Urteil vom Oberlandesgericht Naumburg (4. Zivilsenat) - 4 U 61/14

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das am 2. September 2014 verkündete Urteil des Landgerichts Magdeburg, Az.: 11 O 2334/13, abgeändert und die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 15.600,-- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15. April 2012 zu zahlen, wobei mit dem Erhalt der Zahlung alle der Klägerin zustehenden Rechte aus dem zwischen ihr und der Beklagten zu 1 bestehenden Versicherungsvertrag R., Versicherungsnummer: ..., erlöschen und das Vertragsverhältnis einvernehmlich beendet wird.

2. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

1

Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen pflichtwidriger Beratung bei Abschluss einer steuerbegünstigten Rentenversicherung im Jahre 2008 als Gesamtschuldner auf die Rückerstattung seitdem eingezahlter Prämien in Höhe von insgesamt 15.600,-- € in Anspruch.

2

Am 9. September 2008 kam es zwischen der heute 61-jährigen Klägerin, die als Selbständige einen privaten Pflegedienst betreibt und damals betrieb, und dem Beklagten zu 2 (i. F.: der Beklagte), einem Mitarbeiter der als alleiniger Vertriebspartner für die Beklagte zu 2 (i. F.: die Beklagte) tätigen V. AG, zu einem abschließenden Beratungsgespräch, bei dem die Klägerin neben einem schriftlichen Vorschlag (Bl. 27, 28 Bd. I d. A.) auch einen Antrag (Bl. 22 bis 24 Bd. I d. A.) zum Abschluss einer fondsgebundenen Rentenversicherung, die dem Aufbau einer eigenen kapitalgedeckten Altersvorsorge nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 lit. b EStG dienen sollte, unterzeichnete. Außerdem erhielt die Klägerin die Allgemeine(n) Versicherungsbedingungen für Fondsgebundene Rentenversicherungen nach Tarif FR und FRS (Bl. 111 bis 122 Bd. I d. A.) sowie ein Produktinformationsblatt zur fondsgebundenen Rentenversicherung R. (Bl. 123, 124 Bd. I d. A.) ausgehändigt, und sie unterschrieb ein Beratungsprotokoll (Bl. 30 Bd. I d. A.).

3

In dem Antragsformular (Bl. 23 Bd. I d. A.) findet sich im Abschnitt zum Bezugsrecht nachfolgende Textpassage, in der die handschriftlich vorgenommenen Eintragungen grau und fett markiert worden sind::

4

Die Leistung aus der Hinterbliebenenrenten-Zusatzversicherung
erhält die mitversicherte Person.

Tarif FRS, 1KRS, 2KRS, SRS und SRGS:
Eine evtl. sonstige Hinterbliebenenrente erhält der
versorgungsberechtigte Ehepartner, mit dem der
Versicherungsnehmer zum Zeitpunkt des Todes
in gültiger Ehe verheiratet ist.
 

x    Stattdessen erhält eine evtl. sonstige Hinterbliebenenrente
      ein waisenrentenberechtigtes Kind:

Herr             x

   Frau             

   Sch J.                    31.07.1982
   Zuname, Vorname, Geburtsdatum

5

Über die Versicherung fertigte die Beklagte am 24. September 2008 eine Originalpolice (FRF) (Bl. 125 bis 130 Bd. I d. A.) aus, die sie der Klägerin zukommen ließ und die unter anderem vorsah, dass von den Anlagebeträgen 40 % in einen Offenen Immobilienfonds I. investiert werden sollten.

6

Zudem übersandte die Beklagte der Klägerin fortan jährlich Bestätigungen über die eingezahlten Beiträge zur Einreichung beim Finanzamt (vgl. Bl. 131 bis 136 Bd. I d. A.).

7

Im Oktober 2008 setzte die Fondsgesellschaft die Rücknahme der Anteile aus dem Fonds I. zunächst kurzzeitig aus und schloss den Fonds sodann im Mai 2012 endgültig, um ihn bis voraussichtlich April 2017 endgültig abwickeln zu können.

