Urteil vom Oberlandesgericht Hamm - 17 U 196/20
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 13.11.2020 verkündete Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Münster - 010 O 54/20 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 21.428,81 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.04.2020 zu zahlen, Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Fahrzeugs Auto A, Fahrzeugidentifikationsnummer ##.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin 17 % und die Beklagte 83 %. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin 66 %und die Beklagte 34 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Gründe
2I.
3Von der Darstellung des Tatbestandes wird gem. §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1, 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO abgesehen.
4II.
5Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts ist teilweise begründet. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Zahlung weiterer 1.700,01 EUR – insgesamt 21.428,81 EUR – nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.05.2020, Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des im Tenor näher bezeichneten Fahrzeugs Auto A, zu. Die weitergehende Berufung bleibt ohne Erfolg.
61. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 21.428,81 EUR gem. § 852 Satz 1 BGB. Nach dieser Vorschrift ist der Ersatzpflichtige auch nach Eintritt der Verjährung des Anspruchs auf Ersatz des aus einer unerlaubten Handlung entstandenen Schadens zur Herausgabe nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung verpflichtet, wenn er durch eine unerlaubte Handlung auf Kosten des Verletzten etwas erlangt hat. Danach kann die Klägerin die Zahlung des eingangs genannten Betrags von der Beklagten verlangen.
7Die Vorschrift ist in den Fällen des Erwerbs eines vom sog. Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs ohne Weiteres anwendbar, auch wenn der Schaden lediglich in dem Eingehen einer so nicht gewollten Verbindlichkeit besteht (grds. BGH, Urteil vom 17. 12.2020 – VI ZR 739/20 –, Rn. 29, juris; wie hier auch OLG Oldenburg, Urteil vom 02.03.2021 – 12 U 161/20 – Rn. 35, beck online, Revision zugelassen, insoweit nach den dortigen Ausführungen entgegen OLG Oldenburg, Beschluss vom 05.01.2021 – 2 U 168/20; keine teleologische Reduktion wegen der Möglichkeit des Anschlusses an die Musterklage: OLG Koblenz, Urteil vom 31.03.2021 – 7 U 1602/20 – Rn. 46 ff., juris).
8a) Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung von 21.428,81 EUR gem. § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB analog zu. Die Beklagte hat dem inzwischen verstorbenen Ehemann der Klägerin als Erwerber des Fahrzeugs Auto A in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich einen Schaden zugefügt. Die Klägerin ist als Erbin ihres Ehemanns gem. § 1922 Abs. 1 BGB aktivlegitimiert.
9Die Beklagte stellte das Fahrzeug Auto A einschließlich des darin verbauten Motors EA 189, der unstreitig mit einer Umschaltlogik ausgestattet ist, her und brachte das Fahrzeug in den Verkehr. Das Inverkehrbringen des so ausgestatteten Fahrzeugs steht einer konkludenten Täuschung gleich (vgl. BGH, Urt. v. 25.05.2020 – VI ZR 252/19 Rn. 25 – zit. n. juris). Denn mit dem Inverkehrbringen eines Fahrzeugs gibt ein Hersteller konkludent die Erklärung ab, dass der Einsatz des Fahrzeugs entsprechend seinem Verwendungszweck im Straßenverkehr uneingeschränkt zulässig ist (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 16.12.2019 - 12 U 696/19; OLG Karlsruhe, Urteil vom 06.11.2019 - 13 U 37/19; OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 25.09.2019 - 17 U 45/19). Dies war vorliegend nicht der Fall, weil die verwendete Umschaltlogik in der Motorsteuerungssoftware als verbotene Abschalteinrichtung zu qualifizieren und damit ein ungestörter Betrieb des klägerischen Fahrzeugs mangels uneingeschränkter Betriebserlaubnis nicht gewährleistet ist.
10aa) Die von der Beklagten in dem Fahrzeug Auto A verbaute Motorsteuerungssoftware stellt eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 S. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typengenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl. L 171/1 vom 29. Juni 2007; nachfolgend VO (EG) 715/2007) dar. Nach dieser Vorschrift, die gem. Art. 2 Abs. 1, Art. 10 VO 715/2007/EG auch das klägerische Fahrzeug betrifft, ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig, sofern nicht einer der in Art. 5 Abs. S. 2 VO (EG) 715/2007 normierten Ausnahmetatbestände eingreift.
11(1) Die verwendete Software zur Motorensteuerung ist als Abschalteinrichtung zu qualifizieren. Nach der Legaldefinition des Art. 3 Nr. 10 VO (EG) 715/2007 liegt eine „Abschalteinrichtung“ bei einem Konstruktionsteil vor, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird. Vorliegend funktioniert die Motorsteuerung dergestalt, dass sie auf der Grundlage verschiedener technischer Parameter erkennt, ob sich das Fahrzeug in einem Prüfzyklus zur Ermittlung der Emissionswerte befindet. In diesem Fall schaltet sie in einen Modus, bei dem verstärkt Abgase in den Motor zurückgelangen und sich so der Ausstoß von Stickoxiden (NOx-Werte) verringert. Im normalen Fahrbetrieb hingegen wird ein anderes Modul aktiviert, welches eine Abgasrückführung lediglich in geringerem Umfang stattfinden lässt. Damit differenziert die von der Beklagten eingesetzte Motorensteuerung aufgrund verschiedener technischer Parameter zwischen dem Prüf- und dem Echtbetrieb und beeinflusst so die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter den Bedingungen, die bei einem normalen Fahrzeugbetrieb zu erwarten sind.
