Urteil vom Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt (6. Kammer) - 6 Sa 533/08

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Halberstadt vom 19.11.2008 – 3 Ca 647/08 – teilweise unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Die gegen die Kündigung vom 16.07.2008 gerichtete Kündigungsschutzklage wird abgewiesen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.159,11 EUR brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 17.09.2008 zu zahlen.

II. Die Anschlussberufung der Klägerin in Form des Auflösungsantrages sowie der gegen die ordentliche Kündigung vom 16.07.2008 gerichteten Kündigungsschutzklage wird zurückgewiesen.

III. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 4/5 und die Beklagte 1/5.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses aufgrund einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung der Beklagten, über die von der Klägerin weiter begehrte Auflösung ihres Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung sowie über Vergütungs- und Urlaubsabgeltungsansprüche.

2

Die Klägerin war jedenfalls seit dem Jahr 1990 für die Beklagte zuletzt als Buchhalterin beschäftigt. Ob auf ihre Betriebszugehörigkeit auch Tätigkeiten bei der P R G beginnend im Jahr 1974 anzurechnen sind, ist zwischen den Parteien streitig.

3

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 16.07.2008 (Bl. 3 d.A.) fristlos, ersatzweise zum nächstgültigen Termin. Sie stützt diese Kündigung auf eine ihrer Auffassung nach schwerwiegende Pflichtverletzung der Klägerin, nämlich eine Selbstbeurlaubung für den Zeitraum von 2 Wochen beginnend am 11.07.2008.

4

Diese Kündigung ist von der Beklagten am 16.07.2008 in den Hausbriefkasten der damals abwesenden Klägerin eingeworfen worden. Sie hat am 29.07.2008 bei der Rechtsantragstelle des damaligen Arbeitsgerichts Halberstadt Kündigungsschutzklage erhoben und dabei folgenden Antrag zu Protokoll erklärt: „Es wird festgestellt, dass die fristlose Kündigung vom 16.07.2008 – der Klägerin zugegangen am 28.07.2008 – rechtsunwirksam ist.“ Weiter hat die Klägerin zu Protokoll erklärt, sie möchte mit dieser Klage festgestellt wissen, dass die außerordentliche Kündigung ungerechtfertigt erfolgte und damit rechtsunwirksam ist. Abschließend hat sie in der Klagebegründung auf die Anwendbarkeit des KSchG hingewiesen.

5

Die Klägerin hat die behaupteten Kündigungsgründe bestritten und die Auffassung vertreten, der Kündigung komme keine Rechtswirksamkeit zu.

6

Im weiteren Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens hat die Klägerin ihre Klage erweitert und anteilige Vergütung für den Monat Juli 2008 einschließlich Urlaubsabgeltung in der von der Beklagten abgerechneten (Abrechnung Bl. 18 d.A.) Höhe von 1.159,11 EUR brutto geltend gemacht.

7

Die Klägerin hat ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 19.11.2008 (Bl. 49, 50 d.A.) die folgenden, von ihr nach Vorlesen genehmigten Anträge gestellt:

8

1. Festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung vom 16.07.2008, der Klägerin zugegangen am 28.07.2008, nicht aufgelöst wird,

9

2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.159,11 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

10

Die Beklagte hat beantragt,

11

die Klage abzuweisen.

