Urteil vom Landesarbeitsgericht Hamburg (6. Kammer) - 6 Sa 13/15

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 14. Januar 2015 – 4 Ca 92/14 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung einer Entschädigung wegen Benachteiligung im Zusammenhang mit einer Bewerbung.

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Die Klägerin ist über 50 Jahre alt und russischer Herkunft. Sie hat 1984 ein Informatikstudium abgeschlossen.

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Die Klägerin bewarb sich am 08. November 2013 auf eine von der Beklagten ausgeschriebene Stelle als Softwareentwickler (m/w). Die Stellenausschreibung enthält u.a. folgende Angaben:

4

„Ihr Profil

5

- abgeschlossenes Informatikstudium oder vergleichbare Qualifikation
- erste Berufserfahrung im Bereich Softwareentwicklung
- gute bis sehr gute Java-Kenntnisse und weitere Webtechnologien (z.B. HTML, PHP, JavaScript)

6

...

7

Wegen der weiteren Einzelheiten der Stellenausschreibung wird Bezug genommen auf die Anlage A 1 (Bl. 5 d.A.). Wegen der Einzelheiten des Bewerbungsschreibens der Klägerin wird Bezug genommen auf die Anlage A 2 (Bl. 6 d.A.), wegen der Anlagen zum Bewerbungsschreiben auf die Anlage B 1 (Bl. 29-48 d.A.).

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Mit E-Mail vom 18. November 2013 teilte die Beklagte der Klägerin ohne vorherige Einladung zu einem Vorstellungsgespräch mit, dass sie nicht in die engere Wahl genommen worden sei (Anlage A 3, Bl. 7 d.A.). Die Beklagte besetzte die Stelle mit einem Bewerber.

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Mit Schreiben vom 16. Januar 2014 (Anlage A 3, Blatt 7 der Akte) machte die Klägerin gegenüber der Beklagten Ansprüche nach dem AGG geltend. Sie bat um „Auskunft über Zusammensetzung des Beschäftigungsbereiches, Softwareentwicklung, und über Qualifikation des eigestellten Bewerbers“ und verlangte eine Entschädigung in Höhe von 10.000 €. Mit ihrer am 16. April 2014 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage vom 15. April 2014 hat die Klägerin dieses Begehren gerichtlich weiterverfolgt.

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Neben der vorliegenden Klage erhob die Klägerin seit Beginn des Jahres 2010 bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt insgesamt 315 Klagen beim Arbeitsgericht Hamburg. Mit ihren Klagen macht die Klägerin jeweils Entschädigungs- bzw. Schadensersatzforderungen nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geltend. Den Verfahren liegen jeweils erfolglose Bewerbungen der Klägerin um Stellen aus dem IT-Bereich zugrunde. Weiterhin machte die Klägerin seit Beginn des Jahres 2010 insgesamt 417 Rechtsmittel- und Prozesskostenhilfeverfahren beim Landesarbeitsgericht Hamburg anhängig. Soweit in den landesarbeitsgerichtlichen Verfahren Entscheidungen ergangen sind, sind die Anträge der Klägerin fast ausnahmslos zurückgewiesen worden. Gegen Entscheidungen, gegen die kein Rechtsmittel gegeben ist, wendet sich die Klägerin regelmäßig mit Anhörungsrügen. Richter, die an für sie nachteiligen Entscheidungen beteiligt gewesen sind, lehnt die Klägerin häufig als befangen ab. Die Außenstände der Klägerin bei der Justizkasse Hamburg wegen der von ihr zu tragenden Gerichtskosten betragen mit Stand 3. April 2018 insgesamt 120.239,31 €. Auch in anderen Arbeitsgerichtsbezirken führte und führt die Klägerin Klageverfahren.

11

Die Klägerin hat vorgetragen, die Ausschreibung der Stelle durch die Beklagte in Vollzeit sei mittelbar geeignet, Frauen zu benachteiligen, weil diese häufiger als Männer gehindert seien, in Vollzeit zu arbeiten. Der Arbeitgeber sei verpflichtet, die Stelle neutral auszuschreiben und könne eine Vollzeitstelle ggf. mit zwei Teilzeitkräften besetzen. Die Einstellung eines Mannes verstärke das Indiz für die Diskriminierung.

12

Ein Indiz für die Diskriminierung wegen Alters ergebe sich daraus, dass in der Stellenausschreibung „erste Berufserfahrung im Bereich Softwareentwicklung“ gefordert sei. Ein sachlicher Grund der Beschränkung auf „erste“ Berufserfahrung bestehe nicht. Softwareentwicklung gebe es seit 50 Jahren, so dass man 50 Jahre Berufserfahrung haben könne. Typischerweise hätten jüngere Menschen erste Berufserfahrung und Menschen über 50 schon lange Berufserfahrung. Auch der übrige Text der Stellenausschreibung richte sich offensichtlich an jüngere Menschen.

13

Ergänzend handele es sich um Mehrfachdiskriminierung, weil die Klägerin die drei am häufigsten gefährdeten Merkmale gemäß § 1 AGG „weiblich/mehr als 50 Jahre alt/nichtdeutsche Herkunft“ in einer Person vereine. Die Beklagte habe einen jüngeren, deutschen Mann eingestellt.

14

Die Klägerin hat unter Darlegung von weiteren Einzelheiten ausgeführt, sie sei im Sinne der Stellenanforderungen hinreichend qualifiziert und habe dies in der Bewerbung nachgewiesen. Solange die Beklagte die Bewerbungsunterlagen des eingestellten Bewerbers nicht vorlege, werde bestritten, dass dieser Bewerber über bessere Qualifikationen verfüge als sie. Die Verweigerung der Vorlage stelle ein weiteres Indiz für die Diskriminierung dar.

15

Das von der Klägerin absolvierte Studium der Informatik sei eine bessere Ausbildung als die zum Fachinformatiker, die der eingestellte Bewerber aufweisen solle. Die Klägerin verfüge über Java-Kenntnisse und sei mit den Webtechnologien vertraut. Sie habe dies u.a. mit Weiterbildungen nachgewiesen.

16

Der von der Beklagten erhobene Vorwurf des Rechtsmissbrauchs sei rechtswidrig. Es sei sittenwidrig, wenn die Beklagte der Klägerin vorwerfe, dass sie sich nicht ernsthaft beworben habe, nachdem die Beklagte sie weder eingeladen noch eingestellt habe und ihr keine Möglichkeit eingeräumt habe, die Ernsthaftigkeit ihrer Bewerbung zu beweisen.

17

Die Klägerin hat beantragt,

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die Beklagte zu verurteilen, an sie 10.000 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz ab Eingang ihrer Klage als Entschädigung für die Mehrfachdiskriminierung zu zahlen.

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Die Beklagte hat beantragt

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die Klage abzuweisen.

21

Die Beklagte hat vorgetragen, eine Diskriminierung der Klägerin habe nicht stattgefunden. Sie, die Beklagte, habe auf die Stellenausschreibung insgesamt 66 Bewerbungen erhalten. Hiervon hätten nur vier den Qualifikationsanforderungen der Beklagten entsprochen und seien an den zuständigen Fachbereich weitergeleitet worden.

22

Die Klägerin habe den Anforderungen nicht entsprochen. Die geforderten guten bis sehr guten Java Kenntnisse seien bei der Klägerin nur in Form von Weiterbildung, nicht jedoch in praktischer Anwendung vorhanden. Weiterhin habe die Klägerin nach ihren Bewerbungsunterlagen keine Kenntnisse in weiteren Webtechnologien wie HTML, PHP und Javascript. Die Klägerin könne auf keinerlei praktische Erfahrungen zurückgreifen. Der Hinweis der Klägerin in dem Bewerbungsschreiben, dass sie immer gern bereit sei, die geforderten Qualifikationen zu erwerben, zeige, dass die Klägerin selbst davon ausgehe, dass sie die vorausgesetzten Fähigkeiten erst noch erwerben müsse, also gerade nicht über die geforderte Berufserfahrung verfüge. Auch verfüge die Klägerin nicht über die geforderten Linux-Kenntnisse.

23

Nachdem eine zunächst ausgewählte Bewerberin wegen eines anderen Stellenangebots abgesagt habe, habe sich die Beklagte für den nunmehr eingestellten Bewerber entschieden, der folgende Qualifikationen erfülle: Ausbildung zum Fachinformatiker mit Schwerpunkt Anwendungsentwicklung, Erfahrung im Bereich der Softwareentwicklung, gute Java-Kenntnisse, vertraut mit den Webtechnologien wie (H)TML, HTML5, PHP, Javascript, XML, fundierte praktische Erfahrungen mit Datenbanken wie MySQL und MS SQL und fundierte Linux-Kenntnisse.

24

Im Übrigen sei das Vorgehen der Klägerin rechtsmissbräuchlich. Ihre Bewerbungen würden nur dazu dienen, im Falle der Ablehnung einen Schadensersatzanspruch geltend zu machen. Sie bewerbe sich offenbar systematisch und ohne die ernsthafte Absicht, eine Stelle anzutreten.

25

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 14. Januar 2015 abgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, die Klägerin habe keine Indizien dargelegt, die vermuten ließen, dass die Beklagte gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 AGG verstoßen habe. Die Ausschreibung der Stelle als Vollzeitstelle sei kein Indiz für eine Diskriminierung von Frauen, sondern mache lediglich deutlich, welchen Arbeitszeitumfang die Beklagte auf der ausgeschriebenen Position benötige. Das von der Beklagten verlangt Kriterium „erste Berufserfahrung“ könne zwar als mittelbar altersdiskriminierend eingestuft werden, weil mit steigendem Alter typischerweise eine größere Berufserfahrung verbunden sei. Dennoch sei die Klägerin nicht iSd. § 3 AGG benachteiligt worden. Für das Vorliegen einer Benachteiligung sei es erforderlich, dass eine Person, die an sich für die Tätigkeit geeignet wäre, nicht ausgewählt oder schon nicht in Betracht gezogen worden sei. Die objektive Eignung sei nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts Kriterium der „vergleichbaren Situation“ iSd. § 3 Abs. 1 AGG. Nach Auffassung der Kammer weise die Klägerin zwar erste Berufserfahrungen im Bereich Softwareentwicklung auf, erfülle jedoch die weiteren in der Stellenausschreibung genannten Anforderungen nicht. Soweit die Klägerin behaupte, sie habe Kenntnisse in Linux, sei ihr Vortrag gänzlich unsubstantiiert geblieben. Die geforderten Kenntnisse der Webtechnologien wie HTML, PHP und JavaScript habe die Klägerin weder dargelegt noch in den beigefügten Unterlagen nachgewiesen. Es habe daher nicht festgestellt werden können, dass die Klägerin für die ausgeschriebene Stelle objektiv geeignet sei.

