Urteil vom Oberlandesgericht Düsseldorf - 22 U 97/20
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 31. März 2020 verkündete Urteil des Landgerichts Düsseldorf unter Zurückweisung der Anschlussberufung abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger. Die Revision wird nicht zugelassen. Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
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G r ü n d e:
2I.
3Der Kläger nimmt die Beklagte als Herstellerin und Verkäuferin eines gebrauchten Dieselfahrzeuges der Marke BMW auf Erstattung des gezahlten Kaufpreises mit der Begründung in Anspruch, im Fahrzeug sei eine unzulässige Abschaltvorrichtung in Gestalt eines Thermofensters eingebaut. Er stützt seinen Klageantrag in erster Linie auf Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung, hilfsweise auf Rückerstattung nach Rücktritt und äußerst hilfsweise nach Anfechtung auf den Gesichtspunkt der Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung.
4Der Kläger erwarb das erstmals am 19.12.2013 zum Straßenverkehr zugelassene Fahrzeug (BMW X 1, Drive 20d) von der Beklagten zum Preis von 20.900,00 € netto gemäß § 25a UStG, auf der Grundlage einer Bestellung vom 12.05.2017. Im Erwerbszeitpunkt wies es eine Fahrleistung 68.222 km auf. Der Kläger ließ das Fahrzeug am 18.05.2017 auf sich zu und führt es seither ohne wesentliche Beanstandungen im Straßenverkehr. Die Beklagte wurde bei Abschluss des Kaufvertrages von ihrer Niederlassung in A. vertreten, die über keine eigene Rechtspersönlichkeit verfügt. Dem Kauf lagen Allgemeine Geschäftsbedingungen (B 1) zugrunde die bei Gebrauchtfahrzeugen eine Gewährleistungsfrist von 1 Jahr vorsehen.
5Das Fahrzeug verfügt über ein Automatikgetriebe, in ihm ist ein Dieselmotor N47 verbaut, der von der Beklagten entwickelt wurde. Er verfügt über eine Leistung von 135 kw bei 1995 cbcm Hubraum. Das Fahrzeug besitzt eine Typenzulassung der Schadstoffklasse Euro 5. Der Motor und dessen Steuerung war – gemäß den Gepflogenheiten bei der Beklagten - bereits von der Systemgenehmigungsbehörde NSAI (National Standards Authority of Ireland) vorab geprüft und gesondert zugelassen worden, die Bescheinigung wurde dem Kraftfahrtbundesamt (KBA) im Rahmen des Antrages auf Erteilung der Typengenehmigung vorgelegt und von ihm zugrunde gelegt; das KBA nahm darüber hinaus keine eigene Prüfung der Zulässigkeit der Motorsteuerung vor. Die Abgasreinigung des Fahrzeuges erfolgt ausschließlich über die so genannte Abgasrückführung (AGR), das Fahrzeug verfügt daneben über einen Dieselpartikelfilter. Das Fahrzeug reguliert die Abgasrückführung in streitigem Umfang in Abhängigkeit von der Umgebungstemperatur und der Motordrehzahl. Der Motor N47 wurde in dieser Form bis zum Inkrafttreten der Euronorm Euro 6 im Juli 2015 verbaut und eingesetzt. Seither wird in vergleichbaren Fahrzeugen das Nachfolgemodell B47 eingesetzt, das über einen SCR-Katalysator und eine Typenzulassung der Schadstoffklause Euro 6 verfügt. Der Fahrzeugtyp des Klägers ist bislang nicht Gegenstand von Anordnungen des Kraftfahrtbundesamtes (Rückrufen) aus dem Gesichtspunkt der unzulässigen Abschalteinrichtungen. Dies ist nur bei zwei Modellen der Beklagten, nämlich den Modellen 750d und 550d im Jahre 2018 der Fall gewesen. Hier hatten sich Abweichungen ergeben, die Anlass für eine Rückrufanordnung des KBA waren. Zur Abhilfe hat die Beklagte ein Softwareupdate entwickelt und den hiervon betroffenen Haltern kostenfrei angeboten.
6Im Zuge der Diskussion um die so genannte VW-Dieselabgasaffäre wurden vom Bundestag Untersuchungen auch bei Fahrzeugmodellen der Beklagten zum Vorliegen von Abschalteinrichtungen angeordnet, die jedoch offiziell zu keinem positiven Befund führten. Die deutsche Umwelthilfe (im Folgenden DUH) unternahm ab dem Jahre 2017 Fahrversuche auf einer Teststrecke mit einem Modell 320d, in dem der Nachfolgemotor B47 verbaut war. Die zu sogenannten RealDriveEmission (RDE) durchgeführten insgesamt 8 Fahrversuche im realen Straßenverkehr ergaben Sickstoffwerte, die im Mittel den für den Rollenstand maßgeblichen Wert der Schadstoffklasse Euro 6 von 80 mg/km um den Faktor 2,6 überstiegen.
7Mit anwaltlichem Schreiben vom 12.02.2019 ließ der Kläger gegenüber der Beklagten die Anfechtung des Kaufvertrages und den Rücktritt von diesem erklären, gestützt auf die Behauptung, im Fahrzeug sei eine illegale Abschaltvorrichtung vorhanden, die bewirke, dass die für die Einhaltung der Schadstoffwerte eingesetzten Mechanismen außerhalb des Prüfstandes dauerhaft außer Kraft gesetzt bzw. herunter reguliert würden. Damit gehe eine massive Verschlechterung der Abgaswerte während des regulären Fahrbetriebes einher. Da das Fahrzeug beim Kauf als verhältnismäßig schadstoffarm dargestellt worden sei, sei er von der Beklagten arglistig getäuscht worden. Es liege zudem ein deliktisches Verhalten vor, nämlich eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung, auf diese werde die Rückforderung in erster Linie gestützt.
8Es liege aber auch ein Sachmangel vor, ein Fahrzeug sei mangelhaft, wenn es mit einer Software ausgestattet sei, die allein auf dem Prüfstand zu einer Verbesserung der Stickstoffwerte führe. Ein durchschnittlicher Käufer könne erwarten, dass die in der Testphase laufenden stickoxidverringernden Prozesse auch im realen Fahrbetrieb aktiv blieben. Eine Aufforderung zur Nachbesserung unter Fristsetzung sei nicht erforderlich, weil sie ihm nicht zumutbar sei. Eine Verpflichtung zur Anrechnung von Nutzungen bestehe nicht; sofern man dies anders sehen wolle, sei von einer zu erwartenden Gesamtfahrleistung von 500.000 km auszugehen. Daraus ergebe sich eine Rückforderung von mindestens 24.202,25 €. Der Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen die Rückgabe des Fahrzeuges werde binnen zwei Wochen entgegen gesehen. Die Beklagte lehnte eine Erstattung mit Schreiben vom 08. März 2019 (K4) ab, woraufhin der Kläger am 25. März 2019 die vorliegende Klage erhob.
9Zu ihrer Begründung hat der Kläger zunächst behauptet, auch in Fahrzeugen der Beklagten komme bei den von ihr entwickelten Motoren eine Software zu Einsatz, die erkenne, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand befinde. Sie sei derjenigen vergleichbar, die Volkswagen in den Fahrzeugen mit Motoren des Typs EA 189 verwendet habe. Sie würde von den Ingenieuren der Beklagten jedoch als „14/15-V- Funktion“ bezeichnet (Bl. 19), sie reduziere die Abgasrückführung ab Umdrehungen von 2000/min. iterativ und schalte sie bei 3.500 U/min. vollständig ab. Diese Umdrehungen würden im NEFZ unterhalb von 120 km/h kaum erreicht, jedoch regelmäßig bei Geschwindigkeiten von 130 km/h; ab 150 km/h sei das AGR-Ventil komplett geschlossen.
10Seinen Vortrag zum Stichwort Manipulationssoftware (ebenso wie denjenigen zu einem zu kleinen AdBlue-Tank) hat er ausweislich des Protokolls der Verhandlung vor dem Landgericht am 28. Januar 2020 (Bl. 228) ausdrücklich fallen gelassen, und geäußert, er konzentriere sich auf das Thermofenster.
11Er hat die Ansicht vertreten, die Klage sei bereits deshalb begründet, weil das Fahrzeug über ein Thermofenster verfüge. Dieses sei eine unzulässige Abschalteinrichtung.
12Er hat hierzu behauptet, die Abgasrückführung werde nur bei Außentemperaturen zwischen 17 und 33 °C zu 100 % vorgenommen, über 33 °C und unterhalb von -11 °C werde sie vollständig deaktiviert. Zwischen -11 ° und plus 17 °C werde sie iterativ reduziert (Bl. 17f). Hinzu komme eine Rückführung ab einer Drehzahl von 2.900 U/min, ab 3.300 U/min werde sie vollständig deaktiviert, eine Drehzahl von 4.000 U/min. sei jedoch je nach Beladung und Fahrstil üblich und zu erwarten. Ab einem Umgebungsdruck von 90 kPa werde sie ebenfalls reduziert und ab 88 kPa gänzlich deaktiviert (Replik, Bl. 178). Er hat behauptet, dass er das Fahrzeug nicht erworben hätte, wenn ihm diese Vorgänge bekannt gewesen wären (Bl. 24). Er habe das Fahrzeug in dem Glauben erworben, dass es besonders schadstoffarm sei, und dass sämtliche Tests auf legalem Wege bestanden worden seien (Bl. 45).
13Er hat gemeint, die Messergebnisse der DUH zum Motor B 47 seien auf den Motor N 47 übertragbar. Zwar existierten keine Messungen zum Motor N 47, dies sei jedoch auch nicht erforderlich. Er verweist auf eine Anlage K 7, die Motoren seien im Kern vergleichbar (Bl. 177). Das Thermofenster sei als Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) 715/2007 regelmäßig unzulässig. Die zu dessen Rechtfertigung angeführten Aspekte des Motorschutzes vor Verrußung und Verlackung seien nicht geeignet, den Ausnahmetatbestand gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchstabe a) zu erfüllen. Die Ausführungen, dass die Abgasrückführung der Temperaturabsenkung diene, sei ohnehin technisch unsinnig (Bl. 178 f.). Abschalteinrichtungen seien nur kurzfristig zulässig und auch nur dann, wenn keine anderen geeigneten Mittel zur Verfügung stünden. Dies gelte auch dann, wenn diese deutlich komplizierter und teurer seien. Entsprechende Mittel hätten der Beklagten schon seit 2005 zur Verfügung gestanden. Hierbei handele es sich hierbei zum einen um AdBlue, dessen Verwendung bei LKW schon seit 2005 Standard sei (Bl. 17). Es sei nicht schon ausreichend, dass überhaupt technische Situationen auftreten könnten, in denen die Einrichtung zum Motorschutz erforderlich sei, vielmehr müssten diese generell unvermeidbar sein. Die von der Beklagten vertretene Auslegung habe keine rechtliche Grundlage. Die Bestimmung sei sehr eng auszulegen (Bl. 35). Die Grenzwerte aus dem NEFZ müssten auch im realen Fahrbetrieb eingehalten werden, dies ergebe eine Entscheidung des EuGH vom 13.12.2018.
14Mit ihrem allseits bekannten Argument einer Versottungsgefahr könne die Beklagte nicht gehört werden, denn ihr obliege es im Rahmen der sekundären Darlegungslast, auszuführen, dass dieser Gefahr nicht durch andere technische Maßnahmen hätte begegnet werden können (Bl. 37). Für eine solche Möglichkeit könne sprechen, dass vergleichbare Motoren anderer Hersteller ohne entsprechend agierende Abschalteinrichtungen auskämen (Bl. 35).
15Die Beklagte habe sich sittenwidrig verhalten. Die Gründe der Beklagten zur Verwendung des Thermofensters hätten entweder in der Erzielung eines höheren Gewinns durch Einsparung von weiteren Entwicklungskosten oder in der Unfähigkeit der Entwickler bestanden, Motoren zu entwickeln, die zu marktgerechten Preisen über eine Abgasreinigung ohne Thermofenster verfügten. Die Beklagte habe hierbei ausgenutzt, dass der Endverbraucher darauf vertraue, dass ein zum Verkauf freigegebenes Fahrzeug die Zulassungsprüfungen ordnungsgemäß durchlaufen und die gesetzlichen Bestimmungen erfüllt habe (Bl. 39). Die Beklagte habe ihr Vorgehen planmäßig verschleiert und auch die Aufsichtsbehörden getäuscht, um die Typengenehmigung zu erhalten und die Fahrzeuge so in den Verkehr bringen zu können. Aufgrund der normierten Vorgaben des NEFZ seien diese Einrichtungen nicht zu erkennen. Die Täuschung habe allein der Kostensenkung und möglicherweise der Umgehung technischer Probleme gedient, um eine teurere aber technisch einwandfreie Lösung zu vermeiden (Bl. 40).
