Beschluss vom Verwaltungsgericht Aachen - 6 L 433/21
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
2. Der Streitwert wird auf 15.000 Euro festgesetzt.
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G r ü n d e:
2Das Gericht konnte ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung oder eines Erörterungstermins entscheiden. Verwaltungsprozessual ist die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nur dann zwingend vorgesehen, wenn durch Urteil entschieden wird (vgl. § 101 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)). Im Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO entscheidet das Gericht indes durch Beschluss (vgl. §§ 80 Abs. 7 Satz 1, 122 Abs. 1 VwGO). Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung bzw. eines Erörterungstermins (§ 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VwGO) steht in der Folge im Ermessen des Gerichts.
3Vgl. Puttler, in: Sodann/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 80, Rn. 166; Schoch, in: Schneider/Schoch, VwGO, 40. EL Februar 2021, § 80, Rn. 523, jeweils m.w.N.
4Vorliegend erachtet das Gericht die Durchführung einer mündlichen Verhandlung angesichts der Dringlichkeit einer zeitnahen Entscheidung sowie des Umstands, dass der Prozessstoff in diesem Verfahren sowie im zugehörigen Hauptsacheverfahren 6 K 1680/21 bereits umfassend schriftsätzlich aufgearbeitet wurde, für nicht erforderlich. Dass Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz (GG) hier ausnahmsweise eine andere Entscheidung einfordern würde, ist nicht ersichtlich.
5Der Antrag,
6die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 25.6.2021 (Az. 00) wiederherzustellen,
7ist aus einem objektiven Empfängerhorizont (§§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch analog) weiterhin rechtsschutzfreundlich dahingehend auszulegen (§§ 88, 122 Abs. 1 VwGO), dass beantragt wird, die aufschiebende Wirkung einer gegen zwei separate Besitzeinweisungsbeschlüsse gerichteten Klage insgesamt wiederherzustellen. Obwohl im hiesigen Verfahren sowie im zugehörigen Hauptsacheverfahren von den anwaltlich vertretenen Antragstellern bzw. Klägern (zunächst) nur der an den Antragsteller zu 1. gerichtete Besitzeinweisungsbeschluss beigefügt wurde und die Anträge jeweils im Singular formuliert sind, entspricht es nicht ihrem objektivierten Willen, bezüglich nur eines Besitzeinweisungsbeschlusses Klage zu erheben bzw. die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung dieser Klage zu erwirken. Dies folgt schon daraus, dass dem Antragsteller zu 2. bei einer solchen Auslegung in beiden Verfahren bereits die Antrags- bzw. Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO (analog) fehlen würde. Dies kann offenkundig nicht gewollt sein. Weiterhin ist insofern in Rechnung zu stellen, dass im weiteren Verfahrenslauf auch der an den Antragsteller zu 2. gerichtete Besitzeinweisungsbeschluss an das Gericht übersandt wurde und auch im Übrigen von Antragstellerseite auf beide Beschlüsse – welche im Übrigen dasselbe Datum und Geschäftszeichen tragen sowie weitgehend wortlautidentisch sind – Bezug genommen wurde. Die Antragsteller haben zuletzt mit Schriftsatz vom 4. Oktober 2021 klargestellt, dass die vorstehende Auslegung von Klage- und Eilantrag ihrem tatsächlichen Willen entspricht.
8Der so verstandene Antrag hat keinen Erfolg. Er ist jedenfalls unbegründet.
9Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage 6 K 1680/21, mit welcher sich die Antragsteller bei verständiger Würdigung gegen beide Beschlüsse des Antragsgegners vom 25. Juni 2021 über die vorzeitige Besitzeinweisung der Beigeladenen zur bergbaulichen Nutzung der von den Antragstellern gemieteten Räume wenden, ist gemäß § 80a Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 VwGO statthaft. Bei einem Beschluss über die vorzeitige Besitzeinweisung gemäß § 97 Bundesberggesetz (BBergG) handelt es sich um einen belastenden Verwaltungsakt mit begünstigender Drittwirkung. Die hiergegen gerichtete Anfechtungsklage entfaltet entgegen § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO keine aufschiebende Wirkung, da der Antragsgegner auf Antrag der Beigeladenen gemäß § 80a Abs. 2 in Verbindung mit § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung der Besitzeinweisungsbeschlüsse angeordnet hat.
10Die Klage in der Hauptsache erweist sich zunächst nicht als offenkundig unzulässig. Insbesondere ist die am 24. Juli 2021 erhobene Klage gegen die jeweils am 30. Juni 2021 an den Prozessbevollmächtigen des Antragstellers zu 1. bzw. den – zu diesem Zeitpunkt noch nicht anwaltlich vertretenen – Antragsteller zu 2. persönlich zugestellten Besitzeinweisungsbeschlüsse nicht verfristet, vgl. § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Dahinstehen kann demgegenüber, ob die Antragsteller, welche die Räumlichkeiten jedenfalls erst zum 00 (vgl. § 2 Nr. 1 des Mietvertrags vom 25. August 2020) und damit im Bewusstsein über deren bevorstehende bergbauliche Inanspruchnahme angemietet haben, gemäß § 42 Abs. 2 VwGO (analog) antrags- bzw. klagebefugt sind oder eine Antrags- bzw. Klagebefugnis – eine wirksame Vermietung unterstellt – in Übertragung der Grundsätze zum Erwerb eines "Sperrgrundstücks",
11vgl. hierzu Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 25. Januar 2012 – 9 A 6/10 –, juris, Rn. 13; ausführlich auch Verwaltungsgericht (VG) Aachen, Urteil vom 3. November 2016 – 6 K 369/15 –, juris, Rn. 34 ff. m.w.N.,
12bzw. nach allgemeinen Grundsätzen zum Verbot einer unzulässigen Rechtsausübung ausgeschlossen ist.
13Denn der Antrag ist jedenfalls unbegründet.
14Ein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80a Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 VwGO ist bereits dann zumindest teilweise erfolgreich, wenn die behördliche Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80a Abs. 2 in Verbindung mit § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO nicht den Begründungsanforderungen aus § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügt.
15Im Übrigen trifft das Gericht nach § 80a Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 VwGO eine eigene Ermessensentscheidung. Maßstab ist hierbei eine umfassende Abwägung zwischen dem privaten Suspensivinteresse der Antragsteller einerseits und dem öffentlichen und privaten Vollzugsinteresse (der Beigeladenen) andererseits. Hierbei kommt den summarisch zu prüfenden Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache – mithin der voraussichtlichen Rechtswidrigkeit oder Rechtmäßigkeit des dort streitgegenständlichen Verwaltungsakts – maßgebliches Gewicht zu. Mit Blick auf das Eigentumsgrundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG, welches grundsätzlich auch das Besitzrecht des Mieters an einer gemieteten Wohnung erfasst,
16vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 26. Mai 1993 – 1 BvR 208/93 –, juris, Leitsatz 1 und Rn. 19 ff.,
17sowie die Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ist insofern zu beachten, dass der Vollzug der vorzeitigen Besitzeinweisung irreparable Folgen für die Antragsteller hätte, die auch im Falle des Obsiegens in der Hauptsache nicht mehr rückgängig zu machen wären und einen schwerwiegenden Eingriff in sein Eigentumsgrundrecht bedeuten würden. Daher ist mit Blick auf dieses zentrale Abwägungskriterium des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO aus verfassungsrechtlichen Gründen eine dem Hauptsacheverfahren angenäherte, erhöhte Prüfungsintensität zu Grunde zu legen; ein Rückzug auf eine von den Erfolgsaussichten der Hauptsache losgelöste Vollzugsfolgenabwägung ist regelmäßig unzulässig.
18Vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 14. September 2016 – 1 BvR 1335/13 –, juris, Rn. 20 f. m.w.N.; allgemein auch Schoch, in: Schneider/Schoch, VwGO, 40. Ergänzungslieferung Februar 2021, § 80, Rn. 411.
19Nach diesen Maßstäben erweist sich der Antrag der Antragsteller als unbegründet.
20Die behördliche Anordnung der sofortigen Vollziehung entspricht mit Blick auf beide Besitzeinweisungsbeschlüsse den Begründungsanforderungen aus § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Hiernach ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Dieses Formerfordernis soll neben der Information des Betroffenen und des mit einem eventuellen Aussetzungsantrag befassten Gerichts vor allem die Behörde selbst mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG zwingen, sich des Ausnahmecharakters der sofortigen Vollziehung bewusst zu werden. Die Anforderungen an den erforderlichen Inhalt einer solchen Begründung dürfen aber nicht überspannt werden. Diese muss nur einen bestimmten Mindestinhalt aufweisen. Dazu gehört es insbesondere, dass sie sich nicht lediglich auf eine bloße Wiedergabe des Textes des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO oder auf lediglich formelhafte, abstrakte und letztlich inhaltsleere Wendungen, namentlich solche ohne erkennbaren Bezug zu dem konkreten Fall, beschränken darf. Demgegenüber verlangt § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO gerade nicht, dass die für das besondere Vollzugsinteresse angeführten Gründe auch materiell überzeugen, also inhaltlich die getroffene Maßnahme rechtfertigen.
21Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 8. November 2016 - 8 B 1395/15 -, juris, Rn. 6 f. m.w.N.
22Gemessen daran ist die – soweit ersichtlich wortlautidentische – Begründung der Vollziehungsanordnungen im vorliegenden Fall nicht zu beanstanden. Der Antragsgegner hat in den streitgegenständlichen Besitzeinweisungsbeschlüssen auf fünf Seiten ausführlich und schriftlich mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung auseinandergesetzt, die aus seiner Sicht maßgeblichen öffentlichen und privaten Suspensiv- und Vollzugsinteressen dargelegt und zuletzt in einer Abwägungsentscheidung gegenübergestellt (vgl. Beschlüsse über die vorzeitige Besitzeinweisung vom 25. Juni 2021, Geschäftszeichen 00 (Besitzeinweisungsbeschlüsse), S. 38-42 bzw. S. 41-45). Hierbei stellt er im Ergebnis im Wesentlichen darauf ab, dass im Falle einer – zu erwartenden – Klageerhebung mit aufschiebender Wirkung die für die planmäßige Abraum- und Kohlegewinnung erforderliche Vorbereitung des Tagebauvorfeldes nicht termingerecht erfolgen könne. Dies hätte unmittelbare Auswirkungen auf den planmäßigen und linearen Fortschritt der Abbaukante in Richtung Südwesten, weil ein Sicherheitsabstand von 100 m zu beachten sei, für den ein absolutes Betretungsverbot für jedermann gelte, und die Abbaukante zum 31. Dezember 2021 bereits weniger als 80 m von der östlichen Grenze des Grundstücks des Antragstellers entfernt sei. Dies wiederum hätte unmittelbare Auswirkungen auf den planmäßigen Fortschritt der einzelnen Abbausohlen, weil aufgrund der engen räumlichen Verhältnisse im Tagebau Garzweiler nicht die Möglichkeit bestehe, die Abraum- und Kohlegewinnung für einen bestimmten Zeitraum auf einzelne Abbausohlen und dort auf einzelne Strossenabschnitte zu konzentrieren. In der Folge müsste die Gewinnungstätigkeit bei längerer Verfahrensdauer eingestellt werden, was die Versorgungssicherheit für Strom schwerwiegend beeinträchtigen würde (vgl. Besitzeinweisungsbeschlüsse, S. 40 f. bzw. S. 43 f.).
23Dass sich diese Begründung in Teilen mit derjenigen der Verwaltungsakte selbst deckt, erweist sich ausnahmsweise als unschädlich. Denn bereits die vorzeitige Besitzeinweisung ist nach § 97 Satz 1 BBergG nur dann zulässig, wenn die sofortige Ausführung des die Grundabtretung erfordernden Vorhabens dringend geboten ist. Die Gründe für den Erlass der Besitzeinweisungsbeschlüsse decken sich insofern notwendigerweise mit den Gründen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung derselben. In einem solchen Fall ist die Behörde nicht gezwungen, im Rahmen der Begründung des Verwaltungsakts Gründe „zurückzuhalten“, um sie als besondere Erwägungen bei der Begründung für die Anordnung der sofortigen Vollziehung verwenden zu können.
24Vgl. VG Halle (Saale), Beschluss vom 19. April 2010 – 3 B 39/10 –, juris, Rn. 4; Oberverwaltungsgericht für das Land Brandenburg (OVG BB), Beschluss vom 28. September 2000 – 4 B 130/00 –, juris, Rn. 21 (zur Kongruenz von Erlass- und Vollzugsinteresse); Bayerischer Verwaltungsgerichtshof (BayVGH), Beschluss vom 5. September 2019 – 13 AS 19.820 –, juris, Rn. 19 (zu § 65 Flurbereinigungsgesetz); aus der Literatur Rehs, in: Frenz, BBergG, 2019, § 97, Rn. 11.
25Auch die im Weiteren vorzunehmende, an den Erfolgsaussichten der Hauptsache auszurichtende Interessenabwägung fällt zu Lasten der Antragsteller aus.
26Die in der Hauptsache streitgegenständlichen Besitzeinweisungsbeschlüsse erweisen sich auch nach Maßgabe der verfassungsrechtlich eingeforderten Prüfungsintensität aller Voraussicht nach als rechtmäßig, weswegen die Hauptsacheklage 6 K 1680/21 – unabhängig von den vorstehenden Fragen zur Zulässigkeit – jedenfalls in der Sache keinen Erfolg haben dürfte, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
27Rechtsgrundlage für eine bergrechtliche vorzeitige Besitzeinweisung ist § 97 Satz 1 BBergG. Hiernach kann die zuständige Behörde den Grundabtretungsbegünstigten auf dessen Antrag schon vor Abschluss des Verfahrens in den Besitz des betroffenen Grundstücks einweisen, wenn die sofortige Ausführung des die Grundabtretung erfordernden Vorhabens aus den in § 79 BBergG genannten Gründen des Wohles der Allgemeinheit dringend geboten ist.
