Urteil vom Arbeitsgericht Koblenz (4. Kammer) - 4 Ca 1983/16

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Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 14.654,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 2. Juli 2016 zu zahlen.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 72 Prozent und die Beklagte zu 28 Prozent.

4. Der Streitwert wird festgesetzt auf 51.936,63 Euro.

5. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um die Zahlung von Überstundenvergütung und des 13. Monatsgehalts für mehrere Jahre.

2

Der Kläger war bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerinnen auf der Grundlage des Arbeitsvertrags vom 1. März 2001 (Bl. 10 ff. d.A) seit dem 1. August 1992 bis zum 31. März 2016 als Grafiker bei einer Bruttomonatsvergütung von

3

4.618,00 Euro im Jahr 2013
5.018,00 Euro seit dem 1. Januar 2014 und
5.518,00 Euro seit dem 1. Januar 2016

4

beschäftigt.

5

Im Arbeitsvertrag heißt es (Bl. 11 d.A):

6

㤠4
Vergütung

7

Herr/Frau ... erhält für seine/ihre vertragliche Tätigkeit ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von

8

6.000 DM.

9

Die Vergütung ist jeweils am letzten des Monats fällig. Die Zahlung erfolgt bargeldlos. Zusätzlich wird als freiwillige Leistung ein 13. Monatsgehalt gezahlt, das je zur Hälfte als Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld ausgezahlt wird.

10

§ 5
Über- und Mehrarbeit

11

(1) Durch die monatliche Vergütung sind 10 etwaige Über- oder Mehrarbeitsstunden abgegolten.

12

(2) Der Ausgleich von Über- und Mehrarbeitsstunden, soweit nicht gem. Abs. 1 abgegolten, erfolgt grundsätzlich durch Gewährung von Freizeit oder, wenn dies aus betrieblichen oder krankheitsbedingten Gründen nicht möglich ist, durch Abgeltung.“

13

Bis zum Jahr 2001 erhielt der Kläger das 13. Monatsgehalt. Ab dem Jahr 2002 wurden die Zahlungen eingestellt (Bl. 180 d.A).

14

Unter dem 4. Mai 2012 legte die Beklagte dem Kläger eine Vereinbarung zur Vertragsänderung vor, die der Kläger jedoch nicht unterzeichnete. In dem Schreiben heißt es (Bl. 186 d.A):

15

„Folgende Punkte sind - wirksam ab dem 1. Juli 2012 - zusätzlich zum Arbeitsvertrag festzuhalten:

16

§ 4 (1) Vergütung ändert sich wie folgt:

17

Herr ... erhält für seine vertragliche Tätigkeit eine Erhöhung seines Bruttogehalts um 400 Euro auf ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von 4.418,- Euro. Weiterhin wird eine zusätzliche Anhebung des Bruttogehalts zum 1.1.2013 auf 4.518,- Euro vereinbart.

18

§ 5 Über- und Mehrarbeit ändert sich wie folgt:

19

Durch die monatliche Vergütung sind sämtliche Über- und Mehrarbeitsstunden abgegolten. Es besteht außerdem kein Anspruch auf Freizeitausgleich.“

20

Mit der Klageschrift vom 23. Juni 2016, der Beklagten zugestellt am 1. Juli 2016, fordert der Kläger ausstehende Überstundenvergütung und Zahlung des 13. Monatsgehalts.

21

Der Kläger trägt vor:

22

Die Beklagte schulde das 13. Monatsgehalt für die Jahre 2013-2015, und zwar für das Jahr 2013 einem Betrag von 4.618,00 Euro und für die Jahre 2014 und 2015 jeweils 5.018,00 Euro brutto, mithin insgesamt 14.654,00 Euro brutto (Klageantrag zu 1.).

