Urteil vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (5. Kammer) - 5 Sa 354/10


Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 15.06.2010 - 2 Ca 1259/09 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis durch außerordentliche bzw. ordentliche Arbeitgeberkündigung beendet worden ist oder aber fortbesteht, ob die Klägerin die Weiterbeschäftigung bei der Beklagten verlangen kann, sowie darüber hinaus, ob ihr ein Anspruch auf Entfernung einer Abmahnung sowie Zahlungsansprüche gegenüber der Beklagten zustehen.

2

Die Klägerin ist seit dem 15.07.2001 bei der Beklagten zunächst als examinierte Pflegefachkraft beschäftigt gewesen. Mit Datum vom 14.09.2007 haben die Parteien einen weiteren Arbeitsvertrag abgeschlossen, wonach die Klägerin ab dem 17.09.2007 die Aufgaben der Pflegedienstleitung der Betriebsstätte "S. C." in P. ausübt. In § 1 des Arbeitsvertrages heißt es unter anderem:

3

"Die Zuweisung anderer zumutbarer Arbeiten bleibt vorbehalten."

4

Nach der Anlage 1 zum Arbeitsvertrag beträgt die monatliche Bruttovergütung der Klägerin 2.400,00 EUR, bei einer Belegung ab 80 % der Einrichtung 2.500,00 EUR. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer; die Klägerin ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 50.

5

Ab Ende 2008 war die Klägerin längere Zeit arbeitsunfähig erkrankt. Es erfolgte ein Wiedereingliederungsversuch, hinsichtlich dessen streitig ist, mit welchen Tätigkeiten die Klägerin dabei betraut wurde. Mit Schreiben vom 10.07.2009 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie ab dem 20.07.2009 für die Tätigkeit der Pflegedienstleiterin wieder leistungsfähig sei. Sie bot ihre Arbeitskraft an und kündigte an, für den Fall, dass sie nicht vertragsgerecht eingesetzt werde, werde sie von ihrem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch machen.

6

Am 18.07.2009 teilte die Zeugin W., eine Mitarbeiterin der Beklagten, der Klägerin telefonisch mit, dass sie am 20.07.2009 ab 7.00 Uhr den Frühdienst in der Pflege übernehmen solle. Am Morgen des 20.07.2009 suchte die Klägerin die Betriebsstätte auf, arbeitete aber nicht. Mit Schreiben vom 21.07.2009 bot die Klägerin der Beklagten nochmals die vertraglich geschuldete Tätigkeit an.

7

Mit Schreiben vom 22.07.2009 erteilte die Beklagte daraufhin der Klägerin eine Abmahnung wegen unentschuldigten Fehlens.

8

Aufgrund Antrags der Beklagten erteilte das Integrationsamt mit Bescheid vom 12.08.2009 die Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Mit Schreiben vom 27.08.2009 hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung der Klägerin an. Mit Schreiben vom 31.08.2009 stimmte der Betriebsrat dem zu.

9

Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 01.09.2009 fristlos, mit Schreiben vom 04.09.2009 ordentlich zum 30.11.2009. Gegen beide Kündigungen hat die Klägerin am 14.09.2009 Kündigungsschutzklage erhoben.

10

Seit dem 01.09.2009 erhält die Klägerin Arbeitslosengeld. Mit Schreiben vom 29.01.2010 wurde sie von der Agentur für Arbeit ermächtigt, die übergegangenen Vergütungsansprüche einzuklagen.