28Die hierauf gestützten Besitzeinweisungsbeschlüsse erweisen sich zunächst als formell rechtmäßig.
29Die landesweite Zuständigkeit der Bezirksregierung Arnsberg für die Ausführung des BBergG folgt aus § 142 BBergG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 der Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten und zur Übertragung von Verordnungsermächtigungen auf dem Gebiet des Bergrechts. Ein Antrag (§ 97 Satz 1 BBergG) wurde von der Beigeladenen am 16. Februar 2021 ebenfalls gestellt, nachdem sie von der zuständigen Meldebehörde Kenntnis davon erlangt hatte, dass die Antragsteller dort ihren Wohnsitz gemeldet haben. Den Antragstellern wurde zudem gemäß § 97 Satz 2 BBergG Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben; hiervon wurde nur seitens des Antragstellers zu 1. Gebrauch gemacht.
30Die Besitzeinweisungsbeschlüsse erweisen sich weiterhin als materiell rechtmäßig.
31Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 97 Satz 1 BBergG liegen vor. Die sofortige Ausführung des Vorhabens erweist sich aus den in § 79 BBergG genannten Gründen des Wohles der Allgemeinheit als dringend geboten.
32Aus der Bezugnahme des § 97 Satz 1 BBergG auf die in § 79 BBergG genannten Gründe des Wohles der Allgemeinheit sowie der Funktion der vorzeitigen Besitzeinweisung folgt insofern zunächst das Erfordernis, dass das korrespondierende Grundabtretungsverfahren aller Voraussicht nach erfolgreich sein wird.
33Vgl. VG Gera, Beschluss vom 18. Dezember 2020 – 5 E 1228/20 Ge –, juris, Rn. 60; VG Cottbus, Beschluss vom 20. Juni 2017 – 3 L 255/17 –, juris, Rn. 10; Rehs, in: Frenz, BBergG, 2019, § 97, Rn. 5 m.w.N.; Greinacher, in: Boldt/Weller, BBergG, 2. Auflage 2016, § 97, Rn. 4 ff. m.w.N.
34Insofern ist im Ausgangspunkt zu beachten, dass die Antragsteller nicht Grundabtretungspflichtige im Rahmen dieses Grundabtretungsverfahrens sind. Grundabtretungspflichtig ist nach § 80 Abs. 2 BBergG nur der Eigentümer der betroffenen Grundstücke. Als besitzberechtigte Mieter sind die Antragsteller an diesem Grundabtretungsverfahren gemäß § 80 Abs. 3 BBergG nur als Nebenberechtigte zu beteiligen. Die Rechtswirkungen des Grundabtretungsbeschlusses gegenüber Nebenberechtigten ergeben sich aus § 87 BBergG. Hiernach können ihre Besitzrechte aufrechterhalten werden, wenn und soweit dies mit dem Grundabtretungszweck vereinbar ist (§ 87 Abs. 1 BBergG). Andernfalls erlöschen diese Rechte mit Ausführung der Grundabtretung und es ist regelmäßig Entschädigung zu leisten (§ 87 Abs. 2 BBergG).
35Im vorliegenden Kontext bedeutet dies, dass das Grundabtretungsverfahren gegen den Grundstückseigentümer und Vermieter der Antragsteller, welches durch den sowohl durch die Antragsteller (6 K 1233/21 und 6 K 1682/21) als auch durch den Eigentümer (6 K 115/21) beklagten Beschluss vom 17. Dezember 2020 (Geschäftszeichen 00 (Grundabtretungsbeschluss)) – welcher auch die hier allein streitgegenständlichen Räume in den Gebäuden K. Straße, 00 Erkelenz (Gemarkung Immerath, Flur 00, Flurstück 0) umfasst – abgeschlossen wurde, maßgeblicher Referenzpunkt der vorzunehmenden Inzidentprüfung ist. Dabei kann dahinstehen, ob dieser Beschluss den Antragstellern gegenüber bereits die Rechtswirkungen nach § 87 BBergG entfaltet oder ob insofern eine Änderung bzw. Ergänzung notwendig ist. Denn es ist im hiesigen Rahmen grundsätzlich unerheblich, ob der korrespondierende Grundabtretungsbeschluss bereits erlassen, aber noch nicht gemäß § 92 BBergG ausgeführt wurde,
36vgl. zu dieser Konstellation nur Rehs, in: Frenz, BBergG, 2019, § 97, Rn. 6 m.w.N.,
37oder noch zu erlassen ist. Diese Grundsätze müssen auch für die Einbeziehung eines Nebenberechtigten gelten.
38Da zumindest die hiernach inzident zu prüfende Grundabtretung den Voraussetzungen des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG genügen muss, kann weiterhin dahinstehen, ob die vorzeitige Besitzeinweisung ebenfalls als Enteignung im verfassungsrechtlichen Sinne einzuordnen und als solche an den Voraussetzungen des Art. 14 GG zu messen ist,
39vgl. ebenfalls offen gelassen durch BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 25. Januar 2017 – 1 BvR 2297/10 –, juris, Rn. 50,
40sowie ob die Antragsteller sich in diesem Kontext tatsächlich vollumfänglich auf Art. 14 Abs. 1 GG berufen können.
41Die gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass des Grundabtretungsbeschlusses liegen vor.
42Rechtsgrundlage für den Erlass eines bergrechtlichen Grundabtretungsbeschlusses sind die §§ 77 ff. BBergG. Diese Vorschriften erweisen sich nach Maßgabe einer verfassungskonformen Auslegung (noch) als verfassungsgemäß.
43Vgl. grundlegend BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013 - 1 BvR 3139/08 u.a. -, juris, Rn. 196 ff.
44Der hierauf gestützte Grundabtretungsbeschluss erweist sich zunächst als formell rechtmäßig.
45Die landesweite Zuständigkeit der Bezirksregierung Arnsberg folgt auch insofern aus § 142 BBergG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 der Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten und zur Übertragung von Verordnungsermächtigungen auf dem Gebiet des Bergrechts. Ein schriftlicher Antrag (§ 77 Abs. 1 BBergG) wurde von der Beigeladenen mit Schreiben vom 16. Juli 2018 gestellt; dieser Antrag wurde mit Schreiben vom 3. Juli 2020 modifiziert bzw. beschränkt, nachdem der grundabtretungspflichtige Eigentümer zwischenzeitlich den Großteil seiner landwirtschaftlichen Flächen der Beigeladenen zur Nutzung überlassen hatte. Der grundabtretungspflichtige Eigentümer wurde zur beabsichtigten Grundabtretung vor Beschlusserlass auch umfänglich angehört (§ 105 BBergG in Verbindung mit § 66 Abs. 1 VwVfG). Ob die Antragsteller als Nebenberechtigte in diesem Grundabtretungsverfahren ebenfalls anzuhören waren, kann dahinstehen. Denn eine solche Anhörung könnte im Rahmen einer Änderung bzw. Ergänzung jedenfalls noch nachgeholt werden.
46Weiterhin hat die Beigeladene sich gemäß § 79 Abs. 2 Nr. 1 a) BBergG ernsthaft um den freihändigen Erwerb der Grundstücke zu angemessenen Bedingungen bemüht, und gemäß § 79 Abs. 2 Nr. 2 BBergG glaubhaft gemacht, dass die betroffenen Grundstücke innerhalb angemessener Frist zu dem vorgesehenen Zweck verwendet werden. Zudem hat das zuständige Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen bezüglich der bebauten Grundstücke die nach § 79 Abs. 3 Satz 1 BBergG erforderliche Zustimmung zur Grundabtretung mit Schreiben vom 23. November 2020 erteilt.
47Der Grundabtretungsbeschluss erweist sich auch als materiell rechtmäßig.
48Nach § 77 Abs. 1 BBergG kann auf Antrag des Unternehmers eine Grundabtretung nach Maßgabe des ersten Kapitels des siebten Teils des BBergG durchgeführt werden, soweit für die Errichtung oder Führung eines Gewinnungsbetriebes oder Aufbereitungsbetriebes einschließlich der dazugehörigen, in § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BBergG bezeichneten Tätigkeiten und Einrichtungen die Benutzung eines Grundstücks notwendig ist.
49Diese tatbestandlichen Voraussetzungen liegen vor.
50Bei der Beigeladenen handelt es sich um einen Unternehmer im Sinne des § 4 Abs. 5 BBergG, welcher mit dem Tagebau Garzweiler II einen Gewinnungsbetrieb im Sinne des § 4 Abs. 8 BBergG betreibt. Beim Rohstoff Braunkohle handelt es sich zudem um einen bergfreien Bodenschatz im Sinne des § 3 Abs. 3 BBergG, d.h. das Eigentum am Bodenschatz und an den darüber liegenden Grundstücken fällt auseinander (§ 3 Abs. 2 Satz 2 BBergG).
51Die Grundabtretung ist für die Führung dieses Gewinnungsbetriebs einschließlich der dazugehörigen Tätigkeiten nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BBergG auch notwendig im Sinne des § 77 Abs. 1 BBergG. Nach § 77 Abs. 2 BBergG ist dies insbesondere dann der Fall, wenn das Vorhaben einer technisch und wirtschaftlich sachgemäßen Betriebsplanung oder Betriebsführung entspricht und die Bereitstellung von Grundstücken des Unternehmers für diesen Zweck nicht möglich oder deshalb nicht zumutbar ist, weil die Benutzung solcher Grundstücke für andere Zwecke der in Absatz 1 bezeichneten Art unerlässlich ist. Insofern kann dahinstehen, ob zugelassenen Betriebsplänen zumindest in diesem Rahmen eine bindende (Tatbestands-)wirkung zukommt. Denn ihnen ist regelmäßig jedenfalls eine indizielle Bedeutung dahingehend zuzuschreiben, dass die planmäßige Führung des Gewinnungsbetriebs einer technisch sachgemäßen Betriebsführung entspricht und die Benutzung der hiernach betroffenen Grundstücke notwendig im Sinne des § 77 Abs. 1 BBergG ist.
52Vgl. für eine beschränkte Bindungswirkung im Rahmen des § 77 Abs. 2 BBergG BVerwG, Urteil vom 29. Juni 2006 – 7 C 11/05 –, juris, Rn. 26; bestätigt durch BVerwG, Urteil vom 29. September 2008 – 7 B 20/08 –, juris, Rn. 18; auf diese Rechtsprechung verweist – ohne Erwähnung der dortigen Beschränkungen – auch BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013 - 1 BvR 3139/08 u.a. -, juris, Rn. 276; die Frage offen lassen bspw. VG Cottbus, Urteil vom 11. März 2021 – 3 K 1022/12 –, juris, Rn. 33 f VG Köln, Urteil vom 12. März 2019 – 14 K 4496/18 –, juris, Rn. 47 m.w.N.; für die Grundabtretung wohl auch OVG NRW, Beschluss vom 5. Oktober 2018 – 11 B 1129/18 –, juris, Rn. 24 ff.; lediglich für eine faktische Indizwirkung demgegenüber VG Gera, Beschluss vom 18. Dezember 2020 – 5 E 1228/20 Ge –, juris, Rn. 63 sowie noch BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1990 – 7 C 5/90 –, juris, Rn. 41; aus der Literatur Rehs, in: Frenz, BBergG, 2019, § 77, Rn. 19; Greinacher, in: Boldt/Weller, BBergG, 2. Auflage 2016, § 77, Rn. 21 ff., jeweils m.w.N.
53Der Abbau der Braunkohle unter den von den Antragstellern gemieteten Räumen und die hierfür notwendige bergbauliche Inanspruchnahme der betreffenden Grundstücke entspricht sowohl der zum Erlasszeitpunkt des Grundabtretungsbeschlusses gültigen Leitentscheidung der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen (vgl. Landesregierung von Nordrhein-Westfalen, Leitentscheidung 2016: Eine nachhaltige Perspektive für das Rheinische Revier (Leitentscheidung 2016)), dem Braunkohlenplan Garzweiler II (1995), dem bestandkräftig zugelassenen Rahmenbetriebsplan (1997) als auch dem in den Verfahren 6 K 1433/21 und 6 K 1681/21 anderweitig angefochtenen, aber gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO sofort vollziehbaren und am 20. Dezember 2019 genehmigten Hauptbetriebsplan 2020-2022. Diese Planungen sehen unstreitig eine bergbauliche Inanspruchnahme der von den Antragstellern bewohnten Grundstücke in Form vorbereitender Maßnahmen (vgl. § 4 Abs. 2 BBergG) ab dem 4. Quartal 2021 sowie eine Abbaggerung bis Ende 2022 vor (vgl. nur die bildliche Darstellung der Abbauführung zur Anlage 4.1. zum Hauptbetriebsplan 2020-2022).
54Die hiernach zumindest indizierte Notwendigkeit der Grundabtretung zur planmäßigen Fortführung des Tagebaus Garzweiler II entfällt nicht deswegen, weil diese zwischenzeitlich planerisch überholt wäre. Insofern kann dahinstehen, ob im Rahmen der Inzidentprüfung eines Grundabtretungsbeschlusses nach § 97 Satz 1 BBergG auf die Sach- und Rechtslage im Erlasszeitpunkt oder – aufgrund der Qualifizierung der vorzeitigen Besitzeinweisung als Dauerverwaltungsakt – im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen ist.
