Urteil vom Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken - 1 U 32/08 - 9

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das am 13.12.2007 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken – 2 O 77/05 – wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

A.

Die Klägerin nimmt den Beklagten, bei dem es sich um ihren ehemaligen Pflegevater handelt, wegen behaupteten sexuellen Missbrauchs an ihr zwischen Herbst 2001 im Herbst 2002 auf Zahlung von Schmerzensgeld und Feststellung der Ersatzpflicht für materielle und immaterielle Zukunftsschäden in Anspruch.

Die am … 1989 geborene Klägerin war seit ihrem fünften Lebensjahr in einer Wohngruppe im H. J. Haus in B. untergebracht gewesen. Hintergrund dieser Unterbringung war der Umstand, dass die Mutter der Klägerin sich wegen einer schweren fortschreitenden Krankheit (Lateralsklerose) nicht mehr um sie kümmern und auch ihr Vater, der Zeuge H. J. S., wegen seiner Berufstätigkeit nicht mehr ausreichend Zeit für sie erübrigen konnte. Im Jahr 1997 wurde bei der Klägerin gutachterlich eine Lernbehinderung und eine Entwicklungsverzögerung attestiert, infolge derer sie auf die Sonderschule L in D. wechselte. Bei der Klägerin setzte früh die Pubertät ein, im Alter von 9-10 Jahren hatte sie ihre erste Menstruation. Etwa ab dem Alter von 10 ½ Jahren nahm die Klägerin sexuelle Kontakte zu einem damals fast fünfzehnjährigen Jungen aus ihrer Wohngruppe auf, wobei es auch zum freiwilligen Geschlechtsverkehr mit diesen Jungen mit dem Namen D. kam. Bei der Klägerin traten bereits früh erhebliche Verhaltensauffälligkeiten auf; sie log und zeigte aggressive und autoaggressive Verhaltensweisen, wenn ihr etwas nicht passte.

Am 21.7.2001 wurde die Klägerin mit Einwilligung ihres Vaters in den Haushalt des Beklagten und seiner Ehefrau, der Zeugin K., als Pflegekind aufgenommen. Etwa ab November 2001 kam es zu ersten Konflikten in der Pflegefamilie. Wegen der näheren Einzelheiten und des weiteren Verlaufs des Aufenthalts der Klägerin in der Familie des Beklagten wird auf die Darstellung im Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 24.5.2004 – 5 25/03 IV (21 Js 461/03) auf Seiten 7 – 10, Bl. 375 – 377 der BA 21 Js 461/03 der Staatsanwaltschaft Saarbrücken, Bezug genommen.

Im Frühsommer 2002 wurde die Klägerin an ihrer Schule Opfer eines sexuellen Missbrauchs durch den Mitschüler M. W.. Dieser hat die Tat, bei der er die damals dreizehnjährige Klägerin hinter ein Klavier führte und ihr mit der Hand zunächst in die Hose an die Scheide fasste und sodann vor ihr bis zur Ejakulation onanierte, eingeräumt und wurde durch rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts Homburg vom 5.1.2004 – 14 Ds 33/03 (22 Js 477/03) rechtskräftig verurteilt.

Im Dezember 2002 griff die Klägerin dem Beklagten von hinten über der Hose an das Geschlechtsteil. Der Beklagte und seine Ehefrau beendeten daraufhin das Pflegeverhältnis zu der Klägerin. Die Klägerin befand sich ab diesem Zeitpunkt in der Obhut ihres leiblichen Vaters.

Im Januar 2003 wurde gegen den Beklagten unter dem Aktenzeichen 21 Js 461/03 der Staatsanwaltschaft Saarbrücken ein Ermittlungsverfahren wegen sexuellen Missbrauchs zum Nachteil der Klägerin eingeleitet. Ausgangspunkt für die Einleitung des Ermittlungsverfahrens war eine entsprechende Anzeige des Vaters der Klägerin vom 22.1.2003, der vorausgegangen war, dass die Klägerin zunächst ihrer Patentante, der Zeugin Frau K. gegenüber, und später, am 7.1.2003, auch der Zeugin Frau R. vom Jugendamt gegenüber entsprechende Mißbrauchsvorwürfe geäußert hatte.

Die Klägerin wurde im Folgenden mehrfach von unterschiedlichen Personen wegen der streitgegenständlichen Vorwürfe befragt beziehungsweise vernommen, u.a. am 21.1.2003 von der Psychologin S. M., am 22.1.2003 von der Polizeibeamtin A., am 30.1.2003 von der Polizeibeamtin G. und am 24.6.2003 von der Sachverständigen Dr. R.-J..

Mit dem oben bereits angeführten Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 24.5.2004 – 5 25/03 IV (21 Js 461/03) wurde der Beklagte wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in einem Fall sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen, in allen vier Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, begangen jeweils zum Nachteil der Klägerin, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Das Urteil ist rechtskräftig. Die Revision des Beklagten wurde durch Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 16.11.2004 als unbegründet verworfen. Auch ein Wiederaufnahmeantrag des Beklagten wurde durch Beschluss des Landgerichts Saarbrücken vom 27.6.2005 verworfen. Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde des Beklagten wurde durch Beschluss des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 10.11.2005 als unbegründet verworfen.

Die Klägerin hat unter Bezugnahme auf die im Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 24.5.2004 – 5 25/03 IV (21 Js 461/03) näher konkretisierten vier Taten behauptet, zwischen Herbst 2001 im Herbst 2002 sei es zu sexuellen Übergriffen des Beklagten ihr gegenüber gekommen. Sie hat behauptet, sie leide seit diesen Vorfällen an krampfartigen Ohnmachtanfällen. Diese seien auf die Taten des Beklagten zurückzuführen.

Die Klägerin hat beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, welches den Betrag von 20.000 EUR nicht unterschreiten sollte, nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 6.12.2004 zu zahlen;

2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin alle künftigen materiellen und immateriellen Schäden für die zwischen Herbst 2001 und Herbst 2002 erlittenen sexuellen Übergriffe zu ersetzen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat die ihm vorgeworfenen Taten bestritten und geltend gemacht, das im Strafverfahren eingeholte Glaubhaftigkeitsgutachten der Sachverständigen Dr. R.-J. vom 21.8.2003, in welchem die Aussagen der Klägerin mit hoher Wahrscheinlichkeit als glaubhaft eingeschätzt wurden, leide unter einer Vielzahl methodischer Fehler und halte sich nicht an die vom Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 30.7.1999 – 1 StR 618/98 - aufgestellten Kriterien für ein Glaubhaftigkeitsgutachten, weshalb dieses Gutachten gerichtlich nicht verwertbar sei.