23

Die Beklagte schulde auch Überstundenvergütung (Klageantrag 2.). Er habe entsprechend den „Arbeitsanweisungen“ der Beklagten, die wöchentlich per E-Mail an die Mitarbeiter versandt worden seien, seine Arbeitsleistung erbracht und entsprechend Überstunden geleistet. Zur Darlegung dieser Überstunden werde auf die Anlagen (Bl. 15-170 d.A) Bezug genommen. Beispielhaft ergebe sich aus der „Arbeitsanweisung“ für die Kalenderwoche 42 im Jahr 2015 (Bl. 143 d.A), wie die Überstunden vom Kläger ermittelt worden seien (Bl. 4 d.A). Ausweislich des Anlagenkonvoluts habe der Kläger in der Zeit vom 1. Januar 2013 bis zum 31. März 2016 insgesamt 1.230 Überstunden tatsächlich geleistet - dies unter Berücksichtigung der Pauschalabgeltung von 10 Stunden pro Monat gemäß § 5 Abs. 1 des Arbeitsvertrags vom 1. März 2001. Indem die Beklagte in den wöchentlichen Planungen der Arbeit entsprechende Arbeitseinsatzpläne für die jeweils kommende Woche vorgegeben habe, habe sie zugleich die anfallenden Überstunden angeordnet (Bl. 191 d.A). Ausgehend von einem Stundenlohn von 30,31 Euro brutto ergebe sich die Klageforderung von 37.282,63 Euro brutto (Bl. 6 d.A).

24

Die Vereinbarung vom 4. Mai 2012 (Bl. 186 d.A) stehe seinen Klageforderungen nicht entgegen, denn sie sei nicht Vertragsinhalt geworden. Der Kläger habe sie - insoweit unstreitig - nicht unterzeichnet.

25

Der Kläger beantragt:

26

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 14.654,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Klagezustellung zu zahlen.

27

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 37.282,63 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Klagezustellung zu zahlen.

28

Die Beklagte beantragt:

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Die Klage wird abgewiesen.

30

Die Beklagte trägt vor:

31

Die Zahlung des 13. Monatsgehalts sei als „freiwillige Leistung“ vertraglich vereinbart, weshalb ein Rechtsanspruch des Klägers nicht bestehe (Bl. 224, 179 d.A).

32

Die Vereinbarung vom 4. Mai 2012 (Bl. 186 d.A) habe dazu geführt, dass das 13. Monatsgehalt nicht mehr geschuldet sei. Wenn auch der Kläger diese Vereinbarung nicht unterzeichnet habe, so sei es doch jedenfalls stillschweigend zu einer Vertragsänderung gekommen, weil der Kläger auch nach der Einstellung der Zahlungen im Jahr 2002 sein Arbeitsverhältnis beanstandungslos fortgesetzt habe. Dies sei Ausdruck seiner Zustimmung mit der Aussetzung der Zahlung des Weihnachtsgeldes (Bl. 226 d.A).

33

Ein möglicher Anspruch auf Zahlung des 13. Monatsgehalts sei jedenfalls vom Kläger verwirkt, denn der Kläger habe seit dem Jahr 2002 widerspruchslos hingenommen, dass die Zahlungen nicht mehr erfolgt seien. Aufgrund der erheblichen Dauer des Zeitmoments seien geringe Anforderungen an das Umstandsmoment zu stellen (Bl. 229, 180 d.A). In den Jahren 2006 und 2007 habe die Beklagte kein 13. Monatsgehalt gezahlt. Bei den Zahlungen habe es sich vielmehr um Jahressonderzuwendungen in Höhe von 30 Prozent des Monatsentgelts gehandelt, die ausschließlich an Mitarbeiter gezahlt worden seien, die am 1. Dezember des jeweiligen Jahres eine Betriebszugehörigkeit von mindestens 11 Monaten hatten und in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis standen (Bl. 227 d.A).

