Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht (7. Zivilsenat) - 7 U 170/21

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das angefochtene Urteil des Landgerichts Itzehoe vom 20.09.2021 geändert und wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 8.548,84 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.12.2020 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Rückübereignung des Fahrzeugs Volkswagen Caddy, FIN ….

2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des unter Ziffer 1. genannten Fahrzeugs seit dem 08.12.2020 in Annahmeverzug befindet.

Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

II. Von den Kosten des Rechtsstreits im ersten Rechtszug hat der Kläger 35 % und die Beklagte 65 % zu tragen. Von den Kosten des Rechtsstreits im zweiten Rechtszug tragen der Kläger 20 % und die Beklagte 80 %

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Itzehoe ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche für einen Pkw, welcher vom sogenannten VW-Abgasskandal betroffen ist.

2

Der Kläger erwarb am 10.04.2014 bei der Autohaus X den streitgegenständlichen Pkw VW Caddy Trendline „Soccer“, 1,6 TDI mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) … als Neuwagen zu einem Kaufpreis von 21.061,03 €. In dem Fahrzeug ist der Dieselmotor des Typs EA 189 verbaut. Die Beklagte ist Entwicklerin und Herstellerin des in dem Fahrzeug verbauten Motors.

3

Zum Zeitpunkt der Auslieferung war der Motor wie sämtliche Motoren der Baureihe hinsichtlich der Abgasrückführung (AGR-System) mit zwei Betriebsmodi ausgestattet. Durch eine Software, welche die Prüfsituation (Durchfahren des Neuen Europäischen Fahrzyklus – NEFZ) auf dem Prüfstand erkennt, wurde der Stickoxid-Ausstoß (NOx) auf dem Prüfstand gegenüber dem normalen Fahrbetrieb verringert. Befindet sich das Fahrzeug im Prüfstand, wird der Abgasrückführungs-Modus 1 verwendet, in dem eine erhöhte Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß stattfindet. Dadurch werden mehr Stickoxide in den Motor zurückgeführt als im Abgasrückführung-Modus 0, der im normalen Fahrbetrieb eingeschaltet ist. Durch den veränderten Modus wird erreicht, dass der Stickoxidausstoß, der das Emissionskontrollsystem erreicht, geringer ist als im normalen Fahrbetrieb. Stickoxide werden also der Messung entzogen. Im normalen Straßenverkehr befand sich das Fahrzeug dagegen durchgehend im Modus 0, bei der es zu einer geringeren Abgasrückführungsrate und somit zu einem höheren Stickstoffausstoß kam. Diese Abschaltvorrichtung führte dazu, dass das Fahrzeug auf dem Prüfstand die gesetzlich vorgegebenen Grenzwerte für den NOx-Ausstoß einhielt und in die Schadstoffklasse EURO 5 eingeordnet wurde.

4

Am 22. September 2015 räumte die Beklagte in einer Ad-hoc-Mitteilung öffentlich die Verwendung einer entsprechenden Software ein. Ferner richtete sie eine Internetplattform ein, in der Fahrzeughalter ermitteln konnten, ob ihr konkretes Fahrzeug mit der Umschaltlogik betroffen war. Im September 2015 teilte die Beklagte zudem im Infonet ihren Vertragshändlern und Servicepartnern mit, dass Fahrzeuge mit dem Motortyp EA 189 über die Umschaltlogik verfügen. In der Folgezeit wurde auch umfangreich in den nationalen und internationalen Medien berichtet.

5

Das Kraftfahrbundesamt ordnete nach Bekanntwerden Nebenbestimmungen zur EG-Typengenehmigung für die betroffenen Fahrzeuge durch die Beklagte an und vertrat dazu die Auffassung, dass es sich bei der in diesen Fahrzeugen verwendeten Software um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele. Über die Rückrufaktion wurde der Kläger mit einem Schreiben aus Februar 2016 informiert. Die Beklagte entwickelte daraufhin ein entsprechenden Software-Update, das vom zuständigen Kraftfahrt-Bundesamt genehmigt und zur Installation freigegeben wurde. Dieses Software-Update, nach dessen Durchführung die betroffenen Fahrzeuge nur noch in einem adaptierten Modus 1 betrieben werden, wurde unstreitig bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug aufgespielt (bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung konnte nur der genaue Zeitpunkt der Software Installation nicht geklärt werden). Die erteilte EG-Typengenehmigung für das Fahrzeug wurde nicht widerrufen.

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Mit anwaltlichem Schreiben vom 30.11.2020 (DB 13) wurde die Beklagte unter Fristsetzung bis zum 07.12.2020 erfolglos zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 21.061,00 €, abzüglich einer angemessenen und noch zu beziffernden Nutzungsentschädigung (ausgehend von einer Gesamtlaufleistung in Höhe von 750.000 km) gegen Herausgabe des Fahrzeugs aufgefordert.

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Der Kläger hat behauptet, er hätte bei Kenntnis von der Abschaltsoftware das Fahrzeug nicht gekauft. Der Motor sei im Prospekt der Beklagten als besonders umweltfreundlich beworben worden. Er habe auf diese Prospektangaben vertraut und sich unter anderem deswegen das Fahrzeug gekauft. Es liege ein wesentlicher Mangel vor, welcher darin bestehe, dass das Fahrzeug nicht den Voraussetzungen der Euro-5-Norm und folglich auch nicht die Voraussetzungen für die EU-Typengenehmigung erfülle. Der Kläger hat ferner behauptet, dass das Software-Update den Mangel nicht behoben hätte. Darüber hinaus würden die Fahrzeuge nach Aufspielen des Software-Updates erhöhten Verschleiß bzw. Probleme mit Verunreinigungen oder Verstopfungen an anderen Komponenten zeigen.

8

Ursprünglich hat der Kläger mit dem Antrag zu Ziffer 1. verlangt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 16.179,39 Euro abzüglich einer weiteren im Termin zu bestimmenden Nutzungsentschädigung nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.12.2020 Zug um Zug gegen Übergabe und Rückübereignung des Fahrzeugs Volkswagen Caddy, FIN … zu zahlen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Kläger die Nutzungsentschädigung auf 7.973,34 Euro beziffert und erklärt, dass sich der zu beziffernde Klageantrag zu 1. daher auf 13.087,69 Euro reduziere. In Höhe der Differenz zum ursprünglich angekündigten Klageantrag zu 1. hat der Kläger die Klage teilweise für erledigt erklärt.

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Die am 08.12.2020 bei Gericht eingegangene Klage ist der Beklagten am 14.05.2021 zugestellt worden. Bei Klagerhebung betrug der Kilometerstand des klägerischen Fahrzeugs 115.893 km. Am 12.8.2021 wies das streitgegenständliche Fahrzeug einen Tachostand in Höhe von 132.504 km und am 15.3.2022 in Höhe von 148.523 km auf.

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Der Kläger hat beantragt,

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1. Die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen Betrag in Höhe von 13.087,69 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.12.2020 Zug um Zug gegen Übergabe und Rückübereignung des Fahrzeugs Volkswagen Caddy, FIN … zu zahlen;

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2. Festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. genannten Fahrzeugs seit dem 08.12.2020 im Annahmeverzug befindet;

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3. Die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.637,92 Euro freizustellen;

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Hilfsweise,

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4. die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen angemessenen Schadensersatzbetrag in Höhe von 5.265,25 EUR (25 % des Kaufpreises) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.12.2020 zu zahlen;

16

Ferner hat der Kläger beantragt:

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5. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Schadensersatz zu zahlen für weitere Aufwendungen und Schäden, die aufgrund des Erwerbs und des Unterhalts des Fahrzeugs Volkswagen Caddy, FIN … entstanden sind und weiterhin entstehen werden.

