Urteil vom Oberlandesgericht Rostock (1. Strafsenat) - 20 RR 16/19

Tenor

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 30.10.2018 wird als unbegründet verworfen.

2. Der Angeklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens und seine notwendigen Auslagen.

Gründe

I.

1

Die Kleine Strafkammer des Landgerichts Schwerin hat unter Vorsitz einer Proberichterin die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Wismar vom 22.04.2015 als unbegründet verworfen. Der Angeklagte ist mit vorbenannten Urteil wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in einem minderschweren Fall in Tateinheit mit Vergewaltigung zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt worden. Gegen das Urteil des Amtsgerichts legten sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft Berufung ein. Nach einem Rechtsgespräch, welches die Verteidigerin angeregt hatte, beschränkte der Angeklagte seine Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch, die Staatsanwaltschaft nahm ihre zuungunsten des Angeklagten eingelegte Berufung zurück.

2

Der Angeklagte rügt mit seiner Revision die Verletzung formellen und sachlichen Rechts. Zur Verfahrensrüge führt er aus, dass die Kammer nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen sei. Ein Vertretungsfall habe nicht vorgelegen. Proberichter seien ohnehin kraft Gesetzes von der Führung des Vorsitzes einer Kleinen Strafkammer ausgeschlossen. Auch die Feststellungen der Kammer entbehrten der Grundlage, weil die von dem Angeklagten erklärte Rechtsmittelbeschränkung unwirksam sei. Denn die erstinstanzlichen Feststellungen des Amtsgerichts hätten keine ausreichende Grundlage für eine dem Unrechts- und Schuldgehalt der Straftat entsprechende Bemessung der Rechtsfolge geboten. So fehlten Feststellungen zur inneren Tatseite im erstinstanzlichen Urteil.

3

Schließlich sei in dem sogenannten „Rechtsgespräch“ eine Verständigung angestrebt worden. Den Gegenstand des „Rechtsgesprächs“ hätte die Vorsitzende daher gemäß § 243 Abs. 4 StPO protokollieren und den Angeklagten gemäß § 257c Abs. 5 StPO belehren müssen. Das sei nicht geschehen. Es werde vermutet, dass das Urteil auf der Verletzung der vorgenannten Verfahrensvorschriften beruhe.

4

Die Generalstaatsanwaltschaft ist wie die Verteidigung der Auffassung, dass die Kammer mit einer Proberichterin als Vorsitzenden nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen sei. Die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch sei dagegen wirksam. Auch nach dem Vorbringen des Angeklagten in der Revisionsbegründung habe kein verständigungsbezogenes und damit mitteilungspflichtiges Vorgespräch stattgefunden. Insbesondere sei die Verhängung einer bedingten Freiheitsstrafe nicht von der Abgabe eines Geständnisses oder der Zusage eines sonstigen Prozessverhaltens abhängig gemacht worden. Auf die Wirksamkeit der Rechtsfolgenbeschränkung habe keinen Einfluss, dass der Angeklagte diese gegenüber einer fehlerhaft besetzten Strafkammer erklärt habe.

II.

5

Die zulässige Revision des Angeklagten hat weder mit der Verfahrens - noch mit der Sachrüge Erfolg.

A

6

Die Verfahrensrüge der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des erkennenden Gerichts (§ 338 Nr. 1 StPO) ist in einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Weise erhoben. Denn der Angeklagte hat die maßgeblichen Tatsachen vorgetragen, die ihm aus dem Geschäftsverteilungsplan zugänglich waren (vgl. dazu OLG Oldenburg, Beschluss vom 13.04.2000, Az.: Ss 68/00, Rn. 23, juris). Die Rügepräklusion des § 338 Nr. 1 2. HS StPO gilt nur dann, wenn die Mitteilung der Besetzung nach § 222a StPO vorgeschrieben war. Eine Mitteilungspflicht über die Besetzung des Gerichts ist nur für die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vorgeschrieben (vgl. § 222a Abs. 1 Satz 1 StPO), mithin nicht für die Berufungshauptverhandlung.

7

Die mithin zulässig erhobene Verfahrensrüge hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Die Berufungskammer war ordnungsgemäß besetzt.

