Urteil vom Landgericht Frankenthal (Pfalz) (3. Zivilkammer) - 3 O 119/17, 4 U 153/17

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.285,39 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.09.2017 zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger über den Betrag aus Ziff. 1 hinausgehenden Schadensersatz für Schäden, die aus der Ausstattung des Fahrzeugs, FIN: WVGZZZ5NZDW11XXXX, mit der manipulierenden Motorsoftware resultieren, zu zahlen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 571,44 € freizustellen.

4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

5. Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 43 % und die Beklagte zu 57 % zu tragen.

6. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger kaufte bei der Beklagten im Frühjahr 2013 einen Pkw 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe, der in die Euro-5-Norm einzustufen sein sollte. Der Kaufpreis betrug insgesamt 32.853,86 € brutto. Auf die verbindliche Beklagtenbestellung vom 26.02.2013 nebst dazugehörigen Verkaufsbedingungen (Bl. 55 ff. d. A.) und auf die dem Kläger seitens der Beklagten gestellte Rechnung vom 20.05.2013 (Bl. 58 ff. d. A.) wird Bezug genommen.

2

Das von dem Kläger bei der Beklagten erworbene Fahrzeug verfügt über einen Dieselmotor des Typs EA 189. Es ist von dem sogenannten „Abgasskandal“ betroffen. Das Fahrzeug ist mit einer Software ausgestattet, die den Stickoxidausstoß im Prüfstand beeinflusst, sodass im Prüfstand ein geringerer als der tatsächlich im normalen Straßenverkehr vorhandene Stickoxidausstoß suggeriert wird. Nur im Prüfstand werden die geltenden Abgasnormen eingehalten. Die EG-Typengenehmigung für die Emissionsklasse EU 5 besteht derzeit für Fahrzeuge wie dasjenige des Klägers fort.

3

Für Fahrzeuge wie das von dem Kläger bei der Beklagten erworbene bietet die Beklagte das Aufspielen eines Software-Updates an, welches die Nichteinhaltung von geltenden Abgasnormen durch die von dem „Abgasskandal“ betroffenen Fahrzeuge beseitigen soll.

4

Der Kläger möchte das ihm von der Beklagten angebotene Software-Update für das von ihm bei der Beklagten erworbene Fahrzeug nicht auf das Fahrzeug aufspielen lassen. Er macht gegenüber der Beklagten eine Minderung des Kaufpreises betreffend das streitgegenständliche Fahrzeug sowie Schadensersatz geltend. Die Prozessbevollmächtigten des Klägers waren bereits vorgerichtlich für den Kläger tätig. Diesbezüglich wird auf das Schreiben des Klägervertreters vom 13.09.2016 (Bl. 61 f. d. A.) Bezug genommen.

5

Der Kläger trägt vor,
das von ihm bei der Beklagten erworbene Fahrzeug sei mangelhaft. Eine folgenlose Nachbesserung des Mangels, der seinem von dem „Abgasskandal“ betroffenen Fahrzeug anhafte, sei weder möglich noch ihm zumutbar. Selbst wenn ihm durch das Aufspielen des von der Beklagten angebotenen Software-Updates auf das streitgegenständliche Fahrzeug in technischer Hinsicht keine Nachteile entstünden, werde das Fahrzeug als von dem „Abgasskandal“ betroffenes Fahrzeug jedenfalls immer mit einem Makel behaftet sein, der zu einem merkantilen Minderwert führe. Insgesamt sei von einem Wertverlust der von dem „Abgasskandal“ betroffenen Fahrzeuge von 10 - 25 % auszugehen. Neben kaufvertraglichen Gewährleistungsansprüchen stünden ihm gegen die Beklagte auch Ansprüche aus §§ 823 Abs. 2 BGB und aus § 826 BGB zu. In jedem Fall hafte die Beklagte gegenüber dem Kläger aus § 831 BGB.