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6. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Schadensersatz zu bezahlen, für Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagtenpartei in den Motor, Typ EA189 des unter Ziffer 1. genannten Fahrzeugs mindestens eine unzulässige Abschalteinrichtung in der Form einer Software eingebaut hat, welche bei Erkennung standardisierter Prüfstandsituationen (NEFZ) die Abgasaufbereitung so optimiert, dass möglichst wenige Stickoxide (NOx) entstehen und Stickstoffemissionswerte reduziert werden, und die im Normalbetrieb teilende Abgaskontrollanlage außer Betrieb setzt, so dass es zu einer höheren NOx-Ausstoß führt sowie in Gestalt einer Funktion, welche durch Bestimmung der Außentemperatur, die Parameter der Abgasbehandlung so verändert, dass die Abgasnachbehandlung außerhalb eines Temperaturfensters von 17 °C bis 33 °C reduziert wird (sogenanntes Thermofenster).

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Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

21

Sie hat der teilweisen Erledigungserklärung des Klägers widersprochen.

22

Die Beklagte hat vorgetragen, das Fahrzeug sei technisch sicher und in seiner Fahrbereitschaft nicht eingeschränkt. Es verfüge über alle erforderlichen Genehmigungen, insbesondere wurde die EU-Typengenehmigung vom Kraftfahrtbundesamt nicht aufgehoben. Die Fahrzeuge mit Motor des Typs EA 189 hätten bei ihrer Herstellung die von der jeweiligen EG-Typengenehmigung vorausgesetzten Emissionsgrenzwerte eingehalten. Die maßgeblichen Emissionswerte seien nach dem Willen des Gesetzgebers zum Zwecke der Reproduzierbarkeit ausschließlich unter Laborbedingungen gemessen worden. Auf die tatsächlichen Werte im Fahrbetrieb komme es daher nach der für Fahrzeuge mit einem EA 189-Motor maßgeblichen Rechtslage nicht an. Wegen der unterschiedlichen Bedingungen auf dem Prüfstand und im realen Fahrbetrieb komme es zwangsläufig zu Abweichungen zwischen den in der Typengenehmigung angegebenen Emissionswerten, die im Labor gemessen wurden, und denjenigen Werte, die die Fahrzeuge im normalen Straßenbetrieb aufweisen. Sie habe auch nicht vorsätzlich gehandelt. Es lägen keine Erkenntnisse dafür vor, dass einzelne Vorstandsmitglieder an der Entwicklung der Software beteiligt gewesen seien oder diese Entwicklung und Verwendung in Auftrag gegeben oder gebilligt hätten. Daher bestreite sie, dass ihr ehemaliger Vorstandsvorsitzender oder andere Mitglieder des Vorstands von der Entwicklung der Software gewusst hätten. Darüber hinaus hat die Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben.

23

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12.08.2021 Bezug genommen

24

Mit dem angefochtenen Urteil vom 20.9.2021 hat das Landgericht die Beklagte verurteilt, an den Kläger 11.758,79 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Rückübereignung der streitgegenständlichen Fahrzeugs zu zahlen sowie festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs seit dem 8.12.2020 in Annahmeverzug befindet. Im Übrigen hat das Landgericht die Klage abgewiesen und die Kosten nach einer Quote 27 ./. 73 % zu Lasten der Beklagten aufgeteilt. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dass die deliktischen Ansprüche nach §§ 826,31 BGB mit Ablauf des 31.12.2018 verjährt seien. Der Zahlungsanspruch sei aber als sog. Restschaden nach § 852 BGB begründet. Die Beklagte sei im Umfang des Händlereinkaufspreises (= Kaufpreis ./. geschätzter Händlermarge von 15 %) bereichert. Von dem gezahlten Kaufpreis (21.061,03 €) sei ein Nutzungsvorteil in Höhe von 9.302,24 € (berechnet nach einer geschätzten Gesamtlaufleistung von 300.000 km) abzuziehen. Die verbleibende Differenz stehe dem Kläger zu.

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Gegen dieses Urteil haben zunächst beide Parteien wechselseitig Berufung eingelegt. Der Kläger beanspruchte die teilweise Änderung des angefochtenen Urteils und die Zahlung eines Betrages in Höhe von 13.087,69 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückübereignung des Fahrzeugs. Seine Berufung hat der Kläger mit Schriftsatz vom 1.3.2022 zurückgenommen (Bl. 872 GA).
Mit ihrer Berufung hält die Beklagte den Anspruch nach § 852 BGB für nicht begründet. Dem Kläger sei nämlich kein wirtschaftlicher Schaden entstanden. Zudem sei § 852 BGB nicht anwendbar, wenn eine Partei die Möglichkeit gehabt habe, an der Musterfeststellungsklage teilzunehmen. § 852 BGB solle ungewisse Prozesskostenrisiken abfedern. Diese bestünden aber für Personen nicht, die sich an der Musterfeststellungsklage hätten beteiligen können. Zudem habe die Beklagte nichts auf Kosten des Klägers erlangt, denn zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses durch den Kunden habe das Absatzrisiko nicht mehr bei der Beklagten gelegen, denn in diesem Fall habe der eingebundene Vertragshändler den Wagen unabhängig vom späteren Erwerb durch den Endkunden bei der Beklagten auf sein eigenes Risiko bestellt.

26

Wegen der bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung (15.3.2022) zurückgelegten Kilometerleistung (148.523 km) und des gerichtlichen Hinweises vom 13.1.2022 zur Berechnung des Nutzungsvorteils (geschätzte Gesamtlaufleistung 250.000 km ) hat der Kläger seinen Klagantrag zu Ziff. 1 im Termin am 15.3.2022 wie folgt geändert und angepasst:

27

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 8.548,84 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.12.2020 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Rückübereignung des Fahrzeugs Volkswagen Caddy, FIN: ….

28

Wegen des Differenzbetrages haben die Parteien im Übrigen den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt.

29

Die Beklagte beantragt,

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das angefochtene Urteil im Umfang ihrer Beschwer abzuändern und die Klage vollumfänglich abzuweisen.

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Der Kläger beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

33

Der Kläger hält den Anspruch aus § 852 BGB für gegeben.

34

Wegen der Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze nebst darin enthaltener Verweisungen sowie auf das Sitzungsprotokoll vom 15.3.2022 Bezug genommen.

II.

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Die Berufung der Beklagten hat nur in einem geringfügigen Umfang teilweise Erfolg (wegen der Höhe des anzurechnenden Nutzungsvorteils). Der Anspruch des Klägers aus §§ 826, 31 BGB ist zwar dem Grunde nach gegeben (1), er ist jedoch verjährt (2). Ihm steht aber ein unverjährter Anspruch auf den sogenannten Restschaden nach § 852 BGB zu (3). Der Kläger muss sich im Rahmen des vorgenannten Anspruchs eine höhere Nutzungsentschädigung anrechnen lassen, die mit dem Kaufpreis zu saldieren ist (4).

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1. Der Kläger hat einen Anspruch aus §§ 826, 31 BGB auf Zahlung von 11.758,79 € nebst gesetzlicher Rechtshängigkeitszinsen seit dem 8.12.2020 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs. Der Anspruch des Klägers auf Erstattung des von ihm gezahlten Kaufpreises abzüglich des anrechenbaren Nutzungsvorteils ergibt sich daraus, dass die Beklagte dem Kläger in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich einen entsprechenden Schaden zugefügt hat. Das Verhalten der Beklagten ist als sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB anzusehen (a) und ihren verantwortlichen Organen auch nach § 31 BGB zuzurechnen (b). Dem Kläger ist durch das sittenwidrige Verhalten der Beklagten ein Schaden i.S.v. § 249 Abs. 1 BGB entstanden, der nicht durch das angesichts der drohenden Betriebsuntersagung durchgeführte Software-Update rückwirkend entfallen ist (c). Er muss sich aber die Nutzungsvorteile zurechnen lassen und zwar in einem Umfang, der die Zurechnung im angefochtenen Urteil übersteigt (d).

