Urteil vom Amtsgericht Stendal - 3 C 323/11 (3.3)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.796,60 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz auf 4.082,38 € ab dem 01. Mai 2011 bis zum 25.05.2011 und ab 25.05.2011 auf 4.796,60 € zu zahlen. Wegen der weitergehenden Zinsforderung wird die Klage abgewiesen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 641,05 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz ab 25.05.2011 zu zahlen. Der weitergehende Klagantrag wird abgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten bleibt nachgelassen die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung aus einem vorzeitig beendeten Vertrag über eine fondsgebundene Lebensversicherung – hier F. Rentenplan ohne Gesundheitsprüfung – in Anspruch.

2

Im Jahr 2006 schloss der Kläger mit der Beklagten einen Versicherungsvertrag unter der Bezeichnung "F. Rentenplan", Versicherungsnummer ... ab. Als Versicherungsbeginn wurde der 01.06.2006 vereinbart sowie ein monatlicher Beitrag in Höhe von 100,00 € nebst einer jährlichen planmäßigen Erhöhung um 5 %, die nach 44 Jahren letztmalig am 01.06.2050 erfolgen sollte (Blatt 151 der Akte).

3

Vier Jahre nach Vertragsunterzeichnung kündigte der Kläger in der ersten Jahreshälfte 2010 diesen Vertrag. Die Beklagte bestätigte dem Kläger mit Schreiben vom 04. Juni 2010 die Kündigung zum 01.06.2010.

4

In dem vierjährigen Zeitraum vom 01.06.2006 bis zum 01. Mai 2010 zahlte der Kläger monatliche Prämien in Höhe von 110,50 €, insgesamt 5.304,00 €.

5

Die Beklagte teilte dem Kläger in ihrem vorgenannten Schreiben vom 04. Juni 2010 unter Angabe der einzelnen Fondsanteile das Fondsvermögen zum 01. Juni 2010 wie folgt mit:

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 Fondvermögen

 2.491,29 €,

                 

 Stornogebühr

 854,31 €

                 

 Auszahlungsbetrag

 1.636,98 €

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Wegen der Einzelheiten der Abrechnung wird auf Anlage K 1 = Blatt 17 ff. der Akte Bezug genommen.

8

Vor Vertragsschluss wurden dem Kläger die Verbraucherinformationen zu seinem Lebensversicherungsvertrag nicht übermittelt. Auf Seite 3 der Police Nr. ... Format DIN A4 befindet sich als letzter Absatz die Widerrufsbelehrung. Diese ist drucktechnisch wie der übrige Vertragstext gestaltet und das Wort "Widerrufsbelehrung" ist mittig in die Seite eingerückt, aber nicht stärker gedruckt als der übrige Vertragstext. Inhaltlich wird auf ein Widerrufsrecht innerhalb einer Frist von 30 Tagen nach Erhalt der Unterlagen in Textform hingewiesen (Blatt 151 der Akte). Der im Schriftsatz vom 02.01.2012 eingereichte Versicherungsschein zum "F. Rentenplan ohne Gesundheitsprüfung" des Klägers ist auf Seite 3 anders gestaltet. Die Widerrufsbelehrung ist mittig gedruckt und ebenso wie zwei weitere Überschriften schwarz eingerahmt. Der Text ist in derselben Stärke gedruckt, wie die übrigen Überschriften der Absätze.

9

Den Zugang der Unterlagen, welche die Widerrufsfrist beginnen lassen, wurde von der Beklagten nicht nachgewiesen (Blatt 6 ff. der Akte).

10

Mit anwaltlichem Schreiben vom 18. März 2011 ließ der Kläger gegenüber der Beklagten den Widerspruch gegen das Zustandekommen des Versicherungsvertrages gem. § 5 a VVG 2004, den Widerruf gem. §§ 495, 355 BGB und vorsorglich auch Anfechtung gem. § 119 BGB, höchstvorsorglich nach § 123 BGB erklären. Gleichzeitig wurde die Beklagte unter Fristsetzung zum 08. April 2011 aufgefordert, die eingezahlten Beträge in Höhe von 5.304,00 €, abzüglich des ausgezahlten Rückkaufswertes in Höhe von 1.636,00 €, mithin den Differenzbetrag von 3.668 € nebst einer Verzinsung von 5 % p. A., mithin 414,38 €, insgesamt 4.082,38 € zu zahlen. Des Weiteren wurde die Zahlung außergerichtlicher Anwaltskosten auf der Grundlage eines Streitwertes von 4.082,38 € nach einer 1,9 Geschäftsgebühr VV RVG 2300 in Höhe von 518,70 €, zuzüglich Postpauschale in Höhe von 20,00 € und 19 % Mehrwertsteuer, insgesamt 641,05 € bis zum 08. April 2011 gefordert.

11

Hilfsweise fordert der Kläger die Zahlung des Mindestrückkaufswertes (§ 5 AVVG 2004 gültig ab 08.12.2004 bis 31.12.2007).

12

Der Aufforderung des Klägers, sowohl sein Kündigungsschreiben des Versicherungsvertrages als auch die Versicherungspolice an ihn zu überreichen, entsprach die Beklagte nicht.

