Urteil vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (3. Kammer) - 3 Sa 476/15

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Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen -Auswärtige Kammern Landau- vom 10.09.2015, Az.: 5 Ca 16/15 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob der Kläger von der Beklagten Schadensersatz verlangen kann, sowie des Weiteren auch darüber, ob zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis bestanden hat.

2

Der Kläger war seit Januar 2008 zunächst Arbeitnehmer der Firma T. GmbH. Dieses Arbeitsverhältnis wurde anschließend auf Arbeitgeberseite von der a. GmbH fortgeführt.

3

Von Januar 2008 bis Mai 2013 wurde der Kläger von seinen Arbeitgebern ausschließlich bei der Beklagten eingesetzt. Der Kläger bezog dabei aufgrund des Anstellungsvertrages mit der T. GmbH bei 30 Wochenstunden ein monatliches Bruttoentgelt von ca. 3.400,00 EUR.

4

Der Kläger hat vorgetragen,
er sei nur formell Angestellter der Firma T. GmbH bzw. der a GmbH gewesen. Er sei im Werk W. der Beklagten unter vollständiger Integration in deren Unternehmensstruktur sowohl in vertikaler wie auch in horizontaler Hinsicht einschließlich der dortigen Kommunikations/-Entscheidungsprozesse tätig gewesen. Aus dem Gesamtzusammenhang ergebe sich, dass mangels wirksamer Werks-/Dienstverträge von Beginn an eine unzulässige verdeckte dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung auf der Basis von Scheinwerk-/Scheindienstverträgen vorgelegen habe.

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Er sei im Unternehmen der Beklagten von Januar 2008 bis Mai 2013 beschäftigt gewesen und hätte dort bei einer ordnungsgemäßen Vergütung ein monatliches Bruttogehalt von mindestens 6.000,00 EUR erzielt. Tatsächlich habe er aber monatlich nur 3.400,00 EUR bezahlt erhalten. Dies ergebe ein Differenzbetrag von monatlich brutto 2.600,00 EUR.

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Der Kläger hat beantragt,

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1. Die Beklagte wird verurteilt, 169.000,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.06.2014 an den Kläger zu bezahlen.

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2. Hilfsweise: Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtlichen Schaden, der durch die fehlerhafte Bezahlung während des Beschäftigungsverhältnisses in der Zeit vom Januar 2008 bis Mai 2013 entstanden ist oder künftig entsteht, zu ersetzen.

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3. Hilfsweise: Es wird festgestellt, dass zwischen den Parteien von Januar 2008 bis Februar 2013 ein Arbeitsverhältnis bestanden hat.

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Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

12

Die Beklagte hat vorgetragen,
der Einsatz des Klägers sei im Rahmen von Werkverträgen erfolgt. Zudem fehle es an jedweder rechtlichen Ausführung zur Rechtsgrundlage für den geforderten Schadensersatz. Sie hafte auch nicht als Entleiherin für Vergütungsansprüche aus dem Grundsatz des equal pay. Der Kläger habe keineswegs Weisungen ausschließlich von leitenden Mitarbeitern der Beklagten erhalten.

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Zudem seien ausweislich der von ihr im Rechtsstreit vorgelegten Erlaubnisbescheinigungen zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung für die Firma T. GmbH vom 06.05.2009 und für die a. GmbH vom 28.10.2010 beide Firmen - unstreitig - während der Beauftragung ununterbrochen im Besitz einer unbefristeten Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Überlassung von Arbeitnehmern gewesen; insoweit wird auf Bl. 149, 150 d. A. Bezug genommen.

14

Das Arbeitsgericht Ludwigshafen - Auswärtige Kammern Landau - hat die Klage daraufhin durch Urteil vom 10.09.2015 - 5 Ca 16/15 - abgewiesen. Hinsichtlich des Inhalts von Tatbestand und Entscheidungsgründen wird auf Bl. 249 bis 255 d. A. Bezug genommen.

15

Gegen das ihm am 21.09.2015 zugestellte Urteil hat der Kläger durch am 19.10.2015 beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Er hat die Berufung durch am 22.12.2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet, nachdem zuvor auf seinen begründeten Antrag hin durch Beschluss vom 20.11.2015 die Frist zur Einreichung der Berufungsbegründung bis zum 23.12.2015 einschließlich verlängert worden war.

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Der Kläger wiederholt sein erstinstanzliches Vorbringen und hebt insbesondere hervor, seine Position habe sich von den Arbeitsabläufen her durch nichts von den sonstigen Mitarbeitern der Beklagten, von denen er alle Weisungen und Aufträge erhalten habe, die wiederum von der Beklagten ausschließlich überwacht und bewertet worden seien, unterschieden. Der einzige Unterschied habe in der Tat-sache einer geringeren Entlohnung und dem Umstand bestanden, dass ihm die sonst üblichen Sozialleistungen der Beklagten im Verhältnis zu anderen Mitarbeitern vorenthalten worden seien. Er sei mit der Entwicklung und Konstruktion komplexer Bauteile befasst gewesen und habe als sogenannter CAD-Entwicklungsingenieur mit entsprechender CAD-Software der Beklagten ausschließlich für deren Produkte gearbeitet. Sein Aufgabengebiet habe die Entwicklung und Konstruktion von Nutzfahrzeugkomponenten erfasst. Von der Konzept-Bruttotypenentwicklung zur Serienrealisierung, unter Einbeziehung spezifischer PDM - sowie Konstruktionsfreigabesystemen der Beklagten Im Werk W. sei er mit der Entwicklung von Fahrerhauskomponenten mit Cockpittragegerüst, Rückwandverkleidung, Staukonzepte, Haubenlagerungskonzepten und der verwendungsspezifischen, code-gesteuerten Freigabe von Komponenten und Baugruppen beschäftigt gewesen. Diese Tätigkeit sei ausschließlich für Produkte der Beklagten erfolgt, für die der Kläger nicht nur als Entwickler-Konstrukteur, sondern auch quasi als Projektleiter tätig gewesen sei, ohne dass je der formelle Arbeitgeber des Klägers eingebunden gewesen sei. Die Beklagte habe lediglich aus formellen Gründen per Lieferschein eine Abrechnung der Leistungen mit dem formellen Arbeitgeber des Klägers vorgenommen. Er sei komplett in die Unternehmensstruktur der Beklagten integriert gewesen und habe dem ausschließlichen Weisungsrecht der Beklagten unterlegen. Aus dem Gesamtkontext ergebe sich, dass mangels wirksamer Werk-/Dienstverträge von Beginn an eine unzulässige verdeckte Arbeitnehmerüberlassung auf der Basis von Schein-/Scheindienstverträgen vorgelegen habe. Die Arbeitnehmerüberlassung sei nicht nur vorübergehend, sondern auf einem Dauerarbeitsplatz erfolgt und sei schon deshalb unzulässig.

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Die vertraglichen Regelungen zwischen der Beklagten und dem formellen Arbeitgeber des Klägers seien nicht bekannt; allein aus dem tatsächlichen Geschäftsinhalt habe aber zwischen den Parteien ein Dauerschuldverhältnis und nach den einschlägigen EU-Regelungen eine nicht nur vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung bestanden.

18

Ausschließlich aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus habe der Kläger im Wege der Arbeitnehmerüberlassung zu günstigeren Konditionen bei der Beklagten arbeiten sollen. Von dieser Regelung habe die Beklagte profitiert. Insoweit habe sie gemeinsam mit der Firma T. GmbH und a. GmbH zu Lasten des Klägers im Sinne eines Dritten agiert. Dies sei aber nach der Rechtsordnung unzulässig und auch nicht vom AÜG gedeckt.

19

Zur weiteren Darstellung des Vorbringens des Klägers im Berufungsverfahren wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 22.12.2015 (Bl. 284 bis 293 d. A.) Bezug genommen.

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Der Kläger beantragt,

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1. das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen (Auswärtige Kammern Landau in der Pfalz) vom 10.09.2015, Az: 5 Ca 16/15, wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, 169.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 12.06.2014 an den Kläger zu bezahlen,

22

2. hilfsweise: Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtlichen Schaden, der durch die fehlerhafte Bezahlung während des Beschäftigungsverhältnisses in der Zeit von Januar 2008 bis Juni 2013 entstanden ist oder zukünftig entsteht, zu ersetzen,

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3. hilfsweise: Es wird festgestellt, dass zwischen den Parteien von Ja-nuar 2008 bis Juni 2013 ein Arbeitsverhältnis bestanden hat.