26

Für die Begründung im Übrigen wird auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils, Bl. 62 ff. d.A. verwiesen.

27

Die Klägerin hat gegen das ihr am 27. Januar 2015 zugestellte Urteil mit anwaltlichem Schriftsatz vom 26. Februar 2015 Berufung eingelegt. Gleichfalls am 26. Februar 2015 hat die Klägerin persönlich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt.

28

Auf anwaltlichen Antrag vom 26. März 2015 ist der Klägerin mit Beschluss vom 27. März 2015 die Frist zur Begründung ihrer Berufung antragsgemäß bis zum 27. April 2015 verlängert worden.

29

Mit Schreiben vom 24. April 2015 hat die Klägerin die Beiordnung des Rechtsanwalts Herrn R. für das Berufungsverfahren im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt und mitgeteilt, der Antrag werde mit der Mandatsniederlage zur Unzeit seitens ihres bisherigen Anwalts begründet. Dem Antrag hat die Klägerin Schreiben per E-Mail vom 15. April 2015 (Bl. 94 d.A.) und vom 16. April 2015 (Bl. 95 d.A.) ihres bisherigen Prozessbevollmächtigten beigefügt, mit denen dieser die Niederlegung des Mandats mitgeteilt hatte.

30

Mit Antrag vom 30. April 2015 hat Herr Rechtsanwalt Herr R. die Vertretung der Klägerin angezeigt. Auf seinen „rein vorsorglichen“ Antrag, alle etwa gesetzten Fristen jeweils um mindestens einen Monat zu verlängern, ist ihm aufgrund richterlicher Verfügung vom 4. Mai 2015 mitgeteilt worden, dass die Berufungsbegründungsfrist bereits am 27. April 2015 abgelaufen sei und daher nicht verlängert werden könne. Dem Antrag des Herrn Rechtsanwalts R. auf Akteneinsicht ist am 4. Mai 2015 stattgegeben worden.

31

Mit anwaltlichem Schriftsatz des Herrn Rechtsanwalts R. vom 27. Mai 2015, am selben Tag bei Gericht eingegangen, hat die Klägerin wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und die Berufung begründet.

32

Sodann hat auch Herr Rechtsanwalt R. mit Schriftsatz vom 13. Juli 2015 seine Mandate in dieser und in allen anderen Sachen, in denen er die Klägerin vertrat, niedergelegt. Nachdem die Klägerin mit Schreiben vom 10. September 2015 beantragt hatte, ihr mit der Prozesskostenhilfebewilligung Frau Rechtsanwältin U. als Prozessbevollmächtigte beizuordnen und Frau Rechtsanwältin U. mit Schriftsatz vom 16. September 2016 ihre Bereitschaft angezeigt hatte, bei Bewilligung von Prozesskostenhilfe die anwaltliche Vertretung der Klägerin zu übernehmen, ist der Klägerin mit Beschluss vom 21. September 2015 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Frau Rechtsanwältin U. bewilligt worden.

33

Mit Schriftsatz vom 12. Oktober 2015 hat sich Frau Rechtsanwältin U. namens und in Vollmacht der Klägerin an das Berufungsgericht gewandt, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt, einen geänderten Berufungsantrag angekündigt und die Berufung erneut begründet.

34

Zur Begründung des zeitlich früheren, durch Herrn Rechtsanwalt R. gestellten Wiedereinsetzungsantrags führt die Klägerin aus, sie sei über die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht informiert worden und habe daher auch keine Kenntnis über den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist am 27. April 2015 gehabt. Eine Abstimmung mit Herrn Rechtsanwalt R. als ihrem neuen Prozessbevollmächtigten habe erst am 24. April 2015 stattfinden können. Herr Rechtsanwalt R. habe nach Zustellung der richterlichen Verfügung vom 4. Mai 2015 am 6. Mai 2015 Akteneinsicht erhalten. Erst damit sei eine Situation entstanden, in der Herr Rechtsanwalt R. als Prozessbevollmächtigter der Klägerin in der Lage gewesen sei, die Berufung zu begründen. Der Wiedereinsetzungsantrag und die Berufungsbegründung seien nach § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO fristgerecht eingegangen.

35

Zur Begründung des zeitlich späteren Wiedereinsetzungsantrags durch Frau Rechtsanwältin U. vom 12. Oktober 2015 wird ausgeführt, dass die Klägerin bereits vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist einen Prozesskostenhilfeantrag gestellt und diesen begründet habe. Über den Prozesskostenhilfeantrag sei mit Beschluss des erkennenden Gerichts vom 21. September 2015 und damit nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist entschieden worden. Die Entscheidung sei der beigeordneten Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 28. September 2015 bekannt gegeben worden. Mit diesem Tag sei das Hindernis nach § 234 Abs. 2 ZPO weggefallen. Die Versäumung der Begründungsfrist sei weder der Klägerin noch ihrer Prozessbevollmächtigten zuzurechnen und damit unverschuldet iSv. § 233 ZPO.

36

Mit ihrer Berufung stellt die Klägerin das Urteil vollen Umfangs der Überprüfung durch das Berufungsgericht.

37

Die Klägerin vertritt die Auffassung, sie sei prozessfähig. Der Umstand, dass sie gerichtliche Entscheidungen (ob nun mit Rechtsmittel anfechtbar oder nicht) nicht hinnehmen wolle, lasse nicht an ihrer Prozessfähigkeit zweifeln. Dass sie ihr Recht auf Stellung von Befangenheitsanträgen wahrnehme, spreche gleichfalls nicht gegen ihre Prozessfähigkeit. Sie beschreite hier einen Weg, den der Gesetzgeber ihr zur Verfügung stelle. Die Höhe der Gerichtskostenforderungen gegen die Klägerin dürfe nicht preisgegeben werden. Unabhängig hiervon sei nicht ersichtlich, inwieweit die wirtschaftliche Situation der Klägerin Einfluss auf ihre Prozessfähigkeit habe. Die Klägerin habe nach dem Rechtssystem die Möglichkeit, gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Darauf müsse sie nicht deshalb verzichten, weil sie überschuldet sei.

38

Zur Sache trägt die Klägerin vor, es könne nicht hingenommen werden, dass das Arbeitsgericht ausführe, die Klägerin sei mit anderen Bewerbern nicht „vergleichbar“ iSd. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG. Entgegen der Auffassung des Gerichts sei die Klägerin für die ausgeschriebene Stelle objektiv geeignet. Es sei unerheblich, ob sie die in der Stellenausschreibung geforderten Kenntnisse im Rahmen von Berufserfahrungen oder durch Weiterbildung erlangt habe. Soweit das Arbeitsgericht darauf abstelle, dass die Klägerin ihre Kenntnisse in Bezug auf das System Linux nicht belegt habe, sei darauf hinzuweisen, dass die Beklagte das Vorliegen solcher Kenntnisse gar nicht bestritten habe.

39

Es liege eine Diskriminierung wegen des Geschlechts vor. In der IT-Branche seien Frauen quantitativ unterrepräsentiert. Allein der Umstand, dass die Klägerin nicht eingestellt worden sei, begründe ein Indiz für eine Diskriminierung zum Nachteil der Klägerin aufgrund ihres Geschlechts. Diese ergebe sich auch daraus, dass die Beklagte eine Vollzeitstelle ausgeschrieben habe. Im Übrigen wiederholt und vertieft die Klägerin ihr erstinstanzliches Vorbringen.

40

Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung am 23. November 2016 folgende Anträge gestellt:

41

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg, verkündet am 13.03.2014 (17 Ca 427/13), zugestellt am 25.04.2014, aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, an die Klägerin € 14.000,00 zu zahlen zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit der Klage;

42

2. der Klägerin wird wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

43

Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vom 23. November 2016 beantragt,

44

die Berufung zurückzuweisen.

45

Die Beklagte meint, der Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin sei nicht begründet. Bei Übernahme des Mandats durch Herrn Rechtsanwalt R. sei aus dem Urteil (und den darauf vermutlich notierten Berufungsfristen durch die vormals Prozessbevollmächtigten) erkennbar gewesen, wann die Berufungsfrist enden würde. Jedenfalls wäre für Herrn Rechtsanwalt R. als neuem Prozessbevollmächtigten der Klägerin eine telefonische Klärung durch einen Anruf bei Gericht oder dem ehemaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin möglich gewesen.

46

In der Sache verteidigt die Beklagte die Entscheidung des Arbeitsgerichts.

47

Die Klägerin ist aufgrund richterlicher Verfügung vom 2. Oktober 2015 darauf hingewiesen worden, dass Zweifel an ihrer Prozessfähigkeit bestehen. Für den Wortlaut der richterlichen Verfügung wird auf Bl. 169 f. d.A. verwiesen.

48

Zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung vom 23. November 2016 hat die Vorsitzende mit richterlicher Verfügung vom 21. November 2016 dem Arbeitsgericht Hamburg aufgegeben, das in dem Rechtsstreit zum Aktenzeichen 29 Ca 63/16 eingeholte Sachverständigengutachten des Herrn R1 vom 30. Oktober 2016 zur Prozessfähigkeit der Klägerin in Kopie vorzulegen. Das Gutachten ist übermittelt worden; eine Kopie ist zur Akte genommen worden, weitere Kopien sind in der mündlichen Verhandlung am 23. November 2016 an die Parteien übergeben worden. Für den Inhalt des Gutachtens, von Herrn R1 bezeichnet als „Gutachterliche Stellungnahme“, wird auf Bl. 267 ff. d. A. verwiesen.

