Urteil vom Oberlandesgericht Koblenz (3. Zivilsenat) - 3 U 1785/19


Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Trier – Einzelrichterin – vom 16.08.2019, Az.: 5 O 729/18, wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird zugelassen.

V. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 18.637,92 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Kläger begehrt von der Beklagten im Zusammenhang mit dem sog. Diesel-Abgasskandal Zahlung von Schadensersatz wegen Leasing und Kauf eines betroffenen Neufahrzeugs.

2

Am 07.09.2015 schloss der Kläger bei der ... Leasing einen Leasingvertrag über einen neuen VW Caddy Kasten (Van) ab. Die monatlichen Leasingraten betrugen 280,31 €. Im Juni 2017 kaufte er das Fahrzeug zum Preis von 11.069,55 €. Für diesen Fahrzeugtyp wurde die Typengenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt. Der Pkw ist mit einem Dieselmotor Typ EA 189 ausgestattet, der von der Beklagten hergestellt und in Pkws des VW-Konzerns eingesetzt wurde. Bei diesem Motortyp ist eine Software eingebaut, welche auf dem Prüfstand vom regulären Abgasrückführungsmodus 0 in den stickoxid-optimierten Modus 1 wechselt. Es ergeben sich dadurch auf dem Prüfstand geringere Stickoxid-Emissionswerte als im normalen Fahrbetrieb. Für die Erteilung der Typengenehmigung war der Stickoxidausstoß im Prüfstand maßgebend.

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Ab September 2015 wurde – ausgehend von einer Pressemitteilung der Beklagten vom 22.09.2015 – über den Abgasskandal betreffend Motoren vom Typ EA 189 und nicht nur Fahrzeuge der Beklagten, sondern des gesamten VW-Konzerns, in den nationalen und internationalen Medien ausführlich berichtet. Zeitgleich mit der Pressemitteilung veröffentlichte die Beklagte eine aktienrechtliche ad hoc-Mitteilung und informierte sie ihre Vertragshändler, Servicepartner und die anderen Konzernhersteller über den Umstand, dass Fahrzeuge mit dem Motor Typ EA 189 über die beschriebene Umschaltlogik verfügen. Die Beklagte schaltete Anfang Oktober 2015 eine Website frei, auf der jedermann unter Eingabe einer Fahrzeugidentitätsnummer ermitteln konnte, ob das Fahrzeug mit einem vom Abgasskandal betroffenen Motor ausgestattet ist. Zu der Freischaltung gab die Beklagte ebenfalls im Oktober 2015 eine Pressemitteilung heraus. Darin wurde auch über den vom Kraftfahrtbundesamt beschlossenen Rückruf der betroffenen Fahrzeuge berichtet und kündigte die Beklagte an, in Abstimmung mit den zuständigen Behörden an Lösungsmöglichkeiten zu arbeiten. Entsprechend wurde in zahlreichen Medien berichtet. Daneben bestand die Möglichkeit, sich telefonisch, schriftlich oder per E-Mail beim V-Kundenservice zu informieren, ob in einem konkreten Pkw die Software verbaut ist. Zu den Einzelheiten wird auf die Ausführungen der Beklagten hierzu unter Lit. B. I. in der Berufungserwiderung vom 16.03.2020 (ab Blatt 37 eAkte) verwiesen.

4

Die Parteien streiten unter anderem um die Frage der Verjährung von Ansprüchen und darüber, ob der Beklagten ungeachtet des Umstands, dass der Kläger seinen Pkw erst ca. 1 ¾ Jahre nach Bekanntwerden des Abgasskandals erworben hat, eine schadenskausale vorsätzliche sittenwidrige Schädigung im Sinne des § 826 BGB oder ein Betrug zu Lasten des Klägers mit Schadensersatzfolge gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB vorgeworfen werden kann und ob die Beklagte ihm jedenfalls gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. einem Schutzgesetz haftet.