Bezüglich der im Urteil des Landgerichts vom 24.5.2004 – 5 25/03 IV (21 Js 461/03) unter Ziffer III.2, auf Seite 11, Bl. 379 der BA 21 Js 461/03 der Staatsanwaltschaft Saarbrücken geschilderten Tat hat der Beklagte behauptet, er habe ein Alibi für den Tatzeitraum.

Das Landgericht hat die Klage nach persönlicher Anhörung beider Parteien sowie einer ergänzenden Zeugenvernehmung abgewiesen. Auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung, Bl. 418 ff. GA, wird auch hinsichtlich der darin getroffenen Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.

Das Urteil des Landgerichts Saarbrücken ist der Klägerin am 14.12.2007 zugestellt worden, Bl. 449 GA. Mit am 14.1.2008 eingegangenem Schriftsatz hat die Klägerin beantragt, ihr für die Durchführung des Berufungsverfahrens Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Sie hat in der Begründung des Prozesskostenhilfeantrages geltend gemacht, dass das erstinstanzliche Urteil auf einer Rechtsverletzung beruhe, weil das Landgericht es unterlassen habe, die angebotenen Beweismittel auszuschöpfen, insbesondere ein Gutachten zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin einzuholen. Vorliegend sei entscheidend zu berücksichtigen, dass in dem vorausgegangenen Strafverfahren eine Minderbegabung der Klägerin festgestellt worden sei und aufgrund dessen an die Beurteilung der Glaubwürdigkeit beziehungsweise der Glaubhaftigkeit ihrer Aussage besondere Anforderungen gestellt werden müssten. Die Frage der Glaubhaftigkeit lasse sich vorliegend nicht mit der bloßen Aufdeckung von Widersprüchen abschließend entscheiden. Soweit das Landgericht nach ausführlicher kritischer Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen der Strafkammer sowie dem dort zugrunde gelegten Sachverständigengutachten zu der Auffassung gelangt sei, dass insoweit beachtliche Mängel vorliegen, habe sich das Landgericht damit nicht begnügen dürfen. Vielmehr sei eine erneute Begutachtung unter Berücksichtigung der Mängel anzuordnen gewesen. Auch habe eine Parteivernehmung – die anders als die Parteianhörung förmliches Beweismittel sei – stattfinden müssen.

Mit Beschluss vom 18.3.2008, Bl. 463/464 GA, der der Klägerin am 26.3.2008 zugestellt worden ist, Bl. 465 GA, wurde der Klägerin Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Berufungsverfahrens bewilligt.

Mit am 9.4.2008 eingegangen Schriftsatz hat die Klägerin unter Wiederholung ihres Vorbringens aus dem Prozesskostenhilfeantrag Berufung eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist für die Einlegung der Berufung als auch für deren Begründung begehrt, Bl. 467 ff. GA.

Weiterhin beantragt die Klägerin,

das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 13.12.2007, Az. 2 O 77/05, aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen,

1. an die Klägerin ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, welches den Betrag von 20.000 EUR nicht unterschreiten sollte, nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 6.12.2004 zu zahlen;

2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin alle künftigen materiellen und immateriellen Schäden für die zwischen Herbst 2001 und Herbst 2002 erlittenen sexuellen Übergriffe zu ersetzen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Er macht geltend, ein Verstoß gegen die Grundsätze der freien Beweiswürdigung liege nicht vor. Dass das Landgericht dem Beweisangebot auf Einholung eines weiteren Glaubhaftigkeitgutachtens nicht gefolgt sei, stelle keine Überschreitung des pflichtgemäßen Ermessens des Landgerichts dar. Hilfsweise beruft sich der Beklagte darauf, dass auch die Einholung eines solchen weiteren Gutachtens zu dem Ergebnis führe, dass es zwischen Herbst 2001 und Herbst 2002 zu keinen sexuellen Übergriffen des Beklagten gegenüber der Klägerin gekommen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsprotokolle vom 8.7.2009, Bl. 554 ff. GA, und vom 25.5.2011, Bl. 906 ff. GA, Bezug genommen.

Der Senat hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 3.9.2008, Bl. 512/513 GA. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschriften vom 8.7.2009, Bl. 554 ff. GA und vom 25.5.2011, Bl. 906 ff. GA sowie auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Herrn Prof. Dr. S. vom 1.4.2010, Bl. 611 ff. GA, Bezug genommen. Die Akten 21 Js 461/03 und 22 Js 477/03 der Staatsanwaltschaft Saarbrücken sind beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden.

B.

Dem Rechtsmittel der Klägerin bleibt der Erfolg versagt. Die Berufung der Klägerin ist zulässig aber unbegründet.

I.

Die Berufung ist zulässig. Insbesondere sind die in §§ 517, 520 ZPO bestimmten Fristen für die Einlegung und Begründung der Berufung gewahrt. Denn die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist sind erfüllt, §§ 233, 234, 236 ZPO. Die Klägerin war ohne ihr Verschulden gehindert, die Notfrist für die Einlegung der Berufung, § 517 S. 2 ZPO, zu wahren, weil sie ohne Bewilligung von Prozesskostenhilfe das Rechtsmittel nicht hat einlegen beziehungsweise das Rechtsmittelverfahren nicht hat durchführen können. Sie hat auch innerhalb der im Gesetz bestimmten Frist von zwei Wochen nach Bewilligung der Prozesskostenhilfe die versäumte Prozesshandlung nachgeholt.

II.

In der Sache bleibt das Rechtsmittel jedoch ohne Erfolg.

Das Urteil des Landgerichts vom 15.1.2009 beruht weder auf einem Rechtsfehler, § 546 ZPO, noch rechtfertigen die nach §§ 529, 531 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine der Klägerin günstigere Entscheidung.