8

1.
Es begegnet entgegen der Auffassung der Revision keinen rechtlichen Bedenken, dass nicht der eigentlich zur Entscheidung berufene Vorsitzende Richter am Landgericht ... als vom Präsidium bestimmter Vorsitzender, sondern eine Vertreterin den Vorsitz führte. Zwar führen gemäß § 21f Abs. 1 GVG der Präsident und die Vorsitzenden Richter den Vorsitz in den Spruchkörpern bei den Landgerichten. Doch findet im Falle der Verhinderung des Vorsitzenden dessen Vertretung statt. Das ergibt sich nicht aus § 21f Abs. 2 Satz 1 GVG, weil die Kleine Strafkammer mit keinem anderen ständigen Mitglied der Kammer als dem ordentlichen Vorsitzenden besetzt ist (KG, Beschluss vom 14.12.2017, Az.: 121 Ss 127/17, Rn. 20). Denn die Kleine Strafkammer entscheidet gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 GVG über Berufungen gegen Urteile des Schöffengerichts in der Besetzung mit einem Vorsitzenden und zwei Schöffen.

9

Anwendbar ist vielmehr § 21e Abs. 1 Satz 1 GVG, wonach das Präsidium die Vertretung regelt. Ein Vertretungsfall setzt eine nur vorübergehende Verhinderung des Vorsitzenden voraus (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 21e Rn. 7). Im Zeitpunkt der Verhandlung befand sich der Vorsitzende Richter am Landgericht Piepel ausweislich seiner dienstlichen Stellungnahme vom 23.01.2019 (Bl. 173/Bd. III d.A.) im Urlaub. Dabei handelte es sich um eine vorübergehende Verhinderung.

10

Die in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geäußerte Vermutung der Verteidigung, Grund für die Tätigkeit der Vertreterin sei die Überlastung des Vorsitzenden wegen dessen Tätigkeit in der Großen Strafkammer gewesen, verhilft der Besetzungsrüge nicht zum Erfolg. Zwar kann die Überlastung eines Vorsitzenden einer Kleinen Strafkammer durch seine Tätigkeit in anderen Spruchkörpern nicht ohne Weiteres einen Vertretungsfall begründen (vgl. dazu: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18. April 1994 – 2 Ss 51/94 –, juris ). Darum geht es hier jedoch nicht. Denn vorliegend war der planmäßige Vorsitzende - wie oben dargestellt - durch Urlaub verhindert. Der Grund dafür, wieso der planmäßige Vorsitzende den Urlaub angetreten hatte, ist revisionsrechtlich unbeachtlich. Deshalb ist es auch unschädlich, wenn - wie die Revision ausführt - die Vertreterin den Termin mit der Verteidigung abgesprochen haben sollte.

11

2.
Die Besetzung ist auch nicht deshalb fehlerhaft, weil eine Proberichterin den Vorsitz geführt hat. Zwar werden gemäß § 59 Abs. 1 GVG die Landgerichte grundsätzlich mit einem Präsidenten sowie Vorsitzenden und weiteren auf Lebenszeit berufenen Richtern am Landgericht besetzt (Zöller/Lückemann, ZPO, 31. Aufl., § 59 GVG, Rn. 1). Jedoch können gemäß § 59 Abs. 3 GVG auch Richter auf Probe verwendet werden. Das GVG geht davon aus, dass Proberichter generell einsetzbar sind und deren Einsatz nur dann ausscheidet, wenn etwas anderes im Gesetz bestimmt ist. Solche Bestimmungen finden sich im GVG jedoch nur für die Verwendung von Proberichtern beim Amtsgericht (§ 22 Abs. 5 Satz 2 GVG).

12

a)
Die Vorgabe des § 29 Abs. 1 Satz 2 GVG, wonach ein Richter auf Probe im ersten Jahr nach seiner Ernennung nicht Vorsitzender eines Schöffengerichts sein darf, ist eingehalten. Ob diese Vorschrift auf den Vorsitzenden einer Kleinen Strafkammer, die auch über die Berufungen gegen Urteile des Schöffengerichts entscheidet, entsprechend anwendbar ist, kann dahinstehen. Ausweislich der dienstlichen Äußerung des Vorsitzenden Richters am Landgericht ... vom 23.01.2019 (Bl. 173/Bd. III d. A.) ist die Proberichterin seit dem 01.08.2016 tätig. Zwischen ihrer Ernennung und der Berufungshauptverhandlung liegen mehr als zwei Jahre.