12

Die Beklagte hat behauptet, die Klägerin habe, obwohl der von ihr beantragte Urlaub ausdrücklich seitens des Geschäftsführers ihrer Komplementär GmbH, Herrn W (im Folgenden: Geschäftsführer) in zwei Gesprächen am 02. und am 08.07.2008 abgelehnt worden sei, dennoch ab dem 11.07.2008 unberechtigt ihren gewünschten Erholungsurlaub angetreten. Gegenstand der vorgenannten Gespräche seien – unstreitig – Kassendifferenzen bei der von der Klägerin geführten Handkasse gewesen. Da die Ursache dieser Kassendifferenzen nicht habe geklärt werden können, habe der Geschäftsführer sowohl gegenüber der Klägerin als auch gegenüber dem, in einer Schwestergesellschaft tätigen Mitarbeiter S erklärt, bis zur Aufklärung des Sachverhaltes werde weder der Klägerin noch Herrn S Urlaub bewilligt. Diese „Urlaubssperre“ sei der Klägerin auch bewusst gewesen, sie habe nämlich am 10.07.2008 den Prokuristen des Schwesterunternehmens E, Herrn H …, auf ihren verweigerten Urlaub angesprochen. Dieser habe entgegnet, er habe davon keine Kenntnis und die Klägerin an den Geschäftsführer verwiesen. Auf Nachfrage des Herrn H bei Verlassen des Betriebes am 10.07.2008 habe die Klägerin dann auch geäußert, sie werde am nächsten Tag zur Arbeit erscheinen.

13

Dieses Verhalten sei – so hat die Beklagte gemeint – geeignet, auch unter Berücksichtigung einer umfassenden Interessenabwägung das Arbeitsverhältnis der Parteien ohne vorherige Abmahnung im Wege der außerordentlichen Kündigung aufzulösen. Darüber hinaus seien die geltend gemachten Vergütungsansprüche jedenfalls bis zur endgültigen Aufklärung der Kassendifferenzen in Höhe von – unstreitig – ca. 1.900,00 EUR nicht begründet. Der Beklagten stehe diesbezüglich ein Zurückbehaltungsrecht zu.

14

Die Klägerin hat hierzu entgegnet, in den besagten Gesprächen sei über eine „Urlaubssperre“ nicht gesprochen worden. Herr H habe in dem weiteren Gespräch am 10.07.2008 – an jenem Tag war der Geschäftsführer unstreitig nicht im Betrieb anwesend – geäußert, die Klägerin möge die Dinge so regeln, wie sie es für richtig halte. Sie sei lang genug dem Betrieb angehörig.

15

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 19.11.2008 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 16.07.2008 nicht aufgelöst worden ist, die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von 1.159,11 EUR brutto zuzüglich Zinsen verurteilt und ihr auch die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, der außerordentlichen Kündigung vom 16.07.2008 komme keine Rechtswirksamkeit zu. Selbst wenn die Klägerin – wie die Beklagte behauptet – ungenehmigt ihren Urlaub angetreten habe, sei dieses Verhalten unter Beachtung der langjährigen Betriebszugehörigkeit im Rahmen einer vorzunehmenden Interessenabwägung nicht geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Aus jenem Grund sei auch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung rechtsunwirksam. Wegen der weiteren Einzelheiten der angefochtenen Entscheidung wird auf Bl. 53 bis 59 d.A. verwiesen.

16

Gegen dieses, ihr am 08.12.2008 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 31.12.2008 Berufung eingelegt und diese am 06.02.2009 begründet.

17

Mit ihrem Rechtsmittel hält die Beklagte an ihrem erstinstanzlich vertretenen Rechtsstandpunkt unter Ergänzung ihres diesbezüglichen Sachvortrages betreffend die behauptete Selbstbeurlaubung der Klägerin fest. Sie vertritt darüber hinaus die Auffassung, das Arbeitsverhältnis der Parteien sei auf jeden Fall durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung zum 31.01.2009 beendet worden, weil diese von der Klägerin erstinstanzlich nicht mittels Kündigungsschutzklage angegriffen worden sei. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts sei insoweit bereits deshalb fehlerhaft, weil sie nicht von dem Antrag der Klägerin abgedeckt sei.

18

Die Klägerin hat im Rahmen ihrer Berufungserwiderung – wie sie im Termin am 12.11.2009 klargestellt hat – einen Kündigungsschutzantrag auch hinsichtlich der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung der Beklagten gestellt sowie die Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum 28.02.2009 – den sich nach ihrer Auffassung ergebenden Beendigungstermin im Rahmen einer fristgemäßen Kündigung – gegen Zahlung einer Abfindung begehrt.