55Vgl. zu den maßgeblichen Zeitpunkten nur VG Köln, Urteil vom 12. März 2019 – 14 K 6238/18 –, juris, Rn. 41 f. m.w.N. (Grundabtretung); VG Gera, Beschluss vom 18. Dezember 2020 – 5 E 1228/20 Ge –, juris, Rn. 55 m.w.N. (Besitzeinweisung).
56Denn auch die im Nachgang zur Grundabtretung geänderte Leitentscheidung (Landesregierung von Nordrhein-Westfalen, Leitentscheidung 2021: Neue Perspektiven für das Rheinische Braunkohlerevier (Leitentscheidung 2021)) sieht weiterhin eine bergbauliche Inanspruchnahme der von den Antragstellern bewohnten Grundstücke für den Tagebau Garzweiler II vor (vgl. Leitentscheidung 2021, Entscheidungssatz 5, S. 15 f.). Als nicht entscheidungserheblich erweist sich an dieser Stelle auch die von den Antragstellern ausführlich aufgeworfene Frage, ob diese Planungen mit Blick auf den mittel- und langfristig zu prognostizierenden Braunkohlebedarf der Energiewirtschaft überholt und zu aktualisieren bzw. mit dem Klimaschutzgebot aus Art. 20a GG zu vereinbaren sind. Denn an dem Umstand, dass die Grundabtretung für eine planmäßige Fortführung des Tagebaus Garzweiler II im Sinne des § 77 Abs. 2 BBergG notwendig ist, würde dies nichts ändern.
57Die Voraussetzungen des § 79 Abs. 1 BBergG liegen ebenfalls vor. Hiernach ist die Grundabtretung im einzelnen Falle (nur) zulässig, wenn sie dem Wohle der Allgemeinheit dient, insbesondere die Versorgung des Marktes mit Rohstoffen, die Erhaltung der Arbeitsplätze im Bergbau, der Bestand oder die Verbesserung der Wirtschaftsstruktur oder der sinnvolle und planmäßige Abbau der Lagerstätte gesichert werden sollen, und der Grundabtretungszweck unter Beachtung der Standortgebundenheit des Gewinnungsbetriebes auf andere zumutbare Weise nicht erreicht werden kann. Bei der tatbestandlichen Maßstabsbildung ist allerdings dem Umstand Rechnung zu tragen, dass diese Vorschrift mit Blick auf Art. 14 GG und Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG eine weitgehende verfassungsrechtliche Überformung erfahren hat.
58Vgl. grundlegend BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013 - 1 BvR 3139/08 u.a. -, juris; aus der Literatur zusammenfassend auch Rehs, in: Frenz, BBergG, 2019, § 77, Rn. 1 ff.; Greinacher, in: Boldt/Weller, BBergG, 2. Auflage 2016, Vorbemerkungen zu §§ 77-106, Rn. 9 ff.
59Aus Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG folgt insofern zunächst, dass die Grundabtretung – als Enteignung im verfassungsrechtlichen Sinne – nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig ist. Es ist nach Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG weiterhin Aufgabe des parlamentarischen Gesetzgebers, hinreichend konkret das die Enteignung legitimierende Gemeinwohlziel zu bestimmen.
60Vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013 - 1 BvR 3139/08 u.a. -, juris, Rn. 169 ff. m.w.N.
61Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt § 79 Abs. 1 BBergG zumindest insofern, als eine Grundabtretung hiernach nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig ist und dort als mögliches Gemeinwohlziel die Versorgung des Marktes mit Rohstoffen – nach der Systematik des Bundesberggesetzes zählen hierzu nur die in § 3 Abs. 3 und Abs. 4 BBergG namentlich aufgezählten bergfreien und grundeigenen Bodenschätze – normiert ist.
62Vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013 - 1 BvR 3139/08 u.a. -, juris, Rn. 201 ff.; zur Verfassungswidrigkeit einer weiteren Auslegung ("insbesondere") ebd., Rn. 200; zu den verfassungsrechtlichen Zweifeln an den in § 79 Abs. 1 BBergG darüber hinaus aufgeführten "Gemeinwohlzielen" ebd., Rn. 204.
63Diese hinreichend konkrete und auch im vorliegenden Fall einschlägige gesetzliche Festlegung eines grundsätzlich tragfähigen Gemeinwohlziels im Sinne des Art. 14 Abs. 3 Satz 1 GG,
64vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013 - 1 BvR 3139/08 u.a. -, juris, Rn. 205,
65wird – unabhängig vom maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt – durch die Leitentscheidungen 2016 und 2021 bereits exekutiv zulässigerweise auf die Versorgung des Energiemarktes mit Braunkohle konkretisiert.
66Vgl. ebenfalls zum Tagebau Garzweiler BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013 - 1 BvR 3139/08 u.a. -, juris, Rn. 283.
67Auch die bundesgesetzlichen Regelungen des Gesetzes zur Beendigung der Kohleverstromung (Kohleverstromungsbeendigungsgesetz – KVBG) gehen im Übrigen von einer Braunkohleverstromung und -verarbeitung und damit vom einem energiewirtschaftlichen Bedarf dieses Rohstoffes mindestens bis zum Jahr 2035 und spätestens bis zum Jahr 2038 aus (vgl. § 40 ff. KVBG sowie die in Anlage 2 festgelegten Stilllegungszeitpunkte für die einzelnen Braunkohleanlagen) und damit von einer zumindest noch bis mindestens 2035 andauernden Gemeinwohldienlichkeit des Braunkohleabbaus aus. Zuletzt wird die Gewinnung von Braunkohle zur Versorgung des Energiemarktes in den §§ 20 ff. des Landesplanungsgesetzes Nordrhein-Westfalen auch vom Landesgesetzgeber implizit vorausgesetzt. Auf die verfassungsrechtlich umstrittene Regelung des § 48 Abs. 1 KVBG, welche die energiepolitische und energiewirtschaftliche Notwendigkeit und den vordringlichen Bedarf zur Gewährleistung einer sicheren und zuverlässigen Energieversorgung konkret für den Tagebau Garzweiler II feststellt, kommt es daher an dieser Stelle nicht an.
68Entgegen der Auffassung der Antragsteller umfasst die – hiernach gemeinwohldienliche – Versorgung des Energiemarktes mit Braunkohle auch die Herstellung und Bereitstellung veredelter Braunkohleprodukte wie Briketts oder Braunkohlestaub. Denn auch hierbei handelt es sich um einen Teil des Energiemarktes. Derartige Veredelungsprodukte werden nach dem insofern unbestrittenen Vortrag der Beigeladenen als Energieträger bspw. in Hochöfen und anderen industriellen Infrastrukturen, aber auch noch zur Wärmeerzeugung in Privathaushalten benötigt. Dass das vorgenannte Gemeinwohlziel des § 79 Abs. 1 BBergG diesen Teil des Energiemarktes mit einschließt, wird letztlich auch durch die konkretisierenden Regelungen des KVBG deutlich, dessen Ausstiegspfad entsprechende Anlagen gerade mit einbezieht (vgl. Anlage 2 zum KVBG, Brikettierungsanlage Frechen). Aus dem von den Antragstellern zitierten Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen ergibt sich insofern nichts anderes. Soweit dort darauf abgestellt wird, dass die Beigeladene drohenden Lieferengpässen bei ihren Kraftwerken auch dadurch begegnen könne, dass auf die Veredelung von Braunkohle verzichtet werde,
69vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5. Oktober 2018 – 11 B 1129/18 –, juris, Rn. 39,
70geschah dies im Rahmen einer Vollzugsfolgenabwägung (s. hierzu unten). Für die hiesige Rechtsfrage lassen sich daraus keine Rückschlüsse ziehen.
71Diese bundes- und landesrechtliche Grundentscheidung zugunsten einer Versorgung des Energiemarktes mit Braunkohle ist weiterhin unter – hier allein maßgeblichen – rechtlichen Punkten nicht zu beanstanden. Denn es ist zuallererst eine energiepolitische Entscheidung des Bundes und der Länder, mit welchen Energieträgern und in welcher Kombination der verfügbaren Energieträger sie eine zuverlässige Energieversorgung sicherstellen wollen. Diese Entscheidung ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig, wie etwa der Versorgungssicherheit bei Nutzung einer bestimmten Energiequelle, der aus ihrer Verwendung resultierenden Kosten für Wirtschaft und Verbraucher, ihrem Einfluss auf den Klima- und Umweltschutz, den Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt oder der gebotenen Rücksichtnahme auf europäische oder internationale Verpflichtungen. Bei der Gewichtung dieser Faktoren haben Bund und Länder einen erheblichen Einschätzungsspielraum. Auch die Beurteilung ihres Zusammenspiels hängt wiederum von politischen Wertungen und in erheblichem Umfang von schwierigen prognostischen Einschätzungen ab.
72Einer gerichtlichen Kontrolle sind diese komplexen energiepolitischen Grundentscheidungen nur sehr begrenzt zugänglich. Das Grundgesetz bietet keinen Maßstab für die zu einem bestimmten Zeitpunkt allein verfassungsgemäße oder auch nur verfassungsrechtlich vorzugswürdige Energiepolitik des Bundes oder eines Landes. Auch die energiepolitische Entscheidung zugunsten des Abbaus eines fossilen Energieträgers kann daher gerichtlich nur darauf überprüft werden, ob sie offensichtlich und eindeutig unvereinbar mit verfassungsrechtlichen Wertungen ist, wie sie insbesondere in den Grundrechten – hier vor allem Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG – oder den Staatszielbestimmungen – hier insbesondere dem Art. 20a GG – zum Ausdruck kommen.
73Vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013 –– 1 BvR 3139/08 u.a. –, juris, Rn. 287; 289.
74Dass der hiernach zurzeit weiterhin als gemeinwohldienlich definierte Braunkohleabbau zur Versorgung des Energiemarktes bereits zum heutigen Zeitpunkt offensichtlich und eindeutig unvereinbar mit den vorgenannten verfassungsrechtlichen Wertungen wäre, ist trotz der unbestreitbaren Klima- und Umweltschädlichkeit des Braunkohleabbaus bzw. der Braunkohleverstromung sowie des anthropogenen Klimawandels mit seinen weitreichenden Folgen auch für Deutschland,
75vgl. hierzu zuletzt ausführlich BVerfG, Beschluss vom 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18 u.a. –, juris, Rn. 18 ff. m.w.N.,
76angesichts der Vielzahl der weiteren, mit dem Klima- und Umweltschutz politisch abzuwägenden Faktoren, weiterhin nicht ersichtlich.
77Vgl. hierzu 2013 bereits ausführlich BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013 – 1 BvR 3139/08 u.a. –, juris, Rn. 287 ff. (Garzweiler); ebenso im Ergebnis aus der aktuelleren Rechtsprechung VG Aachen, Urteil vom 3. November 2016 – 6 K 369/15 –, juris, Rn. 113 ff. (Hambach); VG Köln, Urteil vom 12. März 2019 – 14 K 4496/18 –, juris, Rn. 65 ff. (Hambach); VG Cottbus, Urteil vom 11. März 2021 – 3 K 1022/12 –, juris, Rn. 39 ff. (Lausitz), jeweils m.w.N.
78Aus dem von den Antragstellern angeführten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz (KSG) a.F.,
79vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18 u.a. –, juris; hierzu im Überblick auch Faßbender, NJW 2021, 2085 und Schlacke, NVwZ 2021, 912,
80ergibt sich im Ergebnis nichts anderes. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht dort – stark verkürzt – festgestellt, dass ein völlig unbegrenztes Fortschreiten der Erderwärmung ohne staatliches Gegensteuern nicht mehr im Einklang mit dem Grundgesetz stünde. Dem stehe neben den grundrechtlichen Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG vor allem das Klimaschutzgebot des Art. 20a GG entgegen, welches der Bundesgesetzgeber – verfassungsrechtlich maßgeblich – durch das Ziel konkretisiert habe, die Erwärmung der Erde entsprechend den Zielen des Übereinkommens von Paris aufgrund der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (Pariser Übereinkommen) auf deutlich unter 2 °C und möglichst auf 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen.
81Vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18 u.a. –, juris, Rn. 120 und 208 ff.
82Eine Verletzung der Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG hat das Bundesverfassungsgericht angesichts des weiterhin bestehenden, weiten Spielraums des Gesetzgebers und des auch insofern eingeschränkten gerichtlichen Prüfungsmaßstabs derzeit jedoch nicht feststellen können.
83Vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18 u.a. –, juris, Rn. 151 ff.
84Demgegenüber wurde vom Bundesverfassungsgericht zwar insofern bereits zum heutigen Zeitpunkt eine Grundrechtsverletzung festgestellt, als der Gesetzgeber es unterlassen habe, im Einklang mit dem Klimaschutzgebot aus Art. 20a GG ausreichende Vorkehrungen zu treffen, um die ‒ wegen der im KSG a.F. bis 2030 zugelassenen Emissionen in späteren Zeiträumen möglicherweise sehr hohen ‒ Emissionsminderungspflichten grundrechtsschonend zu bewältigen (sog. intertemporaler Freiheitsschutz). Hieraus folgt jedoch derzeit "nur" eine Pflicht des Gesetzgebers, eine diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügende Regelung über die Fortschreibung der Zielvorgaben des KSG für Zeiträume ab dem Jahr 2031 zu finden.
85Vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18 u.a. –, juris, Tenor zu 2. und Rn. 182 ff.; zur hier entwickelten Figur des intertemporalen Freiheitsschutzes nur Rutloff/Freihoff, NVwZ 2021, 917, 917 ff. und Schlacke, NVwZ 2021, 912, 914 ff.