34

Auch Überstundenvergütung sei nicht geschuldet. Der Kläger habe schon die tatsächliche Ableistung von Überstunden nicht nachvollziehbar dargelegt; die Bezugnahme auf Anlagen ersetze schriftsätzlichen Sachvortrag nicht. Der Kläger habe nicht dargelegt, an welchen Tagen und zu welcher Tageszeit er unter Berücksichtigung der Pausen tatsächlich über die normale Arbeitszeit hinaus seit dem 1. Januar 2013 tatsächlich Arbeit geleistet habe (Bl. 181, 229 ff. d.A). Das Gericht dürfe auch keine Schätzung vornehmen, weil die tatsächliche Ableistung von Überstunden zwischen den Parteien vollständig streitig sei. Im Übrigen bestehe beim Kläger keine Vergütungserwartung, weil er - insoweit unstreitig - mit Schreiben vom 28. Februar 2002 ab dem 1. März 2002 in die Geschäftsleitung der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin berufen worden sei (Bl. 179, 185 d.A).

35

Auch habe die Beklagte keine Überstunden angeordnet. Bei den vom Kläger vorgelegten „Arbeitsanweisungen“ handle es sich lediglich um die Wochenplanungen für die jeweils folgende Woche. In diesen „Jobplanungen“ seien auch Projekte aufgeführt, die nicht zeitnah umgesetzt worden seien und deshalb mehrfach in die Planung aufgenommen worden seien; ebenso seien Aufträge in der Planung enthalten, die letztlich nicht ausgeführt worden seien und auch solche, die erst in weiterer Zukunft zur Bearbeitung anstünden. Bei der Wochenplanung, die die Kläger vorgelegt habe, handele es sich lediglich um eine grobe, nicht zuverlässige Schätzung des Arbeitsaufwands durch die Beklagte (Bl. 232, 235 f. d.A).

36

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle verwiesen.

Entscheidungsgründe

A.

37

Die Klage ist nur zum Teil begründet. Mit Erfolg fordert der Kläger die Zahlung des 13. Monatsgehalts, nicht jedoch Zahlung von Überstundenvergütung.

I.

38

Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung des 13. Monatsgehalts für die Jahre 2013 bis 2015 aus § 4 Abs. 2 Satz 3 des Arbeitsvertrags vom 1. März 2001 in der beantragten Höhe. Der Anspruch ergibt sich ohne weiteres aus dem Arbeitsvertrag in rechnerisch unstreitiger Höhe von 14.654,00 Euro brutto. Der Freiwilligkeitsvorbehalt schließt die Verbindlichkeit der vertraglichen Verpflichtung nicht aus, sondern verweist lediglich darauf, dass sich die Beklagte „freiwillig“ und ohne durch andere Rechtsgrundlagen hierzu verpflichtet zu sein, zur Zahlung eines 13. Monatsgehalts verpflichtet hat (BAG 17. April 2013 - 10 AZR 281/12 - Rn. 10, 16; BAG 14. September 2011 - 10 AZR 526/10 - Rn. 23). Im Übrigen gilt dann: pacta sunt servanda.

39

Diese vertragliche Grundlage wurde weder ausdrücklich noch konkludent geändert. Der Anspruch ist auch nicht verwirkt.

40

1. Die Anspruchsgrundlage in § 4 Abs. 2 Satz 3 des Arbeitsvertrags wurde nicht durch die Änderungsvereinbarung vom 4. Mai 2012 aufgehoben, weil dort lediglich § 4 Abs. 1 und § 5 des Arbeitsvertrags geändert werden sollten. Die Anspruchsgrundlage für das 13. Monatsgehalt ist davon nicht betroffen. Dass der Kläger die Änderungsvereinbarung vom 4. Mai 2012 zudem nicht unterzeichnet hat, ist deshalb hier nicht mehr von Bedeutung.

41

2. Die Anspruchsgrundlage wurde auch nicht durch stillschweigende Vertragsänderung der Parteien aufgehoben. Die Beklagte ist hierzu der Ansicht, dass eine konkludente Erklärung des Klägers dahingehend anzunehmen sei, weil er die Einstellung der Zahlungen mit dem Jahr 2002 stets unkommentiert hingenommen habe.