19

Die Klägerin verteidigt die angefochtene Entscheidung und vertritt insbesondere die Auffassung, sie habe sich bereits erstinstanzlich – dies sei im Wege der Auslegung zu ermitteln – auch gegen die ordentliche Kündigung der Beklagten zur Wehr setzen wollen.

20

Die Beklagte beantragt,

21

das Urteil des Arbeitsgerichts Halberstadt vom 19.11.2008 – 3 Ca 647/08 – abzuändern und die Klage abzuweisen.

22

Die Klägerin beantragt hierzu,

23

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

24

Sie beantragt weiter,

25

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch eine ordentliche Kündigung der Beklagten vom 16.07.2008 aufgelöst worden ist.

26

2. Das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 28.02.2009 gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch 21.875,00 EUR nicht unterschreiten sollte.

27

Die Beklagte beantragt hierzu,

28

die Anträge abzuweisen.

29

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

A.

30

Die an sich statthafte (§§ 8 Abs. 2, 64 ArbGG) und auch im Übrigen zulässige (§ 66 Abs. 1 ArbGG) Berufung der Beklagten ist, soweit sie damit die Abweisung der Kündigungsschutzklage begehrt, begründet. Hinsichtlich der weiter begehrten Abweisung der Zahlungsklage ist sie hingegen unbegründet. Die Anschlussberufung der Klägerin ist ebenfalls zulässig (§ 524 ZPO). Sie ist jedoch nicht begründet.

31

Das Arbeitsverhältnis der Parteien wird durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 16.07.2008 fristlos aufgelöst. Der Klägerin steht für den Zeitraum 01. bis 16.07.2008 jedoch noch restliche Vergütung sowie Urlaubsabgeltung in Höhe von insgesamt 1.159,11 EUR brutto zuzüglich Zinsen zu.

I.

32

Die Berufung der Beklagten ist begründet, soweit sie die Abweisung der Kündigungsschutzklage begehrt. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wird bereits durch die hauptsächlich ausgesprochene außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 16.07.2008 mit sofortiger Wirkung aufgelöst. Dieser Kündigung kommt Rechtswirksamkeit zu. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Dienstverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Die Voraussetzungen dieser Norm sind nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG 27.04.2006 – 2 AZR 415/05) in einem zweistufigen Verfahren zu prüfen. Erforderlich ist die Bejahung eines wichtigen Grundes an sich (erste Stufe) sowie darüber hinaus eine zu Lasten des Gekündigten ausgehende umfassende Interessenabwägung (zweite Stufe). Nach dem Gesamtergebnis der mündlichen Verhandlung, insbesondere der zweitinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme, sind die Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB erfüllt.

1.

33

Danach ergibt sich ein wichtiger Grund an sich für die außerordentliche Kündigung der Klägerin aufgrund deren unberechtigter Urlaubsnahme beginnend am 11.07.2008 für den Zeitraum von 2 Wochen. Tritt ein Arbeitnehmer eigenmächtig einen vom Arbeitgeber nicht genehmigten Urlaub an, so verletzt er seine arbeitsvertraglichen Pflichten und ein solches Verhalten ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung darzustellen. Ein Recht des Arbeitnehmers sich selbst zu beurlauben ist angesichts des umfassenden Systems gerichtlichen Rechtsschutzes grundsätzlich abzulehnen (BAG 20.01.1994 – 2 AZR 521/93).