13

b)
Entgegen der Auffassung der Verteidigung und der Generalstaatsanwaltschaft ergibt sich aus § 28 Abs. 2 Satz 2 DRiG nicht, dass ein Proberichter nicht den Vorsitz in der Kleinen Berufungskammer führen darf. Nach dieser Vorschrift muss ein Richter auf Lebenszeit den Vorsitz führen, wenn ein Gericht in einer Besetzung mit mehreren Richtern tätig ist. § 28 Abs. 2 Satz 2 DRiG ist zwar vom Wortlaut mehrdeutig. Denn auch ein Schöffe könnte einer von "mehreren Richtern" sein. Diese Vorschrift findet jedoch nach einheitlicher Auffassung nur auf Kammern Anwendung, die mit mehreren Berufsrichtern besetzt sind (Schmidt-Räntsch, DRiG, 6. Aufl., § 28 Rn. 9). So bestimmt § 2 DRiG, dass die Vorschriften dieses Gesetzes, soweit nichts anderes bestimmt ist, nur für Berufsrichter gelten. Etwas anderes ist nicht bestimmt. Das ergibt auch eine systematische Auslegung. Gemäß § 29 Abs. 1 Satz 2 GVG darf ein Proberichter nach Ablauf eines Jahres seit seiner Ernennung den Vorsitz im Schöffengericht führen. Würden die Schöffen als Richter im Sinne von § 28 Abs. 2 Satz 2 DRiG gelten, stünde § 29 Abs. 1 Satz 2 GVG im Widerspruch zu § 28 Abs. 2 Satz 2 DRiG. Ohne Erfolg hat der Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft in der mündlichen Verhandlung auf § 28 Abs. 1 DRiG verwiesen, wonach bei einem Gericht nur Richter auf Lebenszeit als Richter tätig werden dürfen, soweit nicht ein Bundesgesetz etwas anderes bestimmt. Eine solche bundesgesetzliche Bestimmung findet sich - wie schon oben erwähnt - in § 59 Abs. 3 GVG. § 29 Abs. 1 Satz 2 GVG schränkt wiederum § 59 Abs. 3 GVG ein.

14

Ferner legt § 76 Abs. 6 Satz 1 GVG fest, dass in Verfahren der Kleinen Strafkammer über Berufungen gegen ein Urteil des erweiterten Schöffengerichts ein zweiter Richter hinzuzuziehen ist. Da die Kleine Strafkammer gemäß § 76 Abs. 1 im Regelfall mit dem Vorsitzenden und zwei Schöffen besetzt ist, kann Richter im Sinne von § 76 Abs. 6 Satz 1 GVG ebenfalls nur ein Berufsrichter sein. Nicht anders verhält es sich bei § 28 Abs. 2 Satz 2 DRiG.

aa)

15

In Rechtsprechung und Kommentarliteratur findet sich jedoch wiederholt der Hinweis, dass nur ein die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 Satz 2 DRiG erfüllender Richter - mithin ein Planrichter - den Vorsitz in der Kleinen Strafkammer führen kann. Das KG (Beschluss vom 14.12.2017, Az. 121 Ss 127/17, Rn. 20, juris) begründet seine Auffassung nicht näher, weil es dort nicht darauf ankam. Das KG hatte über einen Fall zu befinden, in dem ein Richter am Amtsgericht, mithin ein Planrichter, vom Präsidium dauerhaft zum Vorsitzenden der Berufungskammer bestellt war (KG, a.a.O., Rn. 4). MüKo/Schuster (StPO, § 21f GVG, Rn. 8) konstatiert, dass der ständige Vertreter des Vorsitzenden einer Kleinen Strafkammer aus dem Kreis der übrigen Lebenszeitrichter bestimmt werden muss, eine Begründung findet sich hier jedoch auch nicht. Löwe-Rosenberg/Breidling (StPO, 26. Aufl., § 21f GVG, Rn. 34) verweist auf ein Urteil des BGH vom 14.10.1959 (Az. 2 StR 349/59, BGHSt 13, 262, 265) und andere noch ältere Entscheidungen der OLG Dresden (Urteil vom 07.12.1927, GA 72, 151, 152) und OLG Naumburg (HRR 1929, Nr. 982). Das führt nicht weiter, weil diese Entscheidungen in einen Zeitraum fallen, in dem der hier maßgebliche § 28 DRiG noch nicht galt. Das DRiG ist erst am 01.07.1962 in Kraft getreten (BGBl. 1961, 1665, 1683).

bb)

