Zwischenurteil vom Verwaltungsgericht Koblenz (4. Kammer) - 4 K 118/15.KO
Tenor
Die Klage ist unzulässig.
Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich gegen eine der Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von drei Windenergieanlagen in der Gemarkung B.
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Der Kläger ist ein Naturschutzbund, dessen Zweck die Förderung des Naturschutzes, der Landschaftspflege, des Tierschutzes unter besonderer Berücksichtigung der freilebenden Vogelwelt und das Eintreten für die Belange des Umweltschutzes einschließlich der Bildungs- und Forschungsarbeit ist.
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Mit Pachtvertrag vom 31. August 2010 überließ die Stadt B. der Beigeladenen für die Dauer von 25 Jahren die Grundstücke in der Gemarkung B. Flur …, Flurstücke … und … für den Bau von drei Windenergieanlagen. Die Grundstücke liegen im Vorranggebiet Nr. … „B.“ des Teilplans Windenergienutzung des Regionalplans R.-N. 2012. In der bei Erstellung des Teilplans durchgeführten strategischen Umweltprüfung wurden keine Konflikte bezüglich möglicher Beeinträchtigungen besonders geschützter Tierarten und keine Hinweise auf den Rotmilan benannt. Auch der im Aufstellungsverfahren beteiligte Beirat für Naturschutz des Beklagten äußerte am 10. März und 18. August 2011 zu dem geplanten Vorranggebiet sowie am 20. November 2011 zu drei Energieanlagenstandorten in diesem Bereich keine Bedenken. Dem Beirat gehört der Kreisvorsitzende des Klägers im Landkreis B. (als Privatperson) an.
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Die Beigeladene beantragte mit Antrag vom 15. August 2011, eingegangen bei dem Beklagten am 19. März 2012, die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von drei Windenergieanlagen Typ Enercon E-101 auf den Grundstücken Flur …, Flurstücke … und … in der Gemarkung B.. Im Rahmen dieses Genehmigungsverfahrens kam der Beklagte bei einer standortbezogenen Vorprüfung am 30. November 2012 zu dem Ergebnis, dass von dem Vorhaben keine erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen zu erwarten sind. Daraufhin machte der Beklagte in dem Amtsblatt der Kreisverwaltung „Landkreis B. aktuell“, Ausgabe …2013 vom … 2013 öffentlich bekannt, dass im Rahmen des immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren (Az. …/11) zur Errichtung und zum Betrieb von drei Windenergieanlagen auf der Gemarkung B., Flur …, Flurstücke … und … keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt wird.
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Der Beklagte genehmigte der Beigeladenen mit Bescheid vom 29. Januar 2013 (Az. …/11) die Errichtung und den Betrieb von drei Windenergieanlagen vom Typ Enercon E-101 auf den genannten Grundstücken. Nach der Nebenbestimmung Nummer 15.2 dürfen die Rodungsmaßnahmen erst nach Bestandskraft dieser Genehmigung durchgeführt werden. Nach Nummer 16 (Rückbau der Anlage) wird die Genehmigung erst mit Eingang der Verpflichtungserklärung zum Rückbau (16.1) und der Bürgschaftsurkunde (16.2., Rückbaukosten von 854.638,- €) wirksam (aufschiebende Bedingung). Die Genehmigung wurde der Beigeladenen am 5. Februar 2013 zugestellt.
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Im Februar 2013 wurden an den vorgesehenen drei Windenergieanlagenstandorten umfangreichere Rodungen vorgenommen. Der Ortsbürgermeister der Gemeinde D. informierte die Bürger dieses Ortes durch regelmäßige Gemeindebriefe über den jeweiligen Verfahrensstand und über den Verkauf des bei den Rodungen angefallenen Holzes an die Bürger der Umgebung.
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Mit Schriftsatz vom 5. März 2013 legte die Beigeladene gegen die Genehmigung Widerspruch ein. Zwischenzeitlich stellte sie am 3. April 2014 einen auf den 1. März 2014 datierten „Antrag auf Änderungsgenehmigung“, mit dem sie die Errichtung und den Betrieb von drei Windenergieanlagen Typ Enercon E-92 auf den genannten Grundstücken beantragte. Den Widerspruch vom 5. März 2013 begründete die Beigeladene mit Schriftsatz vom 29. Mai 2013 und beschränkte ihn auf die Nebenbestimmungen 14.1 (Schutz von Fledermäusen), 14.2 (Schutz von Kranichen), 14.6 (Ersatzgeldzahlung), 15.2 (Rodungsmaßnahmen) und 16.2 (Rückbaubürgschaft) sowie auf die unter IV. erfolgte Kostenfestsetzung.
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Mit Datum vom 17. September 2013 erteilte der Beklagte der Beigeladenen mit deren Billigung in einem Vollgenehmigungsbescheid (Az. …/13) die Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb der drei Windenergieanlagen Enercon E-92 auf den vorgenannten Grundstücken. Auch dieser Genehmigung waren erneut Nebenbestimmungen beigefügt, die sich auf den Schutz von Fledermäusen (14.1), auf eine Kranichabschaltung (14.2) und auf die Durchführung der Rodungsmaßnahmen erst nach Bestandskraft der Genehmigung bezogen. In Nummer 16.1 heißt es:
„Gemäß § 35 Abs. 5 Satz 2 Baugesetzbuch (BauGB) ist vor Baubeginn eine Verpflichtungserklärung des Betreibers abzugeben, wonach dieser die Windkraftanlagen nebst Bodenversiegelungen bei dauerhafter Aufgabe der Nutzung vollständig entfernen wird (Rückbau mit Bodenentsiegelung). Die Genehmigung wird erst mit Eingang dieser Verpflichtungserklärung bei der Kreisverwaltung B. wirksam (aufschiebende Bedingung).“
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Nummer 16.2 (Rückbaubürgschaft über 522.236,21 €) lautet am Ende:
„Die Genehmigung wird erst mit Eingang der Bürgschaftsurkunde bei der Kreisverwaltung B. wirksam (aufschiebende Bedingung).“
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In der Kostenentscheidung (IV.) wird der Beigeladenen für den Fall, dass die Genehmigung vom 29. Januar 2013 nicht in Anspruch genommen wird, eine Kostenerstattung in Höhe von 44.847,40 € im Hinblick auf den niedrigeren wirtschaftlichen Wert der Genehmigung gegenüber der früheren Genehmigung angekündigt.
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Mit Schreiben vom 10. Oktober 2013 (eingegangen am 15. Oktober 2013) erklärte die Beigeladene, dass sie die erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung mit dem Aktenzeichen …/11 vom 29. Januar 2013 (Antrag vom 19. März 2012) nicht in Anspruch nehme. Stattdessen werde die immissionsschutzrechtliche Genehmigung mit dem Aktenzeichen …/13 vom 17. September 2013 zur Ausführung gebracht. Somit sei die Kostenfestsetzung unter Punkt IV. der Genehmigung zu berücksichtigen. Das Widerspruchsverfahren gegen die Genehmigung vom 29. Januar 2013 wurde von der Beigeladenen für erledigt erklärt und vom Beklagten am 16. Januar 2014 eingestellt.
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Mit Telefax vom 16. Oktober 2013 erhob die Beigeladene Widerspruch gegen die Genehmigung vom 17. September 2013 sowie gegen die unter „IV. Kostenfestsetzung“ festgesetzten Gebühren des Genehmigungsverfahrens. Mit weiterem Schreiben vom 15. November 2013 beschränkte sie den Widerspruch auf die Nebenbestimmungen Nummern 1.12 (Beachtung des Rundschreibens Windenergie), 7.1.1 bis 7.1.5 (Immissionsschutz), 11.2.12 (wegerechtliche Erlaubnis), 14.1 (Schutz von Fledermäusen), 14.2 (Schutz von Kranichen), 14.4.1 (Maßnahmen zur Vermeidung und Verminderung des Eingriffs), 14.6 (Ersatzgeldzahlung), 15.2 (Rodungsmaßnahmen erst nach Bestandskraft der Genehmigung), 16 (Rückbau der Anlage und Bürgschaft) und die Kostenfestsetzung (IV.).