34

a) Nach dem Gesamtergebnis der mündlichen Verhandlung, insbesondere der durchgeführten Beweisaufnahme, steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Klägerin ungenehmigt am 11.07.2008 ihren zweiwöchigen Urlaub angetreten hat. Der diesbezügliche Sachverhalt stellt sich danach wie folgt dar: Der Geschäftsführer hat im Rahmen von zwei Gesprächen betreffend von der Klägerin mit zu verantwortender Kassendifferenzen dieser unmissverständlich erklärt, der von ihr begehrte Urlaub werde bis zur Aufklärung der Kassendifferenzen nicht gewährt. Dies hat der Zeuge S in seiner Vernehmung glaubhaft bekundet. Er hat anschaulich den Ablauf der Gespräche, insbesondere die „sehr ernst gemeinten“ Äußerungen des Geschäftsführers betreffend den geplanten Urlaub zu schildern gewusst. Ebenso ist seiner Aussage glaubhaft zu entnehmen, dass diese Äußerungen des Geschäftsführers von der Klägerin auch entsprechend aufgefasst worden sind. Der Zeuge hat hierzu bekundet, er könne ausschließen, dass bei Verkündung der „Urlaubssperre“ die Klägerin sich nicht im Raum befunden habe. Weiter hat der Zeuge geschildert, im Nachgang zu dem Gespräch habe die Klägerin wegen der verhängten „Urlaubssperre“ einen sehr betrübten Eindruck gemacht. Auch an der Glaubwürdigkeit des Zeugen S bestehen zur Überzeugung der Kammer keine Zweifel. Zwar ist dieser nach wie vor für ein Schwesterunternehmen der Beklagten, das ebenfalls von dem Geschäftsführer der Komplementär GmbH der Beklagten geleitet wird, tätig. Hieraus ergeben sich jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass der Zeuge S hinsichtlich der verhängten „Urlaubssperre“ die Unwahrheit gesagt hat. Nach dem Gesamteindruck, den der Zeuge auf die Kammer gemacht hat, in Verbindung mit dem detaillierten und auch sehr nachvollziehbaren Inhalt seiner Aussage ergeben sich keine Zweifel am Wahrheitsgehalt derselben.

35

b) Weiter kann nach dem Gesamtergebnis der mündlichen Verhandlung, insbesondere der Beweisaufnahme, ausgeschlossen werden, dass die Klägerin bei Antritt ihres Urlaubs am 11.07.2008 hinsichtlich der in der unberechtigten Urlaubsnahme liegenden Pflichtverletzung nicht vorsätzlich gehandelt hat. Nach den von dem Zeugen S bekundeten Äußerungen des Geschäftsführers und der Reaktion der Klägerin hierauf bestand für diese kein, einen Vorsatz ausschließender Zweifel an der – bezogen auf den gewünschten Urlaubszeitraum – endgültigen Ablehnung ihres Urlaubsantrages. Dies wird durch die Aussage des Zeugen H bestätigt. Jener hat glaubhaft bekundet, die Klägerin sei am Tag vor dem geplanten Urlaub auf ihn zugekommen und habe ihn über den abgelehnten Urlaub informiert mit der Bitte, ein Gespräch mit Herrn W zu vermitteln. Auch diese Aussage macht deutlich, dass der Klägerin durchaus bewusst war, der begehrte Urlaub sei (endgültig) von dem hierfür zuständigen Geschäftsführer abgelehnt worden. An der Glaubwürdigkeit des Zeugen H bestehen für die Kammer ebenfalls keine Zweifel. Zwar ist dieser – wie der Zeuge S – für ein von dem Geschäftsführer der Komplementär GmbH der Beklagten geführtes Schwesterunternehmen tätig. Hieraus allein lässt sich jedoch unter Berücksichtigung des Gesamteindrucks, den der Zeuge auf die Kammer gemacht hat, ein Zweifel am Wahrheitsgehalt seiner dezidierten und nachvollziehbaren Bekundungen nicht ableiten. Insbesondere ergibt sich dieser nicht daraus, dass der Zeuge sich bei der Vernehmung im Februar 2010 noch detailliert an die Geschehnisse im Juli 2008 erinnern konnte, obwohl er mit Personalentscheidungen der Beklagten nicht befasst war. Das detaillierte Erinnerungsvermögen des Zeugen ist vielmehr dadurch plausibel zu erklären, dass dieser bereits von Anfang an (Klageschrift vom 29.07.2008) als möglicher Zeuge in diesen Rechtsstreit involviert war und sich daher mit der Angelegenheit zeitnah befassen musste. Dahinstehen kann, ob der Zeuge H zur Vornahme von Personalentscheidungen bei der Beklagten als „quasi Stellvertreter des Geschäftsführers“ überhaupt befugt war. Der Zeuge hat nämlich auch insoweit glaubhaft bekundet, er habe in keiner Weise der Klägerin hinsichtlich der von ihr begehrten Urlaubsbewilligung „Mut gemacht“.