24

Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

26

Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens und hebt insbesondere hervor, das Vorbringen des Klägers sei auch im zweitinstanzlichen Rechtszug zu pauschal und unsubstantiiert, als dass insoweit eine dezidierte Stellungnahme möglich bzw. notwendig sei. Substantiierter Vortrag fehle insbesondere hinsichtlich eines Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien im Sinne einer Eingliederung und Weisungsabhängigkeit des Klägers im Betrieb der Beklagten. Mit lediglich pauschalen, subjektiven Rechtsauffassungen könne aber nicht begründet werden, dass der Kläger nicht nur faktisch, sondern auch im rechtlichen Sinne nur formell Angestellter der Firma T. GmbH bzw. a. GmbH gewesen sei. Die vom Kläger herangezogenen Lieferscheine dienten alleine als vertragstypische Abrechnungen zur Teil- und Endabnahme.

27

Aufgrund des durchgängigen Vorliegens von Arbeitnehmerüberlassungserlaubnissen könne ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien keinesfalls zustande gekommen sein. Dies gelte selbst dann, wenn der Einsatz des Leiharbeitnehmers entgegen der Regelung des § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG nicht nur vorübergehend erfolgt sei. Auch unionsrechtliche Gesichtspunkte führten zu keinem anderen Ergebnis.

28

Zur weiteren Darstellung des Vorbringens der Beklagten im Berufungsverfahren wird auf die Berufungserwiderungsschrift vom 28.01.2016 (Bl. 299 bis 307 d. A.) Bezug genommen.

29

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie die zu den Akten gereichten Schriftstücke verwiesen.

30

Schließlich wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 14.03.2016.

Entscheidungsgründe

I.

31

Das Rechtsmittel der Berufung ist nach §§ 64 Abs. 1, 2 ArbGG statthaft. Die Berufung ist auch gem. §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 518, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

II.

32

Das Rechtsmittel der Berufung hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

33

Denn das Arbeitsgericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger vorliegend weder die Verurteilung der Beklagten verlangen kann 169.000,00 EUR brutto nebst Zinsen an ihn zu zahlen, noch die hilfsweise Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtlichen Schaden, der durch die fehlerhafte Bezahlung während des Beschäftigungsverhältnisses in der Zeit von Januar 2008 bis Mai 2013 entstanden ist oder zukünftig entsteht, zu ersetzen, noch die hilfsweise Feststellung, dass zwischen den Parteien von Januar 2008 bis Februar 2013 ein Arbeitsverhältnis bestanden hat.

34

Zwischen den Parteien bestand kein Arbeitsverhältnis. Auch weitere vertragliche Beziehungen bestanden zwischen den Parteien nicht. Insbesondere ist zwischen den Parteien kein Arbeitsverhältnis gemäß § 10 Abs. 1 AÜG in Verbindung mit § 9 Ziffer 1 AÜG zustande gekommen, da jedenfalls keine unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung vorgelegen hat.

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Insoweit gilt Folgendes:

36

Ist der Vertrag zwischen einem Verleiher und einem Leiharbeitnehmer nach § 9 Abs. 1 AÜG unwirksam, weil die nach §§ 1, 2 AÜG erforderliche Erlaubnis fehlt, so gilt unabhängig vom Willen der Beteiligten aufgrund gesetzlicher Fiktion ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer zu dem zwischen dem Entleiher und Verleiher für den Beginn der Tätigkeit vorgesehenen Zeitpunkt als zustande gekommen (BAG 18.01.2012 EzA § 1 AÜG Nr. 14 = NZA-RR 2012, 455; vgl. Dörner/Luczak/Wildschütz/Baeck/Hoß, Handbuch des Fachanwalts Arbeitsrecht 13. Aufl., 2016, Kap. 3 Rn. 4504 ff. = S. 1339 ff.); die Beschäftigung des Arbeitnehmers für die Dauer eines Monats reicht insoweit aus; LAG Düsseld. 25.08.2008 - 17 Sa 153/08, EzA-SD 22/2008 S. 8 LS).

37

Tritt die Unwirksamkeit erst nach Aufnahme der Tätigkeit beim Entleiher ein, so gilt das Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer mit dem Eintritt der Unwirksamkeit als zustande gekommen (§ 10 Abs. 1 S. 1 AÜG).

38

Das BAG (28.06.2000 EzA § 1 AÜG Nr. 10; s. Düwell BB 2002, 99) geht davon aus, dass, nachdem § 13 AÜG mit Wirkung vom 01.04.1997 ersatzlos gestrichen worden ist, in den Fällen der nach § 1 Abs. 2, 3 Abs. 1 Nr. 6 AÜG vermuteten Arbeitsvermittlung zwischen Leiharbeitnehmer und dem Entleiher dann, wenn kein Fall des § 9 Nr. 1 AÜG gegeben ist, weil die erforderliche Erlaubnis vorliegt, kein Arbeitsverhältnis (mehr) entsteht, weil es an der dafür erforderlichen gesetzlichen Grundlage fehlt. Denn die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses lässt sich nunmehr weder mit § 1 Abs. 2 AÜG allein noch mit einer entsprechenden Anwendung des § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG begründen.

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Das gilt auch nach der gesetzlichen Neuregelung:

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"Verfügt der Verleiher über eine Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung nach § 1 AÜG, wird auch bei einer nicht nur vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung kein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher begründet."

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Auch wenn in diesen Fällen Arbeitsvermittlung zu vermuten wäre, fehlt es nach Wegfall von § 13 AÜG sowie der Vermutungswirkung in § 1 Abs. 2, 2. Alt. AÜG an einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage. Ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher kann auch nicht im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung von §§ 1 Abs. 2, 10 Abs. 1, 9 Nr. 1 AÜG begründet werden. Im Hinblick auf die langjährige Rechtsprechung (s. BAG 28.06.2000 EzA § 1 AÜG Nr. 10), in der eine solche Sanktion verneint wurde, ist davon auszugehen, dass sich der Gesetzgeber bei der letzten Änderung des AÜG aufgrund der RL bewusst gegen eine entsprechende Sanktion entschieden hat (LAG Bln-Bra. 16.10.2012 EzA § 1 AÜG Nr. 6).

42

Nach der vor dem 01.12.2011 gehenden Rechtslage kam ein Arbeitsverhältnis zwischen einem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher folglich nicht allein deswegen zustande, weil der Verleiher Arbeitnehmer nur an einen einzelnen Entleiher verlieh. Das gilt auch dann, wenn es sich um eine nicht mehr nur vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung handelte (BAG 15.05.2013 EzA § 1 AÜG Nr. 16 = NZA 2013, 1267; 10.12.2013 EzA § 1 AÜG Nr. 18 = NZA 2014, 196):