42

Die Anforderungen an eine rechtsverbindliche Willenserklärung insbesondere des Arbeitnehmers sind damit aber noch nicht erreicht. Die Annahme eines Änderungsangebots des Arbeitgeber kann gem. §§ 133, 157 BGB auch in der widerspruchslosen Weiterarbeit durch den Arbeitnehmer bestehen. Auszugehen ist jedoch von dem Grundsatz, dass Schweigen im Rechtsverkehr keinen Erklärungswert hat (vgl. zB BAG 22. Dezember 1970 - 3 AZR 52/70 - zu III 5 der Gründe), es sei denn, solches wurde vorab vereinbart oder Kaufleute handeln unter den Voraussetzungen des § 362 Abs. 1 Satz 1 HGB. Davon abgesehen hat das BAG festgehalten, dass in zwei Ausnahmefällen von einer stillschweigenden Vertragsänderung durch widerspruchslose Weiterarbeit ausgegangen werden kann, nämlich (1) wenn sich die geänderten Vertragsbedingungen „unmittelbar bei der Arbeit auswirken“ (sehr plastisch und überzeugend: BAG 17. Juli 1965 - 3 AZR 302/64 - zu 4 der Gründe; undeutlicher BAG 1. August 2001 - 4 AZR 129/00 - zu I 1 b bb 2 der Gründe: „unmittelbar im Arbeitsverhältnis auswirkt“) oder (2) wenn es sich um die Änderung komplexer Tarifwerke handelt (BAG 1. August 2001 - 4 AZR 129/00 - zu I 1 b bb 2 der Gründe).

43

Beide Ausnahmefälle liegen hier nicht vor. Insbesondere wirkt sich die Zahlungseinstellung nicht unmittelbar bei der Arbeit des Klägers aus. Erst nach Erhalt der Lohnabrechnung bzw. erst am Jahresende kann der Kläger erkennen, ob die Beklagte ihrer Zahlungsverpflichtung in vollem Umfang nachgekommen ist. Sein widerspruchsloses Arbeiten hat deshalb keinen Erklärungswert. Der Kläger ist auch nicht gezwungen, auf den Vertragsbruch der Beklagten hin irgendeinen Widerspruch zu äußern. Er kann insbesondere die regelmäßige Verjährungsfrist ausschöpfen. Schließlich ist die Einstellung des 13. Monatsgehalts auch keine komplexe Änderung des Regelwerks, wie sie bei einer Tarifvertragsänderung anzunehmen wäre.

44

3. Der (unverjährte) Anspruch des Klägers ist auch nicht verwirkt.

45

Der Verwirkungseinwand ist eine besondere Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben iSd. § 242 BGB, ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung. Er greift, wenn zu einem gewissen Zeitablauf (Zeitmoment) Umstände im Verhalten des Gläubigers hinzutreten, die beim Schuldner das berechtigte Vertrauen erwecken, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (Umstandsmoment). Davon ist auszugehen, wenn der Gläubiger dem Schuldner zu erkennen gegeben hat, dass er den Anspruch nicht mehr verfolgen wird. Der Berechtigte muss unter Umständen untätig gewesen sein, die den Eindruck erwecken konnten, dass er sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, so dass sich der Verpflichtete darauf einstellen konnte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (BAG 25. April 2001 - 5 AZR 497/99 - zu I 1 d der Gründe).

46

Diese Formulierung darf aber nicht dahingehend missverstanden werden, dass der Arbeitnehmer schon durch längeres Schweigen seinen Anspruch verwirkt. Das „Untätigsein“ bezieht sich allein auf die Geltendmachung des Anspruchs. Verwirkt ist ein Anspruch deshalb erst, wenn der Gläubiger sein Recht nicht geltend macht und - ihm zurechenbare - Umstände eingetreten sind, die beim Schuldner die berechtigte Erwartung wecken, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (zu weitgehend deshalb LAG Köln 29. Oktober 1999 - 11 Sa 658/99 - juris [widerspruchslose Hinnahme von Lohnabrechnungen soll zur Verwirkung von Überstundenvergütungsansprüchen führen]; zutreffend vielmehr: LAG Berlin-Brandenburg 3. Juni 2010 - 15 Sa 166/10 - zu B I 2 der Gründe, juris [Verwirkung nicht schon durch mehrjähriges Nicht-Geltendmachen eines Anspruchs]).