36

c) Angesichts des zeitlichen Ablaufes der Geschehnisse lässt sich auch nicht ausnahmsweise ein Recht der Klägerin auf Selbstbeurlaubung begründen, weil diese in zumutbarer Weise keinen Rechtsschutz erlangen konnte. Hierzu bestand vielmehr ausreichend Gelegenheit. Bereits am 02.07.2008 hatte der Geschäftsführer unmissverständlich den begehrten Urlaub abgelehnt. Für die Klägerin blieb damit mehr als eine Woche Zeit, um bei dem zuständigen Arbeitsgericht Halberstadt einstweiligen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen.

2.

37

Die Rechtswirksamkeit der außerordentlichen Kündigung scheitert nicht an der auf der zweiten Stufe vorzunehmenden umfassenden Interessenabwägung einschließlich der Prüfung, ob die Beklagte nicht gehalten gewesen wäre, die Pflichtwidrigkeit durch ein milderes Mittel, nämlich eine Abmahnung, zu sanktionieren.

38

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG 12.01.2006 – 2 AZR 179/05 – juris Rz. 55 f. sowie BAG 23.06.2009 – 2 AZR 103/08 – juris Rz. 31 ff.) bedarf es vor einer auf ein steuerbares Fehlverhalten gestützten Kündigung grundsätzlich einer Abmahnung. Dies ist Ausdruck des im Kündigungsrecht geltenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (nunmehr § 314 Abs. 2 BGB) und dient zugleich der Objektivierung der für die Kündigung maßgeblichen Prognose, eine weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern sei dem kündigenden Arbeitgeber nicht mehr zumutbar. Entbehrlich ist eine Abmahnung jedoch nach der vorgenannten Rechtsprechung dann, wenn ein verständiger Arbeitnehmer aufgrund der Schwere des Pflichtverstoßes nicht damit rechnen konnte, der Arbeitgeber werde diesen nicht unmittelbar zum Anlass einer außerordentlichen Kündigung nehmen.

39

Nach diesen Grundsätzen war vorliegend aufgrund der Schwere des der Klägerin zur Last zu legenden Pflichtverstoßes eine Abmahnung entbehrlich. Ihr Verhalten stellt im Hinblick auf die ausdrücklich vorgenommene Ablehnung des Urlaubsantrags und die Dauer ihres Fernbleibens eine beharrliche Arbeitsverweigerung dar (vgl. BAG 20.01.1994 – 2 AZR 521/93 – juris Rz. 25). Ein verständiger Arbeitnehmer, dem mehrfach unmissverständlich deutlich gemacht worden ist, sein Urlaub sei „endgültig“ abgelehnt, kann bei einer von ihm dennoch vorgenommenen Selbstbeurlaubung im Umfang von 2 Wochen nicht schutzwürdig darauf vertrauen, der Arbeitgeber werde diese erhebliche, den Grad der beharrlichen Arbeitsverweigerung erreichende Pflichtverletzung „nur“ zum Anlass nehmen, um den Arbeitnehmer auf die geltende Pflichtenlage und die bei einem weiteren Verstoß entstehenden Rechtsfolgen aufmerksam zu machen. Nach dem Gesamtergebnis der mündlichen Verhandlung, insbesondere der durch durchgeführten Beweisaufnahme, gestaltete sich im vorliegenden Fall zur Überzeugung der Kammer die Situation vielmehr dergestalt, dass der Klägerin sehr genau bewusst war, sie verstoße durch eine zweiwöchigen „Auszeit“ massiv gegen ihre arbeitsvertraglichen Pflichten. Dies wird insbesondere daraus deutlich, dass die Klägerin sich vor der eigenmächtigen Urlaubsnahme erneut erfolglos um die Bewilligung ihres Urlaubs bemüht hatte und in voller Kenntnis dieses Umstandes dennoch für zwei Wochen der Arbeit fern geblieben ist.