6

Ursprünglich hat der Kläger folgende Anträge angekündigt:

7

1. Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klägerpartei Schadensersatz zu bezahlen für Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs, FIN: WVGZZZ5NZDW11XXXX durch die Beklagtenpartei resultieren.

8

2. Es wird festgestellt, dass der Klägerpartei gegen die Beklagtenpartei ein Minderungsrecht aus dem mit der Beklagtenpartei geschlossenen Kaufvertrag über das im Klageantrag Ziffer 1. genannte Fahrzeug zusteht.

9

3. Die Beklagtenpartei wird verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten freizustellen.

10

Nunmehr beantragt der Kläger:

11

1. Die Beklagtenpartei wird verurteilt, der Klägerpartei einen Betrag bezüglich des Fahrzeugs, FIN: WVGZZZ5NZDW11XXXX, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch mindestens 8.213,47 € betragen muss, zu bezahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 % - Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.

12

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klägerpartei weiteren Schadensersatz, der über den Minderungsbetrag hinausgeht, zu bezahlen für Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs, FIN: WVGZZZ5NZDW11XXXX, durch die Beklagtenpartei resultieren.

13

3. Die Beklagtenpartei wird verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.256,24 € freizustellen.

14

Die Beklagte beantragt,

15

die Klage abzuweisen.

16

Die Beklagte trägt vor,
die Klage sei teilweise unzulässig und zudem unbegründet. Der Zustand des von dem Kläger bei ihr erworbenen Fahrzeugs bringe keine Nachteile für den Kläger mit sich und auch nach Aufspielen des von ihr angebotenen Software-Updates auf das Fahrzeug entstünden dem Kläger keine Nachteile. Für den Fall des Bestehens von Ansprüchen des Klägers gegen die Beklagte in Zusammenhang mit dem „Abgasskandal“ müsse der Kläger eine Nutzungsentschädigung für die Nutzung des streitgegenständlichen Fahrzeugs an die Beklagte zahlen.

17

Soweit der Kläger sich auf Mängel des streitgegenständlichen Fahrzeugs beruft, die nicht in Zusammenhang mit der in Fahrzeugen mit Motortyp EA 189 eingebauten Software, die den Stickoxidausstoß im Prüfstand beeinflusst, stehen, erhebt die Beklagte die Einrede der Verjährung.

18

Ergänzend wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

19

Die Klage ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

I.

1.

20

Soweit der Kläger im Rahmen der von ihm gegenüber der Beklagten geltend gemachten Minderung betreffend den von dem Kläger an die Beklagte für das streitgegenständliche Fahrzeug gezahlten Kaufpreis den konkreten Minderungsbetrag unter Angabe eines von ihm in diesem Zusammenhang erwarteten Mindestbetrags in das Ermessen des Gerichts stellt und den von ihm gestellten Antrag somit nicht konkret beziffert, führt dies nicht zur teilweisen Unzulässigkeit der vorliegenden Klage. Auf Zahlung gerichtete Klageanträge müssen wegen des in § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO geregelten Bestimmtheitserfordernisses grundsätzlich beziffert werden. Dies gilt jedoch nicht, wenn die Höhe des Anspruchs der richterlichen Schätzung unterliegt (BeckOK ZPO/Bacher, 26. Edition, ZPO § 253 Rn. 60), was vorliegend der Fall ist. Nach § 441 Abs. 3 S. 2 BGB ist die Minderung durch Schätzung zu ermitteln. Wenn ein unbezifferter Zahlungsantrag, wie vorliegend, zulässig ist, muss der Kläger sein Begehren dadurch konkretisieren, dass er die Größenordnung des geltend gemachten Betrags oder einen Mindestbetrag angibt (BeckOK ZPO/Bacher a.a.O. Rn. 62). Dies hat der Kläger vorliegend getan (8.213,47 €).

2.