5

Der Kläger hat bereits erstinstanzlich behauptet, er habe zum Zeitpunkt des Leasing- und Kaufvertragsschlusses keine Kenntnis von den täuschungsrelevanten Umständen gehabt. Er habe das Fahrzeug geleast und erworben, weil es als besonders umweltfreundlich beschrieben worden sei, mit einem für seine Fahrzeugklasse sehr niedrigen Verbrauch und auf hohem technischen Niveau. Hätte er von der unzulässigen Abschalteinrichtung gewusst, hätte er das Fahrzeug nicht gekauft. Infolge des Software-Updates, das er lediglich habe durchführen lassen, um die Verkehrszulassung nicht zu gefährden, sei die Leistung des Fahrzeugs rapide zurückgegangen.

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Der Kläger hat beantragt,

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1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger die von ihm verauslagten Leasingbeträge in Höhe von insgesamt 7.568,37 € zuzüglich brutto Zug-um-Zug gegen Rücknahme des Pkw des Typs VW Caddy Kasten mit der Fahrgestell-Ident.-Nr. W abzüglich einer angemessenen Nutzungsentschädigung zu zahlen;

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2. festzustellen, dass sich die Beklagte gegenüber dem Kläger spätestens seit 28.12.2018 mit der Rücknahme des Pkw des Typs VW Caddy Kasten mit der Fahrgestell-Ident.-Nr. W in Annahmeverzug befindet;

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3. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger seine außergerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 958,19 € zu erstatten.

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Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

12

Die Klageschrift ist vorab per Fax am 28.12.2018 beim Landgericht Trier eingegangen. Unter dem 17.04.2019 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers unter anderem um Übersendung der Gerichtskostenrechnung ersucht. Gemäß Aktenvermerk ist die Gerichtskostenrechnung am 17.04.2019 nochmals abgesandt worden. Die Zahlungsanzeige der Gerichtskosten datiert vom 17.06.2019. Die Klage ist der Beklagten am 20.06.2019 zugestellt worden.

13

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen darauf abgestellt, dass die Klage ungeachtet der Frage der Verjährung unbegründet sei. Dem Kläger stehe kein Anspruch gemäß §§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. 263 StGB, 31, 831 BGB oder § 826 BGB zu. Bei Abschluss des Kaufvertrags im Juni 2017 habe keine zurechenbare Täuschung der Beklagten mehr vorgelegen, da sie die Problematik bereits ein Jahr und 10 Monate vor Vertragsschluss offengelegt habe. Aufgrund dessen sei auch nicht mehr mit Sicherheit von einem irrtumsbedingten Kauf auszugehen. Ein Anspruch gemäß §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 BGB scheitere daran, dass die Grundsätze zur Prospekthaftung auf die vorliegende Fallkonstellation nicht anwendbar seien, ein solcher gemäß §§ 311 Abs. 3, 241 Abs. 2 BGB daran, dass die Beklagte nicht selbst an Vertragsverhandlungen beteiligt gewesen sei. Ebenso wenig bestünden Ansprüche gemäß §§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. Art. 12, Art. 18 der Richtlinie Nr. 2007/46/EG und §§ 4, 6, 25, 27 EG-FGV mangels Schutzgesetzcharakters dieser Normen.

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Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er die Klage erweitert hat und nun noch Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 11.069,95 € begehrt. Er macht im Wesentlichen unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens geltend, dass ihm bereits durch den Abschluss des Leasingvertrags ein Schaden entstanden sei, weil er ihn in Kenntnis der Manipulation nicht abgeschlossen hätte. Auch bei Abschluss des Kaufvertrags habe die Täuschung noch vorgelegen. Die ad-hoc-Mitteilung vom 22.09.2015 habe nicht ausgereicht, um einen Rücktritt vom Betrugsversuch der Beklagten anzunehmen. Die hierfür erforderlichen Anschreiben der Beklagten an den Kläger, in denen er unter anderem über die Betroffenheit seines Fahrzeugs informiert worden sei, hätten ihn erst nach Abschluss des Kaufvertrags erreicht. Mit Schriftsatz vom 22.06.2020 beruft er sich darauf, dass ihm die Kostenrechnung für den Gerichtskostenvorschuss erst am 13.06.2019 per Fax übersandt worden sei.