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Mit Schreiben vom 14. Februar 2014 kündigte die Beigeladene den Beginn der Bauarbeiten mit dem 28. Februar 2014 an. Am ….Februar 2014 erschien in der „N.-Zeitung“, der örtlichen Ausgabe der „A.-Zeitung“, ein Artikel unter der Überschrift „Windräder in B.: Baustopp dauerte nur bis zum nächsten Morgen“. Darin wurde darüber berichtet, dass die Bauarbeiten im B. Stadtwald begonnen und der Beklagte einen vorübergehenden Baustopp im Hinblick noch fehlende Unterlagen (wohl u.a. die Rückbaubürgschaft) verhängt hatte. Anschließend erhoben zwei Privatpersonen Widerspruch gegen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung, wobei einer eine Unterschriftenliste mit 47 Unterstützern vorlegte. Im Hinblick auf diese Widersprüche ordnete der Beklagte am 8. April 2014 den Sofortvollzug der Genehmigung vom 17. September 2013 an.
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Der Beklagte half dem Widerspruch der Beigeladenen gegen die Genehmigung vom 17. September 2013 hinsichtlich der Nebenbestimmungen 1.12, 11.2.12 und 15.2 mit Teilabhilfebescheid vom 31. Juli 2014 ab. Die Beigeladene nahm ihren Widerspruch bezüglich der Nebenbestimmungen 14.1.1 bis 14.1.7 (Fledermausschutz) und 14.2.1 bis 14.2.3 (Kranichabschaltung) mit Schreiben vom 19. August 2014 zurück. Zu den übrigen angefochtenen Nebenbestimmungen und zur Kostenentscheidung ist zwischenzeitlich nach Ergehen des Widerspruchsbescheides vom 4. Februar 2015 (Az. 10/057-09-83/14) ein Rechtsstreit der Beigeladenen gegen den Beklagten anhängig (4 K 176/15.KO).
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Ende Februar 2014 teilte der Kläger der Beklagten die Standorte mehrerer Milanhorste mit, die der saarländische Ornithologe R. in der Brutsaison 2013 als aktuell besetzt gefunden habe. Darunter war auch ein Horst südöstlich von D., in dessen 1000-Meter-Umfeld die Windenergieanlagen B. 1-3 und D. 2 liegen.
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Anfang Mai 2014 wurden die Fundamente für die Windenergieanlagen gegossen, im Juni 2014 stellte die Beigeladene den Baukran auf und begann mit dem Aufbau der Anlagen B. 1 und 2.
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Mit Telefax vom 7. August 2014 erhob der Kläger Widerspruch gegen den Genehmigungsbescheid vom 17. September 2013, bat um Bestätigung des Eingangs des Widerspruchs, wies auf die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs hin und bat um Untersagung der Bauarbeiten. Mit E-Mail-Schreiben vom 8. August 2014 bestätigte der Beklagte den Eingang des Widerspruchs und teilte mit, dass die sofortige Vollziehung bereits am 8. April 2014 angeordnet worden sei und somit der Widerspruch des Klägers keine aufschiebende Wirkung entfalte. In dem sodann anhängig gemachten Eilverfahren 4 L 769/14.KO auf Feststellung, dass der Widerspruch aufschiebende Wirkung habe, erklärte der Beklagte nunmehr, dass er die aufschiebende Wirkung beachten werde; daraufhin wurde das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt. Mit Schreiben vom 1. September 2014 ordnete der Beklagte die sofortige Vollziehung der Genehmigung vom 17. September 2013 auch im Hinblick auf den Widerspruch des Klägers an. Nach teilweiser Stattgabe und teilweiser Ablehnung des daraufhin gestellten Eilantrags des Klägers mit Beschluss der Kammer vom 22. September 2014 – 4 L 873/14.KO – wies das OVG Rheinland-Pfalz mit Beschluss vom 3. November 2014 – 1 B 10905/14.OVG – (juris), die Beschwerde des Klägers zurück und lehnte auf die Beschwerde des Beklagten und der Beigeladenen den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung insgesamt ab. Es führte zur Begründung im Wesentlichen aus, der Widerspruch des Klägers sei unzulässig, da etwa Ende Februar 2014 Verwirkung eingetreten sei. Das OVG Rheinland-Pfalz lehnte zwei Anträge des Klägers auf Fortführung des Verfahrens mit Beschlüssen vom 14. und 24. November 2014 – 1 B 11015/14.OVG – ab.
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Im Widerspruchsverfahren trug der Kläger im Wesentlichen vor, dass sein Widerspruch zulässig sei. Er sei als anerkannter Naturschutzverband widerspruchsbefugt, der Widerspruch sei rechtzeitig erhoben und das Widerspruchsrecht nicht verwirkt worden. Die Frist habe erst dann zu laufen begonnen, nachdem er von der Genehmigung Kenntnis erlangt habe bzw. hätte erlangen können. Kenntnis habe er erst im Juli 2014 erlangt. Eine solche Kenntniserlangung sei erst nach Erlass der Genehmigung vom 17. September 2013 möglich und könne hier frühestens mit Ende Februar 2014 angesetzt werden, als ein Bericht über das Windkraftprojekt in der „N.-Zeitung“, Ausgabe vom …Februar 2014, erschienen sei. Mit der Einlegung des Widerspruchs am 8. August 2014 sei noch nicht einmal die Hälfte der Jahresfrist abgelaufen gewesen, weshalb der Widerspruch nicht verspätet sei. Weiterhin äußerte sich der Kläger auch zur Sache und machte Einwendungen im Hinblick auf die Nichtdurchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung und auf den Schutz von Fledermäusen und Kranichen geltend.
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Der Beklagte führte im Widerspruchsverfahren aus, der Widerspruch sei bereits unzulässig, der Kläger habe sein Widerspruchsrecht verwirkt und verwies auf den Beschluss des OVG Rheinland-Pfalz vom 3. November 2014. Zudem sei die Entscheidung, nach der standortbezogenen Vorprüfung keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen, im Hinblick auf den zum damaligen Zeitpunkt vorhandenen Kenntnisstand zutreffend gewesen.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 12. Januar 2015 – Az.: 10/057-09-146/14 – wies der Kreisrechtsausschuss des Beklagten den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus, der Widerspruch sei unzulässig. Zwar sei der Widerspruch innerhalb der Jahresfrist des § 2 Abs. 4 des Umweltrechtsbehelfsgesetztes – UmwRG – erhoben worden und damit im Hinblick auf die Widerspruchsfrist rechtzeitig eingelegt. Allerdings sei der Widerspruch vorliegend schon vor Ablauf der Widerspruchsfrist wegen Verwirkung unzulässig geworden. Die spätere Erhebung des Widerspruches stelle sich als Verstoß gegen Treu und Glauben dar. Der Kreisrechtsausschuss schließe sich dem OVG Rheinland-Pfalz (Beschluss vom 3. November 2014, a.a.O.) an. Der Widerspruchsbescheid wurde den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 15. Januar 2015 zugestellt.
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Der Kläger hat am 11. Februar 2015 Klage erhoben und führt zur Begründung unter Verweis auf sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren und in den beiden Eilverfahren im Wesentlichen aus, er sei klagebefugt im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO. Zum einen ergebe sich dies aus § 64 Abs. 1 Nr. 1 des Bundesnaturschutzgesetzes – BNatSchG –, da er einen Verstoß nach § 44 BNatSchG geltend mache, zum anderen ergebe sich dies aus § 2 UmwRG, der hier Anwendung finde. Die Klage sei auch nicht wegen einer Verwirkung des Widerspruchsrechts unzulässig. Die vom OVG Rheinland-Pfalz angesprochenen Indizien für eine Verwirkung überzeugten nicht. Es komme diesen keine Vorwirkung vor dem Zeitpunkt des Erlasses der Genehmigung zu, es könne erst auf spätere Zeitpunkte abgestellt werden. Im Übrigen seien diese Umstände auch nicht früher als am 20. Februar 2014 erkennbar gewesen; insoweit werde erneut auf die gesetzliche Verschwiegenheitspflicht der Mitglieder des Naturschutzbeirats hingewiesen. Zudem verkenne der Ansatz des OVG Rheinland-Pfalz die grundlegende Bedeutung des europäischen Umweltrechts für die Rechtsbehelfe von Umweltvereinigungen. Darüber hinaus trägt er ausführlich zur Begründetheit der Klage vor und regt die Zulassung der Berufung und die Vorlage an den Europäischen Gerichtshof an.
