Urteil vom Oberlandesgericht Koblenz (3. Zivilsenat) - 3 U 1869/19
Tenor
I. Auf die Berufung beider Parteien wird das Urteil der 5. Zivilkammer – Einzelrichter – des Landgerichts Trier vom 09.10.2019, Az.: 5 O 144/19, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 13.955,80 € nebst Zinsen in Höhe von 4 % aus 20.856,43 € für die Zeit vom 16.11.2009 bis zum 15.05.2019 und in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 14.589,33 € für die Zeit vom 16.05.2019 bis zum 08.06.2020 sowie aus 13.955,80 € seit 09.06.2020 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des
Pkws Audi A 3 TDI mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer W nebst zwei Fahrzeugschlüsseln, den Zulassungsbescheinigungen Teil 1 und 2 sowie dem Serviceheft.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von durch die Beauftragung seiner Prozessbevollmächtigten entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.029,35 € freizustellen.
3. Es wird festgestellt, dass die Hauptsache in Höhe eines Teilbetrags von 417,64 € erledigt ist.
4. Der Antrag auf Feststellung, dass der im Antrag zu 1) bezeichnete Anspruch auf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung beruht, wird als unzulässig verworfen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Im Übrigen werden die Berufung des Klägers und die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger zu 17 % und die Beklagte zu 83 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 16 % und die Beklagte zu 84 %.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Der Streitwert wird für den ersten Rechtszug in Abänderung des Beschlusses des Landgerichts vom 09.10.2019 auf 21.894,62 € und für das Berufungsverfahren auf 21.656,73 € festgesetzt.
Gründe
I.
- 1
Der Kläger begehrt von der Beklagten im Zusammenhang mit dem sog. Dieselskandal Zahlung von Schadensersatz aufgrund des Erwerbs eines betroffenen Gebrauchtfahrzeugs.
- 2
Am 16.11.2009 erwarb der Kläger von einem Kfz-Händler den von der Audi AG hergestellten Audi A 3 TDI mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer W mit einem Kilometerstand von 26.490 km zum Preis von 26.490,00 €. In das Fahrzeug war ein von der Beklagten hergestellter 2-Liter-Motor des Typs EA 189 eingebaut.
- 3
Für diesen Fahrzeugtyp wurde die Typengenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt. Der Pkw ist mit einem Dieselmotor Typ EA 189 ausgestattet, der von der Beklagten hergestellt wurde. Die Beklagte ist die Muttergesellschaft des V-Konzerns, die A AG eine Tochtergesellschaft. Bei diesem Motortyp ist eine Software eingebaut, welche auf dem Prüfstand vom regulären Abgasrückführungsmodus 0 in den stickoxid-optimierten Modus 1 wechselt. Dadurch ergeben sich auf dem Prüfstand geringere Stickoxid-Emissionswerte als im normalen Fahrbetrieb. Für die Erteilung der Typengenehmigung war der Stickoxidausstoß im Prüfstand maßgebend.
- 4
Im September 2015 räumte die Beklagte die Verwendung der Software ein. In der Folgezeit wurde darüber in den Medien ausführlich berichtet. Gegen die Beklagte erging am 15.10.2015 ein bestandskräftiger Bescheid des Kraftfahrtbundesamts, mit dem ihr unter anderem aufgegeben wurde, die als unzulässige Abschalteinrichtung eingestufte Software in Motoren des Typs EA 189 EU5 zu beseitigen und die Einhaltung der maßgebenden Grenzwerte durch geeignete Maßnahmen zu gewährleisten. Die Beklagte stellte als Problemlösung ein Software-Update vor, durch das die betroffenen Fahrzeuge nur noch im Modus 1 betrieben werden. Dieses Update wurde vom Kraftfahrtbundesamt freigegeben und am 12.10.2017 auch auf das klägerische Fahrzeug aufgespielt.
- 5
Ab September 2015 wurde – ausgehend von einer Pressemitteilung der Beklagten vom 22.09.2015 – über den Abgasskandal betreffend Motoren vom Typ EA 189 und nicht nur Fahrzeuge der Beklagten, sondern des gesamten V-Konzerns, in den nationalen und internationalen Medien ausführlich berichtet. Zeitgleich mit der Pressemitteilung veröffentlichte die Beklagte eine aktienrechtliche ad hoc-Mitteilung und informierte sie ihre Vertragshändler, Servicepartner und die anderen Konzernhersteller über den Umstand, dass Fahrzeuge mit dem Motor Typ EA 189 über die beschriebene Umschaltlogik verfügen. Sowohl die Beklagte als auch die A AG schalteten Anfang Oktober 2015 eine Website frei, auf der jedermann unter Eingabe einer Fahrzeugidentitätsnummer ermitteln konnte, ob das Fahrzeug mit einem vom Abgasskandal betroffenen Motor ausgestattet ist. Zu der Freischaltung gaben die Beklagte und die A AG jeweils ebenfalls im Oktober 2015 eine Pressemitteilung heraus. Darin wurde auch über den vom Kraftfahrt-bundesamt beschlossenen Rückruf der betroffenen Fahrzeuge berichtet und kündigte die Beklagte an, in Abstimmung mit den zuständigen Behörden an Lösungsmöglichkeiten zu arbeiten. Entsprechend wurde in zahlreichen Medien berichtet. Daneben bestand die Möglichkeit, sich telefonisch, schriftlich oder per E-Mail beim Volkswagen sowie A-Kundenservice zu informieren, ob in einem konkreten Pkw die Software verbaut ist. Zu den Einzelheiten wird auf die Ausführungen der Beklagten hierzu im Schriftsatz vom 10.09.2019 (Bl. 243 ff. Papierakte) verwiesen.
- 6
Der Kläger machte anwaltlich vertreten durch seine Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 19.12.2018 erfolglos vorgerichtlich die streitgegenständlichen Ansprüche gegenüber der Beklagten geltend. Zu den Einzelheiten wird auf Anlage K 29 (Anlagenkonvolut zum Schriftsatz vom 27.08.2019) Bezug genommen.
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Die Klage ist der Beklagten am 15.05.2019 zugestellt worden. Der Kilometerstand des Fahrzeugs betrug im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zweiter Instanz 155.906 km.
- 8
Die Parteien streiten im Wesentlichen um die Frage, ob dem Kläger wegen einer vom Vorstand der Beklagten gebilligten, vorsätzlichen, sittenwidrigen Schädigung des Klägers durch Inverkehrbringens des Motors mit Umschaltlogik ein Schadensersatzanspruch gemäß § 826 BGB in der beantragten Art und Weise zusteht, ob der Kläger eine Verzinsung aus §§ 849, 246 BGB verlangen kann sowie inwieweit ein Anspruch auf Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten besteht. Zudem erhebt die Beklagte die Einrede der Verjährung. Der Kläger ist der Ansicht, die Verjährungsfrist habe nicht vor dem Jahr 2016 zu laufen begonnen. Unabhängig davon habe er seinen Anspruch am 29.12.2018 zum Klageregister der beim Oberlandesgericht Braunschweig unter dem Aktenzeichen 4 MK 1/18 geführten Musterfeststellungsklage angemeldet und dadurch die Verjährung gehemmt.
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Hinsichtlich des weiteren erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes sowie der erstinstanzlich von den Parteien gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 269 ff. der erstinstanzlichen Akte) verwiesen.
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Das Landgericht hat die Beklagte verurteilt, an den Kläger 11.527,08 € nebst Zinsen aus 26.490,00 € in Höhe von 4 % vom 16.11.2009 bis zum 15.05.2019 und in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.05.2019 zu zahlen Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des PKW nebst Papieren und Schlüsseln, des Weiteren zur Freistellung des Klägers von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.077,74 €. Es hat festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des PKW in Annahmeverzug befinde, dass der Anspruch aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung resultiere und dass die Hauptsache in Höhe von 417,64 € erledigt sei. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
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Zur Begründung hat es im Wesentlichen darauf abgestellt, die Klage sei aus §§ 826, 31, 831 BGB überwiegend begründet. Der Kläger habe einen Schaden in Gestalt eines wirtschaftlich nachteiligen Vertrags erlitten, dessen wirtschaftliche Folgen die Beklagte zu erstatten habe. Abzuziehen seien die von der Klägerin gezogenen Nutzungen auf Basis einer prognostischen Gesamtlaufleistung von 250.000 km. Die Ansprüche der Klägerin seien nicht verjährt, denn eine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der anspruchsbegründenden Umstände bereits im Jahr 2015 sei nicht anzunehmen, sodass die im Jahr 2019 erhobene Klage die Verjährung rechtzeitig gehemmt habe. Zinsen aus § 849 BGB könne der Kläger zur Kompensation der Entziehung des Kaufpreises verlangen. Es sei festzustellen, dass der Annahmeverzug bestehe sowie dass der Anspruch auf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung beruhe. Im Übrigen wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
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Gegen dieses Urteil richten sich die Berufungen beider Parteien. Der Kläger macht geltend, bei der Berechnung des Nutzungsersatzes sei eine Gesamtlaufleistung von 300.000 km zu berücksichtigen.
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Der Kläger beantragt sinngemäß,
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unter teilweiser Abänderung des Tenors Ziffer 1. des am 09.10.2019 verkündeten Urteils des Landgerichts Trier, Az. 5 O 144/19, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 26.490,00 € nebst Zinsen in Höhe von 4 % seit dem 16.11.2009 bis zum Eintritt der Rechtshängigkeit sowie in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs der Marke Audi vom Typ A3 2.0 TDI mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) W nebst zwei Fahrzeugschlüsseln, Kfz-Schein, Kfz-Brief und Serviceheft sowie Zahlung eines Nutzungsersatzes in Höhe von EUR 12.169,45.
- 15
hilfsweise
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festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Schadensersatz zu zahlen für Schäden, die aus der Ausstattung des Fahrzeugs der Marke Audi vom Typ A3 2.0 TDI mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) W mit der manipulierten Motorsoftware durch die Beklagte resultieren.
- 17
Die Beklagte beantragt,
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die Berufung des Klägers zurückzuweisen und das am 09.10.2019 verkündete Urteil des Landgerichts Trier, Az. 5 O 144/19 im Umfang der Beschwer der Beklagten abzuändern und die Klage vollumfänglich abzuweisen.
- 19
Der Kläger beantragt,
- 20
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
- 21
Die Beklagte ist der Ansicht, die auf Feststellung einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung gerichtete Klage sei mangels Feststellungsinteresses bereits unzulässig. Im Übrigen sei die Klage unbegründet. Es fehle an einem Schaden des Klägers und jedenfalls an einer Kausalität ihres Verhaltens für einen Schaden des Klägers, zumal ein Fahrzeug eines anderen Herstellers erworben worden und sie nicht am Erwerbsvorgang beteiligt gewesen sei und ihn auch nicht getäuscht habe. Für eine Erstattungsfähigkeit von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten fehle es schon angesichts ihrer bekannten außergerichtlichen Zahlungsunwilligkeit an der Zweckmäßigkeit der Inanspruchnahme eines Anwalts.
- 22
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 ZPO).
II.
- 23
Die gemäß §§ 511, 517 ff. ZPO zulässigen Berufungen des Klägers und der Beklagten sind jeweils teilweise begründet und im Übrigen unbegründet. Die Berufung des Klägers führt zur Reduzierung des anzurechnenden Nutzungsersatzes. Auf die Berufung der Beklagten ist ihre Verurteilung zur Freistellung des Klägers von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten auf einen Betrag in Höhe von 1.029,35 € zu reduzieren und die Klage bezüglich der Feststellung des Annahmeverzugs sowie der Feststellung, dass eine vorsätzliche unerlaubte Handlung vorliegt, abzuweisen.
- 24
Der Kläger hat einen Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 826 BGB in Höhe des Kaufpreises abzüglich eines Gebrauchsvorteils für die gezogenen Nutzungen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Pkws an die Beklagte (1.). Die Leistungsklage ist auch hinsichtlich der Deliktszinsen und Prozesszinsen begründet, allerdings nur bezogen auf die Höhe des Kaufpreises abzüglich eines linear zu berücksichtigenden Nutzungsvorteils (2.). Ein Anspruch auf Feststellung des Annahmeverzugs besteht mangels verzugsbegründenden Angebots des Klägers gemäß §§ 293, 295 BGB nicht (3.). Die auf Feststellung einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung gerichtete Klage ist unzulässig (4.). Der Anspruch auf Freistellung von außergerichtlichen Anwaltskosten für die erforderliche Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts besteht ausgehend von einem Gegenstandswert bis 16.000,00 €, aber lediglich in Höhe einer 1,3-Geschäftsgebühr (5.).
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Im Einzelnen gilt Folgendes:
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1. Im Zusammenhang mit dem Motor EA 189 der Beklagten ist sowohl in der Rechtsprechung des Senats (vgl. Urteile vom 25.10.2019 - 3 U 819/19 -, juris; vom 28.02.2020 - 3 U 1451/19 - und vom 17.03.2020 - 3 U 1903/19 -) als auch höchstrichterlich (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 -, juris) geklärt, dass die Beklagte bei vor September 2015 geschlossenen Kaufverträgen gegenüber den Fahrzeugkäufern sowohl bei Neu- als auch bei Gebrauchtwagen zum Schadensersatz aus § 826 BGB i. V. m. § 249 BGB verpflichtet ist.
- 27
a) Die Beklagte hat den Kläger sittenwidrig geschädigt. Das Verhalten der Beklagten war gegenüber dem Käufer eines vom Dieselskandal betroffenen Fahrzeugs in der Gesamtschau unter Berücksichtigung des verfolgten Ziels, der eingesetzten Mittel, der zutage getretenen Gesinnung und der eingetretenen Folgen besonders verwerflich und mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht zu vereinbaren. Durch die Entscheidung, dass konzernweit in bestimmten Fahrzeugtypen, auch denen der Konzerntochter A AG, langjährig Motoren des Typs EA 189 verbaut werden, hat die Beklagte maßgeblich daran mitgewirkt, dass das streitgegenständliche Fahrzeug mit diesem Motor auf dem Kfz-Markt in Verkehr gebracht wurde. Um die Gewinne zu maximieren, wurde mit der Motorsteuerungssoftware mit Umschaltlogik gezielt eine verborgene unzulässige Abschalteinrichtung (s. dazu BGH, Beschluss vom 08.01.2019 – VIII ZR 225/17 -, juris Rn. 9 ff., 20, OLG Koblenz, Urteil vom 12.06.2019 – 5 U 1318/18 –, juris Rn. 31 ff.; OLG Koblenz, Urteil vom 16.09.2019 – 12 U 61/19 –, juris Rn. 53 ff.) ein-gesetzt und damit nicht nur ein erhöhter Stickoxid-Ausstoß und eine Umwelt- und Gesundheitsbelastung der Bevölkerung rücksichtslos in Kauf genommen, sondern auch ein Stilllegungsrisiko für den ahnungslosen Käufer, der sich darauf verlässt, dass die gesetzlichen Vorgaben zur Erlangung der Typengenehmigung von der Beklagten eingehalten wurden. Ein solches Vorgehen verstößt derart gegen die Mindestanforderungen im Rechts- und Geschäftsverkehr auf dem hier betroffenen Markt für Kraftfahrzeuge, dass ein Ausgleich der bei den einzelnen Käufern verursachten Vermögensschäden geboten erscheint (s. Zum Ganzen BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 -, Rn. 13, 17-28 und bereits Senat, z. B. Urteil vom 25.10.2019 - 3 U 819/19 -, juris).
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b) Der Beklagten ist die Schädigungshandlung gemäß § 31 BGB zuzurechnen, da davon auszugehen ist, dass die grundlegende strategische Entscheidung in Bezug auf die Entwicklung und Verwendung der unzulässigen Software weltweit in Fahrzeugen mit Motoren der Serie EA 189 von den bei der Beklagten verantwortlichen Vorständen, wenn nicht selbst, so zumindest mit ihrer Kenntnis und Billigung getroffen bzw. jahrelang umgesetzt worden ist. Im Einzelnen verweist der Senat insoweit auf sein Urteil vom 25.10.2019 - 3 U 819/19 -, juris Rn. 60-69 sowie die Ausführungen des Bundesgerichtshofs im Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 -, Rn. 30-43, die er sich zu Eigen macht.
- 29
c) Der Schaden des Klägers liegt im Abschluss eines Kaufvertrags, den er in Kenntnis der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung nicht geschlossen hätte (vgl. Senat, Urteil vom 25.10.2019 - 3 U 819/19 -, juris Rn. 77-83). Der in der Verletzung der Dispositionsfreiheit des Klägers begründete Schaden entfällt auch dann nicht, wenn sich der objektive Wert oder Zustand des Fahrzeugs in der Folge aufgrund neuer Umstände wie etwa der Durchführung eines Software-Updates verändert (vgl. BGH, im Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 -, Rn. 58; Senat, Urteil vom 25.10.2019 - 3 U 819/19 -, juris Rn. 84).
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d) Zur Kenntnis der die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände und zum Schädigungsvorsatz nimmt der Senat auf seine Ausführungen im Urteil vom 25.10.2019 - 3 U 819/19 -, juris Rn. 85-91, und die Ausführungen des Bundesgerichtshofs im Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 -, Rn. 61-63 Bezug.
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e) Der Schadensersatzanspruch des Klägers ist nicht gemäß §§ 195, 199 BGB verjährt.
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Die Verjährungsfrist hat nicht mit Schluss des Jahres 2015 zu laufen begonnen. Zwar ist der Schadensersatzanspruch des Klägers bereits mit Kauf im Jahr 2009 entstanden. Die Verjährungsfrist beginnt jedoch gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB erst, wenn der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Der Kläger hat dargelegt, im Jahr 2015 noch keine Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen und der Haftung der Verantwortlichkeit der Beklagten gehabt zu haben.
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Es kann dahinstehen, ob bezüglich der anspruchsbegründenden Tatsachen bereits im Jahr 2015 grob fahrlässige Unkenntnis vorlag (vgl. insoweit Senat, Urteil vom 30.06.2020, 3 U 1785/19, unter II., 1.), denn diese fehlt jedenfalls hinsichtlich der Verantwortlichkeit der Beklagten. Das klägerische Fahrzeug wurde von der A AG und nicht der Beklagten hergestellt. Die Beklagte entwickelte lediglich den in das Fahrzeug eingebauten Motor, der mit der unzulässigen Abschalteinrichtung versehen ist und haftet deshalb auch für Fahrzeuge mit diesem Motor, die von anderen Unternehmen des Konzerns hergestellt wurden. Die jeweiligen Verantwortlichkeiten für Motor- und Fahrzeugherstellung mussten sich dem Kläger jedenfalls im Jahr 2015 nicht aufdrängen. Auch wenn der Kläger das Internetportal der Beklagten oder der A AG genutzt hätte, wäre er lediglich über die Betroffenheit seines Fahrzeugs, nicht aber darüber informiert worden, dass der in seinem Fahrzeug eingebaute Motor von der Beklagten hergestellt wurde. Jedenfalls dies und die sich daraus ergebende Verantwortlichkeit der Beklagten auch für Fahrzeuge der A AG war dem Kläger im Jahr 2015 nicht grob fahrlässig unbekannt.
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Somit wurde die Verjährung durch Zustellung der Klageschrift am 15.05.2019 gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB rechtzeitig gehemmt. Es kann mithin dahinstehen, ob die Verjährung bereits durch die behauptete Anmeldung des Klägers zum Klageregister der Musterfeststellungsklage am 29.12.2018 gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 a BGB gehemmt wurde.
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f) Die Beklagte ist daher verpflichtet, den Kläger so zu stellen, wie wenn er den Kaufvertrag mit dem Händler nicht abgeschlossen hätte. Ihm steht folglich ein Anspruch auf Rückgängigmachung der Folgen dieses Vertrags zu, d. h. eine Zahlung in Höhe des Kaufpreises, allerdings abzüglich eines Gebrauchsvorteils für die gezogenen Nutzungen (BGH, Urteil vom 25.05.2020 - Az.: VI ZR 252/19 -, Rn. 64-77), Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Pkws an die Beklagte (s. zum Ganzen auch Senat, Urteil vom 25.10.2019 - 3 U 819/19 -, juris Rn. 92-122).
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Den Nutzungsvorteil bemisst der Senat gemäß § 287 ZPO vorliegend mit 12.534,20 €. Dieser Betrag ergibt sich, indem man den von dem Kläger gezahlten Bruttokaufpreis für das Fahrzeug durch die voraussichtliche Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt teilt und diesen Wert mit den bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zweiter Instanz gefahrenen Kilometern multipliziert (zur Berechnung s. BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rn. 80-83). Der Senat schätzt die Gesamtfahrleistung bei dem streitgegenständlichen Modell der Kompaktklasse mit einem 2,0l-Motor auf dem deutschen Markt auf 300.000 km. Die Laufleistung des Fahrzeugs bei Übergabe an den Kläger ist aufgrund der weder mit Tatbestandsberichtigungsantrag noch der Berufung angegriffenen tatbestandlichen Feststellungen des Landgerichts gemäß § 314 ZPO mit 26.490 km anzusetzen. Nach der vorstehenden Formel errechnet sich demnach ein Betrag von 12.534,20 € (26.490,00 € Bruttokaufpreis : 273.510 km Restlaufleistung x 129.416 km gefahrene Kilometer). Somit ergibt sich unter Berücksichtigung des Nutzungsvorteils ein Zahlbetrag von 13.955,80 € (26.490,00 € ./. 12.534,20 €).
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Hinsichtlich der Zug-um-Zug-Verurteilung waren die Begriffe „Kfz-Brief“ und „Kfz-Schein“ durch die gemäß §§ 11, 12 FZV zutreffenden Bezeichnungen zu ersetzen.
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Soweit das Landgericht auf Antrag des Klägers die Erledigung des Rechtsstreits in Höhe von 417,64 € festgestellt hat, ist dies nicht zu beanstanden, da der während des Rechtsstreits angefallene Nutzungsersatz den Betrag der Erledigungsfeststellung übersteigt.
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2. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Verzinsung mit 4 % gemäß §§ 849, 246 BGB ab dem Tag der Kaufpreiszahlung zu (a)). Bei der Höhe des Verzinsungsbetrags ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich der dem Kläger entstandene Schaden durch die Nutzung des Fahrzeugs sukzessive reduziert (b)). Ab Rechtshängigkeit folgt ein Zinsanspruch des Klägers in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus §§ 288, 291 BGB, wobei der Verzinsungsbetrag entsprechend b) zu bestimmen ist (c)).
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a) Der Kläger hat einen Anspruch gemäß §§ 849, 246 BGB auf Zahlung von Zinsen in Höhe von 4 % ab dem Tag der Kaufpreiszahlung, d. h. ab 16.11.2009.
- 41
§ 849 BGB gilt auch für den Haftungstatbestand des § 826 BGB (Palandt/Sprau, BGB, 79. Aufl., § 849 Rn. 1). Die Beklagte hat dem Kläger das zur Kaufpreiszahlung verwendete Geld entzogen. § 849 BGB erfasst jeden Sachverlust durch ein Delikt. Auch wenn der Schädiger den Geschädigten durch eine unerlaubte Handlung wie beim Betrug oder der Erpressung dazu bestimmt, eine Sache wegzugeben oder darüber zu verfügen, entzieht er sie ihm (vgl. BGH, Versäumnisurteil vom 26.11.2007 - II ZR 167/06 -, juris Rn. 4, 6). Dies gilt auch in Fällen, in denen dem Geschädigten Geld entzogen wurde (BGH, Urteil vom 12.06.2018 - KZR 56/16 -, juris Rn. 45 m. w. N.). § 849 BGB ist seinem Wortlaut nach nicht auf die Wegnahme beschränkt und verlangt zudem nicht, dass die Sache ohne oder gegen den Willen des Geschädigten entzogen wird (BGH, Urteil vom 26.11.2007 - II ZR 167/06 -, juris Rn. 4, 5; OLG München, Urteil vom 15.01.2020 - 20 U 3247/18 -, BeckRS 2020, 90 Rn. 74).
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In der obergerichtlichen Rechtsprechung wird in den Fällen des sogenannten Dieselskandals mit Blick auf Sinn und Zweck der Norm vielfach vertreten, dass die Entziehung des Geldbetrags durch die Überlassung des Pkws ganz oder jedenfalls teilweise kompensiert worden sei, sodass ein Zinsanspruch nicht zuzuerkennen sei (OLG München, Urteil vom 15.01.2020 - 20 U 3247/18 -, BeckRS 2020, 90 Rn. 76; OLG Stuttgart, Urteil vom 28.11.2019 - 14 U 89/19 -, BeckRS 2019, 30073 Rn. 55; OLG Frankfurt, Urteil vom 27.11.2019 - 17 U 290/18 -, BeckRS 2019, 30941 Rn. 41; OLG Schleswig, Urteil vom 22.11.2019 - 17 U 44/19 -, BeckRS 2019, 29874 Rn. 59; OLG Karlsruhe, Urteil vom 06.11.2019 - 13 U 37/19 -, BeckRS 2019, 27008 Rn. 131, 134; OLG Oldenburg, Urteil vom 21.10.2019 - 13 U 73/19 -, BeckRS 2019, 25843 Rn. 19) oder nur aus einem Betrag in Höhe des Minderwerts des Fahrzeugs (OLG Koblenz, 12. Zivilsenat, Urteil vom 16.09.2019 - 12 U 61/19 -, juris Rn. 84).
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Dieser Auffassung schließt sich der Senat nicht an (vgl. bereits Urteil vom 17.03.2020 - 3 U 1903/19 -). Richtig ist zwar, dass der Zinsanspruch nach dem Sinn und Zweck der Norm nur den endgültig verbleibenden Verlust an Nutzbarkeit der Sache ausgleichen soll, der durch den späteren Gebrauch derselben oder einer anderen Sache nicht nachgeholt werden kann (BGH, Urteil vom 24.02.1983 - VI ZR 191/81 -, NJW 1983, 1614, 1615). Allerdings hat der Kläger durch den von der Beklagten (mit)verursachten Abschluss des ungewollten Kaufvertrags eine anderweitige Nutzungs-/Anlagemöglichkeit des Kaufpreisbetrags insgesamt verloren. Die Nutzungsmöglichkeit entgeht ihm nicht nur insoweit, als der Pkw aufgrund der sittenwidrigen Schädigungshandlung gegenüber dem gezahlten Kaufpreis gegebenenfalls einen Minderwert hat. Stellt man darauf ab, dass der Verlust der Nutzbarkeit des als Kaufpreis gezahlten Geldes dadurch teilweise kompensiert wird, dass der Kläger das Fahrzeug im Übrigen voll nutzen konnte, trägt dies dem Umstand nicht hinreichend Rechnung, dass der deliktisch verursachte Scha-den bereits im Abschluss des ungewollten Kaufvertrags, mithin im Eingriff in die Dispositionsfreiheit des Klägers über seine finanziellen Mittel, besteht. Diese durch die Täuschung der Beklagten verursachte Einbuße kann auch durch die tatsächliche Nutzungsmöglichkeit und erfolgte Nutzung des Fahrzeugs erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung ausgeglichen werden (ebenso OLG Karlsruhe, Urteil vom 19.11.2019 - 17 U 146/19 -, juris Rn. 114; OLG Oldenburg, Urteil vom 02.10.2019 - 5 U 47/19 -, juris Rn. 48; Staudinger, NJW 2020, 641, 646). Daher muss die Zinspflicht bis zum Eintritt der Kompensation fortdauern (ebenso BGH, NJW 1983, 1614, 1615 für die Zeit von der unfallbedingten Zerstörung eines Fahrzeugs bis zur Zahlung des Wertersatzes). Dementsprechend führt die durch Nutzung eintretende sukzessive Schadenskompensation lediglich zu einer sukzessiven Reduzierung des Verzinsungsbetrags (siehe unter b) und nicht zu einem Wegfall des Anspruchs aus § 849 BGB.
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Ebenso steht einer Verzinsung aus § 849 BGB nicht das schadensersatzrechtliche Bereicherungsverbot entgegen. Soweit diesbezüglich argumentiert wird, die Kaufpreissumme mit der Möglichkeit, hieraus Nutzungen zu ziehen, wäre auch ohne das schädigende Ereignis nicht weiter in dem Vermögen der Klagepartei verblieben, da die Klagepartei in Kenntnis des vorliegenden Mangels den hiesigen Kaufvertrag nicht abgeschlossen und stattdessen den Kaufpreis für ein anderes Fahrzeug aufgewandt hätte (vgl. OLG Koblenz, 5. Zivilsenat, Urteil vom 28.08.2019 - 5 U 1218/18 -, BeckRS 2019, 20653, Rn. 109; OLG Karlsruhe, Urteil vom 06.11.2019 - 13 U 37/19 -, juris Rn. 139; OLG München, Urteil vom 15.01.2020 - 20 U 3247/18 -, BeckRS 2020, 90 Rn. 77), rechtfertigt dies keinen Ausschluss eines Anspruchs aus § 849 BGB. Denn es mag zwar häufig zu einem Alternativkauf kommen, dies ist aber keineswegs gesichert. Ebenso denkbar wäre, dass ein Käufer, der wegen der unzulässigen Abschalteinrichtung vom Kauf des eigentlich ausgewählten PKWs Abstand nimmt, sein bisheriges Fahrzeug weiterfährt und zunächst die weitere Entwicklung des „Dieselskandals“ abwartet. Selbst wenn ein Reservekauf stattfände, könnte dieser gegebenenfalls zu einem niedrigeren Preis erfolgen (ebenso OLG Köln, Urteil vom 24.03.2020 - 4 U 235/19 -, juris Rn. 151). Gerade eine solche auf das Nutzungsverhalten des Geschädigten abgestellte Einzelfallbetrachtung soll aber nach dem auf pauschalierten Zinsschaden gerichteten Normzweck von § 849 BGB verhindert werden (vgl. OLG Köln, a. a. O. m. w. N.; OLG Karlsruhe, Urteil vom 19.11. 2019 - 17 U 146/19 -, juris Rn. 113; OLG Köln, Urteil vom 30.01.2020 - 7 U 141/19 -, juris Rn. 37 ff.).
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b) Die Höhe des zu verzinsenden Betrags ist jedoch nicht für den gesamten Zinszeitraum mit dem vollen Kaufpreis anzusetzen (ebenso: OLG Oldenburg, Urteil vom 02.10.2019 - 5 U 47/19 -, juris Rn 50 ff.; a. A. OLG Köln, Urteil vom 24.03.2020 - 4 U 235/19 -, juris Rn. 153 ff.; OLG Karlsruhe, Urteil vom 19.11.2019 - 17 U 146/19 -, juris Rn. 110 ff.; OLG Köln, Urteil vom 30.01.2020 - 7 U 141/19 -, juris Rn. 37 ff.). Denn zu verzinsen ist der dem Kläger aus der Sachentziehung entstandene Schaden (vgl. etwa BeckOGK-BGB/Eichelberger, Stand: 01.05.2020, § 849 Rn. 17). Dieser reduziert sich, wie oben dargelegt, sukzessive um den im Wege der Vorteilsanrechnung auszugleichenden Nutzungsersatz. Denkt man die Gegenauffassung, wonach der volle Kaufpreis zu verzinsen ist, konsequent zu Ende, dürfte die Verzinsungspflicht erst enden, wenn der volle Kaufpreis vom Schädiger gezahlt ist (vgl. BeckOK-BGB/Spindler, § 849 Rn. 4). Dies wäre wegen der vorzunehmenden Vorteilsanrechnung jedoch nie der Fall. Mithin ist spätestens im Zeitpunkt der Zahlung anzuerkennen, dass der Verzinsungsbetrag teilweise im Wege der Vorteilsanrechnung getilgt wird. Es ist daher kein Grund ersichtlich, warum die Vorteilsanrechnung - entsprechend der Berechnung des Schadensersatzanspruchs - nicht linear berücksichtigt werden sollte. Die Zinsberechnung aus dem vollen Kaufpreis würde demgegenüber zu einer Überkompensation des Schadens des Klägers führen.
- 46
Im Rahmen der Verzinsung nach § 849 BGB sind Wertschwankungen bzw. - wie hier - Reduzierungen grundsätzlich taggenau zu berücksichtigen (vgl. Eichelberger, a. a. O., Rn. 18). Bei einer linearen Verzinsungswertentwicklung ist indes anerkannt, dass stattdessen unter Anwendung von § 287 ZPO zur Vereinfachung der Berechnung eine gleichmäßige Verzinsung aus dem mittleren Verzinsungswert angenommen werden kann (vgl. BGH, NJW 1965, 392, 393; BeckOK-BGB/Spindler, § 849 Rn. 4; MüKo-BGB/Wagner, 7. Auflage 2017, § 849 BGB Rn. 7). Auf dieser Basis bemisst der Senat den Verzinsungsbetrag wie folgt:
- 47
- Die Verzinsung beginnt mit dem Tag der Kaufpreiszahlung (vgl. BGH, NJW 1965, 392), vorliegend also dem 16.11.2009. Sie endet gemäß § 308 Abs. 1 ZPO mit dem Eintritt der Rechtshängigkeit am 15.05.2019. Der Gesamtverzinsungszeitraum beträgt demnach 3.468 Tage.
- 48
- Der Zeitraum zwischen Übergabe des Fahrzeugs und der mündlichen Verhandlung des Oberlandesgerichts beträgt 3.858 Tage. In dieser Zeit hat der Kläger insgesamt 129.416 km mit dem Fahrzeug zurückgelegt.
- 49
- Auf Basis dieser Gesamtfahrleistung schätzt der Senat die Fahrleistung innerhalb des Verzinsungszeitraums für die Deliktszinsen auf 116.334 km (129.416 km : 3.858 Tage x 3.468 Tage). Mithin beträgt der Verzinsungsbetrag am letzten Tag des De-liktszinszeitraums 15.222,86 € (26.490,00 € Kaufpreis ./. 26.490,00 € Kaufpreis : 273.510 km Restlaufleistung x 116.334 km gefahrene Kilometer im Verzinsungszeitraum]). Hieraus ergibt sich für den Deliktszinszeitraum mit Blick auf den linearen Verlauf ein durchschnittlicher Verzinsungsbetrag von 20.856,43 € ([26.490,00 € + 15.222,86 €] x 1/2). Dieser Betrag wird der Verzinsung gemäß § 849 BGB zu Grunde gelegt.
- 50
c) Der Kläger hat ab Rechtshängigkeit, hier also mit Rücksicht auf § 187 Abs. 1 BGB ab 16.05.2019, einen Zinsanspruch in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 BGB. Dabei ist entsprechend der vorstehenden Ausführungen der Schadensverlauf zu berücksichtigen. Der Mittelwert zwischen dem Verzinsungsbetrag bei Eintritt der Rechtshängigkeit von 15.222,86 € (s. zuvor unter b)), und dem im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung zweiter Instanz von 13.955,80 € beträgt 14.589,33 €. Dieser Betrag ist der Verzinsung bis zum Tag vor der mündlichen Verhandlung, also dem 08.06.2020, zu Grunde zu legen. Ab dem 09.06.2020 sind Zinsen aus dem am Tag der letzten mündlichen Verhandlung ermittelten Rücknahmepreis zu tenorieren, da die künftige Nutzung des Fahrzeugs nicht prognostiziert werden kann.
- 51
3. Der Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten mit der Rücknahme des streitgegenständlichen Pkws ist gemäß § 256 ZPO zulässig, aber unbegründet.
- 52
Annahmeverzug setzt voraus, dass der Kläger der Beklagten die Rückgabe des Fahrzeugs zu den Bedingungen angeboten hat, von denen er die Rückgabe tatsächlich abhängig machen durfte (BGH, Urteil vom 20.07.2005 – VIII ZR 275/04 –, juris Rn. 28 ff.). Bietet der Schuldner eine Leistung an, die sich in irgendeiner Hinsicht als minus oder aliud zum Geschuldeten darstellt, so reicht dies nicht aus (MüKo-Ernst, BGB, 8. Aufl., § 295 Rn. 4).
- 53
Gemessen hieran sind die Voraussetzungen für den Annahmeverzug nicht erfüllt. Mit Schreiben vom 19.12.2018 (Anlage K 29) hat der Kläger die Rückgabe des Fahrzeugs von einem der Höhe nach unberechtigten, deutlich überhöhten Zahlungsanspruch in Höhe des Kaufpreises abhängig gemacht. Er hat zwar in der Berufungsinstanz die Anrechnung von Nutzungsvorteilen bei Antragstellung - wenn auch nicht als Abzugsposition, sondern als Zug-um-Zug-Leistung - berücksichtigt, aber unter Abzug des Nutzungsersatzes noch Zahlung von 14.320,55 € verlangt. Seine Forderung war demnach weiterhin um 364,75 € überhöht und wiederum wurde das Fahrzeug nicht zu den dem Schuldverhältnis entsprechenden Bedingungen angedient.
- 54
4. Für die vom Landgericht vorgenommene Feststellung, dass die Forderung auf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung beruht, fehlt das nach § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse. Dieses ergibt sich grundsätzlich aus der erleichterten Vollstreckungsmöglichkeit nach § 850f ZPO sowie der Ausnahme von der Restschuldbefreiung gemäß § 302 Nr. 1 InsO (vgl. BGH, Beschluss vom 03.03.2016, IX ZB 33/14, juris Rn. 23). Beide Erleichterungen beziehen sich indes auf die Durchsetzung von Ansprüchen gegen natürliche Personen und greifen bei der beklagten Aktiengesellschaft daher nicht.
- 55
5. Der Kläger hat auch einen Anspruch gemäß §§ 826, 249 Abs. 1 BGB auf Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe einer 1,3-Geschäftsgebühr nebst Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer aus einem Geschäftswert bis 16.000,00 €.
- 56
Die vorgerichtliche Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts ist als solche unstreitig und war angesichts der Komplexität und Schwierigkeit der Angelegenheit sowie aufgrund des Umstands, dass sich der Kläger einem rechtlich beratenen Gegner gegenübersah, erforderlich.
- 57
Allerdings ist die vom Landgericht zugesprochene 2,0-Geschäftsgebühr gemäß VV 2300 RVG übersetzt. Für ein Überschreiten der Schwellengebühr nach der Anm. zu Nr. 2300 VV RVG besteht keine Veranlassung. Die Sache ist weder mit besonderen Schwierigkeiten versehen noch – trotz der umfangreichen Schriftsätze – besonders umfangreich. Wie dem Senat aus einer Reihe von Parallelverfahren beim Oberlandesgericht bekannt ist, vertreten die Bevollmächtigten des Klägers eine Vielzahl von Klägern. In allen Verfahren werden nahezu wortgleiche Ausführungen zur Haftung der Beklagten gemacht (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 12.06.2019 - 5 U 1318/18 -, juris Rn. 119).
- 58
Für den Gegenstandswert bezüglich der vorgerichtlichen Tätigkeit ist der Wert des verfolgten Anspruchs zum Zeitpunkt des Tätigwerdens des Klägervertreters (19.12.2018) maßgeblich. Diesen schätzt der Senat vorliegend auf bis 16.000,00 €. Der Kläger hat im Schreiben vom 19.12.2018 keinen Kilometerstand angegeben. Aus einer Berechnung nach der unter 2. b) dargestellten Methodik ergibt sich eine Laufleistung von Übergabe bis zum 19.12.2018 von 111.402 km (129.416 km : 3.858 Tage x 3.321 Tage). Die Nutzungsentschädigung beläuft sich für diese Zeit demnach auf 10.789,51 € (26.490 € Kaufpreis : 273.510 km Restlaufleistung x 111.402 km gefahrene Kilometer), der geschuldete Zahlbetrag bei Beauftragung folglich auf 15.700,49 € (= 26.490,00 € ./. 10.789,51 €).
- 59
Mithin ergibt sich eine 1,3-Geschäftsgebühr von 845,00 €. Hinzu kommen die Pauschale gemäß VV 7002 RVG von 20,00 € und die Mehrwertsteuer von 19 % gemäß VV 7008 RVG. Insgesamt errechnet sich auf diese Weise der Betrag von 1.029,35 €.
III.
- 60
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 ZPO. Mit seinem zweitinstanzlich gestellten Antrag begehrt der Kläger für die Zeit bis zum Tag der mündlichen Verhandlung Zinsen in Höhe von 11.504,00 €. Ihm stehen indes für diesen Zeitraum auf Basis der unter II., 3. dargelegten Verzinsungsparameter lediglich Zinsen in Höhe von 8.710,43 € zu. Mithin beträgt der Betrag seines Unterliegens bei den Nebenforderungen 3.841,96 € (2.793,57 € Zinsen + 1.048,39 € abgewiesene vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten). Dies sind mehr als 10 % des fiktiven Streitwerts aus geltend gemachter Hauptforderung plus Nebenforderungen (28.995,81 € in erster Instanz sowie 28.618,29 € im Berufungsverfahren), sodass das Teilunterliegen mit den Nebenforderungen bei der Bildung der Kostenquote zu berücksichtigen ist (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 07.05.2014 – 1 U 130/13 –, juris Rn. 53 m. w. N.; Zöller/Herget, ZPO, 32. Aufl., § 92 Rn. 11). Das Obsiegen des Klägers ist in beiden Instanzen auf 24.113,22 € zu beziffern.
- 61
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
- 62
Wegen der Frage nach der Berechtigung der im Zuge des Dieselskandals geschädigten Käufer, Deliktszinsen gemäß §§ 849, 246 BGB zu verlangen, ist die Revision gemäß § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Die vorliegende Sachverhaltskonstellation liegt einer Vielzahl von Fällen zugrunde, ist höchstrichterlich noch nicht entschieden und wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht einheitlich beurteilt (s. dazu unter Ziff. II. 2.). Die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung des Revisionsgerichts erfordern daher die Zulassung zu dieser Frage, da zu befürchten ist, dass Unterschiede in der Rechtsprechung fortbestehen. Im Übrigen ist die Rechtslage unterdessen mit Urteil des Bundesgerichtshofs vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/20, höchstrichterlich geklärt oder stellen sich einzelfallbezogene Fragen.
- 63
Den Streitwert für das Berufungsverfahren hat der Senat an der Höhe der begehrten Abänderung des angefochtenen Urteils bemessen (§ 3 ZPO, § 47 Abs. 1 Satz 1 GKG). Dabei hat er den Wert des Zahlungsantrags auf 14.320,55 € festgesetzt, denn der Zug-um-Zug im Klägerantrag berücksichtigte Nutzungsersatz ist wertmindernd zu berücksichtigen. Maßgeblich für den Streitwert bei Zahlungsklagen ist das wirtschaftliche Interesse des Klägers an der Zahlung, sodass bei gleichartigen Leistungen eine Saldierung mit der Zug-um-Zug Leistung anders als bei sonstigen Gegenrechten (z. B. auf Herausgabe) vorzunehmen ist (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 03.07.2019, 4 W 46/19, BeckRS 2019, 13388). Der Antrag auf Feststellung einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung wurde mit 716,00 € berücksichtigt (5 % der Klageforderung, vgl. OLG Dresden, MDR 2008, 50, Rn. 7).
- 64
Daneben war gemäß § 4 ZPO der Anspruch auf Zahlung von Zinsen sowie Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu berücksichtigen, soweit diese sich aus einer nicht mehr im Berufungsverfahren anhängigen Hauptforderung errechnen (vgl. BGH, MDR 2013, 1316; Senat, Urteil vom 17.03.2020, 3 U 1903/19). Für die Deliktzinsen ergibt dies einen Betrag in Höhe von 4.622,41 € (4 % Zinsen aus 12.169,45 € für die Zeit vom 16.11.2009 bis zum 15.05.2019). Zudem sind Prozesszinsen aus 12.169,45 € für die Zeit vom 16.05.2019 bis zum 09.06.2020 zu berücksichtigen, was einem Betrag von 536,45 € entspricht. Bezüglich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ergibt sich ein streitwerterhöhender Betrag von 1.461,32 € (2,0 Geschäftsgebühr aus 12.169,45 € nebst Auslagenpauschale und Umsatzsteuer).
- 65
Die Feststellung des Annahmeverzugs hat demgegenüber keinen eigenständigen wirtschaftlichen Wert (vgl. BGH, Beschluss vom 20.06.2017 - XI ZR 109/17, juris Rn. 4 m. w. N.).
- 66
Den Streitwert erster Instanz hat der Senat gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG unter Berücksichtigung der dargelegten Grundsätze korrigiert, weil der Kläger bereits in der Klageschrift Nutzungsersatz in Höhe von 11.809,93 € berücksichtigt hat. Es ergeben sich folgende Streitwerte für die erstinstanzlichen Anträge:
- 67
- Zahlungsantrag: 14.680,07 €
- Feststellung vors. unerlaubte Handlung. 734,00 €
- Deliktszinsen: 4.485,85 € (16.11.2009 - 15.05.2019 aus 11.809,93 €)
- Prozesszinsen: 533,38 € (16.05.2019 - 18.09.2019 aus 11.809,93 €: 167,97 €; 19.09.2019 - 09.06.2020 aus 12.169,45 €: 363,41 €)
- Rechtsanwaltskosten: 1.461,32 € (2,0 Geschäftsgebühr aus 11.809,93 € nebst Auslagenpauschale und Umsatzsteuer).
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