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Der Kläger beantragt:

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1. Unter Abänderung des am 16.08.2019 verkündeten Urteils des Landgerichts Trier, Az.: 5 O 729/18 wird die Beklagte und Berufungsbeklagte verurteilt, an den Kläger und Berufungskläger die verauslagten Leasingraten i. H. v. 7.568,37 € (brutto) sowie den Kaufpreis i. H. v. 11.069,55 € (brutto) Zug um Zug gegen Rücknahme des PKW des Typs VW Caddy, Kasten mit der Fahrzeugidentifikationsnummer W abzüglich einer angemessenen Nutzungsentschädigung zu zahlen.

17

2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte gegenüber dem Kläger spätestens seit dem 08.12.2018 mit der Rücknahme des unter Ziffer 1. genannten PKW in Annahmeverzug befindet.

18

3. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger seine außergerichtlichen Anwaltskosten i. H. v. EUR 958,19 zu erstatten.

19

Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

21

Sie verteidigt das angefochtene Urteil als richtig, insbesondere unter Hinweis darauf, dass der Kläger das Fahrzeug in Kenntnis der installierten Software oder jedenfalls in deren grob fahrlässiger Unkenntnis erworben habe und daher nicht schutzwürdig sei. Es fehle angesichts der Informationspolitik der Beklagten an einem verwerflichen Handeln bzw. einer Täuschung, an einem Schädigungsvorsatz und jedenfalls an einem Schaden bzw. hilfsweise an einer Kausalität ihres Handelns für einen etwaigen Schaden des Klägers.

22

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angegriffenen Urteil sowie die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 ZPO).

II.

23

Die gemäß §§ 511, 517 ff. ZPO zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Etwaige Ansprüche des Klägers auf Erstattung der Leasingraten sind jedenfalls gemäß §§ 195, 199 BGB verjährt (1.). Soweit der Kläger Ansprüche auf den Kaufvertragsschluss im Juni 2017 stützt, ist zwar die Klageerweiterung in zweiter Instanz gemäß § 533 ZPO zulässig (2.). Ihm steht aber schon dem Grunde nach kein – einzig hier in Betracht kommender – deliktischer Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zu (3.).

24

Im Einzelnen gilt Folgendes:

25

1. Etwaige, allein in Betracht kommende deliktische Schadensersatzansprüche auf Erstattung der gezahlten Leasingraten sind jedenfalls gemäß §§ 195, 199 BGB verjährt.

26

Die dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB begann - wovon der Kläger selbst zu Recht ausgeht (vgl. Klageschrift S. 5, Blatt 7 d. A.) - mit Schluss des Jahres 2015 zu laufen. Gemäß § 199 Abs. 1 BGB beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Beide Voraussetzungen waren vorliegend spätestens Ende des Jahres 2015 erfüllt.

27

Ein Anspruch gemäß § 826 BGB oder gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB wäre jedenfalls bereits im Moment des ungewollten Leasingvertragsschlusses am 07.09.2015 entstanden, da zu diesem Zeitpunkt der Vermögensschaden des Klägers aufgrund einer (sittenwidrigen) Täuschungshandlung der Beklagten eingetreten ist (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 -, Rn. 47).