16Die Beklagte habe vorsätzlich gehandelt. Er habe hinreichend dargelegt, dass der Vorstand der Beklagten hiervon Kenntnis gehabt habe, sie müsse sich das Wissen ihrer leitenden Angestellten zurechnen lassen. Näherer Vortrag sei ihm – dem Kläger - hierzu indes nicht möglich. Er habe keine Kenntnis von den internen Strukturen der Beklagten, er könne daher keine Angaben dazu machen, wer mit der Entwicklung betraut gewesen sei (Bl. 51). Die Beklagte treffe insoweit eine sekundäre Darlegungslast.
17Die Messwerte der Fahrzeuge der Beklagten überstiegen im Straßenverkehr die Grenzen im NEFZ deutlich, dies könne nur auf einer - weiteren – Abschalteinrichtung beruhen (Bl. 174). Die Abgasrückführung werde nicht nur innerhalb bestimmter Außentemperaturen, sondern auch in bestimmten höheren Drehzahlbereichen reduziert. Die Software, die dies bewirke sei bei der Anmeldung der Fahrzeuge zur Erlangung der Typengenehmigung gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt nicht im Zulassungsbogen enthalten gewesen (Bl. 175).
18Der Kläger hat beantragt,
19die Beklagte zu verurteilen, an ihn 20.900,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeuges BMW X 1 mit der FIN: WBAVP91040VV60009.
20Die Beklagte zu verurteilen, ihn von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.348,27 € freizustellen.
21Die Beklagte hat beantragt,
22die Klage abzuweisen.
23Sie hat die Einrede der Verjährung in Bezug auf etwaige Gewährleistungsrechte erhoben (Bl. 132). Weiter hat sie behauptet, das Fahrzeug verfüge über keine Abschalteinrichtung. Eine Software unter der Bezeichnung „14/15 – V—Funktion“, die danach differenziere, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im Straßenverkehr befinde, existiere nicht. Dies hätten Messungen des KBA ergeben. Hierzu verhielten sich diverse Stellungnahmen seitens der Behörde. Deren Rückrufe hätten ausschließlich Fahrzeuge der Reihen 550d und 750d betroffen, hierbei habe es sich um ein Versehen und einen Einstellungsfehler gehandelt, von dem nur wenige Fahrzeuge betroffen gewesen seien (Bl. 166). Davon habe sie – die Beklagte – das KBA am 19.02.2018 in Kenntnis gesetzt und den Rückruf der betroffenen Fahrzeuge vorbereitet (Bl. 120). Die vom Kläger vorgetragenen Messwerte der Deutschen Umwelthilfe seien auf übertourige Fahrweise und nicht auf eine Abschalteinrichtung zurückzuführen (Bl. 112). Im Jahre 2006 hätten für den Serieneinsatz bei Personenkraftwagen noch keine geeigneten Möglichkeiten zur Abgasnachbehandlung bestanden, jedenfalls seien sie bei Einführung der Abgasnorm Euro 5 nicht bekannt gewesen. Die großzügigeren Vorgaben der Norm Euro 5 seien ausschließlich mit innermotorischen Steuerungsmaßnahmen einzuhalten gewesen (Bl. 113 f.). Die im Realbetrieb gemessenen Werte seien für diese Fahrzeuge kein Maßstab, da es bis zur Geltung der Euro 6 Norm ausschließlich auf den NEFZ angekommen sei (Bl. 115). In der Klageerwiderung hat sie vorgetragen, ein Thermofenster sei ihr unbekannt, mutmaßlich gehöre es zum Fahrzeug eines anderen Herstellers (Bl. 141). Der Vortrag des Klägers ziele darauf ab, dass der Entzug der Typengenehmigung drohe, weil diese Vorrichtung verschwiegen worden sein solle, die notwendigen Angaben beträfen gemäß Ziff. 3.2.12.2.4 (1.) der Anlage jedoch nur das Gesamtfahrzeug, die (detaillierten technischen) Angaben (zur Motorsteuerung) seien jedoch im Vorfeld gegenüber der zuständigen Systemgenehmigungsbehörde NSAI (National Standards Authority of Ireland) zu machen gewesen (Bl. 142).
24Die Abgasrückführung müsse an die Motordrehzahlen angepasst werden, um sowohl erhöhte Partikelbildung als auch thermische Schäden an den abgasführenden Bauteilen zu vermeiden (Bl. 116). Die von der Beklagten entwickelte Motorsteuerung versuche in sämtlichen Betriebszuständen einen optimalen Mix aus unterschiedlichen Faktoren (Verbrauch, Leistung und Abgasnachbehandlung) zu erzielen, ohne dass der Motor dabei Schaden nehme. Das Fahrzeug verfüge über eine gültige Typengenehmigung, nach dieser sei das Fahrzeug auch gebaut worden (Bl. 130). Die Zulässigkeit des Abgasreinigungssystems sei Teil einer vorgelagerten (System-) Genehmigung und spiele bei der Typengenehmigung keine Rolle mehr (Bl. 142).
25Die vom Kläger angeführte Entscheidung des EuGH betreffe in der Sache lediglich die Euronorm 6, sie sei zur Konformität im Zuge der Entwicklung der Grenzwerte im RDE ergangen. Tragfähige Aussagen zu Schadstoffklasse 5 enthalte sie nicht. Die vom Kläger in Bezug genommenen Messungen des KBA bezögen sich auf den Motor B 47, für den die Abgasnorm Euro 6 gelte. Sie bezieht sich auf eine Pressemitteilung des KBA vom 15.02.2018 (B2, Bl. 145), ausweislich deren diese Werte auf nicht normale Betriebsbedingungen zurückzuführen seien und zur Einleitung von Maßnahmen keine Veranlassung bestehe. Auch die Messungen des TÜV Essen und der TU Graz seien dem KBA hierbei bekannt gewesen. Dies unterstreiche auch die Stellungnahme des KBA vom 17.10.2019 auf eine Anfrage des OLG München (B 8, Bl. 202; Bl; 224). Die Messwerte indizierten das Vorliegen einer Abschalteinrichtung nicht. Vor 13 Jahren habe nach dem damaligen Stand der Technik keine Möglichkeit zu einer Abgasnachbehandlung bestanden, sondern nur diejenige, die Stickstoffemissionen durch optimale Verbrennung von vornherein zu reduzieren (Bl. 206). Eine Schädigungsabsicht habe nicht bestanden, der Kläger trage selbst vor, dass das Thermofenster dem Schutz des Motors vor Beschädigungen diene, der intendierte Motorschutz stehe der Schädigungsabsicht entgegen (Bl. 217).
26Das Landgericht hat am 28.01.2020 einen Hinweisbeschluss erlassen, mit dem der Beklagten unter Ziff. 2. Folgendes aufgegeben wurde:
27„Angesichts dieses Sachvortrages obliegt der Beklagten hinsichtlich des Bestehens des Thermofensters eine sekundäre Darlegungslast. Insofern vermag die Kammer nicht genau nachzuvollziehen, ob sie die tatsächlichen Behauptungen des Klägers bestreitet. Insofern erscheint ihr Vortrag widersprüchlich, wenn sie einerseits ausführt, dass es sich um eine 13 Jahre alte Technik handele, bei der keine Einstellungen vorgenommen werden könnten, andererseits aber bestimmte Unterschiede hinsichtlich des Umfangs der Abgasrückführung durchaus einzuräumen scheint. Die Beklagte mag daher aufgrund ihrer besseren Kenntnis der technischen Abläufe der Abgasrückführung diese so darstellen, dass sie ggf. der Überprüfung durch einen Sachverständigen zugänglich sind, und sich insbesondere dazu äußern, ob und gegebenenfalls welches Temperaturfenster besteht. Gleiches gilt, soweit sie davon ausgeht, dass eine eventuell vorliegende Abschalteinrichtung zulässig ist.“
28Unter Ziff. 4. heißt es:
29„Je nach konkreter Ausgestaltung eines eventuellen Thermofensters können sich ggf. Rückschlüsse auch auf den subjektiven Tatbestand des § 826 BGB oder auf eine eventuelle arglistige Täuschung ergeben (vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 22.08.2019; 17 U 294/18).
30Der Kläger wird aber darauf hingewiesen, dass es zu den Tatbestandsmerkmalen des Vorsatzes und der Kausalität noch an einem substantiierten Sachvortrag fehlt. Insofern werden nur Passagen aus Urteilen gegen andere Fahrzeughersteller widergegeben, die aber in tatsächlicher Hinsicht auf einem anderen Sachvortrag beruhen.
31Hierauf hat die Beklagte am 7. Februar 2020 erneut vorgetragen, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug der Motor N47 eingebaut sei. Bei der 3-er Reihe von BMW gebe es mehrere Generationen, in der vorletzten Generation sei bis Juli 2015 der Motor N47 verbaut und seit Juli 2015 der B47, da das von der Deutschen Umwelthilfe getestete Fahrzeug im September 2016 erstmals zugelassen worden sei, müsse in ihm bereits der Motor B 47 eingebaut sein. Es folgt eine Zusammenstellung der Typenschlüssel (Bl. 240). Sie habe bereits auf S. 10 der Klageerwiderung dargestellt, dass in dem von der DUH untersuchten Fahrzeug ein anderer Motor verbaut gewesen sei. Sie habe die Richtigkeit der Messungen insofern bestritten, als sie angegeben habe, dass diese auf nicht normale Betriebsbedingungen (insbesondere eine übertourige Fahrweise) zurückzuführen seien. Der streitgegenständliche Motor N47D20O01 sei bereits von der Untersuchungskommission Volkswagen getestet und für unauffällig befunden worden, dies sei im Zuge einer RDE-Fahrt bei 12,5°C geschehen. Hierbei habe sich ein Wert von 381 mgNOx/km ergeben, dieser Wert unterschreite den aktuell gültigen Konformitätsfaktor von 2,1, (bezogen auf 180 mg/km), obwohl dieser erst für Fahrzeuge der Abgasklasse E 6 gelte. Dies ergebe sich aus Seite 26 der vom Kläger selbst vorgelegten Anlage K 5 (Bl. 242). Im Schriftsatz vom 10.03.2020, Eingang per Fax am selben Tage, hat sie vorgetragen, das KBA habe mehrfach angegeben, dass keine Anhaltspunkte für eine Abschalteinrichtung bestünden. Die zu einem Motor der Daimler AG ergangene Rechtsprechung des 8. Zivilsenates in seinem Beschluss vom 28.01.2020 hinsichtlich der Substantiierungsanforderungen sei auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar, da jenes Verfahren Gewährleistungsansprüche in Bezug auf Motoren zum Gegenstand gehabt habe, für die es bereits einschlägige Rückrufe gegeben habe. All dies sei hier nicht gegeben. Es sei nicht streitig, dass der Motor viele Sensoren habe und nach zahlreichen Parametern gesteuert werde. In jedem Fachbuch sei nachzulesen, dass die Motorsteuerung an die Drehzahlen angepasst werden müsse. Je nach Betriebszustand habe das Fahrzeug auf und neben dem Prüfstand unterschiedlichste Emissionen, dies sei auch der Grund dafür, dass sämtliche Emissionen (nicht nur Stickoxide) in der Praxis häufig höher seien als auf dem Prüfstand, denn der sehr moderate NEFZ bilde die im tatsächlichen Fahrbetrieb anzutreffende Fahrweise nur selten zutreffend ab, deshalb sei 2015 beschlossen worden, ab dem Jahr 2017 zum WLTP zu wechseln (Bl.276).
32Die vom Kläger vorgetragenen Messergebnisse des KBA könnten zur Sachdarstellung des Klägers nichts beitragen, da der konkrete Hintergrund nicht bekannt sei. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb der Kläger deren Werte als erstaunlich bezeichne, denn der Grenzwert werde nur um etwas mehr als den Konformitätsfaktor 2,1 überschritten. Und dies obwohl die Messung bei 5°C (d.h. 15° unter den Prüfstandvorgaben) durchgeführt worden sei.