43

In dem für den Streitfall maßgeblichen Zeitraum, also in der Zeit vor dem 03.05.2011, hatte der Gesetzgeber bewusst darauf verzichtet, im AÜG eine zeitliche Begrenzung für die Höchstdauer der Arbeitnehmerüberlassung vorzusehen. Das ergibt sich aus der Neukonzeption des Rechts der Arbeitnehmerüberlassung, die der Gesetzgeber mit dem Ersten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (vom 23.12.2002, verkündet am 30.12.2002, BGBl. I S. 4607, nach seinem Art. 14 im Wesentlichen in Kraft getreten am 01.01.2003 - im Folgenden: Erstes Dienstleistungsgesetz) vorgenommen hatte. Während das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz in der bis dahin geltenden Fassung (seinerzeit zuletzt geändert durch Gesetz vom 23.07.2002, BGBl. I S. 2787, berichtigt S. 3760) in § 3 Abs. 1 Nr. 6 noch eine Höchstüberlassungsdauer von 24 aufeinander folgenden Monaten vorsah, wurde diese Bestimmung durch Art. 6 Nr. 3 Buchst. b des Ersten Dienstleistungsgesetzes aufgehoben. Das war Teil eines Gesamtkonzeptes, mit dem der Gesetzgeber einerseits durch die Einführung eines - tarifdispositiven - grundsätzlichen Gebots der Gleichbehandlung von entliehenen Arbeitnehmern mit der Stammbelegschaft den Schutz der Leiharbeitnehmer erhöhte, andererseits aber die Arbeitnehmerüberlassung folgerichtig von all denjenigen Regelungen befreite, die bisher als Schutzmaßnahmen notwendig waren, weil Leiharbeit aufgrund des Zusammentreffens hoher Flexibilitätsanforderungen mit relativ geringen Entgelten vielfach als prekär angesehen werden musste (BT-Drucks. 15/25 S. 24). Damit war klar, dass künftig eine unbeschränkte Überlassung von Arbeitnehmern zulässig sein sollte. Zwar hat der Gesetzgeber durch Art. 1 Nr. 2 Buchst. a bb) des Missbrauchsverhinderungsgesetzes als § 1 Abs. 1 S. 2 in das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz eine Regelung eingefügt, wonach die Überlassung von Arbeitnehmern an Entleiher vorübergehend erfolgt. Diese Bestimmung trat nach Art. 2 des Missbrauchsverhinderungsgesetzes jedoch erst am 01.12.2011 und damit nach dem hier maßgeblichen Zeitraum in Kraft (BAG 15.05.2013 EzA § 1 AÜG Nr. 16 = NZA 2013, 1267)."

44

Etwas anderes gilt aber nach z.T. vertretener Auffassung bei einem institutionellen Rechtsmissbrauch, wenn das verleihende Konzernunternehmen nur an einen oder mehrere Konzernunternehmen Arbeitnehmer verleiht, nicht am Markt werbend tätig ist und die Einschaltung dieses verleihenden Unternehmens nur dazu dient, Lohnkosten zu senken oder kündigungsschutzrechtliche Wertungen ins Leere laufen zu lassen. Dies hat zur Folge, dass dem Scheinentleiher die Arbeitgeberstellung zukommt. Für die Zeit ab dem 01.12.2011 ist eine schon erteilte Erlaubnis nach § 1 AÜG auf die vorübergehende Überlassung von Arbeitnehmern beschränkt. Die Überlassung auf Dauer ist nicht (mehr) erlaubnisfähig. Erfolgt die Überlassung eines Arbeitnehmers an den Entleiher nicht nur vorübergehend, kommt dann nach §§ 10 Abs. 1 S. 1 2. Alt. 9 Nr. 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher zu Stande (LAG Bln.-Bra. 09.01.2013 LAGE § 10 AÜG Nr. 9 = NZA-RR 2013, 234; LAG BW 31.07.2013 LAGE § 10 AÜG Nr. 11; a.A. LAG Saarland 18.12.2013 - 2 TaBV 2/13, LAGE § 1 AÜG Nr. 13; Entscheidung des Gesetzgebers).

45

Eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis deckt zwar nicht eine dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung an einem Entleiher. Eine Überlassung von Arbeitnehmern ist nicht mehr nur vorübergehend, wenn dadurch ein Dauerbeschäftigungsbedarf abgedeckt wird. Das Merkmal vorübergehend ist arbeitsplatzbezogen, nicht personenbezogen. Arbeitnehmerüberlassung, bei der der Leiharbeitnehmer zeitlich unbegrenzt anstelle eines Stammarbeitnehmers eingesetzt werden soll, ist nicht mehr vorübergehend i.S.v. § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG. Anderenfalls wäre dieser Begriff sinnentleert (BAG 10.07.2013 EzA § 1 AÜG Nr. 47 = NZA 2013, 1296; LAG Hmb. 23.09.2014 LAGE § 1 AÜG Nr. 15; ArbG Frankfurt/O. 07.09.2013 - 6 Ca 154/13 , LAGE § 1 AÜG Nr. 10 a; a.A. LAG Hmb. 04.09.2013 LAGE § 1 AÜG Nr. 10; diff. LAG SchlH 08.01.2014 LAGE § 1 AÜG Nr. 14: ja nach Fallkonstellation). Folge der nicht nur vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung ist nach tw. vertretener Auffassung die Unwirksamkeit des Überlassungsvertrags sowie des Arbeitsvertrags nach § 9 Nr. 1 AÜG sowie die Fiktion des Zustandekommens eines Arbeitsvertrags zwischen Arbeitnehmer und Entleiher nach § 10 S. 1 AÜG (LAG BW 31.07.2013, LAGE § 10 AÜG Nr. 11).

46

Das BAG (10.12.2013 - 9 AZR 51/13, EzA § 1 AÜG Nr. 18 = NZA 2014, 196) ist letzterem freilich nicht gefolgt. Besitzt ein Arbeitgeber die nach § 1 Abs. 1 S. 1 AÜG erforderliche Erlaubnis, als Verleiher Dritten (Entleihern) Arbeitnehmer (Leiharbeitnehmer) im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit zu überlassen, kommt zwischen einem Leiharbeitnehmer und einem Entleiher kein Arbeitsverhältnis zustande, wenn der Einsatz des Leiharbeitnehmers entgegen der Regelung in § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG nicht nur vorübergehend erfolgt. § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG fingiert das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses ausschließlich bei fehlender Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis des Verleihers. Für eine analoge Anwendung dieser Vorschrift fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke. Der Gesetzgeber hat bei einer nicht nur vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung bewusst nicht die Rechtsfolge der Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher angeordnet.

47

Das Unionsrecht gibt kein anderes Ergebnis vor. Die Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.11.2008 über Leiharbeit (Leiharbeitsrichtlinie) sieht keine bestimmte Sanktion bei einem nicht nur vorübergehenden Einsatz des Leiharbeitnehmers vor. Art. 10 Abs. 2 S. 1 der Leiharbeitsrichtlinie überlässt die Festlegung wirksamer, angemessener und abschreckender Sanktionen bei Verstößen gegen Vorschriften des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes den Mitgliedsstaaten. Angesichts der Vielzahl möglicher Sanktionen obliegt deren Auswahl dem Gesetzgeber und nicht den Gerichten für Arbeitssachen (BAG 10.12.2013 - 9 AZR 51/13, EzA § 1 AÜG Nr. 18 = NZA 2014, 196).

48

Ob diese Grundsätze, die das BAG (10.12.2013 - 9 AZR 51/13 - EzA § 1 AÜG Nr. 18) bezüglich der nicht vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung aufgestellt hat, auch bei verdeckter Arbeitnehmerüberlassung (Scheinwerk-/Scheindienstvertrag; s. Hamann/Rudnik NZA 2015, 449 ff.) gelten, wird unterschiedlich beurteilt:

49

Z.T. wird angenommen (ArbG Stuttgart 08.04.2014 16 BV 121/13 EzA-SD 20/2014 S. 7 LS), dass dann, wenn ein Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber in einem anderen Unternehmen im Wege eines Werk-/Dienstvertrages eingesetzt wird und sich der Einsatz in Wirklichkeit als verdeckte Arbeitnehmerüberlassung (Schweinwerk-/Scheindienstvertrag) herausstellt, kein Arbeitsverhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und dem anderen Unternehmen (Entleiher) begründet wird, soweit der Arbeitgeber (Verleiher) über eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis i.S.d. § 1 Abs. 1 S. 1 AÜG verfügt (ArbG Stuttgart 08.04.2014 16 BV 121/13 EzA-SD 20/2014 S. 7 LS). Z.T. (LAG BW 03.12.2014 - 4 Sa 41/14 - LAGE § 10 AÜG Nr. 14; a.A: LAG BaWü 07.05.2015 - 6 Sa 78/14 - LAGE § 10 AÜG Nr. 15) wird dagegen angenommen, dass eine als Werkvertrag bezeichnete Arbeitnehmerüberlassung im Einzelfall trotz Vorliegens einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis beim Verleiher zu einer Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher führen kann. Dies ist danach dann der Fall, wenn sowohl dem Verleiher als auch dem Entleiher positiv bekannt ist, dass der Arbeitnehmer in den Betrieb des Entleihers eingegliedert werden soll und der Arbeitnehmer dem Weisungsrecht des Entleihers unterliegen soll. Dies gilt jedenfalls dann, wenn zugleich der Charakter der Arbeitnehmerüberlassung gegenüber dem Arbeitnehmer verschleiert wird. Die Berufung auf das Vorliegen einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis stellt sich damit als ein treuwidriges widersprüchliches Verhalten dar. Dürfen sich Verleiher und Entleiher aber nicht auf die Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis des Verleihers berufen, gilt ein Arbeitsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Entleiher als zustande gekommen gem. §§ 9 Nr. 1, 10 Abs. 1 S. 1 AÜG (LAG BW 03.12.2014 - 4 Sa 41/14 - LAGE § 10 AÜG Nr. 14; a.A: LAG BaWü 07.05.2015 - 6 Sa 78/14, LAGE § 10 AÜG Nr. 15).

50

In Anwendung dieser Grundsätze ist das Arbeitsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass zunächst einmal dahinstehen kann, ob der Kläger, wie er meint, im Rahmen der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung oder, wie von der Beklagten im Einzelnen vorgetragen, im Rahmen eines Werkvertragsverhältnisses beschäftigt worden ist. Jedenfalls hätte es sich nicht um unerlaubte Arbeitnehmerüberlassungen gehandelt. Denn die Arbeitgeber des Klägers waren jeweils im Besitz einer wirksamen Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis. Die Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung war der Firma T. GmbH mit Bescheid vom 06.05.2009 ab dem 10.12.2008 unbefristet erteilt worden. Die gleiche Erlaubnis erhielt die a. GmbH mit Bescheid vom 28.10.2010 ab dem 30.11.2010 unbefristet (vgl. Bl. 149, 150 d.A.).

51

Die Erlaubnisse waren vor dem am 01.12.2011 in Kraft getretenen Gebot einer vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung im Sinne des § 1 Abs. 1 S. 2 AÜG erteilt worden und damit nicht auf vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung beschränkt (BAG 10.12.2013 - 9 AZR 51/13). Eine geänderte Rechtslage führt, darauf hat das Arbeitsgericht zutreffend hingewiesen, nicht zur Unwirksamkeit der einmal erteilten Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis. Den Erlaubnissen ist auch nicht zu entnehmen, dass sie auf eine offene Arbeitnehmerüberlassung beschränkt wären. Vielmehr ist davon auszugehen, dass auch die sogenannte verdeckte Arbeitnehmerüberlassung von einer vorhandenen Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis erfasst wird (LAG Baden-Württemberg 10.10.2014, 17 Sa 22/14).

52

Das Arbeitsgericht hat insoweit ausgeführt:

53

"Dem AÜG ist nicht zu entnehmen, dass eine wirksam erteilte Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung Fälle der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung nicht erfasst. § 1 (Erlaubnispflicht) S. 1 AÜG regelt nur, dass Arbeitgeber, die als Verleiher Dritten (Entleihern) Arbeitnehmer (Leiharbeitnehmer) im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zur Arbeitsleistung überlassen wollen, der Erlaubnis bedürfen. Das Gesetz will damit zum Schutz der eingesetzten Leiharbeitnehmer die illegale Arbeitnehmerüberlassung verhindern. Deswegen ist die Erteilung und der Bestand der Erlaubnis an im Einzeln geregelte Voraussetzungen gebunden (§§ 2 ff. AÜG). Ist dem Verleiher die Erlaubnis wirksam erteilt worden, betreibt dieser in der Folge erlaubte Arbeitnehmerüberlassung. Die Erlaubnis wird dabei dem Verleiher erteilt, wenn dieser die im Gesetz vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt. Die Überlassungsverträge sind demgegenüber nicht Gegenstand der behördlichen Prüfung. Damit kann dem Gesetz eine Beschränkung der Erlaubnis auf offene Arbeitnehmerüberlassung nicht entnommen werden. Eine (tatsächlich gegebene) Arbeitnehmerüberlassung wird somit nicht illegal, wenn sie verdeckt - etwa im Rahmen eines Scheinwerkvertrages - erfolgt (vgl. insbesondere Arbeitsgericht Ludwigshafen am Rhein, Auswärtige Kammern Landau in der Pfalz, 24.07.2014, 5 Ca 447/14)."

54

Damit findet § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG auch dann keine Anwendung, wenn der Einsatz entgegen § 1 Abs. 1 Satz AÜG nicht nur vorübergehend erfolgt, sondern dauerhaft im Rahmen eines Scheinwerk-/Scheindienstvertrages.

55

Diesen Ausführungen folgt die Kammer und stellt dies ausdrücklich fest.

56

Maßgeblich ist allerdings vorliegend auch darauf hinzuweisen, dass hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass überhaupt ein Schweinwerk-/Scheindienstvertrag vorgelegen hat, nach dem tatsächlichen Vorbringen der Parteien in beiden Rechtszügen nicht bestehen. Denn Voraussetzung für die vom Arbeitsgericht aufgegriffene inhaltliche Auseinandersetzung ist, dass der Arbeitnehmer wie ein "eigener Arbeitnehmer" in den Betrieb des Entleihers jeweils eingegliedert ist. Davon kann vorliegend entgegen der Auffassung des Klägers aber nicht ausgegangen werden.

57

Insoweit gelten folgende Grundsätze:

58

Keine Arbeitnehmerüberlassung liegt bei der Entsendung eines Arbeitnehmers durch seinen Arbeitgeber (Werkunternehmer) zu einem Dritten als Besteller im Rahmen eines Werkvertrages (§§ 631, 278 BGB) vor, bei dem ein Erfolg, d. h. ein Ergebnis geschuldet wird und nicht die reine Arbeitsleistung ohne abgrenzbares und feststellbares Ergebnis (vgl. BSG 11.02.1988 AP Nr. 10 zu § 1 AÜG; BAG 225.09.2013 - 10 AZR 282/12, EzA § 611 BGB 2002 Arbeitnehmerbegriff Nr. 25 = NZA 2013, 1348; 21.11.2013 - 6 AZR 23/12, EzA-SD 3/2014 S. 12 LS). Von der Arbeitnehmerüberlassung zu unterscheiden ist also die Tätigkeit eines Arbeitnehmers bei einem Dritten aufgrund eines Werk- oder Dienstvertrages. In diesen Fällen wird der Unternehmer für einen anderen tätig. Er organisiert die zur Erreichung eines wirtschaftlichen Erfolgs notwendige Handlungen nach eigenen betrieblichen Voraussetzungen und bleibt für die Erfüllung der in dem Vertrag vorgesehenen Dienste oder für die Herstellung des geschuldeten Werks gegenüber dem Drittunternehmen verantwortlich. Die zur Ausführung des Dienst- oder Werkvertrags eingesetzten Arbeitnehmer unterliegen den Weisungen des Unternehmers und sind dessen Erfüllungsgehilfen (BAG 18.01.2012 EzA § 1 AÜG Nr. 14 = NZA-RR 2012, 455; 25.09.2013 - 10 AZR 282/12, EzA § 611 BGB 2002 Arbeitnehmerbegriff Nr. 25; s. Greiner NZA 2013, 697 ff.; Maschmann NZA 2013, 1305 ff; Lembke NZA 2013, 1312 ff.).

59

Maßgeblich für die Abgrenzung ist weder die von den Parteien gewünschte Rechtsfolge noch die Bezeichnung des Vertrags durch die Parteien, sondern der tatsächliche Inhalt der Vereinbarung, der sich aus dem Wortlaut des Vertrages und dessen tatsächlicher Abwicklung ergebende wirkliche Wille der Vertragspartner, sofern die aufseiten der Vertragsparteien zum Vertragsabschluss berechtigten Personen die abweichende Vertragspraxis kannten und sie zumindest geduldet haben (BAG 06.08.2003 EzA § 1 AÜG Nr. 13; BGH 25.06.2002 NZA 2002, 1086 m. Anm. Schüren/Riederer/Frfr. von Paar SAE 2004, 61 ff;. BAG 25.09.2013 - 10 AZR 282/12, EzA § 611 BGB 2002 Arbeitnehmerbegriff Nr. 25 = NZA 2013, 1348; 21.11.2013 - 6 AZR 23/12, EzA-SD 3/2014 S. 12 LS; BAG BW 01.08.2013 LAGE § 10 AÜG Nr. 11 = NZA 2013, 1017; s. Heise/Friedl NZA 2015, 129 ff., Scrum). Über die rechtliche Einordnung des Vertrags zwischen dem Dritten und dem Arbeitgeber entscheidet also der Geschäftsinhalt und nicht die von den Parteien gewünschten Rechtsfolge oder eine Bezeichnung, die dem tatsächlichen Geschäftsinhalt nicht entspricht (BAG 18.01.2012 EzA § 1 AÜG Nr. 14 = NZA-RR 2012, 455; 25.09.2013 - 10 AZR 282/12, EzA § 611 BGB 2002 Arbeitnehmerbegriff Nr. 25 = NZA 2013, 1348; LAG BW 01.08.2013 LAGE § 10 AÜG Nr. 11; s. Greiner NZA 2013, 697 ff.; Maschmann NZA 2013, 1305 ff; Lembke NZA 2013, 1312 ff.).