28

Der Kläger hätte zudem im Jahr 2015 die Veranlassung und die Möglichkeit gehabt, von einem Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte Kenntnis zu erlangen. Gerade in der Zeit bis zum Jahresende 2015 wurde in den nationalen und internationalen Medien ausführlich über den „Dieselskandal“ berichtet und war unter anderem von „Betrugssoftware“, „Software-Trickserei“ der Beklagten und Ähnlichem die Rede. Der Abgas-Skandal als solcher und die Betroffenheit von auch in Deutschland angebotenen Fahrzeugen der Beklagten kann ihm schlechterdings nicht entgangen sein, selbst wenn er nicht laufend die Pressemeldungen verfolgt hat. Damit hatte er jedoch als Leasingnehmer eines dieselbetriebenen Fahrzeugs der Beklagten hinreichend konkrete Anhaltspunkte zu der Annahme, dass ihm ein deliktischer Schadensanspruch gegen die Beklagte als Fahrzeugherstellerin zustehen könnte. Es bestand ohne weiteres die Möglichkeit, z. B. über die im Oktober 2015 freigeschaltete, einfach zugängliche und ebenfalls öffentlich bekannt gemachte Online-Plattform oder eine telefonische, schriftliche oder E-Mail-Rückfrage beim V-Kundenservice in Erfahrung zu bringen, ob sein geleaster Pkw vom Abgasskandal betroffen ist. Die einen deliktischen Anspruch nach § 826 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB begründenden Tatsachen hätte er damit ihrem wesentlichen Kern nach gekannt. Die Unkenntnis über Details hindert den Verjährungsbeginn nicht. Soweit der Kläger sich trotz der sich regelrecht aufdrängenden Umstände nicht weiter informiert hat, ist ihm grob fahrlässige Unkenntnis von Anspruch und Schädiger i. S. d. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB vorzuwerfen (vgl. OLG München, Beschluss vom 03.12.2019 – 20 U 5741/19 –, juris Rn. 3; OLG Stuttgart, Urteil vom 14.04.2020 – 10 U 466/19 –, juris LS 1., 2.; OLG Köln, Beschluss vom 04.03.2020 – 26 U 73/19 –, juris Rn. 11; a. A. OLG Stuttgart, Urteil vom 30.04.2020 – 7 U 470/19 –, BeckRS 2020, 7263).

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Die Verjährungsfrist endete mithin mit Ablauf des 31.12.2018. Zwar ist die Klageschrift am 28.12.2018 beim Landgericht eingegangen. Jedoch wurde die Verjährung hierdurch nicht gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB gehemmt, weil hierfür die Klageschrift „demnächst“ hätte an die Beklagte zugestellt werden müssen. Nur dann wirkt die Zustellung auf den Zeitpunkt der Einreichung der Klageschrift zurück (Palandt/Ellenberger, BGB, 79. Aufl., § 204 Rn. 7). Hier ist die Klageschrift der Beklagten jedoch erst am 20.06.2019 zugestellt worden. Das war nach den Umständen nicht mehr „demnächst“. Zugunsten des Klägers kann unterstellt werden, dass ihm vor der Nachfrage am 17.04.2019 keine Zahlungsaufforderung zugegangen ist. Grundsätzlich darf zwar ein Kläger die Aufforderung zur Einzahlung des Vorschusses abwarten. Er muss aber von sich aus initiativ werden, wenn das Gericht längere Zeit untätig bleibt. Ein Zuwarten über einen Zeitraum von gut dreieinhalb Monaten ist jedenfalls zu lang (vgl. BGH, Urteil vom 19.10.1977 – IV ZR 149/76 –, juris Rn. 4, 10 f.). Die Zustellung der Klageschrift ist schon deshalb nicht mehr als „demnächst“ anzusehen. Sie war daher nicht mehr geeignet, die Ende 2018 ablaufende Verjährungsfrist zu hemmen.

30

Es kommt folglich nicht mehr darauf an, dass nach Aktenlage die Zahlungsaufforderung bereits am 17.04.2019 erneut abgesandt und danach nochmals bis Juni 2019 mit der Einzahlung des Vorschusses zu lange abgewartet wurde. Auch diese Verzögerung ist zu lang (vgl. BGH, Urteil vom 12.11.2009 – III ZR 113/09 –, juris Rn. 21 m. w. N.). Da schon wegen der verspäteten Nachfrage nach der Kostenrechnung Verjährung anzunehmen ist, kann dahinstehen, ob der neue Vortrag des Klägers zu einer Übersendung der Zahlungsaufforderung erstmals per Fax am 13.06.2019 mit Blick auf § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 und §§ 525, 296a ZPO überhaupt zuzulassen wäre. Abgesehen davon gibt es aber auch für das vom Kläger behauptete Fax in der Akte keinen Anhaltspunkt. Es wurde entgegen der Ankündigung dem Schriftsatz vom 22.06.2020 nicht als Anlage beigefügt. Selbst wenn man diesen neuen Vortrag des Klägers als zutreffend unterstellt, wäre im Übrigen ein erneutes untätiges Zuwarten bis zum 13.06.2020 nach der Erinnerung des Gerichts vom 17.04.2019 wiederum zu lang (vgl. BGH, Urteil vom 19.10.1977 – IV ZR 149/76 –, juris Rn. 12).