Das Landgericht hat zu Recht dahin erkannt, dass der Klägerin gegen den Beklagten kein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes gemäß §§ 823 Abs. 1, 823 Abs. 2, 847 BGB a.F., § 176 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 StGB a.F., § 176 Abs. 1 StGB, 174 Abs. 1 Nr. 1 a, Nr. 2 StGB a.F. für die vor dem 31.7.2002 behaupteten sexuellen Missbrauchshandlungen bzw. nach §§ 825, 253 Abs. 2 BGB n.F. für die nach dem 31.7.2002 geltend gemachten Missbrauchshandlungen zusteht.

1.

Voraussetzung für die in Rede stehenden Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche ist jeweils die Verletzung des Körpers, der Gesundheit oder der sexuellen Selbstbestimmung der Klägerin durch den Beklagten. Der Beklagte hat die ihm vorgeworfenen Taten bestritten. Der Nachweis des Haftungsgrundes unterliegt den strengen Anforderungen des Vollbeweises (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 8.7.2008 - VI ZR 274/07, zitiert nach Juris m.w.N.). Danach hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht für wahr zu erachten ist. Die nach § 286 ZPO erforderliche Überzeugung des Richters erfordert keine absolute oder unumstößliche Gewissheit und auch keine "an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit", sondern nur einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet (vgl. BGH, a.a.O.; BGH, Urteile vom 9.5.1989 - VI ZR 268/88, vom 28.1.2003 - VI ZR 139/02 sowie vom 18.4.1977 - VIII ZR 286/75; alle zitiert nach Juris).

2.

Das Landgericht hat sich in Anbetracht der Tatsache, dass die Klägerin sich für die behaupteten Tatvorwürfe primär auf das strafgerichtliche Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 24.5.2004 – 5 25/03 IV (21 Js 461/03) gestützt hat und ausgehend von dem Grundsatz, dass ein strafgerichtliches Urteil für den Zivilprozess zwar keine Bindungswirkung entfaltet, § 14 Abs. 2 Nr. 1 EGZPO, gleichwohl aber die in einem Strafurteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen im Zivilprozess im Wege des Urkundenbeweises als Beweismittel verwertet werden können (OLG Zweibrücken, Urteil vom 1.7.2010 - 4 U 7/10;KG, Urteil vom 25.1.2006, - 11 U 15/04; beide zitiert nach Juris, m.w.N.) und bei einer Identität des den Gegenstand des Zivilprozesses und des Strafverfahrens bildenden Sachverhalts der Zivilrichter das rechtskräftige Strafurteil nicht unberücksichtigt lassen darf, sondern gehalten ist, sich mit den Feststellungen auseinander zusetzen, die für seine Beweiswürdigung relevant sind (BGH, Beschluss vom 16.3.2005 – IV ZR 140/04, zitiert nach Juris; OLG Zweibrücken, a.aO.), zunächst intensiv und umfassend mit den Feststellungen des Strafurteils des Landgerichts Saarbrücken vom 24.5.2004 – 5 25/03 IV (21 Js 461/03) und dem in diesem Verfahren eingeholten aussagepsychologischen Gutachten der Sachverständigen Frau Dr. R.-J. vom 21.8.2003 auseinandergesetzt und ist auf der Grundlage einer ausgewogenen Überprüfung zu der Erkenntnis gelangt, dass die im Strafurteil getroffenen Feststellungen zu den Tatvorwürfen nicht ausreichen, um unter Anwendung der vom Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 30.7.1999 – 1 StR 618/98 entwickelten Rechtsprechung die zu bildende Nullhypothese zu Gunsten der Klägerin als widerlegt anzusehen.

Dieser Beurteilung, gegen die die Berufung auch nichts beanstandet, tritt der Senat vollinhaltlich bei und nimmt insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen auf die überzeugenden Ausführungen des Landgerichts gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug. Hinzuzufügen ist dem lediglich noch, dass die vom Senat ergänzend durchgeführte Beweisaufnahme die vom Landgericht angenommenen gravierenden methodischen Mängel des im Strafverfahren eingeholten aussagepsychologischen Gutachtens der Sachverständigen Frau Dr. R.-J. vom 21.8.2003 nachhaltig bestätigt hat. Der vom Senat beauftragte Sachverständige Herr Prof. Dr. S. hat zu diesem Gesichtspunkt in seinem Gutachten vom 1.4.2010 auf Seite 238, Bl. 848 GA, ausgeführt:

„Die vom Landgericht diesbezüglich festgestellten Mängel und daraus abgeleiteten Fehleinschätzungen können aus unserer sachverständigen Sicht vollumfänglich bestätigt werden. Das Gutachten von Frau Dr. R.-J. beinhaltet gravierende methodische Mängel: Die Erhebung der biografischen - und der Sexualanamnese sind unzulänglich, es wurde kein Abgleich zwischen den Angaben von Frau S. und den vorliegenden fremdanamnestischen Befunden vorgenommen, es wurde kein Aussagevergleich zwischen dem habituellen Aussageverhalten und den aus der Exploration abgeleiteten Einschränkungen vorgenommen, es wurde keine solide merkmalsorientierte aussagepsychologische Begutachtung unter strenger Zugrundelegung der Nullhypothese durchgeführt, eine detaillierte Betrachtung von suggestiven Einflüssen fand nicht statt, dies speziell auch im Hinblick auf die während der Begutachtung noch durchgeführte Traumatherapie mit einem für Kinder und Jugendliche nicht anerkannten Verfahren.“