13

In der Klage macht der Kläger unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 28. Januar 2004, Az. IV ZR 58/03 zitiert nach Juris) einen Zinsanspruch in Höhe von 7 % p. A. auf die gezahlten Monatsbeiträge geltend, insgesamt 1.129,58 € (Rechnung Blatt 12 der Akte)

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Der Kläger ist der Ansicht, die Kündigung stehe dem mit Schreiben vom 18. März 2011 erklärten Widerruf nicht entgegen. Aus der Rechtsprechung des BGH (vgl. juris Urteil vom 25.11.2009 zum Az. VIII ZR 318/08) ergebe sich, das der hier bereits beendete und vollständig abgerechnete Vertrag noch widerrufen werden könne. Seine Kündigung sei als Widerruf auszulegen oder als Widerruf umzudeuten (Blatt 5 der Akte). Ein nach § 5 a VVG alte Fassung (a. F.) unzulässiger Widerruf könne ebenso wie eine unwirksame Anfechtung des Versicherungsnehmers gem. § 140 BGB in eine Kündigung zum nächst möglichen Zeitpunkt umgedeutet werden. Den hier relevanten europäischen Vorgaben könne also auch durch eine Umdeutung einer Kündigung in eine Widerspruchserklärung Rechnung getragen werden.

15

Es fehle eine wirksame Widerspruchsbelehrung und die in § 5 a Abs. 2 S. 4 VVG 2004 geregelte Jahresfrist helfe der Beklagten nicht. Die Jahresfrist widerspreche geltendem Europarecht und sei daher insgesamt unwirksam. Es bestehe daher ein zeitlich unbefristetes Widerrufsrecht, was in der Klagerwiderung unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes sowie des Bundesgerichtshofes im Einzelnen ausgeführt wird (Blatt 7 ff.). Der Kläger ist daher der Ansicht, ihm habe ein unbefristeter Widerruf gemäß §§ 495, 355 BGB zur Seite gestanden.

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In seinem Versicherungsvertrag seien Ratenzahlungszuschläge vereinbart, weshalb im Schreiben vom 18. März 2011 auch der entsprechende Widerruf erklärt worden sei. Durch die monatliche Zahlung der Jahresprämie mit einem Ratenzahlungszuschlag Einzahlungsaufschub sei ihm ein Darlehen gewährt worden. In diesem Falle bestehe die Rechtsfolge nicht nur in der notwendigen Angabe des effektiven Jahreszinses und den anderen gem. §§ 502, 494 BGB vorgeschriebenen Angaben, sondern das Orderkreditrecht sehe dann auch in § 495 BGB ein generelles Widerrufsrecht gem. § 355 BGB vor. Als Folge seien die empfangenen Leistungen zurück zu gewähren (§§ 357, 346 BGB).

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Gemäß § 355 Abs. 3 BGB laufe das Widerrufsrecht unbegrenzt, wenn der Verbraucher – der Kläger – nicht über sein Widerrufsrecht belehrt worden sei.

18

Als Rechtsfolge von Widerspruch und Widerruf ergebe sich die Verpflichtung die gegenseitig empfangenen Leistungen zurück zu gewähren. Sei der Versicherungsvertrag, wie hier leistungsfrei, so habe der Versicherungsnehmer nichts zurück zu erstatten, der Versicherer jedoch gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 BGB die vollen Prämien zuzüglich Zinsen gem. § 818 Abs. 1 BGB zu erstatten.

19

Darüber hinaus stütze der Kläger seinen Zahlungsanspruch auf den Gesichtspunkt des Schadensersatzes wegen Beratungsverschuldens. Es liege eine Verletzung der Beratungspflicht vor. Die Beklagte habe ihn nicht über die so genannten Kick-Back-Zahlungen, über die Anlagestruktur, das Verlustrisiko und die Renditeerwartung sowie den Abzug der Abschlusskosten von den Prämien und ebenso wenig über das Widerrufsrecht und die Jahresfristenregelung beraten. Ebenso wenig habe er die Versicherungsbedingungen erhalten. Auf die Versicherungsbedingungen könne die Beklagte sich zur vermeintlichen Erläuterung der Punkte nicht berufen. Die Klauseln, zu den insoweit relevanten Fragen, seien nicht transparent und nach der BGH-Rechtsprechung und eines Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts unwirksam.

20

Die Beklagte habe auch gegen ihre aus dem europäischen Recht folgende Verpflichtung verstoßen, dem Kläger bei nicht erfolgter Belehrung ein zeitlich unbegrenztes Widerrufsrecht einzuräumen.

21

Diese Pflichtverletzungen der Beklagten seien ursächlich für den dem Kläger entstandenen Schaden, der Klagforderung.

22

Der Anspruch des Klägers sei weder verjährt noch verwirkt, was ausgeführt wird (Blatt 13 ff.).

23

Die Berechnung der 7 % Zinsen p. a. auf die Monatsrate für den Zeitraum vom 01.06.2006 bis zum 30.04.2011 wird in Anlage K 11 (= Bl. 84, 85 d. A. Bd. I) unter Berücksichtigung des gezahlten Rückkaufwertes per 04.06.2010 dargelegt:

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Die Klagforderung berechne sich wie folgt:

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 Beitragszahlung

 5.304,00 €

 ./. Rückkaufswert

 1.636,98 €

 + Zinsen

 1.129,58 €

 Klageforderung

 4.796,60 €

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Die Klage wurde der Beklagten am 25. Mai 2011 zugestellt.

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Die Rüge der örtlichen Unzuständigkeit des Amtsgerichts Stendal unter Hinweis auf § 215 VVG wurde in der mündlichen Verhandlung nach dem Hinweis des Gerichts nicht mehr aufrecht erhalten. Die Parteien haben vielmehr rügelos zur Sache verhandelt, so dass die Zuständigkeit des Amtsgerichts Stendal auch unter diesem Gesichtspunkt gegeben ist und ein Zwischenurteil – dazu AG Stendal, 3 C 321/11 vom 21.06.2011 – in dieser Sache entbehrlich war.

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Der Kläger beantragt,

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1. die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.796,60 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz ab dem 01. Mai 2011 zu zahlen.

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2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 704,36 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

31

Die Beklagte zu verurteilen,

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a. dem Kläger in prüfbarer und – soweit für die Prüfung erforderlich – belegter Form darüber Auskunft zu erteilen, mit welchen Abschlusskosten die Beklagte den Zeitwert nach § 176 III VVG und welchem Abzug sie die Auszahlungsbeträge für den mit dem Kläger abgeschlossenen Lebensversicherungsvertrag belastet hat,

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b. die von der Beklagten erteilten Auskünfte durch die Vorlage entsprechender Unterlagen zu belegen,

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c. gegebenenfalls die Richtigkeit und Vollständigkeit der Auskünfte an Eides Statt zu versichern und

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d. die Beklagte zur Zahlung eines Betrags an den Kläger in einer nach der Auskunft noch zu bestimmenden Höhe nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 29.01.2011 zu verurteilen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

38

Die Beklagte ist der Ansicht, dem Kläger stehe nach der Kündigung des Vertrages kein weitergehender Anspruch als der ausgezahlte Betrag zu. Ein Widerrufsrecht habe zu dem Zeitpunkt nicht mehr bestanden. Der übersandte Versicherungsschein vom 11. Mai 2006 enthalte auf Seite 4 eine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung gem. § 5 a Abs. 2 VVG alte Fassung (Anlage K 1 = Blatt 151 der Akte). Selbst wenn er keine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung erhalten habe, sei der gegenständliche Versicherungsvertrag gem. § 5 a Abs. 2 S. 4 VVG alte Fassung spätestens nach Ablauf der Jahresfrist rückwirkend wirksam geworden. Das gelte auch, wenn wie hier, der Versicherungsnehmer unwiderlegt behauptet, keine AVB erhalten zu haben. Die Beklagte könne sich daher auf § 5 a Abs. 2 S. 4 VVG alte Fassung berufen. Diese sei nach dem Willen des Gesetzgebers geschaffen worden, um den Versicherer nach Ablauf der Jahresfrist Rechtsicherheit zu verschaffen.

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§ 5 a VVG alte Fassung verstoße auch nicht gegen Europarecht. Die Lebensversicherungsrichtlinie strebe nur eine europaweite Harmonisierung des Aufsichtsrechts an, so dass der nationale Gesetzgeber vertragsrechtlich Gestaltungsspielraum habe, deren Grenzen durch § 5 a VVG alte Fassung nicht überschritten worden sei. § 5 a VVG alte Fassung werde den europarechtlichen Anforderungen inhaltlich gerecht, was im Einzelnen in den Schriftsätzen ausgeführt wird.

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Es bestehe auch keine Veranlassung, den Rechtstreit an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft gem. Artikel 234 EG vorzulegen. Zweifel hinsichtlich der Auslegung der fraglichen Richtlinie bestünden nicht.

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Dem Kläger stehe auch kein Widerruf gem. §§ 191, 355 BGB zu. Ratenzahlungszuschläge bei Versicherungsverträgen fallen nicht unter §§ 499 ff. BGB alte Fassung. Der Gesetzgeber habe dies in der amtlichen Begründung klargestellt.

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Die Beklagte bestreite, dass Ratenzahlungszuschläge für eine monatliche Zahlungsweise vereinbart seien.

43

Dem Kläger stehe auch unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes wegen Verletzung einer Informationspflicht/Beratungsverschulden der geltend gemachte Anspruch nicht zu.

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Die vom Kläger zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur sogenannten Kick-Back-Zahlung bei Fondsanlagevermittlungen sei auf den Abschluss fondsgebundener Lebensversicherungsverträge nicht übertragbar. Durch den Abschluss der Lebensversicherung erwerbe der Versicherungsnehmer nicht unmittelbar Fondsanteile, für die er sich aufgrund der Beratung durch die Bank entschieden habe und bei deren Ausfall es von Interesse sei, zu erfahren, ob und in welcher Höhe jeweils unterschiedliche Rückflüsse an die Bank erfolgen. Vielmehr stünde es dem Versicherer frei zu entscheiden, ob oder welche Fondsanteile er kauft, ohne das die Fondsauswahl dem Versicherungsnehmer bekannt zu machen sei. Der Versicherer kann auch auf andere Weise dafür sorgen, dass das Deckungskapital des Vertrages der Entwicklung des zugrundeliegenden Fonds entspreche.

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Der Kläger könne die Beklagte auch nicht im Rahmen seines Hilfsantrages auf Auskunft in Anspruch nehmen. Die von ihm zitierte Rechtsprechung sei hier nicht anwendbar. Darüber hinaus habe die Beklagte bereits im Jahr 2006 die zitierte Rechtsprechung berücksichtigt und ihre Versicherungsbedingungen so geändert, dass die im Wege der Zillmerung verrechneten Abschlusskosten transparent aus den entsprechenden Bestimmungen hervorgingen.

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Selbst nach der Rechtsprechung stünde dem Kläger nur ein Mindestrückkaufwert in Höhe von 50 % der eingezahlten Beträge (50 % des ungezillmerten Deckungskapitals) zu. Dies ergebe bei Beiträgen in Höhe von insgesamt 5.304,00 € einen Betrag von 2.121,50 €. Nach Abzug des bereits gezahlten Rückkaufwertes in Höhe von 1.516,30 € verbleibe maximal ein Betrag von 605,30 € (Blatt 94 der Akte).

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Selbst im Fall eines wirksamen Widerrufs wäre der Zahlungsanspruch des Klägers nicht gegeben. Ihm sei der vertraglich geschuldete Versicherungsschutz gewährt worden und dieser hierdurch erlangte Vermögensvorteil könne nicht herausgegeben werden (Blatt 209 der Akte).

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist, bis auf einen kleinen Teil der Nebenforderung (Antrag zu 2), begründet.

I.

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Der Kläger kann die Beklagte gemäß § 812 Absatz 1 Alt. 1 BGB auf Rückzahlung der noch nicht ausgezahlten Prämien aus dem nach 4 Jahre beendeten Versicherungsvertrag über die fondgebundene Lebensversicherung mit der Produktbezeichnung "F. Rentenplan ohne Gesundheitsprüfung" in Anspruch nehmen. Die Beklagte kann die Prämien nicht auf der Grundlage des vorgenannten Versicherungsvertrags abrechnen. Der Vertrag ist nicht wirksam geworden. Die bis zum Ablauf der Widerrufsfrist schwebende Unwirksamkeit ist nicht beseitigt worden. Das Kündigungsschreiben des Klägers ist als wirksamer Widerruf des immer noch nur schwebend unwirksamen Versicherungsvertrags anzusehen. Die Beklagte hat dem Kläger keine wirksame Widerrufsbelehrung ausgehändigt. Dem steht der hier anzuwendende § 5 a VVG a. F., der für Versicherungsverträge gilt, die nach dem 13.12.19994 geschlossen wurden, nicht entgegen.

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Hat ein Versicherer dem neuen Versicherungsnehmer bei Antragstellung

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– die Versicherungsbedingungen nicht übergeben oder

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– eine Verbraucherinformation nach § 10 a VAG unterlassen

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gilt nach § 5 a I 1 VVG a. F. der Vertrag auf der Grundlage des Versicherungsscheins, den Versicherungsbedingungen und des weiter für den Vertragsinhalt maßgeblichen Verbraucherinformation als geschlossen, wenn der VN – beim Policenmodell – nicht innerhalb von 14 Tagen nach Überlassung der Unterlagen in Textform widerspricht.

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Entgegen der überwiegenden Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zum Anwendungsbereich des § 5 a VVG a. F. verlangt die europarechtskonforme Auslegung unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der zweiten und dritten Richtlinie zu Lebensversicherung, das der zunächst schwebende unwirksame Vertrages erst dann wirksam wird, wenn der künftige Versicherungsnehmer auch eine wirksame, dem europäischen Recht entsprechende "drucktechnisch" richtig gestaltete Widerrufsklausel mit den Vertragsunterlagen erhielt. Die Oberlandesgerichte vertreten im Anwendungsbereich von § 5 a VVG a. F. – soweit ersichtlich – einhellig die Auffassung, dass diese Norm nicht gegen europäisches Recht verstößt (OLG Köln, Urt. v. 02.03.2012 – 20 U 178/11; OLG Celle, Urt. v. 09.02.2012 – 8 U 191/11; OLG Hamm, Beschl. v. 31.08.2011 – 20 U 81/11; OLG Stuttgart, Urt. v. 23.12.2010 – 7 U 187/10 – RuS 2011, 218; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 10.12.2003 – 7 U 15/03 – VersR 2005, 631; OLG Düsseldorf, Urt. v. 05.12.2000 – 4 U 32/00 – VersR 2001, 837). Zur Begründung wird darauf abgestellt, dass sich § 5 a Abs. 2 Satz 4 VVG als Ausnahmevorschrift darstelle, die gerade auch denjenigen Versicherungsnehmer schütze, dem die notwendigen Verbraucherinformationen nicht oder nicht beweisbar übergeben wurden. Habe er mit der Prämienzahlung begonnen und dementsprechend auf das Bestehen vertraglichen Versicherungsschutzes vertraut, so bedürfe er mangels erkennbaren Informationsinteresses jedenfalls nach Ablauf eines Jahres nach Zahlung der ersten Prämie nicht mehr des von den Richtlinien intendierten Schutzes seines Informationsinteresses, wohl aber des Schutzes seines Vertrauens in das Bestehen von Versicherungsschutz.

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Demgegenüber hält der BGH eine Auslegung für möglich, dass Art. 15 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 90/619/EWG (Zweite Richtlinie vom 08.11.1990) i. V. m. Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 92/96/EWG (Dritte Richtlinie vom 10.11.1992) einer einschränkenden Regelung wie in § 5 a Abs. 2 Satz 4 VVG a. F. entgegensteht. Zwar enthielten die Richtlinien keine Vorgaben zum Zustandekommen des Versicherungsvertrags und zu den Folgen einer unterbliebenen Belehrung des Versicherungsnehmers über die ihm zustehenden Rechte. Allerdings könnten Sinn und Zweck der Informationspflicht in Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 92/96/EWG sowie die wirksame Gewährleistung des Rücktrittsrechts nach Art. 15 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 90/619/EWG eine Auslegung rechtfertigen, dass ein Vertrag nicht ohne Information und Belehrung des Versicherungsnehmers zustande kommen darf, und daher das in § 5 a VVG a. F. vorgesehene Widerspruchsrecht zeitlich unbegrenzt bleiben muss (vgl. juris : Dr. M. Jacob, Rechtsanwalt und Lehrbeauftragter für Versicherungsrecht, 11.07.2012 Anmerkung zu BGH 4. Zivilsenat, -Vorlagebeschluss vom 28.03.2012 – IV ZR 76/11 –). Der streitgegenständliche Vertrag ist nicht wirksam geworden. Die zeitliche Beschränkung des Widerspruchsrechts in § 5 a Abs. 2 Satz 4 VVG a. F. lässt sich nicht mit den Richtlinien vereinbaren, wenn keine wirksame Widerrufsbelehrung übergegeben wurde.

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Die zweite und dritte Richtlinie dient nicht nur der Umsetzung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs und damit der Harmonisierung sowie und Koordination des Versicherungswesens in Europa, sondern auch ausdrücklich dem Verbraucherschutz im Bereich der Lebensversicherungen in dem es die Versicherungsunternehmen auf dem europäischen Markt zu einer umfassenden und verständlichen vorvertraglicher Information potentieller Versicherungsunternehmer verpflichtet (vgl. Gründe zur Dritten Richtlinie Ziffer 1 – 31). Die vorvertragliche Information über die Vertragsbedingungen ist auch bei Versicherungsverträgen Voraussetzung für eine informierte Marktentscheidung (Dritte Richtlinie Ziffer (23)). Der europäische Rat geht in den Gründen von einem erhöhten Informationsbedürfnis aus. Dies ist durch die mit der dritten Richtlinie verbundenen Deregulierung des Versicherungsmarktes – Abschaffung der vorherigen Genehmigung von Versicherungsbedingungen – und die damit freigesetzte Möglichkeit größere Produktvielfalt zurückzuführen. Im Bereich der Schadensversicherung beschränkt sich das europäische Recht auf die Information über das anwendbare Recht oder vom Versicherer vorgeschlagene Recht, über Beschwerdestellen und ggf. des Sitzes oder der Zweigniederlassung der Versicherung. Dagegen sind in Art. 15 I Zweite Richtlinie und Artikel 35 I und 36 Absatz I Dritte Richtlinie in Verbindung mit Anhang II für den Bereich der Lebensversicherungen umfassende Informationspflichten vorgeschrieben über

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(1) Bestand u. Beendigung,

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(2) Rechte und Pflichten,

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(3) Anlageinformationen und

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(4) das anwendbare Recht sowie die anwendbare Steuerregelung

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Dabei bleibt es den Mitgliedstaaten überlassen die Anwendung ihres eignen Rechts für Versicherungsverträge vorzuschreiben (Art. 19 Zweite Richtlinie/Art. 36 Dritte Richtlinie). Nach Art. 36 I Dritte Richtlinie (entspricht Art. 15 Zweite Richtlinie) hat jeder Mitgliedstaat vorzuschreiben, das der Versicherungsnehmer eines individuellen Lebensversicherungsvertrages von dem Zeitpunkt an, zu dem er davon in Kenntnis gesetzt wird, das der Vertrag geschlossen ist, über eine Frist verfügt, die zwischen 14 und 30 Tagen betragen kann, um von dem Vertrag zurückzutreten. Dabei richten sich die übrigen rechtlichen Wirkungen des Rücktritts und die dafür erforderlichen Voraussetzungen gemäß Artikel 32 (anwendbares Recht) und Artikel 35 (Rücktrittszeitraum) nach dem Recht des Mitgliedstaates, mithin deutschem Recht. Der vom Gesetzgeber normierte § 5 a VVG zum "Widerspruchsrecht" und die in § 10 a VAG geschaffene "Verbraucherinformation" setzen die europarechtlichen Ziele der Richtlinie, die ausdrücklich nicht allein Informationsrechte, sondern auch als Schutzrechte des Versicherungsnehmer formuliert sind, nach dem Wortlaut nicht effektiv um. Der europarechtlich gewollte und vom Mitgliedstaat nach seinem Recht umzusetzende Schutz der Versicherungsnehmer wird durch die in § 5 a II 4 VVG a. F. normierte Jahresfrist nach Zahlung der ersten Prämie nicht wirksam umgesetzt, sondern unzulässig verkürzt. Sie benachteiligt den Versicherungsnehmer unangemessen im Verhältnis zur Vertragslaufzeit. Das gesetzwidrige Verhalten des Versicherers wird nicht sanktioniert, sondern führt gleichwohl dazu, dass der VN über Jahre und Jahrzehnte an den Vertrag gebunden ist. Eine fehlerhafte Beratung und unvollständige Unterlagen sind für den Versicherer nicht mit Sanktionen verbunden. Es bleibt ohne Folgen, so dass schon bei der Vertragsanbahnung keine Veranlassung besteht, mündlich auf die Widerrufsmöglichkeit und die Widerrufsklausel hinzuweisen und die Verbraucherinformationen auszuhändigen. Damit wird der VN um die Möglichkeit gebracht, nach dem Beratungsgespräch ohne den Versicherungsvertreter auf der Grundlage auch der Verbraucherinformationen den Vertragsschluss zu überdenken und auch zu widerrufen. Diese in § 5 a VVG enthaltene unangemessene gegen den im deutschen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßende Benachteiligung ist entsprechend der allgemeinen Auslegungsgrundsätze durch eine über den Wortlaut hinausgehende Geltungserhaltende Auslegung zu begegnen. Sie hat sich an Sinn und Zweck der europarechtlichen Richtlinien für die Versicherungsbranche Lebensversicherungen, mithin auch dem Informations- und Verbraucherschutz zu orientieren. Damit die Versicherer ihrer Informationspflicht umfassend bereits im Vorfeld, spätestens mit Übersendung der Vertragsunterlagen nachkommen, ist § 5 a VVG a. F. dahin auszulegen, das die Ausschlussfrist nur dann beginnt, wenn dem VN mindestens eine wirksame Widerrufsklausel bei Vertragsschluss oder mit den Vertragsunterlagen ausgehändigt wurde. Andernfalls beginnt die Jahresfrist des § 5 a II 4 VVG nicht zu laufen, das Widerrufsrecht erlischt nicht und es verbleibt bei einen "immer währenden Widerrufsrecht". Es handelt sich hier um eine vom Versicherer zu erfüllende Rechtspflicht. Der Versicherer ist dadurch nicht unangemessen benachteiligt. Als Hersteller des Versicherungsprodukts ist er dem VN wirtschaftlich und juristisch überlegen. Er wird durch ein gesetzeskonformes Verhalten sowohl vor Vertragsbeginn als auch während der Vertragslaufzeit nicht unangemessen wirtschaftlich benachteiligt. Die Abschlusskosten, zu denen auch der Druck der Vertragsformulare mit einer deutlich gestalteten Widerrufsklausel gehört, zahlt im Ergebnis der VN mit der "Abschlussgebühr". Diese Kosten sind wie Kosten des Vertriebs in der Kalkulation enthalten.

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Die Jahresfrist des § 5 a VVG a. F. stellt daher keineswegs ein Schutz des VN in seinen Versicherungsschutz dar und indiziert auch nicht mangelndes Informationsinteresse oder dessen Verlust. Wenn der VN nicht in der erforderlichen Form über sein Widerrufsrecht informiert wurde, ihm diese Möglichkeit nicht bewusst gemacht wurde, stellt sich die Zahlung der Prämie im Glauben an einen unwiderruflich wirksamen Vertrag nicht als fehlendes Informationsinteresse dar. Die Jahresfrist beschneidet allein die Rechte des Verbrauchers. Sie "heilt" Verstöße der Versicherer gegen den Verbraucherschutz, ohne das wirtschaftliche Nachteile eintreten. Nur wenn die unterlassene Widerrufsbelehrung mit einem immer währenden Widerruf durch den VN sanktioniert wird, hat der Versicherer ein eignes wirtschaftliches Interesse daran, das der VN wirksam, mithin schriftlich und drucktechnisch deutlich, über sein Widerrufsrecht von 14 Tagen nach Vertragsunterzeichnung belehrt wird. Allein der Versicherer kann über seine Vertragsunterlagen und den Vertrieb die Ursache für ein "immer währendes Widerrufsrecht" vermeiden. Für Billigkeits- oder Vernunftserwägungen zu Gunsten des Versicherers ist daher kein Raum. Der Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB schützt nur denjenigen, der sich selbst gesetzes- und vertragstreu verhält und auch seine Pflichten erfüllte.

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Wirksam ist eine Widerrufsklausel nach § 5 a VVG a. F. wenn sie dem VN mit dem Versicherungsschein und der Verbraucherinformation schriftlich und in "drucktechnisch deutlicher Form über das Widerrufsrecht" übergegeben wurden. Diesen Anforderungen genügt keine der von der Beklagten vorgelegten schriftlichen Widerrufsklauseln, die dem Kläger ausgehändigt worden sein sollen.

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Die Beklagte hat zwei drucktechnisch unterschiedlich gestaltete Widerrufsklauseln zu dem streitgegenständlichen Vertrag überreicht. Ausweislich der mit Anlage K1 = Bl. 151 befindet sich die erste Widerrufsklausel auf "Seite 3 zur Police Nr. ..." und dort am Ende der Seite. Der letzte Absatz ist mit der mittig eingerückten "Widerspruchsbelehrung" überschrieben, aber in keiner Weise drucktechnisch vom übrigen Vertragstext deutlich abgesetzt. Schriftform und Größe sind identisch. Beim durchblättern der Vertragsseiten fällt diese Klausel nicht auf, sondern verliert sich im Text und ist leicht zu übersehen.

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In der zweiten Druckvariante, die sich auch auf Seite 3 der Police befindet, ist die Überschrift Widerspruchsbelehrung mit einem dünnen schwarzen Stricht eingerahmt und der Text der Klausel ist dicker gedruckt als der übrige Vertragstext. Gleichwohl erfüllt dies nicht die Anforderungen des § 5 a VVG. Die drucktechnische Wirkung geht verloren, weil die folgenden Überschriften "Sonstige Festlegungen" und "Allgemeine Kundeninformationen" identisch gestaltet sind und dieselbe Schriftgröße aufweisen wie der Text der Belehrung. Sie verliert sich im Text und wird übersehen.

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Der schwebend unwirksame Vertrag ist nach Ablauf der Jahresfrist nicht wirksam geworden, so dass die Zahlung der Versicherungsprämie an die Beklagte ohne Rechtsgrund erfolgte und vollständig an den Kläger zurück zu zahlen ist. Die Beklagte ist nicht berechtigt, Abzüge von den Prämien vorzunehmen und dem Kläger nur den Rückkaufwert auf der Grundlage des Versicherungsvertrags auszuzahlen. Die Rechtsprechung des BGH zum Mindestrückkaufwert (BGH 2005, 3559 unter III und IV 2) ist hier nicht einschlägig. Dies hätte vorausgesetzt, dass zwischen den Parteien ein wirksamer Vertrag F. Rentenplan bestand, der schwebe Zustand beendet war, als die "Kündigung" des Klägers bei der Beklagten einging. Hieran fehlt es aus den vorgenannten Gründen. Der Vertrag war zu dem Zeitpunkt immer noch schwebend unwirksam.

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Das der Kläger den Vertrag zunächst dem Wortlaut nach kündigte und erst später nach der Abrechnung der Beklagten widerrief, steht der Zahlungspflicht aus § 812 BGB nicht entgegen. Die Kündigung ist gemäß § 140 BGB als Widerruf zu deuten. Nach der Rechtsprechung des BGH (juris BGH Urteil vom 5.11.2009, VIII ZR 318/08) steht einem Verbraucher ein Widerrufsrecht zu, wenn nicht Treu und Glauben (§ 242 BGB) etwas anderes gebietet (vgl. z. B. Wendehorst in MünchKommBGB, 5. Aufl., § 312 d Rn 13). Der Widerruf enthält die für den Verbraucher stärkere Rechtsfolge. Die Kündigung bewirkt nur eine Vertragsauflösung für die Zukunft, ein Widerruf führt dagegen zur vollständigen Rückabwicklung des Vertrages gemäß § 812 BGB. Der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) steht der Wirksamkeit des Widerrufs nicht entgegen. Soweit sich die Beklagte auf den Verlust des Widerrufsrechts beruft, stellt sich dies hier vielmehr als unzulässige Rechtsausübung dar. Sie hat sich bei der Vertragsanbahnung, wie oben dargelegt, selbst nicht gesetzes- und vertragstreu verhalten, sondern ihre Rechtsstellung durch eignes unredliches Verhalten erworben. Es ist ihr daher verwehrt, sich auf den Grundsatz von Treu und Glauben zu berufen (vgl. Grüneberg in Palandt, BGB, 70. Aufl., § 242 Rn 38 ff m. w. N).

68

Gegen den Rückzahlungsanspruch kann die Beklagte auch nicht einwenden, der Widerruf sei nicht durchführbar, weil der Vertrag durch Zahlung der Prämien und Gewährung des Versicherungsschutzes vollständig vollzogen sei. Da der Kläger um den von ihr gewährten Versicherungsschutz ungerechtfertigt bereichert beliebe, habe er Wertersatz in Höhe der Klagforderung zu leisten. Diese Rechtsfrage wird in der Literatur kontrovers beurteilt, wobei im Wesentlichen zwischen der Gefahrtragungstheorie, die für eine Anrechnung ist und der Geldleistungstheorie, die die Anrechnung ablehnt, unterschieden werden kann (vgl. Prölss in VVG, 28. Aufl., § 1 Rn 82 u. 83).

69

Eine Anrechnung des "Versicherungsschutzes", wie sie in der Literatur und Rechtsprechung unter Bezugnahme auf die Gefahrtragungstheorie vertreten wird, kommt nicht in Betracht. Nach der Geldleistungstheorie kann der Versicherer dem Bereicherungsanspruch des Versicherungsnehmers (Prämie) nicht entgegenhalten, dass er dem Versicherungsnehmer zeitweise eine von diesem auszugleichende Leistung (Gefahrtragung, Geschäftsbesorgung) erbracht habe.

70

Die Beklagte kann sich insoweit auch nicht auf einen Verstoß des Klägers gegen den Grundsatz von Treu und Glauben – dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est – gemäß § 242 BGB berufen. Sie verkennt Ursache und Wirkung ihrer Pflichtverletzung. Allein diese war ursächlich, das der Vertrag den Zustand der schwebenden Unwirksamkeit nicht nach Ablauf der Widerrufsfrist beendete und wirksam wurde. Ihr jetzt die Prämie zu belassen, lässt sich mit den Folgen des Widderrufs nicht vereinbaren. Andernfalls würde das Risiko einer fehlerhaften Widerrufsbelehrung wirtschaftlich auf den VN verlagert. Das Risiko einer unzureichenden oder nicht nachgewiesenen Widerspruchsbelehrung muss daher bei dem Versicherer bleiben. Andernfalls besteht für den Versicherer keine Veranlassung, ordnungsgemäß über den Widerruf zu belehren und insoweit auch Einfluss auf den Vertrieb zu nehmen.

71

Die Beklagte kann sich gegenüber dem Zahlungsanspruch weder mit Erfolg auf die Einrede der Verjährung berufen noch ist ein Fall der Verwirkung gegeben.

72

Die Wirksamkeit der Verjährung beurteilt sich nicht nach § 12 I VVG a. F., sondern nach §§ 195 BGB n. F.. Danach gilt für Schadensersatzansprüche seit dem 01.01.2002 und den streitgegenständlichen Vertrag aus dem Jahr 2006 die dreijährige Verjährungsfrist, die nach § 199 I Nr.: 2 BGB mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem der Versicherungsnehmer Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste.

73

Danach begann die Frist erst mit Ablauf des Jahres 2011. Von der Möglichkeit, den Vertrag trotz Ablauf der Jahresfrist nach Zahlung der ersten Prämie und Rückzahlung auf der Grundlage des von der Beklagten als wirksam dargestellten Vertrages, sowie der fehlerhafter Widerrufsbelehrung zu widerrufen, erfuhr der Kläger erst durch die anwaltliche Beratung im Jahr 2011. Grob fahrlässige Unkenntnis bezogen auf die Widerrufsklausel kann dem Kläger nicht angelastet werden.

74

Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schwerwiegenden und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB liegt vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis von dem Anspruch oder dem Schuldner deshalb fehlt, weil er ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt oder das nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (z. B. BGH, Urteile vom 10. November 2009 aaO Rn. 13 und vom 23. September 2008 aaO Rn. 16 jeweils m. w. N.). Dies ist etwa der Fall, wenn sich dem Gläubiger die den Anspruch begründenden Umstände förmlich aufgedrängt haben und er leicht zugängliche Informationsquellen nicht genutzt hat (OLG Saarbrücken NZG 2008, 638, 640; Palandt/Ellenberger, BGB, 69. Aufl., § 199 Rn. 36). Ihn trifft generell keine Obliegenheit, im Interesse des Schuldners an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist Nachforschungen zu betreiben. Vielmehr muss das Unterlassen von Ermittlungen nach Lage des Falles als geradezu unverständlich erscheinen, um ein grob fahrlässiges Verschulden des Gläubigers anzunehmen. Für den Gläubiger müssen konkrete Anhaltspunkte für das Bestehen eines Anspruchs ersichtlich sein (BGH, Urteil vom 10. November 2009 aaO, S. 216 Rn. 16 m. w. N.). Hieran gemessen fehlt es im vorliegenden Fall an der grob fahrlässigen Unkenntnis. Unter Berücksichtigung von Rechtsprechung und juristischer Fachliteratur zur Wirksamkeit des § 5 a VVG a. F. erscheint das Unterlassen von Ermittlungen in dem Zeitraum von 2006 bis zur Teilauszahlung in 2010 keineswegs als geradezu unverständlich. Konkrete Anhaltspunkte für seinen Anspruch waren nicht ersichtlich. Auch kritische Artikel in den Medien zu Rentenversicherungen auf der Grundlage fondgebundener Lebensversicherungen sind nicht geeignet, im Fall des Beklagten von einer grob fahrlässigen Unkenntnis auszugehen.

75

Auch eine Verwirkung des Widerrufsrechts kommt nicht in Betracht. Es besteht aus den obigen Ausführungen zu § 242 BGB keine Veranlassung bei Versicherungsverträgen Verwirkung des Widerrufsrecht anzunehmen, wenn – wie hier – keine ordnungsgemäße Belehrung erfolgte und auch nicht nachgeholt wurde, obwohl es sich hierbei nach dem Ziel der Leitlinien und § 5 a VVG a. F. um eine Rechtspflicht handelt. Der BGH hat in seiner Rechtsprechung zum Bereich der Haustürgeschäfte festgestellt, das ein unbefristetes Widerrufsrecht eben keiner Verwirkung unterliegt, weil es sich bei der Widerrufsbelehrung im Zusammenhang mit Haustürgeschäften, um eine Rechtspflicht handelt (z. B. BGH NJW 2007, 357 m. w. N.).

76

Die Berechnung der Klagforderung ist nicht zu beanstanden. Auch der in die Abrechnung eingestellte Zinssatz von 7 % p. a. ist nach der Rechtsprechung des BGH und des OIG Hamm (juris OLG Hamm, Urteil vom 07.01.2008, Urteil 31 U 391/06 m. w. N.) nicht zu beanstanden (§ 287 ZPO). Die Beklagte hat den Zinssatz auch nicht erheblich bestritten und einen niedrigen Zinsgewinn substantiiert vorgetragen.

II.

77

Der auf die Hauptforderung verlangte Zins ist dem Grunde nach aus dem Gesichtspunkt des Verzugs begründet (§ 286 BGB). Die Beklagte befindet sich aufgrund des anwaltlichen Schreibens des Klägers vom 18.03.2011 und der darin gesetzten Frist zum 08.04.2011 seit dem 09.04.2011 im Zahlungsverzug, so das die Klage auf Zahlung von Verzugszins seit dem 01.05.2011 dem Grunde nach begründet ist. Der Höhe nach jedoch nur auf den darin verlangten Betrag von 4.082,38 €. Auf die Klagforderung von 4.796,60 € schuldet die Beklagte den gesetzlichen Verzugszins gemäß § 288 I BGB als Prozesszins erst seit Zustellung der Klage an die Beklagte am 25.05.2011 (§ 291 BGB).

III.

78

Die Beklagte schuldet dem Kläger unter dem Gesichtspunkt der Rechtsverfolgungskosten die Erstattung der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten nach dem Streitwert von 4.082,38 €. Nur dieser Betrag wurde außergerichtlich vom Kläger über seinen Rechtsanwalt geltend gemacht. In Anbetracht der Rechtslage ist der Ansatz einer 1,9-Geschäftsgebühr angemessen, so das sich nach dem RVG ein Betrag von 641,05 € ergibt, nicht 704,36 €. Wegen der Berechnung wird auf das Mahnschreiben vom 18.03.2011 (Anlage K 2 = Bl. 21 d. A.) Bezug genommen.

79

Der hierauf verlangte Zinsanspruch ergibt dem Grunde nach aus § 291 ZPO, die Höhe aus § 288 ZPO. Die Klage wurde der Beklagten am 25.05.2011 zugestellt.

IV.

80

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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