8

Mit Schreiben vom 28. März 2012 (Bl. 32 Bd. I d. A.) wandte sich die Klägerin, die bis dahin 15.600,-- € an Versicherungsprämien geleistet hatte, an die Beklagte, kündigte die Rentenversicherung auf und bat um Erstattung des Rückkaufswertes, da sie nicht darüber aufgeklärt worden sei, dass ihre Tochter nicht bezugsberechtigt sei, und ihr im Übrigen bei der Rürup-Rente kein Kapitalwahlrecht zustehe. Dieses Verlangen lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 12. April 2012 (Bl. 33, 34 Bd. I d. A.) ab und führte die Versicherung anschließend beitragsfrei fort.

9

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten und vertritt diese weiterhin, der Beklagte habe sie fehlerhaft beraten, weil er sie weder über die Besonderheiten einer steuerbegünstigten, unter § 10 Abs. 1 Nr. 2 lit. b EStG fallenden Versicherung noch darüber aufgeklärt habe, dass ihre in dem Versicherungsantrag deutlich gewordene Absicht, im Todesfall ihre Tochter absichern zu wollen, mit der beantragten Versicherung nicht zu erreichen sei. Außerdem habe es der Beklagte aber auch verabsäumt, sie darauf hinzuweisen, dass nicht nur Kursschwankungen, sondern auch ein Totalverlust der ausgewählten Fondsanteile denkbar sei und daneben auch das Risiko einer Aussetzung und Abwicklung des ausgewählten Immobilienfonds bestehe. Bei einer gebotenen Aufklärung, so ihre Behauptung, hätte sie den vermittelten Rentenversicherungsvertrag nicht abgeschlossen. Angesichts dessen seien ihr der Beklagte aus § 63 Satz 1 VVG und die Beklagte aus Vertrag und nach § 6 Abs. 5 Satz 1 VVG als Gesamtschuldner zum Schadensersatz verpflichtet. Die Beklagte habe auch für das Verschulden des Beklagten nach den Grundsätzen des § 278 BGB einzustehen, müsse im Übrigen aber auch wegen ihres eigenen Verschuldens mit Blick auf die aus dem Versicherungsantrag erkennbare, aber rechtlich nicht realisierbare Absicht, im Todesfall ihre Tochter als Rentenberechtigte absichern zu wollen, die eingezahlten Versicherungsprämien zurückerstatten.

10

Die Klägerin hat beantragt,

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die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 15.600,-- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15. April 2012, Zug um Zug gegen Übertragung der Rechte aus dem Versicherungsvertrag zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1 mit der Versicherungsscheinnummer 4.5260321.57, sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 899,40 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

12

Die Beklagten haben beantragt,

13

die Klage abzuweisen.

14

Die Beklagten haben ein Beratungsverschulden in Abrede gestellt. Die Klägerin habe mit der vermittelten Versicherung lediglich steuerliche Begünstigungen, jedoch keine Hinterbliebenenabsicherung für ihre Tochter verfolgt. Überdies sei die Klägerin mit entsprechenden Hinweisen auf eine nicht garantierte Leistung und das Risiko von Kursschwankungen auch ausreichend über die mit einer fondsgebundenen Rentenversicherung verbundenen Risiken aufgeklärt worden, zumal sie ohnehin mit Blick auf die ihr bereits zuvor vermittelten fondsgebundenen Rentenversicherungen über eingehende Erfahrungen in diesem Bereich verfügt hätte.

15

Die Beklagten haben sich außer einem der Klägerin zur Last gelegten Mitverschulden auf die Einrede der Verjährung berufen und hierzu die Auffassung vertreten, die Klägerin müsse sich zumindest eine grob fahrlässige Unkenntnis wegen der einen möglichen Schadensersatzanspruch begründenden Umstände entgegenhalten lassen, da sie die fehlende Absicherung ihrer Tochter eindeutig den übergebenen Unterlagen sowie der Originalpolice hätte entnehmen können und dies zudem ebenso aus den jährlichen Mitteilungen über die gezahlten Prämien folge, weswegen auch denkbare Schadensersatzansprüche bei Einreichung der Klage bereits verjährt gewesen seien.