Diese Beurteilung des Sachverständigen macht sich der Senat zu Eigen. Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit dieser Ausführungen begründen könnten, sieht der Senat nicht. Der Feststellung des Sachverständigen steht insbesondere nicht entgegen, dass der vierte Strafsenat des Bundesgerichtshofs auf die Stellungnahme des Generalbundesanwalts vom 28.9.2004, Bl. 861 ff. GA, keine Veranlassung gesehen hat, die Verurteilung des Beklagten aufgrund vermeintlich fehlerhafter Beweiserhebung aufzuheben, sondern die Revision des Beklagten durch Beschluss vom 16.11.2004, Bl. 866 GA, als unbegründet verworfen hat. Zwar hat der Generalbundesanwalt, wie die Klägerin zutreffend in ihrem Schriftsatz vom 18.8.2010, Bl. 855, 860 GA, anführt, sich in seiner Stellungnahme vom 28.9.2004 auch durchaus eingehend mit der Beweiswürdigung des Landgerichts in dessen Urteil vom 24.5.2004 – 5 25/03 IV (21 Js 461/03) befasst. Zu der Sachverständigen Frau Dr. R.-J. heißt es in der Stellungnahme des Generalbundesanwalts jedoch nur, dass Zweifel an ihrer Sachkunde oder den angewandten Untersuchungsmethoden nicht bestehen, solche trage die Revision selbst nicht vor. Eine ausführliche und eingehende Auseinandersetzung gerade auch mit den Untersuchungsmethoden der Sachverständigen Frau Dr. R.-J. hat demnach von Seiten des Generalbundesanwalts nicht stattgefunden, jedenfalls ergibt sich dies aus der angeführten Stellungnahme nicht.

Lediglich ergänzend ist noch hinzuzufügen, dass der Senat in seiner auf die Ausführungen von Herrn Prof. Dr. S. gestützten Einschätzung zu den methodischen Mängeln des Gutachtens der Sachverständigen Frau Dr. R.-J. auch durch das seitens des Beklagten vorgelegte Privatgutachten des Herrn Dr. R2 vom 11.9.2006, Bl. 187 ff. GA, bekräftigt wird. Dieses Privatgutachten war als urkundlich belegter, qualifizierter Parteivortrag zu verwerten (BGH, NJW 1993, 2382/3) und durfte in die Beweiswürdigung des Senats gemäß § 286 ZPO mit einfließen (Saarländisches Oberlandesgericht, Urteil vom 4 U 129/08 - 42, 4 U 129/08, zitiert nach Juris). Schon Herr Dr. R2 hatte in seiner gutachterlichen Stellungnahme unter Ziffer 6, auf Seiten 35 – 40, Bl. 221 ff. GA, eine Vielzahl von methodischen Mängeln in der Begutachtung der Sachverständigen Frau Dr. R.-J. aufgezeigt. Insbesondere hatte auch er bereits eine unzureichende Sexualanamnese, eine äußerst dürftige merkmalsorientierte aussagepsychologische Analyse der Aussagen und eine unzureichende Berücksichtigung suggestiver Einflüsse auf die Klägerin bemängelt. Rückblickend stützt daher das Privatgutachten von Herrn Dr. R2 die Feststellungen des gerichtlich beauftragten Sachverständigen und somit auch die Einschätzung des Senats.

Der Senat ist daher - ebenso wie das erstinstanzliche Gericht – nicht schon aufgrund der urkundlichen Verwertung des Strafurteils des Landgerichts Saarbrücken vom 24.5.2004 – 5 25/03 IV (21 Js 461/03) mit der für eine Verurteilung erforderlichen hinreichenden Gewissheit davon überzeugt, dass der Beklagte die Klägerin mehrfach sexuell missbraucht hat.

3.

Die Klägerin hat die dem Beklagten vorgeworfenen sexuellen Missbrauchshandlungen unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses der Beweisaufnahme, insbesondere der vor dem Senat durchgeführten (erneuten) persönlichen Anhörung der Parteien sowie des ergänzend eingeholten aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens des Sachverständigen Herrn Prof. Dr. S., auch nicht anderweit zur Überzeugung des Senats zu beweisen vermocht. Das Ergebnis der vor dem Senat ergänzend durchgeführten Beweisaufnahme bestätigt vielmehr das Ergebnis der landgerichtlichen Entscheidung.

a.

Das Landgericht hat nach der Feststellung, dass die im Strafverfahren getroffene Entscheidung und das dort eingeholte Sachverständigengutachten nicht als Grundlage für seine Überzeugungsbildung nach § 286 ZPO geeignet sind, in einem zweiten Schritt der Beweiswürdigung die persönlichen Angaben der Klägerin in deren Parteianhörung eingehend ausgewertet und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die weitgehend nur pauschal gehaltenen Angaben der Klägerin zu den Tatvorwürfen zugleich eine Vielzahl von Ungereimtheiten und Widersprüchen aufwiesen und deshalb nicht geeignet waren, den Nachweis für die behaupteten sexuellen Missbrauchshandlungen zu erbringen. Den Antrag auf Parteivernehmung der Klägerin nach § 448 ZPO hat das Landgericht wegen Fehlens der gewissen Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der klägerischen Behauptung zurückgewiesen. Dem bereits in erster Instanz gestellten Beweisantrag auf Einholung eines (weiteren) Glaubhaftigkeitsgutachtens ist das Landgericht mit der Erwägung nicht nachgegangen, dass die Beurteilung der Glaubwürdigkeit einer Partei oder eines Zeugen zum Wesen der richterlichen Rechtsfindung gehöre und der Tatrichter daher auch in schwierigen Fällen berechtigt und verpflichtet sei, den Beweiswert einer Aussage selbst zu würdigen und er dabei im Allgemeinen nicht auf sachverständige Hilfe angewiesen sei.

b.

Die hiergegen mit der Berufung geltend gemachten Einwände bleiben im Ergebnis ohne Erfolg.

aa.

Soweit die Klägerin sich in erster Linie dagegen wendet, dass das Landgericht es unterlassen hat, ein (weiteres), von ihr beantragtes Glaubhaftigkeitsgutachten einzuholen, muss nicht abschließend entschieden werden, ob das Übergehen dieses Beweisantrages einen Verfahrensfehler begründet. Das vom Senat in der Berufungsinstanz eingeholte aussagepsychologische Gutachten des Sachverständigen Herrn Prof. Dr. S. hat nicht zum Nachweis geführt, dass die Behauptungen der Klägerin zu den sexuellen Missbrauchshandlungen des Beklagten mit hoher Wahrscheinlichkeit wahr sind. Selbst wenn man daher einen Verfahrensfehler des Landgerichts unterstellt, rechtfertigt dieser nicht eine für die Klägerin günstigere Entscheidung.

aaa.