33Bei der Abgasrückführung entstehe Ruß, je höher die AGR-Quote sei, desto mehr Ruß entstehe. Die Abgasrückführung sei nicht direkt von der Außentemperatur abhängig. Sämtliche Parameter an denen die Steuerung des Motos hänge, seien validiert und dem KBA bekannt (Bl. 279). Zum Thema der Funktionsweise einer Abgasrückführung bei Dieselmotoren bei niedrigen Temperaturen gebe es keine rechtlichen Vorgaben, denn bei Einführung der VO 715/2007, seien die technischen Möglichkeiten unklar gewesen. Dem trage Art. 3 Abs. 9 der Verordnung 692/2008 Rechnung.
34Es sei richtig, dass es nicht möglich sei, bei sämtlichen Umgebungstemperaturen den Motor identisch zu steuern. Um die gleiche Leistung bei niedrigen Temperaturen zu erzielen, werde mehr Kraftstoff benötigt, dies führe zum Anstieg der Rohemissionen, zugleich steige die Gefahr einer Versottung. Daher seien zum Motorschutz gewisse Parameter auch im vorliegenden Fahrzeug bedingt. Soweit die AGR an die Umgebungstemperatur angepasst worden sei, sei dies im Zulassungszeitpunkt notwendig gewesen, um den Motor vor Beschädigung zu schützen. Sie reklamiere für sich, dass die Emissionen ihrer Fahrzeugflotte im Schnitt ca. 30 % niedriger seien, als der Gesamtdurchschnitt. Sie habe viel Geld investiert, um die Grenzen der Abgasrückführung zulässig zu gestalten, die Ausgestaltung sämtlicher Kennfelder stelle ein Betriebsgeheimnis dar. Der Source-Code umfasse mehr als 10.000 Seiten mit Fremd-IP. Er werde nur unter Vereinbarung der Vertraulichkeit offen gelegt. Gerne könnten einem Sachverständigen weiter gehende Informationen zur Verfügung gestellt werden (Bl. 280).
35Hierauf hat das Landgericht ohne Beweiserhebung und Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung am 31.03.2020 das angefochtene Urteil erlassen, mit welchem es die Beklagte zur Zahlung von 14.783,77 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 3.05.2019 Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeuges verurteilt hat. Ferner hat es die Verpflichtung ausgesprochen, den Kläger von Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.029,35 € freizustellen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Die Kammer hat die Beklagte aus dem Gesichtspunkt der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gemäß § 826 BGB als zum Schadenersatz in Höhe des Nettokaufpreises, abzüglich einer Nutzungsentschädigung als verpflichtet angesehen, die sie auf der Basis einer maximalen Gesamtfahrleistung von 250.000,00 € beziffert hat.
36(1.)
37Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, die Beklagte habe sich gesetzwidrig verhalten, indem sie im Fahrzeug einen Motor mit einem „Thermofenster“ ausgestattet habe. Dieses sei unzulässig. Im Thermofenster liege eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 der Verordnung (EG) 715/2007. Die Beklagte habe den substantiierten Vortrag des Klägers zum Vorliegen eines Thermofensters und die dort zugleich angeführten Grenzen nicht hinreichend substantiiert bestritten, sie seien daher gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen. Es erschließe sich nicht, was die Beklagte mit dem Begriff der Umgebungstemperatur im Schriftsatz vom 10.03.2020 meine. Im Beschluss vom 28.01.2020 habe die Kammer darauf hingewiesen, dass die Beklagte angesichts des substantiierten Vortrages eine sekundäre Darlegungslast treffe. Um dieser zu genügen, habe die Beklagte die technischen Abläufe der Abgasrückführung so darstellen müssen, dass sie gegebenenfalls der Überprüfung durch einen Sachverständigen zugänglich seien und welches Temperaturfenster bestehe. Dieser Verpflichtung habe sie nicht genügt.
38Die Voraussetzungen einer sekundären Darlegungslast lägen vor.
39Der Kläger habe unter Bezugnahme auf die Messergebnisse der Deutschen Umwelthilfe zum Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung durch Implementierung eines „Thermofensters“ ausreichend vorgetragen (Näheres nachfolgend zu 6.). Er habe keinen Einblick in die internen Entscheidungsabläufe hinsichtlich der hoch komplexen technischen Motorsteuerung der Beklagten. Er sei auf Testergebnisse, Berichterstattung und Rückschlüsse angewiesen. Hingegen habe die Beklagte selbstverständlich die Möglichkeit, den Umsetzungsprozess und die Entscheidungsabläufe im Zusammenhang mit dem Einsatz von Abschalteinrichtungen darzulegen. Sie habe lediglich vorgetragen, es sei schlichtweg falsch, dass die Höhe der Abgasrückführungsrate direkt von der Außentemperatur abhänge. Dies habe nichts mit der Funktionsweise des Motors zu tun, weshalb hierzu nicht Stellung genommen werden könne.
40Dieser Vortrag reiche nicht aus, um dem substantiierten Vortrag des Klägers entgegen zu treten, ihr Vortrag bleibe pauschal und sei zum Teil auch widersprüchlich. Zum einen erkläre sie nämlich, es treffe nicht zu, dass die Abgasrückführungsrate von der Außentemperatur abhänge, andererseits erkläre sie, im Fahrzeug des Klägers werde die Abgasrückführungsrate durch die Umgebungstemperatur bedingt, was dem Motorschutz diene. Die Differenzierung zwischen Außen- und Umgebungstemperatur erschließe sich der Kammer nicht, da sich ein Fahrzeug während des Betriebes stets draußen befinde.
41Auf das Vorliegen einer Zulässigkeit gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung könne die Beklagte sich nicht mit Erfolg berufen. Die Vorschrift sei restriktiv auszulegen, wer als Fahrzeughersteller dem grundsätzlichen Verbot entgehen wolle, müsse dies besonders rechtfertigen. Eine Notwendigkeit im Sinne von Abs. 2 Satz 2 liege insbesondere dann nicht vor, wenn sich die Einrichtung durch Konzeption, Konstruktion oder Werkstoffwahl vermeiden lasse. Der Verordnungsgeber sei bewusst über die bis dahin bestehende Regelung der Nr. 83 UN/ECE, Ziff.2.1.6. Satz 2 hinaus gegangen, diese habe eine bloße „Begründung“ ausreichen lassen, während nunmehr mit dem Begriff „Notwendigkeit“ an einen objektivierbaren Maßstab angeknüpft werde.
42Überwiegende Gründe sprächen dafür, dass die Einrichtung auf die Privilegierung grundsätzlich nicht gestützt werden könne, wenn sie unter Bedingungen eingreife, die zu den üblichen, alltäglichen Nutzungsbedingungen eines Kraftfahrzeuges im Sinne eines Normalgebrauchs zu zählen seien. Die Ausnahmevorschrift greife auch dann nicht, wenn aufgrund anders artiger Konstruktion oder durch Einsatz zusätzlicher Bauteile das Abschalten entbehrlich werde.
43Im Lichte dieser Erwägungen habe die Beklagte nicht ausreichend vorgetragen. Der pauschale Verweis auf den Motorschutz reiche nicht aus. Sie habe das Nichtvorhandensein anderer technischer Lösungen – und zwar unabhängig von der wirtschaftlichen Komponente – vortragen und gegebenenfalls beweisen müssen. Dies habe sie versäumt. Das Berufen auf ihr Betriebsgeheimnis befreie die Beklagte nicht von der sie im Rahmen der sekundären Darlegungslast treffenden Substantiierungspflicht.
44Angesichts der in hiesigen Breitengraden bestehenden Temperaurverhältnisse sei ein Thermofenster, das nur zwischen 17 und 33 °C zu 100 % funktioniere unzureichend.
45Auf die Einschätzung des Kraftfahrtbundesamtes komme es nicht an, denn die Rechtsfrage sei vom Gericht zu beurteilen.
46(4.)
47Die Beklagte habe sich damit zugleich sittenwidrig verhalten.
48Die Beklagte könne sich nicht darauf zurückziehen, sie habe darauf vertraut, dass die Vorrichtung zulässig sei, weil bereits die generelle Eignung zum Motorschutz ausreiche. Insbesondere angesichts der generellen Weigerung der Beklagten zum Thermofenster vorzutragen sehe die Kammer Anhaltspunkte dafür, dass dies nicht der Fall sei. Im Verhalten der Beklagten sei ein bewusst verschleierndes Vorgehen zu erkennen, es sei auf eine Überlistung der Prüfstandsituation insofern angelegt, als es sich mit einem vollen Funktionsbereich zwischen 17°C und 33°C auffallend nah an den Grenzen des Temperaturbereichs des NEFZ halte. Deshalb liege es nahe, dass der Temperaturbereich, in dem die Abgasrückführung ohne Einschränkung stattfinde zweckgerichtet auf die Testbedingungen des NEFZ ausgerichtet bzw. zugeschnitten worden sei.
49Da andere Gründe, insbesondere solche des Motorschutzes nicht vorgetragen worden oder ersichtlich seien, gehe die Kammer davon aus, dass dieses Verhalten allein der Kostensenkung und möglicherweise auch der Umgehung technischer Probleme gedient habe. Bezweckt worden sei die formale Erfüllung der Voraussetzungen der Typgengenehmigung unter Verschleierung der Tatsache, dass die zulässigen Grenzwerte im Normalbetrieb aufgrund des Thermofensters abweichend vom Prüfstand überwiegend nicht eingehalten würden. Der Beklagten sei es hierdurch möglich geworden, günstige Prüfvermerke zu erzielen. Sie habe sowohl die Aufsichts- und Prüfbehörden getäuscht als auch die Verbraucher. Die Beklagte habe es unterlassen zu erläutern, weshalb sie bei Inverkehrbringen des Motors davon ausgegangen sei, Gesichtspunkte des Motorschutzes zu dessen Rechtfertigung anführen zu können. Deshalb habe sie damit rechnen müssen eine unzulässige Abschalteinrichtung zu installieren.
50(2. und 3.)
51Dem Kläger sei hierdurch ein Schaden entstanden. Er liege in dem Erwerb eines mangelhaften Fahrzeuges. Der Kläger habe für seinen Kaufpreis kein gleichwertiges Äquivalent erhalten, denn es weise wegen der Abschalteinrichtung nicht die bei gleichen Sachen übliche Beschaffenheit auf. Er sei von der Beklagten konkludent darüber getäuscht worden, dass die Einstufung in die Schadstoffklasse gesetzmäßig erfolgt sei, obwohl sie in Wahrheit erschlichen worden sei. Die Typengenehmigung habe nicht erteilt werden dürfen. Diese Täuschung sei kausal für die Kaufentscheidung des Klägers gewesen.
52Die Beklagte sei daher zur Erstattung des Kaufpreises verpflichtet. Hiervon sei jedoch eine Nutzungsentschädigung in Abzug zu bringen. Diese sei anhand einer Gesamtfahrleistung von 250.000 km zu errechnen. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung habe die Gesamtfahrleistung 181.778 km betragen. Dies ergebe einen Abzug von 6.116,23 €. Nach Maßgabe dieses Gegenstandswertes seien auch die Kosten für die außergerichtliche Rechtsverfolgung aus dem Gesichtspunkt des Verzuges zu erstatten, bzw. der Kläger von diesen freizustellen.
53(5.)
54Die Beklagte habe auch vorsätzlich gehandelt. Ein Bewusstsein der Sittenwidrigkeit sei zwar nicht erforderlich, es genüge bereits die Kenntnis der sie begründenden Umstände. Diese habe vorgelegen. Der Kläger habe schlüssig vorgetragen, dass jedenfalls Teile des Vorstandes der Beklagten Kenntnis vom Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung gehabt haben müssten.
556.(1.b)
56Der Kläger habe zum Vorliegen einer schädigenden Handlung durch die Beklagte durch Implementierung eines Thermofensters hinreichend substantiiert vorgetragen (Urteil unter Ziff.1 b, Seite 7). Er habe anhand der Messergebnisse der DUH vorgetragen. Nach der Rechtsprechung des BGH in seinem Beschluss vom 28.01.2020 sei bei der Annahme willkürlicher Behauptungen ins Blaue hinein grundsätzlich Zurückhaltung geboten. Es dürfe einer Partei nicht verwehrt sein, von ihr nur vermutete Tatsachen zu behaupten und unter Beweis zu stellen. Willkür liege nur vor, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte bestimmte Sachverhalte ins Blaue hinein behaupte.