21

Das für den Klageantrag zu 2. nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse des Klägers besteht. Es ist dem Kläger zum aktuellen Zeitpunkt nicht möglich, die ihm aufgrund der Tatsache, dass das von ihm bei der Beklagten erworbene Fahrzeug ein von dem „Abgasskandal“ betroffenes Fahrzeug ist, entstandenen und entstehenden Schäden abschließend zu beziffern. Das Schicksal der von dem „Abgasskandal“ betroffenen Fahrzeuge ist derzeit unklar, insbesondere steht die Aufrechterhaltung der derzeit noch für von dem „Abgasskandal“ betroffene Fahrzeuge bestehenden EG-Typengenehmigung nicht fest, denn die für die Erteilung der entsprechenden EG-Typengenehmigung erforderlichen Abgasnormen werden von dem bei der Beklagten erworbenen Fahrzeug des Klägers nur im Prüfstand und nicht im normalen Straßenverkehr eingehalten. Bei Wegfall der bestehenden EG-Typengenehmigung für das streitgegenständliche Fahrzeug drohen dem Kläger Schäden wie Mietwagen- und/oder Transportkosten.

II.

1.

22

Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von 3.285,39 € aus §§ 437 Nr. 2, 441 Abs. 4 BGB.

a)

23

Die Parteien haben einen Kaufvertrag über das streitgegenständliche Fahrzeug geschlossen, § 433 BGB.

b)

24

Das von dem Kläger bei der Beklagten gekaufte Fahrzeug war zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs (Übergabe des Fahrzeugs an den Kläger, § 446 S. 1 BGB) mangelhaft im Sinne des § 434 BGB.

aa)

25

Das Vorliegen eines Sachmangels des streitgegenständlichen Fahrzeugs ergibt sich aus § 434 Abs. 1 S. 1 BGB. Die Vereinbarung der Parteien dahingehend, der von dem Kläger bei der Beklagten gekaufte Auto solle in die Euro-5-Norm einzustufen sein, stellt eine zwischen den Parteien getroffene Beschaffenheitsvereinbarung dar, der das von dem Kläger bei der Beklagten erworbene Fahrzeug nicht entspricht. Nur im Prüfstand und nicht bei Betrieb des streitgegenständlichen Fahrzeugs im normalen Straßenverkehr hält das von dem Kläger bei der Beklagten erworbene Fahrzeug die für eine Einstufung des Fahrzeugs in die Euro-5-Norm erforderlichen Abgasnormen ein. Die Einhaltung der Abgasnormen nach der Euro-5-Norm durch das streitgegenständliche Fahrzeug haben die Parteien aber jedenfalls konkludent vereinbart, als sie sich darauf verständigt haben, dass das streitgegenständliche Fahrzeug in die Euro-5-Norm eingestuft werden können soll. Dass trotz der Nichteinhaltung der entsprechenden Grenzwerte im normalen Straßenverkehr durch das streitgegenständliche Fahrzeug eine Einstufung des Fahrzeugs in die Euro-5-Norm erfolgt ist, vermag nichts daran zu ändern, dass die zwischen den Parteien vereinbarten von dem streitgegenständlichen Fahrzeug einzuhaltenden Grenzwerte gerade nicht eingehalten werden.

bb)

26

Das streitgegenständliche Fahrzeug ist auch unter Zugrundelegung des in § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB normierten Mangelbegriffs mangelhaft. Der von dem Kläger bei der Beklagten gekaufte Auto eignet sich zwar für die gewöhnliche Verwendung, der Kläger kann ihn - jedenfalls aktuell - als Fortbewegungsmittel im Straßenverkehr nutzen, es fehlt bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug aber an einer Beschaffenheit, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann. Ein Durchschnittskäufer eines Neufahrzeugs kann davon ausgehen, dass die gesetzlich vorgegebenen Abgaswerte nicht nur deshalb eingehalten und entsprechend attestiert werden, weil eine Software installiert worden ist, die dafür sorgt, dass der Prüfstandlauf erkannt und über entsprechende Programmierung der Motorsteuerung der Stickoxidausstoß reduziert wird (vgl. auch LG Kempten BeckRS 2017, 106279).

c)

27

Der Kläger musste der Beklagten keine Frist zur Nacherfüllung setzen, um eine Minderung des Kaufpreises wirksam erklären zu können. Statt zurückzutreten, kann der Käufer den Kaufpreis durch Erklärung gegenüber dem Verkäufer mindern, § 441 Abs. 1 S. 1 BGB. Ist die Nacherfüllung unmöglich im Sinne von § 275 BGB, kann der Käufer nach § 326 Abs. 5 BGB von dem mit dem Verkäufer geschlossenen Kaufvertrag zurücktreten, ohne dass eine Fristsetzung zur Nacherfüllung erforderlich wäre. Dies ist vorliegend der Fall. Das Aufspielen des von der Beklagten dem Kläger für das von ihm bei ihr gekaufte Fahrzeug angebotene Software-Updates ist nicht geeignet, den dem streitgegenständlichen Fahrzeug anhaftenden Mangel vollständig zu beseitigen. Dabei ist es unerheblich, ob das Software-Update geeignet ist, in technischer Hinsicht den Mangel dahingehend zu beseitigen, dass das Fahrzeug nunmehr auch ohne Eingriff in die Motorsteuerung die Grenzwerte der Euro-5-Norm einhält ohne hierdurch technische Nachteile zu erleiden. Dem streitgegenständlichen Fahrzeug wird stets die Eigenschaft als ein Fahrzeug, das von dem „Abgasskandal“ betroffen war, anhaften. Das Aufspielen eines Software-Updates auf das Fahrzeug ändert hieran nichts (vgl. LG Kempten BeckRS 2017, 106279). Es herrscht eine aus zahlreichen Zeitungsartikeln und Fernsehberichten allgemein bekannte öffentliche Diskussion darüber, ob und welche Nachteile für von dem „Abgasskandal“ betroffene Fahrzeugkäufer bestehen und insbesondere auch darüber, ob die den betroffenen Kunden angebotenen Software-Updates überhaupt in irgendeiner Form Abhilfe schaffen können und wenn ja, ob mit dem Aufspielen der Software-Updates nicht möglicherweise andere/weitere Nachteile verbunden sind. Ob diese Fragen jemals letztgültig beantwortet werden können, ist zweifelhaft. Der Makel des mit großer Unsicherheit und Skepsis betrachteten von dem „Abgasskandal“ betroffenen Fahrzeugs bleibt.

d)

28

Die Frage einer etwaigen Unerheblichkeit des Mangels bleibt bei der Prüfung der Voraussetzungen der Minderung außer Betracht, §§ 441 Abs. 1 S. 2 BGB, 326 Abs. 5, 323 Abs. 5 S. 2 BGB.

e)

29

Der Kläger ist auch nicht allein oder weit überwiegend für die Umstände, die sein gegenüber der Beklagten bestehendes Minderungsrecht begründen, verantwortlich, §§ 441 Abs. 1 S. 1, 326 Abs. 5, 323 Abs. 6 BGB. Der Kläger konnte nicht ahnen, dass er von der Beklagten ein Fahrzeug erwirbt, dass die geltenden Abgasnormen nur im Prüfstand und nicht im normalen Straßenverkehr einhält. Er konnte auch das Ausmaß des „Abgasskandals“, von dem das von ihm bei der Beklagten erworbene Fahrzeug betroffen ist, nicht kennen. Ausweislich der Ausführungen unter Ziff. II. 1. c) musste und muss der Kläger sich auch nicht auf das Aufspielen des für das von ihm bei der Beklagten erworbene Fahrzeug von der Beklagten angebotene Software-Update einlassen.

f)

30

Der von dem Kläger an die Beklagte für das streitgegenständliche Fahrzeug gezahlte Kaufpreis in Höhe von 32.853,86 € ist zu mindern mit der Folge, dass der Kläger gegen die Beklagte nach § 441 Abs. 4 BGB einen Anspruch auf Zahlung von 3.285,39 € hat.

31

Das Gericht hat den dem Kläger zustehenden Minderungsbetrag mittels Schätzung ermittelt, § 441 Abs. 3 S. 2 BGB. Die Schätzung war erforderlich, weil die vollständige Aufklärung mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zur Bedeutung des streitigen Teils in keinem Verhältnis stehen, vgl. § 287 Abs. 2 ZPO. Wie sich der Presse entnehmen lässt, sind die zahlreichen zu der Problematik des „Abgasskandals“ befragten Experten sich nicht über die konkreten mit dem „Abgasskandal“ verbundenen Auswirkungen einig. Die für die Frage der zutreffenden Höhe der von dem Kläger gegenüber der Beklagten geltend gemachten Minderung relevante vollständige Aufklärung dahingehend, welcher wirkliche Wert dem von dem Kläger bei der Beklagten erworbenen Fahrzeug zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zwischen den Parteien beizumessen war (vgl. § 441 Abs. 3 S. 1 BGB), dürfte in Anbetracht der auch in Expertenkreisen vorzufindenden Ungewissheit betreffend die konkreten Folgen des „Abgasskandals“ kaum möglich sein. Auch ein Sachverständiger könnte den wahren Wert des von dem Kläger bei der Beklagten gekauften Fahrzeugs zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zwischen den Parteien allenfalls schätzen. Wie massiv die Auswirkungen des „Abgasskandals“ für den Wert der betroffenen Fahrzeuge wirklich sind, bleibt abzuwarten.

32

Auch bei der Schätzung des Minderungsbetrags nach § 441 Abs. 3 S. 2 BGB ist von der in § 441 Abs. 3 S. 1 BGB geregelten Proportionalmethode auszugehen (BeckOK BGB/Faust BGB, 43. Edition, BGB § 441 Rn. 13). Ausweislich der an den Kläger gerichteten Rechnung der Beklagten vom 20.05.2013 (Bl. 58 d. A.) war von einem Listenpreis des streitgegenständlichen Fahrzeugs zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Vertragsschlusses von 31.995,81 € netto und somit von 38.075,01 € brutto auszugehen. Letzterer Betrag dürfte dem Wert des streitgegenständlichen Fahrzeugs in mangelfreiem Zustand zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Vertragsschlusses entsprechen. Den wirklichen Wert des von dem Kläger bei der Beklagten erworbenen Fahrzeugs zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zwischen den Parteien setzt das Gericht mit 10 % weniger und somit mit 34.267,51 € an. Dies beruht darauf, dass das streitgegenständliche Fahrzeug zwar mit einem Makel dergestalt behaftet ist, dass es sich um ein von dem „Abgasskandal“ betroffenes Fahrzeug handelt, sodass potentielle Käufer des Fahrzeugs nicht bereit sein dürften, den für ein vergleichbares nicht von dem „Abgasskandal“ betroffenes Fahrzeug zu entrichtenden Kaufpreis für das Fahrzeug zu bezahlen, es jedoch auch so ist, dass das streitgegenständliche Fahrzeug jedenfalls derzeit uneingeschränkt als Fortbewegungsmittel im Straßenverkehr genutzt werden kann, weshalb ein wegen des Betroffenseins von dem „Abgasskandal“ bestehender Minderwert des streitgegenständlichen Fahrzeugs von mehr als 10 % nicht angenommen werden kann. Multipliziert man den geschätzten wirklichen Wert des streitgegenständlichen Fahrzeugs zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zwischen den Parteien (34.267,51 €) mit dem von dem Kläger an die Beklagte für das streitgegenständliche Fahrzeug gezahlten Kaufpreis (32.853,86 €) und teilt man das Ergebnis anschließend durch den geschätzten Wert des streitgegenständlichen Fahrzeugs in mangelfreiem Zustand zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses der Parteien (38.075,01 €), kommt man zu einem von dem Kläger an die Beklagte für das streitgegenständliche Fahrzeug zu entrichtenden geminderten Kaufpreis von 29.568,47 €, was zu einem von der Beklagten an den Kläger nach § 441 Abs. 4 S. 1 BGB zu erstattenden Betrag von 3.285,39 € führt.

2.

33

Die von dem Kläger mit dem von ihm gestellten Antrag zu 2. begehrte Feststellung ist, in ihrem Wortlaut zwecks im Wege der Auslegung erfolgender Präzisierung leicht abgeänderter Form, zu treffen.

34

Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs des Klägers gegen die Beklagte nach §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1 BGB liegen vor. Schadensersatz und Rücktritt und somit auch Schadensersatz und Minderung können nebeneinander geltend gemacht werden, §§ 441 Abs. 1 S. 1, 325 BGB. Wie bereits erörtert, ist die Nacherfüllung im Hinblick auf den streitgegenständlichen Mangel des von dem Kläger bei der Beklagten erworbenen Fahrzeugs unmöglich, was eine vertragliche Pflichtverletzung der Beklagten gegenüber dem Kläger darstellt. Das Vertretenmüssen der Beklagten wird nach § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermutet. Die Entstehung des „Abgasskandals“ und der damit verbundenen Folgen ist unzweifelhaft dem Verantwortungsbereich der Beklagten zuzurechnen. Vortrag, der die Vermutung des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB entkräften könnte, hat die Beklagte nicht gehalten. Ob und welche Schäden dem Kläger aufgrund des Betroffenseins des von ihm bei der Beklagten erworbenen Fahrzeugs von dem „VW Abgasskandal“ noch entstehen werden, ist zum jetzigen Zeitpunkt unklar und wird diskutiert. Wie bereits erörtert (I.2.), kommt das Entstehen (weiterer) Schäden für den Kläger wegen des Betroffenseins des von ihm bei der Beklagten erworbenen Fahrzeugs von dem „Abgasskandal“ durchaus in Betracht. Die Formulierung des Tenors zu 2. ist so gewählt, dass die Kombination von Minderung und Schadensersatz nicht zu einer Doppelkompensation hinsichtlich derselben Vermögenseinbuße führt (BeckOK BGB/Faust, 43. Edition, BGB § 437 Rn. 173).

3.

35

Da das streitgegenständliche Fahrzeug nach dem Begehren des Klägers bei dem Kläger verbleiben soll, ist nicht ersichtlich, weshalb der Kläger gegenüber der Beklagten zum Nutzungsersatz verpflichtet sein sollte. Mit der Verweisung in § 441 Abs. 4 S. 2 BGB auf § 346 Abs. 1 BGB ist gemeint, dass der Verkäufer auch Nutzungen aus dem überzahlten Betrag zurückzugeben hat. Aus § 347 S. 1 BGB folgt, dass dies auch für entgegen den Regeln einer ordnungsgemäßen Wirtschaft nicht gezogene Nutzungen gilt (MüKoBGB/Westermann, 7. Auflage, BGB § 441 Rn. 18). Eine Verpflichtung des Käufers ergibt sich aus der Verweisung in § 441 Abs. 4 S. 2 BGB nicht. Da es bei der von dem Kläger mit seinem Antrag zu 2. erfolgreich gegenüber der Beklagten geltend gemachten Feststellung in Anbetracht der Tatsache, dass der Kläger das von ihm bei der Beklagten erworbene Fahrzeug behalten möchte, nur um Schadensersatz neben der Leistung und nicht um Schadensersatz statt der Leistung geht, kann sich auch aus §§ 437 Nr. 3, 280 Abs. 1, 3, 283 S. 2, 281 Abs. 5, 346 ff. BGB keine Pflicht des Klägers gegenüber der Beklagten zum Nutzungsersatz ergeben.

4.

36

Die Frage nach in Zusammenhang mit dem „Abgasskandal“ stehenden deliktischen Ansprüchen des Klägers gegen die Beklagte kann nach den vorstehenden Erwägungen dahinstehen. Auch auf die Frage, ob Verjährung hinsichtlich etwaiger außerhalb des „Abgasskandals“ stehender Sachverhalte, auf die der Kläger die von ihm gegen die Beklagte geltend gemachten Ansprüche stützt, eingetreten ist, kommt es nicht an. Abgesehen davon, dass das gesamte Vorbringen des Klägers mit dem „Abgasskandal“ in Zusammenhang steht, hat der Kläger letztlich Erfolg mit dem Stützen seiner Ansprüche auf die Problematik des „Abgasskandals“.

5.

37

Der in dem Tenor zu 1. ausgeurteilte Zinsanspruch des Klägers resultiert aus §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB.

6.

38

Aus § 280 Abs. 1 BGB resultiert ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 571,44 €.

39

Wie bereits erörtert, hat die Beklagte in Zusammenhang mit dem „Abgasskandal“ schuldhaft vertragliche Pflichten gegenüber dem Kläger verletzt. Dies hat zur Beauftragung eines bereits vorgerichtlich tätig gewordenen Rechtsanwalts durch den Kläger geführt. Die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts durch den Kläger wegen des Betroffenseins des von ihm bei der Beklagten erworbenen Fahrzeugs von dem „Abgasskandal“ war erforderlich und zweckmäßig. Es handelt sich bei der Frage nach den Rechten der Käufer von dem „Abgasskandal“ betroffenen Fahrzeugen um eine für einen juristischen Laien äußerst komplexe Fragestellung, die in der Öffentlichkeit unterschiedlich diskutiert wird und für die betroffenen Käufer kaum zu durchschauen ist.

40

Die Höhe der von dem Kläger gegenüber der Beklagten geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten erschließt sich nicht. Ausweislich seiner eigenen Angaben ging der Kläger bei Klageerhebung von einem Streitwert von 6.000,00 € (Bl. 2. d. A.) und geht nun nach Änderung seiner Anträge ausweislich seines Schriftsatzes vom 11.09.2017 (Bl. 793 d. A.) von einem Streitwert von insgesamt 13.213,46 € aus. Wieso der Kläger der Berechnung der von ihm gegen die Beklagte geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten einen Gegenstandswert von 32.853,85 € zugrunde legt, ist unklar. Das von der Klägerseite vorgelegte an die Beklagte vorgerichtlich gerichtete Schreiben des Klägervertreters vom 13.09.2016 (Bl. 61 f. d. A.) entspricht seinem Inhalt nach dem, was der Kläger mit der von ihm gegen die Beklagte erhobenen Klage in ihrer ursprünglichen Form begehrt hat. Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten kann der Kläger gegenüber der Beklagten somit aus einem Gegenstandswert von 6.000,00 € geltend machen und auch nur in Höhe einer 1,3-fachen Gebühr, denn bei dem an die Beklagte gerichteten Schreiben des Klägervertreters vom 13.09.2016 handelt es sich um ein einfaches Standardschreiben, das der Klägervertreter vielfach in Fällen wie dem vorliegenden benutzt. Es ergeben sich von der Beklagten dem Kläger zu ersetzende vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 571,44 € (1,3-fache Gebühr aus Gegenstandswert 6.000,00 € + 20,00 € Auslagenpauschale + Mwst).

III.

41

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO.

42

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 709 S. 1, 2, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

43

Beschluss

44

Der Streitwert wird auf 13.213,46 € festgesetzt.

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