Beschluss vom Hanseatisches Oberlandesgericht (2. Strafsenat) - 2 Rev 83/16

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Kleine Strafkammer 5, vom 26. April 2016 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Kleine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

I.

1

Mit Urteil vom 23. September 2015 hat das Amtsgericht Hamburg-Harburg den Angeklagten wegen Wohnungseinbruchdiebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt.

2

Gegen dieses Urteil haben die Staatsanwaltschaft am 24. September 2015 und der Angeklagte am 30. September 2015 Berufung eingelegt. Nachdem das schriftliche Urteil auf Anordnung des Vorsitzenden am 22. Oktober 2015 an die Staatsanwaltschaft zugestellt worden ist, hat diese mit am 30. Oktober 2015 eingegangener Berufungsrechtfertigung ihre Berufung „auf den Straffolgenausspruch“ beschränkt.

3

In der Hauptverhandlung am 26. April 2016, in der auch der Angeklagte seine Berufung auf die Überprüfung des Strafmaßes beschränkt hat, hat das Landgericht Hamburg, Kleine Strafkammer 5, das Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Harburg vom 23. September 2015 im Rechtsfolgenausspruch dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten verurteilt wird. Zugleich hat es die Berufung des Angeklagten verworfen.

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Gegen das landgerichtliche Urteil vom 26. April 2016 hat der Angeklagte am 3. Mai 2016 mit Schriftsatz seiner Verteidigerin Revision eingelegt. Nach Fertigstellung des Hauptverhandlungsprotokolls ist das schriftliche Urteil auf Anordnung der Kammervorsitzenden der Verteidigerin am 7. Juni 2016 zugestellt worden. Am 6. Juli 2016 hat der Angeklagte beantragt, das Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer zurückzuverweisen.

5

Die Generalstaatsanwaltschaft hat darauf angetragen, die Revision des Angeklagten gemäß § 349 Abs. 2 StPO kostenpflichtig zu verwerfen.

II.

6

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision (§§ 333, 341, 344, 345 StPO) hat - vorläufigen - Erfolg. Das wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Urteil des Landgerichts hält der durch die allgemeine Sachrüge des Angeklagten veranlassten revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.

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1. Zu Recht hat das Landgericht keinen Schuldspruch und keine zugehörigen Feststellungen getroffen. Die Berufungsbeschränkungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten sind formell und materiell wirksam (§ 318 StPO).

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a) In formeller Hinsicht liegen sowohl von Seiten des Angeklagten als auch von Seiten der Staatsanwaltschaft Erklärungen vor, aus denen sich der Beschränkungswille eindeutig ergibt.

9

b) Die Berufungsbeschränkungen von Staatsanwaltschaft und Angeklagtem auf den Rechtsfolgenausspruch sind materiell wirksam.

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aa) Sachlich-rechtlich sind Berufungsbeschränkungen nach der so genannten Trennbarkeitsformel insoweit wirksam, als sie einem Rechtsmittelgericht die Möglichkeit eröffnen, den angefochtenen Teil des Urteils losgelöst vom nicht angegriffenen Teil der Entscheidung nach dem inneren Zusammenhang rechtlich und gegebenenfalls tatsächlich zu beurteilen, ohne eine Prüfung des übrigen Urteilsinhalts notwendig zu machen (vgl. zum Ganzen Senat in NStZ-RR 2006, 18, 19 m.w.N.).

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(1) Unwirksam ist eine Beschränkung insbesondere, wenn die Feststellungen zur Tat, und sei es auch nur zur inneren Tatseite, so knapp, unvollständig, unklar oder widersprüchlich sind, dass sie keine hinreichende Grundlage für die Prüfung der Rechtsfolgeentscheidung bilden (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 318 Rn. 16 m.w.N.). Diesen Anforderungen genügen die an verschiedenen Stellen im amtsgerichtlichen Urteil eingestreuten, knappen, aber insbesondere den Tatort, die Tatzeit und die Modalitäten der arbeitsteilig verwirklichten Tat sowie den Vorsatz und die erhebliche Betäubungsmittelintoxikation des Angeklagten zur Tatzeit mit bis zu 7 Gramm Heroin kennzeichnenden Angaben.