16

Aus Art. 97 Abs. 2 Satz 1 GG ergibt sich nichts anderes. Danach können hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellte Richter wider ihren Willen nur kraft richterlicher Entscheidung und nur aus Gründen und unter den Formen, welche die Gesetze bestimmen, vor Ablauf ihrer Amtszeit entlassen oder dauernd oder zeitweise ihres Amtes enthoben oder an eine andere Stelle oder in den Ruhestand versetzt werden. Art. 97 Abs. 2 Satz 1 GG sagt nichts Ausdrückliches darüber, wann die Beschäftigung "hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellter" Richter geboten ist. Es ist also nicht so, dass ein Richter kraft Grundgesetzes auch persönliche Unabhängigkeit erwirbt, sobald er nur an einer vom Gesetzgeber als Gericht qualifizierten Dienststelle beschäftigt wird. Der Gesetzgeber des Grundgesetzes ist jedoch angesichts der hergebrachten Situation bei den ordentlichen Gerichten, die mit der gekennzeichneten Abwandlung als Vorbild diente, als selbstverständlich davon ausgegangen, dass die Gerichte, soweit Berufsrichter beschäftigt werden, grundsätzlich mit hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellten Richtern besetzt sind und die Heranziehung von Richtern auf Probe oder auf Widerruf nur in den Grenzen erfolgt, die sich nach verständigem Ermessen aus der Notwendigkeit, Nachwuchs heranzubilden, oder aus anderen zwingenden Gründen ergeben (BVerfG, Beschluss vom 09. November 1955 – 1 BvL 13/52 –, BVerfGE 4, 331-352, Rn. 48). Diesem Gebot ist der Gesetzgeber mit der Schaffung des § 28 Abs. 2 DRiG in ausreichendem Maße nachgekommen (Schmidt-Räntsch, DRiG, 6. Auflg., § 28 Rn.10). Die Überlegung, Proberichter nur dann vom Vorsitz auszuschließen, wenn es sich um einen mit mehreren Berufsrichtern besetzten Spruchkörper handelt, erscheint nachvollziehbar. Sie erweist sich auch beim Amtsgericht als tragfähig, bei dem ein erfahrener Proberichter den Vorsitz beim Schöffengericht, nicht jedoch beim erweiterten Schöffengericht (§ 29 Abs. 2 Satz 1 GVG), welches mit besonders umfangreichen Sachen befasst ist, führen darf.

cc)

17

Es wird im Hinblick auf § 62 GVG a.F. kontrovers diskutiert, ob ein abgeordneter Richter auf Lebenszeit (§ 37 DRiG) als Vertreter den Vorsitz in der Kleinen Strafkammer führen darf, weil er nicht ständiges Mitglied des Landgerichts ist (dagegen: Löwe-Rosenberg/Breidling, a.a.O., Rn. 34; BGHSt 13, 262, 265 für den beauftragten Richter; dafür: Kissel/Mayer, GVG, 9. Aufl., § 21f Rn. 12; Karlsruher Kommentar/Giemer, StPO, 8. Aufl., § 21f GVG Rn. 3). Diese Diskussion ist jedoch entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft für die Frage, ob ein Proberichter den Vorsitzenden einer Kleinen Strafkammer vertreten darf, ohne Bedeutung. Denn ständiges Mitglied eines Landgerichts soll auch ein Proberichter sein können (Löwe-Rosenberg/Breidling, a.a.O., Rn. 33; a.A. offenbar BGHSt 13, 262, 265).

dd)

18

Entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft sind Kleine und Große Strafkammern nicht als einheitlicher Spruchkörper zu behandeln mit der Konsequenz, dass § 28 Abs. 2 Satz 2 DRiG auch auf die Kleine Strafkammer Anwendung fände. Soweit die Generalstaatsanwaltschaft (vgl. Seite 4 der Antragsschrift) sich auf den Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 05.12.1981 (Az.: 3 Ws 537/81, NStZ 1982, 301f) beruft, führt dies nicht weiter. Das OLG Düsseldorf ist der Auffassung, dass Große und Kleine Strafvollstreckungskammer als einheitlicher Spruchkörper des Landgerichts zu behandeln seien. Die Strafvollstreckungskammer werde - wie eine Zivilkammer - nach den jeweils gegebenen gesetzlichen Voraussetzungen in der Besetzung mit einem oder drei Richtern einschließlich des Vorsitzenden tätig (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 05.12.1981, Az.: 3 Ws 537/81, NStZ 1982, 301, 302). Das OLG Düsseldorf hat seine Auffassung damit begründet, dass nach dem seinerzeit gültigen § 78b Abs. 1 Nr. 2 GVG a.F. der Einzelrichter Sachen von besonderer Schwierigkeit rechtlicher Art oder von grundsätzlicher Bedeutung auf die Kammer zu übertragen hatte, was eine Parallele zu § 348 ZPO a.F. darstelle. Ob diese Erwägungen seinerzeit zutrafen und trotz zahlreicher Gesetzesänderungen immer noch gültig sind, kann dahinstehen. Die Eigenarten der Kleinen und Großen Strafvollstreckungskammern lassen sich nicht auf die Große und Kleine Strafkammer übertragen. Dagegen spricht schon, dass nach einhelliger Auffassung sich die Vertretung des Vorsitzenden der Großen Strafkammer nach § 21f Abs. 2 GVG richtet, diejenige des Vorsitzenden der Kleinen Strafkammer jedoch nach § 21e Abs. 1 Satz 1 GVG. Eine solche Differenzierung wäre nicht angezeigt, wenn Große und Kleine Strafkammern einen einheitlichen Spruchkörper bildeten. Ferner wird der Vorsitzende der Kleinen Strafkammer anders als der Richter, der in der Kleinen Strafvollstreckungskammer den Vorsitz führt (vgl. dazu: OLG Düsseldorf, a.a.O.), nicht als Einzelrichter tätig. Weiter ist - anders als im Verhältnis zwischen Großer und Kleine Strafkammer - der Einzelrichter in der Kleinen Strafvollstreckungskammer regelmäßig Mitglied der Großen Strafvollstreckungskammer (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 78b GVG Rn. 4). Bildeten Große und Kleine Strafkammer einen einheitlichen Spruchkörper, dürfte es nur einen Vorsitzenden geben, um die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu gewährleisten. Dazu steht jedoch die Praxis der Präsidien im Widerspruch, unterschiedliche Richter mit dem Vorsitz bei der Kleinen und Großen Strafkammer zu betrauen.

ee)

19

Gegen eine Tätigkeit eines Proberichters als Vertreter des Vorsitzenden einer Kleinen Strafkammer spricht schließlich nicht, dass sich eine § 29 Abs. 1 Satz 2 GVG, der nur für das Amtsgericht gilt , entsprechende Vorschrift nicht in dem fünften Titel des GVG findet, der sich mit den Landgerichten befasst. So erscheint es zwar als widersprüchlich, dass ein Proberichter in seinem ersten Jahr nach seiner Ernennung den Vorsitz in der Berufungskammer, die auch über Berufungen gegen Urteile des Schöffengerichts entscheidet, nicht aber den Vorsitz beim Schöffengericht führen darf. Jedoch ist zu bedenken, dass die Kleine Strafkammer gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 GVG auch für Berufungen gegen Urteile des Strafrichters zuständig ist. Strafrichter kann jedoch jeder Proberichter sein. Eine Regelungslücke ließe sich allenfalls durch eine entsprechende Anwendung des § 29 Abs. 1 Satz 2 GVG auf die Besetzung der Kleinen Strafkammer schließen, soweit - wie vorliegend - ein Urteil des Schöffengerichts angefochten wird. Jedoch lässt sich aus dem Fehlen einer entsprechenden Vorschrift für das Landgericht nicht schlussfolgern, dass ein Proberichter generell nicht in der Kleinen Strafkammer einsetzbar ist. Soweit in der alten höchstrichterlichen Rechtsprechung auf die „Natur der Sache“ Bezug genommen wird (BGHSt 13, 262, 265 a.E.), ist das kein taugliches Auslegungskriterium. Die Besetzung des Gerichts und die Vertretung des Vorsitzenden müssen eindeutig geregelt sein. Der Gesetzgeber hat in vielen Fällen (vgl. etwa § 22 Abs. 5 Satz 2 StPO) die Verwendung von Proberichtern eingeschränkt. Hätte er Proberichter als Vertreter des Vorsitzenden der Kleinen Strafkammer ausschließen wollen, hätte er - wie sonst auch - eine ausdrückliche Regelung getroffen. Schließlich ist insbesondere bei der Kleinen Strafkammer eine eindeutige Regelung vorzugswürdig. Denn bei der Kleinen Strafkammer findet keine Rügepräklusion statt (s.o. A), was Besetzungsrügen Tür und Tor öffnet.