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Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
die immissionsschutzrechtliche Genehmigung des Beklagten vom 17. September 2013 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte hält die Klage für unzulässig und verweist auf die Beschlüsse des OVG Rheinland-Pfalz vom 3. und 14. November 2014 sowie auf den Widerspruchsbescheid vom 12. Januar 2015.
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Die Beigeladene beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
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Sie ist ebenfalls der Auffassung, die Klage sei bereits unzulässig. Insoweit verweist sie auf die Entscheidungen des OVG Rheinland-Pfalz. Darüber hinaus hält sie den Zeitraum vom Erlass des Genehmigungsbescheides vom 29. Januar 2013 bis zum Erlass des Änderungsbescheides vom 17. September 2013 für in gewisser Weise bedeutsam mit den seinerzeit erfolgten Veröffentlichungen. Das Rechtsinstitut der Verwirkung sei hier auch einschlägig und die Verwirkungsfrage sei in gleicher Weise zu beantworten wie bei sonstigen verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten. Es bestünden weder aus dem Europarecht noch aus dem Aarhus-Übereinkommen Bedenken gegen die Entscheidung des OVG Rheinland-Pfalz im Eilverfahren.
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Die Beteiligten wurden zur Möglichkeit der Entscheidung im schriftlichen Verfahren über die Zulässigkeit durch Zwischenurteil angehört und haben sich mit Schriftsätzen vom 22., 23. und 26. Juni 2015 hiermit einverstanden erklärt.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die von den Beteiligten vorgelegten Schriftsätze und Unterlagen sowie die beigezogenen Verwaltungs- und Widerspruchsakten (6 Ordner) und die Gerichtsakten 4 L 769/14.KO und 4 L 873/14.KO verwiesen; sämtliche Unterlagen waren Gegenstand der Beratung.
Entscheidungsgründe
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Die Entscheidung ergeht gemäß § 101 Abs. 2 VwGO im Einverständnis der Beteiligten zu einem Zwischenurteil ohne mündliche Verhandlung.
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Gemäß § 109 VwGO kann das Gericht durch Zwischenurteil über die Zulässigkeit der Klage entscheiden. Entgegen einer in Rechtsprechung und Literatur verbreiteten Ansicht (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24. November 2011 – 10 B 14.11 – juris; Wolff: in Sodan/Ziekow, Kommentar zur VwGO, 4. Aufl., § 109 Rn. 11; Clausing in: Schoch/Schneider/Bier, Loseblatt-Kommentar zur VwGO, § 109 Rn. 5; anders: VG Koblenz, Urteil vom 12. April 2010 – 4 K 1409/09.KO – und OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 1. Juli 2010 – 8 A 10612/10.OVG –) ist eine Entscheidung nach dieser Vorschrift nicht nur bei Zulässigkeit, sondern auch bei Unzulässigkeit der Klage möglich. Weder der eindeutige Wortlaut noch der Gesetzeszweck gebieten eine einschränkende Auslegung.
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Nach dem Gesetzeswortlaut geht es um eine Entscheidung „über die Zulässigkeit der Klage“, nicht aber um eine Entscheidung lediglich „für den Fall der Zulässigkeit der Klage“. Die Frage nach der Zulässigkeit kann aber sowohl bejaht als auch verneint werden (so im Ansatz auch Wolff: in Sodan/Ziekow, a.a.O., Rn. 11).
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Der Zweck des Zwischenurteils besteht darin, die entscheidungsreife Zulässigkeitsfrage zu klären, bevor sich das Gericht und die Verfahrensbeteiligten mit dem – möglicherweise schwierigen und umfangreichen – Prozessstoff abschließend in der Sache selbst befassen (BVerwGE 65, 27). Die Prozessökonomie mag im Regelfall (wie im Zivilprozess zu § 280 ZPO angenommen: Reichold in Thomas/ Putzo, Kommentar zur ZPO, 31. Aufl., § 280 Rn. 4f.) eine Abweisung des Rechtsstreits insgesamt durch Prozessurteil als vorzugswürdig annehmen lassen. Es gibt indes – wie hier – Fallgestaltungen, bei denen gerade der Gedanke der Prozessökonomie die Entscheidung durch Zwischenurteil bei Unzulässigkeit der Klage gebietet oder zumindest als prozessual sinnvoll erscheinen lässt. Derartige Verfahrenskonstellationen zeichnen sich u. a. dadurch aus, dass in der Sache nicht ohne weitere Aufklärung, Zwischenverfahren (etwa § 99 VwGO oder die Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nach Art. 267 AEUV) oder mehrere Verhandlungstermine die mündliche Verhandlung geschlossen werden könnte. Die Endentscheidung bedürfte eines höheren prozessualen Aufwandes als der (vorläufige) Verfahrensabschluss durch Zwischenurteil. Bei letzterem haben die Beteiligten die Gelegenheit, sich zunächst argumentativ allein auf die Frage der Zulässigkeit zu konzentrieren und diese im Instanzenzug vorab klären zu lassen.
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Ferner kann bei Auslegung des § 109 VwGO nicht uneingeschränkt auf die zivilprozessuale Regelung des § 280 ZPO abgestellt werden; vielmehr sind die Besonderheiten des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zu beachten. Während im Zivilprozess sowohl innerhalb wie außerhalb der mündlichen Verhandlung regelmäßig nur Berufsrichter tätig sind, wirken gemäß § 5 Abs. 3 VwGO im Verwaltungsprozess grundsätzlich ehrenamtliche Richter mit. Weiterhin sieht § 87 Abs. 1 VwGO als Zielsetzung nur eine mündliche Verhandlung vor (vgl. abweichend §§ 275 ff. ZPO). Da die ehrenamtlichen Richter mit den gleichen Rechten wie die Berufsrichter mitwirken (§ 19 VwGO), scheidet eine Präjudizierung aus. Trotz schwieriger und/oder ungeklärter Sach- und Rechtslage im Rahmen der Begründetheitsprüfung wäre dennoch eine umfassende Vorbereitung der Verhandlung nach § 87 Abs. 1 VwGO im Hinblick auf die – im Zivilprozess nicht erforderliche – Amtsermittlung (§ 86 VwGO) geboten.
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Angesichts der Komplexität der inmitten stehenden Sach- und Rechtsfragen im Rahmen der Beurteilung der Begründetheit der Klage, auf die sich die Beteiligten z.T. nur mit sachverständiger Unterstützung vorbereiten können, sprechen hier die vorgenannten Erwägungen sowohl der Prozessökonomie als auch der Besonderheiten des Verwaltungsprozesses für die Entscheidung durch Zwischenurteil. Zudem handelt es sich vorliegend, wie in den o. a. Verfahren des VG Koblenz (Urteil vom 12. April 2010 – 4 K 1409/09.KO –) und des OVG Rheinland-Pfalz (Beschluss vom 1. Juli 2010 – 8 A 10612/10.OVG –) um ein mehrpoliges Rechtsverhältnis, welches der Zivilprozess so nicht kennt. In solchen mehrpoligen Rechtsstreitigkeiten ist die Kostenentscheidung nicht durch den Hauptsachetenor determiniert (vgl. § 162 Abs. 3 VwGO).
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Die Klage ist unzulässig. Zwar ist der Kläger klagebefugt (1), er hat fristgerecht Widerspruch eingelegt (2), das Vorverfahren ordnungsgemäß durchgeführt (3) und rechtzeitig Klage erhoben (4). Jedoch durfte er nach Treu und Glauben von seiner Widerspruchsbefugnis nicht mehr Gebrauch machen (5).
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1. Der Kläger ist klagebefugt gemäß § 42 Abs. 2 VwGO (und damit auch widerspruchsbefugt). Der Kläger ist eine nach § 3 UmwRG anerkannte Vereinigung, die nach § 2 Abs. 1 UmwRG ohne die Geltendmachung einer Verletzung in eigenen Rechten mit den dort in den Nummern 1 bis 3 genannten Inhalten Klage erheben kann. Diese Regelung findet hier nach § 1 UmwRG auch Anwendung, da das Vorhaben zumindest einer standortbezogenen Vorprüfung nach Nr. 1.6.3 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung – UVPG – unterfällt. Der Kläger macht Verstöße gegen §§ 3a und 3c UVPG sowie § 44 BNatSchG geltend.