49

Nachdem die Kammer des Landesarbeitsgerichts den Parteien mit Hinweis- und Auflagenbeschluss vom 23. November 2016 Gelegenheit zur Stellungnahme zur beabsichtigten Verwertung des Gutachtens des Herrn R1 gegeben hat, hat sie mit ihrem in einer Beratung am 1. Februar 2017 gefassten (Bl. 311 ff. d.A.) und am 8. Februar 2017 verkündeten (Bl. 310 d.A.) Beweisbeschluss die Verwertung des „vorläufigen“ Gutachtens des Sachverständigen Herrn R1 gemäß § 411 a ZPO zur Klärung der Frage, ob die Klägerin zur Zeit prozessfähig ist, beschlossen.

50

Weiterhin hat das Landesarbeitsgericht aufgrund des in der Beratung der Kammer am 1. Februar 2017 gefassten und am 8. Februar 2017 verkündeten Beweisbeschlusses, ergänzt durch einen Beschluss der Vorsitzenden vom 2. Mai 2017 (Bl. 342 f. d.A.), ein Sachverständigengutachten der Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie Frau Dr. L. zu folgender Beweisfrage eingeholt:

51

„Ist die Klägerin aktuell in der Lage, die Realität von Gerichtsverfahren, in denen es um Klagen nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz im Zusammenhang mit abgelehnten Bewerbungen der Klägerin geht, adäquat wahrzunehmen oder ist dies infolge einer wahnhaften Entwicklung nicht der Fall?“

52

Zur Durchführung der Beweisaufnahme sind die Prozessakten von fünf weiteren Verfahren der Kammer 6 des Landesarbeitsgerichts Hamburg zu den Aktenzeichen 6 Sa 8/17 (mit Beiakte 6 Sa 72/13), 6 Sa 39/17, 6 Sa 19/16, 6 Sa 36/16 und 6 Sa 117/13 (in Kopie), an denen die Klägerin als Partei beteiligt war, beigezogen und an die Sachverständige übermittelt worden. Weiterhin ist der am 8. Februar 2017 verkündete Beweisbeschluss vom 1. Februar 2017 im Anschreiben an die Sachverständige vom 2. Mai 2017 wie folgt erläutert worden:

53

„Maßgeblich für die Kammer ist, ob die Prozessfähigkeit der Klägerin im aktuellen Berufungsverfahren vorliegt. Bei der Beantwortung der Beweisfrage wird gebeten, die Beweisfrage in Bezug auf den gegenwärtigen Zeitpunkt sowie in Bezug auf den Zeitpunkt der Beauftragung der Prozessbevollmächtigten Frau Barbara U. durch die Klägerin im September 2015 zu beantworten.“

54

Nachdem die Klägerin mit anwaltlichem Schriftsatz vom 24. Mai 2017 (Bl. 364 d.A.) mitgeteilt hatte, dass die Klägerin die persönliche Begutachtung durch die Sachverständige ablehne, hat das Gericht die Sachverständige Frau Dr. L. mit Beschluss vom 29. Mai 2017 beauftragt, das Sachverständigengutachten nach Aktenlage zu erstellen (Bl. 366 d.A.).

55

Für das Sachverständigengutachten der Frau Dr. L. vom 13. September 2017 wird auf Bl. 393 ff. d.A. verwiesen.

56

Weiterhin hat die Kammer ein Schreiben der Vorsitzenden der Kammer 24 des Arbeitsgerichts vom 31. Januar 2017 im Verfahren zum Az. 24 Ca 204/16 an das Amtsgericht Altona, Betreuungsangelegenheiten (Bl. 536 f. d.A.), sowie den in derselben Verfahrensakte befindlichen Beschluss des Amtsgerichts Altona vom 19. April 2017 zum Az. 306 XVII 115/17 (Bl. 538 d.A.), mit dem ein die Klägerin betreffendes Betreuungsverfahren eingestellt worden ist, beigezogen und den Parteien zur Kenntnis gegeben.

57

Die Vorsitzende hat einen weiteren Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt auf den 15. Dezember 2017. Ausweislich des Empfangsbekenntnisses ist die Ladung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 15. November 2017 zugegangen.

58

Mit einem Schreiben vom 20. November 2017 (Bl. 528 ff. d.A.) hat die Klägerin persönlich dem Gericht u.a. Folgendes mitgeteilt:

59

... Die mündliche Verhandlung darf nur zur Sache selbst stattfinden, nach dem es über alle meine Anträge entschieden wird und alle meine Argumente berücksichtigt werden und die Behauptungen über Zweifel an meiner Prozessfähigkeit als falsch bestätigt und zurückgenommen werden. Nur zu solcher Verhandlung wird meine Prozesspartei erscheinen.

60

Jegliche Zweifel an meiner Prozessfähigkeit werden aufgrund meines schriftlichen Vorgehens behauptet. Demgemäß kann und muss Klärung hierzu schriftlich erfolgen.
...

61

Ich bestätige ausdrücklich, dass meine Prozessbevollmächtigte Frau Rechtsanwältin U. von mir für das schriftliche Verfahren und für die Terminwahrnehmung zur Sache selbst nach der gerichtlichen Bestätigung der Fehlerhaftigkeit seiner Behauptungen über Zweifel an meiner Prozessfähigkeit und nach der Rücknahme von diesen bevollmächtigt ist.

62

Für andere unsachlichen Termine während der Behauptungen über Zweifel an meiner Prozessfähigkeit und der Missachtung meines Vortrages hat Frau Rechtsanwältin U. keine Vollmacht von mir. Einschließlich des Termins am 15. Dezember 2017...

63

In der Verhandlung am 15. Dezember 2017 ist für die Klägerin niemand erschienen. Die Beklagte hat eine Entscheidung nach Lage der Akten beantragt.

64

Die Vorsitzende hat zu Protokoll den Hinweis erteilt, dass die Kammer nach Auseinandersetzung mit den ihr zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen, insbesondere nach Würdigung des Gutachtens der Sachverständigen Frau Dr. L., hinreichende Anhaltspunkte für eine Prozessunfähigkeit der Klägerin sowohl zum gegenwärtigen Zeitpunkt als auch zum Zeitpunkt der Beauftragung ihrer Prozessbevollmächtigten Frau U. sehe. Verbleibende Zweifel an der Prozessunfähigkeit gingen zulasten der Klägerin.

65

Die Kammer hat mitgeteilt, dass sie beabsichtige, nach Lage der Akten zu entscheiden und die Berufung wegen Unzulässigkeit der Klage zurückzuweisen. Sie hat die Klägerin darauf hingewiesen, dass sie die Klagabweisung wegen Prozessunfähigkeit abwenden könne, indem sie für eine ordnungsgemäße Vertretung sorge. Der Klägerin ist Gelegenheit gegeben worden, die – ggf. zunächst vorläufige und auf den vorliegenden Rechtsstreit beschränkte – Bestellung eines Betreuers durch das Betreuungsgericht zu veranlassen. Insoweit ist ihr aufgegeben worden, bis zum 15. Februar 2018 mitzuteilen, ob eine Betreuung eingerichtet worden ist bzw. ob ein Antrag auf Betreuung beim zuständigen Betreuungsgericht gestellt und noch nicht abschließend bearbeitet worden ist. Weiterhin ist die Klägerin darauf hingewiesen worden, dass das erkennende Gericht der Klägerin dann, wenn das Betreuungsgericht die Betreuerbestellung ablehnen sollte, in entsprechender Anwendung des § 57 ZPO einen Prozesspfleger bestellen würde. Für die Einzelheiten wird auf das Protokoll der Verhandlung vom 15. Dezember 2017 (Bl 533 ff. d.A.) verwiesen.

66

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 14. Februar 2018 hat die Klägerin mitgeteilt, dass kein Antrag auf Betreuung gestellt worden sei, da die Klägerin die Auffassung vertrete, eine Prozessunfähigkeit liege nicht vor.

67

Mit anwaltlichem Schriftsatz der Klägerin vom 28. Februar 2018 hat die Klägerin im Wege der Klagerweiterung folgende Anträge angekündigt:

68

1. festzustellen, dass die „Gutachterliche Stellungnahme“ des Herrn R1 vom 30.10.2016 aus dem Verfahren vor dem Arbeitsgericht Hamburg zum Aktenzeichen 29 Ca 63/16 sowie das Gutachten der Frau Dr. L. vom 13.09 2017 diagnostische Leitlinien gemäß ICD-10 und DSM-5 verletzt und dem international anerkannten medizinischen Fachwissen widerspricht;

69

2. festzustellen, dass die „Gutachterliche Stellungnahme“ des Herrn R1 vom 30.10.2016 aus dem Verfahren vor dem Arbeitsgericht Hamburg zum Aktenzeichen 29 Ca 63/16 sowie das Gutachten der Frau Dr. L. vom 13.09.2017 nicht dem aktuellen Stand der Medizin entspricht;

70

3. festzustellen, dass die „Gutachterliche Stellungnahme“ des Herrn R1 vom 30.10.2016 aus dem Verfahren vor dem Arbeitsgericht Hamburg zum Aktenzeichen 29 Ca 63/16 sowie das Gutachten der Frau Dr. L. vom 13.09.2017 darauf gerichtet ist, bei der Klägerin gesundheitliche Schäden zu erwirken.

71

Für die Begründung dieser als Zwischenfeststellungsanträge bezeichneten Anträge verweist der anwaltliche Schriftsatz der Klägerin auf das Schreiben der Klägerin persönlich vom 30. Oktober 2017, Bl. 510 ff. d.A.

72

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften verwiesen.

Entscheidungsgründe

73

Über die Berufung der Klägerin konnte nach Lage der Akten entschieden werden (I.) Die Berufung ist zulässig (II.), aber unbegründet (III).

I.

74

Die Kammer konnte eine Entscheidung nach Lage der Akten am 15. Dezember 2017 treffen.