20

Festzuhalten ist, dass ein Proberichter den Vorsitz in der Kleinen Strafkammer führen kann und insoweit kein Besetzungsfehler gegeben ist. Ob - was die Verteidigerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zu Recht bezweifelt haben mag - der Einsatz eines Proberichters als Vertreter des Vorsitzenden sachgerecht erscheint, hat nicht der Senat, sondern das Präsidium zu entscheiden.

c)

21

Nach Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft ist die Berufungskammer auch deshalb nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen, weil das Präsidium mehrere Stellvertreter ohne Rangfolge bestimmt habe (vgl. Seite 5 der Antragschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 27.03.2019, Bl. 8/Bd. IV d. A.). Der Generalstaatsanwaltschaft ist darin zuzustimmen, dass das Präsidium des Landgerichts jeweils nur einen Richter zum Vertreter des Vorsitzenden bestellen darf (OLG Hamm, Beschluss vom 04.11.2003, Az.: 3 Ss 572/03, Rn. 32). Denn dieser hat die Aufgabe, im Falle der vorübergehenden Verhinderung des Vorsitzenden dessen Funktion, nämlich einen richtungsweisenden Einfluss auf die Tätigkeit des Spruchkörpers auszuüben, zu übernehmen (OLG Hamm, a.a.O.). Dennoch ist es zulässig und auch geboten (Zöller/Lückemann, ZPO, 31. Aufl., § 21c Rn. 16), weitere Vertreter des Vorsitzenden zu bestellen, um auch für den Fall der Verhinderung des Vorsitzenden und dessen (ersten) Stellvertreters gewappnet zu sein. Aus Artikel 101 Abs. 1 Satz 2 GG und § 16 Abs. 1 Satz 2 GVG, wonach niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf, ergibt sich jedoch, dass das Präsidium die Reihenfolge der Hinzuziehung zu bestimmen hat. Das Gebot der vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts und der Bestimmbarkeit des gesetzlichen Richters gilt nicht nur für das Gericht als organisatorische Einheit oder das erkennende Gericht als Spruchkörper, sondern auch für die im Einzelfall zur Entscheidung berufenen Richter (OLG Hamm, a.a.O., Rn. 36).

22

Entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft hat sich das Präsidium des Landgerichts (noch) an diese Vorgaben gehalten. Im besonderen Teil des Geschäftsverteilungsplanes für die 2. Kleine Strafkammer ist die Vertretung wie folgt geregelt:

23

Vertretung Richterin …Vorsitzende Richterin am Landgericht ..., Richter am Landgericht ..., Richterin am Landgericht Herr ...“

24

Zwar hat das Präsidium davon abgesehen, durch die Hinzufügung von Ziffern oder Buchstaben eine Rangfolge vorzugeben. Eine solche enthalten auch nicht die allgemeinen Vertretungsreglungen im vorgenannten Geschäftsverteilungsplan (Teil IV). Dennoch ergibt sich nach der Auffassung des Senats aus der Aneinanderreihung der Vertreter mit noch ausreichender Deutlichkeit die Reihenfolge der Hinzuziehung. Anders als der Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft misst der Senat dem Umstand, dass die Vertreter nicht untereinander, sondern nebeneinander stehen, keine entscheidende Bedeutung bei. Die lateinische Schrift ist eine waagerechte rechtsläufige Schrift, das heißt, sie wird von links nach rechts geschrieben und gelesen (https://de.wikipedia.org/wiki/Schreibrichtung). Aus Teil IV Ziff. 1 1.2 des Geschäftsverteilungsplans ergibt sich entgegen der Auffassung des Vertreters der Generalstaatsanwaltschaft nichts anderes. Danach ist innerhalb der zur Vertretung verpflichteten Kammer zunächst der/die an letzter Stelle stehende Richter/in, dann der/die Vorletzte, usw. (einschließlich des/der Vorsitzenden) zur Vertretung berufen. Diese Regelung ist hier nicht einschlägig, denn es geht nicht um die Frage, welcher Richter innerhalb einer zur Vertretung berufenen Kammer heranzuziehen ist, sondern um die Vertretung des Vorsitzenden.

25

Danach war die Proberichterin zur Vertretung berufen, denn sie stand an erster Stelle der Vertretungskette.

26

Anders lag es in dem vom Oberlandesgericht Hamm entschiedenen Fall. Dort hatte das Präsidium einerseits im besonderen Teil des Geschäftsverteilungsplans eine Richterin am Amtsgericht zur stellvertretenden Vorsitzenden bestellt, andererseits nach der allgemeinen Vertretungsregelung für den Fall der Verhinderung des Vorsitzenden der XI. Strafkammer den Vorsitzenden der XIII. Strafkammer zum Vertreter bestimmt (OLG Hamm, a.a.O., Rn. 34).