Aussagepsychologische Gutachten (Glaubhaftigkeitsgutachten) werden in der derzeitigen Gerichtspraxis insbesondere in Strafverfahren eingeholt. Der Bundesgerichtshof hat in der bereits oben zitierten grundlegenden Entscheidung vom 30.7.1999 – 1 StR 618/98 - ein bestimmtes methodisches Grundprinzip vorgegeben, nach dem eine solche aussagepsychologische Begutachtung stattzufinden hat. Dieses methodische Grundprinzip besteht darin, einen zu überprüfenden Sachverhalt (hier: Glaubhaftigkeit der spezifischen Aussage) solange zu negieren, bis diese Negation mit den gesammelten Fakten nicht mehr vereinbar ist. Der Sachverständige nimmt daher bei der Begutachtung zunächst an, die Aussage sei unwahr (so genannte Nullhypothese). Zur Prüfung dieser Annahme hat er weitere Hypothesen zu bilden. Ergibt seine Prüfstrategie, dass die Unwahrheitshypothese mit den erhobenen Fakten nicht mehr in Übereinstimmung stehen kann, so wird sie verworfen und es gilt dann die Alternativhypothese, dass es sich um eine wahre Aussage handelt (BGH, Urteil vom 30.7.1999 – 1 StR 618/98, zitiert nach Juris).

Die Frage, ob ein solches Gutachten im Strafverfahren eingeholt werden muss, ist allerdings stets eine Frage des Einzelfalls, denn grundsätzlich gilt wie im Zivilprozess auch im Strafprozess, dass sich das Gericht bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage nicht sachverständiger Hilfe bedienen muss. Dies gilt auch für die Aussagen eines kindlichen oder jugendlichen Zeugen, der Opfer an ihm begangener Sexualdelikte geworden ist (BGH, Urteil vom 27.1.2005 - 3 StR 431/04 und BGH, Beschluss vom 22.6.2000 - 5 StR 209/00; beide zitiert nach Juris). Die Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens wird von den Strafsenaten des Bundesgerichtshofs allerdings dann als geboten gesehen, wenn der Sachverhalt oder die Person des Zeugen solche Besonderheiten aufweist, dass Zweifel daran aufkommen können, ob die Sachkunde des Gerichts auch zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit unter den gegebenen besonderen Umständen ausreicht (st.Rspr.; BGH, Beschluss vom 25. 4. 2006 - 1 StR 579/05 und BGH, Beschluss vom 22.6.2000 - 5 StR 209/00; beide zitiert nach Juris).

bbb.

Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen derartige aussagepsychologische Gutachten auch im Zivilverfahren einzuholen sind, ist bislang höchstrichterlich nicht nachhaltig geklärt. Der Senat zieht allerdings aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 24.6.2003 – VI ZR 327/02 – die Schlussfolgerung, dass die Einholung eines solchen Glaubhaftigkeitsgutachtens auch im Zivilverfahren grundsätzlich statthaft ist und die Zurückweisung eines derartigen Beweisantrages unter denselben Prämissen steht, wie im Strafverfahren, d.h. im Einzelfall die Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens auch im Zivilverfahren geboten ist. Der Bundesgerichtshof hat in der genannten Entscheidung zu der Einholung einer aussagepsychologischen Begutachtung im Zivilprozess an sich nur ausgeführt, dass ein solches dann nicht eingeholt werden muss, wenn die Behauptungen des Prozessgegners nur bestritten werden und daher keine auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Angaben des Bestreitenden vorliegen, die auf ihre inhaltliche Konsistenz, ihre Folgerichtigkeit oder sonstige situationsbezogene Einzigartigkeit hin überprüft werden könnten (BGH, Beschluss vom 24.6.2003 – VI ZR 327/02, zitiert nach Juris). Dieser Fall liegt hier aber nicht vor, denn die Klägerin hat ganz konkrete Angaben zu den Tatvorwürfen gegenüber dem Beklagten gemacht, die einer aussagepsychologischen Begutachtung zugänglich sind. Im übrigen hat der Bundesgerichtshof in der gleichen Entscheidung aber zugleich allgemein ausgeführt, dass für die Beurteilung der Eignung eines Beweismittels im Zivilprozess die gleichen Anforderungen gestellt werden wie im Strafprozess und daher auch im Zivilverfahren der Tatrichter einen Beweisantritt in Anlehnung an § 244 Abs. 3 StPO ablehnen darf, wenn das Beweismittel völlig ungeeignet ist. Wenn ein Beweismittel - in der angesprochenen Entscheidung der Einsatz eines freiwilligen Lügendetektortests - aus tatsächlichen, wissenschaftlich belegten Gründen als für die Beweisführung im Strafprozess ungeeignet angesehen wird, gelte dies in gleicher Weise auch für die Beweisführung im Zivilprozess (BGH, Beschluss vom 24.6.2003 – VI ZR 327/02, zitiert nach Juris). Aus diesen Erwägungen lässt sich aus Sicht des Senats nun ohne weiteres der Umkehrschluss ziehen, dass dann, wenn ein Beweismittel aus tatsächlichen, wissenschaftlich belegten Gründen für die Beweisführung im Strafprozess als geeignet angesehen wird, dies grundsätzlich auch für den Zivilprozess gilt. Wie eingangs dieses Abschnitts ausgeführt ist die Einholung aussagepsychologischer Gutachten im Strafverfahren ein grundsätzlich anerkanntes Beweismittel, so dass die Einholung eines solchen Gutachtens grundsätzlich auch in einem vom Sachverhalt her gleichgelagerten Zivilverfahren statthaft ist und ein entsprechender Beweisantrag nicht schlechterdings mit dem Argument abgelehnt werden kann, die Würdigung der Aussage einer Partei oder eines Zeugen obliege nur dem Gericht. Denn diese grundsätzlich zutreffende Erwägung gilt auch für den Strafprozess (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 18.8.2009 – 1 StR 155/09, zitiert nach Juris); gleichwohl ist die Einholung von Glaubhaftigkeitsgutachten nach der oben angeführten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geboten, wenn der Sachverhalt oder die Person des Zeugen solche Besonderheiten aufweist, dass Zweifel daran aufkommen können, ob die Sachkunde des Gerichts auch zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit unter den gegebenen besonderen Umständen ausreicht (BGH, Beschluss vom 25.4.2006 - 1 StR 579/05 und BGH, Beschluss vom 22.6.2000 - 5 StR 209/00; beide zitiert nach Juris). Diese Rechtsprechung lässt sich aus Sicht des Senats ohne weiteres auch auf den Zivilprozess übertragen.

ccc.

Die vorstehenden Überlegungen und die Tatsache, dass bei der Klägerin unstreitig eine unterdurchschnittliche Intelligenz vorliegt und sie bereits seit früher Kindheit erhebliche psychologische Auffälligkeiten gezeigt hat, waren Anlass für den Senat, gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 2. Hs. ZPO dem Beweisantrag auf Einholung eines (neuen) Glaubhaftigkeitsgutachtens in der Berufungsinstanz stattzugeben. Der vom Senat beauftragte Sachverständige Herr Prof. Dr. S. hat zur Beantwortung der im Beweisbeschluss vom 3.9.2008 gestellten Fragen in Bezug auf die Klägerin und deren Angaben zu den Tatvorwürfen eine

- Persönlichkeitsanalyse

- kriterienorientierte Aussagenanalyse

- Entwicklungsanalyse der Aussage

- Konstanzanalyse

- Motivanalyse

durchgeführt und die hierauf aufbauende Aussagenanalyse unter Anwendung der vom Bundesgerichtshof in der bereits mehrfach zitierten Entscheidung vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 – aufgestellten methodischen Grundsätze durchgeführt, Seite 201/202, Bl. 811/812 GA. Als Nullhypothese ist der Sachverständige davon ausgegangen, dass die Aussagen der Klägerin nicht erlebnisbegründet sind, anders ausgedrückt, dass die Klägerin ihre spezifischen Aussagen aufgrund ihrer Persönlichkeit und den Entstehungsbedingungen der Aussage auch ohne eigenen Erlebnishintergrund hätte machen können. Diese Nullhypothese hat der Sachverständige an folgenden weiteren Hypothesen überprüft:

- Konfabulationshypothese: bei den Aussagen handelt es sich um ein reines Fantasieprodukt;

- Wahrnehmungsübertragungshypothese: bei den Aussagen handelt es sich um Inhalte, die Klägerin auf andere Weise – durch Filme, Bücher Zeitschriften - erworben und auf die Person des Beklagten übertragen hat;

- Übertragungshypothese: die Klägerin hat die von ihr geschilderten sexuellen Übergriffe so erlebt, allerdings mit einer anderen Person als der des Beklagten;

- Instruktionshypothese: die Klägerin wurde von einer anderen Person gezielt instruiert, eine Falschaussage zu tätigen;

- Suggestionshypothese: die Aussage ist das Ergebnis häufiger und subjektiver Beeinflussungen im Vorfeld oder auch während der Begutachtung beziehungsweise Anzeigenerstattung bei der Polizei.

Lediglich zur Instruktionshypothese hat der Sachverständige ausgeführt, dass sich aus der Aktenlage und der Exploration der Klägerin keine Hinweise dafür ergeben, dass die Aussage auf einer bewussten Instruierung beruhen könnte, so dass der Sachverständige diese Prüfungshypothese als unwahrscheinlich zurückgewiesen hat, Seite 233, Bl. 843 GA. Bezüglich der übrigen Prüfhypothesen (Konfabulationshypothese, Übertragungshypothese und Suggestionshypothese) ist der Sachverständige demgegenüber zu dem Ergebnis gelangt, dass diese nicht verworfen werden können, Seiten 233, 235, 236, Bl. 843 – 846 GA. Der Sachverständige hat daher als Gesamtergebnis seiner Begutachtung festgehalten, dass die Nullhypothese nicht länger zurückgewiesen werden kann und dies bedeutet, dass die von der Klägerin gemachten Aussagen zu den seitens des Beklagten an ihr vorgenommenen sexuellen Handlungen als nicht ergebnisbegründet angesehen werden müssen und demnach nicht als glaubhaft einzuschätzen sind, Seite 237, Bl. 847 GA.

ddd.

Dieser Beurteilung schließt sich der Senat an. Die von der Klägerin gegen das Sachverständigengutachten erhobenen Einwände hält der Senat insgesamt nicht für durchgreifend:

(1)

Zu den Vorwürfen der Klägerin, der Sachverständige habe - ohne entsprechende Belegstellen anzuführen – angegeben, dass die Klägerin im Verlauf ihrer dargestellten Vernehmungen und Explorationen zahlreichen Suggestionen ausgesetzt gewesen sei, er sei auch nicht hinreichend darauf eingegangen, dass sie tatsächlich suggestiven Antwortvorschlägen regelmäßig nicht gefolgt sei, sondern hiervon unabhängig die jeweiligen Fragen eigenständig beantwortet habe, ist zunächst auszuführen, dass es zwar richtig ist, dass der Sachverständige in seinem Gutachten keine Belegstellen (Beispiele) für Suggestivfragen aufgeführt hat. Gleichwohl sind diese Ausführungen richtig. Der Senat nimmt insoweit erneut Bezug auf das Privatgutachten des Herrn Dr. R2 vom 11.9.2006, Bl. 187 ff. GA., in dem dieser eine Vielzahl konkreter, aus den vorgelegten Urkunden und beigezogenen Strafakten unmittelbar nachvollziehbare Beispiele für Suggestivfragen der Sachverständigen Dr. R.-J., Bl. 190 – 192 GA, und der Polizeibeamtin G., Bl. 201 GA, aufgeführt hat; ferner hat er auch bei der Psychologin M., Bl. 200 GA, und der Polizeibeamtin A., Bl. 201 GA, konkrete Suggestivfragen festgestellt. Zu dem Einwand, der Sachverständige Herr Prof. Dr. S. habe nicht hinreichend berücksichtigt, dass sie suggestiven Antwortvorschlägen regelmäßig nicht gefolgt sei, hat der Sachverständige Herr Prof. Dr. S. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 18.5.2011 gerade den von dem Klägervertreter selbst in seinem Schriftsatz vom 18.8.2010 erwähnten Auszug aus der Exploration der Sachverständigen Dr. R.-J. als Beleg dafür angeführt um zu zeigen, dass die Klägerin durchaus auf Suggestionen reagiert, wenn auch nicht immer, vgl. Bl. 896 GA. Im Übrigen hat der Sachverständige Herr Prof. Dr. S. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 18.5.2011, Bl. 896 GA zu diesem Einwand der Klägerin ferner überzeugend ausgeführt, es sei irrig zu glauben, abgewiesene Suggestionen seien wirkungslos. Diese könnten nachwirken und bei späteren Gelegenheiten Aufnahme in die Aussagen finden.

