Urteil vom Oberlandesgericht Koblenz (3. Zivilsenat) - 3 U 819/19

Tenor

I. Auf die Berufung der Parteien wird das Urteil der 5. Zivilkammer – Einzelrichter – des Landgerichts Trier vom 20.05.2019, Az.: 5 O 500/18, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 28.883,67 € nebst 4% Zinsen hieraus vom 21.01.2014 bis 08.01.2019 und Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 09.01.2019 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Pkws VW Sharan 2.0 l mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer ...

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.145,70 € freizustellen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Im Übrigen werden die Berufung des Klägers und der Beklagten zurückgewiesen.

III. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits zu 24%, die Beklagte zu 76%.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

V. Die Revision wird zugelassen.

VI. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 38.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Kläger begehrt von der Beklagten im Zusammenhang mit dem sog. Dieselskandal Zahlung von Schadensersatz aufgrund Erwerbs eines betroffenen Gebrauchtfahrzeugs.

2

Am 20.01.2014 kaufte der Kläger bei einem Autohaus den VW Sharan 2.0 l mit der Fahrzeugidentifikationsnummer... zum Preis von 38.000,00 €. Für diesen Fahrzeugtyp wurde die Typengenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt. Der Pkw ist mit einem Dieselmotor Typ EA 189 ausgestattet. Bei diesem Motortyp ist eine Software eingebaut, welche auf dem Prüfstand vom regulären Abgasrückführungsmodus 0 in den stickoxid-optimierten Modus 1 wechselt. Es ergeben sich dadurch auf dem Prüfstand geringere Stickoxid-Emissionswerte als im normalen Fahrbetrieb. Für die Erteilung der Typengenehmigung war der Stickoxidausstoß im Prüfstand maßgebend. Die Software ist unter anderem auch in den 3l-Motoren der Konzernmarken Audi und Porsche verbaut.

3

Im September 2015 räumte die Beklagte die Verwendung der Software ein. In der Folgezeit wurde darüber in den Medien ausführlich berichtet. Gegen die Beklagte erging am 15.10.2015 ein bestandskräftiger Bescheid des Kraftfahrtbundesamts, der auch den Fahrzeugtyp des Klägers betrifft und mit dem der Beklagten unter anderem aufgegeben wurde, die als unzulässige Abschalteinrichtung eingestufte Software zu beseitigen und die Einhaltung der maßgebenden Grenzwerte durch geeignete Maßnahmen zu gewährleisten. Die Beklagte stellte als Problemlösung ein Software-Update vor, durch das die betroffenen Fahrzeuge nur noch im Modus 1 betrieben werden. Dieses Update wurde vom Kraftfahrtbundesamt freigegeben und inzwischen auch auf das klägerische Fahrzeug aufgespielt.

4

Mit Anwaltsschreiben vom 27.09.2018 (Anlage K20) machte der Kläger gegenüber der Beklagten einen Schadensersatzanspruch in Höhe des Kaufpreises geltend und forderte sie zur Zahlung bis 11.10.2018 auf. In der Klageschrift, der Beklagten zugestellt am 08.01.2019, bot er ihr die Rückgabe des Fahrzeugs an und forderte sie auf, das Fahrzeug an seinem Wohnsitz abzuholen.

5

Der Kilometerstand des Fahrzeugs betrug im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung erster Instanz 75.290 km und zweiter Instanz 79.572 km.

6

Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen, hätte er vom Vorhandensein der Manipulationssoftware gewusst, hätte er das Fahrzeug nicht erworben.

7

Die Software sei um das Jahr 2006 mit Billigung unter anderem des jeweiligen Leiters der Abteilung Motorenentwicklung bei der Beklagten und des Abteilungsleiters für Niedrigstemissionsmotoren und Abgasnachbehandlung entwickelt sowie ab 2011 weiterentwickelt worden. Ab 2011 habe auch der Entwicklungsvorstand der Beklagten von der Software gewusst und sogar 2012 deren Verbesserung genehmigt. Auch die Vorstandsmitglieder der Beklagten hätten Kenntnis vom Einsatz der Software gehabt, was sich nicht zuletzt daran zeige, dass die Software konzernweit verwendet worden sei. Wegen der Einzelheiten des Vortrags wird auf die Ausführungen in der Klageschrift unter Ziff. III. 3. und 4. (S. 19 ff.) Bezug genommen.

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Von der erhöhten Stickoxid-Belastung, die mit der Software verbunden sei, gehe eine Gesundheitsgefahr für die Fahrzeuginsassen aus. Es sei zu befürchten, dass das Software-Update, über dessen genaue Auswirkungen die Beklagte nur unzureichend informiert habe, zu einem erhöhten Kraftstoffverbrauch, reduzierter Leistung und höheren Geräuschemissionen führe und die Lebensdauer unter anderem des Fahrzeugs im Ganzen beeinträchtige. Auch bewirke es nicht die Vorschriftsmäßigkeit des Fahrzeugs, weil die Stickoxid-Grenzwerte auch nach dem Update weder im Fahrbetrieb noch auf dem Prüfstand eingehalten würden.

9

Die betroffenen Fahrzeuge, so auch seines, seien wertlos, weil sie nicht zulassungsfähig seien, nicht über die erforderliche Betriebserlaubnis für eine Benutzung im Straßenverkehr verfügten, der Halter zu dem in seinen Auswirkungen bedenklichen Update gezwungen werde und die Fahrzeuge mit dem Makel des Dieselskandals behaftet seien.

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Die Beklagte hafte ihm unter anderem gemäß § 826 BGB wegen des sittenwidrigen systematischen Inverkehrbringens des Motors mit der von ihr entwickelten Manipulationssoftware und der Ausstellung einer unrichtigen Typenbescheinigung auf Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises. Er müsse sich mit Rücksicht auf den Grundsatz von Treu und Glauben die Benutzung des Fahrzeugs nicht als geldwerten Vorteil anrechnen lassen. Letzteres ergebe sich auch aus dem europarechtlichen Effektivitätsgrundsatz. Selbst wenn man einen Nutzungsersatz absetzen wollte, sei jedenfalls nicht der Kaufpreis für die Bestimmung des Anfangswerts maßgebend, sondern nur der Schrottwert, der sich auf maximal 200,00 € belaufe. Zumindest aber sei bei der Berechnung von einer Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 500.000,00 € auszugehen. Zu berücksichtigen sei, dass die Laufleistung des Pkws bei Kaufvertragsschluss 10.200 km betragen habe. Höchst hilfsweise sei der Wert der von der Beklagten gezogenen Nutzungen in Form der Eigenkapitalrente im Zeitraum seit Kaufpreiszahlung gegenzurechnen.

11

Ein Zinsanspruch bereits ab 21.01.2014 ergebe sich unter anderem aus § 849 BGB.

12

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

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1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 38.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.01.2014 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Pkws VW Sharan 2.0 l mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer... zu zahlen.

14

2. Die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.590,91 € freizustellen.

15

3. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Pkws VW Sharan 2.0 l mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer... in Annahmeverzug befindet.

16

Hilfsweise für den Fall, dass der Antrag zu 1) auf Rückzahlung des Kaufpreises abgewiesen wird,

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festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche Schäden zu ersetzen, die dadurch entstanden sind, dass die Beklagte den Pkw VW Sharan 2.0 l mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer... in den Verkehr gebracht hat, obwohl dieser mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet war und daher keinem genehmigten Fahrzeugtyp entspricht, entstanden sind bzw. entstehen.

18

Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

20

Sie hat vorgetragen, sie verfüge derzeit über keine Erkenntnisse darüber, dass einzelne ihrer Vorstandsmitglieder an der Entwicklung der Umschaltlogik beteiligt gewesen seien oder die Entwicklung oder Verwendung der Umschaltlogik des Dieselmotors Typ EA 189 seinerzeit in Auftrag gegeben oder gebilligt hätten. Entsprechendes gelte für die klägerseits beschuldigten Abteilungsleiter.

21

Ein Stilllegungsrisiko für Fahrzeuge mit der eingebauten Umschaltlogik bestehe nicht. Sofern die Stilllegungsvoraussetzungen erfüllt seien, weil der Halter das Software-Update nicht aufspielen lasse, sei ihm dies selbst zuzurechnen. Die EG-Typengenehmigung sei wirksam und zu keinem Zeitpunkt vom Kraftfahrtbundesamt deren Aufhebung beabsichtigt gewesen. Die Stickoxid-Grenzwerte seien bei der Herstellung des Motors eingehalten worden, ebenso nach dem Software-Update, was die zuständige Typengenehmigungsbehörde überprüft und bestätigt habe. Die verbaute Umschaltlogik sei keine unzulässige Abschalteinrichtung.

22

Mit dem Software-Update gingen keine Einschränkungen der Gebrauchstauglichkeit der Fahrzeuge einher und es sei gemäß der Freigabebestätigung des Kraftfahrtbundesamts geeignet, die Vorschriftsmäßigkeit der Fahrzeuge herzustellen.

23

Der Kläger habe keinen wirtschaftlichen Nachteil erlitten, zumal sich die Verkaufspreise für Dieselfahrzeuge seit dem Aufkommen der Diesel-Thematik im September 2015 stabil entwickelt hätten. Die allgemeine Verschiebung der Nachfrage nach Dieselfahrzeugen gehe auf die politische Diskussion um Einfahrverbote in deutsche Städte zurück.

24

Sie, die Beklagte, hafte daher nicht, unter anderem nicht gemäß § 826 BGB mangels vorsätzlicher sittenwidriger Täuschung, die für einen Schaden des Klägers ursächlich sei. Jedenfalls aber müsse der Kläger Nutzungsersatz leisten, der ausgehend vom Kaufpreis, einem Anfangskilometerstand von 10.000 km und einer Gesamtlaufleistung von 200.000 km bis 250.000 km zu berechnen sei. Eine Kapitalnutzung müsse sie sich hingegen nicht anrechnen lassen.

25

Sie schulde, selbst wenn man eine Haftung annehmen wolle, auch keine Zinsen seit Kaufpreiszahlung, da die Voraussetzungen des § 849 BGB oder für einen Verzug ab diesem Zeitpunkt nicht vorlägen. Sie habe sich auch nicht in Annahmeverzug befunden, da der Kläger ihr das Fahrzeug nicht in den Annahmeverzug begründender Weise angeboten habe. Die Inanspruchnahme eines Anwalts sei nicht erforderlich gewesen.

26

Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 38.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 4% vom 21.01.2014 bis zum 11.10.2018 und Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 12.10.2018 abzüglich eines Betrags von 10.316,77 € Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Pkws verurteilt, des Weiteren zur Freistellung von Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.590,91 €. Es hat festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Pkws in Annahmeverzug befindet.

27

Zur Begründung hat es im Wesentlichen darauf abgestellt, dass die Beklagte gemäß §§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 263 StGB, 31, 831 BGB Schadensersatz zu leisten habe. Es sei angesichts des konzernweiten Einsatzes der Software denkgesetzlich zwingend, dass entweder ein Vorstandsmitglied der Beklagten oder ein weisungsgebundener Arbeitnehmer die Entscheidung für den Einbau der Software getroffen habe. Entweder müsse die Beklagte daher gemäß § 31 BGB für das Handeln einstehen oder gemäß § 831 BGB, letzteres, da sie sich auch nicht entlastet habe. Sie habe nicht ausreichend zur Organisation und Kontrolle der dem Vorstand nachgeordneten Unternehmensbereiche vorgetragen.

28

Die Betrugshandlung liege im Vertrieb der Kraftfahrzeuge mit Motoren der Baureihe EA 189, die mit der Umschaltlogik ausgestattet seien. In der Entwicklung der mit der Software ausgestatteten Motoren liege ein wichtiger Tatbeitrag. Der Täter habe erreicht, dass die Beklagte und die mit ihr im Konzern verbundenen Hersteller auf dem europäischen Markt eine Vielzahl von Kraftfahrzeugmodellen mit der Behauptung zum Kauf angeboten hätten, die Motoren der Baureihe EA 189 entsprächen der Euro-5-Abgasnorm und den damit zusammenhängenden Vorschriften. Tatsächlich sei dies nicht der Fall gewesen, da mit der Software eine unzulässige Abschalteinrichtung eingebaut worden sei und dementsprechend die EG-Typengenehmigung zu versagen gewesen wäre. Das ergebe sich im Umkehrschluss auch aus dem Bescheid des Kraftfahrtbundesamts vom 15.10.2015.

29

Das Angebot und die Auslieferung des Fahrzeugs durch die Beklagte hätten zu einer Täuschung und einem entsprechenden Irrtum des Klägers geführt, der ihn in der Erwartung gekauft habe, dass die zugrundeliegenden EU-Vorschriften eingehalten seien. Entsprechend dem Irrtum habe er mit der Kaufpreiszahlung über sein Vermögen verfügt und dadurch einen Schaden erlitten, weil ein Kraftfahrzeug, das von einer Stilllegung bedroht sei, deutlich weniger wert sei als der gezahlte Kaufpreis. Der Schaden entfalle nicht dadurch, dass gegebenenfalls der Mangel nachträglich beseitigt werde.

30

Die Beklagte habe auch vorsätzlich gehandelt, da es mindestens eine Person bei ihr gegeben haben müsse, die alle vorsatzrelevanten Tatsachen gekannt habe, insbesondere auch Täuschungszweck und -eignung der Software gegenüber dem Endverbraucher. Absichtlich verfolgter, rechtswidriger Zweck sei die Bereicherung des jeweiligen Verkäufers des Fahrzeugs und die Absatzsteigerung des VW-Konzerns gewesen.

31

Dementsprechend sei der Vertrag zur Schadenskompensation rückabzuwickeln. Die Anrechnung von Gebrauchsvorteilen sei dem Kläger dabei zuzumuten, da er den Pkw über längere Zeit genutzt habe und damit im Ergebnis überwiegend das bekommen habe, was er beim Kauf erwartet habe. Schadstoffemissionen träfen in erster Linie Dritte, die Stilllegung könne durch das Update abgewendet werden und negative Folgen des Updates könnten den Kläger nicht treffen, wenn er den Pkw zurückgebe. Durch den Schadensersatz sei in der Regel immer noch ein höherer Betrag zu erzielen als bei einem Verkauf auf dem Gebrauchtwagenmarkt. Die Beklagte werde demgegenüber nicht unangemessen entlastet.

32

Ausgehend von einer voraussichtlichen Lebensdauer des Pkws von 250.000 km, dem Kaufpreis und einem Kilometerstand bei Ankauf von 10.200 km sowie von 75.290 km im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, ergebe sich daher ein Wert der Nutzungen von 10.316,77 €.

33

Der Kläger habe einen Anspruch auf Zahlung von Zinsen ab Zahlung des Kaufpreises gemäß § 849 BGB, da er der Beklagten den Kaufpreis aufgrund eines dieser zuzurechnenden Betrugs überlassen habe. Ab Verzugseintritt schulde er Zinsen gemäß §§ 280, 286, 288 BGB.

34

Als Teil seines Schadens könne der Kläger auch die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangen.

35

Der Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs sei begründet, weil die Beklagte die Rücknahme des Fahrzeugs abgelehnt habe.

36

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung beider Parteien, mit der sie im Wesentlichen unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags die Rechtsauffassung des Landgerichts als rechtsirrig angreifen, soweit sie ihnen zum Nachteil gereicht.

37

Der Kläger beantragt,

38

das landgerichtliche Urteil wie folgt abzuändern:

39

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 38.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 4% p. a. seit 21.01.2014 bis zum Eintritt der Rechtshängigkeit und in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Pkws VW Sharan 2.0 l mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer... zu zahlen.

40

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.590,91 € freizustellen.

41

3. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Pkws VW Sharan 2.0 l mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer... in Annahmeverzug befindet.

42

Die Beklagte beantragt,

43

das am 20.05.2019 ergangene Urteil des Landgerichts Trier, Az.: 5 O 500/18, im Umfang der Beschwer der Beklagten abzuändern und die Klage vollumfänglich abzuweisen.

44

Die Parteien beantragen des Weiteren,

45

die Berufung der jeweils anderen Partei zurückzuweisen.

46

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angegriffenen Urteil sowie die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 ZPO).

II.

47

Die gemäß §§ 511, 517 ff. ZPO zulässigen Berufungen der Parteien haben jeweils nur teilweise Erfolg. Der Berufungsantrag des Klägers ist dabei interessengerecht so auszulegen, dass die Abänderung nach Maßgabe des in der Berufungsbegründung formulierten Antrags nur insoweit begehrt wird, als er erstinstanzlich unterlegen ist. Die Berufung des Klägers ist lediglich hinsichtlich eines vom Landgericht bei der Schadensberechnung zu hoch angesetzten Vorteilsausgleichs teilweise begründet, diejenige der Beklagten lediglich hinsichtlich der Nebenforderungen und hinsichtlich des Feststellungsantrags.

48

Jedenfalls im Ergebnis zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass dem Kläger dem Grunde nach ein Anspruch auf Schadensersatz aus unerlaubter Handlung gegen die Beklagte zusteht (dazu Ziff. 1.). Der Anspruch ist darauf gerichtet, so gestellt zu werden, wie wenn der Kaufvertrag mit dem Händler nicht zustande gekommen wäre. Das bedeutet hier Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Pkws an die Beklagte (dazu Ziff. 2. a). Der Kläger muss sich allerdings auf den Kaufpreis einen Gebrauchsvorteil für die gezogenen Nutzungen anrechnen lassen. Der Nutzungsersatz ist dabei nach der vom Landgericht zugrunde gelegten Formel mit der Maßgabe zu ermitteln, dass ein Anfangskilometerstand von 10.000 km und der Kilometerstand von 79.572 km im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung zweiter Instanz sowie eine Gesamtlaufleistung von 300.000 km zugrunde zu legen sind. Nutzungen der Beklagten sind nicht gegenzurechnen. Dadurch ergibt sich mit 9.116,33 € ein geringerer Abzug vom Kaufpreis als vom Landgericht angenommen und hat die Berufung des Klägers insoweit Erfolg, die der Beklagten hingegen nicht (dazu Ziff. 2. b).

49

Die Klage ist hinsichtlich der Zinsen nur insoweit begründet, als nur aus dem Schadensersatzbetrag von 28.883,67 € Zinsen in Höhe von 4% bis Rechtshängigkeit und Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit geltend gemacht werden können (dazu Ziff. 3.). Der Anspruch auf Freistellung von außergerichtlichen Anwaltskosten für die erforderliche Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts besteht lediglich ausgehend von einem Gegenstandswert bis 30.000,00 € (dazu Ziff. 4.). Der Kläger hat schließlich mangels Annahmeverzugs der Beklagten keinen Anspruch auf entsprechende Feststellung (dazu Ziff. 5.). Die Berufung der Beklagten ist daher insofern begründet.

50

Im Einzelnen gilt Folgendes:

51

1. Schadensersatzanspruch dem Grunde nach

52

Der Kläger hat gegen die Beklagte dem Grunde nach jedenfalls gemäß § 826 BGB i. V. m. § 249 Abs. 1 BGB einen Anspruch auf Schadensersatz. Es kann daher dahinstehen, ob ein solcher auch nach der vom Landgericht zugrunde gelegten Anspruchsgrundlage § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB gegeben wäre.

53

a) Objektiver Tatbestand

54

§ 826 BGB erfordert in objektiver Hinsicht eine Schadenszufügung des Täters gegenüber einem anderen in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise. Tathandlung in diesem Sinne ist vorliegend das Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Fahrzeugs mit einer verborgenen unzulässigen Abschalteinrichtung.

55

aa) Täuschungshandlung

56

Unabhängig von der Bedeutung und Kenntnis einer EG-Übereinstimmungsbe-scheinigung hat die Beklagte bereits mit dem Inverkehrbringen des Fahrzeugs auf dem Kfz-Markt unter anderem die konkludente Erklärung auch gegenüber späteren Fahrzeugkäufern abgegeben, dass das Fahrzeug entsprechend seinem objektiven Verwendungszweck im Straßenverkehr eingesetzt werden darf, d. h. über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis verfügt, deren Fortbestand nicht aufgrund bereits bei Auslieferung des Fahrzeugs dem Hersteller bekannter konstruktiver Eigenschaften gefährdet ist. Das wiederum setzt voraus, dass nicht nur die erforderlichen Zulassungs- und Genehmigungsverfahren formal erfolgreich durchlaufen wurden, sondern auch, dass die für den Fahrzeugtyp erforderliche EG-Typengenehmigung nicht durch eine Täuschung des zuständigen Kraftfahrbundesamts erschlichen worden ist und das Fahrzeug den für deren Erhalt und Fortdauer einzuhaltenden Vorschriften tatsächlich entspricht (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 12. Juni 2019 – 5 U 1318/18 –, juris Rn. 24; OLG Koblenz, Urteil vom 16. September 2019 – 12 U 61/19 –, juris Rn. 50; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 05. März 2019 – 13 U 142/18 –, juris Rn. 11).

57

Diese konkludent zugesagten Voraussetzungen waren hier jedoch nicht vollumfänglich erfüllt, da es sich bei der streitgegenständlichen Software mit Umschaltlogik um eine gemäß Art. 5 Abs. 2 S. 1 der Verordnung (EG) 715/2007 unzulässige Abschalteinrichtung handelt, die den Betrieb des Fahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr gefährdet.

58

Die Eigenschaft als unzulässige Abschalteinrichtung ergibt sich daraus, dass die Software gezielt die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems beeinträchtigt und unerkannt darauf einwirken soll. Das Fahrzeug entspricht wegen dieser gegen zwingendes europäisches Recht verstoßenden Abschalteinrichtung nicht dem genehmigten Typ (§ 3 Abs. 1 S. 2 FZV). Der Senat macht sich die Ausführungen hierzu des BGH im Beschluss vom 08. Januar 2019 – VIII ZR 225/17 -, juris Rn. 9 ff., 20, des 5. Zivilsenats des OLG Koblenz im Urteil vom 12. Juni 2019 – 5 U 1318/18 –, juris Rn. 31 ff., sowie des 12. Zivilsenats des OLG Koblenz im Urteil vom 16. September 2019 – 12 U 61/19 –, juris Rn. 53 ff., zu eigen und nimmt darauf zwecks Meidung von Wiederholungen Bezug.

59

Infolge der verborgenen unzulässigen Abschalteinrichtung war der ungestörte Betrieb des Fahrzeuges des Klägers im öffentlichen Straßenverkehr jedenfalls im Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses am 20.01.2014, in dem die Verwendung der Software noch unerkannt und dementsprechend eine ordnungsgemäße Nachrüstung nicht durchgeführt war, nicht gewährleistet. Denn nach § 5 Abs. 1 FZV kann die zuständige Zulassungsbehörde in Fällen, in denen sich ein Fahrzeug – wie vorliegend – als nicht vorschriftsmäßig nach der Fahrzeug-Zulassungsverordnung (FZV) erweist, dem Eigentümer oder Halter eine angemessene Frist zur Beseitigung der Mängel setzen oder den Betrieb des Fahrzeugs auf öffentlichen Straßen beschränken oder untersagen (vgl. BGH, Beschluss vom 08. Januar 2019 – VIII ZR 225/17 -, juris Rn. 20).

60

bb) Zurechnung des Handelns an die Beklagte

61

Der Beklagten ist auch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs nicht nur als solches, sondern gerade mit der verborgenen unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß § 31 BGB (analog) zuzurechnen, da nach dem Vortrag der Parteien davon auszugehen ist, dass den Repräsentanten der Beklagten die verborgene Abschalteinrichtung bekannt war.

62

(1) Kenntnis des Vorstands

63

Der Vortrag des Klägers, dass der Vorstand der Beklagten von der unzulässigen Abschalteinrichtung wusste, ist schlüssig. Die Beklagte hat demgegenüber lediglich im Wesentlichen vorgetragen, dass nach ihrem Kenntnisstand der Vorstand nichts wusste, und dementsprechend die Kenntnis bestritten. Es obläge indessen nach Treu und Glauben ihr als derjenigen, die im Gegensatz zum Kläger Einblick in ihre internen Vorgänge hat, sich nicht auf ein einfaches Bestreiten zu beschränken, sondern substantiiert dazu vorzutragen, wie dem Vorstand die Verwendung der manipulativen Software entgangen sein soll (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 16. September 2019 – 12 U 61/19 –, juris Rn. 66; OLG Köln, Beschluss vom 3. Januar 2019 – 18 U 70/18 –, juris 32 ff.).

64

Dies ergibt sich auch mit Blick auf den Umstand, dass die unzulässige Abschalteinrichtung nicht nur in mehreren VW-Modellen, sondern unstreitig auch in Fahrzeugmodellen anderer Konzerngesellschaften massenhaft zum Einsatz kam. Die Erlangung einer bestimmten Typengenehmigung für die im Konzern hergestellten Fahrzeuge hat erhebliche Auswirkungen auf deren Positionierung und Wert am Markt und damit auch auf die Marktstellung und Zukunftsfähigkeit des jeweiligen Unternehmens. Der Konstruktion des Motors in den für das Erreichen der Typengenehmigung wesentlichen Teilen kommt daher durchaus strategische Bedeutung zu. Soweit verborgene manipulative Software zum Einsatz gebracht wird, birgt dies auch erhebliche Haftungsrisiken für den Hersteller, die schlimmstenfalls Unternehmen in den wirtschaftlichen Ruin treiben können. Dem steht zugleich kein nur ansatzweise adäquater Vorteil für einzelne untergeordnete Mitarbeiter gegenüber. Auch unter diesem Aspekt kann grundsätzlich nicht davon ausgegangen werden, dass der Vorstand, der für die Geschicke des Unternehmens verantwortlich ist und ein strategisches Interesse daran hat, vom Einsatz der Software nichts gewusst hat (vgl. auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom 05. März 2019 – 13 U 142/18 –, juris Rn. 55).

65

(2) Kenntnis von sonstigen Repräsentanten der Beklagten

66

Selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass der Vorstand keine Kenntnis hatte, so müsste sich die Beklagte die Kenntnis jedenfalls des Leiters der Abteilung Motorenentwicklung zurechnen lassen.

67

Die Repräsentantenhaftung erstreckt sich für juristische Personen über den Vorstand, die Vorstandsmitglieder und die verfassungsmäßig berufenen besonderen Vertreter hinaus auf alle sonstigen Personen, denen durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, so dass sie die juristische Person im Rechtsverkehr repräsentieren (BGH, Urteil vom 30. Oktober 1967 – VII ZR 82/65 –, juris Rn. 11 m. w. N.). Da es der juristischen Person nicht freisteht, selbst darüber zu entscheiden, für wen sie ohne Entlastungsmöglichkeit haften will, kommt es nicht entscheidend auf die Frage an, ob die Stellung des „Vertreters” in der Satzung der Körperschaft vorgesehen ist oder ob er über eine entsprechende rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht verfügt. Zu den Repräsentanten in diesem Sinn gehört auch der Personenkreis der leitenden Angestellten im arbeitsrechtlichen Sinn (Palandt/Ellenberger, BGB, 78. Aufl., § 31 Rn. 6 m. w. N.; siehe auch BGH, Urteil vom 05. März 1998 – III ZR 183/96 –, juris Rn. 18).

68

Diese Anforderungen erfüllt der Leiter der Motorenentwicklungsabteilung der Beklagten. Angesichts des wechselseitigen Parteivortrags ist davon auszugehen, dass aus den unter Ziff. II. 1. a) bb) (1) genannten Gründen jedenfalls er von der verwendeten Software Kenntnis hatte. Die Wirkungsweise der vielfach im Konzern zum Einsatz gekommenen Software setzt denknotwendig eine aktive, im Hinblick auf das manipulative Ergebnis gewollte präzise Programmierung voraus (vgl. LG Krefeld, Urteil vom 19. Juli 2017 – 7 O 147/16 –, juris Rn. 38). Die Frage, wie die Stickstoff-Emissionswerte, die für eine bestimmte Typengenehmigung erforderlich sind, technisch erreicht werden können, ist zentral und der Leiter der Entwicklungsabteilung muss den Sachverstand mitbringen, um die entwickelte Lösung mitbeurteilen zu können. Es ist daher grundsätzlich nicht vorstellbar, dass dem Leiter der Entwicklungsabteilung von seinen Mitarbeitern die technische Umsetzung in Form einer Abgasabschalteinrichtung verschwiegen worden sein kann oder dass er sie nicht in ihrer Wirkweise verstanden hat (vgl.OLG Koblenz, Urteil vom 12. Juni 2019 – 5 U 1318/18 –, juris Rn. 66 f.).

69

Auch insofern fehlt es an substantiiertem Vortrag der Beklagten, wieso dem Leiter der Entwicklungsabteilung die manipulative Software dennoch entgangen sein soll.

70

cc) Sittenwidrigkeit

71

Das Inverkehrbringendes Fahrzeugs mit einer verborgenen unzulässigen Abschalteinrichtung durch die Beklagte stellt sich als sittenwidrig dar.

72

Eine sittenwidrige Schadenszufügung gemäß § 826 BGB setzt in objektiver Hinsicht ein Verhalten voraus, das nach Inhalt oder Gesamtcharakter gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, das heißt mit grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde vertragliche Pflichten oder das Gesetz verletzt oder bei einem anderen einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage tretenden Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (BGH, Urteil vom 28.06.2016, Az.: VI ZR 536/15, juris Rn. 16; BGH, Urteil vom 19.07.2014, Az.: II ZR 402/02, juris Rn. 49; BGH, Urteil vom 04.06.2013, Az.: VI ZR 288/12, juris Rn. 14).

73

Diese Voraussetzungen sind in der Gesamtschau sämtlicher objektiven Umstände erfüllt. Die Beklagte hat durch die eingebaute Software im Konzern unternehmensübergreifend systematisch heimlich und gesetzeswidrig Stickoxid-Werte auf dem Prüfstand geschönt und damit die Typengenehmigung unter anderem für das Fahrzeugmodell des Klägers erschlichen, die anderenfalls nicht erteilt worden wäre. Sie hat in großem Stil Fahrzeuge mit entsprechend manipulierten Motoren über Jahre hinweg in Verkehr gebracht. Das wirkte sich zulasten jedenfalls der Umwelt (wenn nicht auch der Gesundheit vieler) aus, da die stickoxid-optimierten Abgaswerte im Normalbetrieb nicht erreicht wurden. Die Zulassung der betroffenen Fahrzeuge im Straßenverkehr im Falle einer Entdeckung war gefährdet. Das Vertrauen des Endverbrauchers in die uneingeschränkte Fahrbereitschaft seines Fahrzeugs im Straßenverkehr und in ein bestimmtes Umweltverhalten durch die Nutzung eines Fahrzeugs mit der erteilten Typengenehmigung wurde ausgenutzt. Dies alles geschah allein zur Gewinnmaximierung. Ein anderer Zweck der Software ist angesichts ihrer heimlichen Wirkungsweise nicht ersichtlich. Wenn es auf anderem Weg legal möglich und gleichermaßen profitabel gewesen wäre, die Typengenehmigung zu erreichen, wäre nicht nachvollziehbar, warum die Beklagte gerade diesen manipulativen Weg unter Inkaufnahme sämtlicher damit verbundener Risiken gewählt hat (so auch OLG Koblenz, Urteil vom 12. Juni 2019 – 5 U 1318/18 –, juris Rn. 46 ff.; OLG Koblenz, Urteil vom 16. September 2019 – 12 U 61/19 –, juris Rn. 57 m. w. N.).

74

dd) Schadenszufügung gegenüber dem Kläger

75

Durch die falsche konkludente Erklärung zur uneingeschränkten Einsatzfähigkeit des Fahrzeugs im Straßenverkehr, die mit dem sittenwidrigen Inverkehrbringen des mit der unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs des Klägers verbunden ist, wurde dem Kläger ein Schaden zugefügt.

76

Schaden i. S. d. § 826 BGB bedeutet jede nachteilige Einwirkung auf die Vermögenslage des Klägers und kann auch in der Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung liegen (Palandt/Sprau, BGB, 78. Aufl., § 826 Rn. 3 m. w. N.). Wird jemand durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrages gebracht, den er sonst nicht geschlossen hätte, kann er auch bei objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung dadurch einen Vermögensschaden erleiden, dass die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar ist. Die Bejahung eines Vermögensschadens unter diesem Aspekt setzt allerdings voraus, dass die durch den unerwünschten Vertrag erlangte Leistung nicht nur aus rein subjektiv willkürlicher Sicht als Schaden angesehen wird, sondern dass auch die Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der obwaltenden Umstände den Vertragsschluss als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig ansieht (BGH, Urteil vom 26. September 1997 – V ZR 29/96 –, juris Rn. 28; BGH, Urteil vom 28. Oktober 2014 – VI ZR 15/14 –, juris Rn. 18 m. w. N.).

77

In Anwendung dieser Grundsätze liegt der Schaden hier im Abschluss des Kaufvertrags über das streitgegenständliche Fahrzeug, den der Kläger in Kenntnis der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung nicht geschlossen hätte.

78

Es ist nach dem Vortrag der Parteien davon auszugehen, dass sich die falsche konkludente Erklärung der Beklagten auf die Kaufentscheidung des Klägers positiv ausgewirkt hat.

79

Auch bei Gebrauchtwagenkäufen bilden die allgemeinen Herstellerangaben und die Typengenehmigung die Grundlage des Erwerbsgeschäftes. Der Käufer eines Gebrauchtfahrzeugs mag sich zwar regelmäßig nicht bewusst Gedanken über die Voraussetzungen für die Erteilung der Typengenehmigung machen. Er bringt aber dem Hersteller des Fahrzeugs ein generelles Vertrauen dahingehend entgegen, dass die gesetzlichen Vorgaben für die Erteilung der Typengenehmigung eingehalten sind (so auch OLG Koblenz, Urteil vom 12. Juni 2019 – 5 U 1318/18 –, juris Rn. 43) und insbesondere auch, dass jene nicht durch technische Maßnahmen erschlichen wurden, die gerade dazu bestimmt waren, die Typengenehmigungsbehörde zu täuschen. Kein vernünftiger Käufer wird aber ein Fahrzeug erwerben wollen, bei dem das Risiko besteht, dass er es deswegen nicht, zumindest nicht dauerhaft bestimmungsgemäß im Straßenverkehr nutzen kann (so auch OLG Koblenz, Urteil vom 16. September 2019 – 12 U 61/19 –, juris Rn. 67). Anders mag der Fall liegen, wenn dem Käufer der Einsatz der manipulativen Software im konkreten Fahrzeug oder zumindest allgemein und die von den zuständigen Behörden hieraus gezogenen Konsequenzen bereits bekannt sind, weil er dann die mit dem Kauf eingegangen Risiken besser kalkulieren kann. Das gilt aber nicht für den völlig ahnungslosen Erwerber eines von der Beklagten auf den Markt gebrachten Fahrzeugs. Er vermag nicht abzusehen, ob und inwiefern ein etwaiges Problem mit der Erteilung der Typengenehmigung behoben werden kann.

80

Dem hat die Beklagte für den konkreten Einzelfall nichts Substanzielles entgegengesetzt.

81

Es kann dahinstehen, ob das Fahrzeug ungeachtet der eingebauten unzulässigen Abschalteinrichtung seinen Kaufpreis wert war. Bereits durch die dem Fahrzeug anhaftende Stilllegungsgefahr war seine Brauchbarkeit für die Zwecke des Klägers herabgesetzt, selbst wenn er es später faktisch uneingeschränkt im Straßenverkehr nutzen konnte. Auch unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung erscheint der Vertragsschluss daher als den konkreten Vermögensinteressen des Klägers nicht angemessen und damit als nachteilig.

82

Der Schaden liegt mit Rücksicht darauf auch im Schutzbereich der Norm. § 826 BGB schützt auch die Dispositionsfreiheit des Klägers gegen eine sittenwidrige Schädigung, wie sie hier von der Beklagten vorgenommen wurde. Ohne den Endverbraucher, der das von der Beklagten hergestellte und in Verkehr gebrachte Produkt – auch als Gebrauchtwagen – am Markt kauft, könnte die Beklagte das mit der verborgenen unzulässigen Abschalteinrichtung verfolgte Ziel der Gewinnmaximierung nicht erreichen.

83

Unerheblich ist des Weiteren, dass die Beklagte nicht selbst Verkäufer des Fahrzeugs mit der unzulässigen Abschalteinrichtung ist, sondern dieses nur auf den Markt gebracht hat. Durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs hat die Beklagte eine Kausalkette in Gang gesetzt, die bis zum Kaufvertragsschluss zwischen dem Kläger und einem Dritten ununterbrochen fortwirkte (so auch OLG Koblenz, Urteil vom 12. Juni 2019 – 5 U 1318/18 –, juris Rn. 44; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 05. März 2019 – 13 U 142/18 –, juris Rn. 28).

84

Dem in der Eingehung der ungewollten Verbindlichkeit bestehenden Schaden steht schließlich nicht entgegen, dass das Software-Update aufgespielt wurde. Ungeachtet der hoch streitigen Frage, ob und inwiefern das Software-Update eine in rechtlicher und technischer Hinsicht geeignete Problemlösung darstellt, hat seine Installation auf die Schadensbegründung keinen Einfluss. Es stellt auch keine vollständige Naturalrestitution im Sinne des § 249 Abs. 1 ZPO dar, da es den ungewollten Vertrag, in dem hier der Schaden besteht, nicht rückgängig macht.

85

b) Subjektiver Tatbestand

86

aa) Kenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände

87

Ein Bewusstsein der Sittenwidrigkeit ist nicht erforderlich. Die insofern in subjektiver Hinsicht erforderliche Kenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Tatumstände (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 78. Aufl., § 826 Rn. 8), lag sowohl beim Vorstand als auch zumindest bei dem Leiter der Entwicklungsabteilung vor. Auf die Ausführungen unter Ziff. II. 1. a) bb) wird Bezug genommen.

88

bb) Schädigungsvorsatz

89

Die Beklagte handelte zudem mit Schädigungsvorsatz.

90

Hierfür genügt, dass der Schädiger spätestens im Zeitpunkt des Schadenseintritts Art und Richtung des Schadens und die Schadensfolgen vorausgesehen und die Schädigung im Sinne eines direkten Vorsatzes gewollt oder im Sinne eines bedingten Vorsatzes jedenfalls – mag er sie auch nicht wünschen – doch zur Erreichung seines Ziels billigend in Kauf genommen hat. Eine allgemeine Vorstellung über eine etwa mögliche Schädigung genügt nicht. Nicht erforderlich ist, dass der Schädiger die Einzelheiten des Schadensverlaufs bzw. Umfang und Höhe des Schadens vorausgesehen hat oder der Schädiger die konkret geschädigten Personen oder deren Zahl kennt (Palandt/Sprau, BGB, 78. Aufl., § 826 Rn. 10 f.).

91

Gemessen hieran ist Vorsatz der Beklagten zu bejahen. Dies ergibt sich schon aus der Art und Weise, in der sich das sittenwidrige Verhalten kundtut (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 78. Aufl., § 826 Rn. 11a). Die Software wurde bewusst unter anderem in Fahrzeugmodelle wie das vom Kläger erworbene eingebaut, um den Stickoxid-Ausstoß auf dem Prüfstand günstig zu beeinflussen und so die Typengenehmigung zu erhalten, die die Beklagte anderenfalls dafür nicht erhalten hätte. Die Beklagte nahm billigend in Kauf, dass Käufer – auch Gebrauchtwagenkäufer – die von ihr hergestellten und auf den Markt gebrachten Fahrzeuge im Vertrauen auf das gesetzeskonforme, nicht manipulative Zustandekommen der Typengenehmigung und die im Hinblick darauf uneingeschränkte Betriebsfähigkeit des Fahrzeugs erwerben, während tatsächlich im Falle einer Entdeckung der Software die Zulassung der betroffenen Fahrzeuge für den Straßenverkehr hinsichtlich des Inverkehrbringens des Fahrzeugs mit der verborgenen unzulässigen Abschalteinrichtung erlöschen könnte. Wie das Kraftfahrtbundesamt bzw. die Zulassungsbehörden auf die Entdeckung der Abschalteinrichtung reagieren würden, war vor Bekanntwerden des Software-Einsatzes nicht kalkulierbar.

92

c) Rechtsfolge

93

Die Beklagte ist dem Kläger daher dem Grunde nach zum Ersatz seines Schadens verpflichtet.

94

2. Schadensersatz der Höhe nach

95

a) Rückgängigmachen der Folgen des Kaufvertrags

96

Der Ersatzanspruch richtet sich auf das negative Interesse. Der Kläger ist so zu stellen, wie er ohne Eintritt des schädigenden Ereignisses stünde, hier konkret also wie wenn er den Kaufvertrag mit dem Händler nicht abgeschlossen hätte. Ihm steht folglich ein Anspruch auf Rückgängigmachung der Folgen dieses Vertrags zu, d. h. Ausgleich der für den Vertrag getätigten Aufwendungen durch den Schädiger gegen Herausgabe des aus dem Vertrag Erlangten (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2014 – VI ZR 15/14 –, juris Rn. 19, 25). Das umfasst zunächst die Erstattung eines Betrags in Höhe des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs an die Beklagte.

97

b) Anrechnung von Nutzungsersatz des Klägers

98

aa) Vorteilsausgleich dem Grunde nach

99

Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der Kläger im Falle eines unterbliebenen Kaufvertragsschlusses auch keine Nutzungen aus dem Fahrzeug hätte ziehen können. Den Ausgleich dieses Vorteils muss er sich zur Vermeidung einer Überkompensation seines Schadens auf den Erstattungsbetrag anrechnen lassen. Auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil hierzu, dort S. 17 f. (Blatt 311 f. d. A.), wird zunächst zwecks Meidung von Wiederholungen Bezug genommen. Lediglich vertiefend und ergänzend sei im Hinblick auf die Gegenargumente des Klägers dazu Folgendes ausgeführt:

100

Die Beklagte wird durch den Vorteilsausgleich nicht unbillig entlastet. Aus dem Urteil des BGH vom 23. Juni 2015 – IX ZR 536/14 – ergibt sich lediglich, dass der rechtswidrig Handelnde nicht so gestellt werden darf, wie wenn er redlich gehandelt hätte. Eine solche Wirkung tritt bei einer Rückabwicklung des Kaufvertrags allerdings gerade nicht ein.

101

Es ist nicht Aufgabe des zivilrechtlichen Schadensersatzrechts, ein Verhalten über die Schadenskompensation hinaus zu sanktionieren und eine spezial- oder generalpräventive Wirkung zu entfalten. Daher spielt es auch keine Rolle, ob die Beklagte sich mit ihrem Verhalten einen Wettbewerbsvorteil erschlichen hat oder noch weitere Fahrzeugmodelle, bei denen die Beklagte die Manipulation nicht eingeräumt hat, vom Dieselskandal betroffen sind.

102

Dem Kläger ist die Anrechnung seiner tatsächlich gezogenen Nutzungsvorteile zumutbar. Die Fahrzeugnutzung war möglich und nicht illegal. Die Typengenehmigung mag auf falscher Basis erteilt worden sein, ist aber nach wie vor formal wirksam und das Fahrzeug ist immer noch für den Straßenverkehr zugelassen. Die Nutzung im Straßenverkehr war nie untersagt. Der Nutzungsvorteil wird nicht allein durch das dem Fahrzeug aus Rechtsgründen anhaftende Stilllegungsrisiko, das sich allerdings nicht verwirklicht hat, entwertet und seine Anrechnung erscheint nicht deshalb unbillig.

103

Soweit sich der Schadensersatzanspruch des Klägers rechnerisch umso mehr verringert, je mehr Zeit verstreicht, steht dies dem Vorteilsausgleich eben aus diesem Grund nicht entgegen, da dem Kläger auch für längere Zeit ein Nutzungsvorteil zufließt. Daher überzeugt das Argument der Beklagten ebenfalls nicht, dass die Anrechnung von Nutzungen den Geschädigten von der Geltendmachung seiner Rechte abhalte. Im Übrigen ist weder dargetan noch ersichtlich, dass dem Kläger nach Abzug des Nutzungsvorteils ein geringerer Betrag als Schadensersatz zufließen würde, als er ihn beim Weiterverkauf des Fahrzeugs als Kaufpreis erzielen könnte.

104

Dass der Kläger schwerwiegende Gesundheitsschäden durch die Nutzung des Pkws erlitten hätte, ist mit den allgemeinen Ausführungen zur potentiellen schwerwiegenden Gesundheitsgefährdung der Fahrzeuginsassen durch den erhöhten Stickoxid-Ausstoß des Fahrzeugs im Fahrbetrieb nicht dargetan. Insofern verhält es sich nicht anders als mit dem Stilllegungsrisiko. Allein die – bestrittene, hier als gegeben unterstellte – Gefahr entwertet den Nutzungsvorteil nicht und lässt seine Anrechnung nicht als unbillig erscheinen.

105

Der unionsrechtliche Effektivitätsgrundsatz steht einer Vorteilsausgleichung ebenfalls nicht entgegen. Er gebietet nur, dass eine Durchsetzung von gemeinschaftsrechtlich geschützten Interessen auf dem Zivilrechtsweg möglich sein muss (s. dazu EuGH, Urteil vom 17. September 2002 – C-253/00 -, juris Rn. 28, 30). Das Gemeinschaftsrecht hindert aber die innerstaatlichen Gerichte nicht daran dafür Sorge zu tragen, dass der Schutz der gemeinschaftsrechtlich gewährleisteten Rechte nicht zu einer ungerechtfertigten Bereicherung führt (EuGH, Urteil vom 20. September 2001 – Rs. C-453/99 –, AG 2002, 80, 81 m. w. N.).

106

bb) Höhe des Nutzungsersatzes

107

Der Ansatz des Kaufpreises und nicht nur des Schrottwerts bei der Berechnung des Nutzungsvorteils ist nicht zu beanstanden (dazu Lit. aa). Allerdings hat das Landgericht eine zu geringe Gesamtfahrleistung angenommen (dazu Lit. bb) und einen zu hohen Anfangskilometerstand. Des Weiteren ist nunmehr der Kilometerstand zum Schluss der mündlichen Verhandlung zweiter Instanz zugrunde zu legen (dazu Lit. cc).

108

Im Einzelnen gilt Folgendes:

109

(1) Kaufpreis als Rechenfaktor

110

Der Nutzungsvorteil ist – wovon das Landgericht zutreffend ausgegangen ist – aufgrund Vergleichs zwischen dem tatsächlichen Gebrauch und der voraussichtlichen Gesamtnutzungsdauer ausgehend vom Bruttokaufpreis gemäß § 287 ZPO zu schätzen. Bei Kraftfahrzeugen wird die Nutzungsdauer regelmäßig in Kilometern bemessen.Bei gebrauchten Kraftfahrzeugen ist der konkrete Altwagenpreis mit der voraussichtlichen Restfahrleistung ins Verhältnis zu setzen und mit der tatsächlichen Fahrleistung des Käufers zu multiplizieren (BGH, Urteil vom 17. Mai 1995 – VIII ZR 70/94 –, juris Rn. 23). Der Bruttokaufpreis ist zugrunde zu legen, weil er den Nutzungswert des Fahrzeugs verkörpert (Reinking/Eggert, Der Autokauf, 13. Aufl., Rn. 1186).

111

Der Kläger macht demgegenüber unter Verweis auf BGH, Urteil vom 25. Oktober 1995 – VIII ZR 42/94 – geltend, vorliegend sei der mangelbedingte Minderwert zu berücksichtigen und daher als Anfangswert der Schrottwert von maximal 200,00 € anzusetzen. Dabei verkennt er, dass anders als im BGH-Fall vorliegend aus den unter Ziff. II. 2. b) aa) dargelegten Gründen keine unzureichende Leistungsfähigkeit oder sonstige Einschränkung des Werts der gezogenen Nutzungen vorliegt.

112

(2) Gesamtfahrleistung

113

Die im Einzelfall unter gewöhnlichen Umständen zu erzielende Gesamtfahrleistung stellt den Gesamtgebrauchswert dar (Reinking/Eggert, Der Autokauf, 13. Aufl., Rn. 1186). Maßgebend ist dabei nach Auffassung des Senats nicht, wie lange der Motor technisch halten mag, sondern vielmehr die voraussichtliche Gesamtnutzungsdauer des konkreten Fahrzeugmodells, wobei die Üblichkeiten des Markts, an dem das Fahrzeug gekauft wurde, nicht außer Betracht bleiben können. Daher bedarf es keiner Beweisaufnahme zu der allgemein gehaltenen Behauptung der Beklagten, dass eine Laufleistung von 500.000 km bei den grundsätzlich langlebigen Fahrzeugen der Volkswagen AG und ihrer Tochtergesellschaften erwartet werden kann. Der Senat schätzt die Gesamtfahrleistung bei dem streitgegenständlichen Modell auf dem deutschen Markt auf 300.000 km. Zu berücksichtigen ist dabei, dass der VW Sharan ein robustes Familienfahrzeug ist, das auf eine langfristige Nutzung ausgelegt ist und hierzulande auch entsprechend genutzt wird. Darüber hinausgehende Laufleistungen sind am deutschen Markt allerdings unüblich.

114

(3) Kilometerstände

115

Zugrunde zu legen ist ein Ausgangskilometerstand im Zeitpunkt des Kaufs von 10.000 km statt von 10.200 km. Der Kläger hat für den um 200 km höheren Kilometerstand keinen geeigneten Beweis angetreten. Allein der Umstand, dass dieser im Kaufvertrag vermerkt sein mag, beweist die Richtigkeit im Verhältnis zur Beklagten nicht.

116

Auch ist die Berechnung hinsichtlich des Kilometerstands im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren zu korrigieren.

117

(4) Berechnung des Nutzungsersatzes

118

Insgesamt errechnet sich mit diesen Parametern ein Nutzungsersatz von 9.116,33 € (= 38.000,00 € Kaufpreis : 290.000,00 km Restlaufleistung x 69.572 km gefahrene Kilometer).

119

c) Anrechnung von Nutzungen der Beklagten

120

Der Kläger kann schließlich nicht geltend machen, dass sich die Beklagte wiederum die von ihr gezogenen Nutzungen in Form der Eigenkapitalrente seit Kaufpreiszahlung anrechnen lassen müsse. Beim Schadensersatz beschränkt sich die Vorteilsausgleichung auf solche Vorteile, die der Geschädigte aus der Tathandlung gezogen hat, weil sich diese mindernd auf die Schadenshöhe auswirken. Eine Berücksichtigung etwaiger von der Beklagten gezogener Nutzungen würde zu einer Überkompensation des Schadens und damit zu einer Besserstellung des Verletzten führen.

