Urteil vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 17 U 811/19

Tenor

I. Das Versäumnisurteil des Senats vom 4. Mai 2021 – 17 U 811/19 – wird – unter Aufhebung im Übrigen – mit der Maßgabe aufrechterhalten, dass der Tenor wie folgt lautet:

Auf die Berufung der Beklagten wird – unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung – das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 4. Juli 2019 – 4 O 7/19 – im Kostenpunkt aufgehoben, im Übrigen abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 21.674,78 EUR nebst Zinsen in Höhe von 4 % p.a., maximal jedoch 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz,

a) vom 22. Januar 2019 bis 23. Mai 2019 aus einem Betrag von 25.439,50 EUR,

b) vom 24. Mai 2019 bis 27. April 2021 aus einem Betrag von 25.439,50 EUR, der sich ab 23. Mai 2019 bis 27. April 2021 Tag für Tag linear auf 22.672,01 EUR ermäßigt,

c) vom 28. April 2021 bis 5. Oktober 2021 aus einem Betrag von 22.672,01 EUR, der sich ab 28. April 2021 bis 5. Oktober 2021 Tag für Tag linear auf 22.064,98 EUR ermäßigt,

d) vom 6. Oktober 2021 bis 8. Februar 2022 aus einem Betrag von 22.064,98 EUR, der sich ab dem 6. Oktober 2021 bis 8. Februar 2022 Tag für Tag linear auf 21.674,78 EUR ermäßigt, sowie

e) seit 9. Februar 2022 aus einem Betrag von 21.674,78 EUR

zu zahlen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs der Marke A., Typ Q 5 2.0 TDI quattro mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) ….

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens erster Instanz tragen der Kläger zu 66 % und die Beklagte zu 34 %.

Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 15 % und die Beklagte zu 85 %, mit Ausnahme der durch die Säumnis der Beklagten im Termin vom 27. April 2021 veranlassten Kosten, die die Beklagte allein trägt.

III. Dieses Urteil und das angefochtene Urteil des Landgerichts – soweit es aufrechterhalten bleibt – sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils für den Kläger vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

 
I.
Der Kläger nimmt die beklagte Kraftfahrzeugherstellerin im Zusammenhang mit dem Kauf eines von dem sog. „Abgasskandal“ betroffenen Fahrzeugs auf Schadensersatz in Anspruch.
Die Beklagte ist die Tochtergesellschaft der V. AG (im Folgenden: V. AG). Im V.konzern (im Folgenden: V.-Konzern) wurde unter der Bezeichnung „EA 189“ ein Dieselmotor mit der Abgasnorm Euro 5 entwickelt, in dessen Motorsteuerung eine Software zur Abgassteuerung installiert wurde. Diese Software verfügte über zwei unterschiedliche Betriebsmodi, welche die Abgasrückführung steuerten. In dem im Hinblick auf den Stickoxidausstoß optimierten „Modus 1“, der beim Durchfahren des für die amtliche Bestimmung der Fahrzeugemissionen maßgeblichen Neuen Europäischen Fahrzyklus (nachfolgend: NEFZ) automatisch aktiviert wurde, kam es zu einer höheren Abgasrückführungsrate, wodurch die gesetzlich geforderten Grenzwerte für Stickoxidemissionen eingehalten wurden. Bei im normalen Straßenverkehr anzutreffenden Fahrbedingungen war der partikeloptimierte „Modus 0“ aktiviert, der zu einer geringeren Abgasrückführungsrate und damit zu einem höheren Stickoxidausstoß führte.
Der o.g. Dieselmotor wurde nicht nur in diversen Fahrzeugtypen der Marke V. verbaut. Vielmehr beschloss die Beklagte durch ihr Produkt-Strategie-Komitee, welches sich aus Mitgliedern des Vorstands sowie Mitgliedern aus den Fachabteilungen zusammensetzte, den Motor EA 189 ab 2007 serienmäßig in eigenen Fahrzeugen zu verwenden. Dem Kraftfahrtbundesamt (im Folgenden: KBA) wurde die vorgenannte, von der Beklagten als „Umschaltlogik" bezeichnete Software im Typgenehmigungsverfahren nicht offengelegt.
Mit Kaufvertrag vom 16. Oktober 2011 (Rechnung vgl. Anlage K 1) erwarb der Kläger ein neues Fahrzeug der Marke A., Typ Q5 2.0 TDI quattro 125 kW von der A. Z. K. GmbH zu einem Gesamtpreis von 48.532 EUR brutto. Das Fahrzeug, das die Fahrzeugidentifikationsnummer … erhalten hatte, wurde dem Kläger am 20. April 2012 übergeben und wies in diesem Zeitpunkt einen Kilometerstand von 0 km auf. In dem Fahrzeug war im Zeitpunkt der Übergabe der o.g. Dieselmotor des Typs EA 189 mit 2,0 Litern Hubraum verbaut, dessen Motorsteuerung im Zeitpunkt der Übergabe des Fahrzeugs an den Kläger die o.g. Software zur Abgassteuerung enthielt. In der für das Fahrzeug von der Beklagten erteilten Übereinstimmungsbescheinigung ist die Beklagte als Hersteller der Antriebsmaschine ausgewiesen (Anlage K 4).
Nach dem Bekanntwerden der Software verpflichtete das KBA die V. AG und die Beklagte, die als unzulässige Abschalteinrichtung qualifizierte „Umschaltlogik“ bei allen betroffenen Fahrzeugen mit dem Aggregat EA 189 EU5 zu entfernen und dies durch geeignete Nachweise zu belegen (vgl. Anlage B 3).
Am 20. Dezember 2016 (Anlage B 3) bestätigte das KBA der Beklagten gegenüber für den erworbenen Fahrzeugtyp, dass die von der V. AG entwickelten technischen Maßnahmen (konkret: ein zu installierendes Softwareupdate) geeignet sind, die Vorschriftsmäßigkeit herzustellen.
Der Kläger ließ die von dem KBA für den hier in Streit stehenden Fahrzeugtyp freigegebene technische Maßnahme an seinem Fahrzeug am 3. März 2017 durchführen.
Mit seiner am 31. Dezember 2018 beim Landgericht eingegangenen und der Beklagten am 21. Januar 2019 zugestellten Klage hat der Kläger erstinstanzlich folgendes beantragt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 48.532,00 EUR nebst Zinsen hieraus in Hohe von 4% sei 21.06.2011 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des PKW A. Q5 2,0 TDI Quattro Fahrzeugidentifikationsnummer … an die Beklagte.
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2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Angebots gem. Ziff.1 in Verzug befindet.
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Zur Begründung hat der Kläger ua vorgetragen,
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die Beklagte habe den Motor EA 189 entwickelt und gebaut. Der Vorstand für technische Entwicklung der Beklagten – U. H. – habe „den Anstoß für die Entwicklung und den Einsatz der Täuschungssoftware“ gegeben; die Entwicklung sei dann „im Konzern und unter der Führung der Leitung des Konzernchefs des V.-Konzerns“ erfolgt. Die Beklagte habe sich von der B. GmbH eine Software programmieren lassen, die die Motoren aus Kostengründen so manipuliert habe, dass sie „bei Tests sauber liefen“. Die B. GmbH habe „seinen Geschäftspartner vor dem Einsatz der Schummelsoftware“ gewarnt und habe im Juni 2008 um Haftungsfreistellung gebeten. Die Beklagte habe „die Schummelsoftware nutzen“ wollen, „man hatte sie ja bezahlt“. Dem Vorstand der Beklagten sei der rechtswidrige Einsatz der „(Täuschungs-)Software zur Motorsteuerung“ bekannt gewesen, dasselbe gelte für die Entwicklungsingenieure und Leiter der Entwicklungsabteilungen der Beklagten. Die Beklagte habe die Manipulation letztlich auch gestanden. Sie habe nämlich ein gegen sie von der Staatsanwaltschaft M. verhängtes Bußgeld von 800 Millionen Euro akzeptiert. Dieses sei damit begründet worden, dass die Beklagte wissentlich und willentlich weltweit ihre Kraftfahrzeuge mit einer unzulässigen Softwarefunktion ausgestattet, an Abnehmer veräußert und in den Verkehr gebracht habe. Jedenfalls sei der Beklagten aus Qualitätskontrollverfahren bekannt gewesen, wie sich der in dem klägerischen Fahrzeugtyp verbaute Motor im Prüflauf und außerhalb des Prüfstandes oder bei Temperaturänderungen verhalte, mithin dass er mit einer Täuschungssoftware ausgestattet sei. Die Entwicklung und die Herstellung des streitgegenständlichen Motors mit der darin verbauten Software zur Abgassteuerung und das Inverkehrbringen desselben stelle eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung dar. Er – der Kläger – hätte das Fahrzeug bei Kenntnis von dem Einsatz der Software nicht erworben.
13 
Die Beklagte hat erstinstanzlich Klageabweisung beantragt und ua geltend gemacht,
14 
sie habe den Motor weder entwickelt noch gebaut. Nach dem derzeitigen Ermittlungsstand lägen keine Erkenntnisse vor, dass einzelne Mitglieder des Vorstands der Beklagten im aktienrechtlichen Sinne die Entwicklung der streitgegenständlichen Software (Umschaltlogik) für den Dieselmotor in Auftrag gegeben oder gebilligt hätten. Es werde bestritten, dass Dr. U. H. im Zeitpunkt der Entwicklung der Software von deren Einsatz in Fahrzeugen mit einem Motor EA 189 EU 5 gewusst habe. Der gegen sie erlassene Bußgeldbescheid sei für das hiesige Verfahren irrelevant. Insbesondere habe die Staatsanwaltschaft in dem betreffenden Ordnungswidrigkeitsverfahren nicht bindend festgestellt, ob der hiesige Kläger durch die Beklagte oder deren Mitarbeiter geschädigt worden sei.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird auf die in dem angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).
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Das Landgericht hat die Beklagte verurteilt, an den Kläger Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises (48.532 EUR) abzüglich einer Entschädigung für den Nutzungsvorteil (23.092,50 EUR), mithin 25.439,50 EUR nebst Zinsen in Höhe von 4 % seit 21. Januar 2019 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des erworbenen Fahrzeugs zu zahlen (Tenor Ziff. 1). Weiter hat es festgestellt, dass sich die Beklagte in Annahmeverzug befindet (Tenor Ziff. 2). Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen (Tenor Ziff. 3).
