Urteil vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 13 U 1253/19

Tenor

I. Auf die Berufung der Klagepartei wird das Urteil des Landgerichts Freiburg im Breisgau (2 O 126/19) vom 18.10.2019 im Kostenpunkt aufgehoben und wie folgt abgeändert:

1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klagepartei Schadensersatz zu bezahlen für Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeuges VW Tiguan 2.0 TDI (Fahrzeugidentifikationsnummer: ...) mittels der vom Kraftfahrt-Bundesamt mit Bescheid vom 15.10.2015 als unzulässig beanstandeten Abschalteinrichtung resultieren.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die weitergehende Berufung der Klagepartei wird zurückgewiesen.

III. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

IV. Das Urteil und die angefochtene Entscheidung sind vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klagepartei abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund der Urteile jeweils vollstreckbaren Betrags, wenn nicht die Klagepartei Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

 
A.
Die Klagepartei begehrt die Feststellung der Haftung der Beklagten wegen eines von ihr hergestellten Fahrzeuges im Zusammenhang mit dem sog. Dieselabgasskandal.
Am 17.11.2014 erwarb die Klagepartei bei einer Autohändlerin einen neuen Pkw der Marke VW, Typ Tiguan Sport & Style 4Motion BM Techn. 2,0 l TDI 130 kw (177 PS) für 35.900,00 Euro brutto einschließlich Überführungskosten von 462,19 Euro und Zulassungsbescheinigung II von 6,67 Euro (netto) (Anlage K 1).
In den Fahrzeugen des streitigen Typs war - beginnend im Laufe des Jahres 2008 - eine Software zur Steuerung des Motors installiert, die erkennt, ob sich das Fahrzeug im Testlauf unter Laborbedingungen oder im normalen Straßenverkehr befindet. Während im Testlauf die Motorsteuerung dergestalt erfolgt, dass mittels einer Abgasrückführung die Abgase zusätzlich gereinigt werden und die Emissionsgrenzwerte entsprechend der genannten Verordnung eingehalten werden (Abgasrückführungsmodus 1), ist im Betriebsmodus des normalen Straßenverkehrs der Abgasrückführungsmodus 0 aktiv, in dem keine oder eine deutlich geringere Abgasrückführung stattfindet.
Im September 2015 räumte die Beklagte öffentlich die Verwendung einer entsprechenden Software ein. Unter dem 15. Oktober 2015 erging gegen sie ein bestandskräftiger Bescheid des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) mit nachträglichen Nebenbestimmungen zur Typgenehmigung. Das KBA ging vom Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung aus und gab der Beklagten auf, diese zu beseitigen und die Einhaltung der maßgeblichen Grenzwerte anderweitig zu gewährleisten. Die Beklagte hat den Haltern von betroffenen Fahrzeugen das Aufspielen eines Software-Updates angeboten, mit denen die Software entfernt werden sollte.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes sowie der erstinstanzlichen Feststellungen wird auf das angefochtene Urteil nebst Berichtigungsbeschluss vom 03.12.2019 (AS. I 387) Bezug genommen.
Die Klagepartei hat sich mit beim Bundesamt für Justiz eingegangener E-Mail vom 18.12.2018 in das Klageregister zur Musterfeststellungsklage des Oberlandesgerichts Braunschweig, 4 MK 1/18, angemeldet (Anlagen R 01, 02). Mit E-Mail vom 26.03.2019 haben die Prozessbevollmächtigten der Klagepartei die Anmeldung zum Klageregister zurückgenommen (Anlage R 03). Mit Schreiben vom 22.05.2019 hat das Bundesamt für Justiz die Anmeldedaten der Klagepartei korrigiert (Anlage R 04).
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, die Klagepartei habe nicht nachgewiesen, die vor Klageerhebung erfolgte Anmeldung zum Klageregister für Musterfeststellungsklagen gemäß Schreiben des Bundesamts für Justiz vom 22.05.2019 wirksam zurückgenommen zu haben. Die Klage sei daher unzulässig, § 610 Abs. 3 ZPO.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klagepartei, mit der sie die Feststellung der Haftung der Beklagten und die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten weiterverfolgt. Zur Begründung trägt sie vor, das Landgericht habe übersehen, dass sie am 03.06.2019 auch die Rücknahme der Anmeldung zu dem vom Bundesamt für Justiz korrigierten Geschäftszeichen erklärt und durch Vorlage entsprechender Kopien nachgewiesen habe (Anlage R 05, KB 1, KB 2). Bei zutreffender Prüfung hätte das Landgericht die Beklagte, auch hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten, verurteilt.
Die Klagepartei beantragt:
10 
Das Urteil des LG Freiburg im Breisgau vom 18.10.2019, 2 O 126/19, wird aufgehoben und der Rechtstreit an das LG Freiburg im Breisgau zurückverwiesen.
11 
Hilfsweise für den Fall, dass eine Zurückverweisung nicht in Betracht kommt, beantragen wir:
12 
Das Urteil des LG Freiburg im Breisgau vom 18.10.2019, 2 O 126/19, wird wie nachfolgend abgeändert.
13 
Hauptanträge:
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1. Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klagepartei Schadensersatz zu bezahlen für Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagtenpartei das Fahrzeug VW Tiguan 2.0 TDI (Fahrzeugidentifikationsnummer: ...) dahingehend beeinflusst hat, dass dieses hinsichtlich der Abgasstoffmenge im Prüfstandbetrieb einen geringeren Ausstoß aufweist als im regulären Betrieb im Straßenverkehr.
15 
hilfsweise:
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1. Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klagepartei Schadensersatz zu leisten für Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagtenpartei in den Motor, Typ EA 189, des Fahrzeugs VW Passat 2.0 TDI, FIN: ... eine unzulässige Abschalteinrichtung in der Form einer Software eingebaut hat, welche bei Erkennung standardisierter Prüfstandsituationen (NEFZ) die Abgasaufbereitung so optimiert, dass möglichst wenige Stickoxide (NOx) entstehen und Stickstoffemissionsmesswerte reduziert werden, und die im Normalbetrieb Teile der Abgaskontrollanlage außer Betrieb setzt, so dass es zu einem höheren NOx -Ausstoß führt.
17 
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.434,74 Euro freizustellen.
18 
Die Beklagte beantragt,
19 
die Berufung der Klagepartei zurückzuweisen.
20 
Die Parteien haben im Berufungsverfahren im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und vertieft. Wegen der Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteivertretern gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
B.
21 
Die zulässige Berufung der Klagepartei hat hinsichtlich der begehrten Feststellung in der Sache Erfolg. Die Klage ist zulässig (B.I). Der Antrag auf Feststellung der Haftung der Beklagten ist zulässig und begründet (B. II). Nicht begründet ist indes der Antrag auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (B. III).
B. I
22 
Die Klage ist zulässig.
23 
§ 610 Abs. 3 ZPO steht der klageweisen Geltendmachung der Ansprüche durch die Klagepartei nicht entgegen. Das Bundesamt für Justiz hat am 13.05.2020 öffentlich bekannt gemacht, dass das Musterfeststellungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Braunschweig, 4 MK 1/18, durch Klagerücknahme zwischenzeitlich beendet ist.
24 
Hinzu kommt, dass die Klagepartei durch Vorlage der Anlage R 05, KB 1, KB 2 nachgewiesen hat, am 03.06.2019 auch die Anmeldung gemäß den vom Bundesamt für Justiz korrigierten Anmeldedaten (Anlage R 04) zurückgenommen zu haben.
B. II
I.
25 
Die Feststellungsklage ist zulässig.
1.