12(2) Diese von der Beklagten gewählte technische Lösung widerspricht damit den Vorgaben des Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) 715/2007 und ist mangels Eingreifens eines Ausschlusstatbestandes als unzulässig einzustufen (OLG Hamm, Urteil vom 10.09.2019 – I-13 U 149/18; OLG Stuttgart, Endurteil vom 30.01.2020 – 2 U 306/19; OLG Köln, Beschluss vom 28.05.2018 – 27 U 13/17OLG Schleswig, Urteil vom 22.11.2019 - 17 U 44/19; OLG Oldenburg, Urteil vom 02.10.2019 - 5 U 47/19).
13Art. 5 Abs. 2 S. 2 VO (EG) 715/2007 gestattet lediglich unter engen Voraussetzungen die Verwendung von Abschalteinrichtungen. Diese kommen vorliegend bereits aufgrund der oben beschriebenen Wirkungsweise der von der Beklagten genutzten Abschalteinrichtung nicht in Betracht. Denn diese soll bezwecken, bei erkanntem Prüfbetrieb ein vom Echtbetrieb abweichendes Emissionsverhalten des Fahrzeugs herbeizuführen, um auf diese Weise die Einhaltung der (andernfalls nicht erreichten) Emissionsgrenzwerte sicherzustellen (vgl. BGH, Beschluss vom 08.01.2019 - VIII ZR 225/17).
14Auch das Kraftfahrtbundesamt kommt in seinem bestandskräftigen Bescheid vom 14.10.2015 zu dem Ergebnis, dass bei Motoren des Typs EA 189 eine unzulässige Abschalteinrichtung nach Art. 3 Nr. 10 der VO (EG) 715/2007 vorliegt. Insoweit kann der Senat jedoch offenlassen, ob bereits aus dem bestandskräftigen Bescheid des Kraftfahrtbundesamtes vom 14.10.2015 eine Tatbestandswirkung dergestalt ausgeht, dass dessen Feststellung auch im Verhältnis zum Kläger zu beachten ist (eine solche Wirkung bejahend: OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 25.09.2019 - 17 U 45/19).
15(3) Folge dieser unzulässigen Abschalteinrichtung ist, dass das streitgegenständliche Fahrzeug im Zeitpunkt des Inverkehrbringens nicht über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis verfügte. Denn eine solche setzt voraus, dass nicht nur die erforderlichen Zulassungs- und Genehmigungsverfahren formal erfolgreich durchlaufen wurden, sondern auch, dass die für den Fahrzeugtyp erforderliche EG-Typengenehmigung nicht – wie im vorliegenden Fall – durch gezielte und vorsätzliche Täuschung der zuständigen Genehmigungsbehörde erschlichen worden ist (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 16.12.2019 - 12 U 696/19; OLG Karlsruhe, Hinweisbeschluss vom 05.03.2019 – 13 U 142/18). Jedenfalls muss ein Erwerber daher jederzeit mit nachträglichen Einschränkungen der Betriebserlaubnis rechnen.
16bb) Das Inverkehrbringen des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüsteten klägerischen Fahrzeugs ist als sittenwidrig einzuordnen.
17(1) Dem Inverkehrbringen des Fahrzeugs kommt der eingangs dargestellte positive Erklärungswert zu, dass das Fahrzeug entsprechend seinem objektiven Verwendungszweck im Straßenverkehr eingesetzt werden darf – also über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis verfügt, deren Fortbestand nicht aufgrund bereits bei Auslieferung des Fahrzeugs dem Hersteller bekannter konstruktiver Eigenschaften gefährdet ist. Anknüpfungspunkt für die Frage der Sittenwidrigkeit ist mithin nicht ein etwaiges Unterlassen der Beklagten in Form einer fehlenden Aufklärung über die eingesetzte Software, sondern eine Täuschung durch Handeln (OLG Karlsruhe, Hinweisbeschluss vom 05.03.2019 – 13 U 142/18). Auf die Frage, inwieweit eine Aufklärungspflicht der Beklagten bestand, kommt es mithin nicht an.
18(2) Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, im Zeitpunkt der Vornahme gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (vgl. BGH, Urteil vom 03.12.2013 – XI ZR 295/12; Urteil vom 19.07.2004 - II ZR 217/03; OLG München, Endurteil vom 17.12.2019 - 18 U 3363/19; MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl. 2020, BGB § 826 Rn. 9). Dies setzt eine besondere Verwerflichkeit des Handelns voraus, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH, Urteil vom 15.10.2013 – VI ZR 124/12; Urteil vom 19.10.1987 - II ZR 9/87; BeckOGK/Spindler, 01.02.2021, BGB § 826 Rn. 9f).
19Danach ist das Handeln der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren. Dabei folgt die besondere Verwerflichkeit des Handelns der Beklagten aus einer Vielzahl von Umständen.
20Als Beweggrund für das Inverkehrbringen des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen klägerischen Fahrzeugs kommt vorliegend ausschließlich eine angestrebte Kostensenkung und Gewinnmaximierung durch hohe Absatzzahlen in Betracht (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 16.12.2019 - 12 U 696/19; OLG München, Endurteil vom 17.12.2019 - 18 U 3363/19; OLG Karlsruhe, Hinweisbeschluss vom 05.03.2019 – 13 U 142/18; OLG Köln, Hinweisbeschluss vom 16.07.2018 - 27 U 10/18). Dies ist jedenfalls dann verwerflich, wenn es – wie hier – auf der Grundlage einer strategischen Unternehmensentscheidung durch arglistige Täuschung der zuständigen Typengenehmigungsbehörde erreicht worden soll und dies mit einer gleichgültigen Gesinnung gegenüber Schutzvorschriften und den möglichen Folgen für den einzelnen Käufer verbunden ist (vgl. BGH, Urt. v. 25.05.2020 – VI ZR 252/19 Rn. 23 – zit. n. juris).