17 
Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt:
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Die Beklagte habe mit dem vorliegenden Kraftfahrzeug bewusst eine mangelhafte Sache ausgeliefert. Die Installation der Software sei mit dem Ziel erfolgt, eine Vielzahl von Käufern zu täuschen und durch den Absatz der Fahrzeuge Gewinn zu erwirtschaften. Die Form dieses Gewinnstrebens und der systematische Ansatz bei Inkaufnahme einer Schädigung einer Vielzahl von Kunden begründe die besondere Verwerflichkeit. Bei der Beurteilung sei insbesondere zu berücksichtigen, dass die Beklagte in großem Umfang und mit erheblichem technischem Aufwand im Profitinteresse zentrale gesetzliche Vorschriften ausgehebelt und zugleich ihre Kunden konkludent getauscht habe. Dass der Vorstand der Beklagten oder ein Repräsentant im Sinne des § 31 BGB von der Manipulation der Fahrzeuge Kenntnis gehabt habe, sei nach §§ 138 Abs. 3 und Abs. 4 ZPO als unstreitig zu behandeln, weil die Beklagte ihrer sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen sei. Der Klägerseite sei es nicht möglich, näher dazu vorzutragen, wer auf der Vorstandsebene der Beklagten bzw. wer von den maßgeblichen Organen entsprechende Kenntnisse gehabt oder Anweisungen vorgenommen habe, da dies Kenntnis von den internen Strukturen, den Vorgängen und Abläufen sowie konkreter im Einflussbereich der Beklagten liegender Geschehnisse voraussetzte. Demnach obliege es hier allein der Beklagten, zu den Kenntnissen ihrer Organmitglieder und Mitarbeiter substantiiert und konkret vorzutragen, was ihr auch zumutbar sei. Denn die Beklagte könne ohne Weiteres die in dem Konzern im Zusammenhang mit der Programmierung und Implementierung der streitgegenständlichen Software abgelaufenen Vorgänge und Entscheidungsprozesse rekonstruieren. Die Beklagte beschränke sich aber darauf, die Kenntnis von Vorstandsmitgliedern zu bestreiten. Dies sei vorliegend nicht ausreichend. Das Gericht verkenne dabei nicht, dass der Vortrag der Beklagten zutreffen dürfte, wonach nicht sie, sondern die Konzernmutter – die V. AG – den Motor des Typs EA 189 entwickelt habe. Das Gericht sei nicht davon überzeugt, dass die Beklagte auch Entwicklerin des Motors EA 189 gewesen sei. Darauf komme es indes nicht an. Denn soweit Gegenteiliges nicht substantiiert und nachvollziehbar dargelegt werde, müsse davon ausgegangen werden, dass der Fahrzeughersteller, der den Motor eines anderen Herstellers für seine Fahrzeuge verwendet, sich hinreichende Kenntnis davon verschaffe, wie der Motor im Einzelnen funktioniere und ob er den gesetzlichen Vorgaben gerecht werde. Vor diesem Hintergrund hätte die Beklagte konkret darlegen müssen, von wem die Entscheidung zum Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtungen getroffen worden sei und warum dies ohne Einbeziehung der Vorstandsebene möglich gewesen sein soll.
19 
Wegen der weiteren Einzelheiten der Ausführungen des Landgerichts wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).
20 
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die zunächst folgende Anträge angekündigt hatte (II 32):
21 
1. In Abänderung des erstinstanzlichen Urteils des Landgerichts Karlsruhe vom 04.07.2019, Az. 4 O 7/19, wird die Klage insgesamt abgewiesen.
22 
2. Hilfsweise für den Fall, dass dem Antrag nach Ziffer I. nicht stattgegeben wird: Der Rechtsstreit wird, soweit zu Lasten der Beklagten entschieden wurde, unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Landgerichts K. zurückverwiesen.
23 
Innerhalb der Berufungsbegründungsfrist hat sie gegen das erstinstanzliche Urteil im Wesentlichen eingewandt,
24 
das Landgericht sei rechtsfehlerhaft von einer bei Abschluss des Kaufvertrags bestehenden Kenntnis der Beklagten von der Verwendung der „Umschaltlogik“ in Motoren des Typs EA 189, einem der Beklagten zurechenbaren Schädigungsvorsatz und einem kausalen Schaden des Klägers ausgegangen.
25 
Im Verlauf des Berufungsverfahrens hat die Beklagte unter Darlegung der angeblichen Entwicklungsgeschichte des Motors des Typs EA 189, des Produktionsprozesses sowie des Ablaufs des Typengenehmigungsverfahrens und der Qualitätskontrollen ua weiter vorgetragen,
26 
die Entwicklung sämtlicher Motoren des Typs EA 189 für die verschiedenen Modelle der Beklagten habe allein der V. AG oblegen. Dies habe die Bedatung des zum Motor zugehörigen Motorsteuerungsgerätes umfasst. Die vorgesehenen Prozesse im Rahmen der Entwicklung hätten weder eine Beteiligung der Beklagten vorgesehen noch einen Einblick in die Bedatung des Motorsteuerungsgeräts oder eine Prüfung des Software-Codes durch die Beklagte ermöglicht. Die Beklagte habe auch keinen Einfluss auf konkrete Eigenschaften der Motoren des Typs EA 189 gehabt. Die Entwickler der V. AG hätten von der Motorsteuerungssoftware eigenständig mehrere Varianten festgelegt und bedatet und für jede bestellbare Variante eine sog. Zulassungsmatrix festgelegt. Zudem habe die entwicklungsverantwortliche V. AG für sämtliche Konzerngesellschaften das für die EG-Typgenehmigung erforderliche Zulassungsverfahren, einschließlich der durchzuführenden Tests, organisiert und begleitet. Dabei sei der gesamte Homologationsprozess für das Aggregat ohne Beteiligung der Beklagten durchgeführt worden. Die Beklagte habe die von ihr hergestellten Serienfahrzeuge nach den einschlägigen Regelungen bezogen auf die Einhaltung der Emissionswerte nur auf dem Rollenprüfstand überprüft. Hierbei habe die „Umschaltlogik“ nicht festgestellt werden können.
27 
Ausgehend hiervon lägen keine Anhaltspunkte für eine Kenntnis des Vorstands oder sonstiger Repräsentanten der Beklagten von der „Umschaltlogik“ vor. Unabhängig davon werde der Sachvortrag der Beklagten einer – unterstellten – sekundären Darlegungslast gerecht. Die durchgeführten internen Ermittlungen und Untersuchungen durch externe Berater hätten keine belastbaren Anhaltspunkte für eine Kenntnis der Vorstandsmitglieder der Beklagten im aktienrechtlichen Sinne oder eine Kenntnis potentieller Repräsentanten vom Einsatz der „Umschaltlogik“ im hier relevanten Zeitpunkt des Inverkehrbringens des erworbenen Fahrzeugs bzw. des Kaufvertragsabschlusses ergeben. Von daher werde für die Zeit vor dem 18. September 2015 eine Kenntnis vom Einsatz dieser Software in den Motoren des Typs 189, die in Fahrzeuge der Beklagten verbaut seien, für alle „ehemaligen Vorstände der Beklagten sowie alle maßgeblichen Repräsentanten, deren Wissen der Beklagten analog § 31 BGB zuzurechnen sei“, bestritten.
28 
Der Kläger hat Zurückweisung der Berufung beantragt und ua geltend gemacht,
29 
der erst im Laufe des Berufungsverfahrens gehaltene Vortrag der Beklagten zur Erfüllung ihrer sekundären Darlegungslast sei bereits prozessual verspätet. Dies gelte insbesondere, soweit die Beklagte bestreite, anlässlich der durchgeführten Qualitätskontrollen Kenntnis davon erlangt zu haben, wie sich der Motor auf- und außerhalb des Prüfstande verhalte. Im Übrigen trägt der Kläger, sein erstinstanzliches Vorbringen wiederholend und vertiefend vor, die Verantwortlichen der Beklagten seien mit den Verantwortlichen der V. AG personell verschränkt und hätten den streitgegenständlichen Motor des Typs EA 189 im Wissen um dessen Manipulation in den Verkehr gebracht. Die grundlegende strategische Unternehmensentscheidung, den Einsatz der Motoren des Typs EA 189 in Fahrzeugen der Beklagten sei vom Vorstand der Beklagten für die Beklagte als eigenständiger Konzerntochter in eigener Verantwortung getroffen worden. Ob und welche Abschalteinrichtungen zur Erfüllung der gesetzlichen Vorgaben zum Einsatz kämen, sei im Gremium Konzernleitung der V. AG entschieden, jedenfalls gebilligt worden. Diesem Gremium habe ab Januar 2007 der Vorstandsvorsitzende der Beklagten – R. S. – angehört.
30 
Die Entwicklungshoheit für den hier verbauten Motor EA 189 habe – richtiger Weise – bei der V. AG gelegen. Die spezifische Anpassung der Motorsteuerungssoftware an das jeweilige Fahrzeug sei jedoch durch die Beklagte erfolgt und habe die Kenntnis von der Wirkweise der Abschalteinrichtung erfordert. Außerdem sei die unzulässige Prüfstandserkennungssoftware in Kooperation der verantwortlichen Repräsentanten der Beklagten und der V. AG marken- und motorenübergreifend entwickelt worden. Dabei habe innerhalb der von den gleichen Konzernverantwortlichen betreuten Motorenentwicklungsabteilungen der Beklagten und der V. AG ein gleicher Informationsstand und eine gleiche Entwicklungslösung vorgelegen, nämlich der Einsatz von Abschalteinrichtungen zur Einhaltung der Stickoxidwerte auf dem Prüfstand. Der Beklagten sei daher zur Zeit des Einbaus des Motors EA 189 in das klägerische Fahrzeug das Spannungsverhältnis zwischen dem Ziel möglichst geringer CO2-Emissionen und der Begrenzung der Stickoxidemissionen als etablierte Fahrzeugherstellerin und Entwicklerin der V 6 3.0 TDI-Dieselmotoren bekannt gewesen. Jedenfalls habe sie aus ihrer eigenen Entwicklungsarbeit gewusst, dass die Einhaltung der NOx-Grenzwerte zu Marktbedingungen nicht zu realisieren sei.