16

Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 48 bis 52 Bd. II d. A.) Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

17

Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 2. September 2014 abgewiesen. Zur Begründung heißt es, eine Haftung des Beklagten käme bereits deshalb nicht in Betracht, weil dieser ohne unmittelbar eigenes wirtschaftliches Interesse für die Beklagte als deren bloßer Erfüllungsgehilfe tätig geworden sei, wohingegen eine Haftung der Beklagten deshalb ausscheiden müsse, weil hier kein Anlageberatungsvertrag, sondern lediglich ein Versicherungsvertrag betroffen sei. Im Übrigen scheitere eine Haftung der Beklagten aber auch daran, dass die Klägerin für ihr behauptetes Beratungsverschulden weder Zeugen benannt noch einen für ihre eigene Parteivernehmung in diesem Zusammenhang erforderlichen Anbeweis erbracht habe und deshalb im Ergebnis beweisfällig geblieben sei.

18

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung, mit der sie ihr Schadensersatzbegehren unter Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens weiterverfolgt und vor allem, mit Verweis auf ein Urteil des BGH vom 29. April 2014, Az.: XI ZR 130/13, auf eine gebotene Aufklärung über die Möglichkeit einer zeitweiligen Aussetzung der Rücknahme von Anteilen bei einem Offenen Immobilienfonds des Näheren eingeht.

19

Die Klägerin beantragt,

20

unter Abänderung des angefochtenen Urteils, wie in erster Instanz beantragt, zu befinden,

21

mit der Einschränkung, dass sie die in erster Instanz noch begehrten vorgerichtlichen Anwaltskosten nicht mehr geltend macht.

22

Die Beklagten beantragen,

23

die Berufung zurückzuweisen.

24

Sie verteidigen die angefochtene Entscheidung.

II.

25

Die gemäß § 511 Abs. 1 und 2 Nr. 1 ZPO statthafte und auch sonst zulässige, insbesondere form- und fristgerecht gemäß den §§ 517, 519, 520 ZPO eingelegte und begründete Berufung der Klägerin hat auch in der Sache vollen Erfolg.

26

Allerdings bedurfte, anknüpfend an die entsprechenden Erörterungen im zweitinstanzlichen Verhandlungstermin, der nach seinem Wortlaut missverständlich bzw. verfehltermaßen auf eine – nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 lit. b Satz 1, letzter Halbsatz EStG nicht mögliche – Übertragung der Rechte der Klägerin aus dem Versicherungsvertrag auf die Beklagten gerichtete Zug-um-Zug-Antrag gemäß § 133 BGB einer zweckentsprechenden dem Tenor zu entnehmenden Korrektur anhand des von der Klägerin mit ihrem Rechtsmittel verfolgten Ziels, den gegenständlichen Rentenversicherungsvertrag endgültig und vollständig rückabzuwickeln.

27

Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch in zuerkannter Höhe von 15.600,-- € gegen den Beklagten wegen dessen pflichtwidriger Beratung aus § 63 Satz 1 VVG (1) zu, für dessen Verschulden die Beklagte entsprechend § 278 Satz 1 BGB gleichermaßen wie für ein eigenes Beratungsverschulden gemäß § 5 Abs. 5 Satz 1 und Abs. 1 VVG neben ihm als Gesamtschuldner einzustehen hat (2).

28

Auf ein Mitverschulden der Klägerin können sich die Beklagten hingegen genauso wenig wie auf eine Verjährung des Schadensersatzanspruches berufen (3). Die als Nebenforderung beantragten Zinsen unterliegen keinen Bedenken (4).

29

1. Der Beklagte hat als Versicherungsvermittler im Sinne des § 59 Abs. 1 und 2 VVG die für ihn aus § 61 Abs. 1 VVG in Verb. mit § 62 Abs. 1 VVG folgenden Beratungs- und Dokumentationspflichten gegenüber der Klägerin schuldhaft verletzt (a) und ist ihr deshalb nach § 63 Satz 1 VVG zum Schadensersatz verpflichtet (b).