12

(2) Die Beschränkung der Berufung scheitert auch nicht an einer rechtsfehlerhaften Erörterung der Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten als Voraussetzung der Strafbarkeit. Nach der Trennbarkeitsformel steht der materiellen Wirksamkeit einer Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch zwar grundsätzlich nicht entgegen, wenn der Schuldspruch fehlerhaft ist, insbesondere die festgestellten Tatsachen nicht die rechtliche Würdigung tragen (Senat, a.a.O.; OLG Koblenz in NStZ-RR 2008, 120; Meyer-Goßner, a.a.O., § 318 Rn. 17 m.w.N.; vgl. BGH in NStZ 1996, 352, 353 betr. entsprechende Revisionsbeschränkungen). Zur Unwirksamkeit der Beschränkung führt es jedoch, wenn auf der Grundlage der Feststellungen überhaupt keine wie auch immer geartete Strafbarkeit bestünde (BGH, a.a.O.; OLG Koblenz, a.a.O.; Meyer-Goßner, a.a.O.).

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An einer Strafbarkeit fehlt es auch, wenn Schuldunfähigkeit gegeben ist (Senat, Beschluss vom 8. Februar 2016, Az.: 2 Rev 62/15 m.w.N.). Die Entscheidung, ob ein Angeklagter schuldunfähig - § 20 StGB; Schuldspruchrelevanz - oder nur erheblich vermindert schuldfähig - § 21 StGB; Relevanz nur für den Rechtsfolgenausspruch - ist, ist danach grundsätzlich trennbar, jedoch kann im Einzelfall die Grenze undeutlich bzw. zweifelhaft sein. Auch bei einer auf das Strafmaß beschränkten Berufung hat das Berufungsgericht in eigener Verantwortung über die Frage einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten zu befinden, da dies - im Unterschied zur Frage der Schuldfähigkeit überhaupt - zur Straffrage und nicht zur Schuldfrage zu rechnen ist (KG Berlin, Beschluss vom 8. März 2013 - (4) 161 Ss 21/13 (28/13) - zitiert nach juris). Sollte sich dabei aufgrund ergänzender Feststellungen zur Schuldfähigkeit im Berufungsverfahren herausstellen, dass die vom Amtsgericht insoweit getroffenen Feststellungen unzutreffend waren und die Schuldfähigkeit auf Grundlage dieser neuen Erkenntnisse verneint werden müsste, wäre das Berufungsgericht nicht aufgrund des Erfordernisses der Widerspruchsfreiheit zu den bestandskräftigen Feststellungen des Amtsgerichts an einer Korrektur gehindert (KG Berlin, a.a.O.). Die abweichenden Tatsachenfeststellungen würden vielmehr zu einer - nach Abschluss der Beweisaufnahme zu beurteilenden - Unwirksamkeit der Berufungsbeschränkung und einer Durchbrechung der bis dahin angenommenen Teilrechtskraft führen (Senat a.a.O., KG Berlin, a.a.O.; vgl. auch OLG Zweibrücken, MDR 1986, 75; OLG Düsseldorf, in MDR 1984, 164f.; OLG Köln, NStZ 1984, 379).