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2. Der Kläger hat unstreitig die Widerspruchsfrist des § 2 Abs. 4 UmwRG eingehalten. Insoweit ist weder behauptet noch aus den Akten ersichtlich, dass ihm die Genehmigung seitens des Beklagten bekannt gemacht oder zugestellt wurde.
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Hinsichtlich der Widerspruchsfrist kann nicht (mehr) auf die zuvor erteilte Genehmigung vom 29. Januar 2013 abgestellt werden. Zwar hat die Beigeladene mit Antrag vom 1. März 2013 eine Abänderung dieser Genehmigung zu den einzusetzenden Windenergieanlagen, nicht aber zum Standort beantragt. Jedoch hat der Beklagte – soweit aus den Akten ersichtlich mit Einverständnis der Beigeladenen – das Verfahren sodann als neues Genehmigungsverfahren unter weitgehender Berücksichtigung der in dem vorangegangenen Antragsverfahren vorgelegten Unterlagen, Ermittlungen und Ergebnisse weitergeführt. Die Genehmigung vom 17. September 2013 enthält keinerlei Hinweis darauf, dass hier eine bereits erteilte Genehmigung abgeändert werden soll. Vielmehr ist sie als eigenständige (Voll-) Genehmigung ausgestaltet. Die Beigeladene hat sich hierauf auch eingelassen und mit Schreiben vom 15. Oktober 2013 auf die Genehmigung vom 29. Januar 2013 verzichtet. Zudem hat sie auch nicht durch ihren Widerspruch gegen die neue Genehmigung vom 17. September 2013 versucht, etwa in der neuen Genehmigung übernommene frühere Regelungen und Ergebnisse hinsichtlich der Bestandskraft und Fristwirkung als bloß redaktionell übernommene Wiederholungen zu erstreiten und damit eine mögliche teilweise Bestandskraftwirkung der alten Genehmigung vom 29. Januar 2013 im Hinblick auf den Zeitpunkt des Wirksamwerdens der neuen Genehmigung (bzw. des Kennens oder Kennenmüssens im Sinne des § 2 Abs. 4 UmwRG) zu erreichen. Nach inhaltlicher Begründung und Beschränkung des Widerspruchs vom 15. Oktober 2013 gegen die neue Genehmigung vom 17. September 2013 hat sie ein solches Ziel nicht verfolgt. Damit kann bei der Frage des Kennens oder Kennenmüssens (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24. September 2009 – 8 B 1342/09 – NUR 2010, 198) nur auf die Genehmigung vom 17. September 2013 abgestellt werden. Für diese war selbst die Jahresfrist nach § 2 Abs. 4 UmwRG seit Erlass der Genehmigung am 17. September 2013 zum Zeitpunkt des Eingangs des Widerspruchs am 7. August 2014 noch nicht abgelaufen.
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3. Der Kläger hat das Vorverfahren ordnungsgemäß durchgeführt, d.h. Widerspruch eingelegt und das in seiner Macht Stehende getan, um eine Entscheidung durch den hier zuständigen Kreisrechtsausschuss des Beklagten zu ermöglichen und nicht zu hindern. Dieser hat mit Widerspruchsbescheid vom 12. Januar 2015 auch darüber entschieden.
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4. Die Klage wurde am 11. Februar 2015 und damit rechtzeitig innerhalb der einen Monat ab Zustellung des Widerspruchsbescheids (hier am 14. Januar 2015) laufenden Frist (§ 74 VwGO) erhoben.
- 43
5. Der Kläger hat sein Recht zur Widerspruchseinlegung nach § 70 Abs. 1 S. 1 VwGO zwar nicht gegenüber der Beigeladenen (a), jedoch gegenüber dem Beklagten nach dem auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben verwirkt (b). Der Verwirkung stehen unter Berücksichtigung des Aarhus-Übereinkommens weder § 2 UmwRG noch europarechtliche Regelungen entgegen (c).
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Nach der Rechtsprechung der Kammer (Beschluss vom 5. Februar 2014 – 4 L 12/14.KO) finden die in der gesamten Rechtsordnung geltenden Grundsätze von Treu und Glauben auch im Bereich der Genehmigung von Windenergieanlagen Anwendung. Wie das OVG Rheinland-Pfalz in seinem Beschluss vom 3. November 2014 (– a.a.O – m.w.N.) ausführt, ist auch im Anwendungsbereich des § 2 UmwRG die Berufung auf die rechtsmissbräuchliche Nutzung von Rechtsbehelfsmöglichkeiten nicht ausgeschlossen. Vielmehr gelten hier die allgemeinen Grundsätze für die Verwirkung von Rechtsbehelfen (Fellenberg/Schiller in: Landmann/ Rohmer, Umweltrecht, § 2 Abs. 4 UmwRG, Rn. 67).
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Die Annahme der Verwirkung setzt einen längeren Zeitraum voraus, während dessen die Möglichkeit bestand, einen Rechtsbehelf zu ergreifen. Die Widerspruchserhebung muss gerade deshalb gegen Treu und Glauben verstoßen, weil der Berechtigte trotz vorhandener Kenntnis oder der ihm zuzurechnenden Möglichkeit der Kenntnis erst zu einem derart späten Zeitpunkt den Rechtsbehelf ergreift, zu dem die Behörde oder der Begünstigte nicht mehr damit rechnen musste. Die betroffene Behörde und der Begünstigte rechnen dann nicht mehr mit einer Widerspruchserhebung gegen die getroffene Maßnahme, wenn ein Berechtigter unter Verhältnissen untätig bleibt, unter denen jedermann vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen hätte. Durch das Unterlassen wird eine tatsächliche Lage geschaffen, auf die sich die anderen Beteiligten einstellen dürfen. Endlich muss sich die beklagte Behörde auch tatsächlich in einer Weise auf das Verhalten des Berechtigten eingerichtet haben, dass für sie eine begründete Klage mit nicht mehr zumutbaren Nachteilen verbunden wäre (BVerwG, Urteil vom 10. August 2000 – 4 A 11.99 –, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13. November 2014 – 2 B 1111/14 –, juris; s.a. OVG Lüneburg, Beschluss vom 25. Juni 1998 – 12 K 5578/97 –, juris). Die Verwirkung kann je nach den besonderen Verhältnissen im Einzelfall auch schon vor dem Ablauf der Jahresfrist eintreten (s. BVerwG, Urteile vom 25. Januar 1974 – IV C 2.72 – BVerwGE 44, 294, und vom 16. Mai 1991 – 4 C 4.89 – NVwZ 1991, 1182; Meissner in: Schoch/ Schneider/Bier, Loseblatt-Kommentar zur VwGO, § 74 VwGO Rn. 51).
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In diesem Zusammenhang sind die aus dem baurechtlichen Nachbarschaftsverhältnis entwickelten besonderen Grundsätze der Verwirkung des materiellen Abwehrrechts nach Auffassung der Kammer nicht auf die Verbandsklage nach § 2 UmwRG übertragbar, auch wenn die dortigen Voraussetzungen für die gesetzliche Regelung „Pate“ standen. Denn ein bestehendes "nachbarliches Gemeinschaftsverhältnis", welches seine Grundlagen schon im zivilrechtlichen Nachbarrecht findet (vgl. Bassenge in Palandt, Kommentar zum BGB, 74. Aufl. 2015, § 903 BGB Rn. 13 m.w.N.), mit den hieraus geschlossenen Folgerungen zu einem zumutbaren aktiven Handeln mit dem Zweck, einen wirtschaftlichen Schaden des Bauherrn zu vermeiden oder den Vermögensverlust möglichst gering zu halten (BVerwG, Beschluss vom 16. April 2002 – 4 B 8.02 –, BauR 2003, 1031), gibt es im Verhältnis von Umweltverband zu Windanlagenbetreiber in dieser oder ähnlicher Form nicht. Insbesondere ist der Umweltverband nicht „Bewohner“ eines Grundstücks und Nachbar der Baustelle und kann nicht quasi tagtäglich den Baufortschritt und damit den Ressourcenverbrauch (= potentiellen Schaden) unmittelbar beobachten. Dennoch hat der Gesetzgeber in § 2 Abs. 4 S. 1 UmwRG bei der Festlegung des Beginns der Frist auch darauf abgestellt, ab wann die Vereinigung von der Entscheidung hätte Kenntnis erlangen können (bzw. erlangt hat). Sofern nicht auf Umstände vor dem Erlass der Genehmigung abgestellt werden kann, ist dieser jedenfalls der Beginn der zeitlichen Komponente der Verwirkung.