40

b) Schlussendlich muss auch die vorzunehmende umfassende Interessenabwägung zu Lasten der Klägerin ausgehen. Zu ihren Gunsten war die erhebliche Betriebszugehörigkeit, wobei die Kammer im Rahmen der Interessenabwägung auch die aufgrund des Arbeitsvertrages vom 10.12.1973 zurückgelegten Zeiten bei der P R G nicht außer Acht lässt, zu berücksichtigen. Weiter waren zugunsten der Klägerin ihr fortgeschrittenes Lebensalter und die damit verbundenen (geringeren) Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu beachten. Dem steht jedoch entgegen, dass die Klägerin zur Überzeugung der Kammer mit direktem Vorsatz und zielgerichtet ihre Interessen an einer Freistellung eigenmächtig umgesetzt hat, obwohl sie Gelegenheit hatte, im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes ihre Urlaubswünsche zu verwirklichen. Zu Lasten der Klägerin spricht weiter, dass die Beklagte den begehrten Urlaub nicht grundlos verweigert hat. Nach dem unstreitigen Sachverhalt bestand im Vorfeld des begehrten Urlaubs Klärungsbedarf über eine nicht unerhebliche Handkassendifferenz, für die die Klägerin unstreitig mit verantwortlich war. Wenn von Seiten der Geschäftsführung zur Klärung dieses Sachverhaltes eine „Urlaubssperre“ verhängt wird, so erscheint dies für die Kammer als gut nachvollziehbar. Der Beklagten ist ein legitimes Interesse daran zuzuerkennen, möglichst zeitnah den Verbleib von nicht unerheblichen Geldbeträgen aufzuklären. Wie sich dem Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere der Aussage des Zeugen S entnehmen lässt, war zum Zeitpunkt der geplanten Urlaubsnahme der Klägerin die Aufklärungsarbeit noch keineswegs abgeschlossen. Zwar hat der Zeuge S – wie dieser weiter bekundet hat – den von ihm zu einem späteren Zeitpunkt geplanten Urlaub antreten können, weil die von ihm zu leistende Aufklärungsarbeit nach Vorlage sämtlicher bei ihm geführter Unterlagen abgeschlossen war. Hieraus folgt jedoch nicht, dass die von dem Geschäftsführer am 02.07. und erneut am 08.07.2008 verfügte „Urlaubssperre“ betreffend die Klägerin willkürlich erfolgt ist. Jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt war ein auch nur vorläufiger Abschluss der Aufklärungsarbeit noch nicht eingetreten, was durch die Erklärung des Geschäftsführers W deutlich wird, ein weiterer Termin solle möglicherweise am 14.07.2008 stattfinden – so die weitere Aussage des Zeugen S . Schlussendlich konnte nicht unberücksichtigt bleiben, dass die von dem Geschäftsführer verhängte „Urlaubssperre“ nicht derart gestaltet war, dass es der Klägerin unmöglich gemacht wurde, im weiteren Verlauf des Urlaubsjahres ihren Urlaubsanspruch zu realisieren. Die „Urlaubssperre“ beschränkte sich vielmehr nach der eindeutigen Aussage des Herrn W auf den Zeitpunkt bis zur Aufklärung der entstandenen Kassendifferenz. Anhaltspunkte dafür, dass zum damaligen Zeitpunkt (Juli 2008) damit quasi für das gesamte Urlaubsjahr eine „Urlaubssperre“ verhängt worden ist, sind nicht erkennbar. Im Übrigen hat die Klägerin während des gesamten Rechtsstreits auch keinerlei Sachvortrag dazu geliefert, warum sie auf die Urlaubsnahme im begehrten Zeitraum ab 11.07.2008 unbedingt angewiesen war. Nach alledem überwiegt das Interesse der Beklagten, das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin ungeachtet ihres Lebensalters und ihrer langen Betriebszugehörigkeit mit sofortiger Wirkung zu beenden, das Interesse der Klägerin an einer Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ablauf der Kündigungsfrist.

3.

41

Die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung scheitert weiter nicht an § 626 Abs. 2 BGB. Die dort geregelte zweiwöchige Ausschlussfrist für den Ausspruch der Kündigung hat die Beklagte eingehalten. Die außerordentliche Kündigung ist der Klägerin bereits am 16.07.2008 – unstreitig – mit Einwurf in den Hausbriefkasten zugegangen. Ihre zum damaligen Zeitpunkt bestehende Ortsabwesenheit hindert den Zugang nicht (BAG 24.06.2004 – 2 AZR 461/03 – juris Rz. 30).

4.

42

Nach alledem war auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Arbeitsgerichts Halberstadt hinsichtlich der gegen die Kündigung vom 16.07.2008 gerichteten Kündigungsschutzklage abzuändern und diese Klage abzuweisen. Kommt bereits der außerordentlichen Kündigung Rechtswirksamkeit zu, so erübrigt sich in diesem Zusammenhang die weitere Frage, ob das Arbeitsgericht mit seiner Entscheidung über die Rechtsunwirksamkeit der ordentlichen Kündigung der Klägerin etwas zugesprochen hat, was von dieser nicht beantragt war (§ 308 Abs. 1 ZPO). Das auch insoweit klagzusprechende Urteil war jedenfalls deshalb abzuändern, weil der außerordentlichen Kündigung der Beklagten Rechtswirksamkeit zukommt.

II.

43

Hingegen ist die Berufung der Beklagten nicht begründet, soweit diese sich gegen die von der Klägerin geltend gemachten Vergütungs- und Urlaubsabgeltungsansprüche wendet.

1.

44

Der Klägerin steht aus § 611 BGB ein Betrag in Höhe von 724,33 EUR brutto als anteiliges Arbeitsentgelt für den Zeitraum 01. bis 16.07.2008 zu.

45

a) Der Anspruch ist nach Grund und Höhe entstanden. Einwände insoweit sind von der Beklagten nicht vorgebracht worden. Insbesondere ergeben sich aus dem Sachvortrag der Beklagten keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die von ihr selbst abgerechnete Vergütung für den Monat Juli 2008 (anteilig) nicht die von der Klägerin in diesem Zeitraum tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung widerspiegelt. Zwar stellt eine Abrechnung regelmäßig kein (deklaratorisches) Schuldanerkenntnis dar. Ihr kommt jedoch bei der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast Bedeutung zu. Der Arbeitgeber, der eine von ihm selbst erstellte Abrechnung anschließend in Zweifel zieht, hat hierzu substantiiert vorzutragen, an welchen Punkten das von ihm erstellte Rechenwerk nunmehr Fehler aufweisen soll. Soweit die Beklagte die Auffassung vertritt, der Klägerin stehe lediglich bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses Vergütung zu, so steht dies der Klageforderung nicht entgegen, da ausweislich der Abrechnung der streitgegenständliche Betrag sich auf den Zeitraum bis zum Ausspruch der außerordentlichen Kündigung beschränkt.

46

b) Dieser Anspruch ist nicht gemäß § 389 BGB im Wege der Aufrechnung mit möglichen Schadensersatzansprüchen erloschen. Eine derartige Wirkung muss bereits daran scheitern, dass die Beklagte die Aufrechnung überhaupt nicht erklärt hat. Sie beruft sich vielmehr auf ein Zurückbehaltungsrecht.

47

c) Die Berufung der Beklagten auf ein Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 BGB führt jedoch nicht zu einer Zug um Zug-Verurteilung (§ 274 BGB). Die Voraussetzungen für die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts sind vorliegend nicht gegeben. Ein Zurückbehaltungsrecht ist immer dann ausgeschlossen, wenn es bei wirtschaftlicher Betrachtung einer Aufrechnung gleichkommt, diese jedoch unzulässig ist (Palandt/Heinrichs BGB 69. Aufl. § 273 Rz. 14). So verhält es sich vorliegend. Eine Aufrechnung der Beklagten gegen den von der Klägerin geltend gemachten Bruttobetrag ist gemäß § 850 e Nr. 1 ZPO i.V.m. § 394 BGB unzulässig. Einer Aufrechnung gegen den sich daraus ergebenden Nettobetrag von 587,02 EUR würde § 850 c ZPO entgegenstehen.