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Nach diesen Maßstäben ist von einer wirksamen Beschränkung der Berufungen von Staatsanwaltschaft und Angeklagtem auszugehen. Im Hinblick auf die Feststellungen des Amtsgerichts zum Zustand des Angeklagten, der zum Zeitpunkt der mit der Anklage vorgeworfenen Tat täglich 5 bis 7 Gramm Heroin durch die Nase konsumiert und bei dem zum Zeitpunkt der Tat eine „erhebliche Intoxikation“ von [gemeint: „mit“] Betäubungsmitteln vorgelegen hat, könnte zwar ein Fall einer problematischen Grenzziehung zwischen einer zur Tatzeit möglicherweise gegebenen Schuldunfähigkeit und erheblicher Einschränkung der Schuldfähigkeit vorliegen. Allerdings ist das Amtsgericht unter Berücksichtigung des von dem Angeklagten geschilderten zielgerichteten und geplanten Vorgehens bei der Tatbegehung - psychosoziale Leistungsmerkmale, die auf eine grundsätzlich erhalten gebliebenes Funktionsniveau des Angeklagten hindeuten - zu dem Ergebnis gelangt, dass weder ein vollständiger Ausschluss noch eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit vorlag. Angesichts dieser Tatsache bestand für das Landgericht kein Anlass, als Berufungsgericht die erklärten Berufungsbeschränkungen auf den Rechtsfolgenausspruch als unwirksam und deshalb unbeachtlich zu behandeln.

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2. Das danach zutreffend auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Urteil des Landgerichts Hamburg vom 26. April 2016 hält der durch die allgemeine Sachrüge veranlassten revisionsrechtlichen Nachprüfung indes nicht stand. Die Ausführungen des Landgerichts in dem angefochtenen Urteil begegnen schon zur Strafrahmenwahl in mehrfacher Hinsicht durchgreifenden Bedenken.

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a) Soweit das Landgericht ausgehend von dem auf § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB beruhenden Schuldspruch das Vorliegen eines minder schweren Falles i. S. d. § 244 Abs. 3 StGB geprüft und verneint hat, hat es bei der insoweit vorzunehmenden Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände rechtsfehlerhaft lediglich einen generellen Drogenkonsum des Angeklagten angenommen, obwohl das Amtsgericht bestandskräftig festgestellt hatte, dass der Angeklagte heroinabhängig war, zur Tatzeit bis zu 7 Gramm Heroin täglich durch die Nase konsumierte und „erheblich“ mit Betäubungsmitteln intoxikiert war. Gleichwohl hat die Kammer ausgeführt, sie habe „sichere Feststellungen einer bestehenden Drogenabhängigkeit“ nicht treffen, sondern nur einen „vergangenen Betäubungsmittelkonsum“ feststellen können. Zur Begründung führt das Landgericht an, der Angeklagte habe einen Drogenkonsum für die Tatzeit in Abrede gestellt und sich insoweit weder gegenüber dem Sachverständigen noch in der Berufungshauptverhandlung geäußert. Die Äußerungen der Mitangeklagten B. habe die Kammer mangels Bestätigung des Angeklagten oder weiterer konkreter Anhaltspunkte nicht hinsichtlich seiner Person feststellen können.

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aa) Tatsächlich enthalten bereits die im angefochtenen Urteil dargelegten Vorstrafen eine Vielzahl von Hinweisen auf eine verfestigte Betäubungsmittelabhängigkeit des Angeklagten. Zuletzt hatte das Amtsgericht Hamburg-St. Georg den Angeklagten am 16. November 2010 wegen unerlaubten Besitzes von und unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer 7-monatige Freiheitsstrafe verurteilt und dabei festgestellt, dass dieser bei Begehung der Tat am 30. Juni 2010 „stark drogenabhängig“ gewesen sei, 1-2 Gramm Heroingemenge täglich konsumiert und häufig unter Entzugserscheinungen gelitten habe, die er als sehr unangenehm empfunden habe. Diese Feststellungen stehen im Widerspruch zu den Ausführungen des Landgerichts, es hätten zwar Feststellungen dazu getätigt werden können, dass der Angeklagte in den Jahren 2006-2008 Therapieversuche unternommen hat, im Übrigen sei hinsichtlich seines weiteren Lebenslaufes in Bezug auf seinen Drogenmissbrauch „nur wenig bekannt geworden“.