26 
Der gestellte Feststellungsantrag genügt bei der gebotenen Auslegung den Bestimmtheitsanforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Zwar geht das zum Schadensersatz verpflichtende Ereignis - der Einbau der vom Kraftfahrt-Bundesamt mit Bescheid vom 15.10.2015 als unzulässig beanstandeten Abschalteinrichtung - aus dem Antrag nicht konkret hervor. Der Antrag ist jedoch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Klagepartei dahingehend auszulegen (vgl. Senat, Urteil vom 06. November 2019 – 13 U 12/19, juris Rn. 16; OLG Karlsruhe, Urteil vom 18.07.2019 - 17 U 160/18, juris Rn. 65).
2.
27 
Das erforderliche Feststellungsinteresse (§ 256 Abs. 1 ZPO) ist gegeben. Es ergibt sich aus dem berechtigten Interesse der Klagepartei, die Haftung der Beklagten, die ihre Einstandspflicht bestreitet, zum Zwecke der Verjährungshemmung wegen des gesamten Anspruchs feststellen zu lassen. Die Zulässigkeit der Feststellungsklage scheitert nicht an der Subsidiarität der Feststellungsklage. Zwar fehlt grundsätzlich das Feststellungsinteresse, wenn der Kläger dasselbe Ziel mit einer Klage auf Leistung erreichen kann (BGH, Urteil vom 19.04.2016 - VI ZR 506/14, juris Rn. 6). Die Klagepartei muss sich jedoch vorliegend nicht auf eine Leistungsklage verweisen lassen, weil die Schadensentwicklung noch nicht vollständig abgeschlossen ist (vgl. BGH, Urteil vom 30.03.1983 - VIII ZR 3/82, juris Rn. 27 mwN).
a)
28 
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Kläger grundsätzlich nicht gehalten, seine Klage in eine Leistungs- und in eine Feststellungsklage aufzuspalten, wenn bei Klageerhebung ein Teil des Schadens schon entstanden, die Entstehung weiteren Schadens aber noch zu erwarten ist. Denn es besteht keine allgemeine Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber der Leistungsklage. Vielmehr ist eine Feststellungsklage trotz der Möglichkeit, Leistungsklage zu erheben, zulässig, wenn die Durchführung des Feststellungsverfahrens unter dem Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit zu einer sinnvollen und sachgemäßen Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte führt. Dementsprechend kann der Kläger in vollem Umfang Feststellung der Ersatzpflicht verlangen, wenn die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen ist (vgl. nur BGH, Urteil vom 30.03.1983 - VIII ZR 3/82, juris Rn. 27 mwN; BGH, Urteil vom 19.04.2016 - VI ZR 506/14, juris Rn. 6 mwN).
29 
Dabei setzt die Zulässigkeit der Feststellungsklage zumindest eine hinreichende Wahrscheinlichkeit eines auf die Verletzungshandlung zurückzuführenden Schadenseintritts voraus, wenn nicht die Ersatzpflicht für künftige Schadensfolgen aus einer bereits eingetretenen Verletzung eines absoluten Rechtsguts, sondern für reine Vermögensschäden festgestellt werden soll (vgl. BGH, Beschluss vom 04.03.2015 - IV ZR 36/14, juris Rn. 15; BGH, Urteil vom 07.05.2019 - II ZR 278/16, juris Rn. 31). Die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts muss der Kläger nach allgemeinen Grundsätzen substantiiert dartun (vgl. BGH, Beschluss vom 04.03.2015 - IV ZR 36/14, juris Rn. 15; BGH, Urteil vom 07.05.2019 - II ZR 278/16, juris Rn. 30 ff.). Allerdings ist die Frage, ob der Kläger die Wahrscheinlichkeit künftiger Schäden hinreichend dargelegt hat, mit Rücksicht auf die drohende Verjährung großzügiger zu bewerten, wenn bereits eine erste Vermögensbuße eingetreten ist (vgl. BGH, Urteil vom 26.07.2018 - I ZR 274/16, juris Rn. 26).
b)
30 
Nach diesen Maßstäben ist die erhobene Feststellungsklage zulässig. Die Klagepartei hat die Wahrscheinlichkeit eines in der Fortentwicklung befindlichen Schadens substantiiert dargetan. Die Klagepartei macht geltend, dass sie bereits durch den Abschluss des Kaufvertrages über das streitgegenständliche Fahrzeug, in das eine nach Ansicht des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) unzulässige Abschalteinrichtung verbaut gewesen sei, einen Vermögensschaden erlitten hat. Unter Zugrundelegung dieses Vorbringens war im Zeitpunkt der Klageerhebung ein auf der schädigenden Handlung beruhender, künftig erwachsender Vermögensschaden wahrscheinlich. Denn im Zeitpunkt der Klageerhebung stand nach allgemeiner Lebenserfahrung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass die Klagepartei bis zum Vollzug der Rückabwicklung der Erhaltung oder Wiederherstellung des streitgegenständlichen Fahrzeugs dienende Aufwendungen tätigt (wie z. B. Aufwendungen für durchzuführende Inspektionen oder für erforderliche Reparaturen), die sie ohne die behauptete schädigende Handlung der Beklagten - mangels Erwerbs des Fahrzeugs - nicht getätigt hätte (OLG Karlsruhe, Urteil vom 18.07.2019 - 17 U 160/18, juris Rn. 79 f.; so auch OLG Koblenz, Urteil vom 16.09.2019 - 12 U 61/19, juris Rn. 94). Diese Aufwendungen könnte die Klagepartei nach § 249 Abs. 1 BGB grundsätzlich von der Beklagten ersetzt verlangen. Dies genügt für die Annahme eines Feststellungsinteresses (OLG Karlsruhe, Urteil vom 18.07.2019 - 17 U 160/18, juris Rn. 80), da nicht ausgeschlossen ist, dass der Klagepartei abzüglich im Rahmen des Vorteilsausgleichs zu berücksichtigender, ersparter Aufwendungen ein erstattungsfähiger Schaden verbliebe. Hinzu kommt, dass die Klagepartei nachteilige Auswirkungen durch das Software-Update behauptet, das zur Vermeidung zulassungsrechtlicher Nachteile aufzuspielen war. Von daher ist nach dem für das Feststellungsinteresse maßgeblichen Klägervorbringen (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 28.10.2014 - 22 U 175/13, juris Rn. 24) zu befürchten, dass der Klagepartei bis zum Vollzug der Rückabwicklung weitere, noch unbezifferbare „Folgeschäden“ entstehen (wie z.B. durch Kosten für den Austausch des Partikelfilters oder durch Mehraufwendungen wegen eines höheren Kraftstoffverbrauchs; vgl. Senat, Urteil vom 06.11.2019 – 13 U 12/19 juris Rn. 20).
31 
Auf die Frage, ob im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung sämtliche ersatzfähigen Vermögensschäden entstanden und bezifferbar sind, kommt es nicht an. Denn in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist seit langem anerkannt, dass eine ursprünglich zulässige Feststellungsklage nicht dadurch unzulässig wird, dass im Verlaufe des Rechtsstreits die Voraussetzungen für den Übergang zu einer Leistungsklage eintreten (vgl. nur BGH, Urteil vom 04.06.1996 - VI ZR 123/95, juris Rn.13 mwN; Urteil vom 04.11.1998 - VIII ZR 248/97, juris Rn. 15 mwN).
II.
32 
Die zulässige Feststellungsklage ist begründet.
33 
Ein Feststellungsantrag ist nach allgemeinen Grundsätzen begründet, wenn die sachlichen und rechtlichen Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruches vorliegen, also ein haftungsrechtlich relevanter Eingriff gegeben ist, der zu möglichen künftigen Schäden führen kann (BGH, Beschluss vom 09.01.2007 - VI ZR 133/06, juris Rn. 6). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
34 
Der Klagepartei steht gegen die Beklagte ein Schadensersatzanspruch aus § 826, § 31 BGB auf Ersatz sämtlicher Schäden zu, die der Klagepartei wegen des Einbaus der vom Kraftfahrt-Bundesamt mit Bescheid vom 15.10.2015 als unzulässig beanstandeten Abschalteinrichtung entstanden sind und noch entstehen werden.
1.
35 
Das Verhalten der Beklagten stellt sich als objektiv sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB dar.
36 
Wie dem auf Dieselverfahren spezialisierten Senat aus zahlreichen Verfahren bekannt ist, hat die Beklagte auf der Grundlage einer für ihren Konzern getroffenen grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorenentwicklung im eigenen Kosten- und damit auch Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des KBA systematisch, langjährig und in Bezug auf den Dieselmotor der Baureihe EA189 in siebenstelligen Stückzahlen in Deutschland Fahrzeuge selbst oder bestimmungsgemäß über zu ihrem Konzern gehörenden Unternehmen in Verkehr gebracht, deren Motorsteuerungssoftware bewusst und gewollt so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte mittels einer unzulässigen Abschalteinrichtung nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden. Damit ging einerseits eine erhöhte Belastung der Umwelt mit Stickoxiden und andererseits die Gefahr einher, dass bei einer Aufdeckung dieses Sachverhalts eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung hinsichtlich der betroffenen Fahrzeuge erfolgen könnte. Ein solches Verhalten ist im Verhältnis zu einer Person, die eines der bemakelten Fahrzeuge in Unkenntnis der illegalen Abschalteinrichtung erwirbt, besonders verwerflich und mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren. Dies gilt auch, wenn es sich um den Erwerb eines Gebrauchtfahrzeuges handelt. Die Sittenwidrigkeit ergibt sich aus einer Gesamtschau des festgestellten Verhaltens der Beklagten unter Berücksichtigung des verfolgten Ziels, der eingesetzten Mittel, der zutage getretenen Gesinnung und der eingetretenen Folgen. Unter Zugrundelegung dieser Umstände ist das Verhalten der Beklagten nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Senats als objektiv sittenwidrig zu qualifizieren. (vgl. hierzu im einzelnen BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19, juris Rn. 14 – 28 Senat, Urteile vom 06.11.2019 – 13 U 37/19, juris Rn. 21 – 27, 42 - 51; vom 06.11.2019 – 13 U 12/19, juris Rn. 26 – 32, 45 - 56; Hinweis-Beschluss vom 05.03.2019 – 13 U 142/18, juris Rn. 9 – 16, 29 - 41).
2.
37 
Die grundlegende strategische Entscheidung in Bezug auf die Entwicklung und Verwendung der unzulässigen Software ist von dem Vorstand oder einem verfassungsmäßig berufenen Vertreter, wenn nicht selbst, so zumindest mit seiner Kenntnis und Billigung getroffen bzw. jahrelang umgesetzt worden. Dieses Verhalten ist der Beklagten zuzurechnen (§ 31 BGB vgl. hierzu im einzelnen, BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, juris Rn. 29 - 43).
38 
Zwar hat insoweit grundsätzlich der Geschädigte die Darlegungs- und Beweislast für sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen der Haftungsnorm. Hier trifft die Beklagte allerdings eine sekundäre Darlegungslast (vgl. hierzu im einzelnen BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, juris Rn. 35 – 38).
a)
39 
Die für die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB darlegungs- und beweisbelastete Klagepartei (BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, juris Rn. 35) hat vorliegend hinreichende Anhaltspunkte für eine Kenntnis des Vorstands von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung vorgetragen.
40 
Sie hat unter anderem unter Bezugnahme auf Erkenntnisse aus Ermittlungsverfahren bei den Staatsanwaltschaften München und Braunschweig vorgetragen (AS. I 6, 130, 151, 200 - 211, 223 – 233, 248), im Jahre 2006 hätten mit Wissen und der Zustimmung ihrer Manager die Ingenieure der Beklagten eine von der A. entwickelte Akustikfunktions-Abschalteinrichtung für den Motor EA 189 übernommen, weil die einschlägigen Abgasnormen mit den bisher vorgesehenen Mitteln und Kosten nicht hätten eingehalten werden können. Im Laufe des Jahres 2008 hätten vor diesem Hintergrund hochrangige Ingenieure der Beklagten in Abstimmung mit Entwicklungsvorstand Dr. H. und dem ehemaligen Vorstandsvorsitzende Dr. W. beschlossen, die Manipulationssoftware in den Motor EA 189 einzubauen und die Fahrzeuge so in den Verkehr zu bringen. Dr. W. und Dr. H. hätten auf diese Weise das Ziel verfolgt, aus der Volkswagen AG den größten und mächtigsten Automobilhersteller der Welt zu machen. Zahlreiche von der Klagepartei benannte Führungskräfte, Manager und Ingenieure seien in den Betrug eingebunden gewesen (AS. I 229). Spätestens 2011 sei N. als damaliger Leiter der Aggregateentwicklung und Markenvorstand hierüber informiert worden, der den Einsatz der Software ebenfalls fortan gebilligt habe. Dr. W. habe nachfolgend die volle Verantwortung für die Manipulation der Motorsteuerung übernommen.
41 
Angesichts der Tragweite der Entscheidung über die riskante Gestaltung der Motorsteuerungssoftware, die für eine Diesel-Motorengeneration konzipiert war, welche flächendeckend konzernweit in vielen Millionen Fahrzeugen eingesetzt werden sollte, erscheint es mehr als fernliegend, dass die Entscheidung für eine greifbar rechtswidrige Software ohne Einbindung des Vorstands erfolgt und lediglich einem Verhaltensexzess untergeordneter Konstrukteure zuzuschreiben sein könnte (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 16.07.2018 - 27 U 10/18, juris Rn. 26; Heese, NJW 2019, S. 257 <260 re.Sp. 2. Abs.>). Es handelt sich der Sache nach um eine Strategieentscheidung mit außergewöhnlichen Risiken für den gesamten Konzern und auch massiven persönlichen Haftungsrisiken für die entscheidenden Personen, dem bei den untergeordneten Konstrukteuren kein in Anbetracht der arbeits- und strafrechtlichen Risiken annähernd adäquater wirtschaftlicher Vorteil gegenübersteht. Für eine Kenntnis eines verfassungsmäßig berufenen Vertreters (§ 31 BGB) spricht ferner der Umstand, dass - wie dem Senat aus einer Vielzahl von Verfahren bekannt ist - die Software durch einen Zulieferer programmiert und geliefert wurde. Insoweit ist in einem ordnungsgemäß geführten Unternehmen zu erwarten, dass die Anforderungen an die Software mit der Bestellung in Form einer Leistungsbeschreibung niedergelegt sind. Weil es sich bei der Motorsteuerung um ein Kernstück des Motors handelt, widerspricht es jeder Lebenswahrscheinlichkeit, dass insoweit die Führungsebene des Unternehmens nicht eingebunden wurde. Wer die Zustimmung zur Entwicklung und zum Einsatz einer Software in der Motorsteuerung für Millionen von Neufahrzeugen erteilt, muss eine wichtige Funktion in einem Unternehmen haben und mit erheblichen Kompetenzen ausgestattet sein. Soweit es sich dabei nicht um einen Vorstand handelt, liegen im Hinblick auf das Gewicht der Entscheidung erhebliche Anhaltspunkte dafür vor, dass es sich um einen Repräsentanten im Sinn der höchstrichterlichen Rechtsprechung handelt, weil er Entscheidungen trifft, die üblicherweise der Unternehmensführung vorbehalten sind (Senat, Urteil vom 06.11.2019 – 13 U 37/19, juris Rn. 65 – 69).
b)
42 
Wegen der besonderen Schwierigkeiten der Klagepartei, konkrete Tatsachen darzulegen, aus denen sich die Kenntnis eines bestimmten Vorstandsmitglieds ergibt, ist die Einlassung der Beklagten, nach dem derzeitigen Ermittlungsstand lägen keine Erkenntnisse dafür vor, dass eines ihrer Vorstandsmitglieder im Sinne des Aktienrechts an der Entwicklung der Software beteiligt gewesen sei oder die Entwicklung und Verwendung der Software in Auftrag gegeben oder davon gewusst habe, nicht ausreichend. Der Beklagten wäre es jedenfalls möglich und zumutbar gewesen, mitzuteilen, welche Ermittlungen sie mit welchem Ergebnis angestellt habe und über welche Erkenntnisse sie insoweit verfüge (vgl. im einzelnen BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, juris Rn. 39- 42; Senat, Urteil vom 06.11.2019 – 13 U 37/19, juris Rn. 72 – 73).