57So liege der Fall hier nicht. Der Kläger habe sich auf Messungen der DUH berufen. Diese hätten bei 8 Messungen ergeben, dass der durchschnittliche NOx-Ausstoß bei 212 mg/km gelegen habe. Hierdurch werde der zulässige Wert um das 2,6-fache überschritten. Zwar hätten sich diese Messungen auf das Nachfolgemodell B47 bezogen. Zur Substantiierung könne sich der Kläger hierauf dennoch berufen. Wenn bereits das Nachfolgemodell die Grenzwerte überschreite müsse dies „erst recht“ für das Vorgängermodell gelten. Diese stellten mindestens ein Indiz dafür dar, dass es sich auch beim N47 so verhalte. Wenn bereits das verbesserte Nachfolgemodell die zulässigen Werte überschreite, dürfte dies „erst recht“ für das Vorgängermodell gelten. Der Normverbrauch des B47 solle laut Angaben bei Wikipedia um bis zu 0,4 l gesenkt worden sein.
58Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, mit der sie ihr erstinstanzliches auf Klageabweisung gerichtetes Ziel in vollem Umfang weiter verfolgt. Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie verweist zusammenfassend darauf, das Landgericht habe entscheidungserheblichen Vortrag nicht zur Kenntnis genommen und zudem auch die Hinweispflicht verletzt. Es habe nicht ohne Beweisaufnahme entscheiden dürfen. Es sei unverständlich und überraschend, dass das Gericht trotz der Unrichtigkeiten im Hinweisbeschluss ohne Beweisaufnahme entschieden habe.
59Das Landgericht habe das Thermofenster mit dem vom Kläger angeführten Temperaturbereich nicht als zugestanden ansehen dürfen. Im Schriftsatz vom 10.03.2020 habe sie selbstredend die Temperatur im Motorraum gemeint. Bereits in der Klageerwiderung habe sie vorgetragen, dass die AGR an unterschiedliche Parameter angepasst werden müsse, dies geschehe einerseits, um den Motor zu schützen und in sämtlichen Situationen einen sicheren Betrieb gewährleisten zu können. Darüber hinaus aber auch, um zu verhindern, dass eine wesentliche Menge an Partikeln ausgestoßen werde (Bl. 506).
60Sie habe auch darauf hingewiesen, dass diese Anpassung nicht automatisch jeweils eine Verringerung des Emissionskontrollsystems bedeute. Es gebe keine konstante AGR-Rate. Im Schriftsatz vom 10.03.2020 habe sie ausgeführt, dass es unmöglich sei, einen Motor in sämtlichen Temperaturen identisch zu steuern. Bei niedrigen Temperaturen nähmen unter anderem Ruß- und Kohlenwasserstoff-Emissionen zu und dementsprechend steige die Versottungsgefahr (also die Ablagerung von kondensierten Kohlenwasserstoffen mit Ruß, v.a. aufgrund der Temperaturunterschiede an den Außenwänden von Motor und AGR-System), die letztlich zur Beschädigung wichtiger Bauteile bis hin zum Komplettausfall führe.
61Unstreitig führe eine unangepasste AGR-Rate bei niedrigen Temperaturen zu einer höheren Ruß- und Kohlenwasserstoffbildung, deswegen könne der Ausfall des Motors drohen. Dies erfordere eine Anpassung der AGR-Rate, sie sei zulässig (Bl. 510). Sie könne sich hinsichtlich ihrer Darlegungen auf die Wahrung von Betriebsgeheimnissen berufen. Es sei nicht erforderlich, im Einzelnen darzutun, wie eine Motorsteuerung technisch funktioniere (Bl. 515). Sie verweist auf die Stellungnahmen des KBA, wonach die Gefahr einer Betriebsuntersagung gerade nicht bestehe.
62Sie habe nicht sittenwidrig gehandelt. Es gebe keine irgendwie gearteten Verschleierungstaktiken. Das Fahrzeug habe alle Prüfungen ordnungsgemäß durchlaufen. Sie habe alle Kennfelder zutreffend offen gelegt (Bl. 516). Dass die Aufsichtsbehörde erwiesenermaßen getäuscht worden sein solle, entbehre jeder Tatsachengrundlage (Bl. 517). Ohnehin sei ein Thermofenster per se nicht geeignet, den Vorwurf der Sittenwidrigkeit zu begründen. Dem stehe der Vortrag zum Motorschutz entgegen. Es fehle auch am Vorsatz. Der Kläger habe eine Kenntnis von Organen nicht substantiiert vorgetragen. Er sei ins Blaue hinein erfolgt (Bl. 522). Es fehle auch am Schaden. Es erwähne nicht konkret, welche Risiken für die Betriebserlaubnis bestehen sollten. Die Kammer verkenne die Relevanz der Einschätzung des KBA (Bl. 523).
63Die Beklagte beantragt,
64die Klage unter Aufhebung des Urteils vom 31.03.2020 abzuweisen.
65Der Kläger beantragt,
66die Berufung zurückzuweisen sowie im Wege der Anschlussberufung,
67die Beklagte unter Abänderung des Urteils zur Zahlung von insgesamt 18.325,07 € Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeuges zu verurteilen,
68die Beklagte ferner zu verurteilen ihn von den außergerichtlichen Kosten in Höhe von 1.348,27 € freizustellen.
69Die Berufung zurückzuweisen.
70Die Beklagte beantragt,
71die Anschlussberufung zurückzuweisen.
72Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil, indem er im Kern seinen erstinstanzlichen Vortrag wiederholt und vertieft. Die Anschlussberufung stützt er darauf, dass die Nutzungsentschädigung auf der Grundlage einer maximalen Gesamtfahrleitung von 500.000 km zu beziffern sei. Sie sei daher mit 2.574,93 € zu bemessen. Die Lebensdauer eines BMW X1 liege über derjenigen eines VW-Sharan. Überdies habe das Landgericht die Geschäftsgebühr zu Unrecht nur in Höhe von 1,3 bemessen, gerechtfertigt sei eine Gebühr von 1,5. Es stehe außer Zweifel, dass das Vorgehen gegen die Beklagte nicht demjenigen gegenüber der Volkswagen AG vergleichbar sei, bei dem alle Tatsachen praktisch „auf dem Tisch“ lägen. Es hätten erhebliche tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten bestanden, die eine moderate Erhöhung rechtfertigten.
73Zur Berufung führt er aus, bis heute sei die Beklagte dem rechtlichen Hinweis nicht nachgekommen, sich dazu zu äußern, ob und welches Thermofenster bestehe. Die Beklagte versuche abzulenken. Sie bestreite nach wie vor nicht ausdrücklich, sondern verweise darauf, fehlinterpretiert worden zu sein. Auf die Wertung des KBA komme es nicht an, da nicht im Ansatz zu erkennen sei, wie das KBA zu seinen Schlüssen gekommen sei. Es handele sich nicht um eine offizielle Freigabe. Die Messungen des KBA hätten ergeben, dass der für die Schadstoffklasse 5 geltende Wert von 180 mg/km um das Dreifache überschritten werde. Es sei verwunderlich, dass die Beklage den Beschluss des BGH vom 28.01.2020 zu ihren Gunsten wende. Der Beschluss habe dazu dienen sollen, das Informationsungleichgewicht zwischen Kunde und Hersteller auszugleichen. Die Ausführungen der Beklagten seien nach wie vor allgemein gehalten und sollten lediglich die Ausführungen des Gerichts angreifen, ohne eigenen Vortrag zu liefern. Es gehe nicht um ausreichendes Bestreiten, sondern um eine sekundäre Darlegungslast. Wenn sich die Beklagte auf Betriebsgeheimnisse berufen hätte (was sie nicht habe und auch in der Berufungsbegründung nicht tue), würde das Gericht entsprechende Möglichkeiten gehabt haben, diese Angaben in nicht öffentlicher Sitzung unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu verhandeln. Das sehe die ZPO durchaus vor. Hierfür habe die Beklagte jedoch keinen Anlass gegeben (Bl. 619).
74Der BGH habe die Nichtzulassungsbeschwerde in seinem Beschluss vom 28.01.2020 lediglich aus formellen Aspekten zurückgewiesen. Dass er in der Sache gleichwohl Stellung bezogen habe zeige, wie wichtig diese Leitlinien aus Sicht des BGH für die Instanzgerichte gewesen seien. In anderen Verfahren seien (sowohl von den Instanzgerichten als auch von mehreren Oberlandesgerichten) zwischenzeitlich Beweisbeschlüsse erlassen worden, die er als Anlage beigefügt habe. Sie machten deutlich, dass der Vortrag des Klägers zum Erlass eines Beweisbeschlusses ausreiche (Bl. 623).
75Er bezieht sich zudem erneut auf ein Teilgutachten aus einem Parallelverfahren vor dem OLG Frankfurt, das er als Anlage BB 5 vorlegt. Der Sachverständige komme zu einer klaren Aussage. Zur Beweisfrage 2, ob die Abschalteinrichtung dem Motorschutz diene, habe der Sachverständige ausgeführt, dass es hierzu der Offenlegung der konkreten Programmierung bedürfe (Bl. 627).
76Die Ansicht der Beklagten, dass es ausschlich auf die Grenzwerte im NEFZ ankomme und dass Werte außerhalb dieses Zyklus vollkommen irrelevant seien, sei falsch. Die Grenzwerte müssten auch außerhalb des NEFZ eingehalten werden. Erforderlichenfalls sei eine Vorlage an den EuGH vorzunehmen.
77Die Beklagte habe nicht nur hinsichtlich des Thermofensters, sondern auch bezüglich der weiteren von ihm dargestellten Abschalteinrichtungen keine substantiierte Erklärung abgegeben ( Bl. 631). Die Darlegungslast liege bei der Beklagten.
78Das Landgericht habe auch zu Recht einen Vorsatz der Beklagten bejaht, eine andere Auslegung nach dem Verständnis der Beklagten sei nicht möglich (Bl. 635). Selbst wenn ein Beurteilungsspielraum bestanden haben sollte, gäbe dies der Beklagten nicht das Recht, die Verordnung nach eigenem Gutdünken auszulegen. Bestenfalls komme ein entschuldigender Rechtsirrtum in Betracht. Dies setzte jedoch voraus, dass die Beklagte Mühen unternommen habe, die richtige Rechtslage herauszufinden und trotz dieser Bemühungen zu einem falschen Ergebnis gekommen zu sein. Angesichts der wirtschaftlichen Tragweite habe sie sich nicht auf das Bauchgefühl einiger Ingenieure verlassen dürfen (Bl. 635).
79Das Vorgehen der Beklagten sei sittenwidrig. Seit 1998 sei bekannt gewesen, was unter einer anomalen Emissionsminderungsstrategie zu verstehen sei. Laut Anhang VII der Richtlinie 28/69 EG habe schon seinerzeit eine Emissionsstrategie, die bei niedrigen Temperaturen unter normalen Bedingungen zu einer Verringerung des Emissionsminderungssystems geführt habe, als Abschalteinrichtung gegolten (Bl. 637).
80Die Abgasrückführung stelle Konstrukteure bei einem PKW hinsichtlich der Verrußung und des Abgasstrangs vor größere Probleme. Ein Dieselmotor ohne Abgasrückführung sei nahezu ewig haltbar. Deshalb bestehe ein Interesse daran, einen Motor zu entwickeln, der ohne komplizierte Mechanismen länger haltbar sei. ( Bl. 639). Er trägt Messwerte aus anderen Prüfzyklen (CDAC und NEDC) vor (Bl. 642f.).
81Ausweislich der vom KBA erhobenen Werte und Abweichungen seien die Vorgaben der Schadstoffklasse Euro 5 um das bis zu dreifache überschritten, dies lasse auf weitere Abschalteinrichtungen schließen, lediglich bei den getesteten E6d-Fahrzeugen würden die Grenzwerte eingehalten (Bl. 648). Bei gleichem Motor spielten unterschiedliche Modellbezeichnungen keine Rolle. Die Messwerte zur Motorreihe B 47 seien anwendbar und vergleichbar. Die Abschalteinrichtungen dienten nicht dem Motorschutz, die hierfür gegebenen Begründungen seien nicht plausibel (Bl 659 f.). Es wäre der Beklagten möglich gewesen, Motoren und Fahrzeuge zu konstruieren, welche die Grenzwerte dauerhaft einhielten, hierzu seien jedoch Entwicklungskosten notwendig gewesen. Die Alternativlösungen seien der Beklagten zu teuer gewesen.
82Neben dem Thermofenster seien noch weitere Abschalteinrichtungen vorhanden, beispielsweise das so genannte „hard cycle beating“, es sei an die Dauer des NEFZ geknüpft. Da die Dauer des NEFZ mit 20 Minuten festliege, sei es der Beklagten ein Leichtes nach Ablauf dieses Zeitraumes eine andere Abgasführung zu schalten (Bl. 653). Zudem sei die Abgasrückführung auch an die Umdrehungen geknüpft. Eine erste Reduzierung erfolge ab 2.500 U/min. Ab 3.000 U/min, werde das AGR-Ventil komplett geschlossen (Bl. 652). Darüber hinaus erfolge eine Anpassung an die Motordrehzahl und an die Geschwindigkeit ( Bl. 653). Bei Geschwindigkeiten über 150 km/h werde das AGS-Ventil komplett geschlossen. Ab einer Gesamtfahrleistung von 60.000 km werde die AGR grundsätzlich deaktiviert, da bei derartig alten Fahrzeugen in der Regel ein NEFZ nicht mehr durchgeführt werde (Bl. 654).
83Bei dieser unternehmerischen Entscheidung sei allen Beteiligten bewusst gewesen, dass das Thermofenster unter dem Deckmantel des Motorschutzes nicht vom Ausnahmetatbestand gedeckt gewesen sei. Sie hätten sich darauf verlassen, dass es im Zuge des NEFZ nicht auffallen würde (Bl. 668). Die Abschalteinrichtung sei bei Beantragung der Typengenehmigung nicht angegeben worden.
84Dem ist die Beklagte mit der Begründung entgegen getreten, der Ansatz einer Gesamtfahrleistung von 250.000 km bei der Bemessung des Nutzungsersatzes durch das Landgericht sei nicht zu beanstanden, denn der Nutzen werde spätestens nach 250.000 km nicht mehr aus der Anfangsinvestition gezogen, sondern aus Wartungs- und Instandhaltungsmaßnahmen.
85Zur Berufungserwiderung hat sie ausgeführt, das Kraftfahrtbundesamt habe in weiteren nunmehr erstmals vorgelegten Stellungnahmen gegenüber Anfragen diverser Landgerichte das Vorliegen einer verbotenen Abschalteinrichtung widerlegt. Dabei handele es sich um zulässige Beweismittel im Sinne der Zivilprozessordnung. Die Darstellung des Klägers zu den eingeschränkten Prüfungen des KBA sei haltlos und grotesk. In der Folge setzt sie sich mit den Entscheidungen einzelner Oberlandesgerichte auseinander.
86Der Beschluss des BGH vom 28.01.2020 betreffe ein Fahrzeug der Daimler AG, für das bereits Rückrufe vorgelegen hätten. Die technischen Ausführungen in der Anschlussberufungsschrift seien widersprüchlich, pauschal und unzutreffend. Sie verweist hierzu auf ein als Anlage BB11 vorgelegtes Gutachten des Sachverständigenbüros B. & Partner vom 02.11.2020.
87Die Berufungserwiderung enthalte zudem neuen Vortrag, dieser sei unsubstantiiert und irrelevant und deshalb zurückzuweisen. Er betreffe überwiegend die Daimler AG. Das Gutachten des Sachverständigen C. gegenüber dem OLG Frankfurt sei nicht ausreichend, die vom Kläger gezogenen Schlüsse seien nicht haltbar.
88II.
89Die bedenkenfrei zulässige Berufung ist begründet. Die Anschlussberufung ist zwar zulässig, sie bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg.
90A Berufung
91Das angefochtene Urteil vom 31.03.2020 weist Rechtsfehler im Sinne des § 546 ZPO auf und die gemäß § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen eine andere Entscheidung, § 513 ZPO. Die Beklagte ist weder zum Schadenersatz noch zur Rückerstattung des Kaufpreises verpflichtet. Sowohl deliktische Ansprüche als auch vertragliche Ansprüche scheiden aus. Ebenso wenig sind bereicherungsrechtliche Ansprüche nach Anfechtung gegeben.
92I.
93Vertragliche Rücktrittsansprüche gemäß §§ 434, 437, 346 BGB scheiden aus. Es kann dahin stehen, ob im Vorliegen eines so genannten Thermofensters- je nach den hiermit verbundenen Auswirkungen auf die Abgaswerte- ein Sachmangel gesehen werden kann. Derartige Ansprüche sind jedenfalls gemäß § 438 Abs. 4, 218 BGB in Verbindung mit § 475 Abs. 2 BGB a.F. verjährt.
94Auf das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien ist das Bürgerliche Gesetzbuch in der vom 01.01.2002 bis zum 31.12.2017 gültigen Fassung anzuwenden. Art. 223, § 5, § 39 EGBGB. Die Parteien haben die zweijährige Verjährungsfrist gemäß § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB wirksam durch Allgemeine Geschäftsbedingungen in Ziff. VI. Nr.1 auf ein Jahr verkürzt. Dies ist gemäß § 475 Abs. 2 BGB a.F. bei gebrauchten Sachen auch im Rahmen eines Verbrauchsgüterkaufes zulässig. Die nach § 309 Nr. 7 BGB für die fortbestehende Haftung für vorsätzlich und grob fahrlässig herbeigeführte Verletzungen von Leben oder Gesundheit geltenden Grenzen werden gewahrt. Ein Fall des § 438 Abs. 3 BGB wegen Arglist scheidet aus, wie sich aus den nachfolgenden Erwägungen ergibt.
95- 96
II. § 826 BGB
Die Voraussetzungen eines Anspruchs wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB liegen nicht vor. Es fehlt sowohl an einem sittenwidrigen Verhalten der Beklagten beim Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeug- und Motortyps als auch am Schädigungsvorsatz der Verantwortlichen der Beklagten.
981. Teil: Thermofenster
991.
100Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (st. Rspr.) Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (Senatsurteil vom 28. Juni 2016 - VI ZR 536/15, WM 2016, 1975 Rn. 16 m.w.N.). Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht. (BGH ZIP 2020, 1179 [15]).
101Gemäß der Entscheidung des 6. Senat des Bundesgerichtshofs vom 25.05.2020 (ZIP 2020, 1179) ist ein sittenwidriges Verhalten darin zu sehen, dass ein Fahrzeughersteller aufgrund einer bewussten planvollen Geschäftsentscheidung aus Gewinnstreben systematisch die Zulassungsbehörden täuscht, indem er im Zuge des Antrages auf Erteilung einer Typengenehmigung die Verwendung einer gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung 715/2007 verbotenen Abschalteinrichtung verschwiegt. Hierdurch soll die Gefahr des Widerrufs der Typengenehmigung und einer Betriebsstillegung der betroffenen Fahrzeuge gemäß § 5 Abs. 1 FZV drohen, die durch Softwareupdates nicht gebannt werden kann. Der Schaden liege in der Zahlung des Kaufpreises für das Fahrzeug. Die Lebenserfahrung spreche dafür, dass kein Käufer ein Fahrzeug erwerbe, das im Übergabezeitpunkt der Gefahr einer Betriebsstilllegung ausgesetzt sei.
1022.Es kann dahin stehen, ob der Kläger das Vorhandensein eines so genannten Thermofensters hinreichend dargelegt hat, ebenso kann offen bleiben, ob darin ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1. Abs. 2 der Verordnung (EG) 715/2007 gesehen werden kann, es fehlt jedenfalls am für die Sittenwidrigkeit erforderlichen zusätzlichen Element, nämlich dem Unrechtsbewusstsein der Beklagten, mindestens aber am Schädigungsvorsatz:
103Darüber, ob ein Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 der VO (EG) 715/2007 darstellt, herrscht sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht Streit.
104Streit besteht in erster Linie darüber, welche Anforderungen an die Möglichkeit einer Rechtfertigung gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung zu stellen sind. Eine Abschalteinrichtung ist nicht grundsätzlich verboten, sie kann unter den Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung ausnahmsweise gerechtfertigt sein, wenn die Einrichtung nicht länger arbeitet, als es zum Anlassen des Motors erforderlich ist [Buchstabe b)], die Bedingungen in den Prüfsituationen im Wesentlichen enthalten sind [Buchstabe c)] oder die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeuges zu gewährleisten [Buchstabe a)]. Vor allem hinsichtlich der Auslegung der der Variante gemäß Buchstabe a) herrscht Uneinigkeit.
105Nach einer Meinung, die von den Genehmigungsbehörden und vom Senat geteilt wird, und auf die die Beklagte sich beruft, reicht es aus, dass durch die Abgasrückführung bei üblicher oder durchschnittlicher Ausführung der Konstruktion die Gefahr einer Versottung und Verrußung sowohl des Dieselpartikelfilters als auch des Abgasrückführungsventils besteht und dass damit die nach Darstellung der Hersteller durch Wartung nicht beherrschbare Gefahr eines plötzlichen Leistungsabfalls einhergeht, was mit einer mittelbaren Unfallgefahr (etwa beim Ausscheren und Überholen) einhergeht.
106Nach einer jüngeren Ansicht, der auch das Landgericht Düsseldorf in seinem angefochtenen Urteil zuneigt und die vom Landgericht Stuttgart geteilt wird (LG Stuttgart Urteil vom 17.01.2019, Az.: 23 O 180/18; Vorlagebeschluss vom 13.03.2020, Az.: 3 O 34/19 (Rechtssache EuGH C-138/20); LG Düsseldorf Urteil vom 31.07.2019, Az.: 7 O 166/18, ZUR 2019, 697) soll es darauf ankommen, ob diese Gefahr auch mit größtmöglichem technischen Aufwand nicht vermieden werden kann. Dies wird mit einer Missbrauchsgefahr der Autohersteller begründet (Führ, Stellungnahme vom 19.11.2016 für den 5. Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages der 18. Wahlperiode , S. 7, Anlage K 25). Der Hersteller soll es nicht in der Hand haben, durch eine besonders schutzwürdige Konstruktion die Zulässigkeit gemäß Art.5 Abs. 2 Satz 2, Buchstabe a) herbei zu führen. Ergänzend wird ein Verstoß gegen At. 5 Abs. 1 der Verordnung darin erblickt, dass so genannte Thermofenster – je nach Ausgestaltung – angesichts der im Vertriebsgebiet herrschenden Durchschnittstemperaturen nur selten funktioniere. Die Versottung sei keine Beschädigung, sondern eine Verschmutzung und könne deshalb die Anforderungen des Ausnahmetatbestandes nicht erfüllen.
107a) Grundsätzlich kann ein Thermofenster eine Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 715/2007 darstellen, das so genannte Thermofenster erfüllt die Voraussetzungen der Definition in Art. 3 Nr. 10 der Verordnung, die vorsieht, dass es sich bei einer Abschalteinrichtung handelt um
108„ … ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.“ |
Die Abgasrückführung ist Teil des Emissionskontrollsystems (EuGH Urteil vom 17.12.2020, C- 693/18, Rdz. 66 ff.), die Ermittlung der Temperatur zur Steuerung der Rate der Abgasrückführung mittels einer Software ist daher geeignet, um das so genannte Thermofenster als Abschalteinrichtung im Sinne der Definition ansehen zu können.
111Es kann dahin stehen, ob der Ansicht des Klägers zu folgen ist, eine derartige Einrichtung sei nur dann ausnahmsweise von Art. 5 Abs. 2 a) der Verordnung gedeckt, wenn sie schlechthin unvermeidbar sei. Denn darauf kommt es nicht entscheidend an. Dieser Meinungsstreit bedarf keiner Entscheidung. Ebenso wenig ist eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof gemäß Art. 267 AEUV oder eine Aussetzung des Verfahrens gemäß § 148 ZPO veranlasst, bis der Europäische Gerichtshof gemäß dem Vorlagebeschluss des Landgerichts Stuttgart in der Rechtssache C –138/20 über die Zulässigkeit des Thermofensters entschieden hat.
112b) Darauf kommt es letztlich nicht an. Aus dem Urteil des EuGH vom 17.12.2020 (Rechtssache C-693/18) wird erkennbar, dass ein relevanter Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 VO (EU) 715/2007 nur dann vorliegt, wenn die Abschalteinrichtung Auswirkungen auf die Einhaltung der Grenzwerte hat (Rdz. 97, 99), wenn die Typengenehmigung also ohne die Einrichtung nicht erteilt worden wäre. Dem tritt der Senat bei. Ausweislich der Erwägungsgründe (5 und 6) verfolgt die Verordnung den Zweck der Verbesserung der Luftqualität, damit wäre das Verbot einer Einrichtung, die keine nachteiligen Auswirkungen auf die Abgaswerte hat, nicht zu vereinbaren. Dann wäre auch eine Betriebsuntersagung gemäß § 5 Abs. 1 FZV unverhältnismäßig. Hierzu hat der Kläger nicht hinreichend dargetan:
113aa)
114Die von ihm als Anlage K 47 vorgelegten und im Abschlussbericht der Untersuchungskommission Volkswagen ab Bl. 26 bewerteten Messungen ergeben, dass der für die Schadstoffklasse EU 5 geltende Wert von 180 mg/km sowohl im Rollenstand als auch auf der Straße – validiert – eingehalten wurden. Auf dem Rollenstand lag der Wert bei 109 mg/km (kalt) bzw. bei 216,00 mg/km (warm, d.h. ohne die Vorkonditionierung mit 6-stündiger Wartezeit und bei einer nachvollzogenen Messung des NEFZ für die Straße mit einem PEMS (Portable Emission Measurement System), bei 365,05 mg/km. Der ohnehin für das Fahrzeug (noch) nicht gültige Korrelationsfaktor von 2,1 (VO 2016/646) wurde damit sogar unterschritten. Lediglich bei gegenüber dem NEFZ um 10 % erhöhten Geschwindigkeiten wird der Grenzwert mit nunmehr 480,56 mg/km überschritten. In der RDE-Fahrt liegt er bei 381,92 mg/km und ist damit nur leicht erhöht. Diese Ergebnisse haben das KBA und die Untersuchungskommission als unbedenklich eingestuft. Dem schließt sich der Senat an.
115Aaa)
116Für Fahrzeuge der Abgasnorm EU5 kam es ausschließlich auf Werte im Rahmen des bei Beantragung der Typengenehmigung im Jahre 2013 noch maßgeblichen Prüfmodus (NEFZ) an. Erst ab Inkrafttreten der Verordnungen (EU) 2016/427 und (EU) 2016/646 am 16. Mai 2016 ist klargestellt, dass ab der Abgasnorm 6d.temp seit dem September 2017 der zwischenzeitlich ebenfalls überholte RDE gelten sollte. Eine Rückwirkung ist weder vorgesehen, noch wäre sie zulässig. Eine Erstreckung auf bereits erteilte Typengenehmigungen beinhaltete eine verbotene echte Rückwirkung, die gegen Art. 20 GG verstieße.
117Bbb)
118Im Ergebnis ohne Erfolg beruft sich der Kläger in diesem Zusammenhang auf eine nunmehr vorgelegte Bekanntmachung der Kommission vom 26.01.2017. Darin heißt es auf Seite 12, dass die Fahrzeuge unter abgewandelten Standardbedingungen, den so genannten modifizierten Prüfbedingungen geprüft werden sollen, um etwaige Abschalteinrichtungen zu entdecken. Dies entspricht den Vorgaben der Verordnungen 2016/427 und 2016/646, demnach sollte der RDE zunächst nur zu Überwachungszwecken eingesetzt werden, während einer Übergangszeit sollte der Industrie die Anpassung ermöglicht werden. Erst ab Geltung der Abgasnorm 6d temp. sollte es für die Genehmigung auf den RDE ankommen.
119bb)
120Die Beklagte hat sich dem gegenüber auf die unter aa) dargestellten Messungen der Untersuchungskommission Volkswagen vom April 2016 (K5) bezogen, die keine Auffälligkeiten ergeben haben. Die Beklagte hat auch eine Stellungnahme des KBA aus dem Jahre 2020 vorgelegt, ausweislich deren sich keine relevanten Abweichungen ergeben haben. Gänzlich ins Blaue hinein behauptet der Kläger unter Vorlage einer Anlage BB1 nunmehr, dass das KBA in Wahrheit keine Testung vorgenommen habe. Die Anlage BB 1 ist eine Stellungnahme des KBA vom 28.04.2020 auf eine Anfrage des Landgerichts Freiburg im Breisgau vom 13.03.2020, mit der Bitte um Auskunft zu zwei Hauptfragen mit mehreren Unterfragen, nämlich derjenigen (1), ob der im Fahrzeug der dortigen Klägerin BMW X 3, FIN verbaute Motor N47D20O1 durch das KBA einer Prüfung auf eine Manipulation der Abgaswerte unterzogen worden sei (a), ob das Fahrzeug deshalb einem Rückruf unterlegen habe, oder es sonst beanstandet worden sei (b), gegebenenfalls werde um Angabe des Befundes bzw. des Bescheides gebeten. Sollte positiv attestiert worden sein, dass keine unzulässige Abschalteinrichtung vorhanden sei, werde um dessen Übersendung gebeten.
121Dabei blendet der Kläger in unzulässiger Weise aus, dass sein Fahrzeug dem Typ BMW X 1xDrive20d entspricht. Angaben des KBA zum Typ BMW X 3 sind damit ohne Relevanz. Obwohl in Modellen der gleiche Motortyp verbaut sein mag, richten sich Art und Ausmaß der Steuerung und damit die Emissionen nach dem jeweiligen Fahrzeugtyp und dessen Fahreigenschaften. Die Darstellung des Klägers, das “Blech drum herum“ sei irrelevant, trifft nicht zu, denn die Aerodynamik und das Leergewicht des jeweiligen Fahrzeugtyps bedingen andere Verbrauchswerte und damit auch ein anderes Verbrennungs- und Emissionsverhalten.
122Zudem unterlässt er es, auch die Antwort des KBA auf die Frage 2 mitzuteilen, nämlich ob in Bezug auf in einer (dem Senat nicht vorliegende) Anlage K 45 mitgeteilten Messergebnisse für vergleichbare Motoren der Reihe N47 (nämlich der Fahrzeugmodelle BMW 320d Euro 5 und BMW 520d Euro5) eine so deutliche Überschreitung des gesetzlichen Grenzwertes außerhalb des Prüfstandes festzustellen sei, dass Anlass zu dem Verdacht auf eine illegale Abschalteinrichtung bestehe. Darauf hat das KBA nämlich Folgendes geantwortet:
123„Die in der Anlage K45 angegebenen Messwerte wurden zutreffend wiedergegeben. Die beiden von ihnen genannten Fahrzeugtypen BMW320d und 520d wurden im Rahmen einer freiwilligen Maßnahme durch das KBA geprüft. Unzulässige Abschalteinrichtungen wurden dabei nicht beanstandet.“
124cc)
125Dem gegenüber beziehen sich die vom Kläger schriftsätzlich ausschließlich in Bezug genommenen Messungen der Deutschen Umwelthilfe ausweislich ihres Berichts vom 5. Dezember 2017 (K6a) auf einen BMW 320d, Erstzulassung 09.2016, für den die Abgasnorm EU 6 galt. Auch der spätere Bericht vom 11. April 2018 (K6), befasst sich mit einem Fahrzeug mit der Erstzulassung 09.2017, das die Schadstoffklasse EU6 erfüllen musste, es war mit einem Speicherkatalysator ausgestattet, wies jedoch eine höhere Gesamtleistung auf als das streitgegenständliche, nämlich 140 kw. Die als Anlage K 38 in englischer Sprache vorgelegten Messungen der Emisia S.A vom 18. August 2017 beziehen sich nicht auf einen vergleichbaren Fahrzeugtyp. Sie sind daher entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht aussagekräftig, denn die höhere Schadstoffnorm kann andere Anpassungsprobleme hervorgerufen haben. Den Schluss des Landgerichts, wenn schon im Nachfolgemodell die Grenzwerte nicht eingehalten werden könnten, gelte dies erst recht für das Vorlaufmodell, vermag der Senat nicht beizutreten. Auch die als Anlage K 34 vorgelegten Messungen des TÜV Essen beziehen sich auf Fahrzeuge, die die Abgasnorm EU 6 zu erfüllen hatten.
126dd)
127Erst die Messungen der DUH ausweislich ihres 3. Berichts vom 15. August 2018 (K 8) betreffen ein vergleichbares Fahrzeug mit der Erstzulassung Oktober 2013, für das die Abgasnorm EU 5 galt. Das Fahrzeug wurde von der DUH mit einem SCR-Katalysator nachgerüstet. Die Stickstoffmesswerte ohne die – serienmäßig nicht vorgesehene – Ausstattung mit einem SCR-Katalysator betrugen 900 mg/km, mit Katalysator betrugen sie 171 mg/km (Seite 21). Eine Auswertung anhand von Temperaturen findet sich dort nicht. Auch hier sind die Messungen nur zu einem einzigen Temperaturbereich erfolgt, nämlich bei einer Außentemperatur von plus 21 Grad (ohne die Nachrüstung mit einem nach der Bauart gar nicht vorgesehenen SCR-Katalysator) bzw. 19 bis 34 Grad (im Wege der Nachrüstung von der DUH mit einem SCR-Katalysator versehen).
128Aus dem erhoben singulären Wert lassen sich keine Rückschlüsse auf ein so genanntes Thermofenster, dessen Grenzen und etwaige Auswirkungen auf die Abgaswerte ziehen, denn sie sind nicht in einer genormten und rekonstruierbaren Prüfsituation erhoben worden, und damit nicht hinreichend aussagekräftig. Die Deutsche Umwelthilfe hat Fahrten im realen Straßenverkehr auf frei gewählter Strecke unternommen, die erhobenen Werte können vom Fahrstil und der jeweiligen Situation abhängen. Eine Erhöhung liegt somit in der Natur der Sache. Zu Recht erhebt die Beklagte in diesem Zusammenhang den Einwand, die (erhöhten) Werte seien durch bewusst übertourige Fahrweise entstanden. Dem ist der Kläger auch nicht entgegen getreten. Zur Feststellung einer relevanten Überschreitung kommt es entgegen der Ansicht des Klägers jedoch auf den NEFZ an, der genormten Prüfbedingungen auf genormter Strecke entsprechen muss.
129ee)
130Demgegenüber weist die vom Kläger selbst vorgelegte Anlage K 7 (Zusammenstellungen von Messergebnisse durch HBEFA) – gestaffelt nach Prüfständen für ein Fahrzeug vom Typ BMW ED, 1,995 cbcm, 120 kw im sog. Common Artemis Driving Circle (CADAC), gemessen bei 23 Grad Umgebungstemperatur Werte auf, die lediglich bei einer rein innerorts durchgeführten Testfahrt eine mit 651 mg/km eine signifikante Überschreitung des um den Faktor 2,1 zu erhöhenden Grenzwertes (VO 2016/646) von 180 mg/km ergeben. Eine Prüfstrecke ausschließlich innerorts entspricht jedoch nicht den Prüfbedingungen für eine RDE gemäß der Anlage zur VO (EU) 2016/427. Im Mittel, etwa bei einem Anteil von jeweils 1/3 von innerorts und außerorts sowie Autobahn werden die Grenzwerte jedoch eingehalten. Im NEDC (englisch für NEFZ) wird der Wert mit 132 sogar unterschritten. Messungen der TU Graz werden zwar erwähnt, jedoch nicht vorgelegt.
131Angesichts der Widersprüchlichkeit der vom Kläger vorgelegten Testergebnisse hat er die Voraussetzungen einer relevanten Abschalteinrichtung nicht dargetan und es ist der Beklagten weder zumutbar, von sich aus die Details ihrer Motorsteuerung offen zu legen, um dem Kläger zu der notwendigen Differenzierung des Beruhens der Abgaswerte auf die einzelnen Mechanismen zu verhelfen, noch kann von ihr die Vorlage der Genehmigungsunterlagen verlangt werden. Ebenso wenig besteht eine Verpflichtung zur Offenlegung der Antragsunterlagen gegenüber dem KBA oder der NSAI.
132c)
133Eine sekundäre Darlegungslast besteht nicht.
134Eine sekundäre Darlegungslast betrifft den Prozessgegner der primär darlegungsbelasteten Partei, wenn diese keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Bestreitende alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen (BGH Urteil vom 25.05.2020 ZIP 2020, 1179 [37]). Eine Umkehr der Beweislast wird damit nicht bewirkt, ebenso wenig eine über die prozessuale Wahrheits- oder Erklärungslast gemäß § 138 Abs. 3 ZPO hinaus gehende Verpflichtung des in Anspruch genommenen, dem Prozessgegner alle für seinen Prozesserfolg benötigten Informationen zu beschaffen (BGH a.a.O.).
135Der Kläger ist in der Lage, die Abgaswerte zumindest in ihrer Gesamtheit durch Einholung eines Sachverständigengutachtens ermitteln zu lassen, er ist hierfür nicht auf Vermutungen oder die Mithilfe der Beklagten angewiesen, denn es handelt sich um einfache Messungen.
1363. Es fehlt zudem an dem die Sittenwidrigkeit begründenden zusätzlichen Element.
137Auf ein Thermofenster kann der Vorwurf sittenwidrigen Handelns nämlich ohnehin nicht gestützt werden. Nach ganz herrschender Ansicht in der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. – nur beispielhaft – OLG Hamm, Beschluss vom 05. November 2020, 18 U 86/20, juris, sowie Urteile vom 28.09.2020, 8 U 17/20, vom 12.08.2020, 30 U 192/19 und vom 18.02.2020, 19 U 29/19; OLG München, Beschluss vom 29.09.2020, 8 U 201/20, juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 12. März 2020, I-5 U 110/19, juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019, 10 U 134/19; OLG Dresden, Urteil vom 16.07.2019, 9 U 567/19, juris; OLG Koblenz, Urteil vom 18.06.2019, 3 U 416/19 juris; OLG Karlsruhe, Urteil vom 30.10.2020, 17 U 296/19, juris), die vom Senat und vom Bundesgerichtshof geteilt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19) reicht die Entwicklung und der Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) für sich genommen nicht aus, um einen Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung zu begründen. Dies gilt auch dann, wenn das Thermofenster als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung 715/2007/EG zu qualifizieren sein sollte und die Beklagte mit der Entwicklung und dem Einsatz dieser Steuerung eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinn erstrebte. Der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit ist vielmehr nur dann gegeben, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen. Die Annahme von Sittenwidrigkeit setzt jedenfalls voraus, dass die handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt. Dabei trägt die Darlegungs- und Beweislast für diese Voraussetzung nach allgemeinen Grundsätzen der Kläger als Anspruchsteller (BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19, juris Rn. 19 a.E.; BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179 Rn. 35). So verhält es sich hier.
138a)
139Der Meinung des Klägers, wonach es zur Entlastung des Herstellers erforderlich sein soll, dass jener zunächst ein Rechtsgutachten zur Vereinbarkeit des Thermofensters mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung 715/2007 einholt, schließt sich der Senat nicht an. Die für die Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums gemäß § 17 Satz 1 StGB geltenden strengen Grundsätze sind auf Art. 5 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung (EG) 715/2007 nicht übertragbar. Zumindest aber durfte sich die Beklagte damit begnügen, auf die Praxis der Genehmigungsbehörden zu vertrauen. Der Vorsatz im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB muss allerdings nach strafrechtlichen Normen beurteilt werden, wenn das Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB eine Strafnorm ist, was auch zu gelten hat, wenn die das Schutzgesetz selbst keine Strafnorm ist, jedoch seine Verletzung unter Strafe gestellt wird (BGH ZIP 2017,1423 [17]). Es kann dahin stehen, ob Letzteres im Hinblick auf Art. 13 Abs. 2 d) der Verordnung 715/2007 vorliegt, denn die Beklagte konnte sich dessen ungeachtet auf die ständige Übung in der Genehmigungspraxis, die durch die geltende Verordnungslage und den Inhalt der Antragsformulare gestützt wurde, verlassen. Die Beklagte hatte bei Inverkehrbringen des Fahrzeugtyps keine Veranlassung an der grundsätzlichen Genehmigungsfähigkeit des so genannten Thermofensters als solchem zu zweifeln. Der Kläger trägt hierfür nichts vor.
140Vorliegend steht nicht die Verletzung eines Schutzgesetzes im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB in Rede, sondern es geht um allgemeine Erwägungen zum Vorsatz und Verschulden gemäß § 276 BGB. § 826 BGB ist weder ein Schutzgesetz noch ein Straftatbestand, sondern eine eigenständige Anspruchsgrundlage. Die Grundsätze der Rechtsprechung zum Schutzgesetz im Sinne des § 823 BGB sind hierauf nicht übertragbar. Vorsatz im Sinne des Zivilrechts erfordert das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit, wobei im Rahmen des § 826 BGB die Kenntnis der maßgeblichen Umstände ausreicht, Rechtsblindheit wird nicht geschützt (Palandt-Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch 80. Aufl. 2021, § 276, Rdz. 11). Dass die Beklagte das so genannte Thermofenster so eng bedatet hat, dass es praktisch nur auf dem Prüfstand funktioniert, behauptet der Kläger nicht.
141b)
142Besondere Umstände im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, die ein Rechtswidrigkeitsbewusstsein dennoch nahelegen, trägt der Kläger weder in erster Instanz noch im Rahmen der Berufung vor. Eine gezielte Irreführung der Genehmigungsbehörden durch die Beklagte im Rahmen der Erwirkung der Typengenehmigung behauptet der Kläger nicht. Ohne Erfolg macht er geltend, weder gegenüber der NSAI noch gegenüber dem KBA, habe die Beklagte die temperaturgeführte Abgassteuerung und deren Ausmaß in geeigneter Weise offen gelegt.
143aa)
144Dass eine Offenlegung nicht erfolgt ist, kann zu Gunsten des Klägers vielmehr unterstellt werden, ohne dass hieraus auf einen Täuschungsvorsatz geschlossen werden kann. Die Typengenehmigung wurde noch unter der Geltung der VO (EG) 692/2008 beantragt und erteilt, die nähere Angaben hierzu in den Antragsformularen nicht vorsah. Nähere Ausführungen sind ungefragt erst seit Inkrafttreten der VO (EG) 2016/646, dort Art. 1 Nr.1 und 4a) am 16.05.2016 ausdrücklich gefordert. Sie sieht eine Rückwirkung nicht vor. Zwar ordnete auch die VO 692/2008 in ihrer ursprünglichen Fassung in Art. 3 Nr. 9 Satz 3 bereits an, dass Angaben zur Abgasrückführung bei niedrigen Temperaturen zu machen seien. Sollten derartige Angaben jedoch ungefragt nicht gemacht worden sein, so könnte hieraus nicht zwingend auf einen Täuschungsvorsatz geschlossen werden. Zu Angaben, die von den Genehmigungsbehörden in der Praxis regelmäßig nicht eingefordert wurden, war die Beklagte jedoch auch nach Treu und Glauben nicht angehalten.
145bb)
146Dem nunmehrigen Antrag des Klägers, gemäß § 142 ZPO von der Beklagten, hilfsweise der NSAI die Antragsunterlagen anzufordern, ist nicht zu entsprechen. § 142 ZPO ist eine Maßnahme der materiellen Prozessleitung durch das Gericht. Er dient dazu, sich möglichst frühzeitig einen umfassenden Überblick über den Prozessstoff zu verschaffen und das Parteivorbringen zu verstehen. § 142 ZPO ermöglicht keine Amtsaufklärung, (Zöller-Greger, Zivilprozessordnung 33. Aufl. 2020, § 142, Rdz. 1). Die Bedeutung der konkreten Urkunde muss sich aus schlüssigem Parteivortrag ergeben, § 142 ZPO gibt dem Gericht nicht die Befugnis unabhängig von einem schlüssigen Vortrag zur Informationsgewinnung Urkunden anzufordern (Zöller-Greger, § 142, Rdz. 7).
147So liegt der Fall hier. Der Kläger hat Falschangaben nicht schlüssig dargetan, sondern lediglich vermutet. Eine sekundäre Darlegungslast – sofern sie bestehen sollte (vgl. hierzu bereits oben ) – verpflichtet das Gericht ebenso wenig wie den Beweisgegner, die Vorlage von Unterlagen anzuordnen (BGHZ 173, 23 [16]). Die Anordnung gemäß § 142 Abs. 1 ZPO liegt im Ermessen des Gerichts. Bei der Ausübung des Ermessens sind neben dem Recht auf Beweis, Erkenntniswert, Verhältnismäßigkeit und berechtigte Belange des Geheimnis- oder Persönlichkeitsschutzes zu berücksichtigen (Zöller-Greger, § 142, Rdz. 8). Der zu erwartende Erkenntniswert steht hier dagegen. Der Kläger vermag keine konkreten Anhaltspunkte zu benennen, sondern erhofft sich vielmehr die Gewinnung von Angriffspunkten. Dies ist jedoch die Aufgabe der Prozessvorbereitung und nicht der Sachaufklärung oder Beweiserhebung in einem laufenden Verfahren. Der Kläger hätte dies gegebenenfalls durch die vorprozessuale Erhebung einer Auskunftsklage herbei führen müssen.
148Eine derartige Verpflichtung besteht jedoch ohnehin nur, wenn der Klageanspruch auch schlüssig gemacht wurde (BGHZ 173, 23 [20]), daran fehlt es aus den oben zu b) dargestellten Gründen. Es fehlt darüber hinaus auch am Schädigungsvorsatz. Aus demselben Grund scheidet eine Anordnung gegenüber der NSAI gemäß § 142 Abs. 2 ZPO aus, es handelt sich zudem auch nicht um einen förmlichen Beweisantritt, die Voraussetzungen des § 424 in Verbindung mit § 426 ZPO liegen nicht vor:
1494. Es fehlt schließlich auch am Schädigungsvorsatz.
150Der Bundesgerichtshof hat insoweit Folgendes ausgeführt:
151Der gemäß § 826 BGB erforderliche Vorsatz enthält ein Wissens- und ein Wollenselement. Der Handelnde muss die Schädigung des Anspruchstellers gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen, jedenfalls aber für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben. Dabei braucht der Täter nicht zu wissen, welche oder wie viele Personen durch sein Verhalten geschädigt werden; vielmehr reicht aus, dass er die Richtung, in der sich sein Verhalten zum Schaden irgendwelcher anderer auswirken könnte, und die Art des möglicherweise eintretenden Schadens vorausgesehen und mindestens billigend in Kauf genommen hat (BGH Urteil vom 25.05.2020, ZIP 2020, 1179 [61).
152a)
153Die Verantwortlichen der Beklagten haben eine etwaige Schädigung der möglichen Fahrzeugerwerber nicht vorsätzlich herbeigeführt oder billigend in Kauf genommen, weil sie zumindest bei dem Inverkehrbringen des Fahrzeugtyps von seiner Ordnungsgemäßheit ausgehen durften. Bedingter Vorsatz setzt voraus, dass der Handelnde die relevanten Umstände, auf die sich der Vorsatz beziehen muss, gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben muss. Er muss sie zumindest für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen haben. Es reicht nicht aus, wenn die relevanten Umstände lediglich erkennbar waren und sich dem Handelnden hätten aufdrängen müssen. Ist dies der Fall, so besteht lediglich ein Fahrlässigkeitsvorwurf (BGH ZIP 2013, 2466 [12]; BGH ZIP 2016, 2023 [25]). Dass er den Erfolg begrüßt ist nicht erforderlich. Bewusst fahrlässig handelt hingegen derjenige, der darauf vertraut, der Erfolg werde nicht eintreten (Palandt-Grüneberg, § 276, Rdz. 10). So liegt der Fall hier. Im Jahre 2013 bei Erteilung der Typengenehmigung bestand aus Sicht der Beklagten weder die Gefahr eines Widerrufs der Typengenehmigung, noch diejenige einer Betriebsuntersagung oder von sonstigen Maßnahmen gemäß § 25 Abs. 3 EG-FGV. Die Beklagte konnte auf die Fortführung der Handhabung in der Genehmigungspraxis hinsichtlich eines so genannten Thermofensters vertrauen. Anhaltspunkte für eine Änderung bestanden zu diesem Zeitpunkt nicht. Sie sind entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht in der Fassung des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchstabe b) der Verordnung EU 715/2007 zu sehen, weil dieser im Gegensatz zu der bis dahin bestehenden Regelung Nr.83 UN/ECE eine „Notwendigkeit“ erfordert, während zuvor eine „Begründung“ ausreichend sein sollte. Denn im Jahre 2013 war die VO 715/2007 bereits 6 Jahre in Kraft, ohne dass es seither zu Änderungen gekommen wäre. Überdies kann es sich auch um eine rein redaktionelle Änderung gehandelt haben.
154Der Kläger behauptet selbst nicht, dass die Temperatursteuerung so eng bedatet ist, dass sie Abgasrückführung ausschließlich im NEFZ uneingeschränkt funktioniert.
155b)
156Es kann dahin stehen, ob von der Beklagten im Hinblick auf Art. 4 Abs. 2 Satz 3 und Satz 6 der Verordnung 715/2007 zu verlangen gewesen wäre, ihre „im Feld befindlichen“ Fahrzeuge laufend anhand aktueller Erhebungen zu überprüfen und gegebenenfalls zurückzurufen, um sich vor dem Hintergrund wandelnder gesellschaftlicher Diskussionen nicht dem Vorwurf auszusetzen, sich nunmehr sittenwidrig zu verhalten oder seither eine Schädigung der Fahrzeugerwerber billigend in Kauf zu nehmen.
157Auf den Fortbestand der Gesetzeslage durfte sie auch im Jahre 2017 weiterhin vertrauen. Sie war aufgrund des Gutachtens Führ gegenüber dem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages nicht gehalten, ihre im Feld befindlichen und mit einer temperaurgesteuerten Abgasrückführung ausgestatteten Fahrzeuge allein deswegen vorsorglich zurückzurufen oder Warnungen auszusprechen. Sie muss sich nicht auf den jeweils strengsten Rechtsstandpunkt stellen, um dem Vorwurf sittenwidriger Schädigung zu entgehen.
158Gegen eine derartige Verpflichtung sprechen die ihr zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Erkenntnisse. Die Untersuchungskommission Volkswagen hatte im April 2016 bereits die eingangs unter 2.1. b) dargestellten Tests durchgeführt, die kein nachteiliges Ergebnis gezeigt hatten. Die vom Kläger ins Feld geführten Tests der Deutschen Umwelthilfe lagen noch nicht vor.
1592. Teil: weitere Abschalteinrichtungen
1601.
161Der Vortrag zu den weiteren Abschalteinrichtungen in Form einer grundsätzlichen Inaktivierung der AGR nach 60.000 km ist neu und unterliegt der Zurückweisung gemäß § 531 Abs. 2 ZPO. Es wird nicht klar, weshalb er dies nicht bereits in erster Instanz vorgetragen hat. Der Vortrag ist zudem ersichtlich ins Blaue hinein aufgestellt worden und daher unbeachtlich. Hieran sind hohe Anforderungen zu stellen. Es einer Partei nicht verwehrt ihren Vortrag auch auf solche Umstände zu stützen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann, die sie aber nach Lage der Verhältnisse für wahrscheinlich oder möglich hält, insbesondere wenn sie selbst keine unmittelbare Kenntnis von den Vorgängen hat (BGH 8. ZS, MDR 2020, 429 [7]). Es ist ihr auch nicht verwehrt Aufklärung hinsichtlich solcher Umstände zu verlangen (BGH Beschluss vom 28. Januar 2020, VIII ZR 57/19, MDR 2020, 429 [8]). Eine Behauptung ist erst dann unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufgestellt worden sind (BGH a.a.O., Rdz. 8 f.).
162So liegt der Fall hier. Woher der Kläger die Erkenntnis nimmt, nach 60.000 km werde die Abgasrückführung komplett abgestellt wird nicht deutlich. Der Vortrag ist auch deshalb unglaubhaft weil mit Überprüfungen auch zu einem Zeitpunkt nach Erteilung der Typenzulassung gerechnet werden muss und den Hersteller auch eigene Überwachungspflichten treffen, Art. 4 Abs. 2 der Verordnung 715/2007 mit § 25 Abs. 3 EG-FGV. Weiterhin behauptet er nicht einmal konkret, dass die Abgasrückführung 20 Minuten nach dem Start abgeschaltet oder reduziert werde, sondern er trägt lediglich vor, es sei der Beklagten ein Leichtes (Bl. 653), anhand dessen den Prüfstand zu erkennen. Die Erkennung der Prüfsituation ist jedoch für sich genommen weder gesetzwidrig noch im Sinne von Treu und Glauben verwerflich. Entscheidend ist, welche Folgen daran geknüpft werden, der dahin gehende Vortrag ist jedoch unerheblich wie sich aus Nachstehendem ergibt:
1632.
164Die Darstellung des Klägers, die Abgasrückführung werde bei Geschwindigkeiten oberhalb von 150 km/h und einer Drehzahl ab 2.300 U/min. zurückgefahren oder gar abgestellt ist sowohl unerheblich als auch unsubstantiiert. Auf diesen Vortrag kann eine Täuschung der Genehmigungsbehörden und die Gefahr einer Betriebsuntersagung nicht gestützt werden. Dies gilt auch für die weiteren Mechanismen in Form einer Abschaltung in Abhängigkeit vom Luftdruck. Darin mag zwar eine Abschalteinrichtung im Sinne der Definition von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung 715/2007 gesehen werden können. Es kann dahin stehen, ob die für die Steuerung in Abhängigkeit von der Drehzahl von der Beklagten vorgebrachten Argumente ausreichen, um eine Ausnahme vom Verbot des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 annehmen zu können. Hierauf kann der Kläger selbst wenn ein Verbot vorläge, den Vorwurf sittenwidrigen Verhaltens jedenfalls nicht stützen:
165a)
166Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes in seiner Entscheidung vom 25.05.2020 zu den Abgasmanipulationen bei Dieselfahrzeugen kommt es auch im Rahmen der Prüfung der Sittenwidrigkeit darauf an, ob dem Hersteller ein bewusstes und planmäßiges Täuschen der Genehmigungsbehörden zur Last gelegt werden kann (BGH ZIP 2020, 1179 [16]). Wenn ein Hersteller im Rahmen einer grundlegenden strategischen Entscheidung bei der Motorentwicklung im eigenen Kosten- und damit Gewinninteresse durch bewusste und gewollte Täuschung des Kraftfahrtbundesamtes systematisch langjährig Dieselmotoren so konstruiert, dass die gesetzlichen Abgaswerte nur auf dem Prüfstand eingehalten werden, so ist dies geeignet, den Tatbestand einer sittenwidrigen Schädigung zu erfüllen.
167Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch in Bezug auf die Regulierung anhand von Drehzahl, Luftdruck und Geschwindigkeit nicht vor. Nicht jede Steuerung der Abgasreinigung in Abhängigkeit von den in Art.3 Nr.10 der Verordnung 715/2007 beinhaltet deren Unzulässigkeit oder beinhaltet ein sittenwidriges Verhalten.
168Die Steuerung der Abgasreinigung ist ein komplexes Gefüge von ineinander greifenden und einander abwechselnden Mechanismen, die nicht isoliert betrachtet und bewertet werden dürfen. Zusätzlich ist stets erforderlich, dass ohne sie die Einhaltung der Abgasnorm nicht möglich gewesen wäre, beziehungsweise, dass sie Auswirkungen auf die Abgaswerte hat. Daran fehlt es. Den Ausführungen der Beklagten zu einem verringerten Sauerstoffgehalt bei erhöhtem Luftdruck ist der Kläger nicht entgegen getreten. Dies gilt auch für den Einwand einer bewusst übertourigen Fahrweise.
169Auf die obigen Ausführungen unter 2.a.) dd) zum Thermofenster wird Bezug genommen. Der Kläger trägt keine relevanten Messungen unter genormten Prüfbedingungen im maßgeblichen NEFZ mit dem streitgegenständlichen Fahrzeugtyp vor, aus denen sich eine relevante Erhöhung der Messwerte ergibt.
170Der Senat verkennt nicht, dass sich aus der Entscheidung des 8. Zivilsenates vom 28.01.2020 ergibt, dass die sekundäre Darlegungslast sich auch auf Details der Motorsteuerung beziehen kann (BGH MDR 2020, 427). Eine Differenzierung danach, worauf die Abweichungen jeweils beruhen, ist deshalb nicht gefordert. Es genügt die Erhebung eines Gesamtwertes. Auch hieran fehlt es.
171b)
172Es fehlt auch hierfür am Täuschungs- und Schädigungsvorsatz.Es bestand keine Gefahr einer Betriebsverletzung. Die Genehmigungsbehörden wurden im Zuge der Beantragung der Typengenehmigung nicht getäuscht. Der streitgegenständliche Fahrzeugtyp wurde noch unter Geltung der Verordnung (EU) 692/2008 genehmigt und zugelassen. Diese sah nähere Angaben zur Abgasrückführung gemäß Art. 3 Nr. 9 allenfalls in allgemeiner Form im Hinblick auf deren Funktionsweise bei niedrigen Temperaturen vor, auch der Antragsbogen erforderte nähere Angaben nur hinsichtlich der Funktionsweise der Abgasnachbehandlung, über die das streitgegenständliche Fahrzeug jedoch nicht verfügt. Detaillierte Angaben zur Funktion von sogenannten AES und BES sind erst seit Inkrafttreten der Verordnung (EU) 2016/649 am 20.04.2016 erforderlich. Eine Verpflichtung zu deren Nachmeldung sieht die Verordnung nicht vor. Schon aus diesem Grunde kommt es auf die weiteren Einflussgrößen nicht an, da sie sich sämtlich auf die Abgasrückführung auswirken.
173Diese Fallgestaltung unterscheidet sich von derjenigen, die dem Motor EA 189 von Volkswagen zugrunde lag. In jenem Fall funktionierte die Abgasrückführung auf dem Prüfstand grundlegend anders als im normalen Straßenbetrieb. Ein Hersteller gewährleistet im Antrag auf Erteilung einer Typengenehmigung jedoch stillschweigend, dass das Fahrzeug den gesetzlichen Bedingungen entspricht, dies ist bei einer grundsätzlich anderen Funktion auf dem Prüfstand jedoch eindeutig nicht der Fall.
174Der - mittlerweile bereits überholte - RDE sah keine besonderen Anforderungen hinsichtlich der Drehzahl und der Geschwindigkeit sowie des Umgebungsdrucks vor. Erst seit Geltung der VO (EG) 2017/1151 am 27.07.2017 und mit Einführung des WLTP werden im maßgeblichen Prüfzyklus gezielte Anforderungen an die Drehzahl vorgegeben. Durch die Verordnung 2017/1151 wird die Verordnung 2016/427 – stillschweigend – aufgehoben und ersetzt. Dies gilt auch für die Verordnung 692/2008, die zum 01.01.2022 ausdrücklich aufgehoben ist, Art. 19. Die VO (EU) 2016/649 bleibt unangetastet. Bis zum 31.08.2018 konnten Typengenehmigung nach der VO 692/2008 beantragt werden, Art. 15 Abs. 1. Demnach durften die Entwickler der Beklagten auch in den Jahren 2013/2017 noch darauf vertrauen, gesetzeskonform vorgegangen zu sein, mit Maßnahmen mussten sie nicht rechnen.
175Ein Anspruch aus § 826 BGB ist damit nicht gegeben.
176III.
177Weitere deliktische Ansprüche bestehen nicht.
1781.
179Für einen Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V. m. § 263 StGB fehlt es jedenfalls an der sog. Stoffgleichheit zwischen Vermögensschaden und erstrebtem Vorteil (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20, ZIP 2020 1715 [23]).
1802.
181Ein Anspruch lässt sich auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 VO 715/2007/EG herleiten, da das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im Aufgabenbereich der vorgenannten Vorschriften liegt (BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20, ZIP 2020, 1715 [15]); denn damit würde die wirtschaftliche Dispositionsfreiheit geschützt. Dies aber ist vom effet utile nicht gefordert.
182IV.
183Ein Rückforderungsanspruch gemäß § 812 Abs. 1, 818 BGB scheidet ebenfalls aus. Die Beklagte ist durch die Zahlung des Kaufpreises nicht ungerechtfertigt bereichert worden. Der Kaufvertrag ist nicht durch Anfechtung gemäß § 123, 142 BGB als von Anfang an nichtig anzusehen. Die Beklagte hat nicht arglistig gehandelt. Denn es fehlt am hierzu erforderlichen Vorsatz. Auf die obigen Ausführungen wird Bezug genommen.
184B Die Anschlussberufung
185Die Anschlussberufung ist zulässig, insbesondere ist sie innerhalb der gesetzten Frist gemäß § 524 ZPO eingelegt worden. Sie ist in der Sache jedoch nicht begründet, weil schon kein Anspruch besteht.
186III.
187Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Vollstreckbarkeitsentscheidung auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Die Voraussetzungen zur Zulassung der Revision liegen nicht vor.
188Streitwert: 18.325,07 € (Berufung 14.783,77 €, Anschlussberufung 3.5413,00 €)
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Referenzen
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