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bb) Das Landgericht hat es überdies rechtsfehlerhaft unterlassen, die Einlassung der Mitangeklagten B. zu würdigen. Der pauschale Hinweis der Kammer, die Äußerungen der Mitangeklagten B. seien von dem Angeklagten nicht bestätigt worden, ist insoweit nicht ausreichend. Die Mitangeklagte B. hat in ihrer - vom Landgericht für glaubhaft gehaltenen - Einlassung erklärt, der Angeklagte und sie hätten zum Tatzeitpunkt keine Drogen mehr „auf Lager“ gehabt und auch kein Geld, um sich welche kaufen zu können. Sie - die Angeklagte - sei davon ausgegangen, dass alsbald die ersten Entzugserscheinungen bei ihr auftreten würden. Man habe sofort nach der Tat einige Gegenstände verkauft und sich davon Drogen gekauft. Diese Angaben hätte die Kammer im Zusammenhang mit dem Bestreiten des Angeklagten, zur Tatzeit unter Drogeneinfluss gestanden zu haben, würdigen müssen. Dies gilt, zumal der Angeklagte noch vor dem Amtsgericht erklärt hatte, zur Tatzeit täglich bis zu 7 Gramm Heroin zu sich genommen zu haben und er die Frage, warum er dies (nunmehr) bestreitet, nach den Ausführungen der Kammer nicht beantwortet hat.

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b) Ferner ist nicht erkennbar, wie die Kammer bei der Prüfung der Voraussetzungen des minder schweren Falles gemäß § 244 Abs. 3 StGB zu dem Ergebnis gekommen ist, dass sich die durch die Tatausführung (Hervorhebung des Senats) bestimmten Gesamtumstände als so nachteilig darstellen, dass kein Anlass bestand, vom Regelstrafrahmen abzuweichen. Weder lassen sich den Ausführungen zur Strafzumessung besondere tatbezogene Strafschärfungsgründe entnehmen, noch sind solche sonst aus dem Urteil ersichtlich. Nämliche Umstände der Tat haben demgemäß auch bei der von der Kammer vorgenommenen Gesamtabwägung aller für und gegen die Mitangeklagte sprechenden tat- und täterbezogenen Umstände keine Erwähnung gefunden.

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c) Schließlich genügt die pauschale Feststellung der Kammer, es sei nicht von einer erheblichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten auszugehen, da abgesehen von Therapieversuchen in den Jahren 2006 bis 2008 hinsichtlich seines weiteren Lebenslaufs in Bezug auf Drogenmissbrauch nur wenig bekannt geworden sei, nicht den Anforderungen an eine rechtsfehlerfreie Erörterung. Insoweit ist das Urteil überdies in der Binnendifferenzierung zwischen dem Angeklagten und Der Mitangeklagten B. widersprüchlich. Es wird nicht deutlich, warum sich die Kammer in Bezug auf die Mitangeklagte B. die sichere Überzeugung zu verschaffen vermochte, dass diese die Tat entweder aufgrund ihres bereits in eine Drogensucht übergegangenen Drogenkonsums, zumindest aber aus Angst vor bereits erlebten Entzugserscheinungen begangen hatte, so dass eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB nicht ausgeschlossen werden könne, dies aber beim Angeklagten trotz vergleichbarer Lebensumstände nicht der Fall sein sollte. Nach den Feststellungen der Kammer ist die Mitangeklagte B. ebenso wie der Angeklagte langjährig drogenabhängig.

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Zwar beruhen die Feststellungen zur Schuldfähigkeit der Mitangeklagten auch auf dem Ergebnis einer Exploration durch den forensisch-psychiatrischen Sachverständigen. Zu einer solchen Exploration hat sich der Angeklagte nicht bereit erklärt. Gleichwohl wurde auch er ausweislich des angefochtenen Urteils begutachtet. Zu welchem Ergebnis der Gutachter dabei kam, wird indes nicht dargelegt, so dass das Urteil auch insoweit an einem Erörterungsmangel leidet.

22

d) Auf diesen Erörterungsmängeln beruht die Entscheidung. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Vornahme der erforderlichen Prüfungen einen minder schweren Fall gemäß § 244 Abs. 3 StGB und/oder eine Milderung des anzuwendenden Strafrahmens gemäß §§ 20, 21, 49 Abs. 1 StGB vorgenommen und auf dieser Grundlage eine mildere Strafe verhängt hätte (Zum Gang der Prüfung, vgl. Schäfer, Praxis der Strafzumessung, Rn. 1124).

III.

23

Das aufgehobene Urteil veranlasst zu folgenden ergänzenden Hinweisen an das neue Tatgericht:

24

1. Das Landgericht hätte bei der Erörterung der Frage, ob ein minder schwerer Fall gemäß § 244 Abs. 3 StGB vorliegt, nicht zugunsten des - hierdurch allerdings nicht beschwerten - Revisionsführers berücksichtigen dürfen, dass dieser sich „nun wiederum in Untersuchungshaft“ befindet. Rechtmäßige Untersuchungshaft ist bei einem Angeklagten, der Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, in der Regel ohne strafmildernde Bedeutung, da sie nach § 51 StGB anzurechnen ist (BGH, StV 2014, 611; Stree/Kinzig, § 46, Rn. 55; MüKo StGB Miebach, § 46 Rn. 153; SK-StGB Horn/Wolters, § 46, Rn. 163; Fischer, § 46, Rn. 70). Eine Beschwer kann sich lediglich im Einzelfall aus besonders belastenden Umständen - starke psychische Belastungen, fehlende Sprachkenntnisse oder mangelnde persönliche Kontakte - ergeben, wenn sie eine über mit dem Vollzug der Untersuchungshaft üblicherweise verbundene Beschwernis deutlich hinausgehen (BGH, a.a.O.). Ungeachtet dessen kommt eine strafmildernde Berücksichtigung der derzeit gegen den Revisionsführer vollstreckten Untersuchungshaft aber bereits deshalb nicht in Betracht, weil diese nicht aus Anlass der Tat erlitten wurde, die Gegenstand dieses Verfahrens ist.

25

2. Die an mehreren Stellen im angefochtenen Urteil enthaltene Feststellung, der Angeklagte habe nach seiner Verurteilung durch das Amtsgericht eine weitere Straftat begangen, hätte nur nach weiteren Darlegungen als Strafschärfungsgrund gemäß § 46 StGB herangezogen werden dürfen.

26

a) Begeht ein Angeklagter nach der abgeurteilten Tat eine weitere Straftat, kann dieses Verhalten grundsätzlich auch für die zuvor begangene Tat strafschärfend verwertet werden (Stree/Kinzig, a.a.O., § 46, Rn. 39; Miebach, a.a.O., § 46 Rn. 113; Horn/Wolters, a.a.O., § 46, Rn. 158; SSW-StGB Eschelbach, § 46, Rn. 135). Dies gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Vielmehr setzt die strafschärfende Berücksichtigung neuer Straftatbegehung voraus, dass sie nach ihrer Art und nach der Persönlichkeit des Täters auf Rechtsfeindschaft, Gefährlichkeit und die Gefahr künftiger Rechtsbrüche schließen lassen; nur unter diesen Voraussetzungen kann eine weitere Straftatbegehung Hinweise auf den Unrechtsgehalt der früher begangenen Tat und die innere Einstellung des Täters zu ihr geben (BGH NStZ 1998, 404). Im Hinblick auf die Unschuldsvermutung gemäß Art 6 Abs. 2 EMRK können solche Taten überdies nur dann strafschärfend berücksichtigt werden, wenn sie prozessordnungsgemäß festgestellt werden (Eschelbach, a.a.O.). Darauf, ob die neue Straftat bereits (rechtskräftig) abgeurteilt ist, kommt es - wie für den Aussetzungswiderruf gemäß § 56f StGB - nicht notwendig an (Horn/Wolters, a.a.O.): Liegt kein rechtskräftiges Urteil hinsichtlich der neuen Tatbegehung vor, kann es ausreichend sein, wenn der Beschuldigte die Tatbegehung im Beisein eines Verteidigers glaubhaft vor einem Richter eingeräumt hatte und ein Widerruf nicht erfolgt ist (vgl. Senat, Beschluss vom 25. August 2016 - Az.: 2 Ws 109/16 - unter Verweis auf EGMR, Urteil vom 12. November 2015 - Az.: 2130/10 E/Deutschland, in NJW 2016, 3645).

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b) Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, vermag der Senat anhand der bisher getroffenen Feststellungen im angefochtenen Urteil indes nicht zu beurteilen. Unklar ist bereits, welchen Vorwurf die neue Tat zum Gegenstand hat. Dem Urteil lässt sich insoweit nur entnehmen, dass die Angeklagten am 25. November 2015 aufgrund eines an diesem Tag in anderer Sache ergangenen Haftbefehls „wegen weiterer Taten, insbesondere wegen des Vorwurfs weiterer Wohnungseinbruchdiebstähle in der Zeit von August 2015 bis 18. November 2015“ festgenommen wurden und der Angeklagte „eine Tat im November 2015“ vor dem Haftrichter gestanden habe. An anderer Stelle führt die Kammer aus, der Angeklagte habe „dazu keine weiteren Angaben machen“ wollen. Damit bleibt unklar, ob die vom Angeklagten eingeräumte Tat sich auf einen - gemessen an der vorliegend abzuurteilende Tat einschlägigen - Wohnungseinbruchdiebstahl bezieht. Strafzumessungsrelevante Schlüsse auf die innere Einstellung des Angeklagten zur hier verfahrensgegenständlichen Tat lassen sich damit belastbar nicht ziehen. Außerdem lässt sich dem angefochtenen Urteil nicht entnehmen, dass der Angeklagte die Tat möglicherweise vor dem Haftrichter eingeräumt hat, nicht aber unter welchen Umständen dies der Fall war, namentlich nicht, ob dieser bei Abgabe des Geständnisses anwaltlich vertreten war oder das Geständnis zwischenzeitlich widerrufen ist.

28

3. Schließlich weist der Senat darauf hin, dass die Ausführungen zur Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB nicht den ggf. an eine rechtsfehlerfreie Erörterung zu stellenden Anforderungen genügen würden.

29

Soweit die Kammer festgestellt hat, dass der Verdacht eines Hanges besteht und der Verdacht, dass die insbesondere auch gegen das Betäubungsmittelgesetz gerichteten Rechtsverstöße aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen wurden, dies aber - „im Einklang mit den Ausführungen des Sachverständigen“ nicht ausreiche, um insoweit sichere Feststellungen zu treffen, ist nicht erkennbar, auf welche Ausführungen das Gericht Bezug nimmt. Aussagen des Sachverständigen zur Frage der Drogenabhängigkeit des Angeklagten lassen sich dem Urteil nicht entnehmen. Auch insoweit wäre die Kammer ggf. gehalten gewesen, im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen eines Hanges gemäß § 64 Satz 1 StGB die Einlassung der Angeklagten zu würdigen.

30

Die von der Kammer getroffene Feststellung, der Sachverständige habe nachvollziehbar erklärt, dass „aufgrund des Verhaltens des Angeklagten und seines ausdrücklich geäußerten Willens, keine Therapie absolvieren zu wollen“, keine hinreichend konkrete Heilungsaussicht gemäß § 64 Satz 2 StGB bestehe, begründet ebenfalls einen Erörterungsmangel. Insoweit wäre darzulegen gewesen, auf welches Verhalten sich der Sachverständige - abgesehen von der pauschal geäußerten Ablehnung einer Therapie durch den Angeklagten - abgestellt hat. Eine zur Zeit der Verurteilung fehlende Therapiewilligkeit eines Betroffenen steht der Unterbringungsanordnung nicht stets entgegen, im Einzelfall kann zu prüfen sein kann, ob Aussichten bestehen, eine entsprechende Therapiebereitschaft zu wecken (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 263; Fischer § 64 Rn. 20 m.w.N.). Vor diesem Hintergrund wäre im Urteil ggf. zu erläutern gewesen, welche Schritte in dieser Hinsicht unternommen werden könnten. Dies gilt, zumal die letzten Therapiebemühungen 2008 stattfanden und damit fast 7 Jahre zurückliegen.

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