47

Auch die von der Beklagten zitierte Entscheidung des LAG Hamburg (8. Januar 2008 - 2 Sa 70/07 - juris) überzeugt nicht. Denn das LAG Hamburg geht zwar von zutreffenden Grundsätzen zur Verwirkung aus, vermischt dann aber das Umstandsmoment der Verwirkung mit dem Problem der fehlenden Vergütungserwartung iSd. § 612 Abs. 1 BGB (vgl. LAG Hamburg aaO zu I 2 der Gründe; zur Vergütungserwartung iSd. § 612 Abs. 1 BGB: BAG 22. Februar 2012 - 5 AZR 765/10 - Rn. 20 ff.). Das LAG Hamburg meint, der Anspruch auf Überstundenvergütung sei verwirkt, weil der Arbeitnehmer über sieben Jahre lang Überstunden geleistet habe, ohne hierfür jemals eine Vergütung zu fordern. Das LAG Hamburg will hieraus eine fehlende Vergütungserwartung ableiten. Das LAG Hamburg misst damit dem Schweigen im Rechtsverkehr eine rechtsgeschäftliche Bedeutung bei, die es nicht hat und nach den oben geschilderten Grundsätzen nicht haben kann. Es überzeugt schon nicht, wenn man dem Arbeitnehmer eine fehlende Vergütungserwartung gegenüber dem zahlungssäumigen Arbeitgeber unterstellt. So wird der Zahlungsverzug noch belohnt. Das ist abzulehnen.

48

4. Der Ausspruch zu den geltend gemachten Prozesszinsen beruht auf § 291 iVm. § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB. Die Rechtshängigkeit trat mit Zustellung der Klageschrift bei der beklagten Partei am 1. Juli 2016 ein, vgl. §§ 253 Abs. 1, 261 Abs. 1 ZPO. Die Verzinsungspflicht für Prozesszinsen beginnt nach §§ 291, 187 Abs. 1 BGB mit dem Folgetag der Rechtshängigkeit (vgl. BAG 16. September 2008 - 9 AZR 791/07 - Rn. 64 mwN, BAGE 127, 367).

II.

49

Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Überstundenvergütung für den 1. Januar 2013 bis zum 31. März 2016 aus §§ 612, 611 BGB iVm. dem Arbeitsvertrag zu.

50

Zum Anspruch auf Überstundenvergütung wurde schon die Erbringung der Arbeitsleistung nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Der an sich schon unzureichende Sachvortrag zur Erbringung der Arbeitsleistung war zudem in vollem Umfang bestritten worden. Dem Gericht lag deshalb auch keinerlei valide Grundlage für eine Schätzung der geleisteten Überstunden vor.

51

1. Verlangt der Arbeitnehmer aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung, tariflicher Verpflichtung des Arbeitgebers oder § 612 Abs. 1 BGB Arbeitsvergütung für Überstunden, hat er darzulegen und - im Bestreitensfall - zu beweisen, dass er Arbeit in einem die Normalarbeitszeit übersteigenden zeitlichen Umfang verrichtet hat. Dabei genügt der Arbeitnehmer seiner Darlegungslast, wenn er schriftsätzlich vorträgt, an welchen Tagen er von wann bis wann Arbeit geleistet oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten hat. Auf diesen Vortrag muss der Arbeitgeber im Rahmen einer abgestuften Darlegungslast substantiiert erwidern und im Einzelnen vortragen, welche Arbeiten er dem Arbeitnehmer zugewiesen hat, und an welchen Tagen der Arbeitnehmer von wann bis wann diesen Weisungen - nicht - nachgekommen ist (BAG 10. April 2013 - 5 AZR 122/12 - Rn. 9; BAG 16. Mai 2012 - 5 AZR 347/11 - Rn. 27 ff.).