75

1. Gemäß § 331a Satz 2, § 251a Abs. 2 ZPO iVm. § 525 Satz 1 ZPO, § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG darf im arbeitsgerichtlichen Berufungsverfahren beim Ausbleiben einer Partei im Termin auf Antrag der anwesenden Partei ein Urteil nach Lage der Akten ergehen, wenn in einem früheren Termin mündlich verhandelt worden ist. Es darf frühestens zwei Wochen später verkündet werden. Das Gericht hat der nicht erschienenen Partei den Verkündungstermin formlos mitzuteilen. Es bestimmt einen neuen Termin zur mündlichen Verhandlung, wenn die Partei dies spätestens am siebenten Tag vor dem zur Verkündung bestimmten Termin beantragt und glaubhaft macht, dass sie ohne ihr Verschulden ausgeblieben ist und die Verlegung des Termins nicht rechtzeitig beantragen konnte (vgl. BAG, Urteil v. 08.05.2014, 2 AZR 75/13, juris Rn. 21).

76

2. Hier sind die Voraussetzungen für eine Entscheidung nach Lage der Akten erfüllt. Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin ist zum Termin am 15. Dezember 2017 ausweislich ihres Empfangsbekenntnisses ordnungsgemäß geladen worden. Für die Klägerin ist jedoch niemand erschienen. Die im Termin ordnungsgemäß vertretene Beklagte hat einen Antrag auf Entscheidung nach Lage der Akten gestellt. Zwischen dem Verhandlungstermin am 15. Dezember 2017 und dem Verkündungstermin am 18. April 2018 lagen weit mehr als zwei Wochen. Der Verkündungstermin ist der Klägerin formlos mitgeteilt worden. Die Klägerin hat keinen Antrag auf Bestimmung eines neuen Termins zur mündlichen Verhandlung gestellt.

77

Die Parteien haben bereits in der öffentlichen Sitzung vom 23. November 2016 iSd. § 137 ZPO zur Sache verhandelt (siehe das Protokoll Bl. 281 ff. d.A.). Die Sach- und Rechtslage, insbesondere das weitere Vorgehen zur Klärung der Prozessfähigkeit der Klägerin, sind erörtert worden. Auch sind in dieser Sitzung Sachanträge gestellt worden. Für die Klägerin ist dies nach § 297 Abs. 2 ZPO durch Bezugnahme auf die Anträge aus der Berufungsbegründung vom 12. Oktober 2015 (Bl. 182 d.A.) erfolgt. Unerheblich ist, dass der in Bezug genommene Berufungsantrag ein anderes Verfahren betrifft, nämlich die Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts vom 13. März 2014 zum Aktenzeichen 17 Ca 427/13, und offenbar versehentlich unverändert in den anwaltlichen Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 12. Oktober 2015 einkopiert worden ist. Denn die Klägerin hat mit der Antragstellung in einer Weise am Prozessgeschehen in der mündlichen Verhandlung teilgenommen, die darauf gerichtet war, eine Endentscheidung oder eine Zwischenentscheidung zu erreichen. Damit hat sie mündlich verhandelt. Die streitige Frage, ob die Voraussetzung des Verhandelns auch dann erfüllt sein kann, wenn keine Anträge gestellt worden sind (hierzu Germelmann/Matthes/Prütting, 9. Aufl., Bearb. Schleusener, ArbGG § 55 Rn. 18-19), bedarf deshalb keiner Entscheidung.

78

Soweit nach der mündlichen Verhandlung vom 23. November 2016 Beweis erhoben worden ist und die Parteien weiter schriftsätzlich vorgetragen haben, steht dies einer Entscheidung nach Lage der Akten nicht entgegen. Das Erfordernis einer früheren mündlichen Verhandlung soll gewährleisten, dass die Parteien ihre Standpunkte zumindest einmal mündlich vortragen können. Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs erfordert nicht stets eine mündliche Verhandlung. Ihm ist auch dann Genüge getan, wenn die betreffende Partei Gelegenheit hatte, sich zu der Rechtssache schriftlich zu äußern (BAG, Urteil vom 08.05.2014, 2 AZR 75/13, juris Rn. 25). Den Parteien des vorliegenden Rechtsstreits ist Gelegenheit gegeben worden, zum Ergebnis der Beweisaufnahme und zur Frage der Prozessfähigkeit der Klägerin schriftlich Stellung zu nehmen. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs ist damit gewahrt.

79

Schließlich ist eine Entscheidung nach Lage der Akten auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil erhebliche Zweifel an der Prozessfähigkeit der Klägerin bestehen. Eine Säumnis der Klägerin lag vor. Für den Streit über die Prozessfähigkeit ist die davon betroffene Partei in jedem Fall als prozessfähig anzusehen (BAG Beschluss v. 05.06.2014, 6 AZN 267/14, juris Rn 13). Hier war die Prozessfähigkeit der Klägerin bis zum Verhandlungstermin am 15. Dezember 2017 im Streit. Da der Streit noch andauerte, konnte die Klägerin durch Zustellung der Ladung an ihre Prozessbevollmächtigte nach § 172 Abs. 1 ZPO wirksam zum Termin am 15. Dezember 2017 geladen werden (vgl. BAG, Beschluss v. 05.06.2014, 6 AZN 267/14, juris Rn 28).

80

3. Die Entscheidung nach Lage der Akte war durch die Kammer zu treffen.

81

Allerdings wird vertreten, dass im arbeitsgerichtlichen Berufungsverfahren die Vorsitzenden allein für eine Entscheidung nach Lage der Akten zuständig sind. Hierfür wird auf § 53, § 64 Abs. 7 ArbGG verwiesen (LAG Baden-Württemberg, Urteil v. 27.08.2013, 8 Sa 62/08, juris Rn 20; Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann, § 331a Rn 3; siehe auch BAG, Beschluss v. 05.06.2014, 6 AZN 267/14, juris Rn 22 ff.).

82

Dies überzeugt nicht. Ist eine streitige Verhandlung anberaumt worden, zu der eine oder beide Parteien nicht erschienen sind bzw. nicht verhandeln, haben die anwesenden ehrenamtlichen Richter über die zu ergreifenden Maßnahmen mitzuentscheiden. Welche Maßnahmen ergriffen werden können, ergibt sich aus § 251a ZPO. Möglich ist danach u.a. eine Entscheidung nach Lage der Akten. An dieser Entscheidung wirken die ehrenamtlichen Richter mit (Germelmann/Matthes/ Prütting/Schleusener ArbGG § 55 Rn. 18-19; wohl auch: BAG, Urteil v. 08.05.2014, 2 AZR 75/13, juris Rn. 22 ff.)). Da die Entscheidung aus der anberaumten Verhandlung heraus ergeht, liegt kein Fall des § 53 ArbGG vor.

83

4. Die Zwischenfeststellungsanträge der Klägerin aus dem Schriftsatz vom 28. Februar 2018 und die Ausführungen zu ihrer Begründung sowie das weitere Vorbringen der Klägerin persönlich haben nicht zur Folge, dass die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen gewesen wäre. Die Kammer hat über diese Anträge am 16. März 2018 und erneut am 18. April 2018 beraten und eine Wiedereröffnung abgelehnt.

II.

84

Die Berufung der Klägerin ist gemäß § 64 Abs. 1 und Abs. 2 b) ArbGG statthaft. Sie ist zudem gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 und 2 ArbGG form- und fristgerecht eingelegt worden.

85

Soweit die Klägerin die Berufungsbegründungsfrist versäumt hat, war ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin vom 27. Mai 2015, gestellt durch den damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin Herrn Rechtsanwalt R., ist zulässig und begründet. Da der Klägerin schon aufgrund dieses Antrags Wiedereinsetzung zu gewähren ist, kommt es auf ihren weiteren Wiedereinsetzungsantrag vom 12. Oktober 2015 nicht an.

86

1. Nach § 233 ZPO ist einer Partei auf ihren Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden verhindert war, eine Notfrist oder eine andere der in dieser Vorschrift ausdrücklich genannten Fristen einzuhalten. Zu den in § 233 ZPO genannten Fristen gehört auch die Berufungsbegründungsfrist. Der Wiedereinsetzungsantrag muss bei Versäumung der Berufungsbegründungsfrist innerhalb eine Monats gestellt werden (§ 236 Abs. 1 Satz 2 ZPO).

87

2. Dem in der gebotenen Form binnen Monatsfrist gestellten Wiedereinsetzungsantrag war stattzugeben.

88

Der Lauf der Wiedereinsetzungsfrist hat jedenfalls nicht vor Übermittlung der Prozessakten an Herrn Rechtsanwalt R. begonnen, der die anwaltliche Vertretung der Klägerin nach Niederlegung des Mandats durch den vormaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin übernommen hatte.

89

Die Klägerin war an der Begründung ihrer Berufung ohne ihr Verschulden zunächst dadurch gehindert, dass sie nach Niederlegung des Mandats durch ihren vorherigen Anwalt nicht mehr durch einen Rechtsanwalt vertreten war, dessen sie nach § 11 Abs. 4 Satz 1 ArbGG für die Begründung bedurfte (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juli 2004, VIII ZR 10/04, juris Rn. 5). Dieses Hindernis war mit der Mandatierung von Herrn Rechtsanwalt R. entfallen. Hierbei ist nach dem Vorbringen der Klägerin, das von der Beklagten nicht substantiiert bestritten wird, davon auszugehen, dass Herr Rechtsanwalt R. am 24. Mai 2015 und damit noch vor Ablauf der Begründungsfrist von der Klägerin beauftragt worden ist.

90

Doch bestand ein erneutes Hindernis für eine fristgerechte Begründung der Berufung, weil der neue Prozessbevollmächtigte der Klägerin nicht auf die Prozessakten zugreifen konnte. An der Begründung eines Rechtsmittels ist ein Rechtsanwalt gehindert, solange ihm die Prozessakten nicht (vollständig) zur Verfügung stehen (Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, 32. Aufl. 2018, § 233 ZPO, Rn. 23; für den Fall der Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde nach Anwaltswechsel BGH, Beschluss vom 26.07.2004, VIII ZR 10/04, juris Rn. 7). Hier benötigte Herr Rechtsanwalt R. als Prozessbevollmächtigter der Klägerin die Prozessakten, um eine den Anforderungen des Gesetzes (§ 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, § 520 Abs. 3 ZPO) genügende Berufungsbegründung zu erstellen, da er den bisherigen Prozessverlauf und das erstinstanzliche Vorbringen der Parteien nicht kannte.