(2)

Ebenfalls nicht mit Erfolg kann sich die Klägerin darauf berufen, der Sachverständige habe unter dem Prüfungspunkt „Aussageverhalten“ nicht hinreichend thematisiert, dass die Klägerin durchgängig Fragen zu Ereignissen mit sexuellem Inhalt mit auffallender Zurückhaltung beantworte, woraus folge, dass einsilbige Antworten bzw. stereotype Handlungsschilderungen als Ausweichverhalten interpretiert werden könnten, so dass diese Art des Aussageverhaltens also der üblichen Erzählweise der Klägerin in Bezug auf ihre sexuellen Erlebnisse entspreche und daher unter Berücksichtigung des kindlichen Alters der Klägerin nur eine oberflächliche, rudimentäre Schilderung der streitgegenständlichen Missbrauchshandlungen des Beklagten zu erwarten gewesen sei.

Es ist zwar durchaus zutreffend, dass die Klägerin sich in der Exploration des Sachverständigen Herrn Prof. Dr. S. generell kurz gefasst hat, wenn es um sexuelle Themen ging, das betrifft auch den unstreitig tatsächlich stattgefundenen sexuellen Missbrauch durch den M. W. und den frühen Geschlechtsverkehr im Alter von 10 ½ Jahren mit dem Wohngruppenmitbewohner D.. Dass die Klägerin allerdings durchgängig bei ihren Aussagen in Bezug auf sexuelle Themen eine Erzählweise an den Tag legt, die durch einsilbige Antworten beziehungsweise stereotype Handlungsschilderungen geprägt ist, kann nicht festgestellt werden, denn die von der Klägerin seinerzeit im Rahmen des Ermittlungsverfahrens gegen M. W. gemachte Aussage weist – worauf schon das Landgericht zutreffend im angefochtenen Urteil abgestellt hat – diese qualitativen Mängel nicht auf. Die dortige Aussage vom 6.3.2003 enthält zahlreiche Details, Verknüpfungen zu Randgeschehen, den eigenen Empfindungen der Klägerin und der Motivation des Täters. Der Senat nimmt insoweit auf das Aussageprotokoll in der beigezogenen Ermittlungsakte 22 Js 477/03, Bl. 18 ff. BA, Bezug. Der Sachverständige Herr Prof. Dr. S. hat daher zu Recht ausgeführt, dass den Aussagen der Klägerin im Hinblick auf die dem Beklagten zur Last gelegten Tathandlungen weitgehend die Konkretheit und Detaillierung fehlt, während dies bei anderen Aussagen, wenn es sich um erlebnisbegründete Wahrnehmungen wie bei M. W. handelt, nicht der Fall ist.

(3)

Zuletzt trägt auch der Einwand der Klägerin nicht, der Umstand, dass die Klägerin in verschiedenen Vernehmungen unterschiedliche Tatorte genannt habe, im Hinblick auf die Vielzahl der vom Beklagten über einen längeren Zeitraum begangenen Taten zwangsläufig dazu führe, eine strenge Konsistenz (gemeint ist wohl: Konstanz) ihrer Aussage verneinen zu müssen.

Der Sachverständige Herr Prof. Dr. S. hat hierzu zunächst in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 18.5.2011 überzeugend ausgeführt, dass das Vorliegen einer Aussagekonstanz eine elementare Voraussetzung dafür sei, dass eine Aussage als glaubhaft beurteilt werden könne. Die hier zu fordernde Aussagekonstanz sei jedoch bei der Klägerin nicht gegeben und zwar nicht nur im Hinblick auf die im Gutachten behandelten Örtlichkeiten und Kernhandlungen, sondern auch im Hinblick auf weitere Fragen, z.B. ob sie Angst vor dem Beklagten hatte oder nicht, ob sie Mißfallen gegenüber dem Beklagten geäußert hat oder nicht, Bl. 897/898 GA. Ergänzend hierzu hat der Sachverständige in seiner mündlichen Anhörung erläutert, dass es aus gedächtnispsychologischer Sicht vergessensanfällige Aspekte gebe, wie z.B. die Schätzung der Häufigkeit von bestimmten Vorkommnissen oder auch der Wortlaut oder der Inhalt von Gesprächen, so dass bestimmte Abweichungen im Aussageinhalt bei der Durchführung einer Konstanzanalyse durchaus wahrscheinlich und annehmbar seien. Zu erwarten sei jedoch eine Aussagekonstanz zum Kerngeschehen, konkret beispielsweise zur eigenen Beteiligung, zur Körperhaltung und zu den Tatörtlichkeiten. Die Klägerin sei - auch unter Berücksichtigung ihres unterdurchschnittlichen Gesamt – IQ - in ihrer Aussagetüchtigkeit insoweit nicht eingeschränkt gewesen, gleichwohl seien bei ihren Aussagen zum Kerngeschehen erhebliche Widersprüche zu erkennen gewesen. Dies führe dazu, dass der Aussage der Klägerin ein wichtiges Glaubhaftigkeitsmerkmal fehle. Diesen überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen folgt der Senat.

eee.

Der Senat ist zuletzt nicht nur aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen, sondern auch unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus der vor dem Senat durchgeführten persönlichen Anhörung der Klägerin nicht mit der nach § 286 ZPO erforderlichen Gewissheit davon überzeugt, dass die von der Klägerin behaupteten sexuellen Missbrauchshandlungen stattgefunden haben.