27

Festzuhalten ist, dass die Kleine Berufungskammer ordnungsgemäß besetzt war, womit die Besetzungsrüge gemäß § 338 Nr. 1 StPO nicht durchgreift.

B.

28

Mit der weiteren zulässig erhobenen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) Verfahrensrüge beanstandet die Verteidigung eine Verletzung der Belehrungspflicht aus den §§ 332, 257c Abs. 3 Satz 1 StPO, der Mitteilungspflicht aus den §§ 332, 243 Abs. 4 Satz 2 StPO und der Protokollierungspflicht aus den §§ 332, 273 Abs. 1a StPO.

29

Der ausreichende Tatsachenvortrag des Angeklagten (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) geht dahin, dass die Verteidigung und die Nebenklage die Führung eines Rechtsgesprächs in der Hauptverhandlung angeregt hätten. Bei diesem in Abwesenheit des Angeklagten geführten Gespräch habe der Vertreter der Staatsanwaltschaft deutlich gemacht, dass er immer noch eine unbedingte Haftstrafe anstrebe. Daraufhin habe die Vorsitzende mitgeteilt, dass der Angeklagte im Falle einer Verurteilung mit einer Freiheitsstrafe im Bereich von 3 Jahren rechnen müsse. Eine Bewährungsstrafe sei daher nur dann möglich, wenn die Staatsanwaltschaft ihre Berufung zurücknehme. Die Staatsanwaltschaft habe eine entsprechende Erklärung von einer Beschränkung der Berufung des Angeklagten auf den Rechtsfolgenausspruch abhängig gemacht. Tatsächlich hätten absprachegemäß die Staatsanwaltschaft ihre Berufung zurückgenommen und der Angeklagte seine Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.

30

Daraus ergibt sich keine Verständigung im Sinne von §§ 332, 257c Abs. 3 Satz 1, 332, 243 Abs. 4 Satz 2 und §§ 332, 273 Abs. 1a StPO, womit die Verfahrensrüge als unbegründet zu verwerfen ist.

31

Bei einer Verständigung handelt es sich um eine sogenannte dreiseitige Vereinbarung des Gerichts mit den Verfahrensbeteiligten, namentlich der Staatsanwaltschaft und dem Angeklagten. Das ergibt sich schon aus § 257c Abs. 3 Satz 4 StPO, wonach die Verständigung zustande kommt, wenn Angeklagter und Staatsanwaltschaft dem Vorschlag des Gerichts zustimmen (Meyer-Goßner, StPO, 61. Aufl., § 257c Rn. 3; Temming in: Gercke/Julius/Temming/Zöller, StPO, 6. Aufl., § 257c Rn. 4; Stuckenberg in: Loewe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 257c Rn. 45). Eine Beteiligung des Gerichts an der von der Verteidigerin geschilderten Absprache ergibt sich nicht aus deren Vortrag, vielmehr beschreibt die Verteidigung lediglich eine Vereinbarung zwischen ihr und der Staatsanwaltschaft. Eine Beteiligung des Gerichts war auch nicht erforderlich, weil die Zurücknahme eines Rechtsmittels nach Beginn der Hauptverhandlung gemäß § 300 Satz 1 StPO nur der Zustimmung des Gegners, jedoch nicht des Gerichts bedarf.

32

Soweit die Vorsitzende auf Nachfrage der Verteidigung und der Nebenklage ihre Einschätzung der Rechts- und Beweislage gegeben hat, begründet dies noch keine Verständigung im Sinne von § 257c StPO. Ein solches Gespräch über die Aussichten eines Rechtsmittels ist in Berufungsverhandlungen nicht unüblich und gemäß § 257b StPO auch zulässig. Der Auskunft der Vorsitzenden fehlt die für eine Verständigung im Sinne von § 257c StPO vorausgesetzte Verknüpfung zwischen einer vom Gericht in Aussicht gestellten Strafzumessung und der angeregten Berufungsbeschränkung (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 29.12.2015, Az.: III-2 RVs 47/15, Rn. 15, juris). Die Verteidigerin trägt auch nicht vor, dass das Gericht eine mildere Strafe als das Amtsgericht in Aussicht gestellt habe. Dagegen spricht schon, dass die Berufungskammer die Berufung des Angeklagten vollumfänglich verworfen hat.

33

Festzuhalten ist, dass keine Verständigungsgespräche im Sinne von § 257c StPO in der Hauptverhandlung vor der Berufungskammer stattgefunden haben. Damit scheiden die Verstöße gegen die Belehrungs-, Mitteilungs- und Protokollierungspflichten, welche der Angeklagte rügt, aus.