21Auch das Ausmaß der Täuschung ist zu berücksichtigen. Der Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung erfolgte in einem Motorentyp, der in einer außergewöhnlich hohen Zahl von Fahrzeugen verschiedener Marken des Konzerns verbaut wurde, mit der Folge einer entsprechend hohen Zahl getäuschter Käufer (OLG München, Endurteil vom 17.12.2019 - 18 U 3363/19).
22Mit dieser hohen Anzahl getäuschter Käufer korrespondiert die Gefahr eines erheblichen Schadens. Denn einer Vielzahl von Käufern – allein der Musterfeststellungsklage gegen die Beklagte haben sich mehr als 400.000 Käufer angeschlossen – droht ein erheblicher Schaden in Form der Stilllegung ihrer Fahrzeuge. Denn die Zulassungsbehörde kann eine Betriebsuntersagung oder -beschränkung nach § 5 Abs. 1 FZV aussprechen, wenn das Fahrzeug wegen der gegen Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG verstoßenden Abschalteinrichtung nicht dem genehmigten Typ (§ 3 Abs. 1 Satz 2 FZV) entspricht (vgl. BGH, Beschluss vom 08.01.2019 - VIII ZR 225/17).
23Weiter hat die Beklagte bereits vor dem Inverkehrbringen des Fahrzeugs die Typengenehmigungsbehörde getäuscht, um in gesetzeswidriger Weise eine ansonsten nicht zu erteilende Typengenehmigung zu erhalten. Sie hat sich damit beim Inverkehrbringen der mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeuge das Vertrauen der Käufer in den ordnungsgemäßen Ablauf des öffentlich-rechtlichen Genehmigungsverfahrens und damit auch in die Objektivität der staatlichen Behörde zunutze gemacht (OLG Hamm, Urteil vom 10.09.2019 – I-13 U 149/18; OLG Karlsruhe, Hinweisbeschluss vom 05.03.2019 – 13 U 142/18; OLG Köln, Hinweisbeschluss vom 16.07.2018 - 27 U 10/18).
24Schlussendlich hat die Beklagte auch Umweltschutzgesichtspunkte ihrem Streben nach Gewinn untergeordnet und eine erhebliche Beeinträchtigung der Umwelt über die zugelassenen Emissionen hinaus in Kauf genommen (OLG Karlsruhe, Hinweisbeschluss vom 05.03.2019 – 13 U 142/18).
25cc) Durch diese sittenwidrige Täuschung der Beklagten hat die Klägerin als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemanns einen Vermögensschaden erlitten, der in dem Abschluss des Kaufvertrages zu sehen ist (vgl. BGH, Urt. v. 25.05.2020 – VI ZR 252/19 Rn. 44ff. – zit. n. juris; OLG Koblenz, Urteil vom 16.12.2019 - 12 U 696/19; OLG München, Endurteil vom 17.12.2019 - 18 U 3363/19; OLG Karlsruhe, Hinweisbeschluss vom 05.03.2019 – 13 U 142/18; OLG Köln, Hinweisbeschluss vom 16.07.2018 - 27 U 10/18; OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 25.09.2019 - 17 U 45/19).
26(1) Die Haftung nach § 826 BGB setzt keine Rechtsgutsverletzung voraus, sondern es genügt bereits der Eintritt eines reinen Vermögensschadens. Dieser kann in der Eingehung einer „ungewollten“ Verbindlichkeit bestehen, selbst wenn dieser eine objektiv gleichwertige Gegenleistung gegenübersteht (vgl. BGH, Urteil vom 21.12.2004 - VI ZR 306/03; OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 25.09.2019 - 17 U 45/19; MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl. 2020, BGB § 826 Rn. 44). Es ist ausreichend, dass der Ehemann der Klägerin durch das sittenwidrige Verhalten der Beklagten zum Abschluss eines Vertrages gebracht wurde, den er sonst nicht geschlossen hätte, und dass die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist.
27Dabei stellt sich der Zeitpunkt der Eingehung der ungewollten Verbindlichkeit – also der seinerzeitige Kaufvertragsabschluss – als maßgeblich dar. Denn zu diesem Zeitpunkt ist in sittenwidriger Weise auf das Vorstellungsbild des Ehemanns der Klägerin eingewirkt worden. Später eingetretene Umstände können dies nicht ungeschehen machen, weswegen das von der Beklagten angebotene Software-Update auch lediglich als Versuch der Schadenswiedergutmachung angesehen werden kann. Den objektiven Tatbestand der Regelung des § 826 BGB lässt das von der Beklagten angebotene Software-Update gerade nicht entfallen (BGH, Urt. v. 25.05.2020 – VI ZR 252/19 Rn. 58 – juris; OLG Hamm, Urteil vom 10.09.2019 – I-13 U 149/18; OLG Schleswig, Urteil vom 22.11.2019 - 17 U 44/19; OLG Oldenburg, Urteil vom 02.10.2019 - 5 U 47/19).