31

Da mithin Ansprüche wegen des Leasingvertragsschlusses jedenfalls verjährt sind, kann dahinstehen, ob ein auf Erstattung der Leasingraten gerichteter Schadensersatzanspruch gegeben wäre. Insbesondere bedarf es keiner Entscheidung, ob die anzurechnenden Nutzungsvorteile den Leasingraten entsprechen und damit einen entstandenen Schaden aufzehren (so OLG Karlsruhe, Urteil vom 21.01.2020 – 17 U 2/19 –, juris Rn. 117 ff.) oder ob der Nutzungsvorteil wie bei der Rückgängigmachung eines Kaufvertrags zu berechnen ist (so OLG Hamm, Urteil vom 10.12.2019 – I-13 U 86/18 –, juris Rn. 134 ff.).

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2. Die Klageerweiterung in zweiter Instanz um Schadensersatzansprüche gestützt auf den Kaufvertragsabschluss ist zulässig gemäß § 533 ZPO. Sie ist sachdienlich (§ 533 Nr. 1 ZPO), weil hierdurch noch bestehende Streitpunkte miterledigt werden können, so dass ein neuer Prozess vermieden wird. Zudem kann sie auf Tatsachen gestützt werden, die der Senat seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat (§ 533 Nr. 2 ZPO).

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3. Der Kläger hat jedoch keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Schadensersatz infolge des Kaufvertragsschlusses im Juni 2017.

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Ein Anspruch gemäß § 826 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB oder gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 16 UWG oder i. V. m. § 4 Nr. 11 UWG a. F., Pkw-EnVKV scheitert bereits daran, dass der Beklagten kein im maßgebenden Zeitpunkt des Kaufs fortwirkendes vorsätzliches sittenwidriges Verhalten bzw. keine Täuschung oder eine irreführende Werbung vorzuwerfen ist (a)). Für einen Anspruch gemäß §§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV fehlt es am Schutzgesetzcharakter der zuletzt genannten Normen (b)). Mangels unerlaubter Handlung scheidet auch ein Anspruch gemäß § 831 BGB aus (c)). Allen in Frage kommenden Schadensersatzansprüchen steht zudem entgegen, dass die Kausalität einer Schädigungshandlung der Beklagten für den Kauf nicht nachgewiesen ist (d)).

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a) aa) Der Kläger hat keinen Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 826 BGB.

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Eine sittenwidrige Schadenszufügung gemäß § 826 BGB setzt in objektiver Hinsicht ein Verhalten voraus, das nach Inhalt oder Gesamtcharakter gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, das heißt mit grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde vertragliche Pflichten oder das Gesetz verletzt oder bei einem anderen einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage tretenden Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH, Urteil vom 28.06.2016 - VI ZR 536/15 -, juris Rn. 16; BGH, Urteil vom 19.07.2014 - II ZR 402/02 -, juris Rn. 49; BGH, Urteil vom 04.06.2013 - VI ZR 288/12 -, juris Rn. 14).

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Diese Voraussetzungen sind bei der vorliegenden Sachverhaltskonstellation nicht erfüllt (s. dazu bereits die Urteile des Senats vom 25.10.2019 - 3 U 948/19 -, juris, vom 10.12.2019 - 3 U 983/19 -, vom 27.12.2019 - 3 U 1179/19 - und Az. 3 U 1450/19 und vom 28.02.2020 - 3 U 1449/19.