C

34

Auf die zulässige Revision prüft das Revisionsgericht von Amts wegen, ob das Berufungsgericht über alle Bestandteile des ersten Urteils des Amtsgerichts entschieden hat, die von der Berufung erfasst werden, mithin auch die Wirksamkeit der Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch (Meyer-Goßner, 61. Aufl., § 318 Rn. 33, § 352 Rn. 4).

1.

35

Eine wirksame Beschränkung setzt voraus, dass das angefochtene Urteil eine Prüfung des Rechtsfolgenausspruchs ermöglicht. Eine Beschränkung ist insbesondere dann nicht zulässig, wenn die Feststellungen des Amtsgerichts zur Tat so knapp, unvollständig, unklar oder widersprüchlich sind, dass sie keine hinreichende Grundlage für die Prüfung der Rechtsfolgenentscheidung bilden. Hierbei ist eine Berufungsbeschränkung nicht etwa schon deshalb ausgeschlossen, weil das Erstgericht geltendes Recht falsch angewendet hat; eine fehlerhafte Subsumtion hindert die Beschränkung der Berufung nicht (OLG Hamm, Beschluss vom 22.11.2017, Az.: III-1 RVs 79/17, Rn. 12, juris).

36

Das Amtsgericht hat nach den vorgenannten Maßstäben ausreichende Feststellungen getroffen. Insoweit nimmt der Senat Bezug auf die zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft auf Seite 6 der Antragsschrift vom 27.03.2019, Bl. 9/Bd. IV d. A.). Entgegen der Auffassung der Verteidigung (vgl. die Stellungnahme der Verteidigerin vom 11.04.2019) ist es unschädlich, dass das Amtsgericht in seinem Urteil seine Feststellung, der Angeklagte habe um das Alter der Geschädigten gewusst (Seite 5, UA), nicht näher begründet hat. Maßgebend sind allein die Feststellungen des Amtsgerichts, nicht dessen Beweiswürdigung. Denn allein die Feststellungen und nicht die Beweiswürdigung bilden die Grundlage für die Prüfung der Rechtsfolgenentscheidung (vgl. dazu Meyer-Goßner, a.a.O., Rn. 16). Soweit die Verteidigerin beanstandet, dass offenbleibe, ob der Angeklagte planvoll vorgegangen sei und seine Autorität als Feuerwehrmann ausgenutzt habe, tut das nichts zur Sache. Denn das Berufungsgericht ist unter keinem verfahrensrechtlichen Gesichtspunkt daran gehindert - soweit erforderlich - eigene Feststellungen zu den Beweggründen der Tat und deren Gegebenheiten zu treffen und dadurch den für die Rechtsfolgenentscheidung maßgebenden Schuldumfang näher zu bestimmen (BGH, Beschluss vom 27.04.2017, Az.: 4 StR 547/16, Rn. 22, juris).

2.

37

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Verteidigerin Zweifel an der Wirksamkeit der Rechtsmittelbeschränkung geäußert, weil der Angeklagte stimmungsbedingt nicht in der Lage gewesen sei, die Tragweite seiner Rechtsmittelbeschränkung zu erfassen. Diese Zweifel teilt der Senat nicht. Ohnehin stellte eine emotionale Aufgewühltheit die Wirksamkeit einer Prozesshandlung nicht in Frage (vgl. zum Rechtsmittelverzicht: BGH, Beschluss vom 03. Juli 2018 – 4 StR 227/18 –, Rn. 8, juris).

D.

38

Auch mit der Sachrüge hat der Angeklagte keinen Erfolg. Das gilt insbesondere für die Strafzumessung, die gemäß § 46 StGB grundsätzlich Sache des Tatgerichts ist, dem dabei ein weiter Beurteilungs- und Ermessenspielraum zusteht (Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 29. Juli 2019 – 2 Rev 26/19 –, Rn. 17, juris).

39

Solche Ermessens- und Beurteilungsfehler sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist nicht zu beanstanden, dass die Kammer einen besonders schweren Fall gemäß § 177 Abs. 2 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 StGB a.F. angenommen hat. Die Kammer hat gegen den Angeklagten die in § 52 Abs. 2 Satz 2 StGB in Verbindung mit § 177 Abs. 2 StGB a.F. vorgesehene Mindeststrafe verhängt, was insoweit einen revisionsrechtlich beachtlichen Strafzumessungsfehler zu seinen Ungunsten ausschließt.

III.

40

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

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