86Aus diesen verfassungsgerichtlichen Feststellungen zu den Emissionsmengenregelungen des KSG a.F. lässt sich – ungeachtet der zwischenzeitlichen Revision des KSG – zumindest zum heutigen Zeitpunkt indes noch keine Verdichtung des Klimaschutzgebots sowie des Gebots intertemporalen Freiheitsschutzes hin zu einem verfassungsrechtlich zwingenden Gebot einer unmittelbaren bzw. gegenüber den bisherigen gesetzlichen Planungen zumindest vorzeitigen Beendigung gerade des Braunkohleabbaus bzw. der Braunkohleverstromung extrapolieren. Dies gilt selbst dann, wenn man dem vorstehenden Beschluss des Bundesverfassungsgerichts mit den Antragstellern im Ansatz die Aussage entnimmt, dass nach Maßgabe des Art. 20a GG jegliche CO²-emittierende Tätigkeit darauf zu überprüfen ist, ob sie dem Erreichen der Klimaziele des Pariser Übereinkommens entgegensteht. Anders als mit Blick auf die Zielvorgaben des KSG kann eine solche Feststellung mit Blick auf einzelne Vorhaben nämlich kaum getroffen werden. Einzelne – auch CO²-intensive – Vorhaben sind für sich genommen zumindest derzeit noch kaum geeignet, das trotz bestehender Berechnungsunsicherheiten als Orientierungspunkt fungierende nationale CO²-Restbudget,
87vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18 u.a. –, juris, Rn. 219 ff.,
88alleine oder auch nur überwiegend zu verbrauchen. Ob die Klimaziele des Pariser Übereinkommens auch mit einem solchen Vorhaben theoretisch erreichbar bleiben und das Gebot eines grundrechtsschonenden Ausgleichs im Sinne des intertemporalen Freiheitsschutzes gewahrt wird, hängt in der Folge – ungeachtet komplexer Prognose- und Berechnungsschwierigkeiten bei der Ermittlung der Emissionen einzelner Vorhaben – stets davon ab, wieviel CO² an anderer Stelle noch emittiert werden darf bzw. prognostisch noch emittiert werden wird. Mit Blick auf das vorliegende Verfahren gilt dies selbst dann, wenn man mit den Antragstellern als maßgebliche Emissionsmenge zugrunde legt, dass alleine die bislang für den Tagebau Garzweiler II bis 2038 (d.h. nicht nur bis zur geplanten bergbaulichen Inanspruchnahme der streitgegenständlichen Grundstücke Ende 2022) vorgesehene Restfördermenge im Falle der Verstromung ca. 10 % des nationalen CO²-Restbudgets verbrauchen würde und prognostisch auch verbrauchen wird.
89Die sich in der Folge notwendigerweise ergebenden schwierigen Allokations- und Prognosefragen bei der Ausgestaltung des Klimaschutzinstrumentariums, in deren Rahmen verschiedene Grundrechtspositionen sowohl aktuell als auch intertemporal in Ausgleich zu bringen sind, sind vor diesem Hintergrund auch von Verfassungs wegen noch nicht durch einzelvorhabenbezogene Gerichtsentscheidungen, sondern durch den Gesetzgeber im Rahmen einer ganzheitlichen Energie- und Klimaschutzpolitik zu entscheiden, die in ihrer Gesamtheit den vorstehenden verfassungsrechtlichen Anforderungen standhalten muss. Diese Energie- und Klimapolitik ist jedoch ebenso wenig Gegenstand des hiesigen Verfahrens wie der Braunkohleabbau oder die Kohleverstromung in ganz Deutschland, im Rheinischen Revier oder auch nur im Tagebau Garzweiler II bis zum Kohleausstieg 2038 bzw. 2035. Vielmehr betrifft dieses alleine die Zulässigkeit einer konkreten vorzeitigen Besitzweinweisung zur unmittelbar anstehenden bergbaulichen Inanspruchnahme von Grundstücken im Rahmen des Hauptbetriebsplans 2020-2022 für den Tagebau Garzweiler II.
90Eine darüber hinaus greifende Verdichtung der vorstehenden verfassungsrechtlichen Anforderung hin zu einem "Kohleausstiegsgebot", welches die gesetzgeberisch auf Bundes- und Landesebene festgelegte und untergesetzlich konkretisierte Gemeinwohldienlichkeit der Versorgung des Energiemarktes mit Braunkohle als offensichtlich und eindeutig unvereinbar mit verfassungsrechtlichen Wertungen erscheinen ließe, liefe vor diesen Hintergrund auf eine – angesichts der (noch) bestehenden Bandbreite verfassungskonformer Handlungsoptionen zum Erreichen der Pariser Klimaziele –,
91vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18 u.a. –, juris, Rn. 230 ff.; zum Budgetansatz ausführlich ebd., Rn. 215 ff.,
92zumindest derzeit nicht zu rechtfertigende verfassungsrechtliche Determinierung eines isolierten Klimaschutzinstruments hinaus, die aufgrund des weiterhin zu konzedierenden politischen Gestaltungs- und Einschätzungsspielraums in diesem Bereich mit dem rechtsstaatlichen Gewaltenteilungsprinzip nicht vereinbar wäre.
93Vgl. zum politischen Gestaltungsspielraum in diesem Kontext bereits OVG NRW, Urteil vom 21. Dezember 2007 – 11 A 1194/03 –, juris, Rn. 108 ff. m.w.N.; zum zunehmenden Gewicht des Art. 20a GG bei Fortschritt des Klimawandels bzw. abnehmenden CO²-Restbudget demgegenüber nur Faßbender, NJW 2021, 2085, 2090 f.
94Das von den Antragstellern angeführte DIW-Gutachten (DIW, Kein Grad weiter – Anpassung der Tagebauplanung im Rheinischen Braunkohlerevier zur Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze, Gutachten im Auftrag von Alle Dörfer bleiben (Kib e.V.) vom 11. Juni 2021) verdeutlicht dies. Auch hieraus ergibt sich nicht, dass gerade eine Reduktion der Restfördermengen im Rheinischen Revier bzw. im Tagebau Garzweiler II zum Erreichen der Pariser Klimaziele zwingend erforderlich wäre. Vielmehr arbeitet dieses Gutachten mit der Prämisse, dass die Energiewirtschaft überproportional zur Reduktion der CO²-Emissionen beitragen müsse, weil in diesem Sektor relativ leicht und kostengünstig auf Alternativen umgestiegen werden könne. Dem Energiesektor wird daher nur 20 % des nationalen CO²-Restbudgets zugeteilt (vgl. DIW-Gutachten, S. 5). Weiterhin wird dieses Restbudget gleichmäßig zwischen Stein- und Braunkohlekraftwerken sowie erneut unter den Braunkohlekraftwerken (und damit unter Braunkohlerevieren und Tagebauen) verteilt (vgl. DIW-Gutachten, S. 5 f.). Zuletzt werden den Berechnungen im Folgenden eine Vielzahl prognostischer Schätzungen zur Entwicklung des mittel- und langfristigen Braunkohlebedarfs zugrunde gelegt (vgl. DIW-Gutachten, S. 7 ff.). Damit nimmt das Gutachten jedoch diverse energie- und klimapolitische Allokationsentscheidungen und Prognosen vorweg, die dem zurzeit weiterhin anzuerkennenden energiepolitischen Gestaltungs- und Einschätzungsspielraum von Bund und Ländern bei der Ausgestaltung einer zur Erreichung der Pariser Klimaschutzziele geeigneten Gesamtpolitik zuzuordnen sind. Dasselbe gilt im Ergebnis für die eigenständigen Berechnungen und Prognosen der Antragsteller. Auch diese basieren auf diversen energie- und klimapolitischen Prämissen, die dem vorgenannten energiepolitischen Gestaltungs- und Einschätzungsspielraum von Bund und Ländern zuzuordnen sind. So gehen auch die Antragsteller beispielsweise im Ansatz ihrer Berechnungen ohne weiteres davon aus, dass Emissionsreduktionen im Verkehrssektor nur schwer zu realisieren seien und auch das Einsparpotential bei anderen Emissionsquellen entweder aufgrund ihrer Größe oder ihrer Unabdingbarkeit weitgehend zu vernachlässigen sei, weswegen der Energiesektor einen größeren Reduktionsbeitrag leisten müsse (vgl. Antragsbegründung vom 24. Juli 2021, S. 36 f.).
95Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die Rüge, dass die in Deutschland aktuell eingesetzten Klimaschutzinstrumente – mithin auch der sog. Kohleausstieg nach Maßgabe des KVBG – nicht ausreichen würden, um die im KSG a.F. festgelegten Minderungsquoten zu erreichen, für sich genommen derzeit keinen Verstoß gegen Art. 20a GG bzw. die Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG begründet und sich die einfachgesetzlichen Anforderungen des KSG nicht zwingend mit den – an dieser Stelle alleine maßgeblichen – verfassungsrechtlichen Anforderungen decken.
96Vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18 u.a. –, juris, Rn. 169 f. und 238.
97Die Grundabtretung ist zur Erreichung dieses verfassungskonformen Gemeinwohlziels auch geeignet, da sie den Abbau der unter dem Grundstück liegenden Braunkohle ermöglicht und hierdurch einen Beitrag zur gemeinwohldienlichen Versorgung des Energiemarktes mit Braunkohle liefert.
98Vgl. zu dieser Anforderung BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013 – 1 BvR 3139/08 u.a. –, juris, Rn. 182.
99Die Grundabtretung ist zur Erreichung des Gemeinwohlziels darüber hinaus erforderlich. Hierbei ist zu unterscheiden zwischen der Erforderlichkeit der Grundabtretung für die Verwirklichung des dem Gemeinwohl dienenden Vorhabens – hier des Tagebaus Garzweiler II – und der Erforderlichkeit des Vorhabens selbst.
100Vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013 – 1 BvR 3139/08 u.a. –, juris, Rn. 182.
101Die Grundabtretung ist für die Verwirklichung des Tagebaus Garzweiler II im obigen Sinne erforderlich.
102Eine konkrete Enteignung dient in aller Regel nicht unmittelbar dem vom Gesetzgeber als "enteignungsfähig" bestimmten Wohl der Allgemeinheit, sondern der Verwirklichung eines konkreten Vorhabens, das seinerseits zur Erreichung des Gemeinwohlziels führen oder es substantiell fördern soll. Die Erforderlichkeit der einzelnen Enteignungsmaßnahme bestimmt sich in Bezug auf dieses konkrete Vorhaben. Die Enteignung ist nur erforderlich, wenn und soweit sie für die Verwirklichung des jeweiligen Vorhabens unverzichtbar ist, es hierfür also kein milderes Mittel gibt, das gleich geeignet wäre. Kann das Vorhaben hingegen in gleicher Weise auch ohne den Entzug privaten Eigentums – etwa statt der Enteignung von Grundstücken durch die Inanspruchnahme öffentlichen oder von privater Seite freiwillig zur Verfügung gestellten Grund und Bodens – verwirklicht werden, ist die Enteignung unzulässig.
103Vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013 – 1 BvR 3139/08 u.a. –, juris, Rn. 183 m.w.N.
104Entspricht die Grundabtretung einer technisch und wirtschaftlich sachgemäßen Betriebsplanung oder Betriebsführung und ist die Bereitstellung von Grundstücken des Unternehmers für diesen Zweck nicht möglich oder deshalb nicht zumutbar im Sinne des § 77 Abs. 2 BBergG (s. hierzu bereits oben), dürfte die Erforderlichkeit der konkreten Enteignung indes regelmäßig gegeben sein. Denn in diesem Falle erweist sich die Enteignung denklogisch als unverzichtbar für die Verwirklichung der maßgeblichen Betriebsplanung, welche einen Abbau der unter dem Grundstück gelegenen Bodenschätze vorsieht.
105Vgl. zur Maßgeblichkeit des durch den Rahmenbetriebsplan zugelassenen Vorhabens bereits OVG NRW, Urteil vom 21. Dezember 2007 – 11 A 3051/06 –, juris, Rn. 47 f. m.w.N. (Garzweiler).
106Auch das Bundesverfassungsgericht hat insofern unter Bezugnahme auf § 77 Abs. 2 BBergG das durch den Rahmenbetriebsplan konkretisierte Vorhaben zum (verfassungs-)rechtlichen Bezugspunkt erklärt:
107"Das Grundstück des Beschwerdeführers liegt inmitten des Tagebaus Garzweiler I/II. Sein Abbau ist für eine technisch und wirtschaftlich sachgemäße Betriebsführung (vgl. § 77 Abs. 2 BBergG) im Sinne des zugelassenen Rahmenbetriebsplans erforderlich. Eine Umfahrung des Grundstücks im Rahmen des Braunkohleabbaus würde nach den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts dazu führen, dass etwa 60 Millionen Tonnen Braunkohle nicht gewonnen werden könnten, zugleich würde dem Grundstück jede sinnvolle anderweitige Nutzungsmöglichkeit genommen. Eigene Grundstücke des Betreibers stehen für diesen Zweck naturgemäß ohnehin nicht zur Verfügung. Der Abbau dieses Grundstücks ist damit für die Umsetzung des Vorhabens Tagebau Garzweiler I/II im enteignungsrechtlichen Sinne erforderlich. Darauf, ob gerade die unter dem Grundstück des Beschwerdeführers liegende Braunkohle für die Energieversorgung unverzichtbar ist, kommt es nicht an. Bezugspunkt der Erforderlichkeitsprüfung für die Inanspruchnahme des Grundstücks ist das konkrete Vorhaben, nicht das mit ihm verfolgte Gemeinwohlziel."
108Vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013 – 1 BvR 3139/08 u.a. –, juris, Rn. 226 (eigene Hervorhebung).