28(2) Nach den Feststellungen des Landgerichts, an die der Senat gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden ist, ist der Schaden in Form des Kaufvertragsabschluss durch die Täuschung der Beklagten verursacht worden. Somit ist zugrunde zu legen, dass der Ehemann der Klägerin das Fahrzeug bei Kenntnis von der verbauten Umschaltlogik nicht gekauft hätte. Das vertragliche Nachverhalten, nämlich die lange Nutzung des Fahrzeugs, indiziert nicht eine fehlende Kausalität. Das Fahrzeug ist ein Alltagsgegenstand, den der Ehemann der Klägerin nachvollziehbarerweise weiterbenutzt hat.
29Auch entfällt der Kausalzusammenhang nicht deshalb, weil der Kauf durch einen Händler vermittelt wurde. Denn insofern wirkt die Täuschung der Beklagten durch das Einbringen des Fahrzeugs in den Wirtschaftskreislauf auch in diesem Kontext fort.
30(3) Der entstandene Schaden entfällt – entgegen den Ausführungen des Oberlandesgerichts Braunschweig (Urteil vom 19.02.2019, 7 U 134/17) – auch nicht aufgrund fehlenden Schutzzweckzusammenhangs (so auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom 05.03.2019, 13 U 142/18, OLG Köln, Beschluss vom 03.01.2019, 18 U 70/19; OLG München, Endurteil vom 17.12.2019 - 18 U 3363/19; OLG Schleswig, Urteil vom 22.11.2019 - 17 U 44/19; OLG Oldenburg, Urteil vom 02.10.2019 - 5 U 47/19; Schaub: Die Abgasproblematik – Möglichkeiten und Grenzen von § 826 BGB, NJW 2020, 1028, 1030).
31Um das Haftungsrisiko in angemessenen und zumutbaren Grenzen zu halten, ist im Bereich des § 826 BGB der Haftungsumfang nach Maßgabe des Schutzzwecks der Norm zu beschränken. Die Haftung erfasst daher lediglich diejenigen Schäden, die dem in sittlich anstößiger Weise geschaffenen Gefahrenbereich entstammen (BGH, Urteil vom 11. November 1985, II ZR 109/84; MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl. 2020, BGB § 826 Rn. 49; HK-BGB/Staudinger, 10. Aufl. 2019, BGB § 826 Rn. 4). Vorliegend knüpft die der Beklagten vorzuwerfende sittenwidrige Schädigung nicht unmittelbar an einen Verstoß gegen die gesamtgesellschaftlichen Zwecken wie dem Umweltschutz dienende europarechtliche Norm des Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) 715/2007 an, sondern ergibt sich vielmehr aus der mit dem Inverkehrbringen des Fahrzeugs verbundenen Täuschung über die Erfüllung der materiellen Typgenehmigungsvoraussetzungen. Hierdurch wurde – wie zuvor dargelegt – der Ehemann der Klägerin über einen wesentlichen Umstand seiner Kaufentscheidung getäuscht, sodass der als Schaden anzusehende ungewollte Kaufvertragsabschluss unmittelbar aus dem in sittlich anstößiger Weise geschaffenen Gefahrenkreis stammt.
32dd) Die Beklagte handelte auch vorsätzlich, sodass die subjektiven Voraussetzungen des § 826 BGB zu bejahen sind.
33(1) Bezugspunkt für den Vorsatz sind die Tatsachen, die den objektiven Tatbestand der Schadensersatzregelung des § 826 BGB ausmachen. Damit muss der Schädiger Kenntnis von dem Eintritt eines Schadens, der Kausalität des eigenen Verhaltens und der die Sittenwidrigkeit des Verhaltens begründenden Umstände haben (BGH, Urteil vom 13.09.2004 – II ZR 276/02; MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl. 2020, BGB § 826 Rn. 26). Dabei ist es ausreichend, wenn der Schädiger die Richtung, in der sich sein Verhalten zum Schaden anderer auswirken konnte, kennt. Eine konkrete Kenntnis von der Person des Geschädigten ist nicht erforderlich (BGH, Urteil vom 26.06.1989 - II ZR 289/88; OLG Stuttgart, Endurteil vom 30.01.2020 – 2 U 306/19; MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl. 2020, BGB § 826 Rn. 26).
34Bereits aus der Verheimlichung des Einsatzes der Software gegenüber den Genehmigungsbehörden, den beteiligten Stellen und potenziellen Kunden ergibt sich mit hinreichender Sicherheit, dass in der Vorstellung gehandelt wurde, dass der Einsatz der Software zu Schwierigkeiten hinsichtlich der Typengenehmigung und der Betriebszulassung der so ausgestatteten Fahrzeuge führen könnte und dass potenzielle Kunden Fahrzeuge, die derart mit rechtlichen Unsicherheiten belastet waren, nicht ohne weiteres erwerben würden (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 16.12.2019 - 12 U 696/19).
35Ebenso ist bekannt gewesen, dass die von ihr in den Wirtschaftskreislauf eingebrachten Fahrzeuge eine Weiterveräußerung erfahren können, sodass sich der Vorsatz auch auf die vorliegende Konstellation des Weiterverkaufs bezieht.
36(2) Diese Kenntnis ist der Beklagten auch zuzurechnen.