37

a) Das Verhalten der Beklagten ist auf Grundlage der vom Landgericht getroffenen Feststellungen als sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB anzusehen. Dies hat inzwischen auch der BGH in einem ähnlich gelagerten Fall mit Urteil vom 25.5.2020 (Az: VI ZR 252/19, veröffentlicht in juris Rn. 6 ff.) höchstrichterlich bestätigt. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (st. Rspr. des BGH, vgl. Urteile vom 28.06.2016 - VI ZR 536/15, WM 2016, 1975 Rn. 16 mwN; vom 07.05.2019 - VI ZR 512/17, NJW 2019, 2164 Rn. 8 mwN). Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH Urteil vom 28.06.2016 - VI ZR 536/15, WM 2016, 1975 Rn. 16 mwN). Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 -, Rn. 15, juris BGH Urteil vom 07.05.2019 - VI ZR 512/17, NJW 2019, 2164 Rn. 8 mwN).

38

Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Ein Verstoß gegen die guten Sitten ist aufgrund des bewussten Verstoßes gegen gesetzliche Vorschriften, insbesondere Art. 5 Abs. II VO (EG) Nr. 715/2007, bei Entwicklung und Einsatz der Abgasregulierungssoftware durch die Beklagte und das bewusste Inverkehrbringen eines mangelhaften Fahrzeugs offenkundig. Der Einbau der gesetzlich unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. II VO (EG) Nr. 715/2007 durch die Beklagte stellt sich als ein verwerfliches Verhalten und nicht nur als schlichter Gesetzesverstoß dar.

39

Die Beklagte hat eine gesetzlich nicht zulässige Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug eingebaut. Sie bestreitet nicht, dass der Stickoxid-Ausstoß softwarebedingt im Prüfstandmodus geringer war als im Echtbetrieb, um im Prüfstandmodus die gesetzlichen Grenzwerte einhalten zu können. Sie nennt den damaligen Echtbetrieb einen „partikeloptimierten Modus 0“ und den Prüfstandbetrieb einen „NOx-optimierten Modus 1“. Der BGH hat bereits mit Beschluss vom 08.01.2019 (VIII ZR 225/17, NJW 2019, 1133 - 1137) festgestellt, dass der Einsatz der Original-Software der Motorbaureihe EA 189 einen Sachmangel des Fahrzeugs begründet, da die Verwendung der Software im Fahrzeug gegen Art. 5 Abs. II VO (EG) Nr. 715/2007 verstößt.

40

Der Einbau der gesetzlich unzulässigen Abschalteinrichtung stellt auch ein verwerfliches Verhalten und nicht nur einen schlichten Gesetzesverstoß dar. Das an sich erlaubte Ziel der Erhöhung des Gewinns (das noch nicht per se verwerflich ist) wird im Verhältnis zu dem Käufer eines der betroffenen Fahrzeuge dann verwerflich, wenn es auf der Grundlage einer strategischen Unternehmensentscheidung durch arglistige Täuschung der zuständigen Typgenehmigungs- und Marktüberwachungsbehörde - des KBA (§ 2 Abs. 1 EG-FGV) - erreicht werden soll, und dies mit einer Gesinnung verbunden ist, die sich sowohl im Hinblick auf die für den einzelnen Käufer möglicherweise eintretenden Folgen und Schäden als auch im Hinblick auf die insoweit geltenden Rechtsvorschriften, insbesondere zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung und der Umwelt, gleichgültig zeigt. Ein derartiges Vorgehen verstößt gegen die Mindestanforderungen im Rechts- und Geschäftsverkehr auf dem hier betroffenen Kraftfahrzeugmarkt, so dass ein Ausgleich der bei den Käufern verursachten Vermögensschäden geboten erscheint (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19, juris Rn. 23; BGH, Urteil vom 19.07.2004 - II ZR 402/02, BGHZ 160,149, 157) Das Inverkehrbringen der Fahrzeuge war unter diesen Umständen sittenwidrig und stand wertungsmäßig einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Käufer gleich. Der Käufer eines Fahrzeugs, gleichgültig ob er das Fahrzeug neu oder gebraucht erwirbt, setzt die Einhaltung der entsprechenden Zulassungsvorgaben arglos als selbstverständlich voraus. Die Beklagte hat systematisch und bewusst eine Software eingesetzt, durch die die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm nur im Prüfbetrieb eingehalten wurden. Der Schutz der Gesundheit der Bevölkerung wurde rücksichtslos missachtet.

41

b) Zu Recht hat das Landgericht das sittenwidrige Verhalten der Beklagten entsprechend § 31 BGB zugerechnet (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19, juris Rn. 29 ff.). Die grundlegende strategische Entscheidung in Bezug auf die Entwicklung und Verwendung der unzulässigen Motorsteuerungssoftware ist von den im Hause der Beklagten für die Motorenentwicklung verantwortlichen Personen, namentlich dem vormaligen Leiter der Entwicklungsabteilung und den für die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten der Beklagten verantwortlichen vormaligen Vorständen, - wenn nicht selbst, so doch zumindest mit ihrer Kenntnis und Billigung getroffen bzw. jahrelang umgesetzt worden.

42

Der Einbau der gesetzlich unzulässigen Abschalteinrichtung ist der Beklagten deshalb in entsprechender Anwendung von § 31 BGB zuzurechnen, auch wenn nicht vorgetragen wurde, welche Mitarbeiter der Beklagten grundsätzlich für die Entwicklung und den Einsatz der Software und konkret bezogen auf das streitgegenständliche Fahrzeug verantwortlich waren, und nicht übereinstimmend vorgetragen wurde, dass der damalige Vorstand der Beklagten Kenntnis von diesen Vorgängen hatte. Nach dem Vortrag des Klägers hatte der damalige Vorstand im Jahr 2007 Kenntnis von den illegalen Praktiken in Bezug auf die unzulässige Abschalteinrichtung erlangt und dies im Bewusstsein der Täuschung über die Zulassungsfähigkeit der Fahrzeuge gebilligt.

43

Diesen Vortrag hat die Beklagte nicht qualifiziert bestritten, so dass er gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden gilt (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19, juris Rn. 30 ff. m.w.N.). Die Beklagte traf insoweit eine sekundäre Darlegungslast. Der Kläger hat hinreichende Anhaltspunkte für eine Kenntnis des Vorstands von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung vorgetragen. Hierfür spricht nicht nur der Umstand, dass es sich bei der unzulässigen Abschalteinrichtung um eine grundlegende, weltweit alle Fahrzeuge mit Motoren der Serie EA 189 betreffende Strategieentscheidung handelte, sondern auch die Bedeutung gesetzlicher Grenzwerte und der technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten ihrer Einhaltung für die Geschäftstätigkeit der Beklagten (BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19, juris Rn. 39). Wegen der besonderen Schwierigkeiten des Klägers, in diesem Fall konkrete Tatsachen darzulegen, aus denen sich die Kenntnis eines bestimmten Vorstandsmitglieds ergibt, reicht die bloße Einlassung der Beklagten nicht aus, dass es nach derzeitigem Ermittlungsstand keine Erkenntnisse dafür gäbe, dass eines ihrer Vorstandsmitglieder an der Entwicklung der Software beteiligt gewesen sei, die Entwicklung und Verwendung der Software in Auftrag gegeben oder davon gewusst habe. Ein entsprechender Vortrag wäre der Beklagten durchaus möglich und zumutbar gewesen.