109Soweit die Antragsteller insofern auf die Möglichkeit einer alternativen Abbauführung mit verringerten Restfördermengen nach Maßgabe des DIW-Gutachtens verweisen, greift dies schon deswegen nicht durch, weil dieses Gutachten eine von der hier maßgeblichen energiepolitischen Bedarfsfeststellung grundlegend abweichende Restfördermenge aus dem Tagebau Garzweiler II zugrunde legt.
110Der Tagebau Garzweiler II erweist sich weiterhin im geplanten Umfang als für die Versorgung des Energiemarktes mit Braunkohle erforderlich.
111Das Vorhaben seinerseits muss insofern nicht gleichermaßen unverzichtbar für das Erreichen des gesetzlich vorgegebenen Gemeinwohlziels sein wie die einzelne Enteignungsmaßnahme im Hinblick auf das Vorhaben. Für die Erforderlichkeit des Vorhabens genügt vielmehr, dass es zum Wohl der Allgemeinheit vernünftigerweise geboten ist. Das ist bereits dann der Fall, wenn das konkrete Vorhaben in der Lage ist, einen substantiellen Beitrag zur Erreichung des Gemeinwohlziels zu leisten. Nicht erforderlich ist folglich, dass ohne das Vorhaben die Energieversorgung (unmittelbar) gefährdet wäre.
112Vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013 – 1 BvR 3139/08 u.a. –, juris, Rn. 184 f. m.w.N.; OVG NRW, Urteil vom 21. Dezember 2007 – 11 A 3051/06 –, juris, Rn. 65 ff.
113Dass der Tagebau Garzweiler II zurzeit noch ein wesentlicher Baustein im oben skizzierten Energiekonzept des Landes Nordrhein-Westfalen sowie der Bundesrepublik ist und nach den dort weiterhin zu erschließenden Braunkohlevorräten einen substantiellen Beitrag zur Erreichung des Gemeinwohlziels der Versorgung des Energiemarktes mit Braunkohle leisten kann, ergibt sich unmittelbar aus dem bereits erzielten und bei planmäßigem Betrieb prognostizierten Ertrag dieses Tagebaus.
114Vgl. bereits BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013 – 1 BvR 3139/08 u.a. –, juris, Rn. 299 f.
115Im Grundabtretungsbeschluss führt der Antragsgegner zur Bedarfsfeststellung diesbezüglich unter Bezugnahme auf § 48 Abs. 1 KVBG nebst der hierzu vorliegenden Gesetzesbegründung sowie die damals gültige Leitentscheidung 2016 aus, dass im Tagebau Garzweiler 2019 rund 23 Millionen Tonnen Braunkohle gefördert wurden und der Anteil des Tagebaus an der im Rheinischen Revier zur Verstromung eingesetzten Kohle bei rund 40 % liege, weswegen ihm bis zum endgültigen Kohleausstieg weiterhin eine bedeutende Rolle für die Stromversorgung zukomme. Insbesondere verbleibe der Tagebau Garzweiler II nach den Beschlüssen der Kohlekommission zur Verkleinerung des Tagebaus Hambach nach 2030 perspektivisch als einziger Tagebau zur Versorgung der Kraftwerke in Neurath und Niederaußem (vgl. Grundabtretungsbeschluss, S. 15 ff.; 20 f.).
116Nicht durchzudringen vermögen die Antragsteller insofern mit ihrem ausführlichen Vortrag, dass diese energiepolitische Bedarfsfeststellung angesichts neuerer Erkenntnisse sowie aktueller bzw. sich voraussichtlich wandelnder energiewirtschaftlicher und klimapolitischer Rahmenbedingungen in ihrem Umfang überholt sei und die zur Versorgung des Energiemarktes prognostisch erforderlichen Restfördermengen aus dem Tagebau Garzweiler II tatsächlich weitaus geringer ausfielen als bislang vorgesehen. Denn auch die Frage, wieviel Braunkohle insgesamt sowie konkret aus einem bestimmten Tagebau in Zukunft voraussichtlich noch für den Markt zur Verfügung stehen muss, ist als energiepolitische Entscheidung mit komplexen Abwägungs- und Prognoseelementen nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle zugänglich.
117Vgl. VG Köln, Urteil vom 12. März 2019 – 14 K 4496/18 –, juris, Rn. 80; in der Sache auch OVG NRW, Urteil vom 21. Dezember 2007 – 11 A 3051/06 –, juris, Rn. 82 ff.
118Die energiepolitische Bedarfsfeststellung für den Tagebau Garzweiler II im vorgenannten Umfang ist vor diesem Hintergrund jedenfalls aus rechtlicher Perspektive nicht zu beanstanden; ein durchgreifender Prognosefehler des Antragsgegners ist nicht ersichtlich. Denn mit Blick auf den mittel- und langfristig zu prognostizierenden Braunkohlebedarf der Energiewirtschaft existiert – unabhängig vom maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt – weiterhin eine äußerst heterogene und keinesfalls eindeutige Erkenntnislage.
119Die aktuelle Leitentscheidung 2021, auf die sich die Besitzeinweisungsbeschlüsse insofern ergänzend beziehen (vgl. Besitzeinweisungsbeschlüsse, S. 15 ff. bzw. S. 16 ff.), wertet diesbezüglich elf fachspezifische Studien aus. Im Ergebnis werden hierbei unterschiedliche Energieprognosen und -szenarien sowie hiermit zusammenhängende Entwicklungskorridore für die Stromerzeugung aus Braunkohle ausgemacht. In der Zeit bis 2025 wird in allen Szenarien Braunkohle zur Stromerzeugung in Deutschland eingesetzt, wobei die Mehrzahl der Szenarien eine Stromerzeugung zwischen 100 und 110 TWh, mindestens jedoch 64 TWh prognostizieren. Nur ein Szenario weicht hiervon mit 20 TWh deutlich nach unten ab. Für den Zeitraum bis 2030 reicht die Spannweite demgegenüber von 0 bis 84 TWh, wobei die Mehrzahl der Szenarien eine Stromerzeugung von 58 bis 65 TWh prognostiziert. Für den Zeitraum bis 2035 sieht demgegenüber ein gleicher Anteil an Szenarien einerseits eine Stromerzeugung zwischen 46 und 60 TWh, anderseits keine Stromerzeugung aus Braunkohle mehr vor; die restlichen Szenarien liegen in ihrer Prognose dazwischen (vgl. Leitentscheidung 2021, S. 4 f.). Vor diesem Hintergrund kommt die Landesregierung zu der Erkenntnis, dass der Abbau von Braunkohle – auch aus dem Tagebau Garzweiler II – zumindest noch bis 2030 einen substanziellen Beitrag zur Stromversorgung zu leisten habe und auch darüber hinaus einen wichtigen Beitrag zur Stromversorgung und zur Versorgungssicherheit leisten wird (vgl. Leitentscheidung 2021, S. 5). Auch wenn die Antragsteller bei ihrer ausführlichen Bedarfsberechnung zu anderen Ergebnissen gelangen, ist diese Einschätzung – unabhängig von der Stichhaltigkeit der von den Antragstellern getätigten Berechnungen – angesichts der beschriebenen Spannbreite der fachlich prognostizierten Szenarien jedenfalls nicht unvertretbar und in der Folge gerichtlich nicht zu beanstanden.
120Dasselbe gilt erst recht für die im Grundabtretungsbeschluss – neben dem Entwurf der Leitentscheidung 2021 – maßgeblich zugrunde gelegte Leitentscheidung 2016 (vgl. Grundabtretungsbeschluss, S. 12 ff.). Denn die zum damaligen Zeitpunkt für die energiepolitische Bedarfsfeststellung ausgewerteten Studien (vgl. Leitentscheidung 2016, S. 4 ff.) prognostizierten sogar noch bis 2040 einen Braunkohlebedarf der Energiewirtschaft.
121Vgl. im Ergebnis ebenso (noch auf Grundlage der Leitentscheidung 2016) VG Köln, Urteil vom 12. März 2019 – 14 K 6238/18 –, juris, Rn. 80 ff.
122Auf die im Hinblick auf ihre formelle und materielle Verfassungskonformität umstrittene Vorschrift des § 48 Abs. 1 KVBG,
123vgl. hierzu nur Hermes, Bundesgesetzgebungskompetenz für die Bedarfsfeststellung einer einzelnen Braunkohletagebaufläche? – zur Verfassungswidrigkeit von § 48 des Kohleverstromungsbeendigungsgesetzes –, Kurzgutachten im Auftrag der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, Februar 2021; Schomerus, NuR (2021) 43, 378 ff.; Spieth/Hellermann, NuR (2021) 43, 386 ff.; das Bundesverfassungsgericht hat eine hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde aus formalen Gründen nicht zur Entscheidung angenommen, vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Oktober 2020 – 1 BvR 2126/20 –, juris,
124welche die energiepolitische und energiewirtschaftliche Notwendigkeit sowie den vordringlichen Bedarf zur Gewährleistung einer sicheren und zuverlässigen Energieversorgung für den Tagebau Garzweiler II in den Grenzen der Leitentscheidung 2016 zusätzlich bundesgesetzlich festschreibt, kommt es mit Blick auf die diese Entscheidung eigenständig nachvollziehende und im Ergebnis gleichlautende energiepolitische Bedarfsfeststellung der Landesregierung für den Tagebau Garzweiler II in der Leitentscheidung 2021 (vgl. Leitentscheidung 2021, S. 4 und 5 f.) auch an dieser Stelle nicht entscheidungserheblich an. Eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG erweist sich im hiesigen Eilverfahren bereits aus diesem Grunde nicht als notwendig.
125Im Übrigen ist zu beachten, dass die von den Antragstellern bewohnten Grundstücke nach den aktuellen Planungen unstreitig bereits bis Ende 2022 zur Gewinnung der darunter liegenden Braunkohle abgebaggert werden sollen. Selbst bei Annahme eines massiven Rückgangs der Marktnachfrage nach Braunkohle und damit auch der Restfördermengen aus dem Tagebau Garzweiler II dürfte ein solcher "faktischer Kohleausstieg" bis 2030 (vgl. insofern auch die eidesstattliche Versicherung von Frau Prof. Dr. A. vom 30. September 2021 (Stellungnahme Prof. A.), S. 3) für die Antragsteller bei planmäßiger Abbauführung zu spät kommen. Vor diesem Hintergrund ist auch die Leitentscheidung 2021 zu lesen, welche gerade aufgrund bestehender Prognoseunsicherheiten in einem dynamischen energiewirtschaftlichen und -politischen Kontext eine vorrangige Inanspruchnahme der (weitgehend) unbewohnten Ortschaften Lützerath und Immerath vorsieht. Denn hiermit wird für den Fall eines stärker als prognostizierten Rückgangs der Restfördermengen bzw. eines formal frühzeitigen Kohleausstiegs die Möglichkeit offen gehalten, die noch in größerem Ausmaß bewohnten Ortschaften Kuckum, Keyenberg, Beverath sowie Unter- und Oberwestrich ggf. doch noch erhalten zu können.
126Auch insofern können die Antragsteller im Übrigen weder auf eine alternative Abbauführung (s. hierzu bereits oben), noch auf etwaige Möglichkeiten verweisen, den zumindest in den 2020er Jahren auch nach ihren Prognosen noch bestehenden Braunkohlebedarf (vgl. Stellungnahme Prof. A., S. 3) verstärkt aus anderen Tagebauen (insbesondere Hambach) zu decken. Letzteres folgt schon daraus, dass in den allermeisten Fällen bergrechtlicher Grundabtretungen vergleichbare Vorhaben in Frage kommen werden, die dem verfolgten Gemeinwohlziel ebenso dienen könnten wie dasjenige, für welches die Grundabtretung vorgenommen wird. Würde man zulassen, dass die Betroffenen eines Vorhabens darauf verweisen können, dass das Gemeinwohlziel auch durch ein anderes Vorhaben erreicht werden könnte, wäre letztlich keines dieser Vorhaben mehr durchführbar.
127Vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013 – 1 BvR 3139/08 u.a. –, juris, Rn. 184.
128Der Grundabtretungsbeschluss erweist sich zuletzt auch als angemessen.
129Insofern ist erneut zwischen der Angemessenheit der einzelnen Enteignungsmaßnahme und des konkreten Vorhabens, für das enteignet wird, zu unterscheiden.
130Vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013 – 1 BvR 3139/08 u.a. –, juris, Rn. 186.
131Die einzelne Enteignungsmaßnahme ist (nur) dann als angemessen anzusehen, wenn der Beitrag, den das entzogene Eigentumsrecht zur Verwirklichung des Vorhabens leistet, nicht außer Verhältnis zum Gewicht des Eingriffs steht, den der konkrete Eigentumsentzug für den betroffenen Rechtsinhaber bedeutet. Die nach Art. 14 Abs. 3 Satz 3 GG für die Enteignung geschuldete Entschädigung ist insofern ohne Belang; sie mindert das Gewicht des Eingriffs nicht, sondern ist lediglich zwingende Folge einer im Übrigen verfassungsgemäßen Enteignung.
132Vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013 – 1 BvR 3139/08 u.a. –, juris, Rn. 187.
133Nach diesen Maßstäben erweist sich zunächst die konkrete Grundabtretung als angemessen.