121

Der Rechtsgedanke der §§ 346 ff. BGB lässt sich nicht auf Schadensersatzansprüche aus Deliktsrecht übertragen. Zwar weist die Rechtsfolge des § 826 BGB in der vorliegenden Fallkonstellation eine gewisse Parallele zur Rückabwicklung eines Kaufvertrags nach Rücktritt vom Vertrag auf. Sie bewirkt aber lediglich, dass der Deliktsschuldner im Rahmen der schadensrechtlichen Naturalrestitution zur Beseitigung der wirtschaftlichen Folgen des Vertrags für den Deliktsgläubiger verpflichtet ist und dessen Erhaltungsinteresse befriedigen muss. Diese einseitige Zielrichtung des Deliktsrechts verbietet eine Schadensermittlung entsprechend den auf Rückabwicklung eines beiderseitigen Austauschverhältnisses ausgerichteten §§ 346 ff. BGB.

122

Dem vom Kläger zitierten Beschluss des BGH vom 6. Juni 2018 – X ARZ 303/18 – lässt sich nichts Gegenteiliges entnehmen.

123

3. Zinsen

124

a) Gemäß §§ 849, 246 BGB

125

Der Kläger hat einen Anspruch gemäß §§ 849, 246 BGB auf Zahlung von Zinsen aus dem vollen Schadensersatzbetrag in Höhe von 4% ab dem Tag nach Kaufvertragsschluss, d. h. ab 21.01.2014 bis zum Eintritt der Rechtshängigkeit, wie im Berufungsverfahren beantragt.

126

§ 849 BGB gilt auch für den Haftungstatbestand des § 826 BGB (Palandt/Sprau, BGB, 78. Aufl., § 849 Rn. 1). Die Beklagte hat dem Kläger das zur Kaufpreiszahlung verwendete Geld dadurch, dass sie ihn infolge einer durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs in Gang gesetzten, ununterbrochenen Kausalkette zur Zahlung des Kaufpreises an den Händler veranlasst hat, entzogen. § 849 BGB erfasst jeden Sachverlust durch ein Delikt. Auch wenn der Schädiger den Geschädigten durch eine unerlaubte Handlung wie beim Betrug oder der Erpressung dazu bestimmt, eine Sache – auch Geld – wegzugeben oder darüber zu verfügen, entzieht er sie ihm (vgl. BGH, Versäumnisurteil vom 26. November 2007 – II ZR 167/06 –, juris Rn. 4, 6).

127

Der Senat teilt nicht die Auffassung des 12. Zivilsenats, der mit Blick auf Sinn und Zweck der Norm einen Zinsanspruch in einem vergleichbaren Fall lediglich aus einem Betrag in Höhe des Minderwerts des Fahrzeugs zuerkannt hat (OLG Koblenz, Urteil vom 16. September 2019 – 12 U 61/19 –, juris Rn. 84).

128

Richtig ist, dass der Zinsanspruch nach dem Sinn und Zweck der Norm nur den endgültig verbleibenden Verlust an Nutzbarkeit der Sache ausgleichen soll, der durch den späteren Gebrauch derselben oder einer anderen Sache nicht nachgeholt werden kann (BGH, Urteil vom 24.02.1983 - VI ZR 191/81 -, NJW 1983, 1614, 1615). Allerdings hat der Kläger durch den von der Beklagten (mit)verursachten Abschluss des ungewollten Kaufvertrags eine anderweitige Nutzungs-/Anlagemöglichkeit des Kaufpreisbetrags insgesamt verloren. Die Nutzungsmöglichkeit entgeht ihm nicht nur insoweit, als der Pkw aufgrund der sittenwidrigen Schädigungshandlung gegenüber dem gezahlten Kaufpreis gegebenenfalls einen Minderwert hat. Stellt man darauf ab, dass der Verlust der Nutzbarkeit des als Kaufpreis gezahlten Geldes dadurch teilweise kompensiert wird, dass der Kläger das Fahrzeug im Übrigen voll nutzen konnte, trägt dies dem Umstand nicht hinreichend Rechnung, dass der deliktisch verursachte Schaden bereits im Abschluss des ungewollten Kaufvertrags, mithin im Eingriff in die Dispositionsfreiheit des Klägers über seine finanziellen Mittel besteht. Diese durch die Täuschung der Beklagten verursachte Einbuße kann auch durch die tatsächliche Nutzungsmöglichkeit und erfolgte Nutzung des Fahrzeugs nicht ausgeglichen werden. Deren Wert ist im Übrigen bereits durch den Abzug des Nutzungsersatzes vom Kaufpreis als Vorteilsausgleich hinreichend berücksichtigt.

129

b) Gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 BGB

130

Wie beantragt, kann der Kläger ab Rechtshängigkeit, hier also seit 09.01.2019, gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 BGB Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus dem Zahlbetrag verlangen.

131

4. Rechtsanwaltskosten

132

Der Kläger hat einen Anspruch auf Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten gemäß §§ 826, 249 Abs. 1 BGB. Die vorgerichtliche Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts war angesichts der Komplexität und Schwierigkeit der Angelegenheit sowie aufgrund des Umstands, dass sich der Kläger einem rechtlich beratenen Gegner gegenübersah, erforderlich.

133

Der Anspruch besteht in Höhe einer 1,3-Geschäftsgebühr gemäß VV 2300 RVG aus einem Geschäftswert lediglich in Höhe des Schadensersatzbetrags von 28.883,67 € zuzüglich Pauschale gemäß VV 7002 RVG von 20,00 € und Mehrwertsteuer von 19% gemäß VV 7008 RVG. Insgesamt ergibt sich auf diese Weise ein Betrag von 1.145,70 €.

134

5. Feststellung des Annahmeverzugs

135

Der Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten mit der Rücknahme des streitgegenständlichen Pkws ist gemäß § 256 ZPO zulässig, jedoch mangels Annahmeverzugs der Beklagten unbegründet.

136

Dieser würde voraussetzen, dass der Kläger der Beklagten die Rückgabe des Fahrzeugs zu den Bedingungen angeboten hat, von denen er die Rückgabe tatsächlich abhängig machen durfte (BGH, Urteil vom 20. Juli 2005 – VIII ZR 275/04 –, juris Rn. 28 ff.).

137

Der Kläger hat der Beklagten erstmals in der Klageschrift die Rückgabe des Fahrzeugs angeboten und sie aufgefordert, das Fahrzeug an seinem Wohnsitz abzuholen. Zugleich hat er aber einen der Höhe nach unberechtigten Zahlungsanspruch eingeklagt, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Pkws an die Beklagte. Das mithin an die Erfüllung von deutlich überhöhten Forderungen geknüpfte Rückgabeangebot des Klägers war folglich zur Begründung des Annahmeverzugs der Beklagten nicht geeignet.

III.

138

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Alt. 2 ZPO.

139

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

140

Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Die vorliegende Sachverhaltskonstellation liegt einer Vielzahl von Fällen zugrunde, ist höchstrichterlich noch nicht entschieden und wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht einheitlich beurteilt (z. B. OLG Koblenz, Urteil vom 12.06.2019 – 5 U 1318/18 – Urteil vom 16.09.2019 – 12 U 61/19 – OLG Karlsruhe, Beschluss vom 05. März 2019 – 13 U 142/18 – a. A. OLG Braunschweig, Beschluss vom 19. Februar 2019 – 7 U 134/17). Die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung des Revisionsgerichts erfordern daher die Zulassung, da zu befürchten ist, dass Unterschiede in der Rechtsprechung fortbestehen.

141

Den Streitwert hat der Senat an der Höhe der begehrten Abänderung des angefochtenen Urteils bemessen (§ 3 ZPO).

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