Urteil vom Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken (7. Zivilsenat) - 7 U 123/10

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Landau in der Pfalz vom 20. Mai 2010 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Es wird festgestellt, dass die Forderung der Klägerin gegen den Beklagten aus rückständigen Gesellschaftereinlagen in Höhe von 16.800,00 € als Rechnungsposten im Rahmen der Berechnung des Abfindungsanspruches des Beklagten einzustellen ist.

2. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

II. Die weitergehende Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

III. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % der für den Beklagten aus dem Urteil zu vollstreckenden Kosten abwehren, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

V. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

1

Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Zahlung rückständiger Einlageraten aus einem Beitritt des Beklagten als Gesellschafter in Anspruch. Dabei hat die Klägerin in ihrer Klageschrift vom 3. Dezember 2009 erklärt, Klage im Urkundsprozess zu erheben.

2

Mit Datum vom 1. Februar 2006 unterzeichnete der Beklagte eine Beitrittserklärung zur Beteiligung an der Klägerin mit einer Gesamtvertragssumme (inklusive Agio) von 60.480,00 €. Diese Einlage sollte 12 Jahre lang in monatlichen Raten von 420,00 € (davon je 20,00 € Agio) erbracht werden. Die Raten sollten im Wege der Einzugsermächtigung erstmals am 15. März 2006 eingezogen werden. Die Beitrittserklärung des Beklagten wurde von der Klägerin unter dem 14. Februar 2006 angenommen. Die letzte monatliche Einzahlung durch den Beklagten erfolgte im August 2006.

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Mit Schreiben der Klägervertreter vom 30. September 2009 ließ die Klägerin den Beklagten zur Zahlung der fälligen Raten bis einschließlich Oktober 2009 in Höhe von insgesamt 16.141,89 € auffordern und setzte insoweit eine Frist bis zum 15. Oktober 2009.

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Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 5. Oktober 2009 ließ der Beklagte gegenüber der Klägerin den Widerruf/die Anfechtung/die Kündigung des Beitrittsvertrages erklären.

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Die Klägerin hat erstinstanzlich vorgetragen:

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Der Beklagte befinde sich mit der monatlichen Ratenzahlung mit insgesamt 40 Raten (September 2006 bis Dezember 2009) à 420,00 €, insgesamt somit 16.800,00 €, in Verzug. Die Einwendungen des Beklagten seien nicht durchgreifend. Es werde bestritten, dass eine Haustürsituation vorgelegen habe. § 312 BGB sei nicht anwendbar. Die erteilte Widerrufsbelehrung sei nicht fehlerhaft und entspreche den gesetzlichen Vorgaben. Die Klägerin könne die Bezahlung der rückständigen Einlagen verlangen. Eine Durchsetzungssperre liege nicht vor. Ein Kündigungsrecht wegen langer Vertragsdauer sei nicht begründet.

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Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

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1. den Beklagten zu verurteilen, an sie 16.800,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %- Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

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2. den Beklagten weiter zu verurteilen, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung der Klägerin, mithin einen Gesamtbetrag in Höhe von 961,28 € zu zahlen.

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Der Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen,

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hilfsweise,

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ihm die Ausführung seiner Rechte im Nachverfahren vorzubehalten.

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Er hat vorgetragen:

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Die Klägerin könne aus dem streitgegenständlichen Vertrag keinerlei Rechte bzw. Zahlungsansprüche herleiten. Die vorformulierten Vertragsbedingungen seien wegen der bewussten Gestaltung durch die Klägerin, insbesondere durch die Verwendung einer extrem kleinen Schriftgröße unwirksam, weil der Adressat hiervon nicht in zumutbarer Weise Kenntnis nehmen könne. Der klägerische Anspruch auf Leistung der Rateneinlagen sei auch unbegründet, weil der Vertrag aufgrund des erklärten Widerrufs zumindest ex nunc beendet sei und die Klägerin allenfalls Ansprüche aus einer Auseinandersetzung geltend machen könne, welche nicht streitgegenständlich seien. Die in der Beitrittserklärung enthaltene Widerrufsbelehrung sei fehlerhaft. Die Auffassung der Klägerin, die rückständigen Einlagen bis zum Beendigungstermin könnten trotz der vorzunehmenden Auseinandersetzung noch eingefordert werden, sei unzutreffend. Ferner sei der Vertrag auch unwirksam wegen der langen Vertragsdauer. Auch sei der streitgegenständliche Anspruch der Klägerin nicht durchsetzbar, weil diesem nach Beendigung des Gesellschaftsverhältnisses durch die Kündigung die Durchsetzungssperre nach § 730 Abs. 1 BGB entgegenstehe. Zudem könne dem Anspruch auf Ratenzahlung als rechtshemmende Einwendung entgegenhalten werden, dass dem Beklagten ein Anspruch auf Ermittlung des Auseinandersetzungsguthabens zustehe. Das streitgegenständliche Vertragsverhältnis sei wegen der wirksam ausgeübten Anfechtung wegen arglistiger Täuschung gem. § 142 Abs. 1 BGB als von Anfang an nichtig anzusehen.

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Die Klägerin hat in einem nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichten, nicht nachgelassenen Schriftsatz nochmals die Auffassung vertreten, dass eine Durchsetzungssperre nicht eingreife, da ein Auseinandersetzungsguthaben des Beklagten angesichts der geringen Einzahlung negativ sei; sie hat insoweit ein „vorläufiges Auseinandersetzungsguthaben“ vorgelegt.

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Durch das angefochtene Urteil vom 20. Mai 2010, auf das im Übrigen sowohl zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes als auch hinsichtlich der Einzelheiten der Urteilsgründe Bezug genommen wird, hat die 4. Zivilkammer des Landgerichts Landau in der Pfalz die Klage (insgesamt) abgewiesen. Zur Begründung hat sie dabei im Wesentlichen ausgeführt, dass die Klage unbegründet sei, weil die Klägerin die noch offene Einlagenforderung nicht mehr separat gegenüber dem Beklagten geltend machen könne. Der Beklagte habe seine Beitrittserklärung wirksam widerrufen. Aufgrund der Urkundenlage sei davon auszugehen, dass die Klägerin dem Beklagten ein vertragliches Widerrufsrecht eingeräumt habe, das unabhängig davon sein sollte, ob es sich bei dem Beitritt um ein Haustürgeschäft gehandelt habe oder nicht. Denn die Widerrufsbelehrung enthalte keinen Hinweis darauf, dass die Widerrufsmöglichkeit nur geltend solle, wenn die Voraussetzungen des Haustürgeschäftes vorlägen. Dabei sei aber davon auszugehen, dass dieses vertraglich eingeräumte Widerrufsrecht nach den Kriterien der §§ 312, 355 BGB habe eingeräumt werden sollen. Darauf wiesen die Formulierung und die Gestaltung der Widerrufsbelehrung hin. Jedenfalls stelle sich dies für einen Beitretenden so dar. Die Widerrufsbelehrung entspreche aber nicht den gesetzlichen Erfordernissen, da in dem Abschnitt „Widerruf bei bereits erhaltener Leistung“ nur darüber belehrt werde, welche Verpflichtungen bestünden, wenn der Beigetretene vorab bereits Leistungen des Fonds erhalten habe. Dagegen werde nicht darüber belehrt, was zu geschehen habe, wenn der Beitretende dem Fonds vorab Leistungen gewährt habe. Dies stelle aber keine vollständige und ordnungsgemäße Belehrung dar. Folge einer solchen unwirksamen Widerrufsbelehrung sei, dass die Widerrufsfrist nicht in Lauf gesetzt worden sei, so dass der Widerruf des Beklagten rechtzeitig gewesen sei.

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Dieser Widerruf stelle sich dann als außerordentliche Kündigung dar, so dass die Abwicklung nach den Grundsätzen der gekündigten fehlerhaften Gesellschaft erfolge. Die Verpflichtung des Gesellschafters zur Leistung seiner Einlage bestehe nur bis zum Wirksamwerden des Widerrufs fort. Danach trete an diese Stelle der Anspruch auf das dem Gesellschafter nach den Grundsätzen gesellschaftsrechtlicher Abwicklung zustehende Auseinandersetzungsguthaben zum Zeitpunkt des Ausscheidens. Die Kammer schließe sich insoweit der Ansicht des OLG Köln an, dass in diesem Falle die Gesellschaft die ausstehenden Einlagen nicht mehr separat verlangen könne. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs, auf die sich die Klägerin berufe, sei nicht einschlägig, da dort Gegenstand der Entscheidung die Nachschusspflicht des Gesellschafters nach § 735 BGB gewesen sei, die zur Deckung der Gesellschaftsschulden gegenüber Dritten und anderen Gesellschaftern sowie zur Deckung der Rückzahlung der Einlagen bestehe und grundsätzlich den Zeitpunkt des Gesellschaftsendes nach Auflösung der Gesellschaft betreffe.

19

Der neue Sachvortrag der Klägerin im Schriftsatz vom 10. Mai 2010 und die insoweit vorgelegte (vorläufige) Auseinandersetzungsberechnung seien unbeachtlich, da dieses Vorbringen nach Schluss der mündlichen Verhandlung erfolgt sei und Gründe für die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nicht bestünden.

20

Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung, mit der sie zunächst ihre erstinstanzlichen Ansprüche weiter verfolgt hat.

21

Sie trägt vor:

22

Das Urteil sei eine Überraschungsentscheidung gewesen. Das Gericht habe vorher keine Hinweise erteilt. Schon allein deswegen sei das Urteil aufzuheben. Das Gericht hätte die mündliche Verhandlung wiedereröffnen müssen, da im Schriftsatz vom 10. Mai 2010 völlig neue Tatsachen vorgetragen worden seien.

23

Entgegen der Ansicht des Landgerichts sei ein vertragliches Widerrufsrecht nicht gegeben. Es sei völlig abwegig anzunehmen, dass die Gesellschaft den Gesellschaftern ein derartiges Rücktrittsrecht habe einräumen wollen. Ein Widerruf gemäß § 312 BGB sei nicht möglich. Eine Haustürsituation scheide aus.

24

Schadensersatzansprüche wegen unzureichender Beratung oder Aufklärung seien nicht gegeben, da sich solche Schadensersatzansprüche allenfalls gegen den verantwortlichen Geschäftsführer, nicht aber gegen die Gesellschaft richten könnten. Die gesetzlichen Voraussetzungen des § 357 BGB seien nur bei gesetzlichen Widerrufsrechten zu beachten. Ein gesetzliches Widerrufsrecht läge etwa vor, wenn die Beteiligung im Wege eines Haustürgeschäftes abgeschlossen worden wäre. Wenn dagegen kein gesetzliches Widerrufsrecht vorliege, gelte das Widerrufsrecht nur in dem vorgesehenen Umfang. Dann bestünde auch keine verlängerte Widerrufsmöglichkeit.

25

Nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs könnten nach der Vorlage der vorläufigen Auseinandersetzungsbilanz ausstehende Monatsraten isoliert geltend gemacht werden. Dies tue die Klägerin. Der Beklagte habe im Jahre 2009 gekündigt. Insoweit sei für die vorläufige Berechnung die Bilanz des Jahres 2008 herangezogen worden, da die Jahresbilanz erst 9 Monate nach Schluss des Jahres aufgestellt werden müsse. Die Bilanz für 2009 werde ebenso negativ ausfallen. Es sei keine Haustürsituation gegeben. Die „Widerrufserklärung“ sei aber richtig. Eine Belehrung bezüglich der Rückabwicklung der Einlagen des Anlegers sei nicht notwendig gewesen, da die Belehrung am 1. Februar 2006 mit einer zweiwöchigen Widerrufsfrist erteilt worden sei, die erste Einzahlung des Anlegers aber erst am 15. März 2006 erfolgen sollte. Damit hätte es bei einem fristgerechten Widerruf keine Leistung des Anlegers gegeben, die rückabzuwickeln gewesen wäre, so dass auch eine Belehrung hierzu nicht erforderlich gewesen sei. Grundsätzlich sei zwar über die Rechtsfolgen umfassend aufzuklären; dies gelte jedoch nicht, wenn die zu beschreibenden Rechtsfolgen gar nicht eintreten könnten. Dies sei auch in § 312 Abs. 2 Satz 3 BGB n. F. so geregelt. Ansonsten sei die Widerrufsbelehrung ordnungsgemäß erteilt worden.