52

Der Anspruch auf Vergütung von Überstunden setzt neben deren Leistung voraus, dass die Überstunden vom Arbeitgeber angeordnet, gebilligt, geduldet oder jedenfalls zur Erledigung der geschuldeten Arbeit notwendig gewesen sind. Die Darlegungs- und Beweislast hierfür trägt der Arbeitnehmer.

53

Für eine ausdrückliche Anordnung von Überstunden muss der Arbeitnehmer vortragen, wer wann auf welche Weise wie viele Überstunden angeordnet hat.

54

Von einer konkludenten Anordnung von Überstunden spricht das BAG, wenn die Arbeitsleistung betrieblich notwendig war. Hierzu muss der Arbeitnehmer darlegen, dass eine bestimmte angewiesene Arbeit innerhalb der Normalarbeitszeit nicht zu leisten oder ihm zur Erledigung der aufgetragenen Arbeiten ein bestimmter Zeitrahmen vorgegeben war, der nur durch die Leistung von Überstunden eingehalten werden konnte. Dabei begründet allein die Anwesenheit des Arbeitnehmers im Betrieb oder an einem Arbeitsort außerhalb des Betriebs keine Vermutung dafür, Überstunden seien zur Erbringung der geschuldeten Arbeit notwendig gewesen (BAG 10. April 2013 - 5 AZR 122/12 - Rn. 16 f.).

55

Mit der ausdrücklichen oder konkludenten Billigung von (in der Vergangenheit geleisteten) Überstunden ersetzt der Arbeitgeber die fehlende vorherige Anordnung schon geleisteter Überstunden. Dazu muss der Arbeitnehmer darlegen, wer wann auf welche Weise zu erkennen gegeben habe, mit der Leistung welcher Überstunden einverstanden zu sein (BAG 10. April 2013 - 5 AZR 122/12 - Rn. 19).

56

Die Duldung von (künftigen) Überstunden bedeutet, dass der Arbeitgeber in Kenntnis einer Überstundenleistung diese hinnimmt und keine Vorkehrungen trifft, die Leistung von Überstunden künftig zu unterbinden. Dazu muss der Arbeitnehmer vortragen, von welchen wann geleisteten Überstunden der Arbeitgeber auf welche Weise wann Kenntnis erlangt haben soll und dass es im Anschluss daran zu einer weiteren Überstundenleistung gekommen ist. Erst wenn dieses feststeht, ist es Sache des Arbeitgebers, darzulegen, welche Maßnahmen er zur Unterbindung der von ihm nicht gewollten Überstundenleistung ergriffen hat. Dabei vermag aber allein die Entgegennahme von Aufschrieben der Anwesenheitszeiten seiner Beschäftigten eine Kenntnis des Arbeitgebers von einer bestimmten Überstundenleistung noch nicht zu begründen. Erst wenn der Arbeitnehmer seine Aufzeichnungen hinsichtlich der Arbeitsleistung konkretisiert und mit einem Hinweis auf eine Überstundenleistung verbindet, ist von einer Duldung durch den Arbeitgeber auszugehen, wenn dieser dem Hinweis nicht nachgeht und gegen nicht gewollte Überstunden auch nicht einschreitet (vgl. BAG 10. April 2013 - 5 AZR 122/12 - Rn. 21 f.; Müller-Wenner AuR 2015, 4, 6).

57

2. Bei Anwendung dieser Grundsätze war bereits die Erbringung der Arbeitsleistung nicht nachvollziehbar dargelegt und ebensowenig die vermeintliche Anordnung der Überstunden.