134Im Rahmen der an Art. 14 Abs. 1 GG auszurichtenden Abwägung ist insofern zu beachten, dass das Bundesverfassungsgericht zwar offen gelassen hat, ob ein aus Art. 11 GG abzuleitendes "Recht auf Heimat" anzuerkennen ist,
135vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013 – 1 BvR 3139/08 u.a. –, juris, Rn. 263 ff.,
136aber im Gegenzug betont hat, dass der das Grundeigentum entziehende Zugriff zusätzliche Schwere erlangt, wenn er auf Eigentum trifft, das zu dauerhaftem Wohnen genutzt wird, und damit gewachsene soziale Beziehungen der Eigentümer zu ihrem auch örtlich geprägten Umfeld zerstört. Denn das Eigentumsgrundrecht ist in erster Linie Grundlage persönlicher Freiheit und Selbstentfaltung auch in seinen konkreten örtlichen und sozialen Bezügen. Ein gewisser Schutz des zur "Heimat" gewachsenen sozialen Umfelds ist damit im Ergebnis durch Art. 14 Abs. 1 GG gewährleistet. Dabei wiegt der Eingriff umso schwerer, je umfassender und für die Freiheitsentfaltung gravierender die mit dem Entzug des Wohneigentums verbundene Beeinträchtigung oder gar Vernichtung des Wohnumfelds ist.
137Vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013 – 1 BvR 3139/08 u.a. –, juris, Rn. 168; 270; BVerfG, Beschluss vom 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18 u.a. –, juris, Rn. 171.
138Dies vorausgeschickt kann zu Gunsten der Antragsteller im Grundsatz unterstellt werden, dass sie tatsächlich seit ca. 00 in Lützerath wohnhaft sind und dort zwischenzeitlich ein soziales Umfeld aufgebaut haben. Hieraus ergibt sich jedoch keine besonders schützenswerte Position im vorstehenden Sinne.
139Unstreitig sind die Antragsteller frühestens im September 00 nach Lützerath gezogen. Zu diesem Zeitpunkt war das dortige örtliche Umfeld – soweit überhaupt noch vorhanden – aufgrund des Rahmenbetriebsplans 1997 bereits seit vielen Jahren durch das Bewusstsein geprägt, dass eine Abbaggerung des Ortes aller Voraussicht nach stattfinden wird. Spätestens mit Zulassung eines solchen Rahmenbetriebsplans setzt in den betroffenen Gemeinden zudem typischerweise ein Abwanderungsprozess von Menschen, Betrieben und sonstigen öffentlichen und privaten Einrichtungen ein, der zu einer zunehmend massiven Veränderung des sozialen und städtebaulichen Umfelds führt,
140vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013 – 1 BvR 3139/08 u.a. –, juris, Rn. 277,
141welcher im Jahr 2020 so gut wie abgeschlossen war. Zum Zeitpunkt des Zuzugs der Antragsteller dürfte ihr Vermieter sogar der letzte Bewohner von Lützerath gewesen sein. Die Umsiedlung der Ortschaft Lützerath bzw. der größeren Nachbarortschaft Immerath nach dem am 16. Februar 2005 genehmigten Braunkohlenplan "Umsiedlung Immerath-Pesch-Lützerath" (Umsiedlungsplan Immerath-Pesch-Lützerath) hatte bereits im Jahr 2006 begonnen und sollte 2019 bzw. 2017 eigentlich abgeschlossen sein (vgl. Umsiedlungsplan Immerath-Pesch-Lützerath, S. 27). Neu-Immerath wurde als Zuzugsort für die Umsiedler aus Lützerath und Immerath bereits ab 2006 errichtet; der Rückbau von Immerath begann bereits 2013 und ist seit 2018 abgeschlossen. Das den Vermieter der Antragsteller verpflichtende Grundabtretungsverfahren stand ebenfalls kurz vor dem Abschluss. All dies muss den Antragstellern bei ihrer Entscheidung für einen Zuzug nach Lützerath bekannt gewesen sein.
142Es liegt auf der Hand, dass ein bewusster Zuzug in ein derart vorgeprägtes Umfeld – unabhängig von der sonstigen Motivation der Antragsteller – von vornherein nicht auf Dauerhaftigkeit ausgelegt sein kann und sich bereits aus diesem Grunde als weniger schützenswert erweist. Zudem lag die Wohnsitznahme der Antragsteller zum Zeitpunkt der Besitzeinweisung gerade einmal ein gutes halbes Jahr zurück. In einer solch kurzen Zeit können – zumal mit Blick auf die beschriebene Vorprägung des noch vorhandenen sozialen Wohnumfelds – regelmäßig nicht annähernd ebenso schützenswerte soziale, örtliche und emotionale Bindungen von einem Gewicht aufgebaut werden, wie sie an anderer Stelle bei einer auf Dauerhaftigkeit angelegten Wohnsitznahme ggf. über Jahrzehnte erwachsen können.
143In der nachvollziehenden Abwägung der gegenläufigen Interessen wiegt vor diesem Hintergrund der Beitrag, den das mit der Grundabtretung erlöschende Besitzrecht der Antragsteller (vgl. § 87 Abs. 2 BBergG) zur Verwirklichung des Vorhabens Garzweiler II leistet, im Ergebnis schwerer als der Besitzentzug für die Antragsteller. Jedenfalls für eine planmäßige Betriebsführung erweist sich die Grundabtretung als zwingend notwendig (vgl. hierzu bereits oben). Der Antragsgegner und die Beigeladene haben darüber hinaus fachlich substantiiert und nachvollziehbar dargelegt, dass ohne die Grundabtretung nicht nur der planmäßige Abbau der unmittelbar unter den Grundstücken gelegenen Braunkohle unmöglich würde. Vielmehr wäre eine Umfahrung der mitten im Abbaukorridor gelegenen Grundstücke für die Beigeladene zumindest mit großen bergbautechnischen Problemen, wirtschaftlichen Verlusten und Versorgungsengpässen bei den Kraftwerken in Niederaußem und Neurath verbunden (s. hierzu unten).
144Der Tagebau Garzweiler II erweist sich ebenfalls als angemessen.
145Das konkrete Vorhaben, für das enteignet wird, erweist sich nur dann als angemessen, wenn dessen Bedeutung in einem angemessenen Verhältnis zu den hierdurch beeinträchtigten Belangen steht. Ob dies der Fall ist, muss anhand einer nachvollziehenden Gesamtabwägung zwischen den für das Vorhaben sprechenden Allgemeinwohlbelangen einerseits und den durch seine Verwirklichung beeinträchtigten öffentlichen und privaten Belangen andererseits entschieden werden. In dieser Gesamtabwägung ist auf der einen Seite zu werten und zu würdigen, ob und inwieweit das jeweilige Vorhaben das Gemeinwohlziel zu fördern in der Lage ist, wobei die grundsätzliche "Enteignungswürdigkeit" des verfolgten gemeinen Wohls bereits durch den Gesetzgeber vorgegeben wird. Dem sind auf der anderen Seite nicht nur die durch das Vorhaben nachteilig betroffenen privaten Rechtspositionen in ihrer Gesamtheit, sondern auch die ihm entgegenstehenden öffentlichen Belange gegenüberzustellen.
146Vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013 – 1 BvR 3139/08 u.a. –, juris, Rn. 188.
147Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht auch die gefestigte verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung. Hiernach ist eine Enteignung zur Gewinnung eines Bodenschatzes ebenfalls nur aufgrund einer Gesamtabwägung zulässig. Im Rahmen dieser Gesamtabwägung ist nicht nur zu prüfen, ob das öffentliche Interesse an der Gewinnung gerade des bestimmten Bodenschatzes zur Versorgung des Marktes mit Rohstoffen und damit im Ergebnis gleichlaufend das durch eine Bergbauberechtigung gesicherte Interesse des Bergbautreibenden an dessen Gewinnung und Verwertung so gewichtig sind, dass es den Zugriff auf privates Eigentum erfordert. Zu prüfen ist auch, ob andere, gewichtigere Allgemeinwohlinteressen, beispielsweise solche des Landschaftsschutzes, des Denkmalschutzes, der Wasserwirtschaft, der Raumordnung oder des Städtebaus der Gewinnung des Bodenschatzes an dieser Stelle entgegenstehen. Hierzu zählt bei Vorhaben, die in größerem Ausmaß Umsiedlungen erfordern, insbesondere auch eine nähere Würdigung des Ausmaßes solcher Umsiedlungen insgesamt, ihrer konkreten Bedeutung für die Gesamtheit der Betroffenen sowie der insoweit getroffenen Ausgleichsmaßnahmen. Eine diese öffentlichen Belange einbeziehende Entscheidung können auch Private verlangen, deren Eigentum für das Vorhaben in Anspruch genommen werden soll; denn ein Vorhaben, das zwar dem gesetzlich bestimmten Enteignungszweck dient, dem aber überwiegende öffentliche Interessen anderer Art entgegenstehen, dient nicht dem Allgemeinwohl. Dafür ist eine Enteignung nicht zulässig.
148Vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013 – 1 BvR 3139/08 u.a. –, juris, Rn. 216 unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1990 – 7 C 5/90 –, juris sowie BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2010 – 7 C 16/09 –, juris.
149Dabei ist zu beachten, dass eine entsprechende Gesamtabwägung gemäß § 48 Abs. 2 Satz 1 BBergG,
150vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Juni 2006 – 7 C 11/05 –, juris, Rn. 16 ff., ausführlich zuletzt auch VG Freiburg, Urteil vom 5. November 2020 – 10 K 2788/19 –, juris, Rn. 34 ff. m.w.N.,
151sowie von Verfassungs wegen,
152vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013 – 1 BvR 3139/08 u.a. –, juris, Rn. 318 ff.,
153zwar bereits bei der Genehmigung einer Rahmenbetriebsplanung vorzunehmen ist. Diese Abwägungsentscheidung unterscheidet sich in der Sache nicht von derjenigen, die im Rahmen einer konkreten Grundabtretungsentscheidung zu treffen ist. Es ist jeweils dieselbe Gesamtabwägung zu dem Vorhaben, die beim Angriff gegen die Zulassung des Betriebsplans unmittelbar und bei der Anfechtung der Grundabtretung inzident Gegenstand des Rechtsschutzbegehrens ist. Unterschiede ergeben sich insoweit allenfalls im Hinblick auf den geringeren Konkretisierungsgrad der Rahmenbetriebsplanung gegenüber einem den Abbau gestattenden Hauptbetriebsplan, in dessen Vollzug die Grundabtretungen erfolgen. Dementsprechend unterscheidet sich die gerichtliche Prüfungstiefe auch nicht gegenüber beiden Formen der Gesamtabwägung.
154Vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013 – 1 BvR 3139/08 u.a. –, juris, Rn. 318; in der Sache wohl auch BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2010 – 7 C 16/09 –, juris, Rn. 23: "Beide Voraussetzungen sind nicht identisch, können sich aber überschneiden".
155Bestandskräftige Rahmenbetriebspläne entfalten in Ermangelung einer entsprechenden gesetzlichen Regelung nach ständiger verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung jedoch keine enteignungsrechtliche Vorwirkung dergestalt, dass hiermit die Zulässigkeit einer Enteignung der durch die zugelassene Planung betroffenen Grundstücke abschließend festgestellt wäre und das "Ob" der Enteignung in der Folge nicht mehr in Frage gestellt werden könnte.
156Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2010 – 7 C 16/09 –, juris, Rn. 24; Beschluss vom 29. September 2008 – 7 B 20/08 –, juris, Rn. 14 ff.; Beschluss vom 20. Oktober 2008 – 7 B 21/08 –, juris, Rn. 12.
157Ob ihnen insgesamt oder in Entscheidungsteilen im hiesigen Kontext eine anderweitige – über § 77 Abs. 2 BBergG hinausgehende – Bindungswirkung für nachgelagerte Grundabtretungsverfahren zukommt, wurde vom Bundesverwaltungsgericht demgegenüber zunächst ausdrücklich offen gelassen.
158Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2010 – 7 C 16/09 –, juris, Rn. 24; Beschluss vom 29. September 2008 – 7 B 20/08 –, juris, Rn. 18; Beschluss vom 20. Oktober 2008 – 7 B 21/08 –, juris, Rn. 15 ff.; anders wohl noch Urteil vom 14. Dezember 1990 – 7 C 5/90 –, juris, Rn. 40 f.
159Das Bundesverfassungsgericht hat unter anderem im Nachgang zu dieser Judikatur jedoch klargestellt, dass von Verfassungs wegen in jedem Grundabtretungsverfahren regelmäßig (erneut) eine umfassende Abwägungsentscheidung aller privater und öffentlicher Belange zu treffen und ggf. gerichtlich zu überprüfen ist.
160Vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013 – 1 BvR 3139/08 u.a. –, juris, Rn. 233 ff. und 272.
161Dem hat sich die neuere verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung – soweit ersichtlich – in der Sache angeschlossen.
162Vgl. VG Cottbus, Urteil vom 11. März 2021 – 3 K 1022/12 –, juris, Rn. 55 ff.; VG Gera, Beschluss vom 18. Dezember 2020 – 5 E 1228/20 Ge –, juris, Rn. 73 ff.; VG Köln, Urteil vom 12. März 2019 – 14 K 4496/18 –, juris, Rn. 117 ff.
163Die gerichtliche Überprüfung dieser nachvollziehenden Gesamtabwägung ist allerdings nach allgemeinen Grundsätzen insoweit beschränkt, als die Entscheidung darüber, ob eine Maßnahme mehr schadet als nützt oder das Vorhaben in geeigneter Weise auch anders verwirklicht werden könnte, wertende Einschätzungen, Prognosen und Abwägungen voraussetzt, die vom Gericht nicht durch eigene zu ersetzen, sondern als rechtmäßig hinzunehmen sind, soweit sie fachlich und methodisch einwandfrei zustande gekommen und in der Sache vernünftig sind, d.h. die einzustellenden Belange nachvollziehbar untereinander und gegeneinander abgewogen wurden.
164Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 1986 – 4 C 6/84 –, juris, Rn. 21; unter Bezugnahme auf diese Entscheidung auch VG Köln, Urteil vom 12. März 2019 – 14 K 4496/18 –, juris, Rn. 120 f.; in der Sache zudem VG Aachen, Urteil vom 3. November 2016 – 6 K 369/15 –, juris, Rn. 144 (Rahmenbetriebsplan Hambach).
165Nach diesen Maßstäben erweist sich der Tagebau Garzweiler II als angemessen.
166Die für das seit Jahrzehnten betriebene Großvorhaben Tagebau Garzweiler I/II vorzunehmende Gesamtabwägung war in der Vergangenheit bereits Gegenstand gerichtlicher Überprüfungen; im Ergebnis wurde hierbei nach den vorstehenden Maßstäben kein Überwiegen entgegenstehender öffentlicher oder privater Belange festgestellt.
167Vgl. OVG NRW, Urteil vom 21. Dezember 2007 – 11 A 1194/02 –, juris, Rn. 54 ff.; bestätigt durch BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013 – 1 BvR 3139/08 u.a. –, juris, Rn. 322 ff.
168An dieser Einschätzung ist auch zum heutigen Zeitpunkt sowie mit Blick auf den konkret (inzident) streitgegenständlichen Grundabtretungsbeschluss im Ergebnis festzuhalten.
169Der Grundabtretungsbeschluss widmet der Gesamtabwägung aller öffentlichen und privaten Interessen insgesamt 58 Seiten (vgl. Grundabtretungsbeschluss, S. 24 ff.). Insofern ist zunächst nicht ersichtlich, dass nach obigen Maßstäben einzustellende Belange keinen Eingang in diese umfängliche Gesamtabwägung gefunden hätten oder falsch gewichtet worden wären. Dies gilt insbesondere für die von den Antragstellern zentral geltend gemachten Belange des Klimaschutzes (vgl. Grundabtretungsbeschluss, S. 31-37).
170Mit Blick auf die Belange des Klimaschutzes (vgl. auch § 13 Abs. 1 Satz 1 KSG) ist die grundsätzliche "Enteignungswürdigkeit" und Erforderlichkeit des Braunkohleabbaus im Tagebau Garzweiler II im vorgezeichneten Umfang bis mindestens 2035 trotz der unbestreitbaren Klimaschädlichkeit der Braunkohleverstromung nach obigen Ausführungen bereits vorgegeben. Diese energiepolitische Grundentscheidung ist – auch mit Blick auf aktuelle klimapolitische Entwicklungen sowie den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2021 – gerichtlich nicht zu beanstanden und daher im hiesigen Kontext nicht erneut in Frage zu stellen.
171Vgl. BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2013 – 1 BvR 3139/08 u.a. –, juris, Rn. 188.
172Darüber hinaus ergibt sich aus dem von den Antragstellern angeführten DIW-Gutachten auch nicht, dass eine Reduktion der Restabbaumenge gerade aus dem Tagebau Garzweiler II in dem von den Antragstellern geforderten Ausmaß zum Erreichen der Pariser Klimaziele zwingend erforderlich wäre. Vielmehr nimmt dieses Gutachten diverse energiepolitische Entscheidungen und Prognosen vorweg, die dem weiterhin anzuerkennenden energiepolitischen Gestaltungs- und Einschätzungsspielraum von Bund und Ländern bei der Ausgestaltung einer zur Erreichung der Pariser Klimaschutzziele geeigneten Klimaschutzpolitik zuzuordnen sind.
173Im Übrigen bleibt festzustellen, dass der Antragsgegner den Klimaschutz ausdrücklich als abwägungsrelevanten Belang anerkannt und die klimaschädlichen Auswirkungen des Vorhabens entsprechend in seine Abwägung eingestellt hat.
174Auch das Ergebnis der umfassenden Gesamtabwägung des Antragsgegners (vgl. Grundabtretungsbeschluss, S. 79 ff.) ist gerichtlich nicht zu beanstanden. Der Antragsteller hat die in diese Abwägung einzustellenden Belange nach Auffassung des Gerichts vollständig und mit zutreffender Gewichtung berücksichtigt und im Ergebnis jedenfalls nachvollziehbar und plausibel untereinander und gegeneinander abgewogen. Insbesondere hat er in diesem Kontext – entsprechend den verfassungsrechtlichen Vorgaben – abermals das besondere Gewicht des Eigentumsentzugs an bewohnten Immobilien sowie der Umsiedlungen anerkannt und entsprechend in seine Abwägung eingestellt. Das im Ergebnis dennoch ein Überwiegen des Gemeinwohlziels einer Versorgung des Energiemarktes mit Braunkohle aus dem Tagebau Garzweiler II zur Sicherung der Energieversorgung festgestellt wird, ist vor dem Hintergrund der – hier nicht erneut in Frage zu stellenden – energiepolitischen Grundentscheidungen zum maßgeblichen Energiemix sowie zum Ausstiegspfad aus der Kohleverstromung nach den §§ 40 ff. KVBG mit einer frühzeitigen Beendigung der Tagebaue Inden und Hambach gerichtlich nicht zu beanstanden.
175Die sofortige Ausführung des Vorhabens ist auch dringend geboten im Sinne des § 97 Satz 1 BBergG. Dabei kann dahinstehen, ob diese Voraussetzung im Sinne eines "gesteigerten öffentlichen Interesses" erst dann gegeben ist, wenn die Maßnahme nach Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und des Grundstücksinhabers unvermeidlich erscheint, um wesentliche Nachteile für die Gesamtheit oder zumindest eine Vielzahl von Bürgern zu vermeiden, die bei einer verzögerten Durchführung des Vorhabens eintreten würden,
176vgl. VG Gera, Beschluss vom 18. Dezember 2020 – 5 E 1228/20 Ge –, juris, Rn. 108; VG Halle (Saale), Beschluss vom 19. April 2010 – 3 B 39/10 –, juris, Rn. 51 f., unter Verweis auf Rehs, in: Frenz, § 97, Rn. 3 sowie Greinacher, in: Boldt/Weller, BBergG, 2. Auflage 2016, § 97 Rn. 7; weniger weitreichend wohl OVG NRW, Beschluss vom 24. Januar 2008 – 20 B 1769/07 –, juris, Rn. 21 ff. (zu § 37 Abs. 1 Satz 1 EEG NRW): "wesentliche Nachteile",
177oder ob es unter maßgeblicher Bezugnahme auf die Genehmigungslage ausreicht, dass ansonsten der Zeitplan des Tagebaubetriebs nicht eingehalten werden kann.
178Vgl. in diesem Sinne wohl VG Cottbus, Beschluss vom 20. Juni 2017 – 3 L 255/17 –, juris, Rn. 58 ff. sowie Beschluss vom 27. Februar 2013 – 3 L 20/13 –, juris, Rn. 70 sowie OVG BB, Beschluss vom 28. September 2000 – 4 B 130/00 –, juris, Rn. 68; unklar VG Köln, Urteil vom 12. März 2019 – 14 K 6238/18 –, juris, Rn. 26 f.
179Dass der Zeitplan des Tagebaus Garzweiler II ohne die vorläufige Besitzeinweisung zum 1. November 2021 nicht mehr eingehalten werden kann, liegt auf der Hand. Denn eine gerichtliche Entscheidung in den Hauptsacheverfahren 6 K 1233/21 und 6 K 1682/21 gegen den Grundabtretungsbeschluss wäre frühestens im Laufe des nächsten Jahres zu erwarten, wobei die aufschiebende Wirkung dieser Klagen – selbst wenn keine Rechtsmittel eingelegt würden – gemäß § 80b Abs. 1 Satz 1 VwGO im Falle der Klageabweisung erst drei Monate nach Ende der Begründungsfrist für einen Berufungs- bzw. Berufungszulassungsantrag enden würde. Mit jeglichen vorbereitenden Arbeiten für die bergbauliche Inanspruchnahme der von den Antragstellern bewohnten Grundstücke könnte erst im Anschluss daran und damit aller Wahrscheinlichkeit nach frühestens in der zweiten Jahreshälfte 2022 begonnen werden. Bei planmäßiger Betriebsführung ist zwar eine Abbaggerung der Grundstücke des Klägers erst bis Ende 2022 vorgesehen. Bereits zuvor sind diese jedoch für die Inanspruchnahme vorzubereiten, d.h. Grünstrukturen sind zu beseitigen, Häuser abzureißen und ggf. zuvor archäologisch zu erfassen sowie eine Kampfmittelsuche und ggf. -beseitigung durchzuführen. Aufgrund der heranrückenden Tagebaukante ist zudem bereits weit vor Beginn der Abbaggerung auf den von den Antragstellern bewohnten Grundstücken ein Sicherheitsstreifen anzulegen und entsprechend abzusichern. Diese Arbeiten sind bereits Teil des Gewinnungsbetriebs, vgl. § 4 Abs. 2 Satz 1 BBergG. Für die Beseitigung der Grünstrukturen ist zusätzlich zu beachten, dass die naturschutzrechtliche Rodungsperiode (1. Oktober bis 28. Februar) einzuhalten ist, d.h. nach den vorstehenden Ausführungen zur aufschiebenden Wirkung der Klagen 6 K 1233/21 und 6 K 1682/21 und der mindestens zu erwartenden Verfahrenslaufzeit (alleine in der 1. Instanz) Rodungen voraussichtlich frühestens ab dem 1. Oktober 2022 möglich wären. Die Ausführungen der Beigeladenen sowie des Antragsgegners, dass diese vorbereitenden Arbeiten 6-12 Monate in Anspruch nehmen und daher am 1. November 2021 beginnen müssen, um eine Verzögerung des planmäßigen Tagebaubetriebs auszuschließen, sind vor diesem Hintergrund ohne weiteres nachvollziehbar (vgl. hierzu Besitzeinweisungsbeschlüsse, S. 28-34 bzw. S. 31-37).
180Ergänzend hat die Beigeladene (vgl. die Stellungnahme vom 11. August 2021) jedoch auch fachlich substantiiert und aus Sicht des Gerichts plausibel ausgeführt, dass bei einer Verzögerung des Tagebaubetriebs im Bereich Lützerath nicht nur mittel- und langfristige, sondern auch kurzfristige Versorgungsengpässe bei der just-in-time-Versorgung der Kraftwerke in Niederaußem und Neurath zu erwarten wären. Diese resultierten vereinfacht daher, dass der Tagebau dann zunächst nur im Bereich südlich von Lützerath forciert werden könnte. Dies wiederum hätte eine (weitere) Verkürzung der Gewinnungsseite von 5 km auf nur noch etwa 3,8 km zur Folge. Auf einer derart verkürzten Gewinnungsseite müsste der Abbau erheblich beschleunigt werden, um ausreichende Kohlemengen für die vorgenannten Kraftwerke zu fördern. Dies sei angesichts des hiermit verbundenen organisatorischen Aufwands, insbesondere beim Erwerb der dann weitaus früher in Anspruch zu nehmenden Flächen, zeitlich nicht zu leisten. Hinzu trete, dass der oberste Braunkohleflöz "Garzweiler" im Bereich südlich von Lützerath einen geringeren Heizwert aufweise und zur Verstromung mit qualitativ hochwertiger Kohle gemischt werden müsse. Hierfür sei die Kohle aus dem Bereich nördlich von Lützerath unabdingbar. Aufgrund des unterschiedlichen Kohle-Abraum-Verhältnisses im Bereich nördlich und südlich von Lützerath könnte dieser Mangel an qualitativ hochwertiger Kohle auch nach einer "Freigabe" von Lützerath nicht ohne weiteres durch eine verstärkte Forcierung des Tagesbaus nördlich von Lützerath wieder behoben werden.
181Diese drohenden betrieblichen Probleme, wirtschaftlichen Verluste und Versorgungsengpässe zumindest bei zwei Kraftwerken sieht das Gericht als ausreichend an, um auch bei Einforderung eines gesteigerten öffentlichen Interesses die dringende Gebotenheit der sofortigen Ausführung des Vorhabens im Sinne des § 97 Satz 1 BBergG zu bejahen. Der hiergegen gerichtete Einwand der Antragsteller, es sei nicht dargelegt, dass bei entsprechenden Verzögerungen im Betriebsablauf des Tagebaus Garzweiler II die Stromversorgung in Nordrhein-Westfalen oder gar bundesweit gefährdet wäre (vgl. auch die Stellungnahme Prof. A., S. 2 f.), geht in der Folge ins Leere. Derart gravierende Auswirkungen sind im Rahmen des § 97 Satz 1 BBergG jedenfalls nicht zu fordern.
182Die dringende Gebotenheit der sofortigen Ausführung entfällt auch nicht deswegen, weil ein dem streitgegenständlichen Grundstück in Richtung Tagebau vorgelagertes Grundstück (Gemarkung Immerath, Flur 00, Flurstück 00, sog. "I.-platz") noch im Eigentum der katholischen Kirchengemeinde Immerath steht. Denn die Beigeladene ist zur bergbaulichen Inanspruchnahme dieses Grundstücks aufgrund eines privatrechtlichen Nutzungsüberlassungsvertrags berechtigt. Der Abschluss solcher Nutzungsüberlassungsverträge wird vom Gesetz – neben den freihändigen Erwerb – ausdrücklich als Möglichkeit vorgesehen, die bergbauliche Inanspruchnahme privater Grundstücke im Einvernehmen mit den Flächeneigentümern zu ermöglichen (vgl. § 79 Abs. 2 Nr. 1 b) BBergG). Zuletzt kann die Dringlichkeit der Inanspruchnahme auch nicht mit Erwägungen der Antragsteller zu einem kurz- und mittelfristig vermeintlich weitaus geringeren Braunkohlebedarf aus dem Tagebau Garzweiler II in Frage gestellt werden. Insofern ist auch an dieser Stelle auf die gegenläufige energiepolitische Bedarfsfeststellung abzustellen, welche rechtlich nicht zu beanstanden ist.