38

Das Inverkehrbringen des Motors Typ EA 189 mit einer unzulässigen, manipulativen Software war zwar ein in diesem Sinne sittenwidriges, schädigendes Handeln der Beklagten unter anderem gegenüber potentiellen Fahrzeugkäufern (BGH, Urteil vom 25.05.2020 - V ZR 252/19 -, Rn. 17). Jedenfalls aber war das, was den Unrechtsgehalt dieses Verhaltens im Kern ausmacht – konkret die firmenübergreifende systematische heimliche und gesetzeswidrige Manipulation von Abgaswerten in Verkehr gebrachter Fahrzeuge des V-Konzerns in großem Stil und über Jahre hinweg aus bloßem Gewinn-streben zulasten der Umwelt und der Gesundheit Vieler unter Gefährdung der uneingeschränkten Nutzbarkeit der Fahrzeuge im Straßenverkehr durch den Endverbraucher –, im Zeitpunkt des Erwerbs des Pkws durch den Kläger mit der zwischenzeitlich in Angriff genommenen Aufarbeitung der Dieselaffäre seitens der Beklagten überholt. Die mit dem Inverkehrbringen eines Pkws verbundene konkludente Erklärung, der Einsatz des Fahrzeugs sei im Straßenverkehr ohne jede Einschränkung geeignet (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 12.06.2019 - 5 U 1318/18 -, juris Rn. 22 m. w. N.), war zu diesem Zeitpunkt bereits von der Beklagten zumindest stark relativiert, so dass darauf als Tathandlung nicht mehr abgestellt werden kann (so aber OLG Hamm, Urteil vom 10.09.2019 - 13 U 149/18 -, juris Rn. 65).

39

Zum Zeitpunkt des Kaufs hatte die Beklagte bereits die Verwendung der Software und ihres Wirkmechanismus bei Motoren des Typs EA 189 nicht nur mit einer aktienrechtlichen ad hoc-Mitteilung, sondern auch mit einer Pressemitteilung öffentlich gemacht und in den Medien wurde breit über den „Dieselskandal“ berichtet. Der vom KBA angeordnete Rückruf war öffentlich kommuniziert. Ab Oktober 2015 stand – ebenfalls öffentlich kommuniziert - die Online-Plattform zur Verfügung. Dort wurde bei einem Treffer über den Wirkmechanismus der verbauten Software im Motor Typ EA 189 nochmals informiert. Entsprechendes war beim V-Kundenservice zu erfahren. Die Beklagte informierte zudem ihre Vertragshändler, Servicepartner und die anderen Konzernhersteller über die Umschaltlogik. Der Vorstandschef der Beklagten war – worüber die Medien ebenfalls ausführlich berichteten – noch im September 2015 eben wegen der Dieselaffäre zurückgetreten.

40

Unerheblich ist, dass die Beklagte die Software bis zum maßgebenden Zeitpunkt des Erwerbs nicht selbst als illegale Abschalteinrichtung gebrandmarkt oder konkret Verantwortliche benannt haben mag. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob die Beklagte eine noch weitergehende Aufklärungspolitik hätte betreiben können.

41

Jedenfalls kann ab dem Zeitpunkt der Offenlegung der Manipulationsproblematik aus den genannten Gründen nicht mehr davon ausgegangen werden, dass das Handeln der Beklagten nach seinem Gesamtcharakter (noch) verwerflich war. Ziel und Erfolg der Beklagten war nicht mehr, weiterhin Gewinn aus einer im Verborgenen liegenden Manipulation zu schöpfen (so auch OLG Celle, Beschluss vom 01.07.2019 - 7 U 33/19 -, juris Rn. 24 ff.). Aus eben diesen Gründen scheidet auch ein Schädigungsvorsatz der Be-klagten im maßgebenden Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses aus (vgl. OLG München, Beschluss vom 09.01.2019 - 21 U 2834/18 -, S. 3).

42

bb) Aus gleichen Gründen hat der Kläger auch keinen Anspruch gegen die Beklagte gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB, da sie jedenfalls im Zeitpunkt des Erwerbs durch den Kläger nicht potentielle Käufer von Fahrzeugen mit dem Motor Typ EA 189 getäuscht hat.