44

Mangels substantiierten Bestreitens der Beklagten gilt mithin als zugestanden, dass der damalige Vorstandsvorsitzende Dr. Martin Winterkorn spätestens bei Erwerb des Fahrzeugs durch den Kläger im Jahr 2011 Kenntnis von der Verwendung der Umschaltsoftware im Zusammenhang mit dem Einsatz des Motors der Baureihe EA 189 hatte.

45

c) Die Beklagte hat durch ihr Verhalten dem Kläger vorsätzlich einen Schaden im Sinne von §§ 826, 249 Abs. 1 BGB zugefügt, welcher nicht durch die Entwicklung und das Aufspielen des Updates beseitigt worden ist (BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19, juris Rn. 44 ff.). Der Schaden liegt bereits in dem Abschluss des Kaufvertrages über das streitgegenständliche Fahrzeug. Im Fall einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung dient der Schadensersatzanspruch nicht nur dem Ausgleich jeder nachteiligen Einwirkung durch das sittenwidrige Verhalten auf die objektive Vermögenslage des Geschädigten. Vielmehr muss sich der Geschädigte auch von einer auf dem sittenwidrigen Verhalten beruhenden Belastung mit einer "ungewollten" Verpflichtung wieder befreien können. Schon dies stellt unter den dargelegten Voraussetzungen einen gemäß § 826 BGB zu ersetzenden Schaden dar (BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19, juris Rn. 47 ff.; BGH Urteile vom 28.10.2014 - VI ZR 15/14, WM 2014, 2318 Rn. 19 mwN; vom 21.12.2004 - VI ZR 306/03, BGHZ 161, 361, 366 ff., juris Rn. 16; vgl. auch BGH, Urteil vom 19.07.2004 - II ZR 402/02, BGHZ 160, 149, 153, juris Rn. 41). Insoweit bewirkt § 826 BGB einen Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen (vgl. BGH Urteile vom 19.11.2013 - VI ZR 336/12, NJW 2014, 383 Rn. 28 f.; vom 21.12.2004 - VI ZR 306/03, BGHZ 161, 361, 368, juris Rn. 17).

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Hier ist der Kläger, veranlasst durch das einer arglistigen Täuschung gleichstehende sittenwidrige Verhalten der Beklagten, eine ungewollte Verpflichtung eingegangen. Dabei kann dahinstehen, ob er einen Vermögensschaden dadurch erlitten hat, dass im Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs eine objektive Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung nicht gegeben war (§ 249 Abs. 1 BGB), auch wenn dafür angesichts des zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorhandenen verdeckten Sachmangels, der zu einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung hätte führen können (vgl. BGH, Beschluss vom 08.01.2019 - VIII ZR 225/17, NJW 2019, 1133 Rn. 17 ff.), einiges spricht. Denn ein Schaden ist hier jedenfalls deshalb eingetreten, weil der Vertragsschluss nach den oben genannten Grundsätzen als unvernünftig anzusehen ist. Der Kläger hat durch den ungewollten Vertragsschluss eine Leistung erhalten, die für seine Zwecke nicht voll brauchbar war (BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19, juris Rn. 48.)

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Unabhängig davon war das Fahrzeug im Zeitpunkt des Erwerbs für die Zwecke des Klägers nicht voll brauchbar, weil es einen verdeckten Sachmangel aufwies, der zu einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung hätte führen können (BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19, juris Rn. 53; BGH, Beschluss vom 08.01.2019 - VIII ZR 225/17, NJW 2019, 1133 Rn. 17 ff.) Für die Frage der Brauchbarkeit kommt es nicht lediglich darauf an, dass das Fahrzeug von dem Kläger tatsächlich genutzt werden konnte und sich die bestehende Stilllegungsgefahr nicht verwirklicht hat. Ein Fahrzeug ist für die Zwecke desjenigen, der durch ein sittenwidriges Verhalten zum Vertragsabschluss veranlasst wird, dann nicht voll brauchbar, wenn es aus der ex ante Sicht des Käufers letztlich vom Zufall abhängt, ob der unerkannt bestehende Mangel aufgedeckt und die Gebrauchsfähigkeit des Fahrzeugs in der Folge eingeschränkt wird. Bei Berücksichtigung dieser Umstände des Einzelfalls ist der Erwerb des Fahrzeugs auch nach der Verkehrsanschauung unvernünftig und damit für den Kläger nachteilig, die Brauchbarkeit des Fahrzeugs mithin nicht nur aus rein subjektiv willkürlicher Sicht des Klägers eingeschränkt. Eine bloße Vermögensgefährdung lag nicht vor. Vielmehr begründete bereits der (ungewollte) Vertragsabschluss einen Schadensersatzanspruch. Er war darauf gerichtet, so gestellt zu werden, als ob der Kläger den Vertrag nicht abgeschlossen hätte (vgl. BGH Urteil vom 19.11.2013 - VI ZR 336/12, NJW 2014, 383 Rn. 29; BGH, Urteil vom 10.11.2009 - XI ZR 252/08, BGHZ 183, 112 Rn. 46). Darauf, dass die unzulässige Abschalteinrichtung und damit die Unvernünftigkeit des Vertragsschlusses erst später bekannt wurden, kommt es für die Entstehung des Schadens nicht an.

48

Anderes folgt auch nicht daraus, dass der Kläger das Fahrzeug nicht von der Beklagten, sondern von einem Dritten erworben hat. Auch wenn ein Verkäufer seinem Kunden unter Umständen aus dem Kaufvertrag verschuldensunabhängig auf Gewährleistung haftet und grundsätzlich ein mangelfreies Fahrzeug schuldet, kann dies eine Haftung der Beklagten für ihr systemisch-sittenwidriges Verhalten gegenüber Letzterwerbern nicht entfallen lassen. Anderenfalls müsste der Geschädigte sich ausschließlich an seinen Vertragspartner verweisen lassen und trüge zum einen das Insolvenzrisiko desselben und zum anderen das Risiko der kürzeren Verjährung seiner vertraglichen Gewährleistungsansprüche.

49

Das Verhalten der Beklagten im Rahmen des erstmaligen Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Fahrzeugs war auch kausal für die Entstehung des Schadens.

50

Schließlich ist durch das im Fahrzeug des Klägers durchgeführte Software-Update der Schaden des Klägers auch keineswegs entfallen. Der unter Verletzung des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts des Klägers sittenwidrig herbeigeführte ungewollte Vertragsschluss wird das durch das im Angesicht der drohenden Betriebsuntersagung durchgeführte Software-Update nicht rückwirkend zu einem gewollten Vertragsschluss (BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19. juris Rn. 58). Zwar vermochte das Update die drohende Stilllegung des Fahrzeugs abzuwenden. Der darüber hinausgehende Schaden des Klägers, der sich daraus ergibt, dass er sich an einem ungewollten Vertrag festhalten lassen muss, welchen er in Kenntnis des sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten so nicht abgeschlossen hätte, ist dagegen weiterhin vorhanden (ebenso mit Recht etwa OLG Koblenz, Urteil vom 16.09.2019 - 12 U 61/19, bei juris, Rn. 68; OLG Hamm, Urteil vom 10.09.2019 -13 U 149/18 -, bei juris, Rn. 52; OLG Stuttgart, Urteil vom 24.09.2019 - 10 U 11/19, bei juris Rn. 42; OLG Oldenburg, Urteil vom 02.10.2019 - 5 U 47/19, bei juris Rn. 10 f.; OLG Schleswig, Urteil vom 19.03.2020 - 7 U 100/19; OLG Schleswig, Urteil vom 31. August 2021, 7 U 187/20, juris). Im Übrigen steht die Langzeittauglichkeit des Updates bis heute nicht fest (vgl. OLG Schleswig, Urteil vom 31. August 2021, 7 U 187/20, juris).

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d) Der Kläger muss sich im Wege des Vorteilsausgleichs die von ihm bzw. der Erblasserin gezogenen Nutzungen anrechnen lassen (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 -, juris Rn. 64 ff.) Nach dem im Bereich des Schadenersatzrechts entwickelten Grundsätzen der Vorteilsausgleichung sind dem Geschädigten in gewissem Umfang diejenigen Vorteile zuzurechnen, die ihm in adäquaten Zusammenhang mit dem Schadensereignis zugeflossen sind. Es soll ein gerechter Ausgleich zwischen den bei einem Schadensfall widerstreitenden Interessen herbeigeführt werden. Die Grundsätze der Vorteilsausgleichung gelten auch für einen Anspruch aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB. Einer Vorteilsanrechnung steht auch nicht die sich aus § 817 S.2 BGB ergebende Wertung entgegen. Die Vorteilsausgleichung ist auch nicht aufgrund eines konkurrierenden Schadensersatzanspruchs aus §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV ausgeschlossen. Ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH (Art. 267 Abs. 3 AEUV) ist nicht erforderlich (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 -, juris Rn. 77)

52

Der Kläger muss sich deshalb gem. § 249 Abs. 1 BGB im Wege der Vorteilsausgleichung die von ihm bzw. der Erblasserin gezogenen Nutzungen anrechnen lassen (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, juris Rn78 ff). Die Bemessung ist in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters. Die Schätzung basiert auf dem Kauf des tatsächlich erworbenen Fahrzeugs. Sie berücksichtigt einerseits die dem Geschädigten zugeflossenen Nutzungsvorteile und andererseits über den wertbildenden Faktor der Laufleistung auch den Wertverlust des Fahrzeugs

53

Den Wert dieser Nutzungsvorteile schätzt der Senat gem. § 287 ZPO auf 12.512,19 €.

54

Grundsätzlich wird der Wert von Gebrauchsvorteilen bei der Eigennutzung beweglicher Sachen nach der zeitanteiligen linearen Wertminderung berechnet, also nach einem Vergleich zwischen dem tatsächlichen Gebrauch und der voraussichtlichen Gesamtnutzungsdauer der Sache unter Berücksichtigung des Wertes der Sache bzw. des vereinbarten Kaufpreises (BGH, Urteil vom 31.03.2006, V ZR 51/05, NJW 2006, 1582, Rn. 12). Bei Kraftfahrzeugen wird die Höhe des Wertersatzes gem. § 287 ZPO berechnet, indem der vereinbarte Bruttokaufpreis zugrunde gelegt und auf die Nutzungsdauer umgerechnet wird. Die Gebrauchsvorteile werden mit dem Teil des Kaufpreises gleichgesetzt, der der Dauer der tatsächlichen Nutzung im Verhältnis zur vertraglich vorausgesetzten Nutzungszeit entspricht (BGH, Beschluss vom 09.12.2014, VIII ZR 196/13, Rn. 3; Urteil vom 09.04.2014, VIII ZR 215/13, NJW 2014, 2435, Rn. 6 und 11 f).

55

Nach der Rechtsprechung des Senats ist von einer durchschnittlichen Gesamtfahrleistung bei Fahrzeugen mit Motoren der Baureihe EA 189 bis zu 2.0 Liter Hubraum von 250.000 km auszugehen (OLG Schleswig, Urteil vom 19.03.2020, Az. 7 U 100/19; Urteil vom 26.03.2020, 7 U 189/19 jeweils m.w.N.). Soweit das Landgericht bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug von einer Gesamtnutzungsdauer über 300.000 km Laufleistung ausgeht, hat der BGH dies bei einem VW Sharan, Großraum-Van 2.0 TDI zwar nicht beanstandet (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 -, juris Rn. 83), dies hindert den Senat als Fachsenat für das Straßenverkehrsrecht jedoch nicht, aufgrund seiner langjährigen Erfahrungen und Kenntnisse im KfZ-Bereich hier lediglich eine geschätzte Laufleistung von 250.000 km anzunehmen. Es mag sein, dass bei Fahrzeugen der Oberklasse durchaus auch eine geschätzte Gesamtfahrleistung von 300.000 km und mehr erreicht werden kann, dies ist für den hier streitgegenständlichen Pkw jedoch nicht maßgeblich. Insbesondere ist in diesem Rahmen nämlich auch zu berücksichtigen, dass die Fahrleistung eines Pkw's nicht allein von der Lebensdauer des Motors (differenziert nach Größe und Leistung) abhängt, sondern auch von dem fortschreitenden Lebensalter und dem technischen Fortschritt, weil eine Unterhaltung älterer Fahrzeuge zunehmend unwirtschaftlich wird. Liebhaber oder Bastler mögen Autos länger fahren können als ein durchschnittlicher Kraftfahrzeughalter, auf welchen hier im Rahmen der Schätzung nach § 287 ZPO allein abzustellen ist (vgl. auch OLG Schleswig, Urteil vom 20.03.2020, 17 U 101/19).

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Bezogen auf den Bruttokaufpreis von 21.061,03 € errechnet sich hieraus nach der Formel (Multiplikation des Bruttokaufpreises mit den gefahrenen Kilometern [hier 148.523 km], dividiert durch die im Kaufzeitpunkt zu erwartende Gesamtlaufleistung [hier 250.000 km]) ein Nutzungsvorteil von 12.512,19 €. Dieser Nutzungsvorteil ist mit der als Schadenersatz beanspruchten Kaufpreisrückzahlung (21.061,03 €) zu saldieren, so dass sich zugunsten des Klägers ein Betrag von noch 8.548,84 € errechnen.

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2. Der Anspruch des Klägers aus §§ 826, 31 BGB ist gem. §§ 195,199 BGB verjährt. Auf die zutreffenden Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung (Seite 14 und 15 des Urteils) wird Bezug genommen. Selbst wenn der Kläger erst durch die Information über das Software Update im Februar 2016 Kenntnis von dem Abgasskandal erlangt hätte, endete die Verjährung spätestens mit Ablauf des 31.12.2019. Die Klage ist jedoch erst am 30.12.2020 beim Landgericht Itzehoe eingereicht worden.

58

3. Die Klage hat im tenorierten Umfang jedoch aus § 852 Satz 1 BGB Erfolg. Dieser Anspruch verjährt nämlich erst in 10 Jahren seit seiner Entstehung (§ 852 Satz 2 BGB).

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Der Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB enthält eine Rechtsfolgenverweisung auf die Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung (§§ 812, 818 ff. BGB; st. Rspr., siehe etwa BGH, Urteil vom 15.01.2015 - I ZR 148/13 -, Rn. 29, juris; Wilhelmi in: Erman, BGB, 16. Aufl. 2020, § 852 BGB, Rn. 2; Rüßmann in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 852 BGB, Stand: 01.02.2020, Rn. 6). Der Anspruch behält die Rechtsnatur als Schadensersatzanspruch und erfordert dieselben Voraussetzungen wie der weitergehende verjährte Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB. Er hat den Charakter einer Rechtsverteidigung gegenüber der Einrede der Verjährung. Der verjährte Deliktsanspruch bleibt als solcher bestehen. Er wird nur in seinem Umfang auf das durch die unerlaubte Handlung auf Kosten des Geschädigten Erlangte beschränkt (vgl. BGH, Urteil vom 14.02.1978 - X ZR 19/76 -, BGHZ 71, 86, 98 f.; OLG Frankfurt, Beschluss vom 12. Mai 2021, 26 U 71/20, juris Rn. 60). Mit der Vorschrift des § 852 Satz 1 BGB soll verhindert werden, dass derjenige, der durch eine unerlaubte Handlung etwas erworben hat, nach Ablauf der Verjährungsfrist zu Lasten des Geschädigten im Genuss des Erlangten bleibt (vgl. etwa BGH, Urteil vom 10.06.1965, VII ZR 198/63, NJW 1965, 1914, 1915; OLG Stuttgart, Urteil vom 09.03.2021,10 U 339/20; OLG Frankfurt, Beschluss vom 12.5.2021, 26 U 71/20, juris Rn. 65). Daraus folgt, dass es nicht darauf ankommen kann, ob dem Ersatzpflichtigen die Bereicherung unmittelbar vom Geschädigten oder durch Vermittlung eines anderen, an der Tat Beteiligten zugeflossen ist. Maßgebend ist vielmehr allein, ob der Erwerb des Schädigers im Verhältnis zum Geschädigten unrechtmäßig war und ob die dadurch entstandene Vermögensvermehrung auf dessen Kosten geht. Ist dies der Fall, dann besteht nach dem aufgezeigten Zweck des § 852 Satz 1 BGB die Herausgabepflicht unabhängig davon, ob es sich um eine unmittelbare oder eine mittelbare Vermögensverschiebung handelt (vgl. etwa BGH, Urteil vom 10.06.1965 - VII ZR 198/63 -, NJW 1965, 1914, 1915). Da es sich bei dem Anspruch aus § 852 BGB um eine Fortsetzung des Schadensersatzanspruchs in anderem rechtlichen Kleid handelt, ist für die Vermögensverschiebung eine wirtschaftliche Betrachtungsweise maßgebend (OLG Karlsruhe, Urteil vom 9.7.2021, 13 U 168/21, juris Rn. 74 m.H.a. BGH, Urteil vom 14.02.1978, X ZR 19/76, juris Rn. 63). Wenn der Vermögensverlust beim Geschädigten einen entsprechenden Vermögenszuwachs beim Schädiger zur Folge hat, so ist er gem. § 852 BGB auch dann herauszugeben, wenn diese Vermögensverschiebung dem Schädiger durch seine Vertragspartner vermittelt wurde (BGH, Urteil vom 14.02.1978, a.a.O., BGHZ 71, 86, 101). Es genügt, wenn es auf diese Weise zu einer Vermögensverschiebung zwischen Schädiger und Verletztem gekommen ist, dass der infolge der unerlaubten Handlung beim Geschädigten eingetretene Vermögensverlust mit einem entsprechenden Vermögenszuwachs beim Schädiger korrespondiert (OLG Karlsruhe, Urteil vom 9.7.2021, 13 U 168/21, juris Rn. 74 m.H.a. Rüßmann in jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 852 BGB Rn. 5). Dies bedeutet jedoch zugleich, dass der Schädiger im Falle des Durchgreifens der Verjährungseinrede auch über § 852 Satz 1 BGB für einen Schaden nicht mehr einstehen muss, dem kein eigener wirtschaftlicher Vorteil entspricht (vgl. BGH, Urteil vom 26.03.2019 - X ZR 109/16 -, GRUR 2019, 496, 498).

60

Der Anspruch ist nicht aus dem Grund ausgeschlossen, dass der Kläger sich nicht an der Musterfeststellungsklage beteiligt hat (vgl. OLG Schleswig, Urteil vom 11. Februar 2022, 1 U 49/21, juris Rn. 77 - 82). Die Vorschrift des § 852 BGB ist nicht dahin teleologisch zu reduzieren, dass sie nicht eingreift, wenn der Geschädigte den Anspruch hat verjähren lassen, obwohl eine Klage ohne besonderes Prozessrisiko möglich gewesen wäre (OLG Koblenz, Urteil vom 29.07.2021, 6 U 934/20, Rn. 61 bei juris; OLG Karlsruhe, Urteil vom 09.07.2021, 13 U 168/21, Rn. 77 bei juris; OLG Oldenburg, Urteil vom 22.04.2021, 14 U 225/20, Rn. 48 f. bei juris; OLG Koblenz, Urteil vom 31.03.2021, 7 U 1602/20, Rn. 47 ff. bei juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 09.03.2021, 10 U 339/20, Rn. 468 ff. bei juris; GA Artz, Anlage BK 1, S. 15 ff., Bl. 508 ff. d. A.; a. A. OLG Bamberg, Urteil vom 22.09.2021, 3 U 269/21, Rn. 45 ff. bei juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 21.01.2021, 19 U 170/20, Rn. 17 bei juris). Die teleologische Reduktion der Vorschrift wird damit begründet, dass sie nach dem Willen des Gesetzgebers den Geschädigten begünstigen solle, indem sie ihm eine längere Bedenkfrist gebe, ob er den Anspruch gerichtlich durchsetzen wolle. Dieser Begünstigung bedürfe er nicht, wenn er ohne Prozessrisiko gegen den Schädiger vorgehen könne. Richtig ist, dass sich die Gesetzesbegründung auf Konstellationen stützt, in denen der Geschädigte eine längere Bedenkfrist benötigt, etwa weil der Schädiger derzeit vermögenslos oder der Bestand eines Patents unsicher ist (BT-Drucks. 14/6040, S. 270). Indes ist damit nicht abschließend bestimmt, dass die Vorschrift nur in solchen Fällen eingreifen soll. Denn es werden nur Beispiele genannt, in denen sie von Bedeutung sein kann. Dementsprechend ist eine Anspruchsvoraussetzung im Sinne eines vertretbaren Verjährenlassens des Schadensersatzanspruchs nicht in den Wortlaut des § 852 BGB aufgenommen worden. Nach dem Wortlaut ist es vielmehr unerheblich, wie es zu der Verjährung gekommen ist, insbesondere ob der Geschädigte die anspruchsbegründenden Tatsachen kannte oder grob fahrlässig nicht kannte, wie er sie rechtlich bewertete und wie er die Risiken einer gerichtlichen Durchsetzung beurteilte. Dass insbesondere die Möglichkeit, sich einer Musterfeststellungsklage anzuschließen, einen Anspruch aus § 852 BGB nicht ausschließen soll, ergibt sich daraus, dass diese Vorschrift bei der Einführung des § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB unverändert gelassen wurde (OLG Koblenz, Urteil vom 31.03.2021, 7 U 1602/20, Rn. 53 bei juris). Die Vorschrift des § 852 BGB bezweckt jedenfalls auch die Abschöpfung eines Vermögensvorteils aufgrund eines Delikts beim Schädiger (BGH, Urteil vom 14.02.1978, X ZR 19/76, Rn. 62 bei juris; BGH, Urteil vom 10.06.1965, VII ZR 198/63, Rn. 66 bei juris). Damit wäre es unvereinbar, den Anspruch davon abhängig zu machen, ob der Geschädigte den Schadensersatzanspruch aufgrund vertretbarer Erwägungen hat verjähren lassen. Es ist nicht begründbar, dass der Schädiger über die Beschränkung des Anspruchs auf das Erlangte hinaus weiter begünstigt werden soll, wenn der Geschädigte den Anspruch in vorwerfbarer Weise hat verjähren lassen. Im Übrigen ist nicht trennscharf zu definieren, wann das Verhalten des Geschädigten vorwerfbar sein soll. Es müssten in jedem Fall die Kenntnisse des Geschädigten und seine Motive, den Schadenersatzanspruch nicht gerichtlich geltend zu machen, einer Prüfung unterzogen werden. Ein Maßstab dafür findet sich in der Vorschrift des § 852 BGB nicht (vgl. OLG Schleswig, Urteil vom 11. Februar 2022, 1 U 49/21, juris Rn. 81). Im vorliegenden Fall müsste feststehen, dass der Kläger die Anspruchsvoraussetzungen kannte, die zutreffenden rechtlichen Schlüsse daraus zog und wusste, dass er durch die Meldung zur Musterfeststellungsklage die Verjährung hemmen konnte. Zu den letzten beiden Punkten trägt die Beklagte nichts vor.

61

Die Beklagte hat etwas auf Kosten des Klägers erlangt. Dieses Merkmal erfordert keine unmittelbare Vermögensverschiebung zwischen dem Geschädigten und dem Schädiger. Es ist vielmehr eine wirtschaftliche Betrachtungsweise anzustellen. Es reicht, wenn der Vermögenszuwachs bei dem Schädiger und die Vermögenseinbuße bei dem Geschädigten kausal auf die deliktische Handlung zurückzuführen sind (OLG Schleswig, Urteil vom 11.2.2022, 1 U 49/21, juris Rn. 83 m.H.a. BGH, Urteil vom 14.02.1978, X ZR 19/76, Rn. 62 f. bei juris; BGH, Urteil vom 10.06.1965, VII ZR 198/63, Rn. 66 bei juris; Staudinger/Vieweg, BGB (2015), § 852, Rn. 9; MK-BGB/Wagner, BGB, 8. Aufl., § 852, Rn. 7). Die Beklagte hat eine Forderung gegen den Vertragshändler aus Kaufvertrag erlangt. Ihre Bereicherung setzt sich nach Erfüllung dieser Forderung am Händlereinkaufspreis fort, der wahrscheinlich geringer gewesen sein dürfte, war als der von dem Kläger später gezahlte Kaufpreis. Diese Ansicht wird inzwischen auch vom BGH geteilt (BGH, Urteil vom 21.2.2022, VIa ZR 57/21).

62

Deshalb ist zwischen Neu- und Gebrauchtwagenkauf zu differenzieren. Hat der Kläger das Fahrzeug mit dem Motor EA 189 unmittelbar von der VW- AG oder einem ihrer Vertragshändler erworben, wird in aller Regel der Vermögensverlust beim Geschädigten in der Form der Zahlung des Kaufpreises einen entsprechenden Vermögenszuwachs beim Schädiger (Vereinnahmung des Kaufpreises abzüglich einer Händlerprovision) zur Folge gehabt haben, so dass § 852 Satz 1 BGB eingreift (BGH Urteil vom 21.2.2022, VI a ZR 57/21; OLG Schleswig, Urteil vom 31.8.2021, 7 U 187/20, juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 12.5.2021, 26 U 71/20, juris Rn. 66 m.H.a. OLG Stuttgart, Urteil vom 09.03.2021,10 U 339/20, juris; OLG Oldenburg, Urteil vom 02.03.2021,12 U 161/20, juris; OLG Koblenz, Urteil vom 31.03.2021,7 U 1602/20, juris). Bei einem Gebrauchtwagenkauf von einem Dritten hätte die Beklagte hingegen aufgrund der von ihr durch Inverkehrbringen des Fahrzeugs begangenen unerlaubten Handlung nichts auf Kosten des Klägers erlangt (BGH, Urteile vom 10.2.2022, VII ZR 365/21, VII ZR 679/21, VII ZR 692/21 und VII ZR 717/21; OLG Schleswig, Urteil vom 31.8.2021, 7 U 187/20, juris; OLG Frankfurt, Beschluss vom 12.5.2021, 26 U 71/20, juris Rn. 67; OLG Stuttgart, Urteil vom 02.02.2021, 10 U 229/20, juris; Urteil vom 09.03.2021,10 U 339/20, juris; OLG Karlsruhe, Urteil vom 31.03.2021, 13 U 678/20, juris).

63

Beim Erwerb eines Neuwagens - wie hier - findet § 852 BGB auch dann Anwendung, wenn der Kläger das Fahrzeug nicht direkt von der Beklagten sondern von einem Händler erworben hat (BGH Urteil vom 21.2.2022, VI a ZR 57/21; OLG Karlsruhe Urteil vom 9.7.2021, 13 U 168/21, Juris Rn. 75; OLG Stuttgart, Urteil vom 9.3.2021, 10 U 339/20, juris Rn 36 ff.). Die Beklagte hat nämlich auch in diesem Fall als Herstellerin des Fahrzeugs zumindest den Händlereinkaufspreis (= Kaufpreis abzüglich der Händlermarge) kassiert.

64

Die Beklagte hat den Nettokaufpreis abzüglich der Händlermarge erlangt, nicht nur den Nettogewinn für das Fahrzeug oder nur den Nettogewinn aufgrund des Einsatzes der unzulässigen Abschalteinrichtung (OLG Schleswig, Urteil vom 11.2.2022, 1 U 49/21, juris Rn. 90; OLG Schleswig, Urteil vom 22.10.2021, 17 U 40/21, Rn. 38 bei juris; OLG Oldenburg, Urteil vom 22.04.2021, 14 U 225/20, Rn. 51 ff. bei juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 09.03.2021, 10 U 339/20, Rn. 61 ff. bei juris; a. A. OLG Bamberg, Urteil vom 22.09.2021, 3 U 269/21, Rn. 42 f. bei juris; OLG Stuttgart, Urteil vom 12.05.2021, 9 U 17/21, Rn. 67 ff. bei juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.04.2021, 23 U 143/20, Rn. 29; OLG Stuttgart, Urteil vom 10.03.2021, 9 U 902/21). Dagegen lässt sich nicht einwenden, dass es im Rahmen des § 852 BGB allein um die Gewinnabschöpfung gehe oder die Kosten der Herstellung des Fahrzeugs bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtung abzuziehen seien (so OLG Stuttgart, Urteil vom 10.03.2021, 9 U 902/21, S. 14 f.). Dass bei Patentverletzungen der Schaden des Patentinhabers u. a. anhand des vom Verletzer erzielten Gewinns berechnet werden kann (BGH NJW 1962, 1507) und sich nach der Verjährung des Schadensersatzanspruches der Anspruch auf Herausgabe des Verletzergewinns in dem Anspruch aus § 852 BGB fortsetzen kann (BGH, Urteil vom 26.03.2019, X ZR 109/16, Rn. 15 ff.), ist nicht verallgemeinerungsfähig, sondern beruht auf den Besonderheiten des Patentrechts (OLG Stuttgart, Urteil vom 09.03.2021, 10 U 339/20, Rn. 73 f. bei juris). Die Besonderheit besteht darin, dass der Eingriff in das Recht bereits im Gebrauch des Patents liegt. Der dadurch erlangte Vorteil kann nicht herausgegeben werden, sodass der Schädiger Wertersatz in Form einer Lizenzgebühr schuldet (BGH, Urteil vom 26.03.2019, X ZR 109/16, Rn. 16). Der Verletzte kann aber nach den Regeln des Patentrechts auch den Gewinn abschöpfen, der dem Schädiger nicht verbleiben soll (BGH, Urteil vom 26.03.2019, X ZR 109/16, Rn. 20). Dieses Ziel setzt sich in dem Anspruch aus § 852 BGB fort. Bei dem Inverkehrbringen eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs ist eine andere wirtschaftliche Betrachtungsweise geboten. Der Schadensersatzanspruch aus § 826 bezweckt nicht die Abschöpfung von Gewinn der Beklagten, sondern die Kompensation des Schadens des Erwerbers in der Form der Zahlung des Kaufpreises. Die Beklagte hat unter der Aufwendung von Kosten einen Wert geschaffen, der sich in dem Fahrzeug verkörpert und sich in dem Kaufpreis ausdrückt. Sie erhält für die Hergabe des Fahrzeuges den vom Händler gezahlten Kaufpreis, nicht nur einen Gewinnanteil. Die Rechtsfolgen des Anspruchs aus § 852 BGB richten sich nach § 818 ff. BGB. Danach ist es unerheblich, welche Kosten die Beklagte für die Herstellung des Fahrzeugs hatte. Zur Ermittlung der Höhe von Bereicherungsansprüchen wird der Aufwand des Schuldners zur Erlangung des Vermögensvorteils ebenfalls nicht betrachtet, um das Erlangte zu ermitteln. Ein Ausgleich findet bei wechselseitigen Bereicherungsansprüchen dadurch statt, dass die jeweiligen Leistungen rückabzuwickeln und bei Gleichartigkeit zu saldieren sind. Damit korrespondiert, dass der geschädigte Fahrzeugkäufer im Wege der Vorteilsausgleichung auch bei der Geltendmachung des Anspruchs aus § 852 BGB das Fahrzeug an die Beklagte übereignen und herausgeben muss, weil sein Anspruch durch den ursprünglichen Schadensersatzanspruch begrenzt wird. Dadurch gelangt der durch die Produktion geschaffene Wert an die Beklagte zurück (OLG Schleswig, Urteil vom 22.10.2021, 17 U 40/21, Rn. 38 bei juris). Eine doppelte Begünstigung der Beklagten durch die Anrechnung der Kosten der Herstellung des Fahrzeugs und durch dessen Rückerwerb wäre nicht gerechtfertigt (vgl. OLG Schleswig, Urteil vom 11.2.2022, 1 U 49/21, juris Rn. 93)

65

Das Landgericht hat die Höhe des Erlangten auf 17.901,88 € (= KP 21.061,03 € ./. 3.159,16 € Händlermarge) geschätzt. Es hat die Händlermarge mit 15 % angenommen. Das folgt aus dem Vortrag des Klägers, dem die Beklagte im Wege der sekundären Darlegungslast nicht sustantiell entgegengetreten ist. Schriftsatznachlass - wie im Termin am 15.3.2022 beantragt - war der Beklagten insoweit nicht mehr zu gewähren, denn sie hätte dazu im Laufe des Rechtsstreits genügend Zeit gehabt.

66

Letztlich kann auch offen bleiben, wie hoch die Händlermarge in diesem konkreten Fall tatsächlich gewesen ist. Denn durch die Beschränkung der Höhe des Anspruchs aus § 852 BGB auf den verjährten Anspruch nach §§ 826,31 BGB käme dieser Frage nur Bedeutung zu, wenn die Händlermarge exorbitant hoch gewesen wäre. Eine Händlermarge von > 50% wäre allerdings nicht nur wirtschaftlich vollkommen unplausibel, sie wird von der Beklagten auch nicht behauptet.

67

Es kann dahingestellt bleiben, ob wegen Marge und gezahlter Provisionen eine Entreicherung der Beklagten gem. § 818 Abs. 3 BGB eingetreten ist. Es fehlt an jeglichem Vortrag der Beklagten zu einer solchen Provision und deren Höhe. Unabhängig davon könnte sich die Beklagte gem. §§ 818 Abs. 4, 819 Abs. 2 BGB auch nicht mit Erfolg auf einen Wegfall der Bereicherung berufen. Gemäß § 818 Abs. 4 BGB haftet der Empfänger von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an nach den allgemeinen Vorschriften. Nach Rechtshängigkeit muss der Bereicherte damit rechnen, dass er ohne Rechtsgrund besitzt, sodass ein Wegfall der Bereicherung ausscheidet (vgl. etwa Buck-Heeb in: Erman, BGB, 16. Aufl. 2020, § 818 BGB, Rn. 50 m. w. N.). Gem. § 819 Abs. 2 BGB ist der Empfänger von dem Empfang der Leistung an in der gleichen Weise verpflichtet, wenn er durch die Annahme der Leistung gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstößt. Letzteres ist hier der Fall, sodass die Beklagte vom Empfang des Kaufpreises an die verschärfte Haftung des § 818 Abs. 4 BGB trifft, sie sich mithin ab diesem Zeitpunkt nicht auf einen Wegfall der Bereicherung durch eine etwaige an den Händler zu zahlende bzw. gezahlte Provision berufen kann.

68

Den Händlereinkaufspreis hat die Beklagte auf Kosten des Klägers erlangt, da es sich um einen Neuwagenkauf handelte und der Geldbetrag bei der Zahlung aus seinem Vermögen abfloss und über den VW-Vertragshändler (hier Autohaus X) der Beklagten zufloss. Für die Anwendung des § 852 BGB ist unerheblich, ob dem Schädiger das Erlangte mittelbar oder unmittelbar zufließt (vgl. BeckOGK/Eichelberger, 1.6.2021, BGB § 852 Rn. 19).

69

4. Der Anspruch gem. § 852 Satz 1 BGB ist durch die Höhe des aufgrund der Verjährung nicht durchsetzbaren Schadensersatzanspruchs aus § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB analog begrenzt (OLG Hamm, Urteil vom 3.5.2021,17 U 196/20, juris Rn. 62; vgl. Reuter in: Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, Teilbetrag 2, 2016, S. 595; Ebert in NJW 2003, 3035, 3037). Daher muss sich der Kläger hier eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 12.512,19 € anrechnen lassen (zur Berechnung s.o.). Es verbleibt mithin ein dem Kläger noch zustehender Restschaden in Höhe von 8.548,84 €.

70

Da der verjährte Deliktsanspruch im Rahmen des § 852 Satz 1 BGB als solcher bestehen bleibt und nur in seinem durchsetzbaren Umfang auf das durch die unerlaubte Handlung Erlangte beschränkt wird (BGH, Urteil vom Urteil vom 26.03.2019 - X ZR 109/16, juris Rn. 20), besteht auch der Anspruch aus § 852 Satz 1 BGB nur Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs (OLG Karlsruhe, Urteil vom 9.7.2021,13 U 168/21, juris Rn. 86).

71

5. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Verzugszinsen gem. §§ 288 Abs. 1, 291 BGB in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.12.2020 (Rechtshängigkeit) zu.

72

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91a, 92, 97, 516 Abs. 3 ZPO. Der Kläger hat seine Berufung mit Schriftsatz vom 1.3.2022 zurückgenommen. Soweit die Parteien den Rechtsstreit teilweise in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, fallen die Kosten nach § 91 a ZPO überwiegend dem Kläger zur Last. Er ist von einer viel zu hohen Gesamtlaufleistung seines Fahrzeugs ausgegangen (vorgerichtlich gem. Schreiben vom 30.11.2020: 750 Tkm; Schriftsatz vom 9.6.2021: 500 Tkm, Bl. 325 GA; Berufungsbegründung vom 12.1.2022: 350 Tkm), obwohl zumindest seinen Anwälten die hinlänglich publizierte Auffassung des Senats (geschätzte Gesamtlaufleistung bei Dieselfahrzeugen bis zu 2,0 Liter Hubraum: 250 Tkm) bekannt gewesen sein müsste.

73

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 713 ZPO.

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Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nicht vorliegen. Die Zuerkennung des sog. Restschadens nach § 852 BGB beim Neuwagenkauf von einem Händler ist inzwischen höchstrichterlich geklärt (BGH, Urteil vom 21.2.2022, VIa ZR 57/21)


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