91

Dieses Hindernis ist mit Übermittlung der Prozessakten beseitigt worden. Die Übermittlung ist weniger als einen Monat vor Eingang des Wiedereinsetzungsantrags am 27. Mai 2015 erfolgt. Das ergibt sich schon daraus, dass die Verfügung, mit der das Gericht dem Antrag auf Akteneinsicht stattgegeben hat, vom 4. Mai 2015 stammt.

92

3. Die versäumte Prozesshandlung ist innerhalb der Antragsfrist für den Wiedereinsetzungsantrag nachgeholt worden.

93

Die Berufungsbegründung ist zusammen mit dem Wiedereinsetzungsantrag am 27. Mai 2015 bei Gericht eingegangen. Hierbei genügt die Berufungsschrift den Anforderungen der §§ 519, 520 ZPO. Insbesondere ist das angegriffene Urteil korrekt bezeichnet (§ 519 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Anders als in der von der späteren Prozessbevollmächtigten der Klägerin eingereichten „Berufungsbegründung“ vom 12. Oktober 2015 nimmt der Antrag in der Berufungsbegründung vom 27. Mai 2015 zutreffend Bezug auf das Urteil des Arbeitsgerichts vom 14. Januar 2015 im Verfahren 4 Ca 92/14 und beantragt die Aufhebung (Abänderung) dieses Urteils.

94

4. Der Zulässigkeit der Berufung steht nicht entgegen, dass erhebliche Zweifel an der Prozessfähigkeit der Klägerin bestehen.

95

Zwar ist für die Zulässigkeit der Berufung grundsätzlich die Prozessfähigkeit des Berufungsklägers als Prozesshandlungsvoraussetzung erforderlich. Jedoch muss im Interesse eines vollständigen Rechtsschutzes auch der Prozessunfähige die Möglichkeit haben, den Prozess durch seine Handlungen in die höhere Instanz zu bringen. Dies gilt anerkanntermaßen für das Rechtsmittel der Partei, die sich dagegen wendet, dass sie in der Vorinstanz zu Unrecht als prozessfähig oder als prozessunfähig behandelt worden ist (vgl. etwa BAG Beschluss v. 05.06.2014, 6 AZN 267/14 juris Rn 13). Andernfalls bliebe ein an dem Verfahrensverstoß leidendes Urteil der unteren Instanz aufrechterhalten, erwüchse in Rechtskraft und könnte nur mit der Nichtigkeitsklage (§ 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO) beseitigt werden.

96

Dieser Gesichtspunkt, der der Schutzbedürftigkeit des Prozessunfähigen Rechnung trägt, hat auch Bedeutung, wenn die Partei, deren Prozessfähigkeit fraglich ist, sich gegen das in der Vorinstanz gegen sie ergangene Sachurteil wendet und mit ihrem Rechtsmittel ein anderes, ihrem Begehren entsprechendes Sachurteil erstrebt. Denn auch in diesem Fall würde mit der Verwerfung der Berufung als unzulässig ein möglicherweise fälschlich ergangenes Sachurteil bestätigt, obwohl es sich bei der Prozessfähigkeit der Partei um eine von Amts wegen zu prüfende Prozessvoraussetzung handelt (BGH, Versäumnisurteil vom 08.12.2009, VI ZR 284/08, juris Rn 12; LAG Hamburg, Urteil vom 9. August 2017, 3 Sa 50/16, juris Rn 36).

97

Vorliegend ist gegen die Klägerin ein Sachurteil ergangen, das sie mit der Berufung angreift. Somit ist nach den vorstehenden Grundsätzen die Berufung ungeachtet der Zweifel an der Prozessfähigkeit der Klägerin zulässig.

III.

98

Die Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

99

Die Klage hat schon deshalb keinen Erfolg, weil sie unzulässig ist. Die Prozessfähigkeit der Klägerin und damit eine wesentliche Prozessvoraussetzung kann nicht festgestellt werden. Die Kammer kommt insoweit zum gleichen Ergebnis wie die 3. Kammer des LAG in einem weiteren von der Klägerin betriebenen Berufungsverfahren zum Az. 3 Sa 50/16.

100

1. Die Prozessfähigkeit gemäß § 51 Abs. 1, § 52 ZPO ist zwingende Prozessvoraussetzung.

101

Bestehen konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Partei prozessunfähig sein könnte, hat deshalb das jeweils mit der Sache befasste Gericht nach § 56 Abs. 1 ZPO von Amts wegen zu ermitteln, ob Prozessunfähigkeit vorliegt. Dabei ist es nicht an die förmlichen Beweismittel des Zivilprozesses gebunden, vielmehr gilt der Grundsatz des Freibeweises. Das mögliche Fehlen der Prozessfähigkeit ist in jeder Lage des Verfahrens, also auch noch in der Berufungs- und Revisionsinstanz, von Amts wegen zu berücksichtigen (BAG, Beschluss v. 05.06.2014 – 6 AZN 267/14 –, juris Rn. 15).

102

Für die Prozessfähigkeit ist maßgeblich, ob eine Person sich durch Verträge verpflichten kann (§ 52 ZPO). Prozessunfähig, weil geschäftsunfähig, sind deshalb Volljährige unter den Voraussetzungen des § 104 Nr. 2 BGB. Danach ist geschäftsunfähig, wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden, dauerhaften Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet. Ein solcher Zustand ist gegeben, wenn jemand nicht im Stande ist, seinen Willen frei und unbeeinflusst von einer vorliegenden Geistesstörung zu bilden und nach zutreffend gewonnenen Einsichten zu handeln. Das kann auch der Fall sein, wenn lediglich eine Geistesschwäche vorliegt. Abzustellen ist allein darauf, ob eine freie Entscheidung nach Abwägung des Für und Wider bei sachlicher Prüfung der in Betracht kommenden Gesichtspunkte möglich ist oder ob umgekehrt von einer freien Willensbildung nicht mehr gesprochen werden kann, etwa weil infolge der Geistesstörung Einflüsse dritter Personen den Willen übermäßig beherrschen (BAG, Beschluss v. 05.06.2014, 6 AZN 267/14, juris Rn. 15).

103

Es ist allgemein anerkannt, dass die Geschäftsfähigkeit und damit die Prozessfähigkeit wegen einer geistigen Störung nur für einen beschränkten Kreis von Angelegenheiten – etwa die mit einem bestimmten Streitkomplex zusammenhängenden Verfahren – ausgeschlossen sein kann (BGH, Urteil vom 04. 11.1999, III ZR 306/98, juris Rn 15).

104

2. An der Prozessfähigkeit der Klägerin bestehen nach Ausnutzung aller der Kammer zur Verfügung stehenden Aufklärungsmittel so erhebliche Zweifel, dass das Vorliegen dieser Prozessvoraussetzung nicht festgestellt werden kann.

105

Es liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass bei der Klägerin eine wahnhafte Entwicklung im Sinne eines sog. Querulantenwahns vorliegt, aufgrund derer sie sich hinsichtlich der Führung von Rechtsstreitigkeiten wegen vermeintlicher Diskriminierung dauerhaft in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet.

106

a) Von ausgeprägtem Querulantenwahn kann ausgegangen werden, wenn die Vorstellungen eines Klägers von einer eindeutigen Beeinträchtigung eigener Rechte sich weiter intensivieren und Zweifel an der Rechtmäßigkeit der eigenen Position nicht mehr zugelassen werden, absolute Uneinsichtigkeit und Selbstgerechtigkeit sich mit einer Ausweitung des Kampfes vom ursprünglichen Gegner auf andere Menschen und Instanzen verbindet und ein Kläger nicht mehr in der Lage ist, die verfahrensmäßige Behandlung seiner Ansprüche durch die Gerichte nachzuvollziehen (vgl. Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Beschluss vom 12.11.1998 – 5 W 9/97 - 8 –, juris; BGH, Urteil vom 04.11.1999, III ZR 306/9, juris).

107

b) Hier gibt es Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin einem solchen die freie Willensbestimmung ausschließenden Wahn unterliegt.

108

Die Klägerin führte bzw. führte am Arbeitsgericht und am Landesarbeitsgericht Hamburg seit 2010 mehrere hundert Verfahren und Rechtsmittelverfahren bzw. Verfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, ganz überwiegend ohne Erfolg. Gegenstand der Verfahren sind immer wieder von der Klägerin angenommene Diskriminierungen in Einstellungsverfahren, wegen derer die Klägerin Schadensersatz und/oder Entschädigung von Arbeitgebern verlangt. Zwar ist die Anzahl der von der Klägerin geführten Verfahren für sich genommen nicht geeignet, Zweifel an der Steuerungsfähigkeit und damit an der Prozessfähigkeit der Klägerin zu begründen. Doch ergeben sich solche Zweifel aus den wirtschaftlichen Folgen, die sie mit diesen Verfahren für sich selbst auslöst und aus der Art und Weise, in der sie die Verfahren führt.

109

aa) Für einen Ausschluss der Steuerungsfähigkeit spricht, dass die Klägerin mit der großen Zahl der ohne Aussicht auf Erfolg geführten Verfahren Gerichts- und Anwaltskosten gegen sich in einer Höhe verursacht, die ihre wirtschaftliche Existenz auf Dauer jedenfalls erheblich bedrohen. Mit ihrem Verhalten schädigt die Klägerin sich daher massiv selbst. Sie hat allein gegenüber der Gerichtskasse Hamburg mit Stand vom 3. April 2018 Verbindlichkeiten von € 120.239,31. Hinzu kommen die Kostenerstattungsverpflichtungen gegenüber den von der Klägerin zu Unrecht in Anspruch genommenen Arbeitgebern, die den vorgenannten Betrag deutlich übersteigen dürften, sowie Gebührenforderungen eigener Prozessbevollmächtigter, die ohne Prozesskostenhilfebewilligung für die Klägerin tätig geworden sind. Schon bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt hat die Klägerin Kosten für erfolglose Prozesse verursacht, von denen nicht anzunehmen ist, dass sie sie jemals wird begleichen können. Die Klägerin handelt damit in einem Maße auch gegen eigene Interessen, das darauf hindeutet, dass sie sich nicht mehr vernunftgerecht steuern kann, sondern an einer wahnhaften Störung leidet.