31 
Die Beklagte habe der V. AG einen Entwicklungsauftrag für den EA189-Motor erteilt und ihre Expertise aus der Entwicklung des Motors des Typs V6 3.0 TDI zur Verfügung gestellt. Im Jahr 2006 sei klar gewesen, dass es keinen – legalen – Weg zur Erreichung der Emissionsziele gegeben habe. Folglich sei beschlossen worden, die von der Beklagten für den V6 3.0 TDI entwickelte und ab 2004 für unterschiedliche Schadstoffklassen (EU4-EU6) genutzte Abschalteinrichtung – die sog. Akustikfunktion – zu adaptieren, wobei der Leiter der Aggregateentwicklung R. K. in einer Sitzung der leitenden Motorenentwicklungsingenieure am 20. November 2006 geäußert habe, „man dürfe sich nur nicht erwischen lassen“.
32 
Über die Entwicklung, den Einsatz, die Abstimmung und die Testung der Prüfstandserkennungs- und Täuschungssoftware in dem Motor EA 189 hätten bei der Beklagten ua R. S., M. D., U. H., W. H., U. W., G. P., H. L., A. B., M. G., T. R., K. A., K. K. und A. E. Kenntnis gehabt. Darüber hinaus hätten der Vorstand der Beklagten, namentlich das Vorstandsmitglied R. S. sowie die Entwicklungsingenieure und Leiter der Entwicklungsabteilungen der Beklagten, namentlich der Leiter der Aggregateentwicklung Dr. H.-J. N. und der Technikvorstand Dr. U. H., zur Zeit des Fahrzeugerwerbes durch den Kläger Kenntnis von der streitigen Steuerungssoftware gehabt.
33 
Nachdem die Beklagte in der mündlichen Berufungsverhandlung vom 27. April 2021 keinen Antrag gestellt und der Kläger die Zurückweisung der Berufung durch Versäumnisurteil beantragt hatte, wurde die Berufung der Beklagten mit Versäumnisurteil vom 4. Mai 2021 (II 260) zurückgewiesen.
34 
Gegen dieses ihren Prozessbevollmächtigten am 5. Mai 2021 zugestellte (II 268) Versäumnisurteil richtet sich der bei Gericht am 19. Mai 2021 eingegangene Einspruch der Beklagten vom selben Tag (II 269), den die Beklagte innerhalb der ihr mit Verfügung vom 21. Mai 2021 (II 274) bis 21. Juni 2021 verlängerten Einspruchsbegründungsfrist mit am 21. Juni 2021 eingegangenem Schriftsatz vom selben Tag (II 274) begründet hat.
35 
Die Beklagte trägt – ihren bisherigen Sachvortrag ergänzend und vertiefend – ua vor,
36 
nach dem Ergebnis der mittlerweile abgeschlossenen Untersuchungen des Sachverhalts durch die V. AG und die Beklagte habe kein amtierendes Vorstandsmitglied im Sinne des Aktienrechts – einschließlich der Herren W., S. und H. – bis zum Wochenende des 19./20. September 2015 im maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages Kenntnis von der Umschaltlogik gehabt. Die fehlende Kenntnis ergebe sich im Kern daraus, dass die gesamte Entwicklungsverantwortung für den Motor des Typs EA 189 einschließlich der Strategie zur Einhaltung der gesetzlichen (NOx-)Grenzwerte – wie dargelegt – bei der V. AG gelegen habe.
37 
R. S. sei erst 2010 Mitglied des Vorstandes der V. AG gewesen und damit nicht an der dortigen, deutlich früher getroffenen Entscheidung zur Verwendung der streitgegenständlichen Software in Motoren des Typs EA 189 beteiligt gewesen. Hinzu komme, dass er in seinem Werdegang zu keinem Zeitpunkt mit Themen der Dieselmotorenentwicklung befasst gewesen sei. R. K. sei lediglich in der Otto-Motoren-Entwicklung bei der Beklagten bis 2005 tätig gewesen und habe vor bzw. zu Beginn der Entwicklung des Motors EA 189 zurück zur V. AG gewechselt. Dr. U. H. sei im Rahmen seiner Tätigkeit für die Beklagte von 2002-2006 als Leiter der Sparte Konzeptentwicklung, Entwicklung Aufbau, Elektrik/Elektronik und erneut ab dem 1. Juli 2013 als Technikvorstand nicht mit der streitgegenständlichen Software des EA 189 befasst gewesen. Dies habe er M. W. laut Presseberichten in einer SMS mitgeteilt und gegenüber den Ermittlungsbehörden erläutert.
38 
Die Herren W., P., L., B., G., R., A., K., N., E., B. und K. seien keine verfassungsmäßigen Vertreter der Beklagten, auf denen Kenntnis es vorliegend ankäme. Überhaupt sei keine der genannten Personen mit dem Einbau von Dieselmotoren des Typs EA 189 in Fahrzeuge der Beklagten bzw. mit deren Vermarktung befasst gewesen. U. W. und W. H. seien keine Mitglieder eines Organs der Beklagten im Sinne des Aktienrechts gewesen. Rein vorsorglich werde bestritten, dass U. W. und W. H. im maßgeblichen Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses Kenntnis von der Verwendung der streitgegenständlichen Software in Fahrzeugen der Beklagten gehabt hätten. Die pauschale Auflistung von Personen durch den Kläger, die angeblich Kenntnis von der „Umschaltlogik“ besessen haben sollen, gehe überdies an der Sache vorbei. So etwa seien Personen wie H.-J. N. zu keinem Zeitpunkt Mitarbeiter der Beklagten gewesen.
39 
Falsch sei zudem die Unterstellung des Klägers, aus einer Kenntnis einzelner Mitarbeiter auf Arbeitsebene von der ursprünglich entwickelten Akustikfunktion (für EU4-Fahrzeuge) folge automatisch das Wissen relevanter Repräsentanten der Beklagten von der Weiterentwicklung der Software durch die V. AG für die Motoren des Typs 189 der Abgasnorm EU 5. Ebenso wenig könne aus der Entwicklung von V-TDI-Motoren durch die Beklagte auf die Kenntnis von der durch die V. AG entwickelten Software für den Motor des Typs EA 189 geschlossen werden.
40 
Das Produkt-Strategie-Komitee der Beklagten habe zudem lediglich entschieden, die Motoren des Typs EA 189 in Fahrzeuge der Marke A. einzubauen. Es habe aber nicht die strategische Entscheidung zum Einsatz der streitgegenständlichen Software getroffen. Ebenso wenig habe die Beklagte einen „Entwicklungsauftrag“ für den Motor des Typs EA 189 erteilt. Im Übrigen sei zu bestreiten, dass in dem Gremium „Konzernleitung“ besprochen worden sei, dass die konkrete streitgegenständliche Software zum Einsatz habe kommen sollen. Im Rahmen der durchgeführten Untersuchungen habe nicht festgestellt werden können, dass ein strategisch ausgerichtetes Gremium mit der Bezeichnung „Konzernleitung“ operative bzw. technische Entscheidungen über den Einsatz von Abschalteinrichtungen in Dieselmotoren getroffen habe. Im Übrigen habe dem Gremium auf Seiten der Beklagten einzig R. St. angehört, dessen Kenntnis von der Verwendung der „Umschaltlogik“ die Beklagte mehrfach bestritten habe.
41 
Schließlich sei die Beklagte nicht an Diskussionen um die streitgegenständliche Motorsteuerungssoftware oder den Einsatz von Abschalteinrichtungen beteiligt gewesen. Dies gelte insbesondere für die behauptete angebliche Sitzung der leitenden Motorenentwicklungsingenieure am 20. November 2006. An dem klägerseits angeführten Tag habe ein solches Treffen nicht stattgefunden. Sofern es ein solches Meeting gegeben haben sollte, sei hieran jedenfalls kein Mitarbeiter der Beklagten beteiligt gewesen.
42 
Die Beklagte beantragt nun:
43 
1. Das Versäumnisurteil vom 04.05.2021, Az. 17 U 811/19, wird aufgehoben und in Abänderung des erstinstanzlichen Urteils des Landgerichts Karlsruhe vom 04.07.2019, Az. 4 O 7/19, wird die Klage insgesamt abgewiesen.
44 
2. Hilfsweise für den Fall, dass dem Antrag nach Ziffer I. nicht stattgegeben wird: Das Versäumnisurteil vom 04.05.2021, Az. 17 U 811/19, wird aufgehoben und der Rechtsstreit wird, soweit zu Lasten der Beklagten entschieden wurde, unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Landgerichts K. zurückverwiesen.
45 
Der Kläger beantragt,
46 
1. die Verurteilung der Beklagten auf Zahlung von EUR 25.439,50 an den Kläger nebst Zinsen hieraus i.H.v. 4 %, hilfsweise i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszins- jeweils seit dem 21.01.2019 - Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeugs A. Q5 2,0 TDI Quattro Fahrzeugidentifikationsnummer … an die Beklagte
47 
2. die Feststellung des Verzugs der Beklagten mit der Annahme des Angebotes gemäß Ziff. 1
48 
gemäß Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 04.07.2019 und Versäumnisurteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 04.05.2021 unter Zurückweisung des hiergegen gerichteten Einspruchs der Beklagten aufrecht zu erhalten und die Berufung der Beklagten zurück zu weisen.
49 
Zu den in den mündlichen Berufungsverhandlungen vom 27. April 2021, vom 5. Oktober 2021 und vom 8. Februar 2022 von dem Kläger zu diesen Tagen behaupteten Kilometerständen von 132.199 km (vgl. Protokoll der Berufungsverhandlung, dort S. 4 = II 255), 136.338 km (vgl. Protokoll der Berufungsverhandlung, dort S. 3 = II 391) und 138.348 km (vgl. Protokoll der Berufungsverhandlung, dort S. 2 = II 444), hat die Beklagte jeweils keine Erklärung abgegeben (vgl. ebenda).