37(a) Allerdings lässt sich eine Zurechnung der die Sittenwidrigkeit begründenden bewussten Täuschung nicht durch mosaikartiges Zusammenrechnen der bei verschiedenen Mitarbeitern der juristischen Person vorhandenen Kenntnisse konstruieren. Eine solche Zurechnung würde dem personalen Charakter der Schadensersatzpflicht gem. § 826 BGB, die sich hierdurch von der vertraglichen oder vertragsähnlichen Haftung deutlich unterscheidet, nicht gerecht. Die erforderlichen Wissens- und Wollenselemente müssen vielmehr kumuliert bei einem Mitarbeiter vorliegen, der zugleich als verfassungsmäßig berufener Vertreter im Sinn des § 31 BGB anzusehen ist und auch den objektiven Tatbestand verwirklicht hat (BGH, Urteil vom 28.06.2016 – VI ZR 536/15; vgl. auch OLG München, Endurteil vom 17.12.2019 - 18 U 3363/19; OLG Karlsruhe, Hinweisbeschluss vom 5.3.2019 – 13 U 142/18).
38Der Begriff des verfassungsmäßig berufenen Vertreters ist nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung weit auszulegen (vgl. etwa BGH, Urteil vom 14. 3. 2013 – III ZR 296/11). Über den Wortlaut der §§ 30, 31 BGB hinaus hat die Rechtsprechung eine Repräsentantenhaftung für solche Personen entwickelt, denen durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbstständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, dass sie also die juristische Person auf diese Weise repräsentieren – ohne dass es auf eine entsprechende rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht ankommt (BGH, Urteil vom 08.12.2004 - IV ZR 199/03; Urteil vom 30.10.1967 - VII ZR 82/65; deshalb für eine analoge Anwendung des § 31 BGB: MüKoBGB/Leuschner, 8. Aufl. 2018, BGB § 31 Rn. 15). Der personelle Anwendungsbereich von § 31 BGB deckt sich in etwa mit dem Begriff des leitenden Angestellten im Sinne des Arbeitsrechtes (vgl. Palandt/Ellenberger, BGB, 80. Aufl. 2021, § 31 Rn. 6).
39(b) Damit hat sich die Beklagte nicht nur das Handeln ihrer Organe zurechnen lassen, sondern muss auch im Rahmen der oben dargestellten Repräsentantenhaftung für Fehlverhalten untergeordneter Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen einstehen.
40Die Klägerin hat hinreichend substantiiert vorgetragen, dass der Vorstand der Beklagten von der unzulässigen Abschalteinrichtung frühzeitig Kenntnis gehabt habe. Die Beklagte hat dies nicht prozessual wirksam bestritten. Sie trifft eine sekundäre Darlegungslast, weil die Klägerin außerhalb des maßgeblichen Geschehensablaufs steht und den Sachverhalt von sich aus nicht ermitteln kann, während der Beklagten die erforderliche tatsächliche Aufklärung möglich und zumutbar ist (BGH, Urt. v. 25.05.2020 – VI ZR 252/19 Rn. 39 – zit. n. juris OLG Hamm, Urteil vom 10.09.2019 - 13 U 149/18; OLG Karlsruhe, Hinweisbeschluss vom 05.03.2019 - 13 U 142/18 und Urteil vom 06.11.2019 - 13 U 37/19; OLG Koblenz, Urteil vom 12.6.2019 - 5 U 1318/18; OLG Köln, Urteil vom 17.07.2019 - 16 U 199/18; OLG Stuttgart, Urteil vom 24.09.2019 - 10 U 11/19; OLG Schleswig, Urteil vom 22.11.2019 - 17 U 44/19; OLG München, Endurteil vom 17.12.2019 - 18 U 3363/19). Der insoweit sekundär Darlegungspflichtige kann dabei im Rahmen des Zumutbaren sogar zu Nachforschungen und Mitteilung der Ergebnisse verpflichtet sein (BGH, Urteil vom 30.3.2017 – I ZR 19/16).
41Dieser sekundären Darlegungslast genügt das Vorbringen der Beklagten nicht. Sie hätte durch substantiierten Vortrag die Behauptung der Klägerin erschüttern und darlegen müssen, welche Personen die Entwicklung der Softwarefunktion beauftragt haben und was die üblichen Abläufe bei einem solchen Auftrag bzw. einer Entscheidung von solcher Tragweite sind (vgl. OLG München, Endurteil vom 17.12.2019 - 18 U 3363/19). Da die Beklagte ihrer sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen ist, gilt der Vortrag der Klägerin als zugestanden gemäß § 138 Abs. 3 ZPO.
42(c) Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass eine tatsächliche Vermutung dafür besteht, dass ein Vorstand oder Repräsentant der Beklagten den Einsatz der beanstandeten Motorsteuerungssoftware gekannt und gebilligt hat. Denn ein „Verhaltensexzess eines untergeordneten Mitarbeiters“, der den Vorstand bzw. Repräsentanten, der den Einsatz der Motorsteuerungssoftware als solche genehmigt hat, ebenfalls getäuscht haben müsste, dürfte höchst unwahrscheinlich sein (so OLG Karlsruhe, Hinweisbeschluss vom 5.3.2019; OLG München, Endurteil vom 17.12.2019 - 18 U 3363/19).
43ee) Als Rechtsfolge hat die Beklagte der Klägerin gem. §§ 249 ff. BGB sämtliche aus der sittenwidrigen Schädigung resultierenden Schäden zu ersetzen.