11

Die Klägerin hat vorgetragen, nach dem schriftlich zuletzt abgeschlossenen Arbeitsvertrag schulde sie ausschließlich die Tätigkeit als Pflegedienstleiterin. Aufgrund ihrer Schwerbehinderung erfülle auch lediglich die Übertragung dieser Tätigkeit die Anforderungen an einen leidensgerechten Arbeitsplatz. Die Beklagte habe - unstreitig - das betriebliche Eingliederungsmanagement nicht durchgeführt. Aufgrund des Gesundheitszustandes sei sie nicht in der Lage, schwere Hebearbeiten durchzuführen und könne daher die Tätigkeit einer examinierten Fachkraft im Bereich der stationären Pflege nicht ausüben. Als sie am 07.09.2007 die Tätigkeit als Pflegedienstleiterin aufgenommen habe, seien - unstreitig - lediglich 16 Plätze belegt gewesen. Während dieser gesamten Tätigkeit als Pflegedienstleiterin sei sie unabhängig vom Ausmaß der Belegung immer vollschichtig als Pflegedienstleiterin im Einsatz gewesen. Da sie nunmehr aber von der Beklagten nicht vertragsgerecht beschäftigt werde, mache sie von ihrem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch. Es stehe ihr zusätzlich auch deshalb zu, weil entgegen der seit Juli 2006 geltenden Betriebsvereinbarung kein Krankenrückkehrgespräch mit ihr stattgefunden habe. Folglich befinde sich die Beklagte seit 20.07.2009 in Annahmeverzug. Die Abmahnung habe sie lediglich als Kopie vom Integrationsamt erhalten.

12

Auch sei der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört worden; die an ihn gerichtete Mitteilung sei verkürzt und bewusst falsch gefasst. Umstände, die sie entlasteten, seien ihm nicht mitgeteilt worden.

13

Die Klägerin hat beantragt,

14

die Beklagte zu verurteilen, sie als Pflegedienstleiterin in der Betriebsstätte „S. C.“ in P. zu einem Bruttomonatsgehalt von 2.500,00 € zu beschäftigen,
die Beklagte zu verurteilen, an sie unter Erstellung einer ordnungsgemäßen Abrechnung für Juli 2009 1.043,48 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 01.08.2009 zu zahlen,
die Beklagte zu verurteilen, an sie unter Erstellung einer ordnungsgemäßen Abrechnung für August 2009 2.400,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 01.09.2009 zu zahlen,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 01.09.2009, zugegangen am 04.09.2009, nicht aufgelöst wurde,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auch nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 04.09.2009, zugegangen am 07.09.2009, zum 30.11.2009 aufgelöst wird,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen auch über den 04.09. bzw. 30.11.2009 hinaus fortbesteht,
die Beklagte zu verurteilen, an sie unter Erstellung einer ordnungsgemäßen Abrechnung für September 2009 2.400,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 01.10.2009 zu zahlen,
die Beklagte zu verurteilen, an sie unter Erstellung einer ordnungsgemäßen Abrechnung für Oktober 2009 2.400,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 01.11.2009 zu zahlen,
die Beklagte zu verurteilen, an sie unter Erstellung einer ordnungsgemäßen Abrechnung für November 2009 2.400,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 01.12.2009 zu zahlen,
hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit der außerordentlichen fristlosen oder ordentliche Kündigung die Beklagte zu verurteilen, an sie 4.730,77 € Urlaubsabgeltung nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 10.12.2009 zu zahlen,
die Beklagte zu verurteilen, an sie unter Erstellung einer ordnungsgemäßen Abrechnung für Dezember 2009 2.400,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 01.01.2010 zu zahlen,
die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnung vom 22.07.2009 aus ihrer Personalakte zu entfernen,
die Beklagte zu verurteilen, an sie unter Erstellung einer ordnungsgemäßen Abrechnung für Januar 2010 2.400,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 01.02.2010 zu zahlen,
die Beklagte zu verurteilen, an sie unter Erstellung einer ordnungsgemäßen Abrechnung für Februar 2010 2.400,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 01.03.2010 zu zahlen,
die Beklagte zu verurteilen, an sie unter Erstellung einer ordnungsgemäßen Abrechnung für März 2010 2.400,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 01.04.2010 zu zahlen.

15

Die Beklagte hat beantragt,

16

die Klage abzuweisen.

17

Die Beklagte hat vorgetragen, die Kündigungen seien jeweils gerechtfertigt, weil die Klägerin unentschuldigt der Arbeit fern geblieben sei. Es sei mit Nichtwissen zu bestreiten, dass die Klägerin am 20.07.2009 ihre Arbeit als Pflegedienstleiterin angeboten habe. Da im Juli 2009 von den 50 Plätzen der Einrichtung nur 25 besetzt gewesen seien, habe sie die Klägerin nicht ausschließlich als Pflegedienstleiterin mit 40 Wochenstunden beschäftigen können. Nach den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen sei die Klägerin verpflichtet gewesen, auch Pflegetätigkeiten wahrzunehmen. Dies habe sie zuvor neben ihrer Tätigkeit als Pflegedienstleiterin auch regelmäßig getan, wenn es betrieblich aufgrund der personellen Situation erforderlich gewesen sei. Auch im Rahmen der Wiedereingliederungsmaßnahme sei die Klägerin als examinierte Fachkraft tätig gewesen. Eine Arbeitunfähigkeitsbescheinigung habe die Klägerin - unstreitig - nicht vorgelegt. Die Abmahnung sei der Klägerin am 27.07.2009 zugegangen.

18

Das Arbeitsgericht Trier hat daraufhin durch Urteil vom 15.06.2010, 2 Ca 1259/09, festgestellt, dass weder die außerordentliche, noch die ordentliche Kündigung rechtswirksam ist, die Beklagte verurteilt, die Klägerin als Pflegedienstleiterin in der Betriebsstätte S. C zu beschäftigen, sowie Arbeitsentgelt für die Zeit von Juli 2009 bis März 2010 zu zahlen, die Abmahnung vom 22.07.2009 aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen und im Übrigen die Klage abgewiesen.

19

Hinsichtlich des Inhalts von Tatbestand und Entscheidungsgründen wird auf Bl. 126 bis 137 d. A. Bezug genommen.

20

Gegen das ihr am 05.07.2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte durch am 09.07.2010 beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Sie hat die Berufung durch am 24.08.2010 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet.

21

Die Beklagte wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und hebt insbesondere hervor, entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts sei davon auszugehen, dass vorliegend die Klägerin ihre Arbeit beharrlich verweigert und auch nach mehrfacher Aufforderung die ihr rechtmäßig zugewiesene Arbeit nicht angetreten habe. Sie habe auch in der Vergangenheit jeweils trotz ihrer Tätigkeit als Pflegedienstleiterin in der Pflege selbst mitgeholfen, soweit dies notwendig gewesen sei. Dies habe sich aus der schwachen Auslastung des Betriebes in P. ergeben. Insoweit könne sich die Beklagte rechtswirksam auf die Bestimmungen des Arbeitsvertrages berufen. Zu beachten sei zudem, dass die Beklagte stets bereit gewesen sei, das Gehalt ungekürzt weiter zu zahlen, obwohl dann teilweise keine Pflegedienstleistung ausgeführt worden sei. Zu beachten sei zudem, dass die Klägerin aufgrund eines Schreibens des Integrationsamtes vom 06.08.2010 erst ab Oktober 2009 wieder in der Lage gewesen sei, ihren Beruf voll auszuüben. Zuvor sei sie offensichtlich nicht arbeitsfähig gewesen.

22

Zur weiteren Darstellung der Auffassung der Beklagten wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 23.08.2010 (Bl. 153 bis 155 d. A.), sowie ihren Schriftsatz vom 05.10.2010 (Bl. 162, 163 d. A.) nebst Anlagen (Bl. 164, 165 d. A.) Bezug genommen.

23

Die Beklagte beantragt,

24

das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

25

Die Klägerin beantragt,

26

die Berufung zurückzuweisen.

27

Die Klägerin verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens und hebt insbesondere hervor, es treffe nicht zu, dass sie, wie andere auch, in der Vergangenheit als Pflegedienstleisterin jeweils in der Pflege mitgeholfen habe. Der Sachvortrag der Beklagten sei insoweit völlig unsubstantiiert.

28

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie die zu den Akten gereichten Schriftstücke verwiesen.

29

Schließlich wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 04.11.2010.

Entscheidungsgründe

30

I. Das Rechtsmittel der Berufung ist nach §§ 64 Abs. 1, 2 ArbGG statthaft. Die Berufung ist auch gem. §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 518, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

31

II. Das Rechtsmittel der Berufung hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

32

Denn das Arbeitsgericht ist sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung zu Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin die Feststellung der Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung, die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte, ihre Weiterbeschäftigung als Pflegedienstleisterin sowie die Zahlung von Arbeitsentgelt von der Beklagten im ausgeurteilten Ausmaß verlangen kann.

33

Die fristlose Kündigung der Beklagten vom 01.09.2009 ist rechtsunwirksam und hat das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht beendet.

34

Das Kündigungsschutzgesetz findet Anwendung; die Kündigungsschutzklage ist rechtzeitig erhoben worden.

35

Ein wichtiger Grund im Sinne der Generalklausel der § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Kündigung liegt dann vor, wenn Tatsachen gegeben sind, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und in der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Frist für eine ordentliche Kündigung nicht zugemutet werden kann. Damit wird der wichtige Grund zunächst durch die objektiv vorliegenden Tatsachen bestimmt, die an sich geeignet sind, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar zu machen. Kündigungsgrund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB ist deshalb jeder Sachverhalt, der objektiv das Arbeitsverhältnis mit dem Gewicht eines wichtigen Grundes belastet (vgl. BAG AP-Nr. 4, 42, 63 zu § 626 BGB). Entscheidend ist nicht der subjektive Kenntnisstand des Kündigenden, sondern der objektiv vorliegende Sachverhalt, der objektive Anlass. Berücksichtigt werden können nur die bis zum Ausspruch der Kündigung eingetretenen Umstände bei der Überprüfung der Frage, ob sie als Kündigungsgrund an sich geeignet sind Ascheid/Preis/Schmidt Großkommentar Kündigungsrecht 3. Auflage 2007 (APS-Dörner), § 626 BGB Rz. 42 ff.; Dörner/Luczak/Wildschütz, Handbuch des Fachanwalts für Arbeitsrecht (DLW-Dörner), 8. Auflage 2009, D Rz. 656 ff.).

36

Die danach zu berücksichtigenden Umstände müssen nach verständigem Ermessen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar erscheinen lassen (BAG AP-Nr. 4 zu § 626 BGB). Bei der Bewertung des Kündigungsgrundes und bei der nachfolgenden Interessenabwägung ist ein objektiver Maßstab anzulegen, so dass subjektive Umstände, die sich aus den Verhältnissen der Beteiligten ergeben, nur aufgrund einer objektiven Betrachtung zu berücksichtigen sind. Die danach maßgeblichen Umstände müssen sich konkret nachteilig auf das Arbeitsverhältnis auswirken; da der Kündigungsgrund zukunftsbezogen ist und die Kündigung keine Sanktion für das Verhalten in der Vergangenheit darstellt, kommt es auf seine Auswirkungen auf die Zukunft an. Da es um den zukünftigen Bestand des Arbeitsverhältnisses geht, muss dessen Fortsetzung durch objektive Umstände oder die Einstellung oder das Verhalten des Gekündigten im Leistungsbereich, im Bereich der betrieblichen Verbundenheit aller Mitarbeiter, im persönlichen Vertrauensbereich (der Vertragspartner) oder im Unternehmensbereich konkret beeinträchtigt sein (BAG EzA § 626 BGB Nr. 11, EzA § 626 BGB n.F. Nr. 7).

37

Die erforderliche Überprüfung gem. § 626 Abs. 1 BGB vollzieht sich folglich zweistufig:

38

Zum einen muss ein Grund vorliegen, der unter Berücksichtigung der oben skizzierten Kriterien überhaupt an sich geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Insoweit handelt es sich um einen Negativfilter, d. h., dass bestimmte Kündigungsgründe eine außerordentliche Kündigung von vornherein nicht rechtfertigen können.

39

Zum anderen muss dieser Grund im Rahmen einer Interessenabwägung unter besonderer Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere auch des Verhältnismäßigkeitsprinzips zum Überwiegen der berechtigten Interessen des Kündigenden an der - in der Regel - vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen (vgl. ausführlich APS-Dörner, § 626 BGB a.a.O.; DLW-Dörner a.a.O.).

40

Entscheidender Zeitpunkt ist der des Ausspruchs der Kündigung.

41

Die in den aufgehobenen gesetzlichen Vorschriften der §§ 123, 124 Gewerbeordnung, 71, 72 HGB nach altem Recht genannten Beispiele für wechselseitige wichtige Gründe (z. B. Arbeitsvertragsbruch, beharrliche Arbeitsverweigerung) sind als wichtige Hinweise für typische Sachverhalte anzuerkennen, die an sich geeignet sind, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung zu bilden und die Kündigung in der Regel auch zu rechtfertigen, wenn keine besonderen Umstände zugunsten des Gekündigten sprechen (vgl. BAG AP-Nr. 99 zu § 626 BGB). "Absolute Kündigungsgründe", die ohne eine besondere Interessenabwägung eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen, bestehen andererseits jedoch nicht (BAG SAE 1986, S. 5).

42

Systematisch kann nach Störungen im Leistungsbereich, im betrieblichen Bereich der Verbundenheit aller Mitarbeiter, im persönlichen Vertrauensbereich der Vertragspartner und im Unternehmensbereich unterschieden werden (APS-Dörner, a.a.O.; DLW-Dörner a.a.O.)

43

Die Beklagte hat die fristlose Kündigung ausdrücklich nicht auf krankheitsbedingte Gründe, sondern auf das aus ihrer Sicht unentschuldigte Fernbleiben der Klägerin, auf Arbeitsverweigerung gestützt. Ein unentschuldigtes Fehlen des Arbeitnehmers ist zwar, jedenfalls nach vorangegangener Abmahnung, grundsätzlich geeignet, eine außerordentliche Kündigung "an sich" zu rechtfertigen. Entscheidend sind die konkreten Umstände des Einzelfalles.

44

Im hier maßgeblichen Zusammenhang hat die Klägerin die Arbeit aber nicht verweigert, sondern ist ihr zu Recht fern geblieben. Denn sie war nicht verpflichtet, als Altenpflegerin zu arbeiten. Vertraglich geschuldet war nach dem zuletzt zwischen den Parteien schriftlich abgeschlossenen Arbeitsvertrag vielmehr lediglich die Tätigkeit der Pflegedienstleiterin. Die Beklagte war durch das gesetzlich ihr zustehende Direktionsrecht nicht befugt, die Klägerin als Pflegefachkraft einzusetzen. Nach § 106 Satz 1 GewO kann der Arbeitgeber zwar Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsver-einbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind.

45

Mit dem schriftlichen Arbeitsvertrag vom 14.09.2007 wurde der Klägerin aber ab dem 17.09.2007 die Tätigkeit der Pflegedienstleistung der Betriebsstätte "S. C." in P. übertragen. Als Pflegedienstleiterin hat die Klägerin eine Führungsposition inne. Die Pflegekräfte sind ihr fachlich und organisatorisch unterstellt. Die Zuweisung der Tätigkeit einer Pflegefachkraft an die Klägerin stellt daher keine Konkretisierung an den Arbeitsvertrag nur rahmenmäßig umschriebenen Leistungspflicht dar, sondern vielmehr die Aufforderung zur Erbringung einer andersartigen Tätigkeit, die mit dem Arbeitsvertrag nicht in Einklang steht. Davon ist das Arbeitsgericht zu Recht ausgegangen. Dies ist vom Weisungsrecht des Arbeitgebers aber nicht gedeckt. Denn es umfasst insbesondere nicht die Befugnis zur Versetzung des Arbeitnehmers auf einen Arbeitsplatz mit einer geringer wertigen Tätigkeit, und zwar auch dann nicht, wenn die bisherige Vergütung fortgezahlt wird (BAG 24.04.1996, 4 AZR 976/94 und 30.08.1995, 1 AZR 47/95; LAG Köln, 22.10.2004, 7 Sa 839/04, Arbeit und Recht 2005, 423; Dörner/Luczak/Wildschütz, Handbuch des Fachanwalts für Arbeitsrecht, 8. Auflage 2009, 149).

46

Auch die Versetzungsklausel in § 1 des Arbeitsvertrages, wonach die Zuweisung anderer zumutbarer Arbeiten vorbehalten bleibt, kann das Direktionsrecht der Beklagten vorliegend nicht dahingehend erweitern, dass davon auf die Zuweisung der Tätigkeit einer Pflegefachkraft an die Klägerin gedeckt wäre. Denn die Klausel ist zwar gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB als deklaratorische Klausel wirksam, soweit sie nur den Inhalt des allgemeinen Weisungsrechts § 106 GewO wiedergibt (BAG 23.06.2007, EzA § 106 GewO Nr. 2). Kontrollfähig und -bedürftig nach Maßgabe der §§ 305 ff. BGB wird sie jedoch dann, wenn sie über den gesetzlichen Inhalt des Direktionsrechts hinausgeht und das Recht zur einseitigen Leistungsbestimmung erweitern will.

47

Nach der vorformulierten Vertragsklausel soll die Beklagte berechtigt sein, die Art der vertraglich vereinbarten Tätigkeit der Pflegedienstleisterin zu ändern. Damit hat sie sich schon vom Wortsinn her das Recht vorbehalten, in den Inhalt des Arbeitsvertrages einzugreifen, ohne dass die in § 1 Abs. 2, Abs. 3 KSchG vorausgesetzten Bedingungen für eine soziale Rechtfertigung der Änderung der vertraglich vereinbarten Arbeitstätigkeit gegeben sein müssen. Zwar ist als Voraussetzung für die Änderung genannt, dass die andere Arbeit zumutbar sein muss. Darin liegt aber kein - auch insoweit folgt die Kammer dem Arbeitsgericht - dem Änderungsschutz nach Maßgabe des Kündigungsschutzes angenäherter Schutz vor einer willkürlichen einseitigen Änderung der vertraglich vereinbarten Tätigkeit. Es liegt vielmehr eine erhebliche Abweichung von dem Grundgedanken des arbeitsrechtlichen Inhaltsschutzes, der gerade durch § 2 KSchG gewährleistet wird, vor, so dass schon deshalb eine ungemessene Benachteiligung des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB anzunehmen ist. Zumindest folgt eine solche aber daraus, dass bei der Anlegung des vom Einzelfall losgelösten Maßstabs festzustellen ist, dass die vom Arbeitgeber vorformulierte Klausel in § 1 des Arbeitsvertrages keine Einschränkung dahin enthält, dass eine einseitige Änderung der Art der Tätigkeit nur dann zugelassen werden soll, wenn diese in der Zuweisung einer anderen zumutbaren gleichwertigen Tätigkeit besteht. Eine Klausel, nach der der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer eine andere als die vertraglich vereinbarte Tätigkeit einseitig zuweisen kann, ist dann aber wegen des damit verbundenen schwerwiegenden Eingriffs in den gesetzlich gewährleisteten Inhaltsschutz als unangemessene Benachteiligung im Sinne des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB anzusehen, wenn nicht gewährleistet ist, dass die Zuweisung eine mindestens gleichwertige Tätigkeit zum Gegenstand hat (BAG 09.05.2006, NZA 2007, 145; LAG Köln, 09.01.2007, LAGE § 307 BGB 2002 Nr. 10 a = NZA-RR 2007,343; Dörner/Luczak/Wildschütz, a. a. O., Seite 150).

48

Nicht maßgeblich sind die verhaltens-, personen- oder betriebsbedingten Gründe, aufgrund derer die Beklagte die Klägerin nicht mehr als Pflegedienstleiterin beschäftigen will. Denn diese kann die Beklagte allenfalls im Wege einer Änderungskündigung durchsetzen. Dass die Klägerin in der Vergangenheit bei Personalengpässen auch in der Pflege praktisch mitgearbeitet haben mag - der Sachvortrag der Beklagten ist insoweit, worauf die Klägerin zutreffend hingewiesen hat, nach Inhalt, Ort, Zeitpunkt und beteiligten Personen völlig unsubstantiiert - erfolgte allenfalls auf freiwilliger Basis und hat auf die rechtliche Beurteilung keinerlei Einfluss. Nichts anderes gilt für die Frage, wie die Klägerin während der Wiedereingliederungsmaßnahme - also gerade außerhalb des Arbeitsverhältnisses mit seinen entsprechenden Pflichten - eingesetzt worden ist.

49

Weil die Beklagte der Klägerin nach alledem die Zuweisung einer vertragsgemäßen Arbeit verweigert hat, hat die Klägerin wirksam von ihrem Zurückbehaltungsrecht nach Maßgabe der §§ 273 Abs. 1, 320 Abs. 1 Satz 1 BGB Gebrauch gemacht. Auf ihre Absicht, sich so zu verhalten, hat sie die Beklagte frühzeitig hingewiesen und ihr damit hinreichend Gelegenheit gegeben, ihre - unzutreffende - Rechtsauffassung zu überdenken. Auch hat die Klägerin gegenüber Beklagten ihre Bereitschaft deutlich gemacht, die Arbeit wieder aufzunehmen, sobald die Beklagte sie wieder vertragsgerecht beschäftigt. Das schließt die Annahme einer zur fristlosen Kündigung berechtigenden beharrlichen Arbeitsverweigerung aus.

50

Aus den gleichen Gründen ist auch mangels Kündigungsgrundes die ordentliche Kündigung der Beklagten unwirksam; bei dieser kommt hinzu, dass deren Nichtigkeit aus § 134 BGB folgt, weil die nach § 85 SGB IX erforderliche Zustimmung des Integrationsamtes fehlt.

51

Der Weiterbeschäftigungsanspruch der Klägerin folgt aus §§ 611, 613 BGB in Verbindung mit § 242 BGB, Artikel 1, 2 GG; die Weiterbeschäftigung hat nach Maßgabe eines Bruttoentgelts von 2.400,00 EUR zu erfolgen.

52

Die Abmahnung vom 22.07.2009 ist unwirksam und aus der Personalakte der Klägerin zu entfernen. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts in der angefochtenen Entscheidung (Seite 12 = Bl. 135 d. A.) zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.

53

Für die Zeit vom 20.07.2009 bis zum 31.03.2010 folgt der Anspruch der Klägerin auf Vergütungszahlung aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges, §§ 615, 293 ff. BGB. Auch insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts in der angefochtenen Entscheidung (= Seite 13, 14, Bl. 136, 137 d. A.) Bezug genommen; die Zinsansprüche folgen aus §§ 286, 288 BGB.

54

Die Ansprüche der Klägerin auf Erteilung von Abrechnungen für die Monate Juli und August 2009 folgen aus § 108 Abs. 1 GewO.

55

Das Berufungsvorbringen der Beklagten rechtfertigt keine abweichende Beurteilung des hier maßgeblichen Lebenssachverhalts. Im Berufungsbegründungsschriftsatz vom 23.08.2010 wird lediglich deutlich gemacht, dass die Beklagte - aus ihrer Sicht nachvollziehbar - die Auffassung des Arbeitsgerichts nicht teilt, dass sie nicht befugt gewesen ist, die Klägerin mit einer anderen Tätigkeit zu betrauen, als der der Pflegedienstleiterin. Da insoweit keinerlei neue, nach Inhalt, Ort, Zeitpunkt und beteiligten Personen substantiierte Tatsachenbehauptungen vorgetragen werden und die Kammer der Einschätzung des Arbeitsgerichts, wie dargelegt, ausdrücklich folgt, sind weitere Ausführungen nicht veranlasst.

56

Im Schriftsatz vom 05.10.2010 wird die Auffassung der Beklagten geäußert, dass die Klägerin erst ab Oktober 2009 wieder in der Lage gewesen sei, ihren Beruf voll auszuüben. Dieser Sachvortrag ist nach Inhalt, Ort, Zeitpunkt und beteiligten Personen völlig unsubstantiiert und damit einem substantiiertes Bestreiten der Klägerin nicht zugänglich. Der Arbeitnehmer, der nach einer Arbeitsunfähigkeit seine Arbeitsfähigkeit und -bereitschaft zu den vertraglich vereinbarten Bedingungen anbietet, muss regelmäßig nicht nachweisen, dass er zu den vertraglichen Bedingungen arbeitsfähig ist. Von daher hätte es weiterer tatsächlicher Anhaltspunkte bedurft, dies mit entsprechenden rechtlichen Folgen in Zweifel zu ziehen. Daran fehlt es vollständig.

57

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

58

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

59

Für eine Zulassung der Berufung war angesichts der gesetzlichen Kriterien des § 62 ArbGG keine Veranlassung gegeben.

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