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a) Die Beigeladene kann sich auf eine Verwirkung des Widerspruchs weder aus materiellem noch aus formalem Recht berufen. Eine materiell-rechtliche Verwirkung des Abwehrrechts kann – wie dargelegt – nicht aus einem dem „nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis“ ähnlichen „umweltschützenden Gemeinschaftsverhältnis“ zwischen Umweltverband und Anlagenbetreiber hergeleitet werden. Ein solches Gemeinschaftsverhältnis ist rechtlich in keiner Norm angelegt.
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Die Beigeladene kann sich auch nicht auf eine prozessrechtliche Verwirkung des Widerspruchsrechts berufen. Zunächst scheidet eine Berufung auf die Erörterungen im Beirat für Naturschutz im Landkreis B. im Jahr 2011 schon aus sachlichen Gründen aus, da die Beigeladene ihren Antrag erst am 19. März 2012 gestellt hat, sodass sich der Beirat – ungeachtet der von dem Kläger angeführten Verschwiegenheitsregelung – mit diesem nicht auseinandersetzen konnte, sondern allenfalls mit der Absicht, einen solchen Antrag zu stellen. Weiterhin kann sich die Beigeladene auch nicht auf die Genehmigung vom 29. Januar 2013 (Az. …/11) und die anschließend von ihr durchgeführten Rodungsmaßnahmen berufen. Denn die Genehmigung vom 29. Januar 2013 wurde der Beigeladenen gegenüber nie wirksam. Dies folgt schon daraus, dass sie nach Nr. 16.1 und Nr. 16.2 der Nebenbestimmungen unter der aufschiebenden Bedingung der Vorlage der Verpflichtungserklärung und der Rückbaubürgschaft erging und diese von der Beigeladenen – bis zum Verzicht auf die erste Genehmigung am 15. Oktober 2013 – nie vorgelegt wurden. Zudem hatte die Beigeladene gegen diese Genehmigung – zunächst unbeschränkt – Widerspruch eingelegt, so dass auch aus diesem Grund die Genehmigung ihr gegenüber nicht wirksam werden konnte. Selbst nach der späteren Beschränkung des Widerspruchs bezog sich dieser auch auf Nebenbestimmungen zu den Fledermäusen und Kranichen, die wohl nur als „modifizierende Auflage“ verstanden werden können. Damit war (auch) durch den eigenen Widerspruch die Wirkung des Bescheides zusätzlich aufgeschoben. Die Rodungsarbeiten im Februar 2013 waren aber noch aus einem weiteren Grund rechtswidrig. Die Nebenbestimmung Nr. 15.2 erlaubte diese Rodungen erst ab Bestandskraft der Genehmigung, welche zweifellos infolge des eingelegten Widerspruchs vom 5. März 2013 nie eingetreten ist. Rechtswidrige Maßnahmen sind nicht dazu geeignet, eine „Anstoßfunktion“ bei dem Kläger zu erzeugen (vgl. HessVGH, Beschluss vom 24. Juli 2014 – 2 B 864/14 –, der eine Anstoßfunktion erst nach Erlass des Bescheides annimmt).
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Zuletzt kann sich die Beigeladene bis zur Einlegung des Widerspruchs durch den Kläger am 7. August 2014 auch nicht auf die Genehmigung vom 17. September 2013 berufen. Denn diese Genehmigung konnte im Hinblick auf die auch hier erforderliche Vorlage der Verpflichtungserklärung und der Rückbaubürgschaft frühestens mit deren Eingang bei dem Beklagten am 19. Februar 2014 gegenüber der Beigeladenen wirksam werden. Nach Auffassung der Kammer ist die Wirksamkeit gegenüber der Beigeladenen tatsächlich nicht vor dem 19. August 2014 eingetreten. Denn auch bezüglich der Genehmigung vom 17. September 2013 hat die Beigeladene mit Telefax vom 16. Oktober 2013 Widerspruch zunächst unbeschränkt eingelegt. Auch nach inhaltlicher Beschränkung des Widerspruchs mit Schreiben vom 15. November 2013 wandte sich die Beigeladene weiterhin gegen wesentliche Nebenbestimmungen zum Schutz von Fledermäusen und Kranichen. Diesen Teil des Widerspruchs nahm die Beigeladene erst nach Erhebung des Widerspruchs durch den Kläger mit Schriftsatz vom 19. August 2014 zurück. Insoweit geht die Kammer davon aus, dass sich der Widerspruch und die vorliegende Klage des Klägers nicht nur auf die fehlende Durchführung der Umweltverträglichkeitsprüfung bezieht, sondern auch auf mögliche Verstöße gegen § 44 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BNatSchG (vgl. Beschluss der Kammer vom 22. September 2014 – 4 L 873/14.KO – Beschlussabdruck S. 4 ff.). Wird eine Genehmigung – wie hier – auch von der Genehmigungsinhaberin hinsichtlich der Auflagen zum Fledermaus- und Kranichschutz (mit gegenteiliger Zielrichtung) angefochten, so kann diese sich insoweit nicht auf eine Verwirkung des Widerspruchsrechts des Umweltverbandes berufen, dessen Widerspruch fristgerecht (nach § 2 Abs. 4 UmwRG) erhoben wurde, da sie selbst nicht auf die Genehmigung vertraut hat.
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Im Übrigen ist die Beigeladene in dem vorliegenden immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren – etwa im Gegensatz zum Bauherrn im Baugenehmigungsverfahren – nicht besonders schutzwürdig hinsichtlich der einem Dritten zustehenden Rechtsbehelfsfrist. Denn als Antragstellerin in einem Genehmigungsverfahren nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz – BImSchG – hat sie es in der Hand, die Genehmigungsbehörde zu einer wirksamen Bekanntgabe der Genehmigung gegenüber jedermann zu zwingen (anders: §§ 68 und 70 Abs. 3 der Landesbauordnung zum Baugenehmigungsverfahren). So kann sie auf der einen Seite nach § 19 Abs. 3 BImSchG auf der Durchführung eines förmlichen Genehmigungsverfahrens bestehen (mit der Folge des § 10 BImSchG) und damit auf das vereinfachte Genehmigungsverfahren nach § 19 Abs. 1 und 2 BImSchG verzichten. Zudem kann sie nach § 21a S. 1 der Verordnung über das Genehmigungsverfahren (9. BImSchV) beantragten, dass die Genehmigung öffentlich bekannt gemacht wird, selbst wenn nur ein vereinfachtes Genehmigungsverfahrens (§ 19 Abs. 1 und 2 BImSchG) durchgeführt wird (§ 24 i.V.m. § 21a S. 1 der 9. BImSchV). Daneben bleibt es dem Antragsteller unbenommen, den Verband oder die Verbände zur Beteiligung am Genehmigungsverfahren einzuladen (etwa durch Zusendung von wesentlichen Teilen der Genehmigungsunterlagen) oder ihnen den Genehmigungsbescheid zu übermitteln, um den Zeitpunkt der Kenntnisnahme vorzuverlegen bzw. deren Einwände frühzeitig zu erfahren.