110

bb) Kennzeichnend für die Verfahrensführung der Klägerin ist, dass sie gerichtliche Entscheidungen, mit denen ihren Anträgen nicht vollen Umfangs entsprochen wird, nicht zu akzeptieren bereit ist, ohne dass es darauf ankommt, wie diese Entscheidungen begründet sind und von welcher Kammer bzw. welchem Vorsitzenden sie getroffen worden sind.

111

Sind keine Rechtsmittel gegen die Entscheidungen eröffnet, wehrt sie sich regelmäßig durch Anhörungsrügen, ohne dass diese Erfolg hätten. Systematisch nimmt die Klägerin ihr nachteilige Entscheidungen zum Anlass, die daran beteiligten Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Auch die Entscheidungen über ihre Befangenheitsgesuche akzeptiert die Klägerin häufig nicht, sondern lehnt, verbunden mit einer Anhörungsrüge gegen den Beschluss, nunmehr diejenigen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ab, die mit der Entscheidung über den Befangenheitsantrag befasst waren. Dass die Klägerin glaubt, sich gegen jede gerichtliche Zurückweisung von Anträgen wehren zu müssen, weist auf einen subjektiv empfundenen Zwang zu einem solchen Handeln hin.

112

Das große Maß an Selbstorganisation, das die Klägerin bei der Führung der Verfahren zeigt, ist nicht geeignet, die Zweifel an ihrer Prozessfähigkeit auszuräumen. Zwar gelingt es der Klägerin trotz der großen Zahl ihrer Verfahren in beeindruckender Weise, die jeweiligen Rechtsmittelfristen und die Fristen für die Einlegung von Anhörungsrügen zu wahren. Ihre Klagen sind jeweils fallbezogen formuliert. Auch nimmt sie in jedem Schreiben, mit dem sie einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein Berufungsverfahren, ein Rechtsmittel, eine Anhörungsrüge oder einen Befangenheitsantrag begründet, inhaltlichen Bezug auf die jeweils angegriffene Entscheidung und führt Argumente gegen die richterliche Begründung an.

113

Diese Selbstorganisation ist jedoch kein Ausdruck der Willensfreiheit und des vernunftgerechten Handels, sondern dient allein dem Zweck, jede nachteilige gerichtliche Entscheidung fristgemäß angreifen zu können. Es spricht viel dafür, dass das Verhalten der Klägerin als wahnhaft zu bewerten ist, weil sie für sich keine Handlungsalternative erkennt. Der Weg, sich von der Argumentation eines Gerichts überzeugen zu lassen oder jedenfalls die Chancenlosigkeit eines Rechtsmittels, eines Prozesskostenhilfeantrags, eines Befangenheitsantrags oder einer Anhörungsrüge zu akzeptieren und eine abweisende gerichtliche Entscheidung im Einzelfall hinzunehmen, ist der Klägerin in ihrer Vorstellungswelt offenbar nicht eröffnet.

114

Für ein wahnhaftes Erleben der Realität gerichtlicher Verfahren durch die Klägerin spricht auch, dass die Klägerin an stereotypen Verhaltensweisen und Argumentationsmustern festhält, ohne akzeptieren zu können, dass das jeweilige Vorgehen ungeeignet ist, ihrem Begehren zum Erfolg zu verhelfen. Dies betrifft beispielsweise ihr auch im vorliegenden Verfahren angeführtes Vorbringen, die Ausschreibung einer Stelle als Vollzeitstelle sowie die statistisch belegte Unterrepräsentation von Frauen in der IT-Branche seien Indizien für ihre Benachteiligung im konkreten Bewerbungsverfahren. Obwohl beide Umstände in gerichtlichen Entscheidungen mehrfach als nicht geeignet angesehen worden sind, eine Diskriminierung von Frauen zu belegen (vgl. etwa LAG Hamburg, Urteil v. 19. Februar 2014, 3 Sa 39/13, juris Rn 51, Rn 52, Nichtzulassungsbeschwerde durch das BAG zurückgewiesen; LAG Schleswig-Holstein, Urteil v. 13.11.2012, 2 Sa 217/12, juris Rn 57, 58, Prozesskostenhilfe für die Nichtzulassungsbeschwerde durch das BAG abgelehnt), führt die Klägerin diese Argumentation in jedem neuen Verfahren an.

115

Die rechtliche Begründung gerichtlicher Entscheidungen, gegen die kein Rechtsmittel gegeben ist, greift die Klägerin regelmäßig mit Anhörungsrügen an. An diesem Vorgehen hält sie fest, obwohl ihr mit richterlichen Beschlüssen immer wieder mitgeteilt worden ist, dass die Anhörungsrüge kein Instrument ist, um eine Überprüfung der Rechtsansicht des Gerichts zu veranlassen.

116

Sobald ein Antrag der Klägerin abschlägig beschieden oder der Rechtsauffassung der Klägerin nicht gefolgt wird, unterstellt die Klägerin den Richterinnen und Richtern zudem regelmäßig willkürliches bzw. rechtswidriges Verhalten. Dies zeigt, dass die Klägerin nicht nur gegen die von ihr verklagten Arbeitgeber um ihre vermeintlichen Rechte kämpft. Vielmehr sieht sie auch die mit ihren Verfahren befassten Richter und Richterinnen häufig als Gegner an, denen sie Böswilligkeit, Schädigungsabsicht und Lügen vorwirft, den Willen zur Rechtsbeugung unterstellt und die Befähigung zur Ausübung des Richteramtes abspricht. Gleiches gilt für ehemalige Prozessbevollmächtigte, deren Kostenfestsetzungsanträgen sie nach Ende des Mandatsverhältnisses mit der Argumentation entgegentritt, sie seien für die Erfolglosigkeit der Rechtsverfolgung verantwortlich.

117

Lediglich als Beispiele für die regelmäßigen derartigen Äußerungen der Klägerin sind die nachfolgenden aufgeführt:

118

Im Verfahren zum Az. 6 Sa 72/13 reagierte die Klägerin auf die Zurückweisung einer Anhörungsrüge mit der Formulierung: „... Meine Anhörungsrüge war völlig korrekt und begründet... Ich rege dringend Selbstkorrektur der Verfahrensführung an“ (Bl. 144 ff. d.A.). Nachdem in diesem Verfahren durch das Bundesarbeitsgericht die Prozesskostenhilfe für die Nichtzulassungsbeschwerde versagt worden und eine Anhörungsrüge hiergegen verworfen worden war (Bl. 272 d.A.), beantragte die Klägerin, die Kostenfestsetzungsanträge ihres Prozessbevollmächtigten zurückzuweisen, „weil die Verlust meiner Sache und die Kostenfestsetzung gegen mich auf ihre ungenügende oder fehlerhaftige Tätigkeit zurückzuführen ist“, die Sache wäre gewonnen worden, „falls die Kanzlei ihre Arbeit sorgfältig gemacht hätte und die Fehlerhaftigkeit des Berufungsurteils beim BAG angefochten hätte. ...“ (Bl. 285 d.A.).

119

Im Verfahren zum Az. 6 Sa 36/16 führte die Klägerin in ihrem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren aus, „das Vorgericht habe die Sache willkürlich beschieden“ und ihr „Indizienvortragen grob fehlerhaft verneint und missachtet.“ (PKH-Heft Bl. 2). Sie meint, es müsse „insbesondere Rechtswidrigkeit und Absurdität der Behauptung des Gerichts betont werden, dass es zulässig sein kann, wenn Arbeitgeber keinen Bewerber einstellen will, der ihn verklagt hat.“ (PKH-Heft Bl. 3). Nachdem der Prozesskostenhilfeantrag zurückgewiesen worden war, stellte die Klägerin zunächst mit Schreiben vom 22. August 2016 einen Befangenheitsantrag, mit dem sie ausführte, die Vorsitzende der erkennenden Kammer halte „es nicht für korrekt, Diskriminierungen gegen [die Klägerin] aufzuklären und zu beseitigen. Weil sie feindlich gegenüber einem Menschen der russischen Herkunft ist.“ (PKH-Heft Bl. 33). Mit Schreiben vom 26. September 2016 begründete die Klägerin einen weiteren Befangenheitsantrag gegen die Vorsitzende, in dem sie unter anderem ausführte, die Vorsitzende „lügt im Beschluss v. 21. September 2016, dass meiner Argumentation zur Begründung des Befangenheitsantrages ungeeignet ist“ (PKH-Heft Bl. 43), sie habe bestätigt, dass ihr Verhalten „offensichtlich auf höchstmögliche Schädigung und Herabwürdigung“ ihr – der Klägerin – gegenüber gerichtet sei (PKH-Heft Bl. 44). Einen Befangenheitsantrag gegenüber einem anderen Vorsitzenden Richter des Landesarbeitsgerichts Hamburg stützte die Klägerin darauf, dieser unterstütze das „gesetzwidrige Verhalten“ der Richterin und verhalte sich seinerseits „willkürlich“ PKH-Heft Bl. 45).

120

In einem Befangenheitsantrag der Klägerin gegen die Vorsitzende der erkennenden Kammer im Verfahren 6 Sa 19/16 finden sich die Ausführungen, die Vorsitzende habe eine „feindliche Einstellung“ ihr gegenüber und begehe eine „Art Beweisfälschung für ihre absurden Vorwürfe gegen“ sie, indem sie die „offensichtlich statthaften und zulässigen Rechtsmittel für unstatthaft und unzulässig“ erkläre und verwerfe. (PKH-Heft Bl. 32).

121

In einem Befangenheitsantrag gegen die Vorsitzende des erstinstanzlichen Verfahrens zum Az. 16 Ca 351/15, das dem Verfahren 6 Sa 39/17 vorausgegangen ist, sind die Ausführungen enthalten, das Verhalten der Richterin sei „hinterhältig“ gewesen, die Richterin habe „nach der Verhandlung... den absurden willkürlichen Beschluss“ über eine Verweisung der Klage gefasst, sie habe die Klägerin „ärgern“ und ihr „weitere Sorgen verursachen“ wollen, indem sie ihr eine „Beschwerdeerhebung aufzwingen“ wolle, dies um ihr dann „womöglich zu viele Rechtsmittel vorzuwerfen.“ (Bl 70 d.A.).