43

Täuschung im Sinne des § 263 StGB setzt ein Verhalten des Täters voraus, das objektiv geeignet und subjektiv bestimmt ist, beim Adressaten eine Fehlvorstellung über tatsächliche Umstände hervorzurufen (BGH, Urteil vom 26.04.2001 - 4 StR 439/00 -, NJW 2001, 2187, 2189).

44

Zwar waren Fahrzeuge wie das vom Kläger erworbene, in denen die manipulative Software verbaut ist oder war, weiterhin auf dem Markt. Die Verwendung der Umschaltlogik war aber zu diesem Zeitpunkt nicht nur den Behörden, insbesondere dem KBA, bekannt, sondern auch unter maßgeblicher Mitwirkung der Beklagten der breiten Öffentlichkeit kundgetan und auch hinreichend transparent gemacht, welche Fahrzeuge betroffen sind. Es fehlt daher an einer fortwährenden Täuschungseignung und -bestimmung des ursprünglichen Verhaltens der Beklagten.

45

cc) Schließlich ist auch ein Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 16 UWG oder i. V. m. § 4 Nr. 11 UWG a. F., Pkw-EnVKV nicht nachvollziehbar.

46

Abgesehen davon, dass der Kläger schon nicht substantiiert darlegt, wie und mit welchen konkreten Angaben die Beklagte für das erworbene Fahrzeug im Einzelnen geworben hat, fehlt jedenfalls dazu, dass die Beklagte auch nach dem 22. September 2015 noch irreführend oder unter Verstoß gegen die Pkw-EnVKV für ihre vom Abgasskandal betroffenen Dieselfahrzeuge mit dem Motortyp EA 189 geworben haben soll, jeder substantiierte Vortrag (vgl. OLG Celle, Urteil vom 29.01.2020 – 7 U 575/18 –, juris Rn. 72).

47

b) Ein Anspruch gemäß §§ 823 Abs. 2, 249 Abs. 1 BGB i. V. m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV scheitert daran, dass es sich bei den §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV nicht um ein den Schutz (auch) des Klägers bezweckendes Gesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB handelt. Der Schutz des Interesses, nicht mit der Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit belastet zu werden, liegt nicht im Aufgabenbereich der Norm (BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 -, juris Rn. 72 ff.).

48

c) Mangels unerlaubter Handlung scheidet auch ein Anspruch gemäß § 831 BGB aus.

49

d) Sämtlichen in Frage kommenden deliktischen Schadensersatzansprüchen steht schließlich entgegen, dass jedenfalls auch ein Kausalzusammenhang zwischen dem Inverkehrbringen des Motors mit Umschaltlogik und dem Kaufvertragsabschluss durch den Kläger nicht zur Überzeugung des Senats feststeht.

50

Eine Schadensersatzpflicht besteht unter Berücksichtigung des Schutzzwecks einer Norm nur, wenn die Tatfolgen, für die Ersatz begehrt wird, aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen worden ist. Der Nachteil muss zu der vom Schädiger geschaffenen Gefahrenlage in einem inneren Zusammenhang stehen (z. B. BGH, Urteil vom 11.11.1993 - IX ZR 35/93 -, juris Rn. 38 m. w. N.; vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Aufl., Vorb. v. § 249 Rn. 29;OLG Braunschweig, Beschluss vom 28.11.2018 - 7 U 52/18 -, S. 17).

51

Bei der danach gebotenen wertenden Betrachtung kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kaufvertragsschluss als Schaden gerade durch die pflichtwidrige Handlung der Beklagten verursacht wurde. Der Senat ist nicht überzeugt, dass der Kläger vom Kauf Abstand genommen hätte, wenn er von dem Motor mit Umschaltlogik gewusst hätte.

52

Darlegungs- und beweispflichtig für den Kausalzusammenhang zwischen Handlung und Schaden ist nach den allgemeinen Regeln der Kläger. Grundsätzlich mag ein Erfahrungssatz dafür sprechen, dass ein Käufer keine Kaufsache mit ihr anhaftenden Manipulationen erwerben wird, die negative Auswirkungen z. B. auf die Umwelt, Betriebstauglichkeit und den Wert des Kaufgegenstandes haben können. Der Fall liegt hier aber nach den Umständen besonders, so dass dieser Erfahrungssatz vorliegend keine Geltung beansprucht.

53

Der Kläger mag nicht gewusst haben, dass gerade der von ihm erworbene Gebrauchtwagen vom Abgasskandal betroffen ist. Angesichts der breiten medialen Berichterstattung hierüber seit Ende September 2015 kann ihm aber aus den bereits dargelegten Gründen nicht entgangen sein, dass sein zum Erwerb anstehendes VW-Fahrzeug möglicherweise mit der manipulativen Software ausgestattet ist. Kauft der Kläger dann, ohne die ihm zur Verfügung stehenden Kenntnismöglichkeiten auszuschöpfen, einen solchen Pkw, spricht das dafür, dass er seine Kaufentscheidung nicht maßgebend davon abhängig gemacht hat, ob ein Motor mit manipulativer Umschaltlogik in dem Fahrzeug verbaut ist oder nicht (so auch OLG Dresden, Urteil vom 24.07.2019 - 9 U 2067/18 -, juris Rn. 29 ff.; OLG Köln, Urteil vom 06.06.2019 - 24 U 5/19 -, juris Rn. 49).

54

Gegen die Schadenskausalität spricht weiter, dass das Fahrzeug fahrbereit und technisch sicher war. Bis Juni 2017 waren zumindest zu einigen betroffenen VW-Modellen bereits Software-Updates vom KBA freigegeben und als Problemlösung akzeptiert – ungeachtet der streitigen Frage, ob das Software-Update tatsächlich (vollumfänglich) dazu geeignet war. Das Stilllegungsrisiko bzw. das Risiko eines Entzugs der Typengenehmigung stellte sich daher im maßgebenden Zeitpunkt als gering dar. Dementsprechend wurden auch nach Bekanntwerden des Skandals betroffene Gebrauchtfahrzeuge weiterhin vielfach gekauft (vgl. OLG Dresden, Urteil vom 24.07.2019 - 9 U 2067/18 -, juris Rn. 31).

III.

55

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

56

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

57

Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Die vorliegende Sachverhaltskonstellation liegt einer Vielzahl von Fällen zugrunde und wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht einheitlich beurteilt (zur Verjährung wie hier vgl. OLG München, Beschluss vom 03.12.2019 – 20 U 5741/19 –, juris Rn. 3; OLG Stuttgart, Urteil vom 14.04.2020 – 10 U 466/19 –, juris LS 1., 2.; OLG Köln, Beschluss vom 04.03.2020 – 26 U 73/19 –, juris Rn. 11; a. A. OLG Stuttgart, Urteil vom 30. April 2020 – 7 U 470/19 –, BeckRS 2020, 7263; zum Spätkauf wie hier z. B. OLG Celle, Beschluss vom 01.07.2019 - Az.: 7 U 33/19 -, juris, insbesondere Rn 20 ff. OLG Dresden, Urteil vom 24.07.2019 - 9 U 2067/18 -, juris, insbesondere Rn. 29 ff. OLG Köln, Urteil vom 06.06.2019 - 24 U 5/19 -, juris, insbesondere Rn. 46; a. A. OLG Hamm, Urteil vom 10.09.2019 - 13 U 149/18 -, juris, insbesondere Rn. 64 ff.; OLG Koblenz, 8. Zivilsenat, Urteil vom 03.04.2020 - 8 U 1956/19 -, juris Rn. 51 ff.). Die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung des Revisionsgerichts erfordern die Zulassung, da zu befürchten ist, dass Unterschiede in der Rechtsprechung entstehen oder fortbestehen.

58

Den Streitwert hat der Senat an der Höhe der begehrten Abänderung des angefochtenen Urteils unter Berücksichtigung der Klageerweiterung bemessen (§ 3 ZPO).

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