183Dahinstehen kann darüber hinaus, ob das vollständige Fehlen einer separaten Entschädigungsentscheidung für die vorzeitige Besitzeinweisung gemäß § 98 Abs. 1 Satz 1 BBergG geeignet ist, auf die Rechtmäßigkeit der Besitzeinweisung insgesamt auszustrahlen.
184Vgl. Greinacher, in: Boldt/Weller, BBergG, 2. Auflage 2016, § 98, Rn. 2.
185Eine solche Entscheidung wurde seitens des Antragsgegners nach Kenntnis des Gerichts zwar noch nicht getroffen. Es wurde jedoch eine Entscheidung in einem separaten Beschluss angekündigt (vgl. Besitzeinweisungsbeschlüsse, S. 40 bzw. S. 37). Dieses Vorgehen erklärt sich vor dem Hintergrund des besonderen Zeitdrucks, unter dem das Verwaltungsverfahren mit Blick auf die ab dem 1. November 2021 geplante (vorbereitende) Inanspruchnahme der Grundstücke stand, nachdem erst im Februar 00 bekannt geworden war, dass die Antragsteller dort zwischenzeitlich Räumlichkeiten angemietet hatten. Ein Rechtsfehler ist hierin nicht zu erkennen. Insbesondere ist § 98 Abs. 1 BBergG nicht zu entnehmen, dass die Entschädigungsentscheidung zwingend im Besitzeinweisungsbeschluss selbst enthalten sein muss. Vielmehr ergibt sich aus § 98 Abs. 2 BBergG, dass die Entschädigung für die vorzeitige Besitzeinweisung ohne Rücksicht auf die Einlegung eines Rechtsbehelfs (erst) zu dem Zeitpunkt fällig wird, in dem die vorzeitige Besitzeinweisung wirksam wird (im vorliegenden Fall mithin zum 1. November 2021). Jedenfalls bis dahin kann eine Entschädigungsentscheidung auch in einem separaten Beschluss festgesetzt werden. Für diesbezügliche Rechtsstreitigkeiten ist im Übrigen der ordentliche Rechtsweg gegeben, vgl. § 144 Abs. 1 BBergG.
186Die Besitzeinweisung erweist sich auch als ermessensfehlerfrei, § 114 Satz 1 VwGO. Ob bei Erfüllung der umfänglichen Tatbestandsvoraussetzungen für den Erlass einer vorzeitigen Besitzeinweisung nach § 97 Satz 1 BBergG überhaupt noch Fälle denkbar sind, in denen eine anderweitige Behördenentscheidung ermessensfehlerfrei wäre und somit regelmäßig eine Ermessensreduktion auf Null vorliegt,
187vgl. in diesem Sinne Greinacher, in: Boldt/Weller, BBergG, 2. Auflage 2016, § 98, Rn. 8,
188kann dabei dahinstehen. Denn jedenfalls sind durchgreifende Ermessensfehler weder vorgetragen, noch ansonsten ersichtlich. Insbesondere wurde mittels Verkehrswertgutachten eine Zustandsfeststellung im Sinne des § 99 BBergG vorgenommen.
189Vgl. hierzu VG Aachen, Beschluss vom 31. Oktober 2012 – 1 L 468/12 –, juris, Rn. 8 f.
190Sonstige Gründe, die es rechtfertigen würden, die aufschiebende Wirkung der Hauptsacheklage 6 K 1680/21 nach § 80a Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 VwGO gerichtlich wiederherzustellen, sind nicht ersichtlich.
191Die hiernach vorzunehmende Interessenabwägung des Gerichts ist maßgeblich an den Erfolgsaussichten der Hauptsache auszurichten. Dies gilt erst recht, wenn diese Erfolgsaussichten – wie im vorliegenden Fall – auch nach Maßgabe einer inhaltlich vertieften Prüfung aller Voraussicht nach zu verneinen sind. Ein weitergehendes öffentliches Vollzugsinteresse dahingehend, dass die aufschiebende Wirkung gerichtlich dennoch wiederherzustellen wäre, wenn und soweit nicht die Energieversorgung des Landes Nordrhein-Westfalens bzw. gar der Bundesrepublik Deutschland unmittelbar gefährdet ist, ist demgegenüber weder generell noch im hiesigen Einzelfall einzufordern. Auf die diesbezüglich zuletzt eingeführten Ausführungen von Frau Prof. Dr. A. (vgl. Stellungnahme A., S. 2 f.) kommt es in der Folge nicht an.
192Bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts, bedarf es in den Fällen des § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 VwGO zwar grundsätzlich der zusätzlichen Feststellung des Dringlichkeitsinteresses an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts. Die offensichtliche Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts begründet für sich allein regelmäßig noch nicht das besondere Dringlichkeitsinteresse, das den sofortigen Vollzug des Verwaltungsakts rechtfertigt.
193Vgl. Schoch, in: Schneider/Schoch, VwGO, 40. EL Februar 2021, § 80 Rn. 387; Puttler, in: Sodann/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, Rn. 161; aus der Rechtsprechung nur OVG NRW, Beschluss vom 5. Oktober 2018 – 11 B 1129/18 –, juris, Rn. 11 f., jeweils m.w.N.
194Insofern ist jedoch abermals in Rechnung zu stellen, dass bereits die vorzeitige Besitzeinweisung nach § 97 Satz 1 BBergG nur dann zulässig ist, wenn die sofortige Ausführung des die Grundabtretung erfordernden Vorhabens dringend geboten ist. Aus den Gründen, welche den Erlass einer vorzeitigen Besitzeinweisung rechtfertigen, ergibt sich mithin regelmäßig auch, dass ein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung vorliegt. Dies gilt erst Recht, wenn schon im Rahmen des § 97 Satz 1 BBergG das Vorliegen eines "gesteigerten öffentlichen Interesses" im Sinne drohender wesentlicher Nachteile für die Gesamtheit oder zumindest eine Vielzahl von Bürgern eingefordert wird. Würde man für die Anordnung der sofortigen Vollziehung ein über diese hohen tatbestandlichen Dringlichkeitsanforderungen noch hinausgehendes Dringlichkeitsinteresse für notwendig erachten, würde dies das Instrument der bergrechtlichen vorzeitigen Besitzeinweisung weitgehend aushöhlen und entwerten. Denn eine solche Besitzeinweisung vermag ihre Funktion als Instrument zur beschleunigten Verwirklichung des Grundabtretungszwecks regelmäßig nur im Falle einer – dann kaum mehr möglichen – sofortigen Vollziehungsanordnung zu entfalten.
195Aus dem auch von den Antragstellern zitierten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich insofern nichts anderes. Vielmehr wird dort mit Blick auf den – im Übrigen auch zu Gunsten der Beigeladenen greifenden – Anspruch auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG aufgrund der drohenden Schaffung vollendeter Tatsachen lediglich ein gerichtlicher Rückzug auf eine von den Erfolgsaussichten der Hauptsache losgelöste Vollzugsfolgenabwägung versperrt und eine erhöhte Prüfungsintensität eingefordert.
196Vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 14. September 2016 - 1 BvR 1335/13 -, juris, Rn. 20 ff.
197Dasselbe gilt für den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen zum Hauptbetriebsplan für den Tagebau Hambach ("Hambacher Forst"). Zwar hat das Oberverwaltungsgericht dort in Übereinstimmung mit den vorstehenden Ausführungen festgestellt, dass angesichts drohender vollendeter Tatsachen – zusätzlich zu mit hoher Wahrscheinlichkeit fehlenden Erfolgsaussichten in der Hauptsache – eine schwerwiegende konkrete Gefahr oder überwiegende öffentliche Belange es rechtfertigen müssen, den Rechtsschutzanspruch des Betroffenen einstweilen zurückstellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des Allgemeinwohls einzuleiten.
198Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5. Oktober 2018 – 11 B 1129/18 –, juris, Rn. 17 ff. m.w.N.,
199Wie bereits ausgeführt decken sich diese Anforderungen an ein zusätzliches Dringlichkeitsinteresse in der Sache jedoch mit dem – vom Gericht bereits bejahten – dringenden Erfordernis einer sofortigen Ausführung im Sinne des § 97 Satz 1 BBergG.
200Soweit das Oberverwaltungsgericht seine Entscheidung demgegenüber im Weiteren u.a. damit begründet hat, dass die Beigeladene nicht substantiiert dargelegt habe, dass ohne die sofortige Rodung des Hambacher Forstes die Energieversorgung bundes- oder landesweit nicht mehr gewährleistet wäre,
201vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5. Oktober 2018 – 11 B 1129/18 –, juris, Rn. 38 f.,
202geschah dies im Rahmen einer von den Erfolgsaussichten in der Hauptsache losgelösten Vollzugsfolgenabwägung. Denn abweichend von der vorstehenden Maßstabsbildung stufte das Oberverwaltungsgericht die Erfolgsaussichten in der Hauptsache angesichts komplexer Sach- und Rechtsfragen im konkreten Fall gerade als offen und nicht als voraussichtlich negativ ein. Desweiteren trat hinzu, dass im dortigen Verfahren Sach- und Rechtsfragen im Zentrum standen, deren Beantwortung im Hauptsacheverfahren im Falle einer bergbaulichen Inanspruchnahme des Hambacher Forstes nicht mehr möglich gewesen wäre.
203Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5. Oktober 2018 – 11 B 1129/18 –, juris, Rn. 22 ff. sowie 36.
204In einer solchen Sonderkonstellation fordert Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG aufgrund des drohenden Eintritts vollendeter Tatsachen offenkundig ein öffentliches und privates Dinglichkeitsinteresse von besonders herausragendem Gewicht ein, dass die vorstehenden, allgemein einzufordernden und mit § 97 Satz 1 BBergG deckungsgleichen Anforderungen noch einmal übersteigt. Wurde dem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG – wie im vorliegenden Fall – indes bereits durch eine intensivierte Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache Rechnung getragen und beinhaltete diese Prüfung aufgrund der besonderen Tatbestandsstruktur der Ermächtigungsgrundlage zudem bereits die Bejahung einer besonderen Dringlichkeit des Vollzugs, ist dem Aspekt drohender vollendeter Tatsachen im Rahmen der Interessenabwägung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 2 VwGO zu Gunsten der Antragsteller nicht mehr dasselbe überragende Gewicht zuzuschreiben. Ergänzend ist auch an dieser Stelle anzumerken, dass der drohende Eintritt vollendeter Tatsachen die erst kürzlich im Bewusstsein der drohenden bergbaulichen Inanspruchnahme zugezogenen Antragsteller nicht in einer materiellen Rechtsposition tangiert, der eine herausragende Schutzwürdigkeit zuzuschreiben wäre (s. hierzu bereits oben).
205Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen für erstattungsfähig zu erklären, da diese sich durch Antragstellung und umfänglichen Vortrag dem Kostenrisiko des § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat.
206Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Danach ist der Streitwert im Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit, soweit nichts anderes bestimmt ist, nach der sich aus dem Antrag des Antragstellers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Der Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit sieht insofern als Orientierungspunkt für bergrechtliche Klagen eines drittbetroffenen Privaten bei sonstigen Beeinträchtigungen nach Nr. 11.2 in Verbindung mit Nr. 2.2.2 einen Streitwert von 15.000 Euro vor. Eine Orientierung am Streitwert nach Nr. 2.2.1 des Streitwertkatalogs oder am vollen Grundstückswert erachtet das Gericht demgegenüber bereits deswegen nicht als angemessen, weil mit der vorzeitigen Besitzeinweisung – zumal für die Antragsteller als Mieter – gerade keine Eigentumsbeeinträchtigung im engeren Sinne im Raum steht. Die Monats- oder Jahreskaltmiete der Antragsteller bildet ihr Interesse am vorliegenden Verfahren ebenfalls nicht ab, weil die vorzeitige Besitzeinweisung den Besitz an der Mietsache auf unbestimmte Zeit und nicht nur für die vorgenannten Zeiträume entzieht (vgl. § 100 BBergG).
207Vgl. ebenso im Ergebnis VG Gera, Beschluss vom 18. Dezember 2020 – 5 E 1228/20 Ge –, juris, Rn. 115; a.A. beispielsweise VG Halle (Saale), Beschluss vom 19. April 2010 – 3 B 39/10 –, juris, Rn. 56 (Auffangstreitwert); VG Halle (Saale), Beschluss vom 27. Februar 2009 – 3 B 303/08 –, juris, Rn. 101 (Grundstückswert); VG Cottbus, Beschluss vom 27. Februar 2013 – 3 L 20/13 –, juris, Rn. 73 (hälftiger Grundstückswert); VG Cottbus, Beschluss vom 20. Juni 2017 – 3 L 255/17 –, juris, Rn. 63 (Pachtwert);
208Von einer Verdoppelung des Streitwerts nach Nr. 11.2 in Verbindung mit Nr. 2.2.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit wird trotz subjektiver Antragshäufung abgesehen, weil die Interessen der Antragsteller weitgehend gleichlaufend und die streitgegenständlichen Besitzeinweisungsbeschlüsse weitgehend wortlautidentisch sind. Umgekehrt erachtet das Gericht auch eine Halbierung dieses Werts im einstweiligen Rechtsschutzverfahren (vgl. Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, Nr. 1.5) als nicht sachgerecht, weil die Entscheidung angesichts des bis zur Hauptsacheentscheidung zu erwartenden Vollzugs in der Sache vorweggenommen wird.
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