44(1) Insoweit richtet sich der aus der deliktischen Haftung folgende Schadensersatzanspruch auf das negative Interesse (vgl. Palandt/Sprau, BGB, § 826 Rn. 15). Die Klägerin ist im Wege der Naturalrestitution so zu stellen, wie sie ohne Eintritt des schädigenden Ereignisses stünde. Da der Ehemann der Klägerin durch die Täuschung der Beklagten zum Abschluss eines Vertrages veranlasst wurde, steht der Klägerin im Rahmen der Naturalrestitution gemäß § 249 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf Rückgängigmachung der Folgen des Vertrages zu. Die nach § 249 Abs. 1 BGB zu leistende Naturalrestitution besteht mithin in Geldersatz in Höhe des für den Erwerb aufgewendeten Kaufpreises gegen Übertragung des aus dem Vertrag Erlangten auf die Beklagte als Schädigerin (vgl. BGH, Urteile vom 19.07.2004 - II ZR 217/03 und II ZR 402/02; OLG München, Endurteil vom 17.12.2019 - 18 U 3363/19).
45(2) Dieser Schaden entfällt nicht durch die nach Vertragsschluss durchgeführte Installation des von der Beklagten zur Erfüllung der vom KBA angeordneten Nebenbestimmungen zur EG-Typgenehmigung entwickelten Software-Updates. Dies lässt nämlich nicht die Belastung mit einer so nicht gewollten Verbindlichkeit entfallen. Das Software-Update ist insoweit rechtlich lediglich als Angebot zur Verhinderung weiterer Nachteile zu bewerten (OLG München, Endurteil vom 17.12.2019 - 18 U 3363/19).
46Das Festhalten der Klägerin am Schadensersatzbegehren stellt sich auch nicht als rechtsmissbräuchlich dar. Die Argumentation der Beklagten, durch das Aufspielen des Software-Updates habe der Käufer das Fahrzeug erhalten, welches er habe erwerben wollen, überzeugt nicht. Ausgangspunkt des Schadensersatzanspruches ist nicht der Erwerb eines mit einer unerlaubten Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs, sondern die in sittenwidriger Weise erfolgte Täuschung zur Erzielung eines Vertragsabschlusses.
47Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn der Ehemann der Klägerin das Update als Annahme an Erfüllung statt gemäß § 364 Abs. 1 BGB angenommen hätte. Dies ist aber nicht der Fall. Denn mit der Entgegennahme einer behördlich angeordneten „Nachbesserungsmaßnahme“ hat der Ehemann der Klägerin nicht auf die bestehenden weitergehenden Ansprüche verzichten wollen, zumal die Beklagte das Aufspielen des Updates im Hinblick auf die Anordnung des Kraftfahrtbundesamtes auch nicht von einer solchen Erklärung hätte abhängig machen können (vgl. OLG München, Endurteil vom 17.12.2019 - 18 U 3363/19).
48(3) Damit steht der Klägerin ein Anspruch auf Zahlung des seinerzeitigen Bruttokaufpreises von 31.039,45 EUR Zug-um-Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs Auto A zu.
49Von dieser Forderung ist jedoch im Wege des Vorteilsausgleichs eine angemessene Nutzungsentschädigung abzuziehen (vgl. BGH, Urt. v. 25.05.2020 – VI ZR 252/19 Rn. 66 – zit. n. juris). Der Geschädigte soll so gestellt werden, wie er ohne das schädigende Ereignis stünde – durch den Schadenfall soll er nicht ärmer werden, jedoch auch keinen Gewinn ziehen (sog. „Bereicherungsverbot“). Hieraus folgt, dass dem Geschädigten neben einem Ersatzanspruch nicht die Vorteile verbleiben dürfen, die diesem durch das schädigende Ereignis zugeflossen sind.
50Den Wert der durch den Gebrauch des Kraftfahrzeugs gezogenen Nutzungen schätzt der Senat nach der Methode des linearen Wertschwundes (vgl. BGH, Beschl. v. 09.12.2014 – VIII ZR 196/14; so auch OLG Hamm, Urteil vom 10.09.2019 – I-13 U 149/18; OLG München, Endurteil vom 17.12.2019 - 18 U 3363/19; OLG Schleswig, Urteil vom 22.11.2019 - 17 U 44/19; OLG Naumburg, Urteil vom 13.12.2019 - 7 U 50/19) gem. § 287 ZPO auf insgesamt 9.610,64 EUR. Die Methode ist auch bei dem Abzug einer Nutzungsentschädigung in den Fällen unerlaubter Handlung gem. §§ 826, 249 BGB anwendbar (vgl. etwa BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19 –, BGHZ 225, 316-352, Rn. 78 ff.). Der Kaufpreis ist mit der voraussichtlichen Restfahrleistung im Erwerbszeitpunkt ins Verhältnis zu setzen und mit der tatsächlichen Fahrleistung des Käufers zu multiplizieren (Reinking/Eggert, Der Autokauf, 14. Auflage Rn. 3564). Die Berechnung erfolgt dabei nach der Formel:
51Bruttokaufpreis x gefahrene Kilometer
52voraussichtliche Restlaufleistung
53Insoweit geht der Senat bei einem mit einem 2,0 Liter Dieselmotor ausgestatteten Fahrzeug nach Anhörung von Sachverständigen in anderen Verfahren im Wege der Schätzung gem. § 287 ZPO von einer zu erwartenden durchschnittlichen Gesamtlaufleistung von 300.000 km aus (vgl. auch BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19 –, Rn. 78 bis 83). Da das Neufahrzeug im Zeitpunkt des Erwerbs durch den Ehemann der Klägerin einen km-Stand von 0 aufwies, betrug die voraussichtliche Restlaufleistung 300.000 km. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat betrug die Laufleistung unstreitig 92.888 km. Unter Berücksichtigung des Bruttokaufpreises von 31.039,45 EUR errechnet sich unter Anwendung der vorgenannen Formel die oben genannte Nutzungsentschädigung in Höhe von 9.610,64 EUR.
54Es ist eine Saldierung von Schadensersatzanspruch und Vorteilsausgleich durchzuführen, da beide auf Geld gerichtet sind (vgl. BGH, Urteil vom 12.03.2009 - VII ZR 26/06; OLG Hamm, Urteil vom 10.09.2019 – I-13 U 149/18). Es verbleibt ein ersatzfähiger Schadensersatzbetrag von 21.428,81 EUR .
55b) Der Schadensersatzanspruch der Klägerin gem. § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB analog ist verjährt. Da die Beklagte zudem – bereits in erster Instanz – eine entsprechende Einrede erhoben hat, ist sie berechtigt, die Leistung gem. § 214 Abs. 1 BGB zu verweigern.
56aa) In der Berücksichtigung der Verjährungseinrede durch den Senat liegt kein Verstoß gegen das berufungsrechtliche Verschlechterungsverbot. Diese betrifft nur solche Teile des Urteils, die in Rechtskraft erwachsen. Dies ist bei bloßen Urteilselementen wie der Einrede der Verjährung nicht der Fall (siehe etwas Vollkommer in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, Vorbemerkungen zu § 322, Rn. 31 und Rn. 34).
57bb) Entgegen der Auffassung der Klägerin kann aus dem Umstand, dass die Beklagte nicht selbst Berufung oder Anschlussberufung gegen das Urteil des Landgerichts eingelegt hat, nicht geschlossen werden, dass sie die Einrede der Verjährung fallen lässt. Denn dieses Prozessverhalten kann auch auf anderen Gründen beruhen.
58cc) Auch kann die Erhebung der Verjährungseinrede nicht als treuwidrig angesehen werden. Die Argumentation der Klägerin, die Beklagte leugne nach wie vor in ihren Schriftsätzen unter Verstoß gegen ihre sekundäre Darlegungspflicht die subjektiven Voraussetzungen des § 826 BGB, greift nicht durch. Es handelt sich um ein ohne Weiteres zulässiges Prozessverhalten.
59dd) Der Schadensersatzanspruch der Klägerin gem. § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB analog ist mit Ablauf des 31.12.2019 verjährt, auch wenn dies für den Anspruch gem. § 852 Satz 1 BGB ohne Bedeutung ist.
60(1) Der Anspruch gem. § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB analog verjährt gem. §§ 195, 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB nach drei Jahren, beginnend mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entsteht und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Die Verjährungsfrist wurde mit Ablauf des 31.12.2016 in Gang gesetzt. Denn der Ehemann der Klägerin verfügte, wenn nicht schon im Februar 2016 aufgrund des Rückrufschreibens der Beklagten, so doch spätestens im Zeitpunkt des Aufspielen des Software-Updates am 28.11.2016 über die Kenntnis von den Umständen, die die sittenwidrige Schädigung begründen sowie von der Person der Schuldnerin.
61Der hiergegen erhobene Einwand der Klägerin, dass die Beklagte stets eine ihren verfassungsmäßig berufenen Vertretern zuzurechnende Täuschungshandlung bestritten habe und ihr wegen der hierin liegenden Rechtsunsicherheit eine Klageerhebung nicht zuzumuten gewesen sei, greift nicht durch. Der Senat schließt sich insoweit den Ausführungen des Bundesgerichtshofs in seinem Urteil vom 17.12.2020 - VI ZR 739/20 - an. Danach ist die erforderliche Kenntnis des Geschädigten von den den Anspruch begründenden Umständen vorhanden, wenn ihm die Erhebung einer Schadensersatzklage Erfolg versprechend, wenn auch nicht risikolos möglich und zumutbar ist. Wenn der Geschädigte wusste, „dass sein Fahrzeug als eines von mehreren Millionen A-Dieselfahrzeugen mit einer manipulativen Motorsteuerungssoftware ausgestattet war und das Kraftfahrtbundesamt der Beklagten deshalb eine Nachbesserung der betroffenen Fahrzeuge aufgab, reichte dies aus, den Schluss nahe zu legen, dass der Einbau der Motorsteuerungssoftware, die nach ihrer Funktionsweise ersichtlich auf Täuschung der zuständigen Genehmigungsbehörde abzielte, auf einer am Kosten- und Gewinninteresse ausgerichteten Strategieentscheidung beruhte.“ Für die Zumutbarkeit der Klageerhebung bedurfte es wegen der sekundären Darlegungslast der Beklagten keiner näheren Kenntnis von den „internen Verantwortlichkeiten". Darauf, ob ein Geschädigter den ihm bekannten Tatsachen die zutreffenden rechtlichen Schlüsse zog, kommt es nicht an (BGH, Urteil vom 17.12.2020 – VI ZR 739/20 –, Rn. 26, juris).
62(2) Die mit Ablauf des 31.12.2019 eingetretene Verjährung ist nicht gem. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB durch die Erhebung der Klage (§ 253 Abs. 1 ZPO) gehemmt worden. Die Klage datiert vom 01.04.2020; sie ist der Beklagten am 07.05.2020 zugestellt worden.
63c) Der Anspruch der Klägerin gem. § 852 Satz 1 BGB besteht in Höhe von 21.428,81 EUR. Die Vorschrift enthält eine Rechtsfolgenverweisung auf die Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung (§§ 812, 818 ff. BGB; st. Rspr., siehe etwa BGH, Urteil vom 15.01.2015 – I ZR 148/13 –, Rn. 29, juris; Wilhelmi in: Erman, BGB, 16. Aufl. 2020, § 852 BGB, Rn. 2; Rüßmann in: Herberger / Martinek / Rüßmann / Weth / Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 852 BGB, Stand: 01.02.2020, Rn. 6). Daher hat die Klägerin Anspruch auf Herausgabe desjenigen, was die Beklagte durch ihre unerlaubte Handlung auf Kosten der Klägerin erlangt hat.
64aa) Die Beklagte hat als Verkäuferin des Fahrzeugs den vollen Kaufpreis von 31.039,45 EUR vereinnahmt. Diesen Vorteil hat sie auf Kosten des Ehemanns der Klägerin erlangt, da der Geldbetrag bei der Zahlung zugleich aus seinem Vermögen abfloss.
65bb) Der Anspruch gem. § 852 Satz 1 BGB ist jedoch durch die Höhe des aufgrund der Verjährung nicht durchsetzbaren Schadensersatzanspruchs aus § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB analog begrenzt (vgl. Reuter in: Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, Teilbetrag 2, 2016, S. 595; Ebert in NJW 2003, 3035, 3037). Daher hat sich die Klägerin eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 9.610,64 EUR abziehen zu lassen.
66cc) Ein weiterer Abzug in Höhe einer etwaigen Provision, die die Beklagte dem den Kauf vermittelnden Händler gezahlt haben mag, kommt hingegen nicht in Betracht. Es kann dahingestellt bleiben, ob insoweit eine Entreicherung der Beklagten gem. § 818 Abs. 3 BGB eingetreten ist. Es fehlt an jeglichem Vortrag der Beklagten zu einer solchen Provision und deren Höhe. Unabhängig davon könnte sich die Beklagte gem. §§ 818 Abs. 4, 819 Abs. 2 BGB auch nicht mit Erfolg auf einen Wegfall der Bereicherung berufen. Gem. § 818 Abs. 4 BGB haftet der Empfänger von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an nach den allgemeinen Vorschriften. Nach Rechtshängigwerden muss der Bereicherte damit rechnen, dass er ohne Rechtsgrund besitzt, sodass ein Wegfall der Bereicherung ausscheidet (vgl. etwa Buck-Heeb in: Erman, BGB, 16. Aufl. 2020, § 818 BGB, Rn. 50 m. w. Nw.). Gem. § 819 Abs. 2 BGB ist der Empfänger von dem Empfang der Leistung an in der gleichen Weise verpflichtet, wenn er durch die Annahme der Leistung gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstößt. Letzteres ist hier der Fall, sodass die Beklagte vom Empfang des Kaufpreises an die verschärfte Haftung des § 818 Abs. 4 BGB trifft, sie sich mithin ab diesem Zeitpunkt nicht auf einen Wegfall der Bereicherung durch eine etwaige an den Händler zu zahlende Provision berufen kann. Auf die vorstehenden Ausführungen zu einer durch die Beklagte begangenen vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung wird verwiesen.
67d) Der Zahlungsanspruch der Klägerin gem. § 852 Satz 1 BGB ist nicht verjährt. Gem. Satz 2 der Vorschrift tritt Verjährung zehn Jahre nach der Entstehung des Anspruchs ein. Da der Kauf des Fahrzeugs 2013 stattfand, endet die Verjährungsfrist erst 2023. Sie ist zudem durch die Erhebung der Klage gem. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB gehemmt worden.
682. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Verzugszinsen gem. §§ 286 Abs. 1 Satz 1, 288 Abs. 1 BGB aus 21.428,81 EUR in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.04.2020 zu. Die Klägerin hat der Beklagten durch Anwaltsschreiben vom 25.03.2020 wirksam eine Zahlungsfrist bis zum 01.04.2020 gesetzt.
693. Der Antrag der Klägerin festzustellen, dass die Beklagte sich mit der Rücknahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug befinde, ist ebenfalls unbegründet. Die Voraussetzungen des Schuldnerverzuges gem. § 293 BGB liegen nicht vor. Das wörtliche Angebot zur Rückgabe des Fahrzeugs im Anwaltsschreiben vom 25.03.2020 genügte nicht den Anforderungen des § 295 BGB, weil die Klägerin ihr Angebot von einer weit übersetzten Zahlungsforderung abhängig machte. Auf die vorstehenden Ausführungen unter 2. wird Bezug genommen.
704. Die Klägerin kann zudem nicht die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangen.
71Der Schadensersatzanspruch gem. §§ 826 BGB i.V.m. § 31 BGB umfasst zwar auch notwendige Rechtsverfolgungskosten, er ist jedoch verjährt.
72Aus §§ 852 Satz 1, 257 Satz 1 BGB kann die Klägerin keinen Anspruch auf Ersatz von Rechtsanwaltskosten herleiten. § 852 Satz 1 BGB enthält eine Rechtsfolgenverweisung auf die Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung. Die Beklagte hat jedoch keinen geldwerten Vorteil in Höhe der von der Klägerin geschuldeten vorgerichtlichen Anwaltskosten erlangt.
73Der Anspruch ist auch nicht unter Verzugsgesichtspunkten gem. §§ 280, 286 BGB begründet. Die Klägerin hat keine Umstände vorgetragen, aufgrund derer die Beklagte bereits vor Einschaltung der Klägervertreter in Verzug geraten wäre.
74III.
75Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 Satz 1 BGB. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i.V.m. § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
76IV.
77Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Fortbildung des Rechts oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.
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