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b) Dementgegen kann sich der Beklagte darauf berufen, dass das Widerspruchsrecht des Klägers verwirkt ist. Dabei kann offenbleiben, ob dies aus den tatsächlichen Annahmen des OVG Rheinland-Pfalz in seinem Beschluss vom 3. November 2014 – a.a.O. – folgt, dem sich der Beklagte im Widerspruchsbescheid angeschlossen hat. Dort heißt es auf den Seiten 3ff.:
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„2. Der Widerspruch ist hier aber schon vor Ablauf der Widerspruchsfrist unzulässig geworden, da etwa Ende Februar 2014, nach dem Ablauf von fünf Monaten seit Erlass des angegriffenen Bescheides, die Verwirkung des Widerspruchsrechts eingetreten ist. …
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c. … Hier gewinnt bereits schon die Entwicklung bis zum Erlass des Genehmigungsbescheides vom 29. Januar 2013 und bis zum Erlass des Änderungsbescheides vom 17. September 2013 eine gewisse Bedeutung. Die „…Anträge der Firma … auf die Errichtung von Windkraftanlagen…im Waldgebiet westlich B.…“ waren nämlich als TOP 1b Gegenstand der Erörterungen des Beirates für Naturschutz im Landkreis B. (vgl. Niederschrift über die Sitzung des Beirats vom 25. Oktober 2011, Bl. 70 GA). Da ausweislich der Niederschrift der Kreisvorsitzende der N.-Kreisgruppe B. an dieser Sitzung teilgenommen hatte, hatte er spätestens zu diesem Zeitpunkt Kenntnis von dem Vorhaben der Beigeladenen erlangt. Nach dem Inhalt der dem Senat vorliegenden Verwaltungsakte spricht zudem viel dafür, dass im Dezember 2012 öffentlich bekannt gemacht worden war, dass keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden soll. Der Antragsteller hätte daher frühzeitig Gelegenheit gehabt, bei der Genehmigungsbehörde gegen das Vorhaben Bedenken anzumelden, um Unterrichtung über den Verfahrensablauf zu bitten oder sonst seine kritische Aufmerksamkeit zu bekunden. Dass dies nicht geschehen ist, war bereits ein erster Anhaltspunkt für die Annahme, dass der Antragsteller dem Vorhaben nicht kritisch gegenüberstand.
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Auch nach der Genehmigungserteilung, als im Monat Februar 2013 umfangreiche Rodungen an den Standorten der drei vorgesehenen Windenergieanlagen stattfanden, hat sich der Antragsteller nicht zu Wort gemeldet. Zwar kann – auch wenn dies dem Senat unwahrscheinlich erscheint – nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass Rodungen in Waldgebieten durchgeführt werden können, ohne dass dies einem anerkannten Naturschutzverein bekannt wird. Hier war der Vorgang aber zweifellos dadurch öffentlich bekannt geworden, dass der Ortsbürgermeister der Gemeinde D… die Bürger dieses Ortes durch regelmäßige Gemeindebriefe über den jeweiligen Verfahrensstand informiert hatte und dass das aufgrund der Rodungen angefallene Holz an die Bürger der Umgebung verkauft worden war (vgl. Schreiben des Ortsbürgermeisters M… vom 06. April 2014, Bl. 1071 ff VA). Diese Vorgänge hätten dem Antragsteller Veranlassung sein müssen, darauf zu schließen, dass eine Genehmigung erteilt worden sein muss, zumindest aber bei der Genehmigungsbehörde wegen des Standes des Verfahrens nachzufragen und insbesondere um Aufklärung zu bitten, auf welcher Rechtsgrundlage diese Rodungen erfolgt waren. Dies ist aber nicht geschehen ist. Da der Antragsteller aber nicht das geringste Interesse bekundete – nicht einmal hinsichtlich des durch die Rodung bewirkten Eingriffs –, mussten der Antragsgegner und der Beigeladene nicht mehr mit einem Widerspruch rechnen.
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Hinzu kommt, dass die Genehmigungsbehörde schon zuvor durch Veröffentlichung im Amtsblatt der Kreisverwaltung „Landkreis B. aktuell“, Ausgabe 1/2/2013 vom 9. Januar 2013 öffentlich bekannt gemacht hatte, „… dass im Rahmen des immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens … zur Errichtung und zum Betrieb von drei Windenergieanlagen auf der Gemarkung B. … keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt wird …“. Dies hat der Antragsteller ebenfalls nicht zum Anlass genommen aktiv zu werden, insbesondere hat er gegenüber der Genehmigungsbehörde weder die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung gefordert, noch die mit der Antragsschrift vom 8. August 2014 dargelegten Zweifel hinsichtlich der Rechtmäßigkeit oder Plausibilität des Ergebnisses der Umwelterheblichkeitsprüfung geltend gemacht. Er hat nicht einmal um Auskunft dazu gebeten.
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Wie der Antragsteller im Übrigen selbst einräumt (vgl. Antragschrift vom 8. August 2014, S. 6 = S. 9 GA) war zudem der Beginn der Bauarbeiten bezüglich der drei hier streitigen Windenergieanlagen Gegenstand der Berichterstattung in der „N.-Zeitung“ (der örtlichen Ausgabe der „A.-Zeitung“) gewesen. Unter dem .. Februar 2014 wurde dort unter der Überschrift „Windräder in B.: Baustopp dauerte nur bis zum nächsten Morgen“ darüber berichtet, dass die Bauarbeiten im B. Stadtwald begonnen und die Antragsgegnerin aus hier nicht interessierenden Gründen einen vorübergehenden Baustopp verhängt hatte. Während daraufhin zwei Privatpersonen Widerspruch gegen die Baugenehmigung einlegten, wobei einer der Widerspruchsführer eine Unterschriftenliste von insgesamt 47 Unterstützern beilegen konnte, schwieg der Antragsteller abermals. Auch als von da an die Türme der Windenergieanlagen nach und nach „aus dem Boden wuchsen“, erfolgte keine Reaktion des Antragstellers.
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Insgesamt ist somit der Antragsteller unter Verhältnissen untätig geblieben, unter denen ein vernünftiger Naturschutzverband längst etwas zur Wahrung seiner Rechte als „Anwalt des Umweltrechts“ unternommen hätte. Da nicht einmal eine formlose Interessensbekundung des Inhalts eingereicht wurde, dass man mit Blick auf diese Aufgabe an den Vorgängen interessiert sei, konnten sich die Behörde und der Beigeladene darauf einstellen, dass der Antragsteller gegen das Vorhaben keine naturschutzrechtlichen oder sonstigen Einwände vorbringen und auf einen Widerspruch gegen die Genehmigung verzichten will. Auf dieses Verhalten des Antragstellers hat sich die Beigeladene eingestellt und die mit erheblichen Investitionen verbundenen Bauarbeiten begonnen. Die dann zu einem Zeitpunkt erfolgte Einlegung des Widerspruchs, als die Anlage schon nahezu vollständig errichtet worden war, stellt sich somit als eine missbräuchliche Wahrnehmung von Rechten dar, die der Verwirkung unterliegt.
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Zu einem anderen Ergebnis führt auch nicht der Vortrag des Antragstellers, ihm könne die Kenntnis aller seiner Mitglieder nicht zugerechnet werden. Wenn ein Naturschutzverband über örtliche Untergliederungen verfügt, kann nach der Verkehrsanschauung erwartet werden, dass der örtliche Vorstand den Landesvorstand über die für die Verbandsarbeit relevanten Vorgänge vor Ort unterrichtet. Unterbleibt eine derartige, für die Aufgabenerfüllung sachgerechte und zumutbare Organisation des Informationsflusses zwischen der Orts- und Landesebene, muss sich der Landesverband nach Treu und Glauben die Kenntnis und das Kennenmüssen des örtlichen Vorstandes zurechnen lassen.
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Hier ist der Landesverband nach dem Inhalt der auf der Internetseite des N. Rheinland-Pfalz e.V. abrufbaren Satzung (Landessatzung vom 15.März 2014) in regionale und örtliche Naturschutzbundgruppen untergliedert; zu denen auch die N.-Kreisgruppe B. zählt (vgl. …). Unter Berücksichtigung der selbstgesetzten Ziele, wie hier dem Schutz von Vögeln und Fledermäusen bei der Errichtung von Windenergieanlagen (vgl. etwa Veröffentlichungen unter „Windenergie“, …), konnte von dem örtlichen Vorstand erwartet werden, dass er den Landesverband über die Genehmigung von drei derartigen Anlagen unterrichtet.“
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Die Bedenken der Kammer an dieser Rechtsauffassung rühren daher, dass der Kläger frühestens mit der Veröffentlichung am …. Februar 2014 Kenntnis von der Existenz einer Genehmigung, jedoch noch nicht von dem vollständigen Inhalt der konkreten Genehmigung vom 17. September 2013, haben konnte, so dass eine Verwirkung schon zu Ende Februar 2014 ausgeschlossen erscheint. Wie bereits unter a) ausgeführt, sind die früheren Handlungen der Beigeladenen im Februar 2013 und der Genehmigungsbescheid vom 29. Januar 2013 nicht maßgeblich zu berücksichtigen, da letzterer nie rechtliche Wirkung entfaltete und damit die Rodungsmaßnahmen der Beigeladenen offensichtlich in mehrfacher Hinsicht rechtswidrig waren. Ebenso wenig ist die Befassung des Beirats für Naturschutz des Landkreises B. im Jahr 2011 geeignet, eine Kenntnis von dem Antragsverfahren zu unterstellen, da zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal der erste Antrag der Beigeladenen bei dem Beklagten eingegangen war. Hier darf nicht unbeachtet bleiben, dass einige Windkraftanlagenersteller und -betreiber gerade in den Jahren von 2011 bis 2014 in erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sind und die Weiterführung vieler Projekte zeitweilig oder auf Dauer aufgegeben haben. Damit kann nicht davon ausgegangen werden, dass jede Ankündigung eines Projektes gleichzeitig zu einer zwingenden „Beobachtungspflicht“ durch den Umweltverband führt. Im Übrigen waren dem Kläger – anders als dem in dem Verfahren 4 L 12/14.KO antragstellenden Umweltverband – das konkrete Antragsverfahren, der Standort und dort bestehende Konfliktlagen nicht positiv bekannt und er wurde auch nicht daran beteiligt.
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Vielmehr ist in dem vorliegenden Fall in erster Linie auf die von dem Kläger an den Beklagten veranlasste Meldung von – bisher nicht bekannten und in 2013 von dem saarländischen Ornithologen R. aktuell als besetzt gefundenen – Standorten mehrerer Milanhorste (davon ein Rotmilanhorst südöstlich von D., weniger als 1000 m von den hier betroffenen Anlagen entfernt) Ende Februar 2014 abzustellen (vgl. die Antragsschrift in dem Verfahren 4 L 769/14.KO, S. 13). Im Gegensatz zu Kranichen und Fledermäusen kann ein besetzter Milanhorst in entsprechender Nähe zu einer Windkraftanlage dieser nach dem Naturschutzfachlichen Rahmen zum Ausbau der Windenergienutzung in Rheinland-Pfalz (vom 13. September 2012 m.w.N. zur Rechtsprechung; darin ist das sog. „Helgoländer Papier“ in seiner Fortschreibung berücksichtigt, s. S. 16) oft in Gänze und nicht nur hinsichtlich einzelner Betriebsstunden oder -tage entgegenstehen, was dem Kläger zweifellos bekannt ist. Damit ist der neue Fund eines besetzten Milanhorstes auch für die Genehmigungsbehörde von erhöhter Bedeutung und wird – wie hier – nicht von dem im früheren Genehmigungsverfahren vorgelegten und für die neue Genehmigung zugrunde gelegten avifaunistischen Gutachten vom August 2011 abgedeckt. Dem Kläger hätte seinerzeit (Ende Februar 2014) klar sein müssen, dass der Beklagte bei seiner bisherigen Genehmigungstätigkeit diese neuen und bisher unbekannten Fundorte von besetzten Milanhorsten nicht berücksichtigen konnte und nicht berücksichtigt hat. Ein Zuwarten durch den Kläger setzte nach den in dem o.a. Naturschutzfachlichen Rahmen niedergelegten Erkenntnissen und den diesem zugrundeliegenden Ermittlungen konkrete Rotmilane der Gefahr der Kollision mit möglicherweise in näherer Umgebung geplanten oder im Bau befindlichen Windenergieanlagen aus, so die Horste auch im Jahr 2014 besetzt waren.
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Bei der allen Beteiligten bekannten Bedeutung derartiger Funde für den Schutz der Natur und die Genehmigungsfähigkeit einer Windenergieanlage lag es daher schon im Hinblick auf den Verbandszweck auf der Hand, dass der Kläger die leicht erschließbaren Quellen hinsichtlich bestehender oder sich im Genehmigungsverfahren oder der Projektierung befindlicher Windkraftanlagen durchforstet (zur Informationsbeschaffung: Schlake in: Gärditz, Kommentar zur VwGO, § 2 UmwRG Rn. 55). Einfach und naheliegend hätte er seiner Meldung sogleich (mit einem Satz) eine Anfrage nach in relevanter Umgebung der Horste gelegener Standorte von genehmigten oder beantragten Windkraftanlagen bei der ihm bekannten Genehmigungsbehörde (dem Beklagten) beifügen können. Auch stand es ihm offen, durch eine einfache Internetrecherche in der einschlägigen Zeitung (hier „A.-Zeitung“ mit lokaler Ausgabe „N.-Zeitung“) für einen überschaubaren Zeitraum (hier wären schon die letzten beiden Februarwochen ergiebig gewesen) bzw. durch eine Recherche in dem amtlichen Bekanntmachungsorgan der Genehmigungsbehörde (ggf. auch über die Internetseite des Beklagten, auf der die Bekanntmachung vom 9. März 2013 verfügbar ist) binnen weniger Minuten einen ersten Schritt zur Klärung der aktuellen oder potentiellen Betroffenheit der Horste durch Windenergieanlagen zu machen.
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Im Hinblick auf die aktuelle Presseveröffentlichung, die Mitteilung des Klägers über die Milanhorste und die von der Presseveröffentlichung initiierten Nachbarwidersprüche durfte der Beklagte im Februar/März 2014 annehmen, dass sich der Kläger bei gegebenem Interesse an dem Schutz der Rotmilane innerhalb angemessener Zeit an ihn wendet, wenn er schon selbst die Mitteilung über die Milanhorste an den Beklagten gerichtet hat. Nach der Anordnung der sofortigen Vollziehung im Hinblick auf die Nachbarwidersprüche ging auch der Bau der Anlagen derart voran, dass mit Gießen der Fundamente im Mai und Aufstellung des Baukrans im Juni 2014 die Anlageerstellung weithin sichtbar war. Spätestens Ende Juni 2014 durfte der Beklagte, an den sich der Kläger Ende Februar 2014 mit der Meldung der Milanhorste gewandt hatte, davon ausgehen, dass keine weiteren Einwendungen seitens des Klägers gegen die hier streitigen Windenergieanlagen mehr eingehen würden. Im Hinblick auf die genannte Bedeutung des Fundes der besetzten Horste ist es objektiv schon nicht nachvollziehbar, dass innerhalb von vier Monaten nach der Meldung seitens des Klägers keinerlei Nachfrage bezüglich anstehender oder erteilter Genehmigungen bei dem Beklagten einging. Nach dem vorangegangenen und an den Beklagten gerichteten Tun des Klägers und den leicht zugänglichen Veröffentlichungen musste der Beklagte auch nicht mit einer Unkenntnis des Klägers von den hier betroffenen Windenergieanlagenstandorten und/oder der „Umweltgefahr“ rechnen und damit auch nicht die volle Jahresfrist des § 2 Abs. 4 UmwRG abwarten.
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Aus den konkreten Umständen der Handlung des Klägers Ende Februar 2014 schließt die Kammer, dass diesem an sich nur circa drei Monate nach der Meldung der Horte zur Widerspruchseinlegung blieben, denn in dieser Zeit hätte jedermann vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen, dem die Relevanz der Erkenntnisse aus dem Fund der Milanhorste so klar war wie dem Kläger. Diesem war ein Monat für die Recherche nach potentiellen oder aktuellen Genehmigungen im Umkreis der Horste zuzugestehen, so dass nach dieser Zeit (Ende März) von einem Kennenmüssen der erteilten Genehmigung vom 17. September 2013 (in ihrem vollständigen Wortlaut) auszugehen ist. Darüber hinaus ist in jedem Fall die volle Überlegungsfrist für einen Widerspruch von einem Monat nach Kenntnismöglichkeit (entsprechend § 70 Abs. 1 S. 1 VwGO) zuzugestehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 1991 – 4 C 4.89 – NVwZ 1991, 1182, Leitsatz 1; Meissner in Schoch/Schneider/Bier, a.a.O., § 74 Rn. 51). Im Hinblick auf die hier bestehenden zusätzlichen tatsächlichen naturschutzfachlichen Umstände (Regelungen in der Genehmigung zu Fledermäusen und Kranichen) sowie zur Verifizierung der aktuellen Lage u.a. bezüglich des Milanhorstes und des Baufortschritts der Windenergieanlagen muss zusätzlich ein weiterer Monat eingerechnet werden. Danach wäre die Verwirkung bereits Ende Mai 2014 eingetreten. Selbst wenn zu Gunsten des Klägers noch ein weiterer Monat berücksichtigt wird, weil Ende Mai 2014 die Bautätigkeit nur aus der unmittelbaren Nähe der Baustelle erkennbar war (lediglich die Fundamente waren gegossen), lief hier spätestens im Zusammenhang mit der Aufstellung der weithin sichtbaren Baukräne die Zeit für die Widerspruchseinlegung Ende Juni 2014 ab. Die tatsächliche Erhebung des Widerspruchs am 7. August 2014 kam daher um zumindest mehr als einen Monat zu spät.
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c) Das Rechtsinstitut der Verwirkung als Ausfluss von Treu und Glauben ist im Bereich der Anwendung des § 2 Abs. 4 UmwRG weder aus nationalen Regelungen noch in Anbetracht europarechtlicher Einflüsse generell oder im vorliegenden Fall ausgeschlossen.
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Wie das OVG Rheinland-Pfalz in dem Beschluss vom 3. November 2014, a.a.O., ausführt, ist das Rechtsinstitut der Verwirkung Ausfluss des die gesamte Rechtsordnung beherrschenden Grundsatzes von Treu und Glauben und gilt auch für die Fälle des § 2 Abs. 4 UmwRG. Mit dessen Schaffung wollte der Gesetzgeber nicht über die Rechtslage, wie sie unter der Geltung des § 58 Abs. 2 VwGO bestand, hinausgehen, sondern eine Regelung schaffen, die den „… anhand des § 58 Abs. 2 VwGO in der obergerichtlichen Rechtsprechung entwickelnden Regeln für die Verwirkung des Klagerechts …“ entspricht (vgl. Entwurf eines Gesetzes über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG, BT-Drs. 16/2495, S. 12 rechte Spalte, und betreffend den dort in Bezug genommenen § 61 Abs. 3 a.F. BNatSchG: Gesetzentwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege und zur Anpassung anderer Rechtsvorschriften vom 20. Juni 2001, BT-Drs. 14/6378, S. 62 linke Spalte). Nach nationalem Recht ist daher im Rahmen des § 2 Abs. 4 UmwRG eine Verwirkung möglich (so: Fellenberg/Schiller in Landmann-Rohmer, Umweltrecht, § 2 Abs.4 UmwRG, Rn. 67). Die von der Kammer als ausschlaggebend angesehenen Umstände sind aus der Sicht der nach Art. 25 des Übereinkommens vom 25. Juni 1998 über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (Aarhus-Übereinkommen, Gesetz vom 9. Dezember 2006, BGBl II S. 1251) auszulegenden Intention des Gesetzgebers verwertbar, denn sie knüpfen lediglich an die konkrete und objektiv widersprüchliche Handlungsweise des Klägers in dem vorliegenden Verfahren an.
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Ferner folgt aus europäischem Recht keine weitere und die hiesige Entscheidung beeinflussende Einschränkung der Annahme einer Verwirkung der Rechtsbehelfsmöglichkeit (so: Sanden, Die Verwirkung im Verwaltungsrecht, VerwArch 2014, 465, 492ff.). Dies gilt auch für Art. 11 der Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (UVP-Richtlinie, ABI. L 026, 28. Januar 2012, S. 1) und die Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten (Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie, ABl. L 156, 25. Juni 2003, S. 17). Denn die Kammer stellt im Hinblick auf die Verwirkung keinerlei (erhöhte) Anforderungen an die innere Organisation und die Gestaltung der Informationswege und Geschäftsabläufe des Klägers, sondern geht davon aus, dass sich der Kläger wie jedes Rechtssubjekt in Deutschland und Europa im Hinblick auf einzulegende Rechtsbehelfe widerspruchsfrei verhalten soll. Der hier angenommene Vertrauenstatbestand für die Behörde beruht auch nicht auf einem bloßen Unterlassen des Klägers, sondern auf vorangegangenem positivem Tun gerade gegenüber dem Beklagten, das für jeden Beobachter die Erwartung auf weiteres, kurzfristig zu erwartendes Handeln des Klägers geweckt hat. Bleibt ein Rechtssubjekt, sei es eine natürliche Person oder eine Vereinigung, in einer solchen Situation entgegen jeder Erwartung – wie hier – mehr als vier Monate untätig, so darf die Behörde davon ausgehen, dass ein Rechtsbehelf nicht mehr eingelegt wird. Mit dieser Annahme wird weder in den durch Europarecht eröffneten weiteren Anwendungsbereich des § 1 UmwRG noch in die Klagemöglichkeiten der Umweltverbände nach § 2 UmwRG eingegriffen. Denn auch nach Auffassung der Kammer genügt ein bloßes Nichtstun im Hinblick auf eine möglicherweise unzureichende innere Organisation des Verbandes trotz Kennenmüssen oder gar positiver Kenntnis der Genehmigungsentscheidung und objektiver Möglichkeit zur Rechtsbehelfseinlegung nicht ohne Weiteres zur Annahme einer Verwirkung „vor der Zeit“ (des § 2 Abs. 4 UmwRG).
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Sowohl die europäischen Regelungen als auch § 2 UmwRG sind im Lichte des Art. 9 Abs. 2 i.V.m. Art. 6 des Aarhus-Übereinkommens auszulegen. § 2 UmwRG dient nach dem Willen des Gesetzgebers auch der Umsetzung dieser Regelungen in nationales Recht (vgl. BT-Drucks. 16/2497 S. 42; BVerwG, Urteil vom 5. September 2013 – 7 C 21.12 –, BVerwGE 147, 312). Die Auslegung der Kammer steht im Einklang mit den Zielen des Aarhus-Übereinkommens, da vorliegend keine Anforderungen besonderer und im Übrigen für den „einfachen“ Kläger nicht vorgesehener Art gestellt werden. Die Erwartung der Widerspruchsfreiheit des Verhaltens des Klägers und die aus vorangegangenem Verhalten gezogenen Folgerungen stehen auch in Anbetracht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 8. März 2011, C-240/09, „Slowakischer Braunbär“) nicht im Konflikt mit den Zielen des Aarhus-Übereinkommens. Gleiches gilt für die genannten europarechtlichen Regelungen, die ebenfalls im Lichte des durch den Beschluss 2005/370/EG des Rates vom 17. Februar 2005 (ABl. L 124, 17. Mai 2005, S. 1) im Namen der Europäischen Gemeinschaft angenommene Aarhus-Übereinkommen auszulegen sind (EUGH, Urteil vom 7. November 2013 – C-72/12).
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Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
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Die Berufung war hier nach § 124a Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Es ist bisher weder obergerichtlich noch höchstrichterlich in einem Hauptsacheverfahren geklärt, ob und inwieweit die spezialgesetzliche Regelung der Klagefrist in § 2 Abs. 4 UmwRG bei nicht bekanntgegebener Genehmigung der Annahme einer Verwirkung eines Rechtsbehelfs einer Umweltvereinigung vor Ablauf eines Jahres seit Kennen oder Kennenmüssen der Entscheidung entgegensteht. Ebenso wenig ist obergerichtlich oder durch den Europäischen Gerichtshof geklärt, inwieweit die Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie oder § 9 Abs. 3 des Aarhus-Übereinkommens und dessen Auswirkungen auf die Auslegung des nationalen oder europäischen Rechts der Annahme einer Verwirkung eines Rechtsbehelfs eines Umweltverbandes entgegenstehen, wenn dieser seinen Rechtsbehelf weniger als ein halbes Jahr nach der Möglichkeit der Kenntniserlangung erhebt. Soweit der Kläger eine Sprungrevision anstrebt, wird auf die Möglichkeit des § 134 Abs. 1 VwGO zur nachträglichen Beantragung unter Beifügung der erforderlichen Zustimmung des Beklagten hingewiesen. Eine solche nachträgliche Entscheidungsmöglichkeit besteht für die Kammer im Bereich des § 124a Abs. 1 VwGO nicht.
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