50 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Berufungsrechtszug wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
51 
Die auf den zulässigen Einspruch der Beklagten zu prüfende Berufung der Beklagten hat überwiegend keinen Erfolg, sodass das die Berufung zurückweisende Versäumnisurteil des Senats vom 4. Mai 2021 in dem tenorierten Umfang aufrechtzuerhalten ist (§ 343 Satz 1, § 539 Abs. 3 ZPO). Soweit die zulässige Berufung der Beklagten begründet ist, ist das Versäumnisurteil aufzuheben (§ 343 Satz 2, § 539 Abs. 3 ZPO).
52 
Der Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil des Senats vom 4. Mai 2021 ist zulässig. Er wurde insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§§ 339 Abs. 1, 340 Abs. 1, Abs. 2 ZPO). Das Versäumnisurteil ist der Beklagten am 5. Mai 2021 zugestellt worden. Der Einspruch ist am 19. Mai 2021 und damit rechtzeitig innerhalb der zweiwöchigen Einspruchsfrist des § 339 Abs. 1 ZPO iVm § 539 Abs. 3 ZPO beim Oberlandesgericht eingegangen.
53 
Durch den zulässigen Einspruch der Beklagten wurde das Berufungsverfahren in die Lage vor der Säumnis zurückversetzt (§§ 342, 539 Abs. 3 ZPO). Die danach zu prüfende Berufung der Beklagten ist zulässig, aber überwiegend unbegründet. Denn entgegen der Ansicht der Berufung hat der Kläger gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 analog BGB dem Grunde nach einen Schadensersatzanspruch (1.). Allerdings stehen dem Kläger die ihm von dem Landgericht zuerkannten Ansprüche im Hinblick auf die zwischenzeitlich erfolgte weitere Nutzung des erworbenen Fahrzeugs teilweise nicht mehr zu (2.). Bei dieser Sachlage ist das Versäumnisurteil des Senats vom 4. Mai 2021, mit dem die Berufung der Beklagten insgesamt zurückgewiesen worden ist, aufrechtzuerhalten, soweit das Landgericht die Beklagte in dem nunmehr tenorierten Umfang im Ergebnis zu Recht verurteilt hat (§§ 539 Abs. 3, 343 Abs. 1 Satz 2 ZPO). In dem darüberhinausgehenden Umfang ist das Versäumnisurteil aufzuheben und die Klage auf die Berufung der Beklagten unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils abzuweisen (§§ 539 Abs. 3, 343 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Die Voraussetzungen für die hilfsweise beantragte Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landgericht liegen nicht vor (vgl. § 538 ZPO).
54 
1. Der Kläger hat gegen die Beklagte aus §§ 826, 31 analog BGB dem Grunde nach einen auf Rückabwicklung des Kaufvertrages gerichteten Schadensersatzanspruch. Denn die Beklagte hat dem Kläger in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zugefügt. Die Beklagte handelte sittenwidrig, indem sie Fahrzeuge, die mit Motoren des Typs EA 189 ausgestattet waren – darunter das später von dem Kläger erworbene Fahrzeug – in Kenntnis der „Umschaltlogik“ in den Verkehr brachte (a)). Dadurch ist dem Kläger kausal (c)) ein Schaden entstanden, der im Abschluss des Kaufvertrages über das streitgegenständliche Fahrzeug zu sehen ist (b)). Ferner hatte die Beklagte im Zeitpunkt ihrer Entscheidung Kenntnis von dem Eintritt eines Schadens, der Kausalität des eigenen Verhaltens für den Eintritt des Schadens und der die Sittenwidrigkeit des Verhaltens begründenden Umstände (d)), so dass die Beklagte dem Kläger gegenüber aus §§ 826, 31 analog BGB für die Schäden haftet, die aus der Installation der in Streit stehenden Software in die Motorsteuerung des Motors EA 189 resultieren.
55 
a) Die Beklagte handelte sittenwidrig, indem sie Fahrzeuge, wie das von dem Kläger erworbene, auf Grundlage einer zuvor in Kenntnis der „Umschaltlogik“ getroffenen Entscheidung in den Verkehr brachte, obwohl wenigstens ein verfassungsmäßig berufener Vertreter der Beklagten im Sinne von § 31 BGB wusste, dass der Motor mit einer auf eine arglistige Täuschung des KBA abzielenden Prüfstandserkennungssoftware ausgestattet war.
56 
aa) Sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht. Ob ein Verhalten sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB ist, ist dabei eine Rechtsfrage, die der uneingeschränkten Kontrolle des Revisionsgerichts unterliegt (st. höchstrichterliche Rspr., etwa BGH, Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 192/20 –, juris Rn. 20; Urteil vom 8. März 2021 – VI ZR 505/19 –, juris Rn. 17 f.; Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 –, juris Rn. 14 f.; Urteil vom 25. November 2021 – VII ZR 243/20 –, juris Rn. 17).
57 
bb) Die Haftung einer juristischen Person wegen einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung aus § 826 BGB in Verbindung mit § 31 BGB setzt außerdem voraus, dass ein „verfassungsmäßig berufener Vertreter“ im Sinne des § 31 BGB den objektiven und subjektiven Tatbestand verwirklicht hat, wobei der Begriff des „verfassungsmäßig berufenen Vertreters“ über den Wortlaut der §§ 30, 31 BGB hinaus weit auszulegen ist (vgl. nur BGH, Urteil vom 28. Juni 2016 – VI ZR 541/15 –, juris Rn. 14 mwN; Urteil vom 28. Juni 2016 – VI ZR 536/15 –, juris Rn. 13 mwN). Dabei trägt derjenige, der einen Anspruch aus § 826 BGB geltend macht, grundsätzlich die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen, d.h. sowohl für die Umstände, die die Schädigung und deren Sittenwidrigkeit in objektiver Hinsicht begründen, als auch für den zumindest bedingten Vorsatz des Schädigers hinsichtlich des Vorliegens dieser Umstände (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 –, juris Rn. 35 mwN).
58 
cc) Gemessen hieran handelt ein Automobilhersteller gegenüber einem Fahrzeugkäufer sittenwidrig, wenn er entsprechend seiner grundlegenden strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzen, Fahrzeuge mit einer Motorsteuerung in Verkehr bringt, deren Software bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden, und damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielt. Ein solches Verhalten steht einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleich (BGH, Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 192/20 –, juris Rn. 21; Urteil vom 8. März 2021 – VI ZR 505/19 –, juris Rn. 19; Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 –, juris Rn. 16 ff.; Urteil vom 25. November 2021 – VII ZR 243/20 –, juris Rn. 18; Urteil vom 21. Dezember 2021 – VI ZR 875/20 –, juris Rn. 9).
59 
Dabei setzt bereits die objektive Sittenwidrigkeit des Herstellens und des Inverkehrbringens von Kraftfahrzeugen mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Verhältnis zum Fahrzeugerwerber voraus, dass dies in Kenntnis der Abschalteinrichtung und im Bewusstsein ihrer – billigend in Kauf genommenen – Unrechtmäßigkeit geschieht (BGH, Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 192/20 –, juris Rn. 22; Beschluss vom 9. März 2021 – VI ZR 889/20 –, juris Rn. 28; Urteil vom 8. März 2021 – VI ZR 505/19 –, juris Rn. 21; Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19 –, juris Rn. 19; Urteil vom 25. November 2021 – VII ZR 243/20 –, juris Rn. 19).
60 
Allerdings ist für eine Haftung eines Automobilherstellers nicht erforderlich, dass er den Motor oder die Motorsteuerung, deren Software bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden, selbst entwickelt oder hergestellt hat. Vielmehr kommt ein sittenwidriges Vorgehen der Beklagten auch dann in Betracht, wenn deren verfassungsmäßig berufene Vertreter zumindest wussten, dass die Motoren des streitgegenständlichen Typs mit einer auf arglistige Täuschung des KBA abzielenden Prüfstanderkennungssoftware ausgestattet waren, und die von der Beklagten hergestellten Fahrzeuge in Kenntnis dieses Umstandes mit diesem Motor versahen und in den Verkehr brachten (BGH, Urteil vom 21. Dezember 2021 – VI ZR 875/20 –, juris Rn. 11; Urteil vom 8. März 2021 – VI ZR 505/19 –, juris Rn. 21). Dabei genügt es, wenn wenigstens ein an der Entscheidung über den Einsatz beteiligter verfassungsmäßig berufener Vertreter im Sinne des § 31 BGB von der Prüfstandserkennungssoftware Kenntnis hatte (BGH, Urteil vom 25. November 2021 – VII ZR 238/20 – juris Rn. 29 f.).
61 
dd) Nach diesen allgemeinen Maßstäben handelte die Beklagte sittenwidrig, indem sie die Entscheidung traf, Motoren des Typs EA 189 in die von ihr hergestellten Fahrzeugen – darunter das später von dem Kläger erworbene Fahrzeug – in Kenntnis der „Umschaltlogik“ im eigenen Kosten- und Gewinninteresse einzubauen und sie die so ausgestatteten Fahrzeuge in den Verkehr brachte. Dabei wusste wenigstens ein verfassungsmäßig berufener Vertreter der Beklagten im Sinne von § 31 BGB, dass der Motor EA 189 mit einer auf die arglistige Täuschung des KBA abzielenden Prüfstandserkennungssoftware ausgestattet war.
62 
(1) Die grundlegende Entscheidung, die Motoren des Typs EA 189 in Fahrzeuge der Beklagten zu verbauen, wurde unstreitig im Februar 2006 im Produkt-Strategie-Komitee der Beklagten getroffen, dem nicht nur Mitarbeiter der Fachabteilungen, sondern zugleich Mitglieder des Vorstandes angehörten (Schriftsätze der Beklagten vom 19. Oktober 2020, dort S. 14 = II 91 und vom 19. Januar 2022, dort S. 9 = II 416; Protokoll der mündlichen Berufungsverhandlung vom 5. Oktober 2021, dort S. 3 = II 391). Da die Fahrzeugmodelle, in denen der Motor des Typs EA 189 letztlich zum Einsatz kam, nicht zur gleichen Zeit entwickelt wurden, traf die Beklagte zudem im Nachgang weitere gesonderte Beschlüsse über den Einsatz des Motors des Typs EA 189 in die einzelnen Fahrzeugmodelle (Schriftsatz der Beklagten vom 19. Oktober 2020, dort S. 15 = I 92). Auf dieser Grundlage stattete die Beklagte ua das von dem Kläger erworbene Fahrzeuge des Typs Q 5 Sportback 2.0 TDI mit dem Motor des Typs EA 189 aus, dessen Motorsteuerung unstreitig die „Umschaltlogik“ enthielt, die bei erkanntem Prüflauf eine verstärkte Abgasrückführung aktivierte und deshalb als unzulässige Abschalteinrichtung zu qualifizieren ist (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Januar 2019 – VIII ZR 225/17 –, juris Rn. 5 ff.; BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 –, juris Rn. 17).
63 
Zwar hat die Beklagte bestritten, dass die Entscheidung über den Einsatz der Motoren des Typs EA 189 und das Inverkehrbringen hiermit ausgestatteter Fahrzeuge in Kenntnis der „Umschaltlogik“ erfolgt ist. Jedoch genügt das Bestreiten der Beklagten mit Rücksicht auf das Vorbringen des Klägers (dazu (2)) nicht den Anforderungen an ein substantiiertes Bestreiten (dazu (3)), sodass die gegenteilige klägerische Behauptung als zugestanden gilt (§ 138 Abs. 3 ZPO). Auf die Grundsätze der sekundären Darlegungslast (vgl. dazu BGH, Urteile vom 8. März 2021 – VI ZR 505/19 –, juris Rn. 28 und 16. September 2021 – VII ZR 192/00 –, juris Rn. 27) kommt es von daher vorliegend nicht an.
64 
(2) Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs dann schlüssig, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen (vgl. nur BGH, Urteil vom 26. März 2019 – VI ZR 163/17 –, juris Rn. 11; Beschluss vom 25. September 2018 – VI ZR 234/17 –, juris Rn. 8; Beschluss vom 26. Oktober 2016 – IV ZR 52/14 –, juris Rn. 27). Hierbei ist zu berücksichtigen, welche Angaben einer Partei zumutbar und möglich sind. Falls sie keinen Einblick in die Geschehensabläufe hat und ihr die Beweisführung deshalb erschwert ist, darf sie auch vermutete Tatsachen unter Beweis stellen. Sie ist grundsätzlich nicht gehindert, Tatsachen zu behaupten, über die sie keine genauen Kenntnisse hat, die sie aber nach Lage der Dinge für wahrscheinlich hält (BGH, Urteil vom 4. Oktober 2018 – III ZR 213/17 –, juris Rn. 26 mwN; Urteil vom 26. Januar 2022 – VIII ZR 140/20 –, juris Rn. 40 mwN).
65 
Gemessen hieran hat der Kläger hinreichend greifbare Anhaltspunkte vorgetragen, die darauf schließen lassen, dass der Einbau des Motors des Typs EA 189 in die Fahrzeuge der Beklagten und das Inverkehrbringen der damit ausgestatteten Fahrzeuge in Kenntnis und Billigung wenigstens eines verfassungsmäßigen Vertreters von der „Umschaltlogik“ und deren Rechtswidrigkeit erfolgt ist (zum letzteren siehe Klageschrift, dort S. 5 = I 11). Seinen bereits in erster Instanz schlüssigen Klagevortrag hat der Kläger in zweiter Instanz – ohne dass es auf die Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO ankäme – in zulässiger Weise ergänzt und vertieft (vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 2006 – VII ZR 279/05 –, juris Rn. 7 f. mwN).
66 
Wie der Kläger im Berufungsverfahren ergänzend vorgetragen hat, sei die Entscheidung, die „Umschaltlogik“ zu verwenden, im Gremium Konzernleitung getroffen worden, dem ab 1. Januar 2007 der Vorstandsvorsitzende der Beklagten, R. S., angehörte. Zwar habe die Entwicklungshoheit für den Motor des Typs EA 189 – wie der Kläger im Berufungsverfahren in Übereinstimmung mit der Beklagten vorgetragen hat – bei der V. AG gelegen. Jedoch sei die Prüfstandserkennungssoftware marken- und motorenübergreifend entwickelt worden, wobei innerhalb der von den gleichen Konzernverantwortlichen betreuten Motorenentwicklungsabteilungen ein gleicher Informationsstand und eine gleiche Entwicklungslösung, nämlich der Einsatz unzulässiger Abschalteinrichtungen, vorgelegen habe (Schriftsatz vom 18. Dezember 2020, dort S. 3 f. = II 157 f.).
67 
Dabei hat der Kläger für eine markenübergreifende Entwicklung der Software und einen diesbezüglichen Informationsaustausch zwischen der Beklagten und der V. AG sprechend ua vorgetragen, dass im Entwicklungsbereich konzernweit tätige Personen Kenntnis von der „Umschaltlogik“ gehabt hätten. So habe zB W. H. – der seit 1. Januar 2007 unstreitig Generalbevollmächtigter der Konzernmotorenentwicklung bei der V. AG, ab 2009 Leiter der Aggregateentwicklung für den gesamten V.-Konzern sowie von 2001 - 2007 Leiter der Aggregateentwicklung der Beklagten gewesen ist – von der Entwicklung und dem Einsatz der Software gewusst (Schriftsätze vom 18. Dezember 2020, dort S. 2 ff. = II 156 ff. und vom 2. März 2021, dort S. 12 = II 213). Wie der Kläger insoweit konkret behauptet hat (Schriftsatz vom 18. Dezember 2020, dort S. 3 = II 157), soll „W. H. (...) nach Angaben des A.-Motorenentwicklers Z. G. P., der seit 2002 für A. in der Motorenentwicklung tätig war, von der Entwicklung und dem Einsatz der Abschalteinrichtung gewußt und wegen des hohen Erwartungs- und Verkaufsdrucks der Markteinführung neuer Dieselmotoren 2008 mit Prüfstandserkennungssoftware zugestimmt haben.“
68 
Weiter hat der Kläger unter Schilderungen einzelner Treffen von Entwicklern und Managern der Beklagten und der V. AG bezugnehmend auf in den U. gewonnene Erkenntnisse der Ermittlungsbehörden vorgetragen, dass im Jahr 2006 beschlossen worden sei, die von der Beklagten für den von ihr entwickelten Motor des Typs V6 3.0 TDI entwickelte Akustikfunktion in Motoren des Typs EA 189 zu adaptieren (Schriftsatz vom 2. März 2021, dort 8 f. = II 209 f.). Anknüpfend an diesen Vortrag hat der Kläger – entgegen der Berufung – schlüssig und nicht lediglich ins Blaue hinein behauptet, im Hause der Beklagten hätten ua folgende Personen von der Verwendung der „Umschaltlogik“ in Motoren des Typs EA 189 Kenntnis gehabt (Schriftsatz vom 2. März 2021, dort S. 12 = II 213): R. S., W. H., U. W. (Leitung Aggregateentwicklung), G. P. (Entwickler V6 3.0 TDI-Motoren), A. B. (Koordination Abgasnachbehandlung) und A. E. (Leiter der Entwicklungsabteilung).
69 
Ergänzend hat der Kläger vorgetragen, es sei davon auszugehen, dass zur Zeit der Einführung des EA 189 auf Seiten der Beklagten sowohl R. S. als auch der zwischenzeitlich verstorbene Entwicklungschef der Marke A., M. D. (Vorstand technische Entwicklungen) gewusst hätten, dass der Motor mit einer Applikation zur Motorsteuerung versehen gewesen sei, die den Motor dergestalt steuerte, dass der Grenzwert der EU5-Norm lediglich im NEFZ-Zyklus eingehalten worden sei (Schriftsatz vom 2. März 2021, dort S. 24 f. = II 225 f.).
70 
(3) Diesen schlüssigen klägerischen Vortrag hat die Beklagte nicht substantiiert bestritten.
71 
Zwar obliegt es grundsätzlich dem Antragsteller, dazulegen und zu beweisen, dass der Vorstand, ein Mitglied des Vorstands oder ein anderer verfassungsmäßiger Vertreter (§ 31 BGB) sittenwidrig gehandelt hat. In bestimmten Fällen ist es aber Sache der Gegenpartei, sich im Rahmen der ihr nach § 138 Abs. 2 ZPO obliegenden Erklärungspflicht zu den Behauptungen der beweispflichtigen Partei substantiiert zu äußern. Dabei hängen die Anforderungen an die Substantiierungslast des Bestreitenden davon ab, wie substantiiert die darlegungspflichtige Partei – hier der Kläger – vorgetragen hat. In der Regel genügt ein einfaches Bestreiten. Ob und inwieweit die nicht darlegungsbeweisbelastete Partei ihren Sachvortrag substantiieren muss, lässt sich jedoch nur aus dem Wechselspiel von Vortrag und Gegenvortrag bestimmen, wobei die Ergänzung und Aufgliederung des Sachvortrags bei hinreichendem Gegenvortrag immer zunächst Sache der darlegungs- und beweispflichtigen Partei ist (BGH, Urteile vom 3. Februar 1999 – VIII ZR 14/98 –, juris Rn. 19 ff. und vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 –, juris Rn. 36; jeweils mwN).
72 
Gemessen hieran hat die Beklagte den klägerischen Vortrag nicht substantiiert bestritten. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des weitergehenden Vorbringens der Beklagten im Berufungsverfahren, das entgegen der Auffassung des Klägers zuzulassen ist, weil die Beklagte ihren erstinstanzlichen Vortrag – die Ausführungen zur Herstellung des Motors und zum Typengenehmigungsverfahren eingeschlossen – in zweiter Instanz lediglich in zulässiger Weise ergänzt hat und das klägerische Vorbringen zur Qualitätskontrolle in erster Instanz unerheblich gewesen ist (§ 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Zwar hat die Beklagte im Berufungsverfahren vor allem zur Entwicklungsgeschichte des Motors des Typs EA 189 und zum Produktionsprozess, aber auch zum Ablauf des Typengenehmigungsverfahrens und zur Qualitätskontrolle weitergehend vorgetragen und anknüpfend hieran generell bestritten, dass ein verfassungsgemäßer Vertreter der Beklagten im Sinne von § 31 BGB vor Herbst 2015 Kenntnis vom Einsatz der „Umschaltlogik“ gehabt habe. Zugleich hat sie in Abrede gestellt, dass der Einsatz der „Umschaltlogik“ vom Produkt-Strategie-Komitee im Zuge der Entscheidung des Einsatzes der Motoren des Typs EA 189 gebilligt und hierüber im Gremium Konzernleitung unter Beteiligung des Vorstandes der Beklagten entschieden worden sei (Einspruchsbegründung, dort S. 17 f., 20 f. = II 305 f., 308 f.; Protokoll der mündlichen Berufungsverhandlung vom 5. Oktober 2021, dort S. 3 = II 397). Weiter hat die Beklagte dezidiert bestritten, dass ihr späterer Technikvorstand Dr. U. H. und früherer Leiter der Sparte Konzeptentwicklung sowie der Vorstandsvorsitzende R. S. Kenntnis vom Einsatz der Software gehabt hätten. Darüber hinaus hat die Beklagte in Abrede gestellt, dass am 20. November 2006 unter Beteiligung von Mitarbeitern der Beklagten beschlossen worden sei, die von der Beklagten für die Motoren des Typs V 6 3.0 TDI entwickelte Akustikfunktion in den Motoren des Typs EA 189 zu adaptieren (Einspruchsbegründung, dort S. 12 f., 18, 23 f. = II 300 f., 306, 311 f.).
73 
Indes lässt der Vortrag der Beklagten zu einer fehlenden Kenntnis wenigstens eines verfassungsmäßig berufenen Vertreters im Sinne von § 31 BGB nötigen, näheren Vortrag zu den in Streit stehenden Entscheidungsprozessen in Bezug auf die Verwendung der Motoren des Typs EA 189 vermissen. Die Beklagte hat trotz Hinweises des Senats in der mündlichen Berufungsverhandlung vom 5. Oktober 2021 (Protokoll, dort S. 3 = II 391) nicht dargelegt, wer Mitglied des Produkt-Strategie-Komitees gewesen ist und welche Personen damit die Entscheidung zum Einbau dieser Motoren in den Fahrzeugen der Beklagten auf welcher Tatsachengrundlage getroffen haben. Das Vorbringen, die Entscheidung des Produkt-Strategie-Komitees habe lediglich finanzielle und zeitliche Planungsaspekte einbezogen, nicht jedoch technische Details der streitgegenständlichen Software (Einspruchsbegründung, dort S. 21 = II 309), reicht für ein substantiiertes Bestreiten nicht aus. Entgegen den Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 19. Januar 2022 (dort S. 9 = II 416) ist die Besetzung des Produkt-Strategie-Komitees auch nicht unerheblich, weil erste Emails zur Entwicklung der „Umschaltlogik“ innerhalb der V. AG ausweislich des Statement of Facts (Anlage BB 7) erst im Mai 2006 gewechselt wurden und die bereits im Februar 2006 getroffene Entscheidung des Produkt-Strategie-Komitees deshalb denklogisch nicht in Billigung der „Umschaltlogik“ erfolgt sein könne. Zum einen kann die Kenntnis der „Umschaltlogik“ unabhängig vom E-Mail-Verkehr bestanden haben. Zum anderen lässt die Beklagte unberücksichtigt, dass nach ihrem eigenen Vorbringen im Anschluss an die im Februar 2006 getroffene Grundsatzentscheidung des Produkt-Strategie-Komitees Folgebeschlüsse über die Verwendung des Motors des Typs EA 189 in den jeweiligen Fahrzeugmodellen getroffen wurden, auf deren Grundlage die jeweiligen Fahrzeuge sodann in den Verkehr gebracht wurden (siehe oben).
74 
Des Weiteren hat die Beklagte die konkrete Behauptung des Klägers nicht bestritten, zur Zeit der Einführung des EA 189 habe auf Seiten der Beklagten auch der frühere, zwischenzeitlich verstorbene Entwicklungschef der Beklagten M. D. (Vorstand technische Entwicklungen) gewusst, dass der Motor mit einer Applikation zur Motorsteuerung versehen gewesen sei, die den Motor dergestalt gesteuert habe, dass der Grenzwert der EU5-Norm lediglich im NEFZ-Zyklus eingehalten gewesen sei (Schriftsatz vom 2. März 2021, dort S. 24 f. = II 225 f.). Konkrete, diese Behauptung widerlegende Ausführungen zur Person M. D. hat die Beklagte weder in erster noch in zweiter Instanz gehalten. Das bloße generelle Bestreiten der Kenntnis eines verfassungsgemäßen Vertreters von der Verwendung der „Umschaltlogik“ genügt zudem im Hinblick auf den konkreten Vortrag des Klägers nicht den Anforderungen an ein substantiiertes Bestreiten. Im Übrigen hat die Beklagte trotz Hinweises des Senats (Protokoll der Berufungsverhandlung vom 5. Oktober 2021, dort S. 3 = II 391) nicht dargelegt, dass sie die maßgeblichen Personen, deren Kenntnis sie allgemein bestreitet, im Rahmen der durchgeführten internen und externen Ermittlungen tatsächlich zu ihrer Kenntnis befragt hätte. Insoweit stellt sich das ohne hinreichende Informationsgrundlage erfolgte Bestreiten der Prozessbevollmächtigten der Beklagten trotz des allgemeinen Verweises auf die Ergebnisse der internen und externen Ermittlungen im Ergebnis als Bestreiten „ins Blaue hinein“ dar (vgl. hierzu OLG Köln, Urteil vom 27. Februar 1991 – 2 U 89/90 –, NJW-RR 1992, 572).
75 
(4) Die Entscheidung der Beklagten, die mit der unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattete Motorsteuerung in ihre Fahrzeuge wie den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp einzubauen und die so ausgestatteten Fahrzeuge in den Verkehr zu bringen, verstößt bei der gebotenen Gesamtschau sämtlicher Umstände gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden. Als Beweggrund für das Inverkehrbringen des mit der unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Motors kommt allein eine angestrebte Kostensenkung und Gewinnmaximierung durch hohe Absatzzahlen in Betracht. Zum einen erscheint es lebensfremd, dass die Beklagte das mit der Verwendung der Abschaltsoftware verbundene erhebliche Risiko ohne wirtschaftliche Vorteile eingegangen wäre. Zum anderen trägt die Beklagte selbst keinen anderen Grund vor. Hinzu kommt, dass den Käufern eines Fahrzeugs, dessen Motorsteuerungssoftware eine Umschaltlogik enthielt, die – wie hier – als unzulässige Abschalteinrichtung zu qualifizieren war, ein erheblicher Schaden in Form der Stilllegung des erworbenen Fahrzeuges drohte (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 –, juris Rn. 49).
76 
b) Dem Kläger ist dadurch, dass er das hier in Streit stehende Fahrzeug gekauft hat, in dem der mit der „Umschaltlogik“ versehene Motor EA 189 eingebaut war, ein Schaden entstanden (so auch BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 –, juris Rn. 44 ff.).
77 
Der Schaden des Käufers liegt in der Belastung mit der ungewollten Verbindlichkeit, nicht erst in dadurch verursachten wirtschaftlichen Nachteilen. Allein maßgebend ist, dass der abgeschlossene Vertrag, nämlich die Eigenschaften des Kaufgegenstands, nicht den berechtigten Erwartungen des Getäuschten entsprach und überdies die Leistung für seine Zwecke nicht voll brauchbar war (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2014 – VI ZR 15/14 –, juris Rn. 16 ff.). Beide Voraussetzungen waren im maßgeblichen Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses gegeben, weil vorliegend wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung die Entziehung der EG-Typgenehmigung oder die Anordnung von Nebenbestimmungen sowie bei deren Nichterfüllung die Stilllegung des Fahrzeuges drohte. Wegen des zur Rechtswidrigkeit der EG-Typgenehmigung führenden und damit die Zulassung des Fahrzeugs gefährdenden Mangels ist gerade der intendierte Hauptzweck des Fahrzeugs, dieses im öffentlichen Straßenverkehr zu nutzen, bereits vor der tatsächlichen Stilllegung unmittelbar gefährdet (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Januar 2019 – VIII ZR 225/17 –, juris Rn. 22), was bereits einen Schaden darstellt (so bereits Senat, Urteil vom 19. November 2019 – 17 U 146/19 –, juris Rn. 42 mwN).
78 
Für die Frage, ob ein Schaden eingetreten ist, kommt es allein auf den Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses an. Die später von der V. AG entwickelten – und nach Freigabe durch das KBA im Jahr 2016 an dem klägerischen Fahrzeug durchgeführten – technischen Maßnahmen sind insoweit nicht zu berücksichtigen (so bereits Senat, Urteil vom 19. November 2019 – 17 U 146/19 –, juris Rn. 43 mwN; vgl. auch BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 –, juris Rn. 58).
79 
c) Das oben genannte sittenwidrige Handeln der Beklagten ist kausal für den dem Kläger entstandenen Schaden.
80 
Hätte die Beklagte nicht die Entscheidung getroffen, dass die mit der „Umschaltlogik“ ausgerüsteten Motoren des Typs EA 189 in die von ihr hergestellten Fahrzeuge vom Typ Q 5 2.0 TDI eingebaut und die so ausgestatteten Fahrzeuge in den Verkehr gebracht werden, hätte der Kläger dieses nicht mit der darin verbauten unzulässigen Abschalteinrichtung erwerben können. Jedenfalls hätte er das Fahrzeug in Kenntnis der illegalen Abschalteinrichtung nicht erworben (§ 286 ZPO). Denn bereits die Lebenserfahrung spricht dafür, dass Kraftfahrzeugkäufer vom Kauf eines Fahrzeugs Abstand nehmen würden, wäre ihnen bekannt, dass das betreffende Fahrzeug zwar formal über eine EG-Typgenehmigung verfügt, aber wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung diese nicht hätte erhalten dürfen, weshalb Maßnahmen der die Typgenehmigung erteilenden Behörde und dem folgend der Zulassungsstelle bis hin zur Stilllegung drohen (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 –, juris Rn. 49). Zweck des Autokaufs ist nämlich grundsätzlich – abgesehen von hier nicht einschlägigen Sonderkonstellationen – der Erwerb zur Fortbewegung im öffentlichen Straßenverkehr (so bereits Senat, Urteil vom 19. November 2019 – 17 U 146/19 –, juris Rn. 45 mwN).
81 
d) Schließlich sind die subjektiven Voraussetzungen einer Haftung nach § 826 BGB erfüllt. Die Beklagte hatte im Zeitpunkt ihrer Entscheidung Kenntnis von dem Eintritt eines Schadens, der Kausalität des eigenen Verhaltens für den späteren Eintritt des Schadens und der die Sittenwidrigkeit des Verhaltens begründenden Umstände.
82 
aa) In subjektiver Hinsicht setzt § 826 BGB Schädigungsvorsatz sowie Kenntnis der Tatumstände, die das Verhalten sittenwidrig erscheinen lassen, voraus.
83 
(1) Der erforderliche Schädigungsvorsatz bezieht sich darauf, dass durch die Handlung einem anderen Schaden zugefügt wird. Dabei setzt § 826 BGB keine Schädigungsabsicht im Sinne eines Beweggrundes oder Zieles voraus. Vielmehr genügt für den Vorsatz im Rahmen des § 826 BGB nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein Eventualvorsatz. Dabei braucht der Täter nicht im Einzelnen zu wissen, welche oder wie viele Personen durch sein Verhalten geschädigt werden; vielmehr reicht aus, dass er die Richtung, in der sich sein Verhalten zum Schaden irgendwelcher anderer auswirken könnte, und die Art des möglicherweise eintretenden Schadens vorausgesehen und mindestens billigend in Kauf genommen hat (vgl. nur BGH, Urteil vom 28. Juni 2016 – VI ZR 536/15 –, juris Rn. 25).
84 
Im Einzelfall kann sich aus der Art und Weise des sittenwidrigen Handelns, insbesondere dem Grad der Leichtfertigkeit des Schädigers, die Schlussfolgerung ergeben, dass er mit Schädigungsvorsatz gehandelt hat (vgl. BGH, Urteil vom 20. November 2012 – VI ZR 268/11 –, juris Rn. 33). Dies kann insbesondere dann naheliegen, wenn der Schädiger sein Vorhaben trotz starker Gefährdung des Rechtsguts durchgeführt hat und es dem Zufall überlässt, ob sich die erkannte Gefahr verwirklicht (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 2011 – VI ZR 309/10 –, juris Rn. 11 mwN).
85 
(2) Für den getrennt davon erforderlichen subjektiven Tatbestand der Sittenwidrigkeit genügt die Kenntnis der tatsächlichen Umstände, die das Sittenwidrigkeitsurteil begründen (vgl. BGH, Urteil vom 13. September 2004 – II ZR 276/02 –, juris Rn. 36).
86 
(3) Der Vorwurf der Sittenwidrigkeit lässt sich dabei nicht dadurch begründen, dass unter Anwendung der Grundsätze der Wissenszurechnung und Wissenszusammenrechnung auf die „im Hause“ der juristischen Person vorhandenen Kenntnisse abgestellt wird. Insbesondere lässt sich ein sittenwidriges Verhalten nicht durch mosaikartiges Zusammenrechnen der bei verschiedenen Mitarbeitern der juristischen Person vorhandenen Kenntnisse konstruieren (BGH, Urteil vom 28. Juni 2016 – VI ZR 536/15 –, juris Rn. 23). Die erforderlichen Wissens- und Wollenselemente müssen vielmehr kumuliert bei einem Mitarbeiter vorliegen, der zugleich als verfassungsmäßig berufener Vertreter im Sinn des § 31 BGB anzusehen ist und auch den objektiven Tatbestand verwirklicht hat (vgl. BGH, aaO, Rn. 13 mwN).
87 
bb) Nach diesen allgemeinen Maßstäben steht aufgrund des maßgeblichen Sach- und Streitstands fest, dass die Beklagte im Zeitpunkt der sittenwidrigen, oben dargestellten Entscheidung Kenntnis von dem Eintritt eines Schadens, der Kausalität des eigenen Verhaltens für den späteren Eintritt des Schadens und der die Sittenwidrigkeit des Verhaltens begründenden Umstände hatte.
88 
(1) Der Kläger hat – wie ausgeführt – hinreichende Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass wenigstens ein verfassungsmäßig berufener Vertreter, für dessen Verhalten die Beklagte nach § 31 BGB einzustehen hat, Kenntnis vom Einsatz der Manipulationssoftware und ihrer Unzulässigkeit besaß. Dabei hat der Kläger zugleich behauptet, der Vorstand – und damit dieselbe Person – habe Kenntnis von sämtlichen die Sittenwidrigkeit des Verhaltens begründenden Umständen gehabt und wissentlich und willentlich in seine Entscheidung aufgenommen, dass die Erwerber der mit der Täuschungssoftware versehenen Fahrzeuge ein Fahrzeug erwerben, das weder den geltenden Abgasnormen entspricht noch zulassungsfähig sei, sodass die Käufer bei Bekanntwerden des Vorhandenseins der unzulässigen Abschalteinrichtung erhebliche Vermögensverluste würden hinnehmen müssen (Klageschrift, dort S. 8 = I 17 und Schriftsatz vom 6. Mai 2019, dort S. 9 = I 197).
89 
(2) Den schlüssigen Vortrag des Klägers zur Kenntnis eines verfassungsmäßigen Vertreters von der Rechtswidrigkeit der „Umschaltlogik“ hat die Beklagte – wie dargelegt – nicht erheblich bestritten, sodass die Kenntnis vom Einsatz der Manipulationssoftware und ihrer Unzulässigkeit als zugestanden gilt (§ 138 Abs. 3 ZPO). Zudem entspricht die Annahme eines auf den ungewollten Vertragsschluss bezogenen Schädigungsvorsatzes der Lebenserfahrung (vgl. BGH, Urteil vom 25. November 2021 – VII ZR 238/29 –, juris Rn. 41 mwN). Denn es ist davon auszugehen, dass der oder die verantwortlich für die Beklagte handelnden verfassungsgemäßen Vertreter (§ 31 BGB), welche die Rechtswidrigkeit der „Umschaltlogik“ kannten, zugleich eine Schädigung potentieller Käufer billigend in Kauf nahmen, weil ihnen bewusst war, dass in Kenntnis des Risikos einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung der betroffenen Fahrzeuge niemand – ohne einen erheblichen Abschlag vom Kaufpreis – ein damit belastetes Fahrzeug erwerben wird (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 –, juris Rn. 60).
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2. Dem Kläger stehen die ihm von dem Landgericht zuerkannten Ansprüche im Hinblick auf die zwischenzeitlich erfolgte weitere Nutzung des erworbenen Fahrzeugs nur teilweise zu.
91 
Als Rechtsfolge des § 826 BGB kann der Kläger von der Beklagten die Schäden ersetzt verlangen, die aus der Installation der die Betriebsmodi konfigurierenden Software in die Motorsteuerung des in dem hier in Streit stehenden Fahrzeug verbauten Motors EA 189 resultieren. Der Inhalt der Schadensersatzpflicht gemäß § 826 BGB bestimmt sich nach den §§ 249 ff. BGB. Der Kläger ist im Wege der Naturalrestitution so zu stellen, als hätte er den Kaufvertrag über das hier in Streit stehende Fahrzeug nicht geschlossen. Damit steht dem Kläger ein auf Rückgängigmachung der Folgen dieses Vertrages gerichteter Anspruch zu, das heißt, er kann Ausgleich der für diesen Vertrag getätigten Aufwendungen gegen Herausgabe des aus dem Vertrag Erlangten verlangen (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juli 2004 – II ZR 402/02 –, juris Rn. 41; Urteil vom 28. Oktober 2014 – VI ZR 15/14 –, juris Rn. 28).
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Nach diesen allgemeinen Grundsätzen hat der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 21.674,78 EUR – und nicht von 25.439,50 EUR – nebst Rechtshängigkeitszinsen seit 22. Januar 2019 – und nicht ab 21. Januar 2019 – Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des erworbenen Fahrzeugs (a)), so dass auf die Berufung und den Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil des Senats vom 4. Mai 2021 dieses und das Urteil des Landgerichts teilweise abzuändern sind. Ferner hat die Berufung der Beklagten Erfolg, soweit das Landgericht festgestellt hat, dass die Beklagte mit der Annahme des Fahrzeugs in Verzug ist; ein solcher Anspruch steht dem Kläger nicht (mehr) zu (b)).
93 
a) Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung des an die Verkäuferin geleisteten Kaufpreises abzüglich einer unter Zugrundelegung einer Gesamtlaufleistung von 250.000 km zu errechnenden Nutzungsentschädigung, so dass ihm in der Hauptsache ein Zahlungsanspruch in Höhe von 21.674,78 EUR (aa)) zuzüglich Rechtshängigkeitszinsen zusteht (bb)).
94 
aa) In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass sich ein Kläger im Wege des Vorteilsausgleichs die von ihm gezogenen Nutzungsvorteile – während der gesamten Dauer des Besitzes – anrechnen lassen muss (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 –, juris Rn. 64 ff.; Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 354/19 –, juris Rn. 11; Urteil vom 24. Januar 2022 – VIa ZR 100/21 –, juris Rn. 23). Mit der Vorteilsanrechnung werden weder die Präventionswirkung des Deliktsrechts verfehlt oder das Gebot unionsrechtskonformer Rechtsanwendung verletzt noch die Beklagte unangemessen entlastet oder gesetzliche Wertungen missachtet (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 354/19 –, juris Rn. 11 mwN).
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Für die Berechnung des Vorteils ist grundsätzlich der objektive Wert der gezogenen Nutzungen maßgeblich (BGH, Urteil vom 31. März 2006 – V ZR 51/05 –, juris Rn. 10). Bei der Eigennutzung beweglicher Sachen wird der Wert von Gebrauchsvorteilen grundsätzlich nach der zeitanteiligen linearen Wertminderung berechnet, also nach einem Vergleich zwischen dem tatsächlichen Gebrauch und der voraussichtlichen Gesamtnutzungsdauer der Sache unter Berücksichtigung des Werts der Sache bzw. des vereinbarten Kaufpreises (vgl. BGH, aaO, Rn. 12 mwN). Bei der hier vorzunehmenden Rückabwicklung eines Kaufvertrags über einen Pkw ist – wie das Landgericht zutreffend erkannt hat (LGU 8) – die für jeden gefahrenen Kilometer zu zahlende Nutzungsentschädigung daher in der Weise zu ermitteln, dass der vereinbarte (Brutto-)Kaufpreis durch die voraussichtliche Restlaufleistung des Fahrzeugs im Zeitpunkt der Übergabe des Fahrzeugs an den Käufer geteilt wird, wobei grundsätzlich von einer Gesamtlaufleistung von 250.000 km auszugehen ist (st. Rspr. des Senats, vgl. nur Urteil vom 19. November 2019 – 17 U 146/19 –, juris Rn. 99 ff., Revision zurückgewiesen durch BGH, Urteil vom 27. Juli 2021 – VI ZR 480/19 –, juris Rn. 23 ff.; Urteil vom 21. Januar 2020 – 17 U 2/19 –, juris Rn. 74 ff.; BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 –, juris Rn. 64 ff.; Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 354/19 –, juris Rn. 15 und Urteil vom 29. September 2021 – VIII ZR 111/20 –, juris Rn. 54 ff.).
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Durchgreifende Gründe, von diesem Grundsatz abzuweichen, zeigen die Parteien in der Berufungsinstanz nicht auf, so dass kein Anlass besteht, die vom Landgericht vorgenommene Schätzung zu korrigieren oder ein – grundsätzlich nicht erforderliches – Sachverständigengutachten zur Frage der Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs einzuholen (vgl. BGH, Urteile vom 18. Mai 2021 – VI ZR 720/20 – juris Rn. 13 mwN und vom 27. Juli 2021 – VI ZR 480/19 –, juris Rn. 26 f. mwN). Auf eine etwaige mit der Marke A. verbundene werterhöhende Einschätzung des Marktes kommt es nicht an, da die gewöhnliche – dh durchschnittliche – Nutzungsdauer die relevante Rechnungsgrundlage zur Bemessung gezogener Gebrauchsvorteile ist (vgl. nur BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 –, juris Rn. 80 und 83).
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Vor diesem Hintergrund beläuft sich die anzurechnende Nutzungsentschädigung im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Berufungsverhandlung (8. Februar 2022) auf 26.857,22 EUR (= 48.532 EUR [= Kaufpreis] x 138.348 von dem Kläger gefahrene km : 250.000 km [= zu erwartende restliche Gesamtlaufleistung im Zeitpunkt der Übergabe des Fahrzeugs an den Kläger]). Die in Bezug auf die Höhe der Nutzungsentschädigung darlegungs- und beweisbelastete Beklagte hat den von dem Kläger in der mündlichen Berufungsverhandlung behaupteten Kilometerstand nicht bestritten, so dass dieser gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als unstreitig anzusehen ist. Bei dieser Sachlage steht dem Kläger ein Zahlungsanspruch in Höhe von 21.674,78 EUR (= 48.532 EUR abzüglich 26.857,22 EUR) zu.
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bb) Ein Anspruch auf Rechtshängigkeitszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins steht dem Kläger gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 BGB entsprechend § 187 Abs. 1 BGB ab dem auf den ersten Tag der Rechtshängigkeit des Zahlungsantrages folgenden Tag (vgl. nur BGH, Urteil vom 24. Januar 1990 – VIII ZR 296/88 –, juris Rn. 25) – und somit ab dem 22. Januar 2019 und nicht bereits ab 21. Januar 2019 – zu.
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Soweit Rechtshängigkeitszinsen nicht nur aus dem zuzusprechenden Erstattungsbetrag zu zahlen sind, weil der nach § 291 BGB zu verzinsende Betrag bei Eintritt der Rechtshängigkeit höher als der zuzusprechende Erstattungsbetrag war und sich dann sukzessive auf diesen letztlich zuzuerkennenden Betrag ermäßigt hat (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 397/19 –, juris Rn. 38; Senat, Urteil vom 15. Dezember 2020 – 17 U 815/19 –, juris Rn. 98), macht der Kläger, der gegen das landgerichtliche Urteil keine (Anschluss-)Berufung eingelegt hat, diese – ihm durch das Landgericht nicht zugesprochenen – höheren Zinsen zwischen Rechtshängigkeit und Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht in der Berufungsinstanz nicht geltend, so dass sie dem Kläger für diesen Zeitraum nicht zuerkannt werden können (§ 308 Abs. 1 ZPO). Dasselbe gilt, soweit der Kläger gemäß § 291 BGB Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz – statt 4 % p.a. – verlangen könnte.
100 
Indes sind die – von dem Kläger lediglich in Höhe von 4 % p.a. geltend gemachten – Rechtshängigkeitszinsen nicht nur aus dem zuzusprechenden Erstattungsbetrag zu zahlen. In Ermangelung anderweitigen Vortrags ist nämlich davon auszugehen, dass der Kläger seine Gesamtfahrleistung mit dem erworbenen Fahrzeug grundsätzlich gleichmäßig erbracht hat. Die auf den Kaufpreiserstattungsanspruch anzurechnenden Nutzungsvorteile wurden mithin zum Teil erst zwischen dem Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht und dem Schluss der mündlichen Berufungsverhandlung erlangt. Demnach lag der nach § 291 BGB zu verzinsende Betrag zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht höher als der zuzusprechende Erstattungsbetrag und hat sich dann sukzessive auf diesen letztlich zuerkannten Betrag ermäßigt (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 397/19 –, juris Rn. 38; OLG Koblenz, Urteil vom 27. August 2020 – 6 U 2186/19 –, juris Rn. 42; Senat, Urteil vom 15. Dezember 2020 – 17 U 815/19 –, juris Rn. 98).
101 
Im Rahmen der Verzinsung sind Wertschwankungen oder – wie hier – -reduzierungen regelmäßig taggenau zu berücksichtigen. Da der zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht zu verzinsende Betrag der Differenz aus dem Kaufpreis und dem zu diesem Zeitpunkt im Wege des Vorteilsausgleichs anzurechnenden Nutzungsersatzanspruch entspricht, ergibt sich die folgende Berechnungsmethode (vgl. auch OLG Koblenz, aaO, juris Rn. 42 f.; Senat, Urteil vom 10. November 2020 – 17 U 635/19 –, juris Rn. 85 ff.), um den Zinsschaden im Rahmen des § 287 ZPO zu bemessen:
102 
Der Kläger war unstreitig am 23. Mai 2019 (Schluss der mündlichen Verhandlung am Landgericht) 118.955 km gefahren. Unter Zugrundelegung der vorgenannten Berechnungsformel errechnet sich hiernach eine damals geschuldete Nutzungsentschädigung von 23.092,50 EUR (Kaufpreis 48.532 EUR x 118.955 km : verbleibende Gesamtlaufleistung im Zeitpunkt der Übergabe von 250.000 km), so dass sich nach Abzug vom Kaufpreis ein Betrag von 25.439,50 EUR ergibt. Dieser ermäßigte sich durch die weitere Nutzung bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 27. April 2021 unter Zugrundelegung der o.g. Berechnungsformel und eines damaligen Kilometerstandes von 133.211 km linear auf 22.672,01 EUR (48.532 EUR Kaufpreis – 25.859,99 EUR Nutzungsentschädigung), weiter bis zur mündlichen Verhandlung am 5. Oktober 2021 bei einem Kilometerstand von 136.338 an diesem Tage auf 22.064,98 EUR (48.532 EUR Kaufpreis – 26.467,02 EUR Nutzungsentschädigung) und schließlich auf 21.674,78 EUR am Schluss der mündlichen Verhandlung am 8. Februar 2022.
103 
Für die Zeit ab 9. Februar 2022 stehen dem Kläger schließlich Rechtshängigkeitszinsen in der tenorierten Höhe aus dem zuzusprechenden Betrag zu.
104 
b) Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Feststellung des Annahmeverzugs. Denn die Beklagte befindet sich im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Berufungsverhandlung nicht mit der Rücknahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug (§§ 293 ff. BGB).
105 
Die Forderung jedenfalls eines nicht nur unerheblich höheren als des geschuldeten Betrags schließt ein ordnungsgemäßes Angebot der Zug-um-Zug zu erbringenden Leistung aus (vgl. nur BGH, Urteil vom 29. Juni 2021 – VI ZR 130/20 –, juris Rn. 16 mwN). Der für diese Beurteilung maßgebliche Zeitpunkt ist der Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz (BGH, aaO mwN). Durch die Verteidigung einer erstinstanzlichen Zug-um-Zug-Verurteilung macht ein Kläger regelmäßig ein entsprechendes wörtliches Angebot (BGH, aaO mwN).
106 
Das Landgericht hat die Beklagte verurteilt, an den Kläger 25.439,50 EUR nebst Zinsen Zug-um-Zug gegen Übereignung und Übergabe des erworbenen Fahrzeugs zu zahlen. Der Kläger beantragt nun, die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten zurückzuweisen. Damit hat er zwar ein entsprechendes wörtliches Angebot gemacht. Demgegenüber beläuft sich sein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte – wie oben dargelegt – auf nur 21.674,78 EUR. Die sich daraus ergebende Differenz von 3.764,72 EUR führt zur Forderung eines deutlich höheren als des geschuldeten Betrags (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juni 2021 – VI ZR 130/20 –, juris Rn. 17).
III.
107 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 1, 344, 516 Abs. 3 ZPO. Die Kostenquote für das erstinstanzliche Verfahren ist auf der Grundlage eines fiktiven Streitwerts unter Einbeziehung der von dem Kläger für die Zeit vor Rechtshängigkeit geltend gemachten Deliktszinsen ermittelt worden.
108 
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht – soweit es die vorläufige Vollstreckbarkeit zu Gunsten des Klägers betrifft – auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO und – soweit es die vorläufige Vollstreckbarkeit zu Gunsten der Beklagten betrifft – auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
109 
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht. Das Berufungsurteil orientiert sich an der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Zudem beruht es auf der Würdigung der maßgeblichen Umstände des Einzelfalls.

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