Urteil vom Oberlandesgericht Stuttgart - 2 U 101/18

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 30.04.2018, Az. 45 O 1/17, abgeändert und die Klage abgewiesen, soweit die Klägerin Schadensersatz i.H.v. 28.567,66 EUR und Zinsen i.H.v. 34.255,41 EUR aus dem Kauf eines Sattelschlepperfahrgestells „M. 1840 LS 4x24“, Fahrgestellnummer WDB...92, am 22.08.1997 begehrt.

2. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

3. Die Klage auf Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten wird als unzulässig abgewiesen.

4. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

5. Dieses Urteil und das landgerichtliche Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des jeweils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

6. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

________________________________________

Streitwert des Berufungsverfahrens: 304.703,45 EUR

Gründe

 
I.
1.
Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche geltend wegen kartellrechtswidriger Absprachen der Beklagten.
Die Klägerin ist die Konzernmutter der H. GmbH & Co.KG (im Folgenden: Fa. H.) sowie der B. GmbH & Co.KG (im Folgenden: Fa. B.). Die Klägerin und ihre Töchter sind im Bausektor tätig.
Die Fa. H. kaufte in den Jahren 1997 bis 2010 insgesamt 11 Fahrgestelle von der Beklagten, davon sieben in den Jahren 1997 bis 2000 und 4 im Jahr 2010. Am 14.10.2011 kaufte auch die Fa. B. ein Fahrgestell von der Beklagten. Außerdem erwarb die Fa. B. auch eines der oben erwähnten Fahrzeuge, die die Fa. H. ursprünglich von der Beklagten erworben hatte, nämlich das in der nachfolgenden Liste unter der laufenden Nummer 1 aufgelistete Fahrzeug. Hinsichtlich dieses Fahrzeugs macht die Klägerin sowohl den Schaden der Fa. H. als auch den Schaden der Fa. B. geltend. Die näheren Einzelheiten zu dem jeweiligen Kauf von der Beklagten ergeben sich aus der folgenden tabellarischen Auflistung:
Nr.     
FIN     
Typ     
Fahrzeugart
Rechnungsdatum
Kaufpreis netto
1       
WDB...06
Betonmischerfahrgestell
M. 3235 B 8x4
19.11.1998
76.796,04 EUR
2       
WDB...92
Sattelschlepperfahrgestell
M. 1840 LS 4x24
22.08.1997
60.842,47 EUR
3       
SDB...42
Kipperfahrgestell
M. 3340 AK 6x6
23.05.2000
93.208,51 EUR
4       
WDB...59
Kipperfahrgestell
M. 3340 AK 6x6
31.05.2000
93.285,20 EUR
5       
WDB...43
Sattelschlepperfahrgestell
M. 1840 LS 4x2
08.07.1998
70.558,28 EUR
6       
WDB...27
Sattelschlepperfahrgestell
M. 1840 LS 4x2
08.07.1998
70.558,28 EUR
7       
WDB...38
Sattelschlepperfahrgestell
M. 1840 LS 4x2
22.07.1998
70.558,28 EUR
8       
WDB...56
Sattelschlepperfahrgestell
M. 1844 LS 4x2
29.04.2010
78.665,00 EUR
9       
WDB...84
Sattelschlepperfahrgestell
M. 1844 LS 4x2
29.04.2010
78.650,00 EUR
10    
WDB...85
Sattelschlepperfahrgestell
M. 1844 LS 4x2
29.04.2010
78.650,00 EUR
11    
WDB...86
Sattelschlepperfahrgestell
M. 1844 LS 4x2
29.04.2010
78.650,00 EUR
12    
WDB...62
Pritschenfahrgestell
M. 1829 L 4x2
14.10.2011
88.903,04 EUR
In den Jahren 1997 bis 2011 bildeten mehrere LKW-Hersteller ein Kartell. Beteiligt waren alle führenden LKW-Hersteller, namentlich M., V./R., die Beklagte, I. und D. Das Kartellverfahren endete im Juli 2016 mit einem Vergleich und der Verhängung von Bußgeldern gegen die Beklagte, V./R., I.-M. und D.; gegen M. wurde kein Bußgeld festgelegt, weil M. den Sachverhalt als Kronzeuge offengelegt hatte (Case AT.39824 – TRUCKS; Kommissionsbeschluss vom 19.07.2016, Anlage GL4). Gegen S. wird noch ermittelt.
Für die Dauer des Kartells tauschten die Kartellanten die Bruttolistenpreise aus. Außerdem tauschten sie auch Informationen zur Einführung von Abgastechnologien und deren Preise aus.
Am 01.03.2017 traten die Fa. H. und die Fa. B. die streitgegenständlichen Forderungen an die Klägerin ab (Anlage K1, Bl. 322); die weiteren Schadensersatzforderungen nach dem Weiterverkauf des Fahrzeugs mit der lfd. Nr. 1 von der Fa. H. an die Fa. B. wurden der Klägerin am 04.12.2017 abgetreten (Anlage K153). Die Beklagte macht ein Zurückbehaltungsrecht nach § 410 Abs. 1 BGB geltend, solange die Klägerin der Beklagten nicht das Original der Abtretungsurkunde ausgehändigt hat.
Mit Schreiben vom 02.01.2017 zeigte die Klägerin der Beklagten ihre Schadensersatzansprüche an (Anlage K133). Die Beklagte lehnte die Schadensersatzforderungen mit Anwaltsschreiben vom 19.01.2017 ab, weil die Bruttopreise, über die sich die LKW-Hersteller ausgetauscht hätten, mit den tatsächlich bezahlten, individuell gestalteten Preisen nicht in Verbindung bringen ließen (Anlage K134).
Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung.
10 
Die Klägerin behauptet:
11 
Bei den einzelnen Erwerbsvorgängen hätten sich die Käufer auf die zu der jeweiligen Zeit gültige Preisliste berufen.
12 
Der Kauf des letzten Fahrzeugs beruhe auf einem Angebot der Beklagten vom 03.12.2010 (Anlage K144).
13 
Für die Dauer des Kartells hätten die Kartellanten u.a. die Verkaufspreise für LKW ab 6 to Gesamtgewicht abgesprochen. Die Kartellanten hätten auch die Rabatte koordiniert.
14 
Die individuell gestalteten Kaufpreise seien von dem Bruttolistenpreis abhängig gewesen. Dies zeigten die Neufahrzeug-Verkaufsbedingungen der Beklagten, die Klauseln über die Anpassung des Kaufpreises enthielten für den Fall, dass sich innerhalb der Lieferzeit der Kaufpreis laut Liste ändert (Abschnitt II. 2.).
15 
Ihren Schaden berechnet die Klägerin wie folgt:
16 
Da der Klägerin die jeweils gültigen Preislisten der Beklagten nicht zur Verfügung stünden, stütze sie sich zur Berechnung des Schadens auf zwei Baugerätelisten des H. e.V. aus den Jahren 2001 und 2015 (Anlagen K2 und K3), aus denen sie den jeweiligen mittleren Neuwert der streitgegenständlichen Fahrzeuge entnommen habe. Sie gehe davon aus, dass die Baugeräteliste 2001 die Preise unter Kartelleinfluss zeige, während die Baugeräteliste 2015 die ohne kartellbedingte Einflüsse geltenden Preise zeige. Den mittleren Neuwert indexiere sie mit Hilfe des Erzeugerindexes für Baumaschinen des Statistischen Bundesamts auf das Jahr, in dem der streitgegenständliche LKW gekauft worden sei. Aus dem Verhältnis des tatsächlich gezahlten Kaufpreises zu dem aus der Baugeräteliste 2001 abgeleiteten Preis errechne sich sodann der gewährte Rabatt. Mithilfe dieses Rabatts und des indexierten Listenpreises aus der Baugeräteliste 2015 errechne sich sodann der Preis, der ohne Kartell hätte gezahlt werden müssen. Die Differenz zwischen dem aus der Baugeräteliste 2001 errechneten Preis und dem aus der Baugeräteliste 2015 errechneten Preis sei auf den Einfluss des Kartells zurückzuführen und stelle daher den kartellbedingten Schaden dar.
17 
Die LKW würden in sechs Jahren steuerlich abgeschrieben (AfA-Tabelle, Anlage K11). Der kartellbedingte Schaden realisiere sich erst nach Ablauf dieser sechs Jahre endgültig bei der Klägerin, während ihr ein ausgleichspflichtiger Vorteil entstehe, wenn sie den LKW vor Ablauf dieser sechs Jahre weiterverkaufe. Diesen Vorteil lasse sie sich zeitanteilig anrechnen.
18 
Aus dem Bruttoschaden stünden ihr Zinsen gem. § 33a Abs. 4 GWB, §§ 288, 289 S. 1 BGB zu.
19 
Außerdem stehe der Klägerin Schadensersatz für die von ihr gezahlten Versicherungsprämien zu, weil diese Versicherungsprämien kartellbedingt höher gewesen seien. Denn die Versicherer hätten den Ausgleich von Versicherungsfällen, insbesondere bei Diebstahl und Totalschaden, auf der Basis der kartellbedingt überhöhten Marktpreise vorgenommen. Diese erhöhten Kosten für Entschädigungszahlungen hätten zu entsprechend höheren Versicherungsbeiträgen geführt.
20 
Hinsichtlich der Einzelheiten des geltend gemachten Schadens wird auf die folgende tabellarische Aufstellung verwiesen:
21 
Lfd Nr.
FIN     
Preisüberhöhung
netto
Abzgl.
Vorteilsausgleich
Zinsen
Prämienschaden
Zinsen auf
Prämienschaden
1       
WDB...06
26.474,35 EUR
-17.278,27 EUR
13.981,64 EUR
1.360,66 EUR
1.463,68 EUR
2       
WDB...92
20.627,65 EUR
0 EUR     
27.060,08 EUR
7.940,01 EUR
7.195,33 EUR
3       
SDB...42
41.467,82 EUR
0 EUR     
49.309,06 EUR
5.524,09 EUR
3.253,55 EUR
4       
WDB...59
41.501,94 EUR
0 EUR     
49.105,98 EUR
5.690,89 EUR
3.746,50 EUR
5       
WDB...43
20.838,76 EUR
0 EUR     
26.692,59 EUR
6.539,29 EUR
5.548,84 EUR
6       
WDB...27
20.838,76 EUR
0 EUR     
26.727,03 EUR
6599,53 EUR
5.614,59 EUR
7       
WDB...38
20.838,76 EUR
0 EUR     
26.666,10 EUR
6.483,00 EUR
5.486,07 EUR
8       
WDB...56
12.144,90 EUR
0 EUR     
4.510,49 EUR
792,23 EUR
233,71 EUR
9       
WDB...84
12.144,90 EUR
0 EUR     
4.510,49 EUR
767,31 EUR
255,07 EUR
10    
WDB...85
12.144,90 EUR
0 EUR     
4.510,49 EUR
792,23 EUR
233,71 EUR
11    
WDB...86
12.144,90 EUR
0 EUR     
4.510,49 EUR
792,23 EUR
233,71 EUR
12    
WDB...62
18.133,00 EUR
0 EUR     
5.118,26 EUR
        
        
1a    
WDB9...06
17.278,27 EUR
0 EUR     
20.023,43 EUR
2.124,68 EUR
1.568,76 EUR
22 
Für ihre Behauptung, dass ihr ein Schaden in der geltend gemachten Höhe entstanden sei, tritt die Klägerin zudem Beweis durch Einholung eines wettbewerbsökonomischen Sachverständigengutachtens an.
23 
Die Klägerin hat in erster Instanz beantragt,
24 
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin EUR 285.303,84 zu zahlen nebst Zinsen in gesetzlicher Höhe bis zum 31.12.2016 in Höhe von EUR 275.937,46 sowie weiterer Zinsen in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszins p.a. auf EUR 285.303,84 ab dem 01.01.2017,
25 
2. die Beklagte darüber hinaus zu verurteilen, an die Klägerin weitere EUR 19.399,61 zu zahlen nebst Zinsen in gesetzlicher Höhe bis zum 31.12.2016 in Höhe von EUR 21.592,19 sowie weiterer Zinsen in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszins p.a. auf EUR 19.399,61 ab dem 01.01.2017.
26 
Die Beklagte hat beantragt:
27 
Die Klage wird abgewiesen.
28 
Die Beklagte behauptet:
29 
Die Tochterunternehmen der Klägerin seien nicht nur in der Bau-, sondern auch in der Logistikbranche tätig. Die LKWs würden durch die Tochterunternehmen auch als Transportfahrzeuge genutzt.
30 
Die Bruttolistenpreise der Beklagten seien bei keinem der Erwerbsvorgänge thematisiert worden. Auf welche Preislisten die Klägerin mit ihrem Vortrag Bezug nehme, sei unklar.
31 
Der Kauf des letzten Fahrzeugs beruhe nicht auf einem Angebot der Beklagten vom 03.12.2010. Die Anlage K144 belege dies nicht, weil der Angebotspreis aus dem vorgelegten Auszug nicht ersichtlich sei und im Angebot von einem „Kipper-Fahrgestell“ die Rede sei, die vorgelegte Rechnung sich aber auf ein „Pritschenfahrgestell“ beziehe.
32 
Die Beklagte bestreitet mit Nichtwissen, dass die Klägerin bzw. deren Tochterunternehmen noch im Besitz der Fahrzeuge seien.
33 
Die Kartellanten hätten zwar die Bruttolistenpreise ausgetauscht, diese seien im relevanten Zeitraum aber unabhängig von dem Informationsaustausch festgesetzt worden.
34 
Ein Austausch sei nur punktuell erfolgt, habe sehr heterogene Inhalte gehabt und sich nur auf einzelne Produkte und auf bestimmte Zeitpunkte bezogen. Ein umfassender, fortlaufender und systematischer Austausch sämtlicher Bruttolistenpreise und ihrer Erhöhungen habe in keinem der von der Kommissionsentscheidung erfassten Jahre stattgefunden. Insbesondere seien zumindest über lange Strecken des Informationsaustausches hinweg üblicherweise nur Bruttolistenpreiserhöhungen von LKW-Basismodellen oder von LKW-Ecktypen ausgetauscht worden.
35 
Ein Austausch über die Reduzierung von Nachlässen habe nur einmal stattgefunden und zudem ausschließlich Frankreich betroffen.
36 
Die den anderen LKW-Herstellern mitgeteilten „geplanten Preiserhöhungen“ seien in einigen Jahren nicht oder anders umgesetzt worden.
37 
Fahrmischer und Fahrgestelle für Fahrmischer sowie Kipperfahrzeuge und Kipperfahrgestelle seien nicht Gegenstand der Entscheidung der Europäischen Kommission gewesen. Dies betreffe die streitgegenständlichen Fahrzeuge Nr. 1, 3 und 4.
38 
Im Übrigen habe die Klägerin nicht dargelegt, dass konkret die von ihr erworbenen LKW in den jeweils relevanten Jahren Gegenstand eines Austauschs gewesen wären. Die ausgetauschten Informationen hätten sich bloß auf „Basismodelle“, also Ecktypen und teilweise auch nur auf Durchschnittswerte über das gesamte Produktsortiment hinweg bezogen.
39 
Die Beklagte wehrt sich gegen die Annahme, ihr kartellrechtswidriges Verhalten habe wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen gehabt, im Wesentlichen mit den folgenden Argumenten:
40 
1. Der LKW-Markt in Deutschland und Europa sei heftig umkämpft. Die LKW-Hersteller hätten in einem massiven Wettbewerbsverhältnis gestanden und keine Kunden oder Märkte aufgeteilt.
41 
2. Eine Beeinflussung der Bruttolistenpreise durch den Informationsaustausch sei wegen der zeitlichen Abläufe denklogisch ausgeschlossen. Ab 2006 seien die Bruttolistenpreise für das kommende Jahr jeweils im Frühjahr festgelegt und im Sommer in die EDV eingespielt worden. Der erste Austausch von Informationen zu den Bruttolistenpreisen habe jedoch jeweils erst danach oder allenfalls wenige Tage davor stattgefunden.
42 
3. Der LKW-Markt sei von einer erheblichen Produktvielfalt geprägt. Die ausgetauschten, rudimentären Informationen seien von ihrer Art her nicht geeignet gewesen, den Wettbewerb zu beschränken.
43 
4. Der Austausch von Bruttolistenpreisen sei nicht geeignet gewesen, Rückschlüsse auf das tatsächliche Preisniveau zu gewähren, weil Bruttolistenpreise „Mondpreise“ seien, die kein Kunde bezahle. Die Bruttolistenpreise hätten ihre Funktion vor allem im Controlling („Benchmarking-Funktion“) und bei der Produktionssteuerung. Auf die konkrete Preisbildung im Einzelfall hätten sie jedoch keinen Einfluss, weil kein Kunde „nach Liste“ kaufe oder auch nur annähernd Bruttolistenpreise bezahle.
44 
5. Der Anschaffungspreis sei nur einer von vielen Wettbewerbsparametern. Die sonstigen Parameter seien von dem kartellrechtswidrigen Verhalten nicht erfasst.
45 
Ihre Argumentation, dass die Bruttolistenpreise keine Auswirkungen auf die tatsächlich verlangten Nettopreise gehabt hätten, untermauert die Beklagte mit umfangreichen Ausführungen zur sog. Überwälzungsquote, die zeige, ob bzw. inwieweit eine Veränderung der Bruttopreise mit einer Veränderung der Nettopreise korreliere. Der empirische Befund zeige allenfalls eine sehr eingeschränkte Korrelation.
46 
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in erster Instanz wird auf die Schriftsätze und auf die tatsächlichen Feststellungen im Urteil des Landgerichts Bezug genommen.
2.
47 
Das Landgericht hat in einem Grundurteil die kartellrechtlichen Schadensersatzansprüche gem. §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 85 EGV bzw. Art. 101 AEUV dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.
48 
Die Erwerbsvorgänge seien vom Kartellzeitraum erfasst. Das gelte auch für den zwölften Erwerbsvorgang, der neun Monate nach Beendigung der Zuwiderhandlung stattgefunden habe und damit in den nachwirkenden Kartellzeitraum falle.
49 
Die Beklagte habe ausweislich der bindenden Feststellungen im Beschluss der Europäischen Kommission gegen kartellrechtliche Vorschriften verstoßen, indem sie mit anderen Unternehmen die Bruttopreislisten ausgetauscht und in mehreren Treffen Bruttopreiserhöhungen besprochen und in einigen Fällen auch vereinbart habe. Diese kollusiven Praktiken hätten den Zweck verfolgt, den Wettbewerb auszuschalten und die Preisgestaltung zu verfälschen.
50 
Da nach den Feststellungen der Europäischen Kommission sämtliche mittelschweren und schweren LKW im gesamten EWR kartellbetroffen gewesen seien, gelte dies auch für die streitgegenständlichen LKW-Käufe.
51 
Gem. § 287 ZPO sei davon auszugehen, dass der Klägerin ein kartellbedingter Schaden entstanden sei. Für die allgemein preissteigernde Wirkung eines Kartells spreche ein Anscheinsbeweis. Die lange Dauer des Kartells von 1997 bis 2011, die Beteiligung sämtlicher führender europäischer Hersteller, die Ausdehnung auf den gesamten europäischen Wirtschaftsraum und der erhebliche organisatorische Aufwand seien nur erklärlich, wenn den LKW-Herstellern durch den Informationsaustausch ein finanzieller Vorteil entstanden sei.
52 
Eine Erschütterung des Anscheinsbeweises sei der Beklagten nicht gelungen. Dass die Bruttolistenpreise die Basis der Preisgestaltung auch für die Nettoendkundenpreise bildeten, sei bindend festgestellt. Die Gewährung von Rabatten im Einzel- oder Regelfall ändere hieran nichts. Soweit die Europäische Kommission im Jahr 2006 im Fusionskontrollverfahren M./S. von einem intensiven Wettbewerb zwischen den LKW-Herstellern ausgegangen sei, sei zu berücksichtigen, dass der Kommission damals wesentliche Informationen zur Preisgestaltung und Preiskoordinierung noch nicht vorgelegen hätten. Auch die Produktvielfalt mit der Möglichkeit von über 1 Milliarde LKW-Konfigurationen ändere nichts daran, dass die Absprache der Bruttopreiserhöhungen für die LKW-Basismodelle auch die zur Verfügung stehenden Konfigurationsoptionen erfasse.
53 
Der „Passing-on“-Einwand der Beklagten greife nicht, weil bei der Klägerin als Bauunternehmerin keine Weiterwälzung des Schadens in relevantem Umfang stattfinde. Im Übrigen sei der Fall ähnlich zu bewerten wie die Fälle, in denen das von der kartellrechtlich bedingten Preiserhöhung betroffene Produkt erst nach Verarbeitung weitergeliefert werde. Auch in diesen Fällen lasse der BGH den „Passing-on“-Einwand nicht zu (BGH, Urteil vom 28.06.2011, KZR 75/10, Rn. 75).
54 
Die Schadensersatzansprüche seien nicht verjährt. Die Klägerin habe erst seit der Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 19.07.2016 Kenntnis gehabt. Die zehnjährige, kenntnisunabhängige Verjährungsfrist, die bzgl. der ersten Verstöße am 31.12.2011 abgelaufen wäre, sei durch die Durchsuchungen am 18.01.2011 rechtzeitig gehemmt worden, weil die Europäische Kommission mit dieser nach außen wirkenden Tätigkeit ein Verfahren eingeleitet habe. Die Hemmung sei gem. § 33 Abs. 5 GWB am 19.03.2017 abgelaufen, die Erhebung der Klage am 20.03.2017 sei mithin noch rechtzeitig erfolgt.
3.
55 
Mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klagabweisung weiter.
a)
56 
Das Landgericht habe bei den Voraussetzungen für den Erlass eines Grundurteils einen falschen Prüfungsmaßstab angelegt. Der Erlass eines Grundurteils sei nicht bereits dann zulässig, wenn es zumindest wahrscheinlich sei, dass der klägerische Anspruch in irgendeiner Höhe bestehe. Vielmehr müsse der geltend gemachte Anspruch auch unter Berücksichtigung der Einwendungen mit hoher Wahrscheinlichkeit bestehen. Eine hohe Wahrscheinlichkeit habe das Landgericht nicht festgestellt.
b)
57 
Das Landgericht habe fehlerhafterweise angenommen, dass die Erwerbstatbestände kartellbetroffen seien.
58 
Auf die Kommissionsentscheidung könne sich die Klägerin hierzu nicht stützen, denn die Kommission habe nicht festgestellt, dass sich der unzulässige Informationsaustausch auf den Erwerb sämtlicher LKW durch sämtliche Kunden ausgewirkt habe, sondern nur, dass es einen Austausch im Wesentlichen zu Bruttolistenpreisen von Ecktypen oder von Durchschnittswerten über das gesamte Produktsortiment hinweg gegeben habe.
59 
Ein Anscheinsbeweis zur Kartellbetroffenheit komme allenfalls bei harten Kartellabsprachen wie der Aufteilung von Kunden oder Märkten in Betracht, nicht aber bei Kartellverstößen, die lediglich die Transparenz des LKW-Marktes erhöhten.
60 
Der begangene Kartellverstoß verhindere aus den folgenden Gründen weder den Verlust von Marktanteilen noch führe er zu einem erhöhten Nettopreisniveau:
61 
a. Der Nettopreis stehe in keiner Abhängigkeit zum Bruttolistenpreis.
62 
b. Die fehlende Detaillierung des Informationsaustauschs habe Rückschlüsse auf die Nettopreise verhindert. Je nach spezifischem Einsatzzweck werde ein LKW in der Regel so individualisiert, dass er mit dem Grundmodell (Ecktyp) eines LKW nicht mehr viel zu tun habe.
63 
c. Der zeitliche Ablauf habe verhindert, dass der Informationsaustausch Einfluss auf die Bruttopreisfestsetzung gehabt habe.
64 
d. Der Informationsaustausch habe sich nicht auf die Nettopreisbildung auswirken können, weil zwischen Bruttolistenpreis und Nettopreis eine Vielzahl unbekannter Faktoren liege, die die Beklagte ganz überwiegend nicht beeinflussen könne. Insbesondere habe der Absatzmittler bei der Festlegung des Nettopreises einen Gestaltungsspielraum. Er sei völlig frei, den Kauf durch einen Kunden aus seiner eigenen Gewinnmarge zu bezuschussen, was der Absatzmittler vorliegend bei fünf Fahrzeugen auch getan habe. Jedenfalls dadurch sei ein etwaiger mathematischer Zusammenhang zwischen Bruttolistenpreis und Nettopreis aufgebrochen worden.
65 
e. Zwischen den Herstellern habe ein erheblicher Wettbewerb mit dem Risiko von Marktanteilsverlusten bestanden.
66 
Hinsichtlich des Erwerbstatbestands Nr. 12 stelle das Landgericht unzulässigerweise Tatsachen von Amts wegen fest, indem es ohne substantiierten Vortrag der Klägerin davon ausgehe, dass sich der Kartellzeitraum um eine Nachwirkung von bis zu einem Jahr verlängere. Darlegungs- und Beweiserleichterungen hierfür gebe es nicht, weil es entscheidend von den Verhältnissen des jeweiligen Einzelfalls abhänge, ob und für welche Zeit Nachlaufeffekte einträten. Jedenfalls sei die Vermutung widerlegt bzw. der Anscheinsbeweis erschüttert aufgrund der oben angeführten Gründe, die erst recht für die Zeit nach dem Ende des Kartellverstoßes gelten würden.
c)
67 
Das Landgericht sei aus den zur Kartellbetroffenheit dargelegten Gründen auch zu Unrecht davon ausgegangen, dass ein Schaden wahrscheinlich sei.
d)
68 
Der „Passing-On“-Einwand sei begründet.
69 
Abnehmer anderer Marktstufen würden in signifikantem Umfang klagen, beispielsweise ein indirekter Abnehmer nachgelagerter Marktstufen vor dem LG München I (Az. 37 O 19245/17) und ein großes deutsches Logistikunternehmen bzgl. Transportdienstleistungen von Subunternehmern vor dem LG Köln (Az. 31 O 408/17).
70 
Es bestehe ein hinreichendes Kausalverhältnis zwischen Kartellverstoß und Weiterwälzung, denn die Beklagte habe dargelegt, dass die Klägerin die Kosten für den Erwerb der LKW in die Kalkulation der Preise, die sie von ihren Kunden verlange, habe einfließen lassen. Dies habe die Beklagte auch durch Sachverständigengutachten in erster Instanz unter Beweis gestellt.
71 
Falsch sei die These des Landgerichts, dass es bereits im Ansatz unmöglich sei festzustellen, inwieweit die Klägerin bei der Kalkulation ihrer Preise etwaige überhöhte Erwerbspreise berücksichtige. Ein ökonomischer Sachverständiger könne dies anhand der internen Kalkulationsunterlagen der Klägerin untersuchen.
e)
72 
Die geltend gemachten Schadensersatzansprüche seien sowohl kenntnisabhängig als auch kenntnisunabhängig verjährt.
73 
Für den Beginn der Verjährungsfrist reiche bereits grob fahrlässige Unkenntnis aus. Von einer solchen groben Fahrlässigkeit sei aufgrund der mit der Anlage GL 15 vorgelegten Presseberichterstattung im Jahr 2011 auszugehen.
74 
Kenntnisunabhängige Verjährung sei eingetreten, weil die Hemmungswirkung des § 33 Abs. 5 S. 1 Nr. 2 GWB a.F. erst mit dem förmlichen Beschluss der Europäischen Kommission am 20.11.2014 begonnen habe, dass ein Verfahren eingeleitet werde, d.h. zu einem Zeitpunkt, als die Ansprüche bereits verjährt gewesen seien. Die Neuregelung in § 33h Abs. 6 Nr. 1 GWB, die ausdrücklich auf die Einleitung des Verfahrens abstelle, zeige, dass der Gesetzgeber mit der Vorgängervorschrift nicht bezweckt habe, dass sämtliche Maßnahmen eine Hemmung bewirkten, denn sonst hätte er nicht aktiv werden müssen. Zudem sei § 33 Abs. 5 S. 1 GWB a.F. europarechtskonform auszulegen, weil nicht das Bundeskartellamt, sondern die Europäische Kommission gehandelt habe.
75 
Die Streithelferin der Beklagten trägt im Wesentlichen mit den gleichen Argumenten vor.
76 
Die Beklagte/Berufungsklägerin sowie deren Streithelferin beantragen:
77 
Das Grundurteil des Landgerichts Stuttgart vom 30. April 2018 wird aufgehoben und der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Stuttgart zurückverwiesen.
78 
Hilfsweise für den Fall, dass das Berufungsgericht den Rechtsstreit nicht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Stuttgart zurückverweist, sondern eine eigene Sachentscheidung trifft, beantragen die Beklagte/Berufungsklägerin sowie deren Streithelferin:
79 
Das Grund-Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 30. April 2018 wird abgeändert und die Klage wird abgewiesen.
80 
Die Klägerin/Berufungsbeklagte beantragt:
81 
Die Berufung wird zurückgewiesen.
82 
Die Klägerin/Berufungsbeklagte erweitert ihren Klagantrag Ziff. 1 aus erster Instanz hinsichtlich des beantragten Zinsbetrags dahingehend, dass es statt 275.937,46 EUR heißt: 275.967,46 EUR.
83 
Die Klägerin/Berufungsbeklagte beantragt ferner,
84 
die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin von vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von EUR 3.759,50 freizustellen.
85 
Die Klägerin/Berufungsbeklagte beantragt außerdem in der Berufungsinstanz gem. § 33g GWB 2017 für den Fall, dass die Kartellbetroffenheit bzgl. des Beschaffungsvorgangs Nr. 12 verneint werde:
86 
1. Die Beklagten zu verpflichten, der Klägerin das ihnen von der K. zugestellte SO vom 20.11.2014 zur Verfügung zu stellen.
87 
2. Die Beklagten zu verpflichten, der Klägerin die für sämtliche Modelle der Baureihen At., Ax., Ac. in der Zeit von 1997 bis 2011 jährlich neu festgelegten Bruttopreislisten zur Verfügung zu stellen.
88 
3. Der Beklagten aufzugeben, Auskunft über den Zeitpunkt der Festsetzung der Bruttopreislisten für das jeweils nächste Jahr zu geben und im Einzelnen für den Zeitraum 01.01.1997 bis 31.12.2011 darzustellen, wann welche Bruttopreisliste Gültigkeit hatte und wann die dort enthaltenen Preise beschlossen worden sind.
89 
4. Die Beklagten zu verpflichten, die von ihnen eigens für die Klägerin erstellten Preisübersichten aus den Jahren 1997 bis 2011 der Klägerin zur Verfügung zu stellen.
90 
5. Hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, die vorgenannten Unterlagen dem Gericht allein zum Zwecke der Prüfung vorzulegen gemäß § 33g Abs. 4 S. 3 GWB 2017.
91 
Die Beklagte/Berufungsklägerin widerspricht der Klageerweiterung bzgl. des Zinsbetrags (Klagantrag Ziff. 1) und beantragt
92 
Abweisung dieser Klageerweiterung, des Antrags Ziff. 3 aus dem Schriftsatz vom 14.12.2018 sowie der Hilfsanträge aus demselben Schriftsatz.
93 
Die Klägerin erweitert mit ihrer Berufungserwiderung ihre Klage um einen Antrag auf Freistellung von ihren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten entsprechend einer 1,5 Geschäftsgebühr zzgl. Auslagenpauschale ohne Umsatzsteuer. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin sei zunächst vorgerichtlich und mit dem ausschließlichen Ziel einer außergerichtlichen Einigung von der Klägerin beauftragt worden (Anschreiben, Anlage K133).
94 
Die Klägerin wendet sich in ihrer Berufungserwiderung u.a. gegen die Behauptung der Beklagten, dass der Endverkaufspreis beim LKW-Kauf nicht vom Bruttolistenpreis abhänge, sondern durch den Kunden und dessen Preiserwartung bestimmt werde. Selbst wenn dies zuträfe, gäbe es immer noch eine Untergrenze für den Preis, die durch die Gestehungskosten und Renditeerwartung des Herstellers gebildet und durch die Bruttopreislisten abgebildet werde. Außerdem widerlegten die eigenen, internen Verkaufsunterlagen der Beklagten diese These, denn aus diesen könne der Verkäufer vor Ort den Gesamtbruttolistenpreis des Fahrzeugs einschließlich der gewählten Serien- und Sonderausstattung ersehen (Anlage K155, Bl. 483). Zudem widerspreche diese These den Feststellungen der Kommission in Rn. 47 der Entscheidung.
95 
In Bezug auf die Wahrscheinlichkeit eines Schadens rügt die Klägerin, dass die Beklagte den Berechnungen der Klägerin trotz der ihr bekannten Bruttopreislisten und Rabattstrukturen nicht substantiiert durch Vorlage eigener, konkreter Berechnungen für die einzelnen Erwerbsvorgänge entgegengetreten sei.
96 
In ihrer Erwiderung hierauf beschränkt sich die Beklagte hinsichtlich der Anlage K155 unter Wiederholung ihres früheren Vortrags auf die Aussage, dass der dort genannte Bruttolistenpreis nicht die Bedeutung habe, die die Klägerin ihm beimesse.
97 
Ihren Vortrag, dass der Absatzmittler der streitgegenständlichen Fahrzeuge besondere Rabatte gewährt habe, konkretisiert die Beklagte nunmehr erstmals und trägt hierzu unter Beweisantritt vor, dass das Autohaus B. W. bzgl. der Fahrzeuge Nr. 8 bis 11 vielfältige Naturalrabatte gewährt sowie den Erwerb der Fahrzeuge aus der eigenen Marge bezuschusst habe.
98 
Die Beklagte ist der Ansicht, dass sich aus einer Vielzahl von ihr auszugsweise vorgelegter Klageschriften ergebe, dass die dortigen Kläger jeweils keinen Kartelleffekt ermittelt hätten.
99 
Die Beklagte referiert und legt das Gutachten der E. vom 14.11.2018 vor, die im Auftrag der Beklagten untersucht habe, ob die bruttolistenpreisbezogenen Verstöße zu koordinierten Nettopreisänderungen geführt haben könnten (Anlage GL 19). Das Gutachten komme zu dem Ergebnis, dass es nicht plausibel sei, dass die bruttolistenpreisbezogenen Verstöße zu einer Koordinierung der LKW-Hersteller und damit zu höheren Nettopreisen und einem Schaden für die Kunden geführt habe.
100 
Erstmals weist die Beklagte darauf hin, dass bei den Erwerbsvorgängen Nr. 8-12 die gesetzliche Gewährleistung für den Antriebsstrang erweitert worden sei und ein Pannen- und Unfallservice enthalten sei. Beide Leistungen müssten bei der Berechnung eines Schadens unberücksichtigt bleiben, weil die Kommissionsentscheidung nicht den „After-Sales“-Bereich und andere Dienstleistungen und Garantien für LKW betroffen habe.
101 
Im Hinblick auf den zeitlich ersten Erwerb aus dem Jahr 1997 (lfd. Nr. 2) weist die Beklagte darauf hin, dass sich das kartellrechtswidrige Verhalten in diesem Jahr erst in dem Folgejahr ausgewirkt haben könnte.
102 
Die Beklagte tritt einem Auskunftsanspruch nach § 33 g GWB entgegen. Dieser könne als materiell-rechtlicher Anspruch nicht rückwirkend angewandt werden. Eine solche Rückwirkung sei vom Gesetzgeber auch nicht beabsichtigt. Der Anspruch wäre zudem gem. § 33 g Abs. 5 Nr. 2 GWB ausgeschlossen, weil das wettbewerbsbehördliche Verfahren gegen S. noch nicht abgeschlossen sei. Zudem wäre die Herausgabe des Statement of Objections gem. § 33 g Abs. 4 GWB ausgeschlossen, weil dieses neben schützenswerten Geschäftsgeheimnissen auch Bezugnahmen und Inhalte der Kronzeugenerklärungen enthalte. Im Übrigen fehle es auch an der überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Bestehens eines Schadensersatzanspruchs und der hinreichenden Konkretisierung der begehrten Information.
103 
Der Freistellungsantrag sei mangels Haftung dem Grunde nach abzuweisen. Bestritten werde, dass vorgerichtliche Anwaltskosten i.H.v. 3.759,50 EUR brutto entstanden seien, dass eine 1,5 Geschäftsgebühr notwendig gewesen sei und dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ausschließlich mit dem Ziel einer außergerichtlichen Einigung von der Klägerin beauftragt worden sei.
104 
Wegen der Einzelheiten und wegen des weiteren Vortrags der Parteien und der Streithelferin in zweiter Instanz wird auf die eingereichten Schriftsätze und das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
105 
Mit Schriftsatz vom 11.03.2019 und vom 18.03.2019 hat die Beklagte nach Schluss der mündlichen Verhandlung nochmals Stellung genommen. Die Schriftsätze enthalten keinen neuen Vortrag. Die Rechtsausführungen in den Schriftsätzen hat der Senat zur Kenntnis genommen. Sie gaben keinen Anlass, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen (§ 156 ZPO).
II.
106 
Die zulässige Berufung der Beklagten ist größtenteils unbegründet.
A
107 
Die Klage ist zulässig.
1.
108 
Ursprünglich nicht zulässig war die Klage auf Zahlung von ausgerechneten Zinsen i.H.v. 275.937,46 EUR, weil es sich insoweit um eine unzulässige Teilklage gehandelt hat. Dies folgte daraus, dass die Klägerin Verzugszinsen i.H.v. insgesamt 275.937,46 EUR geltend machte, die von ihr dargelegten einzelnen Verzugszinsforderungen zusammen aber 275.967,46 EUR ergaben, d.h. 30 EUR mehr. Da die Klägerin kein Rangverhältnis zwischen den einzelnen Forderungen angegeben hatte, handelte es sich insoweit um eine unbestimmte Teilklage.
109 
Diese Unbestimmtheit besteht nicht mehr, nachdem die Klägerin ihre Klage bzgl. der Verzugszinsen um 30 EUR erweitert hat. Die Klageerweiterung ist gem. § 533 ZPO zulässig, da sie sachdienlich ist und sich auf den bereits in erster Instanz gehaltenen Tatsachenvortrag stützt.
2.
110 
Nicht zulässig ist der in der Berufungsinstanz erstmals gestellte Antrag auf Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten i.H.v. 3.759,50 EUR.
111 
Allerdings scheitert der Antrag nicht daran, dass nicht die Klägerin, sondern die Beklagte Berufung eingelegt hat. Zwar kann eine Klageerweiterung in der Berufungsinstanz nur durch den Rechtsmittelführer erfolgen. Die Klägerin hat aber dadurch, dass sie in der Berufungserwiderung den Antrag auf Freistellung von ihren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gestellt hat, konkludent den Anschluss an das Rechtsmittel der Gegenseite erklärt (vgl. BGH, NJW 2015, 1296, Rn. 16). Diese Erklärung ist auch fristgerecht, nämlich innerhalb der Berufungserwiderungsfrist erfolgt (§ 524 Abs. 2 S. 2 ZPO).
112 
Die zusätzliche Geltendmachung eines neuen Streitgegenstands ist als Klageänderung i.S.d. § 533 ZPO zu behandeln (Rimmelspacher in MüKo/ZPO, 5. Aufl. 2016, § 533 Rn. 8) und daher nur unter den dort genannten Voraussetzungen zulässig. Der Freistellungsantrag müsste daher auf Tatsachen gestützt werden können, die der Senat seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung nach § 529 ZPO ohnehin zugrunde zu legen hat. Dies ist bereits deshalb nicht der Fall, weil die Höhe des Freistellungsanspruchs von der Höhe der berechtigten Schadensersatzforderung abhängt und diese im Berufungsverfahren, in dem nur über ein Grundurteil zu befinden ist, keine Rolle spielt. Der Senat könnte daher allenfalls im Wege eines Grundurteils über den Anspruch befinden. Dann erschließt sich aber nicht, weshalb der Antrag sachdienlich sein soll.
B
113 
Die Klage der Klägerin ist mit Ausnahme des zeitlich ersten Beschaffungsvorgangs dem Grunde nach begründet.
1.
114 
Der Streitgegenstand der Klage ist allein der Kartellverstoß durch Austausch der Bruttopreislisten. Die Geltendmachung eines Schadens durch die zeitlich abgestimmte Einführung neuer Emissionstechnologien hat sich die Klägerin ausdrücklich vorbehalten. Aus diesem Vorbehalt ergibt sich, dass die Klägerin einen daraus resultierenden Schaden bislang nicht geltend machen wollte.
2.
115 
Für den Schadensersatzanspruch ist das im Belieferungszeitraum geltende Recht maßgeblich (BGH, Urteil vom 28.06.2011, KZR 75/10 – ORWI – juris, Rn. 13).
a)
116 
Hinsichtlich der Beschaffungsvorgänge vor dem 01.01.1999 – dies betrifft die Beschaffungsvorgänge mit den Nummern 1, 2, 5, 6 und 7 – ist § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 85 EG-Vertrag die einschlägige Anspruchsgrundlage. Die mit der 7. GWB-Novelle eingeführte Neuregelung des § 33 GWB ist mangels einer entsprechenden Übergangsvorschrift nicht anwendbar (BGH, Urteil vom 28.06.2011, KZR 75/10 – ORWI – juris, Rn. 13).
117 
Hinsichtlich der Beschaffungsvorgänge im Jahr 2000 (lfd. Nr. 3 und 4) gilt § 33 GWB in der vom 01.01.1999 bis 30.06.2005 geltenden Fassung vom 26.08.1998.
118 
Für die weiteren Kartellverstöße in den Jahren 2010 und 2011 (lfd. Nr. 8 bis 12) gilt § 33 GWB in der vom 12.12.2007 bis 29.06.2013 geltenden Fassung vom 18.12.2007.
b)
119 
Nach sämtlichen Vorschriften ist Voraussetzung eines Schadensersatzanspruchs ein Verstoß gegen die entsprechende Kartellvorschrift des EG-Vertrags (Art. 81 bzw. 85 EGV) bzw. des Art. 101 AEUV. Die bis 2005 geltende Voraussetzung, dass es sich bei der Norm, gegen die verstoßen wurde, um ein Schutzgesetz handeln musste (§ 823 Abs. 2 BGB bzw. § 33 Abs. 1 GWB i.d.F. vom 26.08.1998), ist gegeben. Das unionsrechtliche Verbot von Kartellen und abgestimmten Verhaltensweisen stellt ein Schutzgesetz zugunsten der Abnehmer dar (BGH, Urteil vom 28.06.2011, KZR 75/10 – ORWI – juris, Rn. 14, 16).
3.
120 
Ein Kartellrechtsverstoß, d.h. ein Verstoß gegen das unionsrechtliche Verbot von Kartellen und abgestimmten Verhaltensweisen ist gegeben.
121 
Nach den gleichlautenden Art. 85 bzw. 81 EGV und Art. 101 AEUV sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen und die eine Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken, verboten. Verboten sind nach Buchstabe a) insbesondere die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung von An- oder Verkaufspreisen.
122 
Der Verstoß als solcher ist zwischen den Parteien unstreitig und auch durch den Beschluss der Kommission vom 19.07.2016 bindend gem. § 33b GWB festgestellt.
a)
123 
§ 33b GWB wurde zwar mit der 9. GWB-Novelle neu geschaffen; die Vorschrift entspricht inhaltlich aber vollständig der Regelung des § 33 Abs. 4 GWB a.F. (Bornkamm/Tolkmitt in Langen/Bunte, Kartellrecht, Bd. 1, 13. Aufl. 2018, § 33b GWB Rn. 1). In zeitlicher Hinsicht kann sich die Bindungswirkung auch auf Zeiträume vor Inkrafttreten des § 33 Abs. 4 a.F. (13.07.2005) erstrecken. Voraussetzung ist lediglich, dass die kartellbehördliche Entscheidung – wie hier – erst nach dem Inkrafttreten der Norm Bestandskraft erlangt hat (Bornkamm/Tolkmitt, aaO., Rn. 12; BGH, Urteil vom 12.06.2018, KZR 56/16 – Grauzementkartell II – juris, Rn. 32). Dies ist wegen des prozessualen Charakters der Norm kein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot.
124 
Die Bindung beschränkt sich allein auf die Feststellung eines Kartellrechtsverstoßes. Die Bindungswirkung erfasst alle im vorangegangenen Verfahren getroffenen tatsächlichen Feststellungen, die den Lebenssachverhalt bilden, bezüglich dessen ein Kartellrechtsverstoß festgestellt wurde, und die seine rechtliche Einordnung als Verstoß tragen (BGH, Urteil vom 12.07.2016, KZR 25/14 – Lottoblock II – juris, Rn. 14).
b)
125 
In den Rn. 46-48 der Entscheidung der Kommission vom 19.07.2016 ist der Verstoß wie folgt beschrieben:
126 
„Sämtliche Adressatinnen tauschten Bruttopreislisten und Informationen über Bruttopreise miteinander aus und die meisten tauschten computerbasierte Lkw-Konfiguratoren aus. Sämtliche dieser Elemente stellten wirtschaftlich sensible Informationen dar. Mit der Zeit wurden die herkömmlichen Bruttopreislisten durch Lkw-Konfiguratoren ersetzt, die detaillierte Bruttopreise für sämtliche Modelle und Optionen enthielten. Dies ermöglichte die Berechnung der Bruttopreise für die jeweils bestellbare Lkw-Konfiguration. Der Austausch fand sowohl auf multilateraler als auch auf bilateraler Ebene statt.
127 
In den meisten Fällen waren die Informationen über die Bruttopreise für Lkw-Komponenten nicht öffentlich zugänglich bzw. die öffentlich zugänglichen Informationen waren nicht so ausführlich und genau wie die – unter anderem - zwischen den Adressatinnen ausgetauschten Informationen. Durch den Austausch aktueller Bruttopreise und Bruttopreislisten in Verbindung mit weiteren, im Wege der Marktforschung gewonnenen Daten, konnten die Adressatinnen die ungefähren aktuellen Nettopreise ihrer Konkurrenten besser berechnen – in Abhängigkeit der Qualität der ihnen vorliegenden Marktforschungsdaten.
128 
Desgleichen erleichterte der Austausch der Konfiguratoren den Vergleich der eigenen Angebote mit denen der Konkurrenten, wobei die Markttransparenz durch diesen Vergleich zusätzlich erhöht wurde. Insbesondere konnte anhand der Lkw-Konfiguratoren festgestellt werden, welche Optionen mit welchen Lkw-Modellen kompatibel waren und welche Teile der Standard und welche Teil der Sonderausstattung sein könnten. Sämtliche Adressatinnen mit der Ausnahme von D. hatten Zugang zu dem Konfigurator von mindestens einer weiteren Adressatin. Einige Konfiguratoren gewährten nur Zugang zu technischen Daten wie zum Beispiel Aufbauhersteller-Portalen und enthielten keine Preisinformationen.“
4.
129 
Der Kartellverstoß geschah vorsätzlich. Die Klägerin trägt hierzu unbestritten vor, dass der Vorstand der Beklagten positive Kenntnis über das wettbewerbswidrige Verhalten hatte. Die Beklagte muss sich das Verschulden ihres Vorstands gem. § 31 BGB, der auch für Aktiengesellschaften gilt (Spindler in MüKo/AktG, 5. Aufl. 2019, § 78 Rn. 133) zurechnen lassen. Im Übrigen wäre das Verschulden unabhängig davon gegeben, auf welcher Management-Ebene die kartellrechtlichen Verstöße jeweils begangen wurden. Denn den Organen der Beklagten fällt zumindest ein Organisationsverschulden zur Last, da sie ein kartellrechtswidriges Verhalten nicht verhindert haben.
5.
130 
Die streitgegenständlichen Erwerbsvorgänge sind mit Ausnahme des 1997 erfolgten Kaufs vom Kartellverstoß betroffen. Die von der Beklagte hiergegen ins Feld geführten Argumente betreffen im Wesentlichen die Frage, ob der Klägerin durch das Kartell ein Schaden entstanden ist. Für die Kartellbetroffenheit sind die Argumente jedoch größtenteils ohne Belang.
a)
131 
Für die Frage, ob die Erwerbsvorgänge vom Kartellverstoß betroffen sind, gilt der Beweismaßstab des § 286 ZPO (BGH, Urteil vom 11.12.2018, KZR 26/17 – Schienenkartell – Rn. 59; Urteil vom 12.07.2016, KZR 25/14 – Lottoblock II – Rn. 47).
b)
132 
Die Kartellbetroffenheit ist mit Ausnahme des Erwerbsvorgangs im Jahr 1997 zu bejahen, auch wenn der Klägerin hierfür nach der Rechtsprechung des BGH kein Anscheinsbeweis zugutekommt (BGH, Urteil vom 11.12.2018, KZR 26/17 – Schienenkartell, Rn. 60-64).
aa)
133 
Hinsichtlich der Erwerbsvorgänge im Jahr 2010 (Nr. 8 - 11) ist die Kartellbetroffenheit aus den folgenden Gründen gegeben:
(i)
134 
In Rn. 28 des Kommissionsbeschlusses ist ausgeführt, dass die „EWR-Bruttopreislisten“ die Preise aller mittelschweren und schweren LKW-Modelle sowie sämtlicher vom jeweiligen Hersteller ab Werk angebotener Sonderausstattungen enthalten haben. Die Beklagte hat diese „EWR-Bruttopreisliste“ ab 2006 verwendet. Mit dieser Feststellung der Kommission, die gem. § 33b GWB bindend ist, da sie den Kartellverstoß als solchen betrifft, ist die Behauptung der Beklagten, es habe sich nur um einen punktuellen, nicht umfassenden Austausch gehandelt, nicht vereinbar.
(ii)
135 
Der Einwand der Beklagten, die Kartellbetroffenheit scheitere daran, dass nur Ecktypen vom Austausch der Bruttopreise erfasst seien, ist nicht überzeugend. Denn wenn sich die Beklagte mit den anderen Kartellanten über die Bruttopreise von Basismodellen ausgetauscht hat, dann sind von diesem Informationsaustausch auch die Konfigurationen im Einzelfall erfasst, weil diese sich von den Basismodellen ableiten.
136 
Dem entspricht, dass die Kartellanten ausweislich Rn. 47 des Kommissionsbeschlusses durch den Austausch aktueller Bruttopreise und Bruttopreislisten in Verbindung mit weiteren, im Wege der Marktforschung gewonnenen Daten die ungefähren aktuellen Nettopreise ihrer Konkurrenten besser berechnen konnten.
137 
Darüber hinaus ergibt sich aus Rn. 46 des Kommissionsbeschlusses, dass „mit der Zeit“ die herkömmlichen Bruttopreislisten durch LKW-Konfiguratoren ersetzt wurden, die detaillierte Bruttopreise für sämtliche Modelle und Optionen enthielten, und dass dies die Berechnung der Bruttopreise für die jeweils bestellbare LKW-Konfiguration ermöglicht hat. Das zeigt, dass der Informationsaustausch jedenfalls gegen Ende des Kartells nicht nur die Ecktypen betraf, sondern auch die einzelnen LKW-Konfigurationen.
bb)
138 
Im Ergebnis das Gleiche gilt für die Erwerbsvorgänge 1 und 3 bis 7, die zeitlich vor der Einführung der Bruttopreislisten mit harmonisierten EWR-weiten Bruttolistenpreisen erfolgten. Denn auch vor 2006 fand ein Austausch statt, zwar nicht mit harmonisierten, EWR-weiten Bruttopreislisten, aber - wie sich aus den bindenden Feststellungen der Kommission in Rn. 51 des Beschlusses ergibt - gleichwohl für den gesamten EWR, lediglich unterteilt nach ihrer jeweiligen Geltung in den einzelnen Kernmärkten.
139 
Dabei sind entgegen der Ansicht der Beklagten auch die Erwerbsvorgänge 1, 3 und 4 kartellbetroffen. Welche „Produkte“ Gegenstand des Kartellverfahrens waren, ist in Rn. 5 des Beschlusses beschrieben, nämlich LKW zwischen 6 und 16 Tonnen („mittelschwere Lkw“) sowie LKW über 16 Tonnen („schwere Lkw“), wobei es sich sowohl um Solofahrzeuge als auch um Sattelzugmaschinen handelt. Ausweislich der Fußnote 5 sind hiervon LKW für den militärischen Gebrauch ausgenommen. Ebenfalls nicht betroffen sind der „Aftersales-Bereich, andere Dienstleistungen und Garantien für Lkw, der Verkauf von gebrauchten Lkw und sämtliche anderen, von den Adressatinnen dieses Beschlusses verkauften Waren oder Dienstleistungen“. Eine weitere Einschränkung für andere Sonderfahrzeuge enthält der Beschluss nicht.
140 
Im vorliegenden Fall handelt es sich um Fahrgestelle, d.h. um LKW ohne Aufbauten, die den entsprechenden Gewichtsklassen unterfallen. Es sind keine LKW für den militärischen Gebrauch und es handelt sich auch nicht um gebrauchte LKW. Damit waren sie Gegenstand des Kartellverfahrens und sind von dessen Feststellungen umfasst. Dies gilt auch für den von der Fa. H. an die Fa. B. weiterverkauften LKW, denn auch dieser LKW war neu, als ihn die Beklagte an die Fa. H. verkauft hatte.
141 
Die Beklagte wendet sich hiergegen unter Bezugnahme auf ein Auskunftsersuchen der Europäischen Kommission vom 30.06.2015, das belegen soll, dass Fahrgestelle für Betonmischer und Kipperfahrzeuge nicht Gegenstand der Entscheidung der Kommission gewesen sein sollen. Unabhängig davon, dass die Beklagte dieses Auskunftsersuchen nicht vorlegt, sondern lediglich daraus zitiert, und daher unklar bleibt, welchem Zweck die an dieser Stelle gelieferte Definition von LKW dient, überzeugt die Argumentation auch inhaltlich nicht. Denn entscheidend für die Frage, welche LKW Gegenstand der Entscheidung der Kommission waren, ist der Kommissionsbeschluss selbst, nicht aber irgendwelche Auskunftsersuchen im Vorfeld dieser Entscheidung. In Rn. 5 des Beschlusses werden aber allein noch LKW für den militärischen Gebrauch ausgenommen. Wenn in dem Auskunftsersuchen, das die Beklagte zitiert, allgemein „Spezial LKW“ ausgenommen sind, so lässt sich daraus nicht schließen, dass auch der Kommissionsbeschluss eine entsprechende Einschränkung enthält. Im Übrigen lässt sich dem Vortrag der Beklagten auch keine plausible Begründung dafür entnehmen, warum es sich bei Fahrgestellen für Betonmischer und Kipperfahrzeuge um Spezialanfertigungen im Sinne des Auskunftsersuchens handeln soll.
cc)
142 
Nicht kartellbetroffen ist der Erwerbsvorgang 1997. Ein Austausch der Bruttolistenpreise im Jahr 1997 hat sich nach den Feststellungen der Kommission auf das Folgejahr 1998 bezogen. Der Erwerb 1997 kann daher nicht kartellbetroffen sein, denn 1996, als die Bruttopreise für 1997 festgelegt wurden, gab es noch kein Kartell. Soweit die Klägerin vermutet, dass bereits vor 1997 ein kartellrechtswidriger Informationsaustausch erfolgt sei, hilft ihr dies nicht weiter, denn ihrer Darlegungs- und Beweislast für die Kartellbetroffenheit wird die Klägerin mit einer bloßen Vermutung nicht gerecht.
dd)
143 
Der Erwerbsvorgang Nr. 12 ist aus dem spiegelbildlich gleichen Grund kartellbetroffen. Für die Kartellbetroffenheit bedarf es keiner Vermutungen über Nachwirkungen des Kartells, denn es ist unstreitig, dass das Bruttopreisblatt für das Jahr 2011 im Jahr 2010 erstellt wurde, d.h. noch während des laufenden Kartells. Die Beklagte trägt nicht vor, dass nach dem Ende des Kartells die Bruttopreislisten nochmals überarbeitet worden wären.
144 
Auf das weitere Argument, dass das erste Angebot der Beklagten am 03.12.2010 (Bl. 190, Anlage K144) erfolgt sei und jedenfalls dieses Angebot durch das Kartell beeinflusst gewesen sein müsse, kommt es daher nicht an.
6.
145 
Das Landgericht hat zurecht festgestellt, dass ein Schadensersatzanspruch dem Grunde nach besteht.
a)
146 
Gem. § 304 Abs. 1 ZPO kann ein Gericht vorab über den Grund entscheiden, wenn der Rechtsstreit hinsichtlich der anspruchsbegründenden Tatsachen zur Entscheidung reif ist, nicht aber hinsichtlich des Betrags. Erforderlich ist danach, dass die Voraussetzungen für eine Haftung der Beklagten dem Grunde nach vorliegen und nur noch Fragen offen sind, die im Betragsverfahren zu beantworten sind. Voraussetzung ist weiter, dass es zumindest wahrscheinlich ist, dass der geltend gemachte Anspruch in irgendeiner Höhe besteht (BGH, Urteil vom 11.12.2018, KZR 26/17 - Schienenkartell -, Rn. 38).
147 
Für die tatsächliche Höhe des Schadens, die erst im Betragsverfahren zu klären ist, gilt § 287 ZPO (BGH, Urteil vom 12.07.2016, KZR 25/14 – Lottoblock II – Rn. 42 f.; Urteil vom 11.12.2018, KZR 26/17 – Schienenkartell -, Rn. 52; Oppolzer/Seifert, WuW 2019, 71, 75).
b)
148 
Die Berechnung der Klägerin beweist noch nicht, dass ein Schaden in irgendeiner Höhe entstanden ist.
149 
Die Berechnungsmethode der Klägerin lässt außer Acht, dass es neben dem Kartell weitere Faktoren gibt, die auf die Preisbildung Einfluss nehmen bzw. nehmen können. Die Beklagte hat anschaulich gezeigt, dass sich das Verhältnis von Bruttolistenpreisen und Kundennettopreisen immer wieder unterschiedlich entwickelt hat. Dies zeigt, dass der Verkaufspreis nicht nur kartellbedingten Einflüssen unterliegt und ansonsten dem allgemeinen Preisindex für Baumaschinen folgt. Ist dem aber so, dann kann aus dem Verhältnis zwischen Bruttopreis und Nettopreis in den verschiedenen Jahren nicht rückgeschlossen werden, dass diese Differenz allein oder auch nur im Wesentlichen kartellbedingt ist.
c)
150 
Der Eintritt eines Schadens ergibt sich auch nicht aus dem Kommissionsbeschluss vom 19.07.2016.
151 
Zum einen nehmen Feststellungen zum Schaden und zur Kausalität des Kartells für den Schaden ohnehin nicht an der Bindungswirkung teil. Die Bindung beschränkt sich allein auf die Feststellung eines Kartellrechtsverstoßes (BGH, Urteil vom 12.07.2016, KZR 25/14 – Lottoblock II – juris, Rn. 14). Alle weiteren Fragen, insbesondere zur Schadenskausalität und zur Schadensbezifferung, unterfallen nicht der Bindungswirkung, sondern unterliegen der freien Beweiswürdigung (BGH, aaO., Rn. 13).
152 
Zum Anderen hat die Kommission zum Eintritt eines Schadens auch ausdrücklich keine Stellung genommen, weil es für die Feststellung der Kartellrechtswidrigkeit ausgereicht hat, dass die Kartellanten eine wettbewerbswidrige Zielsetzung verfolgt haben (Kommissionsbeschluss, Rn. 79, 80).
d)
153 
Ein Anscheinsbeweis kommt der Klägerin nicht zugute. Der BGH hat einen Anscheinsbeweis in der Entscheidung zum Schienenkartell, in dem es um ein Quoten- und Kundenschutzkartell ging, abgelehnt (BGH, Urteil vom 11.12.2018, KZR 26/17, Rn. 57). Für das vorliegende Kartell über den Austausch von Bruttopreislisten gelten die dortigen Ausführungen entsprechend.
154 
Stattdessen greift nach der Rechtsprechung des BGH jedoch eine tatsächliche Vermutung für entsprechende Kartellschäden. Im Urteil vom 12.06.2018 (KZR 56/16 – Grauzement II – juris, Rn. 35) spricht der BGH von einem wirtschaftlichen Erfahrungssatz, dass die Gründung eines Kartells grundsätzlich der Steigerung des Gewinns der am Kartell beteiligten Unternehmen dient. Deshalb spreche eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass das Kartell gebildet und erhalten werde, weil es höhere als am Markt erzielbare Preise erbringe. Damit sei es zugleich wahrscheinlich, dass bei den Abnehmern der Kartellanten hierdurch ein Schaden verursacht werde. Damit hat der BGH in seinen jüngsten Entscheidungen die von den Instanzgerichten angewandten ökonomischen Erfahrungssätze inhaltlich nicht abgelehnt, sondern ihnen vielmehr nur einen geringeren Beweiswert zugeschrieben (Ritz/Marx, WuW 2019, 97, 98).
155 
Diese Vermutung gilt auch bei Kartellen, die wie hier lediglich dem Informationsaustausch über Bruttopreise dienen. Bejaht hat der BGH die Vermutung bisher bei Quotenkartellen (Urteil vom 12.06.2018, KZR 56/16 - Grauzement II, Rn. 35; Urteil vom 28.06.2005, KRB 2/05, Berliner Transportbeton I, juris, Rn. 20) und bei Preisabsprachen (BGH, Urteil vom 11.12.2018, KZR 26/17 – Schienenkartell -, Rn. 55). Eine Preisabsprache hat bei dem vorliegenden Kartell aber nur sporadisch stattgefunden und es ist nicht bewiesen, dass diese auch die streitgegenständlichen Erwerbsvorgänge betroffen hätte. Allerdings sind die Ausführungen des BGH im Grauzement II-Urteil allgemein gehalten und beziehen sich nicht explizit nur auf Quotenkartelle oder auf Kartelle mit bindenden Preisabsprachen. Zudem greift die Begründung des BGH für die Vermutung in gleicher Weise bei einem Kartell, das dem bloßen Austausch von Preisinformationen dient. Der wirtschaftliche Erfahrungssatz und damit die angesprochene Vermutung ist daher auch bei einem Kartell wie dem vorliegenden anzuwenden.
156 
Dem stehen die Ausführungen des BGH in der Entscheidung vom 11.12.2018, KZR 26/17 – Schienenkartell –, nicht entgegen. Zwar ist es richtig, dass der BGH in dieser Entscheidung die genannte Vermutung nur für Absprachen von Preisen, für die gemeinsame Festlegung bestimmter Quoten oder für Absprachen über die Zuweisung bestimmter Kunden an die Kartellanten bejaht hat, da er von Unternehmen spricht, die sich aufgrund „solcher Absprachen“ nicht dem Wettbewerb stellen müssen, und damit auf die in der betreffenden Randnummer zuvor genannten Absprachen über Preise, Quoten oder Kundenzuweisungen Bezug nimmt (aaO., Rn. 55). Eine Einschränkung dahingehend, dass diese Vermutung nur bei den genannten Kartellen greift, lässt sich dem Urteil jedoch nicht entnehmen.
e)
157 
Kann sich die Klägerin auf eine Vermutung stützen, dass ihr durch die Gründung des Kartells ein Schaden entstanden ist, dann kommt dieser tatsächlichen Vermutung im Rahmen der freien Beweiswürdigung eine starke indizielle Bedeutung zu. Damit soll zugleich dem Effektivitätsgrundsatz Rechnung getragen werden, dass die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert wird (BGH, Urteil vom 11.12.2018, KZR 26/17 – Schienenkartell –, Rn. 56).
158 
Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Beklagte – wie beim Anscheinsbeweis – beweisen müsste, dass ein atypischer Geschehensablauf vorliege. Vielmehr ist eine umfassende Würdigung aller Umstände geboten (BGH, aaO., Rn. 58). Die Vermutung bewirkt aber, dass ein Schadenseintritt dann als gegeben angesehen werden muss, wenn die hiergegen angeführten Argumente der Beklagten alle aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht greifen, denn dann bleibt als alleiniges, starkes Indiz für einen Schaden das Bestehen des Kartells übrig.
159 
Die Einwendungen der Beklagten sind nicht geeignet, die Vermutungswirkung zu erschüttern. Gleiches gilt für die im Wesentlichen deckungsgleichen Einwände der Streithelferin; diese sind - soweit nicht deckungsgleich - ohnehin gemäß § 531 Abs. 2 ZPO i.V.m. §§ 74 Abs. 1, 67 S. 1 ZPO nicht zuzulassen, da sie erstmals in der Berufungsinstanz vorgetragen wurden und ein Zulassungsgrund nach § 531 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 ZPO nicht geltend gemacht wurde.
(i)
160 
Richtig, aber nicht durchschlagend, ist der Einwand der Beklagten, dass sie mit den anderen Kartellanten keine Vereinbarungen über die Preise getroffen habe, sondern dass – jedenfalls im Wesentlichen – nur ein Informationsaustausch über die Bruttopreise ohne bindende Absprachen stattgefunden habe. Soweit in dem Kommissionsbeschluss teilweise von Vereinbarungen über Preise und Preiserhöhungen die Rede ist (vgl. Rn. 50), ergibt sich aus den weiteren Ausführungen (z.B. Rn. 51), dass damit keine bindenden Preisabsprachen gemeint sind. Jedenfalls ist weder dargelegt noch bewiesen, dass bindende Preisabsprachen die hier streitgegenständlichen Käufe betroffen haben.
161 
Aber bereits eine bloße Information über die beabsichtigten Bruttopreislisten ist relevant. Die Beklagte verweist zur Begründung ihrer Gegenansicht mehrfach auf ein in der Literatur angeführtes Beispiel dafür, dass ein Informationsaustausch gerade nicht zu höheren Preisen führen müsse. Das Beispiel lautet wie folgt (Anlage GL19, S. 13f.):
162 
Angenommen, an beiden Enden einer Straße wird jeweils ein Marktstand betrieben. Beide Stände konkurrieren miteinander um Kunden, denen sie Äpfel verkaufen möchten. Das Produkt wird auf dem Markt oder in der näheren Umgebung nur von diesen beiden Ständen verkauft. Angenommen, Stand A hat Kosten in Höhe von 5. Auf einem wettbewerbsbestimmten Markt würde Stand A den Preis für seine Äpfel nicht nur anhand seiner Kosten bestimmen, sondern würde auch berücksichtigen, welchen Preis Stand B für die Äpfel vermutlich verlangt. Angenommen, Stand B verlangt für seine Äpfel einen Betrag von 8, aber Stand A hat hierüber keine Kenntnis. Es gibt nun zwei Varianten, was Stand A im Hinblick auf den Preis von Stand B vermuten kann. Im ersten Fall vermutet Stand A, dass Stand B die Äpfel zu einem höheren Preis verkauft, als dies tatsächlich der Fall ist, z.B. für einen Betrag von 10. In diesem Fall würde Stand A, wenn er über keine sonstigen Informationen verfügt, seine Äpfel für einen Betrag von 9 verkaufen, weil er annimmt, dass die Kunden dann bei ihm kaufen. Tatsächlich würde Stand A jedoch Kunden an Stand B verlieren, weil dieser nur einen Betrag von 8 verlangt. Nehmen wir nun an, dass Stand A vor der Bestimmung seines Preises Stand B besucht und sich über den dort verlangten Preis informiert. Das hat zur Folge, dass Stand A seine Vermutung im Hinblick auf den Preis von Stand B auf 8 korrigiert. Dieses einfache Beispiel zeigt, dass, wenn Stand A Kenntnis über den Preis von Stand B erlangt, Stand A seinen Preis auf 7 reduzieren wird, um Kunden zu gewinnen. In diesem ersten Fall führt die Reduzierung der Unkenntnis somit zu einem gesteigerten Wettbewerb und stärkt die Interessen der Verbraucher.
163 
Das Beispiel belegt nicht die von der Beklagten gewünschte Schlussfolgerung. An dem Beispiel zeigt sich nämlich vor allem, dass der Austausch von Informationen über den Preis der Konkurrenten durchaus Auswirkungen auf die eigene Preisgestaltung haben kann. Das Beispiel zeigt desweiteren zwar auch, dass unter bestimmten Umständen eine zusätzliche Information preissenkende Wirkung haben kann. Allerdings – und dies wird an der betreffenden Stelle ebenfalls ausgeführt – kann eine zusätzliche Information auch dazu führen, dass der Verkäufer seinen Preis erhöht, nämlich im obigen Beispiel dann, wenn Stand A feststellt, dass Stand B einen höheren Preis verlangt als von ihm ursprünglich angenommen.
164 
Nimmt man dieses Beispiel als Grundmodell, so hätte ein Kartell, mit dem gegenseitig über die jeweils verlangten Preise informiert wird, dann eine preissenkende Wirkung, wenn die Teilnehmer ohne das Kartell jeweils von höheren Preisen ihrer Konkurrenten ausgegangen wären als von diesen tatsächlich verlangt. Dies trägt die Beklagte aber nicht vor und kann sie ernstlich auch nicht vortragen. Die Beklagte kann nicht über die Dauer von dreizehn Jahren nach Austausch der Bruttopreislisten jedes Jahr aufs Neue über die billigen Preise ihrer Mitbewerber überrascht gewesen sein.
165 
Nicht belegt ist damit zwar eine preissteigernde Wirkung des Kartells. Dies ist aber auch nicht erforderlich, denn der BGH gründet seine Vermutung auf die wirtschaftliche Zielsetzung, die die an einem Kartell beteiligten Unternehmen verfolgen, und nicht auf tatsächliche Untersuchungen und Feststellungen zu den Auswirkungen von Kartellen.
(ii)
166 
Die Behauptung der Beklagten, dass der Nettopreis in keiner Abhängigkeit zum Bruttolistenpreis stehe und bereits deshalb ein kartellbedingter Schaden nicht bestehen könne, ist aus rechtlichen wie aus tatsächlichen Gründen nicht überzeugend. Gleiches gilt für das Argument, dass sich der Informationsaustausch nicht auf die Nettopreisbildung habe auswirken können, weil zwischen Bruttolistenpreis und Nettopreis eine Vielzahl unbekannter Faktoren liege, die die Beklagte ganz überwiegend nicht habe beeinflussen können. Bei diesem zweiten Argument handelt es sich im Grunde um dasselbe Argument in anderem Gewand.
167 
Die Argumentation steht in Widerspruch zu den Feststellungen der Kommission, die im vorliegenden Rechtsstreit Bindungswirkung haben:
(a)
168 
Die Bindung gem. § 33b GWB beschränkt sich zwar allein auf die Feststellung eines Kartellrechtsverstoßes. Die Bindungswirkung erfasst alle im vorangegangenen Verfahren getroffenen tatsächlichen Feststellungen, die den Lebenssachverhalt bilden, bezüglich dessen ein Kartellrechtsverstoß festgestellt wurde, und die seine rechtliche Einordnung als Verstoß tragen (BGH, Urteil vom 12.07.2016, KZR 25/14 – Lottoblock II – juris, Rn. 14). Alle weiteren Fragen, insbesondere zur Schadenskausalität und zur Schadensbezifferung, unterfallen nicht der Bindungswirkung, sondern unterliegen der freien Beweiswürdigung (BGH, aaO., Rn. 13).
169 
Dies bedeutet allerdings nicht, dass im vorliegenden Rechtsstreit die Bindungswirkung allein für die Frage, ob ein Kartellverstoß vorliegt, eingreift. Eine Bindungswirkung besteht vielmehr auch für diejenigen Tatsachen, die im Kartellverwaltungsverfahren zur Begründung des Kartellverstoßes festgestellt wurden, die im Folgeprozess aber für die die Kartellbetroffenheit relevant sind (vgl. BGH, aaO., Rn. 47; Bornkamm/Tolkmitt in Langen/Bunte, aaO., § 33b GWB, Rn. 13). Gleiches gilt für die Schadensursächlichkeit in einem Folgeprozess. Insbesondere kann die Schadensursächlichkeit nicht tragend mit solchen Erwägungen verneint werden, die im Widerspruch zu der im Verwaltungsverfahren getroffenen Feststellung eines Kartellrechtsverstoßes stehen (OLG Düsseldorf, Urteil vom 09.04.2014, VI-U (Kart) 10/12, juris, Rn. 96).
(b)
170 
Dass der Bruttolistenpreis Ausgangspunkt der Preisgestaltung ist, hat die Kommission in ihrem Beschluss vom 19.07.2016 festgestellt (Rn. 27). Diese Feststellung betrifft den Kartellverstoß und ist zweifelsohne von der Bindungswirkung umfasst. Sind die Bruttolistenpreise aber der Ausgangspunkt, dann haben sie auch Einfluss auf den jeweiligen Nettoverkaufspreis. Dieser Einfluss wird nicht dadurch beseitigt, dass – selbstverständlich – zahlreiche weitere Faktoren auf den schlussendlich vereinbarten Verkaufspreis Einfluss nehmen. Denn das ist lediglich ein Fall der Mitkausalität und kein Fall eines abgebrochenen Kausalverlaufs.
171 
Die Behauptung, die tatsächlichen Verkaufspreise hätten mit dem Bruttolistenpreis gar nichts zu tun, widerspricht auch deshalb dem Beschluss der Kommission, weil diese in Rn. 47 ausdrücklich feststellt, dass die Kartellanten durch den Austausch aktueller Bruttopreise und Bruttopreislisten in Verbindung mit weiteren, im Wege der Marktforschung gewonnenen Daten die ungefähren aktuellen Nettopreise ihrer Konkurrenten besser berechnen konnten. Mit dieser Feststellung ist die Behauptung der Beklagten, ihre Bruttolistenpreise hätten überhaupt keinen Einfluss auf die verlangten Nettopreise und seien deshalb für die Feststellung eines kartellbedingten Schadens nicht geeignet, weil die Nettopreise auf der Basis der Bruttopreise nicht vorhersehbar seien, nicht vereinbar. Entgegen der Ansicht der Beklagten rechtfertigt auch der Hinweis im Kommissionsbeschluss darauf, dass die Qualität der Berechnung der ungefähren aktuellen Nettopreise der Konkurrenz abhängig sei von der Qualität der dem Kartellanten jeweils vorliegenden Marktforschungsdaten, keine andere Bewertung. Entscheidend ist nicht, wie hoch der aus den Bruttopreislisten zu ziehende Erkenntniswert im Einzelfall war, entscheidend ist vielmehr, dass ein solcher Erkenntniswert überhaupt bestand, denn die Argumentation der Beklagten fußt gerade auf der Behauptung, dass es einen solchen Erkenntniswert überhaupt nicht geben könne, weil die Bruttolistenpreise mit dem Nettopreis überhaupt nichts zu tun hätten.
172 
Auch diese Feststellung nimmt an der Bindungswirkung teil, weil sie den im Beschluss der Kommission festgestellten Kartellverstoß betrifft und nicht den einzelnen Schaden bzw. die Kausalität für den einzelnen Schaden. Dass sich diese Feststellung im vorliegenden Rechtsstreit im Rahmen der Prüfung, ob ein Schaden entstanden ist, auswirkt, führt - wie oben dargelegt - zu keinem anderen Ergebnis, denn entscheidend ist die Relevanz für den Kartellverstoß im Beschluss der Kommission.
173 
Die Behauptung der Beklagten steht zudem in einem inneren Widerspruch zu den Zielen des Kartells, wie sie die Kommission in Rn. 71 beschrieben hat. Danach bestand das einzige wettbewerbswidrige wirtschaftliche Ziel der Kollusion zwischen den Kartellanten darin, deren jeweiliges Bruttopreisverhalten sowie die Einführung bestimmter Abgasnormen miteinander zu koordinieren, um Unsicherheit hinsichtlich des Verhaltens der jeweiligen Kartellanten und letztlich auch der Reaktion der Kunden am Markt zu beseitigen. Die kollusiven Praktiken verfolgten nach den Feststellungen der Kommission ein einziges wirtschaftliches Ziel, nämlich die Verfälschung der Preisgestaltung und der üblichen Preisbewegungen für LKW im EWR (Rn. 71) bzw. die Einschränkung des Preiswettbewerbs (Rn. 81). Das Ziel blieb während des gesamten Zuwiderhandlungszeitraums unverändert (Rn. 73). Diese Feststellungen, die gleichfalls den Kartellverstoß betreffen und daher Bindungswirkung haben, sagen zwar nur etwas über die subjektiven Absichten der Kartellanten aus und nichts über die objektiven Auswirkungen. Ob dieses Ziel tatsächlich erreicht wurde bzw. welche Auswirkungen das wettbewerbswidrige Verhalten hatte, lässt der Beschluss ausdrücklich offen (Rn. 80, 82). Wäre die Behauptung der Beklagten aber richtig, dass die Bruttolistenpreise keinerlei Auswirkungen auf die Nettopreise hätten, dann hätte sich die Beklagte über dreizehn Jahre hinweg völlig umsonst an dem Kartell beteiligt, denn ihr Ziel, die Preisgestaltung zu verfälschen, hätte sie gar nicht erreichen können.
174 
(iii)
175 
Nicht richtig ist auch der grundsätzliche Einwand der Beklagten, dass die ausgetauschten Informationen nicht detailliert genug gewesen seien, um Rückschlüsse auf den Nettopreis zuzulassen, weil ein LKW je nach Einsatzzweck so individualisiert sei, dass er mit dem Grundmodell nicht mehr viel zu tun habe.
176 
Die Kommission stellt hierzu in Rn. 46 und 48 fest, dass mit der Zeit die herkömmlichen Bruttopreislisten durch LKW-Konfiguratoren ersetzt wurden, die detaillierte Bruttopreise für sämtliche Modelle und Optionen enthalten hätten. Dies habe die Berechnung der Bruttopreise für die jeweils bestellbare LKW-Konfiguration ermöglicht und den Vergleich der eigenen Angebote mit denen der Konkurrenten erleichtert. Sämtliche Kartellanten mit Ausnahme von D., also auch die Beklagte, hätten Zugang zu dem Konfigurator von mindestens einem weiteren Kartellanten gehabt.
177 
Der Umstand, dass der Austausch der Konfiguratoren den Vergleich der Angebote erleichterte, zeigt, dass ein Vergleich bereits zuvor möglich war, denn sonst hätte die Kommission nicht den Begriff „erleichtert“ benutzt. Im Übrigen hat die Beklagte in Bezug auf die individualisierten Modelle, die Gegenstand der streitgegenständlichen Erwerbsvorgänge waren, auch nicht dargelegt, dass es nicht möglich gewesen wäre, aus den ausgetauschten Informationen Rückschlüsse auf den Nettopreis zu ziehen. Allein ihre generelle Behauptung, dass dies schon von vornherein nicht möglich gewesen wäre, genügt angesichts der entgegenstehenden, bindenden Feststellungen der Kommission nicht.
(iv)
178 
Ebenfalls durch die Feststellungen der Kommission widerlegt ist die Behauptung der Beklagten, dass der zeitliche Ablauf verhindert habe, dass der Informationsaustausch Einfluss auf die Bruttopreisfestsetzung gehabt habe. In Rn. 58 stellt die Kommission ausdrücklich fest, dass der Austausch die Kartellanten zumindest in die Lage versetzt habe, die ausgetauschten Informationen bei ihren internen Planungsprozessen und bei der Planung zukünftiger Bruttopreiserhöhungen für das kommende Kalenderjahr zu berücksichtigen. Auch insoweit gilt die Bindungswirkung, da es sich um eine Feststellung zum Kartellverstoß handelt.
(v)
179 
Soweit die Beklagte eine Auswirkung des Kartells auf die Verkaufspreise mit dem Argument bestreitet, dass zwischen den Herstellern ein erheblicher Wettbewerb mit dem Risiko von Marktanteilsverlusten bestanden habe, ist dies gleichfalls nicht geeignet, die Vermutung zu widerlegen. Denn die Kommission hat in Rn. 77 des Beschlusses bindend festgestellt, dass der gemeinsame Zweck des Kartells gerade darin bestand, diesen Wettbewerb teilweise auszuschalten.
(vi)
180 
Das von der Beklagten mit Schriftsatz vom 18.03.2019 vorgelegte Urteil des OLG Düsseldorf vom 06.03.2019, Az. VI-U (Kart) 15/18, rechtfertigt keine andere Bewertung. Das OLG Düsseldorf lehnt kartellrechtliche Schadensersatzansprüche in dem genannten Urteil bereits deshalb ab, weil die dortige Klägerin nicht bewiesen habe, dass sie den (Miet-)Kaufpreis für die streitbefangenen LKW bezahlt habe. Soweit das OLG Düsseldorf darüber hinaus bemängelt, dass die dortige Klägerin nicht nachvollziehbar dargelegt habe, dass die Bruttopreise der streitgegenständlichen LKW infolge des LKW-Kartells überhöht gewesen seien, handelt es sich lediglich um ergänzende Erwägungen. Zudem thematisiert das OLG Düsseldorf im Rahmen dieser Erwägungen nicht die Ausführungen des BGH zu der tatsächlichen Vermutung, dass die im Rahmen eines Kartells erzielten Preise im Schnitt über denen liegen, die sich ohne die wettbewerbsbeschränkende Absprache bildeten (BGH, Urteil vom 11.12.2018, KZR 26/17 - Schienenkartell - juris, Rn. 55), bzw. den wirtschaftlichen Erfahrungssatz, dass die Gründung eines Kartells grundsätzlich der Steigerung des Gewinns der am Kartell beteiligten Unternehmen diene und deshalb eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür spreche, dass das Kartell gebildet und erhalten werde, weil es höhere als am Markt erzielbare Preise erbringe (BGH, Urteil vom 12.06.2018, KZR 56/16 - Grauzement II - juris, Rn. 35).
7.
181 
Der „Passing-On“-Einwand der Beklagten steht dem Erlass eines Grundurteils nicht entgegen. Die Beklagte hat nicht dargelegt und mangels geeigneten Beweisantritts nicht bewiesen, dass die Klägerin ihren Schaden auf ihre Kunden weiterwälzen konnte.
a)
182 
Die Abwälzung überhöhter Einkaufspreise an eine nachgelagerte Marktstufe ändert nichts an der Entstehung des Schadens und ist nur im Rahmen der Vorteilsanrechnung zu berücksichtigen. Voraussetzung für die Anrechnung des Vorteils ist zum einen, dass der Vorteil adäquat kausal auf dem schädigenden Ereignis beruht und zum anderen, dass die Anrechnung den Geschädigten nicht unzumutbar belastet und den Schädiger nicht unbillig begünstigt (Bornkamm/Tolkmitt in Langen/Bunte, aaO., § 33c GWB, Rn. 16). Die Darlegungs- und Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen der Vorteilsausgleichung liegt beim Schädiger (BGH, Urteil vom 28.06.2011, KZR 75/10 - ORWI -, Rn. 64; Bornkamm/Tolkmitt, aaO., § 33c GWB, Rn. 15).
b)
183 
Im vorliegenden Fall fehlt es jedenfalls an einem Nachweis der Voraussetzungen des Vorteilsausgleichs. Auf die die Klägerin treffende sekundäre Darlegungslast kann sich die Beklagte nicht berufen.
aa)
184 
Zur sekundären Darlegungslast hat der BGH in dem ORWI-Urteil grundlegende Ausführungen gemacht (Urteil vom 28.06.2011, KZR 75/10, Rn. 68 ff.):
185 
Danach können Erleichterungen bei der Darlegungslast zugunsten der Kartellteilnehmer nur zurückhaltend erwogen werden (Rn. 70). Im Rahmen der Erforderlichkeit und Zumutbarkeit ist sorgfältig abzuwägen, inwieweit dem Geschädigten eine Darlegung zu wettbewerblich relevanten Umständen abverlangt werden kann, an deren Geheimhaltung er ein schützenswertes Interesse hat (Rn. 71).
186 
Haben Marktteilnehmer der nachfolgenden Absatzstufe ihrerseits Ansprüche gegenüber dem beklagten Kartellteilnehmer geltend gemacht, fehlt es bereits an der Erforderlichkeit einer Erleichterung der Darlegungslast, weil diese Abnehmer die Darlegungs- und Beweislast dafür tragen, dass kartellbedingte Preiserhöhungen auf sie abgewälzt worden sind und der Kartellteilnehmer somit die Informationen, die erforderlich sind, um eine Vorteilsausgleichung geltend zu machen, von den indirekten Abnehmern der nachfolgenden Absatzstufe erhält (Rn. 72). Sind keine Anspruchsprätendenten weiterer Marktstufen hervorgetreten, kann das darauf hindeuten, dass eine Weiterwälzung kartellbedingter Preiserhöhungen auf nachfolgende Absatzstufen entweder nicht oder in derart geringem Umfang oder so fragmentiert stattgefunden hat, dass ein Nachweis der Weiterwälzung praktisch nicht in Betracht kommt (Rn. 74).
187 
Solche Nachweisschwierigkeiten bestehen auch dann, wenn das Produkt, das Gegenstand der Kartellabsprache ist, von vorgelagerten Abnehmern erst nach einer Verarbeitung weitergeliefert worden ist. Denn in diesem Fall muss sowohl die Ermittlung der kartellbedingten Preiserhöhung für das weiterverarbeitete Produkt als auch die Ermittlung der Marktverhältnisse im Übrigen komplexen und nur schwer erfüllbaren Anforderungen genügen (Rn. 75). Gleiches muss gelten, wenn - wie hier - nicht das Produkt selbst weiterverarbeitet wird, sondern es lediglich als Hilfsmittel im Rahmen der gewerblichen Tätigkeit verwendet wird.
188 
Würde dann die Aufklärung der tatsächlichen Verhältnisse im Wege einer sekundären Darlegungslast zu wesentlichen Teilen dem (Erst-)Geschädigten aufgebürdet, würde dem Geschädigten der Anreiz für die Schadensersatzklage genommen, etwa weil er sich dieser Darlegung nicht unterziehen wollte oder fürchtete, daran zu scheitern oder dem Kartellteilnehmer geheimhaltungsbedürftige Kundenbeziehungen oder seine Kostenstrukturen offenlegen zu müssen. Dies würde die wirksame Durchsetzung privater Schadensersatzansprüche und damit die präventive Wirkung solcher Ansprüche beeinträchtigen (Rn. 75).
189 
Unter diesen Umständen kann eine sekundäre Darlegungslast der einen Kartellschaden einklagenden Abnehmer nur nach sorgfältiger Abwägung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls in Betracht kommen. Je höher die vom Kartellteilnehmer darzulegende Wahrscheinlichkeit der Weiterwälzung des Schadens und je größer seine Beweisnot ist, desto eher kann dem Geschädigten eine gewisse Mitwirkung an der Aufklärung der insoweit maßgeblichen tatsächlichen Umstände zugemutet werden (Rn. 76).
bb)
190 
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kommt eine sekundäre Darlegungslast der Klägerin nicht in Betracht:
191 
Zwar hat die Beklagte naturgemäß keine Kenntnis davon, welche Preise die Klägerin bzw. deren Tochterunternehmen gegenüber ihren Kunden verlangt und durchgesetzt haben und inwieweit in diesen Preisen ein kartellbedingter Schaden weitergegeben wurde. Die Kenntnis der Preise allein würde der Beklagten aber gar nicht weiterhelfen, weil die Tochterunternehmen der Klägerin die LKWs – mit Ausnahme der lfd. Nr. 1 – nicht weiterverkauft haben, sondern die LKWs nur Mittel zur Wertschöpfung im Rahmen ihrer Bautätigkeit waren. Damit ließe sich die Abwälzung des Schadens allenfalls bei vollständiger Offenlegung der Kalkulation der Klägerin bzw. ihrer Tochterunternehmen bezüglich aller Baustellen seit dem Erwerb der streitgegenständlichen LKWs nachweisen. Die Nachweisschwierigkeiten eines indirekten Abnehmers wären jedenfalls enorm.
192 
Im Hinblick darauf, dass ein kartellbedingter Schaden nicht an einen einzigen, indirekten Abnehmer weitergegeben worden ist, sondern allenfalls durch eine Kalkulation höherer Kosten über die gesamte Lebensdauer des LKW hinweg an zahlreiche Abnehmer der Bauleistungen der Klägerin bzw. ihrer Tochterunternehmen, ist in jedem Fall von einem großen Personenkreis auszugehen. Der Schaden, den der einzelne, indirekte Abnehmer geltend machen könnte, beträgt daher in jedem Fall nur einen Bruchteil des mit der vorliegenden Klage geltend gemachten Schadens der Klägerin.
193 
Dass die Beklagte von Abnehmern der Klägerin in Anspruch genommen worden wäre, trägt sie nicht vor. Dass sie von Abnehmern anderer Käufer ihrer LKWs in Anspruch genommen wurde, ist für den vorliegenden Rechtsstreit ohne Relevanz. Die Beklagte argumentiert in der Berufungsbegründung lediglich damit, dass gegen sie ein Prozess vor dem LG München I anhängig sei, in dem indirekte Abnehmer nachgelagerter Marktstufen angebliche Schäden in einer Größenordnung von rund 90 Mio. EUR geltend machten. Außerdem klage beispielsweise ein großes deutsches Logistikunternehmen vor dem LG Köln mit der Begründung, dass es Transportdienstleistungen von Subunternehmern im Wert eines mittleren zweistelligen Milliardenbetrags zu kartellbedingt überhöhten Preisen bezogen habe. Beide Beispiele sind nicht überzeugend; der Vortrag zum Gegenstand des Prozesses vor dem LG München I bleibt völlig unsubstantiiert und im Rechtsstreit vor dem LG Köln geht es um die Logistikbranche, während die Klägerin ihre Fahrzeuge als Baustellenfahrzeuge einsetzt. Gegenteiliges hat die Beklagte jedenfalls nicht bewiesen.
194 
Unter Berücksichtigung all dieser Umstände kommt eine sekundäre Darlegungslast der Klägerin nicht in Betracht. Die Wahrscheinlichkeit der Weiterwälzung des Schadens ist gering.
195 
Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte noch nicht einmal ihre eigenen Bruttopreislisten vorlegt und dennoch von der Klägerin verlangt, dass diese ihre gesamte interne Kalkulation offenlegt. Dieses Ungleichgewicht zeigt die Unbilligkeit des Verlangens der Beklagten.
8.
196 
Die Schadensersatzansprüche sind nicht verjährt. Mit der überwiegenden Literaturauffassung ist von einer Verjährungshemmung bereits mit der Vornahme tatsächlicher, gegen bestimmte Unternehmen gerichteter Verfahrenshandlungen durch die Kommission auszugehen und nicht erst auf die formelle Verfahrenseröffnung abzustellen. Im Einzelnen:
a)
197 
Die Verjährung beträgt gem. §§ 195, 199 BGB in der seit dem 01.01.2002 geltenden Fassung kenntnisabhängig drei Jahre, kenntnisunabhängig 10 Jahre. Für die vor dem 01.01.2002 entstandenen Schadensersatzansprüche gilt nichts anderes (BGH, Urteil vom 12.06.2018, KZR 56/16 - Grauzementkartell II - Rn. 56).
b)
198 
Für die bis 2000 entstandenen Schadensersatzansprüche begann die kenntnisunabhängige Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres 2001 zu laufen und wäre ohne Verjährungshemmung am 31.12.2011 abgelaufen. Die kenntnisabhängige dreijährige Verjährungsfrist kann keinesfalls früher abgelaufen sein, weil eine Kenntnis vor 2011 auch von der Beklagten nicht behauptet wird. Hinsichtlich der Schadensersatzansprüche aus den Kartellverstößen 2010 und 2011 gilt nichts anderes.
199 
Gem. § 33 Abs. 5 GWB a.F. war die Verjährung eines kartellrechtlichen Schadensersatzanspruchs gehemmt, wenn die Kommission der Europäischen Gemeinschaft wegen eines Verstoßes gegen Art. 81 oder 82 des EG-Vertrags (§ 33 Abs. 5 GWB 2005) bzw. gegen Art. 101 oder 102 AEUV (§ 33 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 GWB 2013) ein Verfahren einleitet; § 204 Abs. 2 BGB gilt entsprechend.
200 
Die Hemmungswirkung gilt auch für die vor 2005 entstandenen Schadensersatzansprüche, denn § 33 Abs. 5 GWB 2005 findet auch auf die Schadensersatzansprüche Anwendung, die ihre Grundlage in Kartellverstößen haben, die vor dem Inkrafttreten von § 33 Abs. 5 GWB 2005 begangen wurden und zu diesem Zeitpunkt noch nicht verjährt waren (BGH, Urteil vom 12.06.2018, KZR 56/16 – Grauzementkartell II –, juris, Rn. 66 ff.).
201 
Die Hemmung beginnt bereits mit der Vornahme von gegen bestimmte Unternehmen gerichteten Ermittlungsmaßnahmen, nicht erst mit der formellen Verfahrenseröffnung, die ausweislich des Beschlusses der Kommission vom 19.07.2016 erst am 20.11.2014 erfolgt ist (vgl. Bornkamm/Tolkmitt in Langen/Bunte, aaO., § 33h GWB, Rn. 33; Seifert, WuW 2017, 474, 479 mwN zum Meinungsstand). Entgegen der Ansicht der Beklagten und ihrer Streithelferin ist nicht deshalb auf die formelle Verfahrenseröffnung abzustellen, weil nur dies eine rechtssichere Berechnung der Verjährung ermögliche. Denn es wäre mit dem Sinn und Zweck der Verjährungshemmung nur schwer vereinbar, wenn es dem Geschädigten zugemutet würde, trotz bereits laufender Ermittlungsmaßnahmen eine Klage einzureichen, um eine Verjährung vor der formellen Verfahrenseröffnung abzuwenden (Seifert, WuW 2017, 474, 479). Mit der Verjährungshemmung sollte vielmehr gewährleistet werden, dass den Betroffenen die Tatbestandswirkung des § 33 Abs. 4 GWB auch dann zugute kommt, wenn sich das kartellbehördliche Verfahren - wie hier - in die Länge zieht (Bornkamm/Tolkmitt in Langen/Bunte, aaO., § 33h GWB, Rn. 33).
202 
Dass das Argument der Beklagten, es müsse auf die formelle Verfahrenseröffnung abgestellt werden, weil nur dies eine rechtssichere Berechnung der Verjährung ermögliche, nicht durchschlägt, zeigt zudem die aktuelle Regelung in § 33h Abs. 6 S. 1 Nr. 1 und 2 GWB, wonach die Verjährung bereits dann gehemmt wird, wenn eine deutsche Kartellbehörde, die Europäische Kommission oder eine Wettbewerbsbehörde eines anderen Mitgliedstaates Maßnahmen wegen eines Verstoßes gegen § 33 Abs. 1 GWB, gegen Art. 101, 102 AEUV oder gegen entsprechende Vorschriften des nationalen Rechts anderer Mitgliedstaaten trifft. Diese Maßnahmen brauchen weder selbst förmlicher Art zu sein, noch müssen sie in einem förmlichen Verfahren ergehen. Jegliche Ermittlungsmaßnahmen und Untersuchungen, die im Vorfeld eines solchen Verfahrens getroffen werden, genügen, um die Hemmungswirkung zu begründen (Bornkamm/Tolkmitt in Langen/Bunte, aaO., § 33h GWB, Rn. 23). Die Regelung zeigt, dass der Gesetzgeber nicht der Ansicht ist, dass aus Gründen der Rechtssicherheit nur auf den Zeitpunkt der formellen Verfahrenseinleitung abgestellt werden kann. Die jetzige Regelung zwingt auch nicht zu dem Gegenschluss, dass vor der Neuregelung nur auf die formelle Verfahrenseröffnung abzustellen war, denn der Gesetzgeber kann selbstverständlich auch klarstellend tätig werden.
203 
Aus Rn. 32 des Beschlusses ergibt sich, dass die Kommission zwischen dem 18.01.2011 und dem 21.01.2011 Nachprüfungen u.a. auch in den Räumlichkeiten der Adressatinnen durchgeführt hat. Darin liegt die Vornahme von gegen bestimmte Unternehmen gerichtete Ermittlungsmaßnahmen, mithin die Einleitung des Verfahrens. Demnach war die Verjährung ab dem 18.11.2011 gehemmt.
204 
Die zehnjährige kenntnisunabhängige Verjährungsfrist ist damit nach 9 Jahren und 18 Tagen gehemmt worden. Offen waren mithin zum Zeitpunkt des Beginns der Hemmung noch 11 Monate und 22 Tage.
205 
Die zehnjährige Verjährungsfrist war bis zum Ablauf von sechs Monaten nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens gehemmt. Der Abschluss des Verfahrens ist mit Erlass des Beschlusses vom 19.07.2016 erfolgt. Rechtskraft trat zwei Monate nach Bekanntgabe der Entscheidung an die Betroffenen ein (Art. 263 Abs. 4, Abs. 6 AEUV), mithin frühestens am 19.09.2016. Unter Berücksichtigung der sechsmonatigen Hemmung nach rechtskräftigem Abschluss begann die Verjährungsfrist daher frühestens wieder ab dem 19.03.2017 zu laufen. Die Klage, die die Verjährungsfrist erneut gehemmt hat, ging am 20.03.2017 bei Gericht ein und wurde der Beklagten am 07.04.2017, also demnächst im Sinne des § 167 ZPO, zugestellt. Damit ist von der noch offenen Verjährungsfrist von 11 Monaten und 22 Tagen gerade mal ein weiterer Tag abgelaufen. Verjährung ist somit nicht eingetreten.
9.
206 
Der Erlass eines Grundurteils setzt desweiteren voraus, dass eine Aufteilung des Rechtsstreits durch Grundurteil möglich und sinnvoll erscheint. Nicht sinnvoll und deshalb unzulässig ist ein Grundurteil, wenn die Tatsachen für Grund und Höhe annähernd dieselben sind oder in einem so engen Zusammenhang stehen, dass der Erlass einer Grundentscheidung unzweckmäßig und verwirrend wäre (Musielak in MüKo/ZPO, 5. Aufl. 2016, § 304 Rn. 9).
207 
Auch diese Voraussetzung für den Erlass eines Grundurteils ist gegeben. Die Feststellung der Schadenshöhe ist mit einem erheblichen Aufwand verbunden und kann nicht ohne sachverständige Hilfe erfolgen. Demgegenüber kann über den Grund des Anspruchs ohne Beweisaufnahme entschieden werden. Der Erlass des Grundurteils ermöglicht daher die - sinnvolle - Klärung sämtlicher Fragen zum Haftungsgrund, bevor zur Frage der Anspruchshöhe kosten- und zeitaufwändig Beweis erhoben wird. Darüber hinaus wird durch das Grundurteil auch über die Reichweite der Bindungswirkung gem. § 33b GWB entschieden. Das Grundurteil dient damit auch dem Zweck, eine möglicherweise überflüssige Beweisaufnahme über Fragen, die der Bindungswirkung gem. § 33b GWB unterfallen, zu vermeiden.
10.
208 
Über den Hilfsantrag der Klägerin ist nicht zu entscheiden, da die Bedingung für den Hilfsantrag, nämlich dass der Beschaffungsvorgang Nr. 12 nicht als kartellbefangen eingestuft wird, nicht eingetreten ist.
III.
209 
Die Kostenentscheidung für das Berufungsverfahren folgt aus §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
210 
Die Revision ist zuzulassen. Die oben erörterten Fragen der Bindungswirkung, der Reichweite der Vermutung und des Beginns der Verjährungshemmung sind höchstrichterlich noch nicht entschieden.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen