiordnung ihres Verfahrensbevollmächtigten zu bewilligen (§§ 76 Abs. 1, 78 Abs. 2 FamFG i.V.m. §§ 114, 119 Abs. 1 S. 2 FamFG).

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (§ 70 FamFG).

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