58

a) Zunächst ist allerdings klarzustellen, dass der Kläger - entgegen der Auffassung der Beklagten - nicht gehindert war, seinen schriftsätzlichen Sachvortrag durch Bezugnahme auf das umfangreiche Anlagenkonvolut (Bl. 15-170 d.A) zu straffen. Zwar hat das BAG darauf hingewiesen, dass das Gericht nicht verpflichtet ist, sich den mutmaßlichen Sachvortrag der Parteien aus den Anlagen zusammenzusuchen (vgl. BAG 16. Mai 2012 - 5 AZR 347/11 - Rn. 29). Damit ist allerdings nicht gemeint, dass die Parteien umfangreichen Sachvortrag über mehrere hundert Seiten in den Schriftsatz hineinpressen müssten, um den Formalien des § 130 Nr. 3 und Nr. 4 ZPO zu genügen. Das BAG wendet sich im Kern lediglich dagegen, dass die Parteien ungeordnete Anlagenkonvolute vorlegen, sich selbst damit der Mühe einer ersten Ordnung des Prozessstoffes entledigen und damit das Gericht veranlassen, die unkommentierten Anlagen zu interpretieren und gleichsam den Schriftsatz selbst zu verfassen - was nicht angeht. Die Bezugnahme auf Anlagen begegnet keinen Bedenken, soweit die dortige Darstellung aus sich heraus verständlich ist (Zöller 31. Aufl. ZPO § 253 Rn. 12a; vgl. auch BGH 4. Februar 2010 - IX ZR 18/09 - Rn. 80 mwN).

59

b) Der Kläger hat jedoch auch unter Berücksichtigung der umfangreichen Anlagen nicht dargelegt, von wann bis wann er unter Berücksichtigung seiner Pausen tagtäglich seit dem 1. Januar 2013 bis zum 31. März 2016 seine Arbeitsleistung tatsächlich erbracht hat. Er zieht sich auf den Standpunkt zurück, aus den Wochenplanungsübersichten der Beklagten sei auf seine tatsächliche Arbeitsleistung zu schließen. Dem vermochte die Kammer nicht zu folgen. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die „Jobplanungen“ der Beklagten mit der tatsächlichen Arbeitsleistung des Klägers übereinstimmen. Und das ist auch der Grund dafür, dass das Gericht keine Schätzung der klägerseits behaupteten Überstunden vornehmen kann, § 287 ZPO.

60

Im Ausgangspunkt zutreffend verweist der Kläger auf die Möglichkeit der Schätzung entsprechend § 287 ZPO und die hierzu ergangene Rechtsprechung des BAG. Danach darf das Gericht den Umfang geleisteter Überstunden nach § 287 Abs. 2 iVm. Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 ZPO schätzen, wenn feststeht (§ 286 ZPO), dass Überstunden auf Veranlassung des Arbeitsgebers geleistet worden sind und der Arbeitnehmer seiner Darlegungs- oder Beweislast für jede einzelne Überstunde nicht in jeder Hinsicht genügen kann (BAG 25. März 2015 - 5 AZR 602/13 - Rn. 18). Das BAG hat aber auch klargestellt, dass eine Schätzung unterbleiben darf [und muss], wenn sie mangels jeglicher konkreter Anhaltspunkte vollkommen in der Luft hinge und daher willkürlich wäre. Eine Schätzung kommt deshalb nur in Betracht, wenn aufgrund unstreitigen Parteivorbringens, eigenen Sachvortrags des Arbeitgebers oder dem vom Tatrichter nach § 286 Abs. 1 ZPO für wahr erachteten Sachvortrag des Arbeitnehmers feststeht, dass Überstunden geleistet wurden, weil die dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zugewiesene Arbeit generell oder zumindest im Streitzeitraum nicht ohne die Leistung von Überstunden zu erbringen war. Kann in einem solchen Fall der Arbeitnehmer nicht jede einzelne Überstunde belegen (etwa weil zeitnahe Arbeitszeitaufschriebe fehlen, überhaupt der Arbeitgeber das zeitliche Maß der Arbeit nicht kontrolliert hat oder Zeugen nicht zur Verfügung stehen), kann und muss der Tatrichter nach pflichtgemäßen Ermessen das Mindestmaß geleisteter Überstunden schätzen, sofern dafür ausreichende Anknüpfungstatsachen vorliegen. Jedenfalls ist es nicht gerechtfertigt, dem aufgrund des vom Arbeitgeber zugewiesenen Umfangs der Arbeit im Grundsatz berechtigten Arbeitnehmer jede Überstundenvergütung zu versagen (BAG 25. März 2015 - 5 AZR 602/13 - Rn. 19 ff.).