43 
Die Beklagte ist somit der sie treffenden sekundären Darlegungslast nicht hinreichend nachgekommen, weshalb die Behauptung der Klägerseite, die Installation der Abschalteinrichtung sei mit Wissen und Wollen eines oder mehrerer Mitglieder des Vorstandes oder Repräsentanten der Beklagten erfolgt, als zugestanden gilt, § 138 Abs. 3 ZPO.
c)
44 
Im Hinblick auf den mit dem Bestreiten der Beklagten stets verbundenen einschränkenden Hinweis, dass dieses auf den Erkenntnissen nach dem jeweiligen Stand der internen Ermittlungen beruhe, handelt es sich der Sache nach zudem um eine Erklärung mit Nichtwissen nach § 138 Abs. 4 ZPO. Selbst wenn man die hier der Beklagten obliegende sekundäre Darlegungslast ausblendete, stellte der bloße Hinweis, die Ermittlungen hätten keine Erkenntnisse geliefert, dass Vorstandsmitglieder an der Entwicklung der Manipulationssoftware beteiligt waren oder diese gebilligt hätten, kein hinreichendes Bestreiten dar. Denn nach § 138 Abs. 4 ZPO ist eine Erklärung mit Nichtwissen nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind. Bei einer juristischen Person kommt es insoweit auf ihre Organe an, nicht hingegen auf Kenntnisse früherer Organmitglieder (vgl. BGH, Urteil vom 10.10.1994 - II ZR 95/93, juris Rn. 22; Urteil vom 09.07.1987 - III ZR 229/85, juris Rn. 31). Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung trifft die Partei - welche mit Nichtwissen bestreiten will - die Pflicht, ihr mögliche Informationen von Personen einzuholen, die unter ihrer Anleitung, Aufsicht oder Verantwortung tätig geworden sind. Auch sonstige Informationen aus dem eigenen Unternehmensbereich, etwa aus archivierten Aktenbeständen, sind heranzuziehen (BGH, Urteil vom 10.10.1994 - II ZR 95/93, juris Rn. 21). Das Bestreiten mit Nichtwissen trotz Nachforschungspflicht ist nur dann zulässig, wenn sich für die Partei nach Einholen der Erkundigungen keine weiteren Erkenntnisse ergeben oder die Partei nicht beurteilen kann, welche von mehreren unterschiedlichen Darstellungen über den Geschehensablauf der Wahrheit entspricht. Erforderlich ist, dass die mit Nichtwissen bestreitende Partei das Ergebnis ihrer Erkundigungen in den Prozess einführt (vgl. BGH, Versäumnisurteil vom 22.04.2016 - V ZR 256/14, juris Rn. 20; Urteil vom 10.10.1994 - II ZR 95/93, juris Rn. 20 ff.), das heißt, wenn sie sich auf den Einwand berufen will, es lägen widersprechende Aussagen vor, diese auch wiedergibt (BGH, Urteil vom 15.11.1989 - VIII ZR 46/89, juris Rn. 16) oder, wenn sie sich auf die Vernichtung von Akten beruft, sich nicht pauschal auf den Ablauf gesetzlicher Aufbewahrungsfristen berufen kann, sondern die tatsächliche Vernichtung durch näheren Vortrag glaubhaft macht (BGH, Urteil vom 10.10.1994 - II ZR 95/93, juris Rn. 21).
45 
Wenn aber bereits für ein zulässiges Bestreiten mit Nichtwissen erhöhte Darlegungsanforderungen hinsichtlich der Erfolglosigkeit der Nachforschungen gestellt werden, gilt dies erst recht in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem die mit Nichtwissen bestreitende Beklagte überdies eine sekundäre Darlegungslast trifft.
d)
46 
Soweit sich die Beklagte damit verteidigt, die von der Klagepartei benannten oder als Verantwortliche in Betracht kommende Personen seien keine "Organe", hat sie keinen Erfolg. Abgesehen davon, dass letzteres für die Repräsentantenhaftung nach § 31 BGB (BGH, Urteil vom 05.03.1998 – III ZR 183/96, juris Rn. 18) nicht notwendig ist, käme eine Haftung der Beklagten für das Verhalten dieser Personen jedenfalls nach §§ 826, 831 BGB in Betracht. Danach haftet der Geschäftsherr für einen Verrichtungsgehilfen, wenn er sich bezüglich dessen Auswahl und Überwachung nicht entlasten kann. Für die Frage einer sittenwidrigen Schädigung durch diese Personen würde letztlich nichts grundsätzlich anderes gelten als für die vormaligen Leiter der Entwicklungsabteilung und den Vorstand.
47 
Selbst wenn man daher - entgegen der Auffassung des Senats – davon ausginge, dass die Voraussetzungen von § 31 BGB nicht erfüllt wären, stünde der Klägerseite gegen die Beklagte jedenfalls ein gleichartiger Schadensersatzanspruch aus § 831 Abs. 1 S. 1, § 826 BGB zu.
48 
Es steht jedenfalls fest, dass die Beklagte nach allen denkbaren Sachverhaltsalternativen entweder nach §§ 826, 31 BGB haftet oder nach §§ 831, 826 BGB: Die Entscheidung für den Einsatz der Software in den für die Serienproduktion vorgesehenen Motoren muss durch eine bei der Beklagten beschäftigte Person getroffen worden sein. Sollte dies auf Veranlassung oder zumindest mit Kenntnis und Billigung eines Vorstandsmitglieds oder eines Repräsentanten im Sinn des § 31 BGB erfolgt sein, wäre die Haftung der Beklagten nach § 826 BGB gegeben. Repräsentanten sind Angestellte, denen durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, so dass sie die juristische Person im Rechtsverkehr repräsentieren (BGH, Urteil vom 05.03.1998 - III ZR 183/96, juris Rn. 18). Mit der Haftung gemäß §§ 826, 31 BGB muss die Beklagte mithin für alle selbständigen Mitarbeiter einstehen. Sollte die Entscheidung hingegen auf Arbeitsebene ohne Einbeziehung der Unternehmensleitung getroffen worden sein, haftete die Beklagte für diese Mitarbeiter gemäß §§ 831, 826 BGB. Dass die Entscheidung für den serienmäßigen Einsatz der Software durch Personen, die keiner der beiden genannten Gruppen angehören, getroffen worden sein könnte, ist ausgeschlossen (vgl. OLG Oldenburg, Beschluss vom 05.12.2018 - 14 U 60/18, Rn. 34 f.). Wenn die allein in Betracht kommenden Sachverhaltsvarianten sämtlich geeignet sind, den geltend gemachten Anspruch zu tragen, ist es in einer solchen Situation prozessrechtlich zulässig, auf alternativer Tatsachenbasis zu entscheiden (vgl. BGH, Urteil vom 23.06.1987 - VI ZR 188/86, juris Rn. 12). So liegt der Fall hier (vgl. auch LG Stuttgart, Urteil vom 17.01.2019 - 23 O 178/18, juris Rn. 98 ff.). Unerheblich ist insoweit, dass die Klägerseite konkret zu § 831 BGB wenig vorgetragen hat, denn die Tatbestandsvoraussetzungen ergeben sich hier bereits aus den feststehenden tatsächlichen Umständen:
aa.
49 
Soweit eine Haftung nach §§ 826, 31 BGB ausscheidet, müsste ein unselbständiger, weisungsgebundener Arbeitnehmer die Entscheidung getroffen haben. Ein solcher wäre im Rahmen der ihm übertragenen Tätigkeit Verrichtungsgehilfe im Sinne des § 831 BGB (vgl. Sprau, in: Palandt, BGB, 79. Auflage 2020, § 831 Rn. 6).
bb.
50 
Auch der Umstand, dass es sich - im vorliegenden Fall eher fernliegend - um ein eigenmächtiges Verhalten des Arbeitnehmers handelte, hinderte die Haftung des Arbeitgebers nicht: Zwar muss der Schaden gerade „in Ausführung der Verrichtung“ erfolgen und nicht lediglich bei deren Gelegenheit. Dieses Tatbestandsmerkmal ist aber bereits dann erfüllt, wenn der Gehilfe innerhalb des von ihm übernommenen Pflichtenkreises handelt, das heißt, nach Art und Zweck der ihm vom Geschäftsherrn aufgetragenen Verrichtung ein unmittelbarer innerer Zusammenhang zwischen dieser und der schädigenden Handlung besteht. Selbst vorsätzliche unerlaubte Handlungen des Verrichtungsgehilfen stehen noch in unmittelbarem Zusammenhang mit den zugewiesenen Verrichtungen, wenn sie gerade die übertragene Hauptpflicht verletzen (vgl. BGH, Urteil vom 12.06.1997 - I ZR 36/95, juris Rn. 31; Sprau, in: Palandt, BGB, 79. Auflage 2020, § 831 Rn. 9). Selbst ein bewusstes Überschreiten des Auftrags oder der bewusste Missbrauch einer Vollmacht schließen die Haftung nicht aus, solange die Handlung noch objektiv in engem Zusammenhang mit den zugewiesenen Verrichtungen steht (BGH, Urteil vom 30.10.1967 - VII ZR 82/65, juris Rn. 19; Sprau, a.a.O.).
51 
Hier kommt hinsichtlich der Installation und Freigabe der Software ausschließlich das Handeln von Mitarbeitern in Betracht, die mit der Motorenentwicklung betraut waren. Diese haben aber auch bei Implementierung einer rechtswidrigen Funktion in der Motorsteuerungssoftware jedenfalls im Rahmen der ihnen gerade übertragenen Hauptpflicht gehandelt, nämlich der Motorenentwicklung.
cc.
52 
§ 831 BGB setzt weiterhin die widerrechtliche Zufügung eines Schadens voraus. Grundsätzlich genügt, dass der Verrichtungsgehilfe den objektiven Tatbestand einer unerlaubten Handlung rechtswidrig erfüllt hat. Auf ein Verschulden kommt es zwar grundsätzlich nicht an. Wenn aber der deliktische Tatbestand, auf den sich die Haftung nach § 831 BGB bezieht, besondere subjektive Elemente voraussetzt, müssen diese auch beim Verrichtungsgehilfen gegeben sein (vgl. Sprau, in: Palandt, BGB, 79. Auflage 2020, § 831 Rn. 8). Eine Haftung nach §§ 831, 826 BGB erfordert daher beim Verrichtungsgehilfen sowohl Schädigungsvorsatz als auch - hiervon getrennt festzustellen - die objektiven und subjektiven Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit (vgl. BGH, Urteil vom 15.10.2013 - VI ZR 124/12, juris Rn. 11; Urteil vom 23.03.2010 - VI ZR 57/09, juris Rn. 38).
53 
Die in Betracht kommenden Personen haben die Kunden jedenfalls vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt. Dies ergibt sich hier zwingend aus den feststehenden Tatsachen: Den unmittelbar mit der Motorentwicklung betrauten Mitarbeitern musste bereits aufgrund der Funktionsweise der Software klar sein, dass es sich um eine Umgehung der Emissionsvorschriften handelte und der Einsatz der Software mithin rechtswidrig war. Wenn man unterstellt, dass die Handelnden die Leitungsebene nicht eingebunden haben - sonst haftete die Beklagte nach §§ 826, 31 BGB -, obwohl es sich um eine wesentliche Entscheidung der Emissionsstrategie für die neue Motorengeneration handelte, für die regelmäßig nicht eine nachgeordnete Ebene die Verantwortung trägt, lässt dies nur den Schluss zu, dass ihnen die Problematik der Software bewusst war und sie deshalb die Verwendung verheimlichten.
54 
Die weiteren Abläufe von der Serienproduktion über die Typgenehmigung bis hin zum Verkauf sind offensichtlich, so dass die Handelnden mit der Entscheidung für die Verwendung der Abschalteinrichtung auch die Täuschung und Schädigung der späteren Erwerber und Folgeerwerber in ihren Vorsatz aufgenommen haben.
55 
Aus den Umständen ergibt sich auch die Sittenwidrigkeit des Handelns und die Kenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände. Hier kann bereits aus der bewussten Täuschung der Erwerber auf die Sittenwidrigkeit geschlossen werden (BGH, Urteil vom 28.06.2016 - VI 536/15, juris Rn.16). Auch die für die Beurteilung der Handlung als sittenwidrig maßgeblichen objektiven Umstände waren den Handelnden bekannt. Dass hier möglicherweise anders als auf der Führungsebene andere Motive als die Gewinnmaximierung für das Unternehmen leitend gewesen sein mögen, ändert nichts an der Gesamtbeurteilung des Verhaltens als besonders verwerflich. Die Täuschung rechtfertigende Motive sind insoweit nicht denkbar.
dd.
56 
Den nach § 831 Abs. 1 S. 2 BGB zulässigen Entlastungsbeweis hat die Beklagte nicht angetreten.
3.
57 
Der Klagepartei ist durch das sittenwidrige Verhalten der Beklagten ein Schaden entstanden, §§ 826, 249 Abs. 1 BGB.
a)
58 
Der Schaden der Klagepartei liegt in dem Abschluss des Kaufvertrags über das bemakelte Fahrzeug (vgl. im einzelnen hierzu BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, juris Rn. 44 – 48, 56 - 59).
b)
59 
Die Klagepartei ist durch das einer arglistigen Täuschung gleichstehende sittenwidrige Verhalten der Beklagten eine ungewollte Verpflichtung eingegangen.
60 
Die Klagepartei hat den ihr obliegenden Beweis erbracht, dass sie in Kenntnis der illegalen Abschalteinrichtung den Kaufvertrag nicht abgeschlossen hätte, § 286 ZPO.
aa.
61 
Für die Annahme des Kausalzusammenhangs zwischen Irrtum und Abgabe der Willenserklärung genügt es nach der höchstrichterlichen zivilgerichtlichen Rechtsprechung für den Fall der sittenwidrigen Vertragserschleichung, dass der Getäuschte Umstände dargetan hat, die für seinen Entschluss von Bedeutung sein konnten, und dass die arglistige Täuschung nach der Lebenserfahrung bei der Art des zu beurteilenden Rechtsgeschäfts Einfluss auf die Entschließung hat (vgl. BGH, Urteil vom 12.05.1995 - V ZR 34/94, juris Rn. 17).
62 
Es entspricht der Lebenserfahrung, dass Kraftfahrzeugkäufer – wie es die Klagepartei auch für sich behauptet - vom Kauf eines Fahrzeugs Abstand nehmen würden, wäre ihnen bekannt, dass das betreffende Fahrzeug zwar formal über eine EG-Typgenehmigung verfügt, aber wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung diese nicht hätte erhalten dürfen, weshalb Maßnahmen der die Typgenehmigung erteilenden Behörde und dem folgend der Zulassungsstelle bis hin zur Stilllegung drohen. Denn Zweck des Autokaufs ist grundsätzlich - abgesehen von hier nicht einschlägigen Sonderkonstellationen - der Erwerb zur Fortbewegung im öffentlichen Straßenverkehr (BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19, juris Rn. 51 – 55; Senat, Urteil vom 06.11.2019 – 13 U 37/19, juris Rn. 36; Urteil vom 06.11.2019 – 13 U 12/19 juris Rn. 41).
bb.
63 
Auch das Verhalten der Klagepartei nach Bekanntwerden der Dieselthematik deutet nicht auf eine fehlende Kausalität zwischen der Täuschungshandlung der Beklagten und dem Abschluss des Kaufvertrages hin. Daraus, dass die Klagepartei das Fahrzeug nach erfolgtem Einschreiten des Kraftfahrt-Bundesamtes schlicht weiter genutzt und - wie viele Käufer - erst im Jahr 2018 oder noch später Klage erhoben hat, lässt sich nicht darauf schließen, dass die Klagepartei dem Einbau der streitgegenständlichen Umschaltlogik und den damit drohenden zulassungsrechtlichen Nachteilen im maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses gleichgültig gegenübergestanden hätte. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Widerlegung der Kausalitätsvermutung im Falle der unterlassenen Aufklärung über Rückvergütungen (st. Rspr., BGH, Urteil vom 08.05.2012 - XI ZR 262/10, juris Rn. 50 ff.) ist auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Anders als dort steht hier nicht der Erwerb vergleichbarer Produkte in Rede, aus deren Behalten sich relevante Indizien für die fehlende Kausalität ergeben könnten.
64 
Gegen die Ursächlichkeit der Täuschung der Beklagten für den Abschluss des Kaufvertrages streitet auch nicht, dass die Klagepartei erst im Anschluss an die vermehrte Diskussion über Fahrverbote für Dieselfahrzeuge nach einer Möglichkeit gesucht hat, um den Kaufvertrag rückabzuwickeln. Aus einem derartigen Motiv für die Klageerhebung und möglichen weiteren Gründen, die gegen das Behalten des Fahrzeuges sprechen, lässt sich nach Überzeugung des Senats (§ 286 Abs. 1 ZPO) nicht ableiten, dass die Klagepartei an der streitgegenständlichen Umschaltlogik keinen Anstoß genommen hätte, wenn sie beim Abschluss des Kaufvertrages von deren Einbau in das Fahrzeug gewusst hätte. Vielmehr hält es der Senat für fernliegend, dass die Klagepartei das Fahrzeug in Kenntnis der Umschaltlogik und der damit verbundenen Ungewissheit gekauft hätte, obwohl das Fahrzeuges möglicherweise stillgelegt wird.
4.
65 
Ein Schädigungsvorsatz der für die Beklagte als verfassungsmäßig berufenen Vertreter (§ 31 BGB) handelnden Personen, die nach den getroffenen Feststellungen Kenntnis von der sittenwidrigen strategischen Unternehmensentscheidung hatten, liegt unter Zugrundelegung der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze (vgl. im einzelnen BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, juris Rn. 61 – 62 Senat, Urteil vom 06.11.2019 – 13 U 37/19, juris Rn. 53 - 58) vor.
66 
Für das Vorliegen des subjektiven Tatbestandes kommt es auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeuges gemäß dem vorgefassten Entschluss, die unzulässige Abschalteinrichtung serienmäßig einzusetzen, an.
67 
Nach dem mangels substantiierten Bestreitens der Beklagten zugrunde zu legenden Sachvortrag der Klagepartei (siehe oben) kannten die für die Beklagte handelnden Vorstände (§ 31 BGB) oder ihnen gleichzustellenden Repräsentanten die grundlegende und mit der bewussten Täuschung des KBA verbundene strategische Entscheidung in Bezug auf die Entwicklung und Verwendung der unzulässigen Software und setzten sie jahrelang um.
68 
Schon nach der Lebenserfahrung ist davon auszugehen, dass ihnen als für die zentrale Aufgabe der Entwicklung und des Inverkehrbringens der Fahrzeuge zuständigem Organ oder zuständigem und verfassungsmäßig berufenem Vertreter (§ 31 BGB) bewusst war, in Kenntnis des Risikos einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung der betroffenen Fahrzeuge werde niemand - ohne einen erheblichen, dies berücksichtigenden Abschlag vom Kaufpreis - ein damit belastetes Fahrzeug erwerben. Dass sie dabei darauf vertraut haben mögen, das sittenwidrige Handeln werde nicht aufgedeckt werden, schließt den Vorsatz nicht aus, weil der Schaden im ungewollten Vertragsschluss, nicht dagegen in einer etwaigen Betriebsuntersagung liegt (BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, juris Rn 63).
5.
69 
Die Beklagte hat gemäß §§ 826, 249 ff. BGB der Klagepartei sämtliche aus der sittenwidrigen Schädigung resultierenden Schäden zu ersetzen.
70 
Wenn wie hier der Geschädigte durch Täuschung eines Dritten zum Abschluss eines Vertrags veranlasst wurde, steht ihm im Rahmen der Naturalrestitution ein Anspruch auf Rückgängigmachung der Folgen dieses Vertrags zu, das heißt, Ausgleich der für den Vertrag getätigten Aufwendungen durch den Schädiger gegen Herausgabe des aus dem Vertrag Erlangten (vgl. im einzelnen, BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, juris Rn. 64 – 77; Senat, Urteil vom 06.11.2019 – 13 U 37/19, juris Rn. 110 – 118). Darüber hinaus steht der Klagepartei ein Anspruch auf Ersatz sämtlicher weitergehender Schäden zu, die ihr im Zusammenhang mit dem Abschluss des Kaufvertrags über das streitgegenständliche Fahrzeug (z. B. wegen erfolgter Aufwendungen für die Erhaltung oder Wiederherstellung des streitgegenständlichen Fahrzeugs) entstanden sind und bis zum Vollzug der Rückabwicklung des Kaufvertrages noch entstehen werden (Senat, Urteil vom 06. November 2019 – 13 U 12/19 –, juris Rn. 110).
6.
71 
Der mit Abschluss des Kaufvertrags über das streitgegenständliche Fahrzeug entstandene Schadensersatzanspruch ist auch nicht dadurch erloschen, dass die Klagepartei das von der Beklagten angebotene Software-Update zwischenzeitlich durchführen ließ.
72 
Selbst wenn das Update das Fahrzeug der Klagepartei in einen ordnungsgemäßen Zustand versetzt hat - was streitig ist -, wäre der Schadensersatzanspruch nur erloschen, wenn die Entgegennahme des Updates als Annahme an Erfüllungs statt gemäß § 364 Abs. 1 BGB auszulegen wäre. Etwaige verbleibende Zweifel gehen insoweit zu Lasten der beweisbelasteten Beklagten.
73 
Eine solche Auslegung scheitert hier schon daran, dass die Beklagte das Update nicht als Erfüllung eines Schadensersatzanspruchs der Klägerseite angeboten hat, sondern um der Auflage des Kraftfahrt-Bundesamts Genüge zu tun. Dies folgt bereits daraus, dass sie durchgehend jegliche Schadensersatzansprüche der Käufer, insbesondere auch der Klagepartei, bestritten und behauptet hat, das Fahrzeug sei auch mit der ursprünglichen Software mangelfrei (vgl. allerdings zur Annahme als vertragliche Nacherfüllung: OLG Köln, Beschluss vom 27.03.2018 - 18 U 134/17, juris Rn. 17). Auch lässt sich die Entgegennahme der Leistung durch die Klägerseite im vorliegenden Fall nicht als Annahme an Erfüllungs statt deuten. Angesichts des bekannten Bescheids des Kraftfahrt-Bundesamts liegt es vom maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont nahe, dass die Klagepartei das Update aufspielen ließ, um die Weiternutzung ihres Fahrzeugs nicht zu gefährden. Auch ist zu berücksichtigen, dass der Schadensersatzanspruch der Klägerseite auf eine gänzlich andere Leistung, nämlich die Rückgängigmachung der Kaufvertragsfolgen gerichtet ist. Mit der Entgegennahme einer behördlich angeordneten „Nachbesserungsmaßnahme“ wird ein objektiver Empfänger nicht davon ausgehen, die Klagepartei wolle auf die bestehenden weitergehenden Ansprüche verzichten, zumal die Beklagte das Aufspielen des Updates im Hinblick auf die Anordnung des Kraftfahrt-Bundesamts auch nicht von einer solchen Erklärung hätte abhängig machen können.
7.
74 
Die Beklagte, die für das Vorliegen der Voraussetzungen der Verjährung darlegungs- und beweispflichtig ist (Palandt/Ellenberger, 79. Aufl., Überbl. v. § 194 Rn. 24 m.w.N.), kann sich nicht mit Erfolg auf die Einrede der Verjährung nach § 214 Abs. 1 BGB berufen.
75 
Es genügt insoweit, dass die Einrede der Verjährung einmal erhoben wird. Einer ausdrücklichen Wiederholung der Einrede der Verjährung in der zweiten Instanz bedarf es nicht (BGH, Urteil vom 15. Dezember 1988 - IX ZR 33/88 -; OLG Stuttgart, Urteil vom 14. April 2020 – 10 U 466/19 –, Rn. 37, juris).
a)
76 
Für Schadensersatzansprüche nach §§ 826, 31 BGB und nach § 831 BGB in Verbindung mit § 826 BGB gilt die regelmäßige 3-jährige Verjährungsfrist nach § 195 BGB (vgl. BGH, Urteil vom 24.07.2012, II ZR 177/11, juris Rn. 14). Die Verjährungsfrist beginnt gem. § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Anspruchsteller Kenntnis der den Anspruch begründenden Umständen sowie der Person des Schuldners hat oder die Kenntnis infolge grober Fahrlässigkeit nicht hat.
b)
77 
Die erforderliche Kenntnis liegt im Allgemeinen vor, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form der Feststellungsklage, Erfolg versprechend, wenn auch nicht risikolos möglich ist. Weder ist es notwendig, dass der Geschädigte alle Einzelumstände kennt, die für die Beurteilung möglicherweise Bedeutung haben, noch muss er bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand haben, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können. Auch kommt es, abgesehen von Ausnahmefällen, nicht auf eine zutreffende rechtliche Würdigung an (BGH, Urteil vom 15. November 2011 – XI ZR 54/09, Juris Rn. 52).
78 
Grob fahrlässige Unkenntnis liegt vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis fehlt, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich grobem Maße verletzt und auch ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt oder das nicht beachtet hat, was jedem hätte einleuchten müssen (BGH, Urteil vom 15. November 2011 – XI ZR 54/09, Juris, Rn. 53). Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schwerwiegenden und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus (BGH, Urteil vom 15.03.2016 - XI ZR 122/14, Juris Rn. 34; BGH, Urteil vom 10.11.2009 - VI ZR 247/09, Juris Rn. 13). Dem Gläubiger muss persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung („Verschulden gegen sich selbst“) vorgeworfen werden können, weil sich ihm die den Anspruch begründenden Umstände förmlich aufgedrängt haben, er davor aber die Augen verschlossen hat.
79 
Nach gefestigter Rechtsprechung besteht für den Gläubiger keine generelle Obliegenheit, im Interesse des Schädigers an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist Initiative zur Klärung von Schadenshergang oder Person des Schädigers zu entfalten (BGH, Urteil vom 15.03.2016, aaO, Rn. 34; BGH, Urteil vom 10.11.2009, aaO, Rn. 15). Die Rechtslage entspricht der Regelung in § 932 Abs. 2 BGB, die ebenso wie § 199 Abs. 1 BGB an die grob fahrlässige Unkenntnis einer Partei anknüpft (BGH, Urteil vom 10.11.2009, aaO, Rn. 15). Das Unterlassen von Ermittlungen muss nach Lage des Falles als geradezu unverständlich erscheinen, um ein grob fahrlässiges Verschulden des Gläubigers bejahen zu können (BGH, Urteil vom 15.03.2016, aaO, Rn. 34). Für die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Gläubiger zur Vermeidung einer groben Fahrlässigkeit zu einer aktiven Ermittlung gehalten ist, kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an (BGH, Urteil vom 10.11.2009, aaO, Rn. 16). Das Unterlassen einer Nachfrage ist ebenso wie in den Fällen des § 932 Abs. 2 BGB auch nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB nur dann als grob fahrlässig einzustufen, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Unterlassen aus Sicht eines verständigen und auf seine Interessen bedachten Gläubigers als unverständlich erscheinen lassen (BGH, Urteil vom 10.11.2009, aaO, Rn. 16). Soweit die Beklagte geltend macht, es sei klar gewesen, dass alle EA 189 Dieselmotoren der Beklagten betroffen gewesen seien, hat die Beklagte weder nachgewiesen, dass dies der Klagepartei bekannt war noch dass die Klagepartei wusste, dass das streitgegenständliche Fahrzeug mit einem solchen Motor ausgestattet ist.
c)
80 
Dahingestellt bleiben kann vorliegend, ob die Klagepartei bereits im Jahr 2015 Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen hatte oder sie sich hierüber grob fahrlässig in Unkenntnis befunden hat. Selbst wenn die Verjährungsfrist im Jahre 2015 zu laufen begonnen hätte, ist der Ablauf der Verjährungsfrist jedenfalls durch die Anmeldung des Klägers zum Klageregister der Musterfeststellungsklage vor dem Oberlandesgericht Braunschweig, 4 MK 1/18, am 18.12.2018 (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 a BGB) sowie im Anschluss durch Klageerhebung (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB) gehemmt.
aa.
81 
Nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 lit. a BGB wird die Verjährung durch die Erhebung einer Musterfeststellungsklage für einen Anspruch, den ein Gläubiger zu dem zu der Klage geführten Klageregister wirksam angemeldet hat, gehemmt, wenn dem angemeldeten Anspruch derselbe Lebenssachverhalt zugrunde liegt wie den Feststellungszielen der Musterfeststellungsklage.
82 
Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
83 
Der Musterfeststellungsklage vor dem Oberlandesgericht Braunschweig, 4 MK 1/18, liegen dieselben Feststellungsziele wie der vorliegenden Klage, nämlich eine sittenwidrige Schädigung der Beklagten durch das Inverkehrbringen eines Fahrzeuges, das mit dem Motor EA 189 und einer vom Kraftfahrtbundesamt durch Bescheid vom 15.10.2015 beanstandeten, unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, zugrunde.
84 
Nach den Feststellungen des Landgerichts hat sich die Klagepartei am 18.12.2018 mit E-Mail an das Bundesamt für Justiz zum Klageregister zu der Musterfeststellungsklage angemeldet (Anlage R 01). Der Ablauf der Verjährungsfrist wurde damit gehemmt.
bb.
85 
Soweit die Klagepartei die Anmeldung zum Klageregister am 26.03.2019 zurückgenommen hat, endet nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 lit. a BGB die Hemmung erst sechs Monate nach der Rücknahme. Vorliegend hat die Klagepartei aber noch an demselben Tage bereits am Landgericht Freiburg Klage eingereicht, die der Beklagten auch demnächst, nämlich am 15.04.2019, zugestellt wurde. Hierdurch ist der Ablauf der Verjährung erneut nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB erneut gehemmt worden.
cc.
86 
Ohne Erfolg macht die Beklagte geltend, die Anmeldung zum Klageregister der Musterfeststellungsklage habe die Verjährung nicht hemmen können, da sich nach der erfolgten Rücknahme die Inanspruchnahme des Musterfeststellungsverfahrens als rechtsmissbräuchlich (§ 242 BGB) darstelle.
(1)
87 
Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit der Abmeldung vom Klageregister einer Musterfeststellungsklage und der Geltendmachung der Ansprüche der Klagepartei im Wege der Individualklage bis zu dem in § 608 Abs. 3 ZPO geregelten Zeitpunkt bewusst geschaffen und für diesen Fall eine nachlaufende Verjährungshemmung von sechsmonatiger Dauer vorgesehen (§ 204 Abs. 2 S. 1 BGB). Damit ist dem Verbraucher ausdrücklich die Möglichkeit eröffnet worden, seine Entscheidung, in welcher Weise Rechtsschutz gesucht wird, zu ändern und gleichwohl für einen gewissen Zeitraum von der durch die Anmeldung zum Klageregister bewirkten Verjährungshemmung nachlaufend zu profitieren.
88 
Wie der Bundesgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, enthalten die Vorschriften über die Verjährung eine formale Regelung, die im Interesse der Rechtssicherheit aufgestellt worden ist. Ihre Auslegung muss sich daher grundsätzlich eng an den Wortlaut des Gesetzes anlehnen (BGH, Urteil vom 06. Juli 1993 – VI ZR 306/92 juris Rn. 18 unter Hinweis auf BGHZ 48, 125, 134; 53, 43, 46 f.; vgl. auch BGHZ 45, 223, 230).
89 
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es grundsätzlich legitim und begründet im Regelfall auch keinen Rechtsmissbrauch, wenn ein Antragsteller eine Gütestelle ausschließlich zum Zwecke der Verjährungshemmung anruft (BGH, Urteil vom 25. 05. 2016 – IV ZR 211/15, juris; BGH, Urteile vom 28.10.2015 - IV ZR 405/14, und - IV ZR 526/14, juris; BGH, Urteil vom 06.07.1993 – VI ZR 306/92, juris). Für die Annahme eines Rechtsmissbrauchstatbestandes bleibt hiernach nur ein sehr enger Anwendungsspielraum.
(2)
90 
Gesichtspunkte, die eine Ausnahme von diesem Grundsatz rechtfertigen würden (vgl. dazu BGH, Urteil vom 28.10. 2015 - IV ZR 526/14, juris; BGH, Urteil vom 25.05.2016 – IV ZR 211/15, juris Rn. 17; BGH, Urteil vom 06.07.1993 – VI ZR 306/92, juris; RG, RGZ 66, 412 ff.), liegen hier nicht vor.
91 
Eine solche Ausnahme hat der Bundesgerichtshof BGH (a.a.O.) nicht nur bei der bewusst wahrheitswidrigen Erklärung im Mahnverfahren, dass die Gegenleistung bereits erbracht sei (BGH, Urteil vom 21.12.2011 – VIII ZR 157/11, juris; BGH, Urteil vom 16.07.2015 – III ZR 238/14, juris), sondern auch dann angenommen, wenn schon vor Einreichung eines Güteantrags feststeht, dass der Antragsgegner nicht bereit ist, sich an dem Güteverfahren zu beteiligen und sich auf eine außergerichtliche Einigung einzulassen, er dies dem Antragssteller im Vorfeld eindeutig mitgeteilt hat und die Gütestelle daher ausschließlich zum Zwecke der Verjährungshemmung angerufen wird. In einem solchen Fall ist von vornherein sicher, dass der Zweck des außergerichtlichen Güteverfahrens - die Entlastung der Justiz und ein dauerhafter Rechtsfrieden durch konsensuale Lösungen – nicht erreicht werden kann, weshalb sich eine gleichwohl erfolgte Inanspruchnahme der Gütestelle als rechtsmissbräuchlich erweist (BGH, Urteil vom 28. Oktober 2015 - IV ZR 526/14, juris Rn. 34).
92 
Auch das Reichsgericht (RGZ 66, 412 ff.) hat für die Einleitung des selbständigen Beweisverfahrens entschieden, dass eine Unterbrechung der Verjährung durch Einleitung des Verfahrens jedenfalls voraussetze, dass ein ernstlich gemeinter Antrag auf Beweissicherung vorliege. Erkläre der Antragsteller demgegenüber von vornherein, dass er den Antrag nur zur Unterbrechung der Verjährung einreiche, nehme er dem Antrag seine Bedeutung als Beweissicherungsantrag.
93 
Von einer vergleichbaren zweckwidrigen Inanspruchnahme des Musterfeststellungsverfahrens im Zeitpunkt der Anmeldung zum Musterfeststellungsverfahren kann entgegen einer in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassung (vgl. LG Landshut, Urteil vom 03.04.2020 – 54 O 3169/19, juris Rn. 23 – 26 LG Köln, Urteil vom 20.12.2019 – 4 O 171/19, juris; Mekat/Nordholtz, „Die Flucht in die Musterfeststellungsklage“ NJW 2019, 411, 412) ohne Vorliegen sonstiger Umstände nicht ausgegangen werden. Denn Ziel des Gesetzes zur Einführung der Musterfeststellungsklage ist es gerade, den betroffenen Verbrauchern einen einfachen Weg der kollektiven Rechtsverfolgung zu eröffnen, in dem sie ihre Ansprüche gegen die beklagte Partei mit verjährungshemmender Wirkung und ohne Anwaltszwang zu einem Klageregister anmelden können (BT-Drucks. 19/2507, S. 24). Liegt der Zweck des Gesetzes aber auch in der Schaffung einer einfachen Möglichkeit zur Verjährungshemmung, so stellt es sich grundsätzlich nicht als rechtsmissbräuchlich dar, wenn eine Anmeldung eines Geschädigten zum Klageregister ausschließlich zu diesem Zweck erfolgt ist (so zutreffend LG Köln, Urteil vom 15. Januar 2020 – 17 O 185/19 juris Rn. 63; LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 29.10.2019 - 9 O 2719/19, BeckRS 2019, 26959; LG Saarbrücken, Urteil vom 13.12.2019 – 12 O 100/19, juris Rn. 27).
94 
Zwischen der Anmeldung der Klagepartei im Dezember 2018 und der Rücknahme im März 2019 lagen drei Monate. Hieraus können schon keine Schlüsse darauf gezogen werden, dass die Klagepartei von Anfang an gar nicht beabsichtigt habe, das Musterfeststellungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Braunschweig, 4 MK 1/17, durchzuführen. Auch der weitere Umstand, dass die sich auf die Vertretung einer Mehrzahl von Klägern mit einem EA-189-Fahrzeug spezialisierten Rechtsanwaltskanzleien viele Abmeldungen gebündelt vorgenommen haben, rechtfertigt nicht die Annahme, schon bei der Anmeldung zum Klageregister der Musterfeststellungsklage habe von Anfang an die Absicht bestanden, die Anmeldung ausschließlich zur Verjährungshemmung zu „missbrauchen“.
95 
Wegen der im Jahr 2018 von der Klagepartei erfolgen Anmeldung zum Klageregister kann auch zu keiner Zeit ein schützenswertes Vertrauen der Beklagten im Hinblick auf einen Verjährungseintritt bestanden haben.
B. III
96 
Die Klagepartei hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten gem. §§ 826, 249, 250 Satz 2 BGB, weil die Klagepartei bereits nicht konkret dargetan hat, ihren Prozessbevollmächtigten zunächst lediglich mit ihrer außergerichtlichen Vertretung beauftragt oder einen nur bedingten Prozessauftrag erteilt zu haben (BGH, Urteil vom 15.08.2019 - III ZR 205/17, juris Rn. 44). Aus dem in erster Instanz vorgelegten vorgerichtlichen Schreiben vom 17.12.2018, das im Betreff als Anspruchsteller „Diverse“ ausweist, lässt sich schon nicht erkennen, dass eine entsprechende Tätigkeit auch für die Klagepartei entfaltet wurde.
C.
97 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
98 
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10 und Nr. 11, § 711, § 709 S. 2 ZPO.
99 
Die Revision war nicht zuzulassen, nachdem der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19 – in einer vergleichbaren Konstellation entschieden hat.

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