122

Den von ihr – in aller Regel erfolglos – auf Zahlung von Entschädigung wegen erfolgloser Bewerbungen verklagten Arbeitgebern hält die Klägerin vor, sie hätten die Arbeitslosigkeit der Klägerin verschuldet. So stellt die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren zum Az. 16 Ca 351/15, das dem Verfahren 6 Sa 39/17 vorausgegangen ist und in dem sich die Klägerin gegen die Vollstreckung eines Kostenfestsetzungsbeschlusses aus einem Vorverfahren wehrte, dar, die Beklagte habe ihre „Langzeitarbeitslosigkeit und Armut mitverschuldet. Genau gesagt, im erheblichen Maße verursacht.“ Damit habe die Beklagte sie „zu den Gerichtsverfahren wegen Diskriminierungen bei der Stellenvergabe gezwungen.“ (Bl. 2 d.A.). Es sei eine „sittenwidrige, vorsätzliche Schädigung ihrerseits, wenn sie von [der Klägerin, der] von ihr arm gemachten Langzeitarbeitslosen, Kosten ihrer Anwälte für Gerichtsverfahren wegen [ihrer] Ausgrenzung“ vollstrecke (Bl. 2 d.A.).

123

Das beschriebene Prozessverhalten der Klägerin deutet stark darauf hin, dass die Klägerin aufgrund einer wahnhaften Entwicklung prozessunfähig sein könnte. Die Klägerin greift nicht nur die Arbeitgeber an, denen sie die Schuld für ihre persönliche Lebenssituation gibt, die durch langjährige Arbeitslosigkeit und Mittellosigkeit geprägt ist. Vielmehr sind aus Sicht der Klägerin auch die Gerichte bzw. die Richterinnen und Richter, die ihren Klagen oder Rechtsmitteln sowie ihren sonstigen Anträgen nicht entsprechen, und ihre ehemaligen Prozessbevollmächtigten ihre Gegner, denen sie verwerfliche Motive und schädigende Absicht unterstellt. Damit wird deutlich, dass die Klägerin jedenfalls in Bezug auf die von ihr vor den Arbeitsgerichten geführten Verfahren jeglichen Bezug zur Realität verloren hat.

124

In der mündlichen Verhandlung am 23. November 2016 ist der Klägerin Gelegenheit zur Stellungnahme zu den Zweifeln an ihrer Prozessfähigkeit gegeben worden. Hierbei hat die Klägerin deutlich gemacht, dass sie diese Zweifel für unhaltbar hält und als Vorwurf und Beleidigung empfindet. Mit ihren Einlassungen hat die Klägerin die Zweifel der Kammer bestätigt. Indem sie keine Bereitschaft gezeigt hat, an der Klärung ihrer Prozessfähigkeit mitzuwirken, sondern die vom Gericht formulierten Zweifel als Angriff verstanden hat, den es abzuwehren gilt, hat sie die aus ihrem sonstigen Prozessverhalten bekannten Verhaltensmuster wiederholt. U.a. diese Verhaltensmuster begründen, wie oben dargelegt, die Zweifel der Kammer an der Prozessfähigkeit der Klägerin, die der richterlichen Verfügung vom 2. Oktober 2015 sowie dem Hinweis- und Beweisbeschluss der Kammer vom 23. November 2016 zugrunde gelegen haben.

125

c) Die Zweifel an der Prozessfähigkeit der Klägerin sind durch die weiteren von der Kammer ergriffenen Aufklärungsmaßnahmen nicht ausgeräumt worden, sondern haben sich im Gegenteil weiter verstärkt.

126

aa) Bestehen Zweifel an der Prozessfähigkeit einer Partei, muss das Gericht die Möglichkeiten zur Aufklärung pflichtgemäß ausschöpfen (vgl. BAG, Urteil v. 20.01.2000,2 AZR 733/98, juris Rn. 25).

127

Zwar hat die Partei das Risiko der Nichterweislichkeit ihrer Prozessfähigkeit zu tragen, da sie insoweit eine „objektive“ Beweislast trifft. Jedoch ist das Gericht gehalten, von Amts wegen alle infrage kommenden Beweise, insbesondere durch Einholung von Sachverständigengutachten, zu erheben, um Zweifel an der Prozessfähigkeit nach Möglichkeit aufzuklären (vgl. BVerfG, Beschluss v. 16.06 2016, 1 BvR 2509/15, juris Rn. 24). Die Partei trifft insoweit keine „subjektive“ Beweisführungslast. Bei der Beweiserhebung ist das Gericht nicht an die förmlichen Beweismittel des Zivilprozesses gebunden, sondern es gilt der Grundsatz des „Freibeweises“ (BAG, Urteil v. 20.01.2000,2 AZR 733/98, juris Rn. 26). Für die Prozessfähigkeit kommt es maßgebend auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung an, da die Partei zu diesem Zeitpunkt ihre bisherige Prozessführung genehmigen könnte, sollte sie zu einem früheren Zeitpunkt prozessunfähig gewesen sein (BAG, Urteil v. 20.01.2000, 2 AZR 733/98, juris Rn. 26). Ist die Partei anwaltlich vertreten, schadet ein späterer Eintritt der Prozessunfähigkeit nicht, wenn die Partei bei Erteilung der Prozessvollmacht prozessfähig war (BAG, Urteil v. 20.01.2000, 2 AZR 733/98, juris Rn. 24).

128

bb) Um der Verpflichtung nachzukommen, alle infrage kommenden Beweismittel auszuschöpfen, ist die von der Kammer 29 des Arbeitsgerichts eingeholte „Gutachterliche Stellungnahme“ des Herrn R1 zur Frage der Prozessfähigkeit der Klägerin in Zusammenhang mit abgelehnten Bewerbungen auf ausgeschriebene Arbeitsstellen beigezogen und seine Verwertung gemäß § 411a ZPO beschlossen worden.

129

Da bei Zweifeln an der Prozessfähigkeit nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts die Einholung eines Sachverständigengutachtens zwingend geboten ist, war vor dem Hintergrund, dass Herr R1 sein Gutachten selbst als „vorläufige“ gutachterliche Stellungnahme bezeichnet hat, ein weiteres Sachverständigengutachten durch die Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie Frau Dr. L. einzuholen. Hierbei war die für das Vorliegen der Prozessfähigkeit der Klägerin maßgebliche Beweisfrage zu stellen, ob die Klägerin aktuell in der Lage ist, die Realität von Gerichtsverfahren, in denen es um Klagen nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz im Zusammenhang mit abgelehnten Bewerbungen der Klägerin geht, adäquat wahrzunehmen oder ob dies infolge einer wahnhaften Entwicklung nicht der Fall ist.

130

Beide Gutachten haben die Zweifel der Kammer an der Prozessfähigkeit der Klägerin sowohl für den Zeitpunkt der Bevollmächtigung ihrer Prozessbevollmächtigten als auch für den Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung nicht ausgeräumt, sondern vielmehr bestätigt.

131

(1) Der Gutachter Herr R1 beschreibt auf Seite 14 seines Gutachtens, in der Zusammenschau ergebe sich, „dass das prozessuale Verhalten der Klägerin mit großer Wahrscheinlichkeit auf eine gravierende psychische Störung wie oben beschrieben zurückzuführen ist. Daraus ergibt sich auch, dass es in keiner Weise möglich ist bzw. auch zukünftig nicht möglich sein wird, die Klägerin – auch in juristischem Sinne – rational-argumentativ zu erreichen. Ablehnende bzw. zurückweisende Entscheidungen würden vielmehr regelhaft bei ihr zu weiteren prozessualen Anstrengungen führen, dabei mit zunehmend irrationaler Argumentation unter Einbeziehung immer weiterer gerichtlicher, politischer und medialer Instanzen bzw. Institutionen.“

132

Der Sachverständige kommt „aus (notwendigerweise vorläufiger, siehe oben) gutachterlicher Sicht“ zu dem Ergebnis, „dass die Klägerin nicht mehr ausreichend in der Lage ist, die Vorfeldereignisse, die tatsächlichen Sachverhalte, ihre jeweilige argumentative Position und das aktuelle bzw. gegebenenfalls auch zukünftige prozessuale Geschehen in realitätsentsprechender, perspektivisch-abstrahierend ausgerichteter Weise zu erfassen und vernünftige bzw. prozessual angemessene Entscheidungen zu treffen. Das Vorhandensein einer ausreichenden Prozessfähigkeit ist daher bis auf Weiteres zu verneinen.“

133

Der Verwertung des Gutachtens steht nicht entgegen, dass der Sachverständige Herr R1 selbst seine Ausführungen als „gutachterliche Stellungnahme“ und seine Sicht als „notwendig vorläufige“ bezeichnet hat. Zwar wird der Aussagewert der Ergebnisse des Gutachtens durch diese Formulierungen eingeschränkt. Dies hindert jedoch nicht die Verwertung des Gutachtens, sondern muss bei seiner Würdigung berücksichtigt werden. Die Kammer kann auf der Basis dieses Gutachtens nicht die Überzeugung gewinnen, dass die Klägerin tatsächlich prozessunfähig ist; die Würdigung des Gutachtens führt lediglich dazu, dass die Kammer in ihren Zweifeln an der Prozessfähigkeit der Klägerin bestärkt wird.

134

(2) Das Gutachten der Psychotherapeutin Frau Dr. L. hat gleichfalls keine endgültige Klärung der Fragen herbeigeführt, ob die Klägerin zu den maßgeblichen Zeitpunkten der Beauftragung ihr Prozessbevollmächtigten Frau U. und der Lage der Akten am 15. Dezember 2017 prozessfähig gewesen ist. Doch hat es die erheblichen Zweifel der Kammer an der Prozessfähigkeit der Klägerin nochmals bestätigt.

135

Die Gutachterin kommt in Beantwortung der Beweisfrage zu dem abschließenden Ergebnis, dass bei ihr begründete Zweifel daran bestehen, „dass die Klägerin aktuell und auch bezogen auf den Zeitpunkt September 2015 in der Lage ist/gewesen ist, Klagen nach dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz im Zusammenhang mit abgelehnten Bewerbungen adäquat wahrzunehmen.“

136

Das Gutachten stellt in für die Kammer gut nachvollziehbarer Weise dar, dass ein nervenärztliches Gutachten ohne persönlichen Kontakt zu der zu begutachtenden Person – der hier wegen der Weigerung der Klägerin, sich untersuchen zu lassen, nicht stattfinden konnte – keine endgültigen Aussagen zum Vorliegen der Voraussetzungen der Prozessfähigkeit treffen kann. Entsprechend führt die Sachverständige auf Seite 64 des Gutachtens aus, dass „vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Klägerin nicht untersucht werden konnte und auch medizinische Befunde nicht vorliegen, [...] lediglich der Verdacht auf das Vorliegen einer sonstigen wahnhaften Störung DD einer paranoiden (platonischen Persönlichkeitsstörung, DD-änderung geäußert werden“ könne. Die Zurückhaltung bei der Formulierung des Ergebnisses macht nach Überzeugung der Kammer deutlich, dass die Sachverständige keine Hypothesen oder Vermutungen formuliert hat, sondern nur solche Aussagen getroffen hat, die aufgrund des ihr vorliegenden Aktenmaterials fachlich gesichert sind.

137

Die Sachverständige hat, wie sich aus der Darstellung im Gutachten ergibt, das Aktenmaterial sorgfältig und ausführlich ausgewertet. Dies hat sie zu der Aussage geführt, dass „erhebliche Zweifel daran [bestehen], dass die Klägerin in der Lage ist, ihre inhaltliche Ausgangsüberzeugung, nämlich der umfassenden Benachteiligung/Diskriminierung/ Ausgrenzung, die ja der Grund ihrer umfassenden Aktivitäten vor Gericht ist, aufgrund der im Verfahren ausgetauschten Argumente und/oder vom Gericht dargelegten Rechtsauffassungen, zu überprüfen und/oder ggf. zu verändern.“

138

Weiterhin für die Sachverständige aus:

139

Es liegen vielmehr die benannten Hinweise dafür vor, dass im Gegenteil diese stets als (weitere) Kränkungen („Vorwürfe/Mißachtung“) erlebt werden, was sie jeweils zu neuer „Nahrung“ für die unkorrigierbar imponierende Grundüberzeugung der Benachteiligung macht, was eine Ausweitung von Schuldzuweisungen an weitere Personen/Institutionen zur Folge hat und das „Weiterkämpfen“ im Erleben der Klägerin alternativlos erscheinen läßt, was einem paranoiden Verarbeitungsmodus entspricht, der zu den sich in der Aktenlage darstellenden Klag-/Beschwerde- und Rügkaskaden führt.

140

Insofern diese Hinweise auf eine wahnhaft- und unkorrigierbar Grundüberzeugung und einem paranoiden Verarbeitungsmodus bei der Klägerin bestehen, liegen bei der Unterzeichnenden im laufenden Verfahren Zweifel an ihrer Fähigkeit zu einer freien Willensentscheidung vor, sich ggf. auf der Grundlage vernünftiger Erwägungen der im Gerichtsverfahren erörterten Sachverhalte anders zu verhalten als bisher aktenkundig.

141

Eine gänzlich andere, nicht krankheitswertige Situation, die Hintergrund des prozessualen Verhaltens und der inhaltlichen Äußerungen der Klägerin sein könnte, könnte hiesigerseits nicht gesehen werden. Ausweislich der Aktenlage schadet sich die Klägerin finanziell durch ihr Vorgehen erheblich und auch die Lebenszeit, die sie für das Betreiben der Rechtsstreitigkeiten aufwenden muss, dürfte erheblich sein und steht für Anderes nicht zur Verfügung, nicht zuletzt ist aus psychiatrischer Sicht, auch wenn sich das in den vorliegenden Äußerungen der Klägerin nicht widerspiegelt, eine (zunehmende) seelische Verletzung durch die mit den Prozessen einhergehenden Belastungssituationen zu befürchten.“

142

Die Begründung, die von der Sachverständigen damit für ihre erheblichen Zweifel an der Fähigkeit der Klägerin, die Realität von Gerichtsverfahren adäquat wahrzunehmen, gegeben wird, ist aus Sicht der Kammer überzeugend. Die zitierten Passagen aus dem Gutachten zeigen, dass die Sachverständige sich nicht den gerichtlichen Blick auf die Streitigkeiten zu Eigen gemacht hat, sondern gerade aus Sicht der Klägerin untersucht hat, ob es Hinweise auf einen „paranoiden Verarbeitungsmodus“ gibt oder ob dies nicht der Fall ist. Hierbei hat die Sachverständige aber auf Basis der ihr zur Verfügung stehenden Informationen keine anderen als krankheitswertige Motivationen und Erklärungen für das Verhalten der Klägerin im Zusammenhang mit Rechtsstreitigkeiten nach dem AGG gesehen.

143

Sofern die Klägerin mit ihrer Stellungnahme zu dem Gutachten darauf hinweist, dass dieses nach Auswertung der Aktenlage nicht zu einem eindeutigen Ergebnis komme, sondern lediglich begründete Zweifel äußere, trifft dies wie dargestellt zu. Doch stehen der Kammer keine weiteren Aufklärungsmöglichkeiten zur Verfügung. Die Kammer kann kein auf einer persönlichen Begutachtung der Klägerin basierendes Gutachten einholen, da eine Partei zu einer Untersuchung ihrer Prozessfähigkeit nicht gedrängt oder gar gezwungen werden kann (vgl. BAG, Urteil v. 20. Januar 2000 – 2 AZR 733/98, juris).

144

Der Klägerin ist mehrfach Gelegenheit gegeben worden, die Zweifel an ihrer Prozessfähigkeit auszuräumen. Zu einer Mitwirkung an der Klärung der Frage ist die Klägerin jedoch nicht bereit. Mit ihrem Schreiben vom 20. November 2017 und der (nach außen unwirksamen, vgl. § 81, § 83 ZPO und BFH, Urteil v. 13.06.1996, III B 23/95, 2. Orientierungssatz, juris) Beschränkung der Vollmacht ihrer Prozessbevollmächtigten hat sie vielmehr deutlich gemacht, dass sie sich dem gerichtlichen Verfahren entziehen will, solange die Kammer an den Zweifeln an ihrer Prozessfähigkeit festhält. Sie hat erklärt, dass sie (und ihre Prozessbevollmächtigte) nur dann an einer mündlichen Verhandlung teilnehmen werden, wenn „die Behauptungen über Zweifel an [ihrer] Prozessfähigkeit als falsch bestätigt und zurückgenommen würden“.

145

Die damit nach Nutzung aller zur Verfügung stehenden Aufklärungsmöglichkeiten verbleibenden Zweifel gehen zu Lasten der Klägerin. Die Kammer muss davon ausgehen, dass der Klägerin die Prozessvoraussetzung der Prozessfähigkeit fehlt.

146

3. Die Klägerin ist darauf hingewiesen worden, dass sie die Klagabweisung wegen Prozessunfähigkeit abwenden kann, indem sie für eine ordnungsgemäße Vertretung sorgt. Ihr ist Gelegenheit gegeben worden, die – ggf. zunächst vorläufige – Bestellung eines Betreuers durch das Betreuungsgericht zu veranlassen (§ 1896 BGB), wobei darauf hingewiesen worden ist, dass die Betreuung auf arbeitsgerichtliche Rechtsstreitigkeiten oder den vorliegenden Rechtsstreit beschränkt werden könnte. Vorsorglich ist der Klägerin mit Blick auf den Beschluss des Betreuungsgerichts vom 19. April 2017, mit dem das Betreuungsgericht ein Verfahren zur Betreuerbestellung für die Klägerin eingestellt hatte, mitgeteilt worden, dass das erkennende Gericht auf Antrag der Klägerin, dem ein Nachweis der Ablehnung der Betreuerbestellung durch das Betreuungsgericht beizufügen sei, in entsprechender Anwendung des § 57 ZPO einen Prozesspfleger für sie bestellen würde. Damit ist das Gericht seiner Verpflichtung nachgekommen darauf hinzuwirken, dass auch ein nach Auffassung des Gerichts prozessunfähiger Kläger seine prozessualen Rechte wahrnehmen kann (vgl. BAG, Beschluss v. 05.06.2014,6 AZN 267/14, juris Rn. 32).

147

Die Klägerin hat mitgeteilt, dass sie keinen Antrag auf Bestellung eines Betreuers beim Betreuungsgericht eingereicht hat.

148

4. Die Kammer konnte trotz der gestellten Befangenheitsanträge in der vorliegenden Besetzung entscheiden. Die Befangenheitsanträge sind unzulässig.

149

Für die Zulässigkeit der Befangenheitsanträge kommt es darauf an, ob die Klägerin prozessfähig i.S.d. § 52 ZPO ist, denn die Prozessfähigkeit ist Wirksamkeitsvoraussetzung für alle Prozesshandlungen (vgl. Zöller-Vollkommer, ZPO, 30. Aufl., vor § 50 Rn. 17). Da, wie vorstehend ausgeführt, die bestehenden erheblichen Zweifel an der Prozessfähigkeit der Klägerin nicht ausgeräumt werden konnten, ist auch bezüglich der Befangenheitsanträge von der fehlenden Prozessfähigkeit auszugehen, so dass die Befangenheitsanträge unzulässig sind.

150

Im Übrigen ist ein Ablehnungsgesuch, das lediglich Ausführungen enthält, die zur Begründung der Besorgnis der Befangenheit gänzlich ungeeignet sind, offensichtlich unzulässig. Bei offensichtlicher Unzulässigkeit bedarf es keiner dienstlichen Stellungnahme der abgelehnten Richter; diese sind auch von der Entscheidung über das offensichtlich unzulässige Ablehnungsgesuch nicht ausgeschlossen (BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 03. 07.2013, 1 BvR 782/12, juris Rn 3). Die von der Klägerin gestellten Befangenheitsanträge sind offensichtlich unzulässig, denn sie dienen allesamt lediglich dem Ziel, die von Amts wegen vorzunehmende Prüfung der Prozessfähigkeit der Klägerin durch die erkennenden Richterinnen zu verhindern.

III.

151

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 64 Abs. 6 S.1 ArbGG.

IV.

152

Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, da die hierfür gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG erforderlichen Voraussetzungen nicht vorliegen.

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