30

a) Der Beklagte ist als Mitarbeiter der V. AG, die ihrerseits von der Beklagten mit der Vermittlung von Versicherungsverträgen betraut worden war, entsprechend § 59 Abs. 2 VVG als Versicherungsvertreter und damit nach Abs. 1 dieser Vorschrift als Versicherungsvermittler tätig geworden.

31

Als Versicherungsvermittler oblag es ihm nach § 61 Abs. 1 VVG, den Versicherungsnehmer, soweit nach der Schwierigkeit, die angebotene Versicherung zu beurteilen oder der Person des Versicherungsnehmers und dessen Situation hierfür Anlass besteht, nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen und, auch unter Berücksichtigung eines angemessenen Verhältnisses zwischen Beratungsaufwand und der vom Versicherungsnehmer zu zahlenden Prämien, zu beraten sowie die Gründe für jeden zu einer bestimmten Versicherung erteilten Rat anzugeben, sowie dies unter Berücksichtigung der Komplexität des angebotenen Versicherungsvertrags nach § 62 zu dokumentieren.

32

Hiergegen hat der Beklagte dadurch verstoßen, dass er den Wunsch der Klägerin, mit der vermittelten Rentenversicherung auch ihre Tochter absichern zu können, unberücksichtigt gelassen und ihre, sich ihm objektiv aufdrängen müssende Fehlvorstellung, ein solches Ziel lasse sich mit der vermittelten Rentenversicherung erreichen, nicht richtiggestellt, sondern, im Gegenteil, durch die von ihm erklärtermaßen wunschgemäß ausgefüllte Passage in dem Antragsformular zur Bezugsberechtigung der Tochter als waisenrentenberechtigtes Kind forciert aufrechterhalten hat.

33

Im Rahmen einer bedarfsbezogenen Beratung obliegt es dem Versicherungsvermittler nicht nur, auf ausdrücklich geäußerte Wünsche des Versicherungsnehmers einzugehen, sondern dessen mit einer Versicherung verfolgten Ziele auch dann zu berücksichtigen, wenn sich diese allein mittelbar aus anderen Umständen unschwer erkennen lassen (vgl. Dörner, in: Prölss/Martin, VVG, 28. Auflage, 2010, § 61, Rdnr. 13 bis16), wobei er in diesem Zusammenhang ebenfalls gehalten ist, offenbar gewordene Fehlvorstellungen des Versicherungsnehmers über Art und Umfang eines Versicherungsproduktes richtigzustellen.

34

Nach diesen Grundsätzen hätte, spätestens nachdem die Klägerin unter der Rubrik einer Bezugsberechtigung in das Antragsformular den Namen ihrer Tochter mit Geburtsdatum von ihm hatte eintragen lassen, der Beklagte davon ausgehen müssen, dass es der Klägerin zumindest auch um eine Absicherung der Tochter zu tun war, die Eintragung unterlassen und die Klägerin stattdessen darüber aufklären müssen, dass eine derartige Absicherung mit der empfohlenen Versicherung nicht möglich war.

35

Dieser aufklärungsbedürftige Umstand war, anders als offenbar die Beklagten meinen, für die Klägerin – und wie der unstimmigen Urteilsbegründung des Landgerichts zu diesem Punkte zu entnehmen, auch sonst – keineswegs offenkundig, zumal der Gesetzgeber für einen normal erfahrenen Versicherungsnehmer diese Materie in § 10 Abs. 1 Nr. 2 lit. b EStG in äußerst komplexer und komplizierter Weise dergestalt geregelt hat, dass bei einer dort erfassten steuerbegünstigten, dem Aufbau einer eigenen kapitalgedeckten Altersversorgung dienenden Versicherung Kinder als zukünftige Hinterbliebene nur solange rentenberechtigt sind bzw. Anspruch auf Waisenrente haben, wie sie die Voraussetzungen für die Berücksichtigung als Kind im Sinne des § 32 erfüllen, wonach ungeachtet weiterer Einschränkungen eine Berücksichtigung als Kind in aller Regel spätestens mit Vollendung des 25. Lebensjahres endet (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG). Für die am 31. Juli 1982 geborene Tochter der Klägerin, die bei Vertragsschluss im September 2008 bereits 26 Jahre alt war, schied damit eine Hinterbliebenenabsicherung in Form einer ihr beim Tode der Mutter zufallenden – und nicht, wie das Landgericht rechtsirrig vermeinte, bereits bei Vertragsabschluss zustehen müssenden – Waisenrente mit der vermittelten Versicherung von vornherein aus.