60

Die Parteien können die zwingenden Schutzvorschriften des AÜG nicht dadurch umgehen, dass sie einen vom tatsächlichen Geschäftsinhalt abweichenden Vertragstyp wählen (BGH 25.06.2002 NZA 2002, 1086; BAG 25.09.2013 - 10 AZR 282/12, EzA § 611 BGB 2002 Arbeitnehmerbegriff Nr. 25 = NZA 2013, 1348). Widersprechen sich die ausdrücklichen Vereinbarungen der Vertragsparteien und die praktische Durchführung, ist die tatsächliche Durchführung des Vertrages maßgebend. Insoweit sind allerdings einzelne Vorgänge der Vertragsabwicklung zur Feststellung eines vom Vertragswortlaut abweichenden Geschäftsinhalts nur geeignet, wenn es sich dabei nicht um untypische Einzelfälle, sondern um beispielhafte Erscheinungsformen einer durchgehend geübten Vertragspraxis handelt (BAG 06.08.2003 EzA § 1 AÜG Nr. 13; 25.09.2013 - 10 AZR 282/12, EZA § 611 BGB 2002 Arbeitnehmerbegriff Nr. 25 = NZA 2013, 1348; s. Werths BB 2014, 1408 ff.).

61

Richten sich die vom Auftragsnehmer zu erbringenden Leistungen nach dem Bedarf des Auftraggebers, so spricht dies ganz erheblich gegen das Vorliegen eines Werk- oder Dienstvertrages und für eine Eingliederung der Arbeitnehmer in den Betrieb des Auftraggebers. Insofern fehlt es an einer abgrenzbaren, dem Auftragnehmer als eigene Leistung zurechenbaren und abnahmefähigen Werkes. Dies deutet auf Arbeitnehmerüberlassung hin, wenn der Auftraggeber durch seine Anweisungen den Gegenstand der von dem Arbeitnehmer zu erbringenden Leistungen überhaupt erst bestimmt und damit Arbeit und Einsatz bindend organisiert. Gleiches gilt für die Abgrenzung zu einem Dienstvertrag. Gegen die Einordnung als Arbeitnehmerüberlassung spricht nicht entscheidend, dass in einem Leistungsverzeichnis zum Werkvertrag die Vergütung der Arbeiten der Fleisch- und Wurstproduktion nach kg oder Stück berechnet wird (LAG Bln-Bra. 12.12.2012 LAGE § 9 AÜG Nr. 13).

62

Arbeitnehmerüberlassung i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AÜG liegt nicht vor, wenn nicht festgestellt werden kann, dass die dem Auftraggeber zur Verfügung gestellten Arbeitskräfte in dessen Bereich eingegliedert sind und ihre Arbeit allein nach seinen Weisungen (des Auftraggebers) und in dessen Interesse ausführen. Diesem Ergebnis entgegen steht nicht, dass sich die Aufgabe des Auftragnehmers bei Durchführung des Auftrags im Wesentlichen auf die Auswahl der Arbeitnehmer und ihre Einteilung in Schichten beschränkt. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Auftragnehmer für die ordnungsgemäße Durchführung der Aufgabeninhalte noch verantwortlich bleibt, zur Gewährung verpflichtet ist und für die Umsetzung des Vertrages vor Ort Ansprechpartner bereitstellt (LAG Niedersachsen 19.01.2015 - 8 Sa 643/14 - LAGE § 1 AÜG >Nr. 16).

63

Maßgeblich sind (vgl. BAG 06.08.2003 EzA § 1 AÜG Nr. 13; LAG Bln-Bra. 12.12.2012 - 15 Sa 1217/12, BB 2013, 1020; LAG BW 01.08.2013 LAGE § 10 AÜG NR. 11 = NZA 2013, 1017; ArbG Bln. 05.09.2013 - 33 Ca 5347/13, LAGE § 1 AÜG Nr. 12; s.a. Marschner NZA 1995, 668 ff.; Greiner NZA 2013, 697 ff.; Maschmann NZA 2013, 1305 ff; Lembke NZA 2013, 1312 ff.; Ulrici NZA 2015, 456 ff; s. Heise/Friedl NZA 2015, 129 ff.) folgende Kriterien:

64

Für einen Werkvertrag spricht die Übernahme einer Gewährleistung für ein bestimmtes Ergebnis der Arbeiten. Andererseits schließt der Ausschluss der Gewährleistung des Unternehmens für Mängel des Werkes gem. § 637 BGB das Vorliegen eines Werkvertrages nicht aus. Trotz ausgeschlossener Gewährleistung kann deshalb ein Werkvertrag vorliegen, wenn das vereinbarte Werk besondere Risiken aufweist, die vorher nicht erkennbar sind, sodass wirtschaftlich ein Ausschluss der Gewährleistungsansprüche sinnvoll erscheint. Gleiches gilt, wenn üblicherweise die Haftung vom Werkunternehmer nicht übernommen oder jedenfalls beschränkt wird, wie dies z. B. in der Bauwirtschaft (§ 13 Teil B VOB) der Fall ist.

65

Die Übernahme der Vergütungsgefahr bei zufälligem Untergang des Werks spricht (vgl. § 644 Abs. 1 BGB) für einen Werkvertrag, ebenso wenn der Unternehmer Art und Einteilung der Arbeiten selbst bestimmen kann, insbes. auch wie viele und welche Erfüllungsgehilfen, mit welchen Geräten und zu welcher Zeit er zum Er-reichen des Erfolgs einsetzt.

66

Für Arbeitnehmerüberlassung spricht dagegen, wenn bestimmte namentlich benannte Arbeitnehmer entsandt werden müssen oder wenn der angebliche Besteller sich ein Mitspracherecht bei der Erteilung von Urlaub oder Freizeit an die angeblichen Erfüllungsgehilfen sichert.

67

Das Weisungsrecht des Werkbestellers (vgl. § 645 BGB) ist auf die Herstellung des jeweils geschuldeten Werks gegenständlich beschränkt. Sobald seine Weisungen darüber hinausgehen, spricht dies für Arbeitnehmerüberlassung (s. LAG Düsseld. 10.03.2008 - 17 Sa 856/07 - FA 2008, 279 LS).

68

Wird die Vergütung für die Arbeiten nach der Zahl der geleisteten Arbeitsstunden bemessen, so spricht dies für Arbeitnehmerüberlassung. Denn bei einer Abrechnung nach Zeiteinheiten wird die Arbeitsleistung von Arbeitnehmern für eine bestimmte Zeit geschuldet, bei der Abrechnung nach Ergebnissen ist hingegen ein Erfolg i.S.v. Werkvertragsrecht Vertragsgegenstand. Andererseits schließt auch eine Abrechnung nach Maßeinheiten (z.B. Bauten, Quadratmetern) die Annahme einer Arbeitnehmerüberlassung nicht aus.

69

Arbeitnehmerüberlassung liegt dann vor, wenn der Werkunternehmer nicht über die betrieblichen und personellen Voraussetzungen verfügt, die Tätigkeit der von ihm zur Erfüllung seiner vertraglichen Pflichten im Betrieb eines Dritten eingesetzten Arbeitnehmer vor Ort zu organisieren und ihnen Weisungen zu erteilen (BAG 09.11.1994 EzA § 10 AÜG Nr. 8; s.a. LAG Düsseld. 10.03.2008 - 17 Sa 856/07 - FA 2008, 279 Ls).

70

Die vertragliche Festlegung eines zeitlichen Rahmens für die Erbringung der vereinbarten Leistungen im Betrieb reicht als Vorgabe von äußeren Umständen, wann und wo die geschuldeten Arbeiten durchzuführen sind, nicht aus, um eine Eingliederung der die Leistung erbringenden Personen in den Betrieb und dessen Organisation zu begründen (BAG 13.05.1992 NZA 1993, 357).

71

Richten sich die vom Auftragnehmer zu erbringenden Leistungen z.B. nach dem Bedarf des Auftraggebers, so spricht dies -wie bereits dargelegt- ganz erheblich gegen das Vorliegen eines Werk- oder Dienstvertrages und für eine Eingliederung in den Betrieb des Auftraggebers. Denn insofern fehlt es an einer abgrenzbaren, dem Auftragnehmer als eigene Leistung zurechenbaren und abnahmefähigen Werkes. Dies deutet auf Arbeitnehmerüberlassung hin, wenn der Auftraggeber durch seine Anweisungen den Gegenstand der vom Arbeitnehmer zu erbringenden Leistungen überhaupt erst bestimmt und damit Arbeit und Einsatz bindend organisiert. Gleiches gilt für die Abgrenzung zu einem Dienstvertrag. Demgegenüber spricht gegen die Einordnung als Arbeitnehmerüberlassung nicht entscheidend, dass in einem Leistungsverzeichnis zum Werkvertrag die Vergütung der Arbeiten der Fleisch-und Wurstproduktion nach kg oder Stück berechnet wird.

72

Ein zwischen einem Werkunternehmen (hier: IT-Dienstleister) und dem Dritten vereinbartes Ticketsystem (EDV-spezifische Aufträge von Arbeitnehmern des Dritten werden nach Eröffnung eines Tickets vom Dritten bearbeitet) ist unproblematisch dem Werkvertragsrecht zuzuordnen. Wenn allerdings Arbeitnehmer des Dritten außerhalb dieses Ticketsystems in größerem Umfang Beschäftigte des Werkunternehmens direkt beauftragen und unter zeitlich-örtlichen Vorgaben auch personenbezogene Anweisungen erteilen, spricht dies für Arbeitnehmerüberlassung. Wenn es sich bei diesen Direktbeauftragungen nicht um untypische Einzelfälle, sondern um beispielhafte Erscheinungsformen einer durchgehend geübten Vertragspraxis handelt, ist von einem Scheinwerkvertrag auszugehen (LAG BW 01.08.2013 LAGE § 10 AÜG Nr. 11 = NZA 2013, 1017; Hamann/Rudnik NZA 2015, 449 ff., s. Heise/Friedl NZA 2015, 129 ff: Scrum).

73

Insoweit gilt hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast Folgendes:

74

Will ein in einem Drittbetrieb eingesetzter Arbeitnehmer geltend machen, zwischen ihm und dem Inhaber des Drittbetriebes gelte gem. § 10 Abs. 1 S. 1. i.V.m. § 9 Nr. 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis als zustande gekommen, und ist streitig, ob sein Einsatz in dem Drittbetrieb aufgrund eines Arbeitnehmerüberlassungsvertrages oder eines Dienst- oder Werkvertrages erfolgt ist, so muss er diejenigen Umstände darlegen und beweisen, aus denen sich das Vorliegen von Arbeitnehmerüberlassung ergibt. Der Arbeitnehmer kann sich nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungs- und Beweislast allerdings zunächst auf die Darlegung solcher Umstände beschränken, die seiner Wahrnehmung zugänglich sind und auf Arbeitnehmerüberlassung hindeuten (Eingliederung, Weisungsstruktur). Dann ist es Sache des Arbeitgebers, die für das Gegenteil sprechenden Tatsachen darzulegen und zu beweisen, wonach die Abgrenzungskriterien Eingliederung und Weisungsstruktur auch in der gelebten Vertragsdurchführung werkvertragstypisch ausgestaltet sind (LAG BW 01.08.2013 - 2 Sa 6/13, LAGE § 10 AÜG Nr. 11 = NZA 2013, 1017; s. Francken NZA 2013, 985 ff.; Werths BB 2014, 1408 ff., s. Heise/Friedl NZA 2015, 129 ff.; Scrum).

75

Arbeitnehmerüberlassung liegt auch dann nicht vor, wenn Arbeitnehmer im Rahmen eines Dienstvertrags (§§ 611 ff. BGB) als Erfüllungsgehilfen bei dem Dritten (Dienstberechtigten) selbstständige Dienstleistungen erbringen und das dienstleistende Unternehmen die Dienste unter eigener Verantwortung und nach eigenem Plan durchführt (s. BAG 21.11.2013 - 6 AZR 23/2014 S. 12 LS).

76

Das kann z. B. dann der Fall sein, wenn unter räumlicher Trennung vom übrigen Betrieb des Dienstberechtigten und von dessen Arbeitnehmern ein abgrenzbarer Teil des Post- oder Abrechnungsverkehrs erledigt wird und der Dienstverpflichtete für die ordnungsgemäße Abwicklung die Verantwortung trägt (BAG 14.08.1985 EzA AÜG Nr. 186).

77

Etwas anderes gilt aber dann, wenn die Arbeitnehmer in die Betriebsorganisation des angeblichen Dienstberechtigten einbezogen werden (LAG Düsseld. 10.03.2008 - 17 Sa 856/07, FA 2008, 279 LS).

78

Zur Abgrenzung BAG 21.11.2013 - 6 AZR 23/12, EzA-SD 3/2014 S. 12 LS:

79

"Ein Arbeitsverhältnis unterscheidet sich von den Rechtsverhältnissen eines Werkunternehmers oder selbständig Dienstleistenden entscheidend durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit (vgl. für die Abgrenzung zum Werkvertrag BAG 25.09.2013 - 10 AZR 282/12, Rn. 16; BGH 25.06.2002 - X ZR 83/00, zu I 2 b aa der Gründe). Arbeitnehmer ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienst eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen. Arbeitnehmer ist derjenige, der nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann (vgl. § 84 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 HGB; BAG 25.09.2013 - 10 AZR 282/12, Rn.1 6 m.w.N.; 29.08.2012 - 10 AZR 499/11, Rn. 15). Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt dabei auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Ob ein Werkvertrags-, ein Dienst- oder ein Arbeitsverhältnis besteht, zeigt der wirkliche Geschäftsinhalt. Zwingende gesetzliche Regelungen für Arbeitsverhältnisse können nicht dadurch abbedungen werden, dass Parteien ihr Arbeitsverhältnis anders bezeichnen (vgl. BAG 25.09.2013 - 10 AZR 282/12, Rn. 16).

80

Welches Rechtsverhältnis begründet wurde, ist anhand einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls zu ermitteln. Der objektive Geschäftsinhalt ist den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen und der praktischen Durchführung des Vertrags zu entnehmen. Widersprechen sich Vereinbarung und tatsächliche Durchführung ist die tatsächliche Durchführung maßgebend (vgl. BAG 25.09.2013 - 10 AZR 282/12, Rn. 17; 29.08.2012 - 10 AZR 499/11, Rn. 15)."

81

Für das Vorliegen einer tatsächlichen Eingliederung in den Betrieb der Beklagten wie an "eigene Arbeitnehmer" war der Kläger vorliegend darlegungs- und beweisbelastet. Seinem tatsächlichen Vorbringen lassen sich, worauf die Beklagte in beiden Rechtszügen zutreffend hingewiesen hat, aber keine hinreichenden konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass diese Voraussetzungen erfüllt sein könnten. Der Kläger hat in beiden Rechtszügen immer wiederkehrend pauschal behauptet, er sei unter vollständiger Integration in die Unternehmensstruktur der Beklagten im Werk W. sowohl in vertikaler als auch in horizontaler Hinsicht tätig gewesen und in die Kommunikations- und Entscheidungsprozesse im Unternehmen der Beklagten vollständig eingebunden gewesen. Wer, wem und inwieweit welche das Rechtsverhältnis prägende Weisungen erteilt hat, lässt sich danach nicht feststellen, worauf die Beklagte zutreffend hingewiesen hat. Soweit der Kläger seine Tätigkeiten beschrieben hat, ist darauf hinzuweisen, dass diese nach Maßgabe der gesetzlichen Regelungen sowohl im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses, als auch im Rahmen eines Werkvertrages ebenso wie im Rahmen eines Dienstvertrages ausgeführt werden können. Nach Inhalt, Ort, Zeitpunkt und beteiligten Personen substantiiertes tatsächliches Vorbringen, dass der Kammer insoweit die erforderliche Rechtsanwendung ermöglicht hätte, fehlt in beiden Rechtszügen vollständig.

82

Zwar kommen im Rahmen arbeitsrechtlicher Auseinandersetzungen auch Erleichterungen hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast in Betracht. Deren Voraussetzungen sind vorliegend aber nicht gegeben.

83

So gilt z. B. im Rahmen des § 23 Abs. 1 KSchG hinsichtlich der für den Arbeitnehmer unter Umständen nicht ohne weiteres möglichen Darstellung hinsichtlich der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer Folgendes:

84

Der Arbeitnehmer muss nach der Rechtsprechung des BAG (23.03.1984 EzA § 23 KSchG Nr. 7; 26.06.2008 EzA § 23 KSchG Nr. 32) also an sich im Einzelnen darlegen und bei Bestreiten des Arbeitgebers beweisen, dass er in einem Betrieb tätig ist, in dem i.d.R. mehr als zehn (bzw. fünf) Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten unter Berücksichtigung der Teilzeitarbeitnehmer mit dem jeweiligen Stundendeputat beschäftigt werden, denn der Arbeitnehmer trägt die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der betrieblichen Voraussetzung für eine Geltung des KSchG (BAG 15.03.2001 EzA § 23 KSchG Nr. 23; zuletzt 24.02.2005 EzA § 23 KSchG Nr. 28; APS/Moll 3.Aufl. § 23 KSchG Rn. 50). Danach gehört ein solcher Vortrag grds. zur Begründung der Klage.

85

"Allerdings dürfen wegen der Sachnähe des Arbeitgebers an die Darlegungslast des Arbeitnehmers keine zu strengen Anforderungen gestellt werden. Denn dem objektiven Gehalt der Grundrechte (Art. 12 GG) kommt im Verfahrensrecht eine hohe Bedeutung zu (BVerfG 27.01.1998 EzA § 23 KSchG Nr. 17; BAG 26.06.2008 EzA § 23 KSchG Nr. 32). Der Stellenwert der Grundrechte muss sich insbes. in der Darlegungs- und Beweislastverteilung widerspiegeln (s. BAG 23.03.1984 EzA § 23 KSchG Nr. 7; 15.03.2001 EzA § 23 KSchG Nr. 23). Dies gilt umso mehr, als der Arbeitgeber aufgrund seiner Sachnähe ohne Weiteres substantiierte Angaben zum Umfang und zur Struktur der Mitarbeiterschaft und ihrer arbeitsvertraglichen Vereinbarungen machen kann. Dementsprechend genügt der Arbeitnehmer regelmäßig seiner Darlegungslast, wenn er die für eine entsprechende Arbeitnehmerzahl sprechenden Tatsachen und ihm bekannten äußeren Umstände schlüssig darlegt. Der Arbeitgeber muss dann nach § 138 Abs. 2 ZPO im Einzelnen erklären, welche rechtserheblichen Umstände gegen solche substantiierten Darlegungen des Arbeitnehmers sprechen. Es ist darauf zu achten, dass vom Arbeitnehmer nicht Darlegungen verlangt werden, die er mangels eigener Kenntnismöglichkeiten gar nicht erbringen kann (BAG 18.01.1990 EzA § 23 KSchG Nr. 9; 26.06.2008 EzA § 23 KSchG Nr. 32; LAG Köln 28.05.2003 - 3 Sa 723/02, EzA-SD 19/03, S. 11 LS).

86

Wenn auch die Voraussetzungen der Nichtanwendbarkeit des materiellen Kündigungsschutzrechts in ein sprachliches Gewand gekleidet sind, das ein Verständnis der Norm als Einwendungstatbestand nahe zu legen scheint, so lässt sich doch nicht übersehen, dass der Sache nach mit § 23 KSchG eine Anspruchsvoraussetzung beschrieben ist. Sozial ungerechtfertigt kann eine Kündigung nur bei Überschreitung des Schwellenwerts sein. Nur dann kann der Arbeitnehmer die fehlende soziale Rechtfertigung mit der in § 4 S. 1 KSchG geregelten Klage geltend machen. Ferner hat der Gesetzgeber den Wortlaut des § 23 KSchG trotz verschiedentlicher Neuregelungen im hier maßgeblichen Punkt unverändert gelassen, obwohl ihm die seit Jahrzehnten bestehende bisherige Rechtsprechung bekannt war. Dies spricht dafür, dass er sie gebilligt hat und auch die Neufassung im bisherigen Sinne verstanden wissen wollte. Nichts anderes folgt aus dem Gesichtspunkt der Sachnähe. Zwar ist der Arbeitgeber nahezu immer derjenige, der von allen denkbaren Personen am besten weiß, wer zu welcher Zeit bei ihm in welcher Weise beschäftigt war. Abgesehen von Sonderfällen kennt der Arbeitgeber zumindest deutlich besser als jeder Arbeitnehmer die entsprechenden Tatsachen und kann sie ohne Schwierigkeiten in den Prozess einführen. Diesem Umstand trägt aber schon die bisherige Rechtsprechung Rechnung, weil sie dem Arbeitgeber die - sekundäre - Vortragslast für alle in seiner Sphäre fallenden Tatsachen auferlegt. Richtig ist, dass durch die Heraufsetzung des Schwellenwerts die Darlegung für den Arbeitnehmer schwieriger geworden ist. Von den nunmehr aus dem Geltungsbereich herausgenommenen Unternehmen kann nicht generell gesagt werden, es handele sich um kleine und für jeden Arbeitnehmer leicht einsichtige, weil letztlich abzählbare, Verhältnisse. Unter Einbeziehung von Teilzeitbeschäftigten kann es sich bei den Kleinbetrieben nach dem jetzigen Recht um solche handeln, die bis zu 30 Arbeitnehmer beschäftigen. Es kann geschehen, dass ein Arbeitnehmer unter solchen Umständen sogar von der Existenz anderer Arbeitnehmer nichts weiß und nichts wissen kann. Indes gereicht dieser Umstand dem Arbeitnehmer nicht zum Nachteil, da vom Arbeitnehmer nur der Vortrag der ihm bekannten Tatsachen verlangt wird und der Arbeitgeber sich daraufhin vollständig und wahrheitsgemäß erklären muss. Zu berücksichtigen ist weiter folgende Überlegung: Wollte man die Beweislast für die Nichterreichung des Schwellenwerts dem Arbeitgeber auferlegen, so hieße das, von ihm den Beweis einer negativen Tatsache zu verlangen. Die Auferlegung der Beweislast für eine negative Tatsache (probatio diabolica) ist zwar nicht schlechthin unzulässig (MünchKomm-ZPO/Prütting 3. Aufl. § 286 Rn. 127). Sie ist meist bei anspruchsbegründenden Tatsachen gerechtfertigt und zwar in Fällen, in denen für die korrespondierende positive Tatsache gewisse oder sogar erhebliche Anhaltspunkte sprechen (vgl. BGH 28.02.2007 - XII ZR 95/04, NGHZ 171, 232). Sie wäre aber für den Arbeitgeber im Rahmen des § 23 KSchG eine - ebenfalls unter dem Gesichtspunkt des Art. 12 GG - erhebliche Belastung: Der Arbeitnehmer könnte mit der bloßen Behauptung, es gebe noch diesen oder jenen weiteren Arbeitnehmer, dessen Nichtvorhandensein nachzuweisen naturgemäß schwierig - wenn nicht unmöglich - sein kann, einen ihm in Wahrheit nicht zustehenden Kündigungsschutz erreichen. In der Wirkung gleicht die Beweislast für eine negative Tatsache (Schwellenwert nicht erreicht) der widerleglichen Vermutung der entsprechenden positiven Tat-sache (Schwellenwert erreicht). Angesichts des Umstands, dass etwas 80 % der Betriebe in Deutschland den Schwellenwert nicht erreichen, stünde die Verschiebung der Beweislast auf den Arbeitgeber in Widerspruch zu den tatsächlichen Verhältnissen, auf die sie sich bezöge. All dem kann am besten mit den Grundsätzen der abgestuften Darlegungs-und Beweislast Rechnung getragen werden. Dabei ist darauf zu achten, dass vom Arbeitnehmer nicht Darlegungen verlangt werden, die er mangels eigener Kenntnismöglichkeiten nicht erbringen kann" (BAG 26.06.2008 EzA § 23 KSchG Nr. 32).

87

Bei dieser Handhabung des Verfahrensrechts ist hinreichend sichergestellt, dass der durch die Regelungen des Kündigungsschutzgesetzes gewährleistete Sozialschutz nicht leer läuft. Auch Art. 30 GRC, wonach jeder Arbeitnehmer nach dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten Anspruch auf Schutz vor ungerechtfertigten Entlassungen hat - ungeachtet der Frage derzeitigen rechtlichen Wirkungen der Grundrechtecharta - verlangt keine abweichende Bewertung (BAG 23.10,.2008 EzA § 23 KSchG Nr. 33; s.a. Meyer NZA 2014, 993 ff.).

88

Der Arbeitnehmer genügt seiner Darlegungslast deshalb bereits dann, wenn er die ihm bekannten Anhaltspunkte dafür vorträgt, dass kein Kleinbetrieb vorliegt; dazu gehört es z. B. dass er die für eine entsprechende Arbeitnehmerzahl sprechenden Tatsachen und die ihm bekannten äußeren Umstände schlüssig darlegt (BAG 26.06.208 EzA § 23 KSchG Nr. 32). Dazu hat er, soweit bekannt und ggf. unter konkreter Benennung der Personen anzugeben, welche Arbeitnehmer zum Kündigungszeitpunkt im Betrieb beschäftigt waren (LAG SchlH 18.06.2008 - 6 Sa 4/08, EzA-SD 19/2008 S. 5 LS). Mangels eigener Kenntnismöglichkeit reicht es dann sogar aus, wenn er lediglich behauptet, der Arbeitgeber beschäftigt mehr als zehn Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber muss sich daraufhin vollständig zur Anzahl der Beschäftigten unter Benennung der ihm zur Verfügung stehenden Beweismittel erklären; dazu können Vertragsunterlagen, Auszüge aus der Lohnbuchhaltung, Zeugen usw. gehören. Dazu muss daraufhin der Arbeitnehmer Stellung nehmen und Beweis antreten. Her er keine eigenen Kenntnisse über die vom Arbeitgeber behaupteten Tatsachen, kann er sich auf die aus dem Vorbringen des Arbeitgebers ergebenden Beweismittel stützen und die ihm bekannten Anhaltspunkte dafür vortragen, dass entgegen den Angaben des Arbeitgebers der Schwellenwert doch erreicht ist. Auf die Möglichkeit, sich der vom Gegner benannten Beweismittel zu bedienen, ist der primär Darlegungspflichtige vom ArbG nach § 139 ZPO hinzuweisen, wenn er sie erkennbar übersehen hat (BAG 26.06.2008 EzA § 23 KSchG Nr. 32; LAG SchlH 18.06.2008 - 6 Sa 4/08, EzA-SD 19/2008 S. 5 LS).

89

Das lässt sich wie folgt verdeutlichen: In verfassungskonformer Auslegung der §§ 138, 139 BGB vor dem Hintergrund des Justizgewährungsanspruchs des Art. 19Abs. 4 GG darf von keiner Prozesspartei beim Sachvortrag etwas Unmögliches verlangt werden; was sie nicht wissen kann, kann sie nicht darlegen müssen. Das steht im Spannungsfeld mit einer umfassenden Substantiierungspflicht. Gelöst wird dieser Konflikt in jedem Einzelfall nach dem Prinzip der Sachnähe; je näher die Prozesspartei am fraglichen Geschehen selbst unmittelbar beteiligt ist und deshalb Kenntnisse haben kann und muss, desto intensiver und detaillierter muss sie vortragen. Nichts anderes gilt für den daraufhin gebotenen Sachvortrag des Prozessgegners. Dabei muss der Sachvortrag wahrheitsgemäß sein.

90

Letzteres folgt aus § 138 Abs. 1 ZPO. Ohne Verstoß gegen die Wahrheitspflicht darf eine Partei deshalb z. B. dann nicht die Behauptung der Gegenpartei bestreiten, wenn ihr subjektiver Wissensstand darauf schließen lässt, die erhobene Behauptung sei unwahr. Lässt dagegen ihr subjektiver Wissensstand diesen Schluss nicht zu, so darf sie nicht bestreiten. Sie darf sich auch nicht mit Nichtwissen erklären, wenn sie eigene Kenntnisse hat, die für die Wahrheit der Behauptung sprechen (BAG 15.01.2014 EzA § 4 TVG Bauindustrie Nr. 144).

91

Bleibt auch nach Beweiserhebung unklar, ob die für den Kündigungsschutz erforderliche Beschäftigtenzahl erreicht ist, geht dieser Zweifel allerdings letztlich zulasten des Arbeitnehmers (BAG 26.06.2008 EzA § 23 KSchG Nr. 32).

92

Auf diese Grundsätze hat sich der Kläger vorliegend berufen, in dem er geltend gemacht hat, er könne erst dezidierter tatsächlich vortragen, wenn die Beklagte ihre Vertragsunterlagen mit seinem - des Klägers - formellen "Arbeitgeber" vollständig vorgelegt habe. Dies trifft jedoch nicht zu. Denn ein tatsächlicher Ansatzpunkt für die Annahme einer sekundären Darlegungslast zu Lasten der Beklagten mit dem vom Kläger geltend gemachten Inhalt, obwohl dem Kläger die Darlegungs- und Beweislast obliegt, kommt erst dann in Betracht, wenn konkreteres tatsächliches Vorbringen dem Kläger in dem geforderten Maße tatsächlich unmöglich wäre und er des Vorbringens der Beklagten bedürfte, um überhaupt den hier zu stellenden Anforderungen an die Darlegungslast zu genügen. Davon kann vorliegend aber nicht ausgegangen werden. Denn der Kläger hat über Jahre hinweg seine Tätigkeit im Betrieb der Beklagten vor Ort verrichtet. Folglich ist er ohne Weiteres aufgrund der dadurch gegebenen Sachnähe auch in der Lage, im Einzelnen unter vorsorglichem Beweisantritt nach Inhalt, Ort, Zeitpunkt und beteiligten Personen darzulegen, wie sich die tatsächliche Arbeitstätigkeit im Alltag gestaltet hat, wer also ihm insbesondere welche Weisungen erteilt hat usw. Vor diesem Hintergrund kommt eine Erleichterung der Anforderungen an die Darlegungslast im Hinblick auf eine hilfsweise eingreifende sekundäre Darlegungslast der Beklagten im hier zu entscheidenden Einzelfall nicht in Betracht.

93

Folglich ist die Klage voll umfänglich unbegründet.

94

Das Berufungsvorbringen des Klägers rechtfertigt keine abweichende Beurteilung des hier maßgeblichen Lebenssachverhalts. Denn es enthält, wie dargelegt, keinerlei neue, nach Inhalt, Ort, Zeitpunkt und beteiligten Personen substantiierte Tatsachenbehauptungen, die zu einem anderen Ergebnis führen könnten. Gleiches gilt für etwaige Rechtsbehauptungen. Es macht unter Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens lediglich - wenn auch aus der Sicht des Klägers heraus verständlich - deutlich, dass der Kläger mit der tatsächlichen und rechtlichen Würdigung des schriftsätzlichen Vorbringens der Parteien in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht durch das Arbeitsgericht, dem die Kammer im Ergebnis folgt, nicht einverstanden ist. Weitere Ausführungen sind folglich nicht veranlasst.

95

Nach alledem war die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

96

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

97

Für eine Zulassung der Revision war nach Maßgabe der gesetzlichen Kriterien des § 72 ArbGG keine Veranlassung gegeben.

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