Auch in ihrer persönlichen Anhörung vor dem Senat hat die Klägerin die behaupteten sexuellen Missbrauchshandlungen durch den Beklagten weitgehend nur pauschal dargestellt. Zwar hat sie verschiedene Missbrauchshandlungen und auch Orte, an denen diese stattgefunden haben sollen, näher beschrieben, Bl. 558 – 563 GA. Die Beschreibungen erfolgten aber weitgehend ohne nähere Detailschilderungen und ohne jeglichen Bezug zu einer konkreten Situation beziehungsweise zum Alltag in der Pflegefamilie. Wie schon vor dem Landgericht konnte die Klägerin bei keinem der von ihr geschilderten pauschalen Vorfälle ein Randgeschehen schildern, etwa aus welcher Situation heraus es zu einem solchen Missbrauchsfall gekommen ist, wie sie sich konkret dabei gefühlt hat und wie ein solcher Vorfall endete. Zumindest zu Einzelnen der behaupteten Missbrauchshandlungen wäre zu erwarten gewesen, dass der Klägerin eine annähernd situative Einordnung möglich ist und eine anschauliche Wiedergabe der Geschehnisse erfolgt. Zu der im strafrechtlichen Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 24.5.2004 – 5 25/03 IV (21 Js 461/03) unter Ziffer III.2, auf Seite 11, Bl. 379 der BA 21 Js 461/03 der Staatsanwaltschaft Saarbrücken geschilderten Tat, die die Einzige ist, bei der die Klägerin in der Vergangenheit eine konkrete zeitliche Verbindung zu einem Alltagsgeschehen der Familie (Arztbesuch der Ehefrau des Beklagten zum Tatzeitpunkt) gezogen hatte, hat die Klägerin schlicht erklärt, sie könne sich hieran nicht mehr erinnern. Diese qualitativen Mängel in den Angaben der Klägerin zum Tatgeschehen sprechen gegen die Annahme, dass es sich um erlebnisbegründete und damit wahre Schilderungen handelt.

In der Aussage der Klägerin vor dem Senat sind darüberhinaus erneut – wie auch bereits vor dem Landgericht - erhebliche inhaltliche Abweichungen zu ihren früheren Vernehmungen festzustellen. So hat die Klägerin zu der Frage, wann die Übergriffe zum ersten Mal begonnen haben sollen, in ihrer Anhörung vor dem Senat erklärt, es seien schon einige Monate vergangen, bis es zu derartigen Vorfällen gekommen sei, Bl. 557 GA. In ihrer Aussage vor dem Landgericht hatte die Klägerin demgegenüber noch erklärt, die Missbrauchshandlungen durch den Beklagten hätten zwei Wochen, nachdem sie in die Pflegefamilie aufgenommen worden sei, angefangen. Gerade die erste Missbrauchshandlung stellt jedoch ein so einprägsames Erlebnis in der Entwicklungsgeschichte der behaupteten Missbrauchshandlungen dar, dass für den Senat nicht nachvollziehbar ist, wie es zu diesem Widerspruch kommt. Inkonstanzen zeigen sich ferner in Bezug auf ihre persönlichen Empfindungen. Während sie vor dem Senat angegeben hat, sie habe die Verhaltensweisen des Beklagten aus Angst einfach hingenommen, Bl. 558 GA, hatte sie in der polizeilichen Erstbefragung vom 22.1.2003 der Polizeibeamtin A. seinerzeit noch mitgeteilt, sie habe keine Angst vor dem Beklagten gehabt, weil dieser sie auch immer beschützt habe (Bl. 5 der BA 21 Js 461/03 der Staatsanwaltschaft Saarbrücken). Zu den Tatörtlichkeiten hat die Klägerin in ihrer Aussage vor dem Senat lediglich pauschal angegeben, die Tathandlungen hätten in ihrem Zimmer, in der Scheune und im Badezimmer stattgefunden. Bezüglich der Tatörtlichkeit Badezimmer hat bereits das Landgericht zutreffend auf die Ungereimtheit aufmerksam gemacht, dass diese Tatörtlichkeit und die in diesem Zusammenhang beschriebene sexuelle Missbrauchshandlung - der Beklagte soll die am Unterkörper unbekleidete Klägerin mit einem Waschlappen gewaschen haben, als diese auf dem Bidet saß - von der Klägerin erstmals in der persönlichen Anhörung vor dem Landgericht erwähnt worden ist. Auch für den Senat ist es wenig nachvollziehbar, dass die Klägerin hiervon erst nach einem Zeitablauf von mehr als fünf Jahren berichtet, nicht jedoch bei den zeitlich näheren Befragungen im Rahmen des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens. Bezüglich der übrigen Tatörtlichkeiten hatte die Klägerin ihr Zimmer und auch die Scheune zwar bereits in früheren Vernehmungen erwähnt. In der Exploration des Sachverständigen Herrn Prof. Dr. S. hatte die Klägerin darüber hinaus aber noch den Flur als weiteren Tatort genannt (Seite 149 des Gutachtens, Bl. 759 GA); in der polizeilichen Erstbefragung vom 22.1.2003 durch die Polizeibeamtin A. hatte die Klägerin neben ihrem Zimmer und der Scheune (Hütte) zusätzlich noch die Küche und das Wohnzimmer als Tatörtlichkeiten genannt (Bl. 5 a der BA 21 Js 461/03 der Staatsanwaltschaft Saarbrücken). Da sich diese inhaltlichen Abweichungen gerade auf die zum Kerngeschehen gehörenden Tatörtlichkeiten beziehen, bezüglich derer unter Berücksichtigung der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. S. eine Aussagekonstanz zu erwarten gewesen wäre, begründen diese aufgetretenen Inkonstanzen valide Zweifel gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin.

bb.

Auch mit ihrer weiteren Rüge gegen die landgerichtliche Entscheidung, das Landgericht habe die Klägerin verfahrensfehlerhaft nicht als Partei vernommen, dringt die Klägerin nicht durch.

Eine Vernehmung der Klägerin nach § 447 ZPO als Partei kam schon deshalb nicht in Betracht, weil der Beklagte einer solchen Parteivernehmung erstinstanzlich widersprochen hatte.

Für eine Vernehmung des Beklagten als Partei von Amts wegen gemäß § 448 ZPO war und ist kein Raum, weil gerade nicht - wie nach gefestigter Rechtsprechung erforderlich - bereits eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit ihrer Sachdarstellung spricht.

Die Berufung der Klägerin erweist sich nach alldem als unbegründet.

C.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts, § 543 Abs. 2 ZPO.

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