36

Trotz der grundsätzlich der Klägerin als Versicherungsnehmerin zukommenden Last, ein behauptetes Aufklärungs- oder Beratungsverschulden des Versicherungsvermittlers beweisen zu müssen, kommt es im Ergebnis auf eine derartige Beweislastverteilung nicht weiter an, da die Beklagten ihrer, sie in diesem Zusammenhang treffenden sekundären Darlegungslast, zunächst eine behauptete Fehlberatung substantiiert bestreiten und darlegen zu müssen, dass heißt darzutun, wie im Einzelnen beraten bzw. aufgeklärt worden sein soll, bereits nicht ausreichend nachgekommen sind.

37

Denn dazu, dass der Beklagte die Klägerin auf eine mit der empfohlenen Versicherung nicht zu erreichende Absicherung ihrer Tochter in dem Beratungsgespräch hingewiesen hätte, haben die Beklagten nichts Konkretes dargetan, sondern lediglich behauptet, der Klägerin sei es auf eine Hinterbliebenenabsicherung nicht angekommen. Ebenso wenig hat der Beklagte, den der Senat in der mündlichen Verhandlung am 22. Januar dieses Jahres persönlich angehört hat, zu diesem Punkt etwas Stichhaltiges beitragen können, geschweige denn angegeben, angesichts seiner zugestandenen, aber deplacierten handschriftlichen Eintragung in dem Antragsformular eine bei der Klägerin dergestalt hervorgerufene bzw. verstärkte Fehlvorstellung korrigiert zu haben.

38

Ungeachtet des Fehlens eines dergestalt substantiierten Gegenvortrags wäre der Klägerin hier ohnedies eine Beweiserleichterung deshalb zuzubilligen, weil der Beklagte die ihm nach § 61 Abs. 1 Satz 2 VVG in Verb. mit § 62 Abs. 1 VVG obliegende Dokumentationspflicht in Bezug auf eine klare und verständliche Beratung verletzt hat.

39

Der BGH hat in einem Urteil vom 13. November 2014, Az.: III ZR 544/13, hierzu instruktiv und in grundlegender Weise Folgendes ausgeführt:

40

Die Nichtbeachtung der Dokumentationspflicht des Versicherungsvermittlers nach § 61 Abs. 1 Satz 2, 62 VVG kann Beweiserleichterungen zugunsten des Versicherungsnehmers bis hin zu einer Beweislastumkehr nach sich ziehen …

41

Die Funktion der vom Gesetzgeber vorgeschriebenen Dokumentationspflicht liegt vornehmlich darin, dass der Versicherungsnehmer mit einer Beratungsdokumentation die wesentlichen Inhalte der Beratung vor Augen geführt und an die Hand bekommt; hierdurch wird er in die Lage versetzt, seine Entscheidung des näheren zu überprüfen und den ihm sonst kaum möglichen Nachweis über den Inhalt der Beratung zu führen. Wird ihm diese Nachweismöglichkeit durch das Fehlen einer Dokumentation abgeschnitten, so hat dies zu seinen Gunsten Auswirkungen auf die Verteilung der Beweislast. Ist ein erforderlicher Hinweis von wesentlicher Bedeutung … nicht, auch nicht im Ansatz, dokumentiert worden, so muss grundsätzlich der Versicherungsvermittler beweisen, dass dieser Hinweis erteilt worden ist. … Gelingt ihm dieser Beweis nicht, so ist zugunsten des Versicherungsnehmers davon auszugehen, dass der betreffende Hinweis nicht erteilt worden ist und der Versicherungsvermittler mithin pflichtwidrig gehandelt hat.

42

Dem hier vom Beklagten verwandten Formularprotokoll (Bl. 30 Bd. I d. A.) lässt sich nicht einmal ansatzweise entnehmen, dass die Klägerin über die Besonderheiten einer Versicherung nach dem sogenannten Rürup-Modell, bei der sozialrechtliche, steuerrechtliche und versicherungsvertragliche Aspekte in komplexer Weise ineinandergreifen, beraten oder auch nur auf die sich aus § 10 Abs. 1 Nr. 2 lit. b EStG ergebenden Grenzen einer Hinterbliebenenabsicherung hingewiesen worden wäre.

43

Angesichts der damit im Ergebnis feststehenden Beratungspflichtverletzung kommt es auf die sich sonst stellende Frage, ob der Beklagte daneben noch eine weitergehende Beratung über spezifische Risiken der in dem schriftlichen Vorschlag (Bl. 27, 28 d. A.) für die Klägerin ausgewählten Anlagefonds schuldete oder, was nach Auffassung des Senats durchaus bedenklich wäre, sich insoweit allein auf die allgemein gehaltenen schriftlichen Hinweise über nicht garantierte Wertsteigerungen und das Risiko eines Kurszurückgangs beschränken durfte, genauso wenig mehr an wie darauf, ob bei einem Offenen Immobilienfonds selbst dann, wenn dieser nicht direkt von einem Anlageberater, sondern, eingekleidet in eine fondsgebundene Rentenversicherung, von einem Versicherungsvermittler vorgeschlagen wird, gegebenenfalls, anknüpfend an ein einschlägiges Urteil des BGH vom 29. April 2014 (Az.: XI ZR 130/13), über das spezifische Risiko einer ausgesetzten Anteilsrücknahme hätte aufgeklärt werden müssen.

44

Ein Verschulden des Beklagten, der sich wegen seiner Beratungspflichtverletzung nicht weiter exkulpiert hat, steht nach der Regelung in § 63 Satz 2 VVG ebenso wie die schadensbegründende Kausalität seiner unzureichenden Beratung fest.

45

Der Senat ist davon überzeugt, dass die Klägerin bei einer gebotenen, vom Beklagten indes außer Acht gelassenen Beratung von dem Rentenversicherungsvertrag Abstand genommen und diesen nicht abgeschlossen hätte. Dies folgt bereits aus der handschriftlichen Eintragung der Tochter als Bezugsberechtigte in dem Versicherungsantrag, die zeigt, dass es der Klägerin gerade nicht allein auf Steuer sparende Aspekte, sondern auch wesentlich auf eine zukünftige Absicherung der Tochter als Hinterbliebene ankam, wie sie dies im Übrigen auch anlässlich ihrer persönlichen Anhörung vor dem Senat in der mündlichen Verhandlung am 22. Januar 2015 plausibel und glaubhaft geschildert hat.

46

Weiterhin steht, anders als das Landgericht in dem angefochtenen Urteil meint, einer Haftung des Beklagten nicht entgegen, dass dieser als nicht selbständiger Mitarbeiter der V. gehandelt hat. Denn das Gesetz unterstellt ohne Einschränkung jedweden gewerblich nach § 59 Abs. 2 VVG tätigen Versicherungsvertreter, ganz gleich, ob selbständig oder nicht, gleichermaßen der aus § 63 VVG folgenden Schadensersatzhaftung.

47

Auf Grund des ihr nach § 63 Satz 1 VVG zukommenden Schadensersatzes ist die Klägerin so zu stellen, wie sie ohne Abschluss der betroffenen Versicherung gestanden hätte. Dann hätte sie allerdings die unstreitig in Höhe von 15.600,-- € gezahlten Prämien nicht geleistet, weshalb ihr dieser Betrag in voller Höhe als Schadensersatz zusteht.

48

Steuerliche Vorteile, die der Klägerin dauerhaft nach Rückerhalt der eingezahlten Prämien verbleiben oder verbleiben könnten und deshalb im Wege eines Vorteilsausgleichs schadensmindernd Berücksichtigung finden müssten, sind nicht ersichtlich und auch von den insoweit beweisbelasteten Beklagten nicht dargetan worden.

49

2. Die Beklagte muss sich die Beratungspflichtverletzung des Beklagten und dessen Verschulden entsprechend § 278 Satz 1 BGB zurechnen lassen, weshalb sie neben dem Beklagten nach § 421 BGB als Gesamtschuldner haftet.

50

Da die Beklagte die V. AG mit der Erfüllung der ihr aus § 6 Abs. 1 VVG als Versicherer obliegenden Beratungspflicht betraut hatte, ist nicht nur diese, sondern sind auch deren, letztlich mit der Beratung der Versicherungskunden befassten Mitarbeiter, wie hier der Beklagte, ebenfalls als ihre Erfüllungsgehilfen anzusehen (vgl. allgemein hierzu, Grüneberg, in: Palandt, BGB, 74. Auflage, 2015, § 278, Rdnr. 9).

51

Daneben schuldet die Beklagte allerdings auch aus eigenem Verschulden Schadensersatz nach § 6 Abs. 5 Satz 1 und Abs. 1 VVG. Denn ungeachtet einer zuvor vom Beklagten geleisteten Beratung war es für die Beklagte nach Erhalt des Antragsformulars unschwer zu erkennen, dass ein Bezugsrecht für die dort eingetragene Tochter der Klägerin bei der vermittelten Versicherung von vornherein nicht in Betracht kam und deshalb die entsprechende handschriftliche Eintragung der Klägerin in dem Antragsformular keinerlei Sinn ergab. Vor diesem Hintergrund hätte sie deshalb vor Ausfertigung der Versicherungspolice, gegebenenfalls über den Beklagten Rücksprache bei der Klägerin halten können und müssen, um so eine sich förmlich aufdrängende und offenkundige Fehlvorstellung der Klägerin zu diesem Punkt zu korrigieren.

52

3. Auf ein von ihnen darzulegendes und zu beweisendes Mitverschulden der Klägerin im Sinne des § 254 BGB können sich die Beklagten ebenso wenig berufen (a) wie auf ein Leistungsverweigerungsrecht gemäß § 214 Abs. 1 BGB infolge – noch nicht eingetretener – Verjährung der Forderung (b).

53

a) Es erscheint zunächst bereits weder sach- noch interessengerecht, einen aus § 63 Satz 1 bzw. § 6 Abs. 5 Satz 1 VVG folgenden Anspruch des Versicherungsnehmers auf Schadensersatz und damit auch die ihm zugrunde liegende Verletzung einer Beratungspflicht des Versicherungsvermittlers bzw. Versicherers quasi zu konterkarieren, indem man dem Versicherungsnehmer aufgibt, solche erst nach der pflichtwidrigen Beratung erhaltenen Unterlagen eingehend zu studieren, um sich – zwecks Meidung eines ihm sonst anzulastenden Mitverschuldens – mittels eines ihm allein aus Verbraucherschutzgründen gewährten Widerrufsrechts nach § 8 VVG vom Vertrag wieder zu lösen.

54

Darüber hinaus lässt oder ließ sich aus der hier in optischer wie sachlicher Hinsicht gleichermaßen hochgradig unübersichtlichen Originalpolice (Bl. 125 bis 130 Bd. I d. A.) ohnehin allenfalls mittelbar, so überhaupt, ableiten, dass die von der Klägerin ausdrücklich gewünschte Absicherung ihrer Tochter nach der Versicherung von vornherein überhaupt nicht möglich war, wenn es dort unter dem Punkt Bezugsrecht lapidar heißt: Wir zahlen unsere Versicherungsleistungen an sie als unseren Versicherungsnehmer. Berücksichtigt man ferner, dass in der Originalpolice in diffuser, konfuser und geradezu desorientierender Weise unterschiedliche, voneinander abweichende, nicht näher erläuterte Tarife genannt werden – am Anfang ist von einer Originalpolice (FRF) die Rede, im weiteren Text wird auf die Geltung sogenannter Tarife FR und FRS verwiesen – und sich auch sonst nirgendwo etwas auch nur halbwegs Erhellendes über eine mögliche Hinterbliebenenabsicherung findet, erscheint es nicht gerechtfertigt, der Klägerin ein anspruchsminderndes Mitverschulden zuzurechnen.

55

b) Ebenso wenig vermag mangels Verjährung der Forderung die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung gemäß § 214 Abs. 1 BGB zu verfangen.

56

Der Schadensersatzanspruch aus § 63 Satz 1 VVG verjährt in gleicher Weise wie der Anspruch aus § 6 Abs. 5 Satz 1 VVG nach allgemeinem Recht. Die Verjährungsfrist beträgt danach entsprechend § 195 BGB drei Jahre, wobei sie nach § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger, sprich hier: die Klägerin, von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte Kenntnis erlangen müssen, zu laufen beginnt.

57

Die Klägerin hat, für den Senat recht plausibel, angegeben, anlässlich eines Beratungstermins bei einem anderen Versicherungsvertreter am 26. Januar 2012 erstmals erfahren zu haben, dass, abweichend von den ihr zuvor vermittelten Rentenversicherungen, bei der hier in Frage stehenden Rentenversicherung keine Leistungen vor Rentenbeginn im Todesfall möglich seien noch überhaupt Ansprüche vererblich oder kapitalisierbar seien, womit die an sich beabsichtigte Absicherung der Tochter sich als illusorisch erwiesen habe. Dafür, dass die Klägerin bereits vorher von der verwickelten Sachlage, das heißt von der ihren Schadensersatzanspruch begründenden Fehlberatung der Beklagten positive Kenntnis gehabt hätte oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen, was von den Beklagten gleichermaßen darzulegen und zu beweisen gewesen wäre, ist nichts, geschweige denn Stichhaltiges ersichtlich. Insbesondere lässt sich eine zuvor grobe Fahrlässigkeit nicht aus den jährlichen Bestätigungen der Beklagten zu 1 über die eingezahlten Beiträge zur Einreichung beim Finanzamt (Bl. 131 bis 136 Bd. I d. A.) entnehmen, da hieraus kaum, mitnichten jedenfalls mit der für die Annahme einer grob fahrlässigen Unkenntnis erforderlichen Eindeutigkeit eine fehlende Absicherung der Tochter hervorgeht. Die dreijährige Verjährungsfrist hatte demnach erst mit Ende des Jahres 2012 zu laufen begonnen. Noch weit vor Ablauf der Frist mit der noch im Jahr 2013 von der Klägerin eingereichten und alsbald den Beklagten zugestellten Klage nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB in Verb. mit § 167 ZPO die Verjährung gemäß § 209 BGB gehemmt worden.

58

4. Die verlangten Nebenforderungen, die in zweiter Instanz nur noch in Gestalt der auf die Hauptforderung in gesetzlicher Höhe entfallenden Zinsen geltend gemacht werden, ergeben sich aus der den Verzug begründenden ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung der Beklagten zu 2 laut ihrem Schreiben vom 12. April 2012 (Bl. 33, 34 Bd. I d. A.), und zwar nach näherer Maßgabe der §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 Abs. 1 und 2 Nr. 3, 288 Abs. 1 BGB in Verb. mit § 247 BGB.

III.

59

Die Kostenentscheidung zulasten der im Wesentlichen unterliegenden Beklagten als Gesamtschuldner in der Hauptsache beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO in Verb. mit § 100 Abs. 4 Satz 1 ZPO. Die in zweiter Instanz nicht mehr geltend gemachten und der Klägerin allenfalls als teilweises Unterliegen entgegenzuhaltenden vorgerichtlichen Anwaltskosten erweisen sich als verhältnismäßig geringfügige Zuvielforderung, die auch keine eigenständigen Kosten veranlasst hat.

60

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils entspricht den §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1, 713 ZPO in Verb. mit § 26 Nr. 8 EGZPO.

61

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO sind nicht ersichtlich. Weder kommt der durch die Besonderheiten des Einzelfalls geprägten Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zu, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtssprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.


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