26

Im Übrigen sei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein Zahlungsantrag im Fall einer Durchsetzungssperre ohne Weiteres in einen Feststellungsantrag umzudeuten. Schon aus diesem Grund habe das Landgericht die Klage nicht vollständig abweisen dürfen. Vielmehr hätte es zumindest den darin enthaltenen Feststellungsantrag zusprechen müssen. Insoweit werde nunmehr ausdrücklich hilfsweise ein Feststellungsantrag formuliert.

27

Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom 10. Oktober 2011 erklärt, vom Urkundsverfahren Abstand zu nehmen, und beantragt,

28

das Urteil des Landgerichts Landau in der Pfalz vom 20. Mai 2010 aufzuheben und

29

a) den Beklagten zu verurteilen, an sie 16.800,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen

b) den Beklagten weiter zu verurteilen, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung der Klägerin, mithin einen Gesamtbetrag in Höhe von 961,28 €, zu zahlen;

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hilfsweise

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festzustellen, dass die Forderung der Klägerin gegen den Beklagten aus rückständigen Gesellschaftereinlagen von 16.800,00 € als Rechnungsposten im Rahmen der Berechnung des Abfindungsanspruches des Beklagten einzustellen ist.

32

Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärt,

33

den Hilfsantrag unter Verwahrung gegen die Kosten sofort anzuerkennen,

34

und im Übrigen beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

36

Er trägt vor:

37

Das Urteil sei keine Überraschungsentscheidung. Ein Gericht müsse nicht vorher mitteilen, wie es entscheiden werde. Ein Urteil sei auch nicht allein deswegen unrichtig, wenn es überraschend sei.

38

Das Landgericht habe in zutreffender Weise den nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingereichten Vortrag der Klägerin gem. § 296 a ZPO nicht berücksichtigt. Ein Grund zur Wiedereröffnung sei nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich. Aus der Anlage K4 sei nicht ersichtlich, dass diese nicht schon vorher hätte erstellt werden können. Mit diesem Vortrag sei die Klägerin daher auch im Berufungsverfahren gem. § 531 Abs. 1 ZPO ausgeschlossen.

39

Im Übrigen müsse die Klägerin sich entscheiden, ob sie rückständige Einlagen im Wege der Urkundsklage oder im Wege der Teilklage eine Forderung aus der Auseinandersetzungsbilanz geltend machen wolle. Der Vortrag der Klägerin sei aber in beiden Fällen nicht tauglich, um einen Anspruch zu begründen. Die Anlage K4 sei bedeutungslos, da dort auf den Vermögenstand des Fonds zum 31. Dezember 2008 abgestellt werde. Gemäß dem Gesellschaftsvertrag sei daher der Jahresabschluss 2009 - das Jahr der Kündigung - maßgebend. Im Übrigen sei die Anlage K4 auch inhaltlich zu bestreiten. Die Richtigkeit der Auseinandersetzungsrechnung könne im vorliegenden Verfahren auch nicht geklärt werden, da im Gesellschaftsvertrag hierzu eine Schiedsgerichtsklausel vorgesehen sei. Auch bestehe für die Anlage K4 keine urkundliche Beweiskraft, da diese schon nicht unterschrieben sei. Deshalb sei vorsorglich zu bestreiten, dass sie überhaupt von der Klägerin stamme.

40

Im Übrigen sei das Urteil entsprechend den Darlegungen des OLG Köln zutreffend, da es auf den objektiven Empfängerhorizont ankomme und nicht auf irgendwelche „insgeheime“ Absichten der Klägerin. Unabhängig von der Wirksamkeit des Widerrufs sei die Klage jedenfalls wegen Vorliegens eines weiteren Beendigungstatbestandes in Verbindung mit der Durchsetzungssperre gem. § 730 BGB unbegründet.

41

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

42

Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie insbesondere auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

43

In der Sache führt die Berufung zu einer teilweisen Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung, da nun aufgrund der Erklärung der Abstandnahme vom Urkundsprozess durch die Klägerin und des Anerkenntnisses des Beklagten zu dem hilfsweise gestellten Feststellungsantrag die entsprechende Feststellung vom Senat zu treffen ist. Im Übrigen bleibt die Berufung der Klägerin jedoch erfolglos.

44

Die Klägerin konnte auch im Berufungsverfahren noch die Abstandnahme vom Urkundsprozess erklären. Auch nach der Neugestaltung des Berufungsverfahrens durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27. Juli 2001 verbleibt es dabei, dass eine solche Abstandnahme vom Urkundsprozess in der Berufungsinstanz wie eine Klageänderung zu behandeln und deswegen zulässig ist, wenn die Voraussetzungen der §§ 263, 533 ZPO erfüllt sind (vgl. BGH MDR 2011, 936 ff.). Vorliegend ist von einer Zustimmung des Beklagten auszugehen, nachdem dieser im Termin vor dem Senat vom 10. Oktober 2011 nach der Erklärung der Abstandnahme vom Urkundsprozess durch die Klägerin zur Sache verhandelt und hinsichtlich des neu angeführten Hilfsantrags auch ein Anerkenntnis abgegeben hat. Im Übrigen wäre die Klageänderung auch als sachdienlich anzusehen, nachdem das Landgericht in seinem Urteil den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch als materiell nicht gegeben abgewiesen und damit über den Anspruch insgesamt entschieden hat.

45

Aber auch nach der Abstandnahme vom Urkundsverfahren führt der Zahlungsantrag der Klägerin nicht zum Erfolg, da das Landgericht diesen zu Recht abgewiesen hat.

46

Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Beklagte aufgrund des von ihm erklärten Beitritts zur Klägerin vom 1. Februar 2006, den die Klägerin unter dem 14. Februar 2006 angenommen hat, Gesellschafter der Klägerin geworden ist. Diese Beitrittserklärung ist auch nicht etwa wegen der Verwendung eines extrem kleinen Schriftbildes in dem Beitrittsformular unwirksam gewesen. Die Schriftgröße und die Gestaltung des Formulars entsprechen üblichen Formularen, wie sie dem Senat aus vielen Verfahren im Banken- und Anlagenbereich bekannt sind, und begegnen keinen Bedenken.

47

Die wirksame Begründung der Gesellschafterstellung ist auch nicht durch die von dem Beklagten mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 5. Oktober 2009 erklärte Anfechtung/Widerruf rückwirkend in Wegfall geraten. Denn nach den hier anzuwendenden Regeln der fehlerhaften Gesellschaft ist auch eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung oder ein Widerruf nach dem Haustürwiderrufsgesetz letztlich als Kündigung des Gesellschafters mit Wirkung „ex nunc“ zu behandeln und führt nicht zu einem rückwirkenden Wegfall der Gesellschafterstellung (vgl. BGH, Urteil vom 07.12.2010, Az.: XI ZR 53/08, bei Juris Rn. 22; Urteil vom 12.07.2010, Az.: II ZR 292/06, bei juris Rn.10 je m.w.N.).

48

Ob im vorliegenden Fall dem Beklagten ein Recht zur Anfechtung seines Beitritts wegen arglistiger Täuschung oder zum Widerruf seines Beitritts nach dem Haustürwiderrufsgesetz zustand, kann letztlich dahinstehen, da dem Beklagten jedenfalls ein vertraglich eingeräumtes Widerrufsrecht zustand, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat. Denn auf dem Formular zur Beitrittserklärung ist eine Widerrufsbelehrung aufgedruckt, die folgenden Wortlaut hat:

49

„Ich bin an meine auf den Abschluss der oben genannten Beitrittserklärung gerichtete Willenserklärung nicht mehr gebunden, wenn ich sie binnen 2 Wochen widerrufe. Die M… A… F… GbR verzichtet auf ein etwaiges vorzeitiges Erlöschen des Widerrufsrechts nach den gesetzlichen Bestimmungen (§ 312 d Abs. 3, 355 Abs. 3 BGB). Mit dem Widerruf meiner Willenserklärung kommt auch meine Beteiligung an der M… A… F… GbR nicht wirksam zustande.

...“

50

Diese Widerrufsbelehrung nennt für den Widerruf keinerlei Bedingungen und schränkt das Widerrufsrecht des Beitretenden auch nicht etwa auf eine Haustürsituation ein. Aus Sicht des Beitretenden, der diese Widerrufsbelehrung liest, stellt dies die Einräumung eines freien Widerrufsrechtes dar, das gerade nicht an die Voraussetzungen gesetzlicher Widerrufsrechte anknüpft. Insoweit kommt es entgegen der Ansicht der Klägerin auch nicht darauf an, ob die Klägerin den Willen hatte, ein solches Widerrufsrecht zu vereinbaren, da bei einer an einen Vertragspartner gerichteten Willenserklärung letztlich maßgebend ist, wie dieser die Erklärung nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen durfte (§ 157 BGB). Die Einräumung eines solchen freien Widerrufsrechts lag auch nicht außerhalb jeglicher erkennbarer Interessen der Klägerin, da die Werbung von Mitgliedern für die Klägerin über einen Strukturvertrieb erfolgen sollte und sie daher damit rechnen musste, dass beitretende Personen zumindest teilweise in Haustürsituationen geworben würden, so dass insoweit für diese zumindest ein Widerrufsrecht nach dem Haustürwiderrufsgesetz bestehen würde. Mit der Einräumung eines „freien“ Widerrufsrechts konnte die Klägerin daher einen möglichen Streit umgehen, ob eine beitretende Person in einer Haustürsituation zum Beitritt bestimmt worden war oder nicht.

51

Das Landgericht hat aber weiter auch zu Recht ausgeführt, dass eine beitretende Person die Einräumung des Widerrufsrechts so verstehen musste, dass die Klägerin das Widerrufsrecht zwar unabhängig von den gesetzlichen Voraussetzungen, aber im Übrigen dann doch entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen der §§ 312, 355 ff. BGB einräumen wollte. Dafür spricht insbesondere, dass - wie oben dargelegt - die Klägerin damit rechnen musste, dass beitretende Personen in Haustürsituationen geworben würden und ihnen deswegen ein Widerrufsrecht nach § 312 BGB zustehen würde, über das sie dann auch zutreffend belehren musste. Des Weiteren spricht hierfür insbesondere auch die Erwähnung der §§ 312, 355 BGB im Text der Widerrufsbelehrung, wobei die Klägerin dabei ausdrücklich auf ein vorzeitiges Erlöschen des Widerrufsrechtes verzichtet und damit zum Ausdruck bringt, dass das von ihr eingeräumte Widerrufsrecht für den Beitretenden noch „großzügiger“ sein sollte als nach diesen gesetzlichen Bestimmungen. Dies konnte ein Beitretender nur so auffassen, dass das Widerrufsrecht jedenfalls ansonsten mindestens den gesetzlichen Bestimmungen der §§ 312, 355 BGB entsprechen sollte.

52

Wie das Landgericht zu Recht ausführt, entspricht aber die von der Klägerin erteilte Widerrufsbelehrung nicht den Voraussetzungen der §§ 312, 355 ff. BGB, weil sie bei der Belehrung über die Folgen des Widerrufs nicht darüber belehrt, was beim eventuellen Widerruf mit Leistungen erfolgt, die die Klägerin eventuell bereits von den Beitretenden erhalten hat. Die Widerrufsbelehrung belehrt nur darüber, wie sich der Widerruf auf Leistungen auswirkt, die der Beitretende eventuell schon von der Fondsgesellschaft erhalten hat. Entgegen der Ansicht der Klägerin war eine solche Belehrung auch nicht deswegen unnötig, weil die Vertragsgestaltung so gewählt war, dass die Klägerin vor der mündlichen Erklärung eines Widerrufes nie Leistungen des Beitretenden empfangen haben konnte (vgl. BGH, Urteil vom 2.2.2011, Az.: VII ZR 103/10, bei Juris Rn 19). Denn es war zwar vorgesehen, dass eine Fälligkeit der ersten Rate erst nach dem Ablauf der zweiwöchigen Widerrufsfrist eintreten sollte, jedoch war andererseits aber nicht ausgeschlossen, dass der Beitretende bereits vorher Leistungen erbringen würde, die dann bei Erklärung eines Widerrufs zurückzuerstatten wären. Im Übrigen war auch nicht ausgeschlossen, dass die Widerrufsfrist aus anderen Gründen etwa nicht wirksam in Lauf gesetzt worden wäre, so dass dementsprechend ein Widerruf auch noch nach Fälligkeit der ersten Rate vom Beitretenden erklärt werden konnte (vgl. BGH, aaO).

53

Da die Widerrufsfrist gem. § 355 Abs. 3 BGB aber erst zu laufen beginnt, wenn dem Verbraucher eine den Anforderungen des § 360 Abs. 1 BGB entsprechende Belehrung mitgeteilt worden ist, und die von der Klägerin dem Beklagten mitgeteilte Widerrufsbelehrung gemäß den obigen Ausführungen nicht den notwendigen Anforderungen entsprach, ist die Widerrufsfrist nicht in Lauf gesetzt worden, so dass die Widerrufserklärung des Beklagten vom 5. Oktober 2009 noch rechtzeitig war und damit zu einer Beendigung des Gesellschafterverhältnisses „ex nunc“ geführt hat.

54

Aufgrund der wirksamen Kündigung der Gesellschafterstellung des Beklagten bei der Klägerin besteht eine „Durchsetzungssperre“ entsprechend § 730 BGB. Scheidet nämlich ein Gesellschafter aus einer bestehenden Gesellschaft aus, so ist eine sogenannte „Abschichtungsbilanz“ zu erstellen. Gefordert werden kann dann sowohl von der Gesellschaft als auch von dem Gesellschafter nur noch der sich aus dieser Abschichtungsbilanz ergebende Saldo. Einzelne Positionen können dagegen nicht mehr gesondert geltend gemacht werden (vgl. BGH, Urteil vom 15.05.2000, Az.: II ZR 6/99, bei Juris Rn.11; BGH, Urteil vom 17.05.2011, Az.: II ZR 285/09, bei Juris Rn. 14 m.w.N.).

55

Entgegen der Ansicht der Klägerin liegt auch kein Ausnahmefall vor, bei dem nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ausnahmsweise die Geltendmachung von Einzelpositionen möglich ist. Denn dies setzt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass sich entweder aus dem Zweck der gesellschaftsvertraglichen Bestimmung ergibt, dass diese im Falle der Auflösung der Gesellschaft oder des Ausscheidens eines Gesellschafters ihre Selbständigkeit behalten sollen (vgl. BGH, Urteil vom 17.05.2011, Az.: II ZR 285/09, bei Juris Rn.15), oder dass letztlich sicher festgestellt werden kann, dass auch nach dieser Gesamtsaldierung jedenfalls ein Anspruch desjenigen, der die Einzelposition geltend machen will, jedenfalls in Höhe dieser Einzelposition bestehen wird (vgl. BGH, Urteil vom 12.11.1990, Az.: II ZR 232/89, bei Juris Rn.4). Dies kann hier schon nicht festgestellt werden, da die Klägerin eine vorläufige Abschichtungsbilanz für den Stichtag des Ausscheidens des Beklagten nicht vorgelegt hat. Die von ihr vorgelegte vorläufige Auseinandersetzungsberechnung bezieht sich auf den Stichtag 31. Dezember 2008. Da die Kündigung aber im Jahre 2009 erklärt wurde, ist dieser Zeitpunkt nicht maßgebend. Auf die Frage der inhaltlichen Richtigkeit dieser vorläufigen Auseinandersetzungsberechnung kommt es daher nicht an.

56

Im Übrigen lag der Entscheidung des Bundesgerichtshofs, auf die sich die Klägerin beruft (Urteil vom 12.11.1990, Az.: II ZR 232/89), eine Auflösung der Gesellschaft zugrunde. Bei der Auflösung ist es aber so, dass zunächst die Gesellschaftsverbindlichkeiten erfüllt werden müssen und dann erst die geleisteten Einlagen und eventuell vorhandene Überschüsse an die Gesellschafter zurückzuerstatten sind (§ 733 BGB). Ist in einem solchen Falle bereits ersichtlich, dass das vorhandene Gesellschaftsvermögen nicht zur Berichtigung der Gesellschaftsschulden ausreicht, ergibt sich daraus, dass jedenfalls eine Nachschusspflicht der Gesellschafter besteht und es damit auch gerechtfertigt ist, dass die Gesellschaft jedenfalls vorab noch ausstehende Gesellschaftereinlagen von dem Gesellschafter fordern kann, der seine Einlagen noch nicht vollständig erbracht hat. Bei einem Ausscheiden eines einzelnen Gesellschafters ist die Situation dagegen anders, da die Gesellschaft ja nicht aufgelöst sondern fortgesetzt wird. In diesem Fall ist es der Gesellschaft durchaus zumutbar, bis zur Erstellung einer Abschichtungsbilanz zu warten und dann erst den sich dabei möglicherweise zu ihren Gunsten ergebenden Saldo gegen den ausgeschiedenen Gesellschafter geltend zu machen.

57

Da somit kein Zahlungsanspruch der Klägerin gegen den Beklagten besteht, steht der Klägerin auch kein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten für die Geltendmachung dieses vermeintlichen Anspruchs zu.

58

Dementsprechend hat das Landgericht zu Recht die Zahlungsklage insgesamt abgewiesen.

59

Der im Berufungsverfahren von der Klägerin nunmehr hilfsweise gestellte Feststellungsantrag ist begründet. Eine nähere Sachprüfung hat insoweit nicht zu erfolgen, da der Beklagte diesen Feststellungsantrag anerkannt hat.

60

Entgegen der Ansicht der Klägerin hätte dieser Feststellungsausspruch nicht schon in erster Instanz durch das Landgericht erfolgen müssen. Denn dort hatte die Klägerin ausdrücklich noch das Verfahren „im Urkundsprozess“ geführt. Im Urkundsprozess können aber nur Ansprüche auf Zahlung einer bestimmten Geldsumme oder auf Leistung einer bestimmten Menge vertretbarer Sachen oder Wertpapiere geltend gemacht werden (§ 592 Satz 1 ZPO). Deswegen kam in erster Instanz eine Umdeutung des Zahlungsantrages in einen Antrag auf Feststellung nicht in Betracht, obwohl grundsätzlich eine solche Umdeutung außerhalb des Urkundenverfahrens ohne Weiteres möglich ist.

61

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 93 Abs. 1 ZPO. Wie oben bereits dargelegt, war eine Umdeutung des Zahlungsantrages im erstinstanzlichen Verfahren in den im Berufungsverfahren hilfsweise gestellten Feststellungsantrag nicht möglich, weil ein solcher Feststellungsantrag nicht Gegenstand eines Urkundsprozesses sein kann. Deswegen stellt sich das von dem Beklagten nach der von der Klägerin erklärten Abstandnahme des Urkundsprozesses erklärte Anerkenntnis zu diesem Feststellungsantrag als ein sofortiges Anerkenntnis im Sinne von § 93 ZPO dar, mit der Folge, dass der Klägerin auch insoweit die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen sind, nachdem auch nicht festgestellt werden kann, dass der Beklagte insoweit Anlass zur Klageerhebung gegeben hätte.

62

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

63

Die Revision ist gem. §§ 543 Abs. 2 Nr. 2 und 3 ZPO zuzulassen, da es unterschiedliche Entscheidungen von Oberlandesgerichten zu der Frage gibt, ob das vertraglich eingeräumte Widerrufsrecht den gesetzlichen Voraussetzungen der §§ 312, 351 ff. ZPO entsprechen muss oder nicht.

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