61

c) Diese Voraussetzungen für eine Schätzung sind hier nicht gegeben. Der Kläger hat seine Arbeitsleistung schon nicht substantiiert dargelegt. Seine pauschale Behauptung der Überstundenleistung wurde von der Beklagten - zulässig, vgl. § 138 Abs. 2 ZPO - zur Gänze ebenso pauschal bestritten. Der Kläger hat weder seinen Sachvortrag ausdifferenziert noch Beweise angeboten. Grundlage für eine Schätzung durch das Gericht hätte hier zB sein können, wenn der Kläger für einen repräsentativen Zeitraum seine tatsächliche Arbeitsleistung im Einzelnen darlegt und diese unstreitig oder erwiesen ist oder wenn der Kläger nachvollziehbar darlegt, dass die zugewiesenen Arbeiten (welche konkret) nicht innerhalb der Normalarbeitszeit erledigt werden konnten. Das Gericht könnte dann die geleisteten Überstunden auf die übrigen Zeiträume „hochrechnen“. Das Gericht sieht sich jedoch nicht in der Lage, zu Gunsten des Klägers Mutmaßungen darüber anzustellen, inwiefern die Wochenplanungen der Beklagten (konkrete Arbeiten sind nicht erkennbar) mit der tatsächlichen Arbeitsleistung des Klägers übereinstimmen. Hierfür gibt es keine belastbaren Fakten. Das wäre keine Schätzung, sondern reine Spekulation.

62

d) Auch die vom Kläger behauptete Anordnung konkreter Überstunden blieb nicht völlig frei von Zweifeln. Es fällt natürlich auf, dass die „Jobplanungen“ der Beklagten ein Zeitkontingent umfassen, dass über die Normalarbeitszeit hinausgeht. Allerdings waren keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Beklagte auf dem so geplanten Arbeitszeitumfang dergestalt besteht, dass diese Arbeitszeit nicht unterschritten werden dürfte. Hier wäre es am darlegungspflichtigen Kläger gewesen, vorzutragen, dass die ihm übertragenen (welche konkret) Arbeitsaufgaben innerhalb der Normalarbeitszeit nicht zu schaffen waren. Ohne diese Darlegung konnte die Kammer nicht zweifelsfrei erkennen, ob die „Jobplanung“ der Beklagten zugleich die stillschweigende Anordnung von Überstunden beinhaltete.

III.

63

Einer stattgebenden Entscheidung über den im Kammertermin beantragten Schriftsatznachlass der Beklagten gemäß § 283 ZPO bedurfte es nach all dem nicht. Insbesondere war die Entscheidung über den Klageantrag zu 1. nicht von dem Vorbringen des Klägers im Schriftsatz vom 30. Januar 2017 abhängig.

B.

64

Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 2 ArbGG iVm § 92 Abs. 1 ZPO und berücksichtigt den Anteil des Unterliegens der Parteien.

C.

65

Der nach § 61 Abs. 1 ArbGG festzusetzende Rechtsmittelstreitwert wurde mit dem Nennbetrag der Zahlungsklage bemessen, § 46 Abs. 2 ArbGG, §§ 3 ff ZPO.

D.

66

Da die Voraussetzungen des § 64 Abs. 3 ArbGG nicht vorliegen, war die Berufung nicht gesondert zuzulassen.

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