2.

48

Weiter steht der Klägerin aus §§ 7 Abs. 4, 11 BUrlG i.V.m. §§ 280, 283, 286 BGB ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung in Form eines Schadensersatzanspruchs in Höhe von 434,78 EUR brutto zu.

49

a) Dieser Abgeltungsanspruch ist mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 16.07.2008 entstanden. Der von der Klägerin geltend gemachte Betrag entspricht der von der Beklagten selbst erstellten Abrechnung. Einwände insoweit sind von der Beklagten nicht erhoben worden. Da der Anspruch, der sich mit Ablauf des Urlaubsjahres in einem Schadenersatzanspruch umgewandelt hat, nicht durch Aufrechnung erloschen ist und diesem auch kein Zurückbehaltungsrecht entgegensteht (vgl. oben 1. a) und b)), konnte die Berufung der Beklagten insoweit keinen Erfolg haben.

3.

50

Die Zinsentscheidung folgt aus § 291 BGB.

III.

51

Die Anschlussberufung der Klägerin ist insgesamt unbegründet.

1.

52

Die gegen die ordentliche Kündigung der Beklagten gerichtete Kündigungsschutzklage ist unbegründet. Dahinstehen kann, ob dieser ordentlichen Kündigung bereits gemäß §§ 4, 7 KSchG wegen Versäumung der dreiwöchigen Klagefrist (fiktiv) Rechtswirksamkeit zukommt, weil die erstinstanzlich verfolgte Kündigungsschutzklage ausweislich der Klagebegründung und des von der Prozessvertreterin der Klägerin im Termin am 19.11.2008 gestellten Klagantrages sich nur auf die außerordentliche Kündigung bezogen hat und auch die Voraussetzungen des § 6 KSchG erstinstanzlich nicht vorgelegen haben. Jedenfalls muss die von der Klägerin im Rahmen einer Anschlussberufung erweiterte Kündigungsschutzklage betreffend die ordentliche Kündigung daran scheitern, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien bereits – wie vorstehend ausgeführt – durch die hauptsächlich ausgesprochene außerordentliche Kündigung der Beklagten sein Ende gefunden hat.

2.

53

Dementsprechend konnte der ausschließlich auf die ordentliche Kündigung bezogene Auflösungsantrag der Klägerin sowie der damit verbundene Antrag auf Zahlung einer Abfindung ebenfalls keinen Erfolg haben. Im Übrigen würde selbst wenn man diesen Auflösungsantrag auch (hilfsweise) auf die außerordentliche Kündigung beziehen würde, jenem kein Erfolg beschieden sein, weil – wie vorstehend ausgeführt – der außerordentlichen Kündigung Rechtswirksamkeit zukommt.

IV.

54

Nach alledem war auf das Rechtsmittel der Beklagten die Kündigungsschutzklage abzuweisen jedoch die Berufung gegen die auf Arbeitsvergütung und Urlaubsabgeltung gerichtete Klage zurückzuweisen. Ebenso unterlag die Anschlussberufung der Klägerin der Zurückweisung.

B.

55

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 97 ZPO und orientiert sich am Obsiegen und Unterliegen der Parteien bezogen auf den Gesamtrechtsstreit.

C.

56

Gegen diese Entscheidung findet ein weiteres Rechtsmittel nicht statt.

57

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor. Den entscheidungserheblichen Rechtsfragen kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Mit ihrer Entscheidung weicht die Kammer auch nicht von höchstrichterlicher Rechtsprechung ab.

58

Auf § 72 a ArbGG wird hingewiesen.


Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen